Zum Begriff des Erwartungswertes Wie man den Erwartungswert in der Schule einführt! Christopher Hirsch Institut für Mathematik Humboldt-Universität zu Berlin 13. Juli 2010
Das Wissensquiz 1. Die Aufgabe Der Sender RTV 10 möchte in Deutschland eine Konkurrenzsendung zu Wer wird Millionär ausstrahlen: das Wissensquiz. Allerdings muss der Produzent noch überprüfen, ob die erwarteten Werbeeinnahmen ausreichen, um die Preisgelder zu finanzieren. In den Ländern, in denen die Sendung bisher ausgestrahlt wurde, wurde gezählt, welche Gewinne die Kandidaten jeweils erzielt haben. Pro Sendung spielten durchschnittlich zwei Kandidaten. Lassen sich die Preisgelder der Kandidaten finanzieren, wenn pro Sendung Werbeeinnahmen von 150 000e zur Verfügung stehen?
Das Wissensquiz Gewinnstufe Anteil der Kandidaten 1 1500e 2,0% 2 3000e 3,0% 3 5000e 7,5% 4 10 000e 14,8% 5 30 000e 22,0% 6 50 000e 20,0% 7 100 000e 19,2% 8 300 000e 6,7% 9 500 000e 4,3% 10 1 000 000e 0,5% den Schülern muss die Gelegenheit gegeben werden sich an der Lösung der Aufgabe zu Probieren, noch bevor der Lehrer den neuen Begriffe des Erwartungswertes einführt
Das Wissensquiz ein wichtiges Ziel ist, dass Schüler erkennen, dass sich viele Aufgaben ohne Kalküle lösen lassen auch danach sollten sich die Schüler fragen, ob es notwendig ist, Kalküle zu verwenden oder, ob Nachdenken nicht schneller und sicherer zum Ziel führt
Lösung ohne das Kalkül: Erwartungswert Schüler kennen die Begriffe Zufallsgrösse und Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsgrösse aufbauend auf der Wahrscheinlichkeitsverteilung ist folgende Überlegung naheliegend: Von 1 000 Kandidaten ausgehend, wie viele Kandidaten gewinnen 1 500e, 3 000e, 5 000e, usw.? Gewinn 1 500e 3 000e 5 000e 10 000e... Anzahl der Kandidaten 20 30 75 148... Preisgelder für 1 000 Kandidaten summieren sich zu: 1 500e 20+3 000e 30+5 000e 75+... +1 000 000e 5 =84 375 000e Fehler im Text
Lösung ohne das Kalkül: Erwartungswert im Durchschnitt gewinnt jeder Kandidat 84 375 000e:1 000=84 375e 84 375e sind der Gewinn die der Sender RTV 10 pro Kandidat erwarten sollte
Hinführung zum Erwartungswert Trick: Schreibe die Gleichung wie folgt um 1 500e 20 + 3 000e 30 + 5 000e 75 + + 1 000 000e 5 = 1 000 84 375 000e = 1 000 Somit kommt man mit folgender Rechnung auf den gleichen Wert: 1 500e 20 1 000 + 3 000e 30 1 000 = + 84 375 000e 1 000 5 000e 75 1 000 + + = 84 375e 1 000 000e 5 1 000 =
Hinführung zum Erwartungswert Leichtes Umschreiben führt zu: 20 30 75 1 500e + 3 000e + 1000 1000 1000 5 000e +... + 5 84 375 000e 1 000 000e = = 84 375e 1000 1 000 }{{} 0.02 1 500e + 0.03 3 000e + 0.075 5 000e +... relativehaeuf. 84 375 000e + } 0.005 {{} 1 000 000e = = 84 375e 1 000 relativehaeuf. also kann man jeden Wert der Zufallsgrösse direkt mit der relativen Häufigkeit multiplizieren anschließendes Aufsummieren der Produkte liefert den durchschnittlichen Gewinn pro Kandidat
Hinführung zum Erwartungswert ist die Äquivalenzschreibweise: 0, 02 2% bekannt, kann die Gleichung auch geschrieben werden, als: 1 500e 2% + 3 000e 3% + 5 000e 7, 5% + + 1 000 000e 0, 5% = 8 437, 50e Definition Nimmt die Zufallsgrösse X die Werte x 1, x 2, x 3,... x n mit den Wahrscheinlichkeiten p 1, p 2, p 3,...,p n an, so heißt E(X ) = x 1 p 1 + x 2 p 2 + x 3 p 3 + + x n p n der Erwartungswert der Zufallsgrösse X.
Erwartungswert - Bewertung der Aufgabe gute und ausreichende Formulierung des Begriffes Erwartungswert im Schulgebrauch es ist fraglich, ob die Schüler anhand des obigen Beispiels die Notwendigkeit der Einführung des neuen Begriffes verstehen Aufgabe ist leicht mit Überlegung zu lösen
Erwartungswert Wahrscheinlichkeit p i 0.20 0.15 0.10 0.05 E[X ] Var[X ]) 84 375 131 514 0 200 000 400 000 600 000 800 000 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Es besteht eine starke Asymmetrie, da die Differenz der Punkte immer stärker zunimmt.
Erwartungswert und Varianz Wahrscheinlichkeit p i 0.30 0.25 0.20 0.15 0.10 0.05 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Einfach Logarithmisch aufgetragen. Durchgezogene Linie ist eine Gaußfunktion mit den berechneten Parametern. Die Funktion hat die Gestalt: f (x) = 1 µ)2 (x e σ 2 2πσ µ wurde berechnet: µ = E[log(X )] = 10 i=1 log(x i)p i σ wurde berechnet: σ 2 = E[(logX ) 2 ] [E(logX )] 2 µ σ 10,51 1,34
Erwartungswert und Varianz Wahrscheinlichkeit p i 0.20 0.15 0.10 0.05 Abbildung: Punktediagramm der Tabelle aus dem Text. Auf der Abszissenachse ist die Nummerierung der Gewinnstufe abgetragen siehe Tabelle aus dem Text. Durchgezogene Linie ist eine Gaußfunktion mit den berechneten Parametern. µ wurde berechnet: µ = E[X ] = 10 i=1 i p i σ wurde berechnet: σ 2 = E[X 2 ] (E[X ]) 2 µ σ 5,51 1,78
Erwartungswert und Varianz Zusammenfassende Tabelle µ σ 84 375 131 514 10,51 1,34 5,51 1,78 durch leichte Variierung der Bedingungen gehen Informationen über den Erwartungswert verloren durch Logarithmierung der Skala erhält man Glockenverlauf, jedoch ist kein Rückschluss mehr möglich auf den Erwartungswert unserer Zufallsgröße Führt man eine andere Zufallsgrösse ein, wie es im dritten Diagramm gezeigt wurde: Gewinnstufe in e Nummer der Gewinnstufe ist kein Rückschluss mehr auf den Erwartungswert unserer Zufallsgröße möglich
Der Begriff der Varianz V (X ), bzw. der Standardabweichung σ(x ) kann durch die Tschebyscheffsche Ungleichung eindrucksvoll veranschaulicht werden: P( X E(X ) kσ(x )) 1 k 2 mögliche Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Sender mit seiner Schätzung für den ersten Kandidaten um 200.000e neben dem erwarteten Wert liegt? Berechne das k aus obiger Gleichung: σ k = 200 000e Mit σ = 131 514e erhält man: k = 1.52 Und damit: P( X E(X ) 200.000) 1 1.52 2 P( X E(X ) 200.000) 0.43 = 43%
Visualisierung der Tchebyschewschen Ungleichung Wahrscheinlichkeit p i 1.4 1.2 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 200 000 400 000 600 000 800 000 Abbildung: Graphische Darstellung der Tschebyscheffschen Ungleichung: Funktion f (x i ) = σ2 x 2 i Wahrscheinlichkeit p i 0.6 0.4 0.2 Abbildung: Graphische Darstellung der Tschebyscheffschen Ungleichung im Intervall, des schwarzen Kastens links