Zum Begriff des Erwartungswertes

Ähnliche Dokumente
Lösungen zu Übungsblatt 9 Höhere Mathematik2/Stochastik 2 Master KI/PI

Stochastik 03 Zufallsgröÿen und Verteilung

2. Übung zur Vorlesung Statistik 2

Mathematik für Naturwissenschaften, Teil 2

Kapitel VII. Einige spezielle stetige Verteilungen

Dr. Quapp: Statistik für Mathematiker mit SPSS. Lösungs Hinweise 1. Übung Beschreibende Statistik & Verteilungsfunktion

Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 4

Abschlussprüfung Berufliche Oberschule 2012 Mathematik 12 Nichttechnik - S I - Lösung

Demo-Text für STOCHASTIK. Tschebyscheff-Ungleichung. Einführung mit Anwendungsbeispielen. Datei Nr Friedrich W.

Erwartungswert, Varianz und Standardabweichung einer Zufallsgröße. Was ist eine Zufallsgröße und was genau deren Verteilung?

7. Grenzwertsätze. Dr. Antje Kiesel Institut für Angewandte Mathematik WS 2011/2012

Stichproben Parameterschätzung Konfidenzintervalle:

Veranstaltung: Statistik für das Lehramt Dozent: Martin Tautenhahn Referenten: Belinda Höher, Thomas Holub, Maria Böhm.

1.5 Erwartungswert und Varianz

Universität Basel Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum. Zufallsvariablen. Dr. Thomas Zehrt

Kapitel 6. Verteilungsparameter. 6.1 Der Erwartungswert Diskrete Zufallsvariablen

Abitur 2013 Mathematik Stochastik IV

Teil VIII. Zentraler Grenzwertsatz und Vertrauensintervalle. Woche 6: Zentraler Grenzwertsatz und Vertrauensintervalle. Lernziele. Typische Situation

Abiturvorbereitung Stochastik. neue friedländer gesamtschule Klasse 12 GB Holger Wuschke B.Sc.

Statistische Prozess- und Qualitätskontrolle und Versuchsplanung Stetige Verteilungen

Erwartungswert, Umgebungswahrscheinlichkeiten und die Normalverteilung

Wird ein Bernoulli- Versuch, bei dem die Trefferwahrscheinlichkeit p = 0,2 ist, n = 40 mal durchgeführt, dann erwarten wir im Mittel 8 Treffer.

Die Normalverteilung. Mathematik W30. Mag. Rainer Sickinger LMM, BR. v 0 Mag. Rainer Sickinger Mathematik W30 1 / 51

ETWR Teil B. Spezielle Wahrscheinlichkeitsverteilungen (stetig)

1.5 Erwartungswert und Varianz

Zufallsgröße X : Ω R X : ω Anzahl der geworfenen K`s

Schätzer und Konfidenzintervalle

Mathematik für Biologen

Erwartungswert und Varianz von Zufallsvariablen

Abitur 2016 Mathematik NT Stochastik S II

Statistik Testverfahren. Heinz Holling Günther Gediga. Bachelorstudium Psychologie. hogrefe.de

Beispiel 6 (Einige Aufgaben zur Gleichverteilung)

7.2 Moment und Varianz

A3.Die Lebensdauer eines elektronischen Gerätes werde als normalverteilt angenommen. Der Erwartungswert betrage

Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 3

Pfadregel. 400 Kugeln durchlaufen die möglichen Pfade. Das Diagramm zeigt das Ergebnis am Ende der Versuchsdurchführung.

1 Zur Klassenkonferenz sind 3 Schüler, 2 Eltern und 10 Lehrer erschienen.

Demokurs. Modul Grundlagen der Wirtschaftsmathematik Grundlagen der Statistik

77) auf zwei Nachkommastellen genau, und geben Sie den wesentlichen Unterschied der Verfahren an μ 0.

Anleitung: Standardabweichung

Zufallsgröße: X : Ω R mit X : ω Anzahl der geworfenen K`s

Wahrscheinlichkeitsverteilungen

Woche 2: Zufallsvariablen

DIFFERENZIAL- UND INTEGRALRECHNUNG. 7. bzw. 8. Klasse

Klausur zur Wahrscheinlichkeitstheorie für Lehramtsstudierende

5.4 Verteilungsfunktion Verteilungsfunktion diskreten Zufallsvariablen stetigen Zufallsvariablen Verteilungsfunktion

Θ Mathematik Stochastik

Vorlesung Gesamtbanksteuerung Mathematische Grundlagen II Dr. Klaus Lukas Carsten Neundorf. Vorlesung 04 Mathematische Grundlagen II,

Abschlussprüfung Berufliche Oberschule 2013 Mathematik 12 Nichttechnik - S II - Lösung

Statistik K urs SS 2004

2.3 Intervallschätzung

Klausur: Diskrete Strukturen I

Kapitel 3 Schließende Statistik

0 für t < für 1 t < für 2 t < für 3 t < für 4 t < 5 1 für t 5

Düngersäcke (3) Mehrere Maschinen füllen Säcke mit Dünger ab. Als Füllmenge sind laut Aufdruck 25 kg vorgesehen.

Dr. H. Grunert Schließende Statistik Vorlesungscharts. Vorlesung 7. Schätzverfahren

1 Dichte- und Verteilungsfunktion

Lösungen zu Übungs-Blatt 8 Wahrscheinlichkeitsrechnung

13 Mehrdimensionale Zufallsvariablen Zufallsvektoren

1 Wahrscheinlichkeitsrechnung. 2 Zufallsvariablen und ihre Verteilung. 3 Statistische Inferenz. 4 Hypothesentests. 5 Regression

5 Binomial- und Poissonverteilung

Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik für Studierende der Informatik. PD Dr. U. Ludwig. Vorlesung 7 1 / 19

6. Kontinuierliche Zufallsgrößen. Beispiel 1: Die Exponentialverteilungen Sei λ > 0. Setzen

2. Übung zur Vorlesung Statistik 2

2 Zufallsvariable und Verteilungsfunktionen

Stochastik für Ingenieure

Musterlösung zu Serie 8

Zufallsvariablen rekapituliert

4.2 Moment und Varianz

Wirtschaftsstatistik-Klausur am

Anzahl der Möglichkeiten in der Werkstatthalle, 3 ohne eingebaute Alarmanlage: N N 2

1 Verteilungsfunktionen, Zufallsvariable etc.

0 sonst. a) Wie lautet die Randwahrscheinlichkeitsfunktion von Y? 0.5 y = 1

Klausur vom

Eine Zufallsvariable X sei stetig gleichverteilt im Intervall [0,5]. Die Wahrscheinlichkeit P(2< x <4) ist dann

Biostatistik, Sommer 2017

15.5 Stetige Zufallsvariablen

Grundlagen der Biometrie in Agrarwissenschaften / Ernährungswissenschaften

Bitte bearbeite zunächst alle Aufgaben bevor du einen Blick in die Lösungen wirfst.

Auswertung und Lösung

Musterlösung zur Klausur im Fach Fortgeschrittene Statistik am Gesamtpunktzahl: 60

Sei X eine auf dem Intervall [2, 6] (stetig) gleichverteilte Zufallsvariable.

Mathematik für Biologen

Weinbau (2)* Überprüfen Sie nachweislich mithilfe der Volumsformel des Drehzylinders, ob die nachstehenden Aussagen jeweils richtig sind.

2.3 Intervallschätzung

1 Wahrscheinlichkeitsrechnung. 2 Zufallsvariablen und ihre Verteilung. 3 Statistische Inferenz. 4 Intervallschätzung

Konfidenzintervalle Grundlegendes Prinzip Erwartungswert Bekannte Varianz Unbekannte Varianz Anteilswert Differenzen von Erwartungswert Anteilswert

3 Schätzwerte und ihre Unsicherheiten ( Fehler )

Zufallsvariable X. 30 e. 40 e = 33,33...% 6

Chi-Quadrat-Verteilung

Übung zur Stochastik

Abitur 2013 Mathematik NT Stochastik S II

Statistik im Versicherungs- und Finanzwesen

11.4 Korrelation. Def. 44 Es seien X 1 und X 2 zwei zufällige Variablen, für die gilt: 0 < σ X1,σ X2 < +. Dann heißt der Quotient

Prüfungsteil 2, Aufgabe 6. Stochastik. Nordrhein-Westfalen 2014LK. Aufgabe 6. Abitur Mathematik: Musterlösung

Bio- Statistik 1. mit 87 Abbildungen, 40 Tabellen und 102 Beispielen

Staatliche Berufliche Oberschule für Wirtschaft München. 2. Schulaufgabe aus der Mathematik BOS

Woche 2: Zufallsvariablen

DWT 1.4 Rechnen mit kontinuierlichen Zufallsvariablen 234/467 Ernst W. Mayr

3.5 Beschreibende Statistik. Inhaltsverzeichnis

Transkript:

Zum Begriff des Erwartungswertes Wie man den Erwartungswert in der Schule einführt! Christopher Hirsch Institut für Mathematik Humboldt-Universität zu Berlin 13. Juli 2010

Das Wissensquiz 1. Die Aufgabe Der Sender RTV 10 möchte in Deutschland eine Konkurrenzsendung zu Wer wird Millionär ausstrahlen: das Wissensquiz. Allerdings muss der Produzent noch überprüfen, ob die erwarteten Werbeeinnahmen ausreichen, um die Preisgelder zu finanzieren. In den Ländern, in denen die Sendung bisher ausgestrahlt wurde, wurde gezählt, welche Gewinne die Kandidaten jeweils erzielt haben. Pro Sendung spielten durchschnittlich zwei Kandidaten. Lassen sich die Preisgelder der Kandidaten finanzieren, wenn pro Sendung Werbeeinnahmen von 150 000e zur Verfügung stehen?

Das Wissensquiz Gewinnstufe Anteil der Kandidaten 1 1500e 2,0% 2 3000e 3,0% 3 5000e 7,5% 4 10 000e 14,8% 5 30 000e 22,0% 6 50 000e 20,0% 7 100 000e 19,2% 8 300 000e 6,7% 9 500 000e 4,3% 10 1 000 000e 0,5% den Schülern muss die Gelegenheit gegeben werden sich an der Lösung der Aufgabe zu Probieren, noch bevor der Lehrer den neuen Begriffe des Erwartungswertes einführt

Das Wissensquiz ein wichtiges Ziel ist, dass Schüler erkennen, dass sich viele Aufgaben ohne Kalküle lösen lassen auch danach sollten sich die Schüler fragen, ob es notwendig ist, Kalküle zu verwenden oder, ob Nachdenken nicht schneller und sicherer zum Ziel führt

Lösung ohne das Kalkül: Erwartungswert Schüler kennen die Begriffe Zufallsgrösse und Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsgrösse aufbauend auf der Wahrscheinlichkeitsverteilung ist folgende Überlegung naheliegend: Von 1 000 Kandidaten ausgehend, wie viele Kandidaten gewinnen 1 500e, 3 000e, 5 000e, usw.? Gewinn 1 500e 3 000e 5 000e 10 000e... Anzahl der Kandidaten 20 30 75 148... Preisgelder für 1 000 Kandidaten summieren sich zu: 1 500e 20+3 000e 30+5 000e 75+... +1 000 000e 5 =84 375 000e Fehler im Text

Lösung ohne das Kalkül: Erwartungswert im Durchschnitt gewinnt jeder Kandidat 84 375 000e:1 000=84 375e 84 375e sind der Gewinn die der Sender RTV 10 pro Kandidat erwarten sollte

Hinführung zum Erwartungswert Trick: Schreibe die Gleichung wie folgt um 1 500e 20 + 3 000e 30 + 5 000e 75 + + 1 000 000e 5 = 1 000 84 375 000e = 1 000 Somit kommt man mit folgender Rechnung auf den gleichen Wert: 1 500e 20 1 000 + 3 000e 30 1 000 = + 84 375 000e 1 000 5 000e 75 1 000 + + = 84 375e 1 000 000e 5 1 000 =

Hinführung zum Erwartungswert Leichtes Umschreiben führt zu: 20 30 75 1 500e + 3 000e + 1000 1000 1000 5 000e +... + 5 84 375 000e 1 000 000e = = 84 375e 1000 1 000 }{{} 0.02 1 500e + 0.03 3 000e + 0.075 5 000e +... relativehaeuf. 84 375 000e + } 0.005 {{} 1 000 000e = = 84 375e 1 000 relativehaeuf. also kann man jeden Wert der Zufallsgrösse direkt mit der relativen Häufigkeit multiplizieren anschließendes Aufsummieren der Produkte liefert den durchschnittlichen Gewinn pro Kandidat

Hinführung zum Erwartungswert ist die Äquivalenzschreibweise: 0, 02 2% bekannt, kann die Gleichung auch geschrieben werden, als: 1 500e 2% + 3 000e 3% + 5 000e 7, 5% + + 1 000 000e 0, 5% = 8 437, 50e Definition Nimmt die Zufallsgrösse X die Werte x 1, x 2, x 3,... x n mit den Wahrscheinlichkeiten p 1, p 2, p 3,...,p n an, so heißt E(X ) = x 1 p 1 + x 2 p 2 + x 3 p 3 + + x n p n der Erwartungswert der Zufallsgrösse X.

Erwartungswert - Bewertung der Aufgabe gute und ausreichende Formulierung des Begriffes Erwartungswert im Schulgebrauch es ist fraglich, ob die Schüler anhand des obigen Beispiels die Notwendigkeit der Einführung des neuen Begriffes verstehen Aufgabe ist leicht mit Überlegung zu lösen

Erwartungswert Wahrscheinlichkeit p i 0.20 0.15 0.10 0.05 E[X ] Var[X ]) 84 375 131 514 0 200 000 400 000 600 000 800 000 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Es besteht eine starke Asymmetrie, da die Differenz der Punkte immer stärker zunimmt.

Erwartungswert und Varianz Wahrscheinlichkeit p i 0.30 0.25 0.20 0.15 0.10 0.05 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Einfach Logarithmisch aufgetragen. Durchgezogene Linie ist eine Gaußfunktion mit den berechneten Parametern. Die Funktion hat die Gestalt: f (x) = 1 µ)2 (x e σ 2 2πσ µ wurde berechnet: µ = E[log(X )] = 10 i=1 log(x i)p i σ wurde berechnet: σ 2 = E[(logX ) 2 ] [E(logX )] 2 µ σ 10,51 1,34

Erwartungswert und Varianz Wahrscheinlichkeit p i 0.20 0.15 0.10 0.05 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Auf der Abszissenachse ist die Nummerierung der Gewinnstufe abgetragen siehe Tabelle aus dem Text. Durchgezogene Linie ist eine Gaußfunktion mit den berechneten Parametern. µ wurde berechnet: µ = E[X ] = 10 i=1 i p i σ wurde berechnet: σ 2 = E[X 2 ] (E[X ]) 2 µ σ 5,51 1,78

Erwartungswert und Varianz Zusammenfassende Tabelle µ σ 84 375 131 514 10,51 1,34 5,51 1,78 durch leichte Variierung der Bedingungen gehen Informationen über den Erwartungswert verloren durch Logarithmierung der Skala erhält man Glockenverlauf, jedoch ist kein Rückschluss mehr möglich auf den Erwartungswert unserer Zufallsgröße Führt man eine andere Zufallsgrösse ein, wie es im dritten Diagramm gezeigt wurde: Gewinnstufe in e Nummer der Gewinnstufe ist kein Rückschluss mehr auf den Erwartungswert unserer Zufallsgröße möglich

Der Begriff der Varianz V (X ), bzw. der Standardabweichung σ(x ) kann durch die Tschebyscheffsche Ungleichung eindrucksvoll veranschaulicht werden: P( X E(X ) kσ(x )) 1 k 2 mögliche Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Sender mit seiner Schätzung für den ersten Kandidaten um 200.000e neben dem erwarteten Wert liegt? Berechne das k aus obiger Gleichung: σ k = 200 000e Mit σ = 131 514e erhält man: k = 1.52 Und damit: P( X E(X ) 200.000) 1 1.52 2 P( X E(X ) 200.000) 0.43 = 43%

Visualisierung der Tchebyschewschen Ungleichung Wahrscheinlichkeit p i 1.4 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 200 000 400 000 600 000 800 000 Abbildung: Graphische Darstellung der Tschebyscheffschen Ungleichung: Funktion f (x i ) = σ2 x 2 i Wahrscheinlichkeit p i 0.6 0.4 0.2 Abbildung: Graphische Darstellung der Tschebyscheffschen Ungleichung im Intervall, des schwarzen Kastens links