Pharmakologie bei Leberinsuffizienz- Was muss der Intensivmediziner wissen? 17. St.Galler IPS-Symposium 15.Januar 2013 Natascia Corti Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie Universitätsspital Zürich natascia.corti@usz.ch Leber und Detoxifikation Wichtigstes Organ zur Elimination von (endogenen und ) exogenen Substanzen Barrierefunktion zwischen Darm (Resorption) und systemischem Kreislauf Neben dem Darm, höchster Anteil an Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen 75% des Blutes fliessen über das Portal- Venensystem, 25% über das arterielle System 1
Zusammenhang zwischen applizierter Dosis, erreichter Plasmakonzentration und Arzneimittelwirkung Dosis Pharmakokinetik Pharmakodynamik Konzentration Plasma - Wirkort Resorption Verteilung Metabolismus Elimination Wirkung Nahrung Komedikation Genetik Komorbidität Hepatische Clearance 1) Leberzelle 2) 3) CYP Galle UGT 4) Hepatische Clearance ist definiert durch: 1) Blutfluss (Q H ) 2) Aufnahme-Kapazität über Transportproteine in die Hepatozyten 3) Aktivität von Phase I und II Enzymen 4) Ausscheidungskapazität in die Galle 2
Metabolismus eines Medikamentes OH OH Phase I Oxidation, Reduktion, Hydrolyse Phase 2 Konjugation Inaktivierung Aktiver Metabolit Toxischer Metabolit Wasserlöslichkeit Ausscheidung (Niere, Galle) Arzneimittelmetabolisierende Enzyme Evans WE. Science 1999 3
CYP Substrat Spezifität NSAIDs, Phenprocoumon Sulfonyluharnstoffe PPI Antiepileptika Statine Calciumantagonisten Makrolidantibiotika Immunosuppressiva Opiate Benzodiazepine Phenprocoumon Und viele andere! Betablocker Antidepressant Neuroleptika Evans WE and Relling MV. Science 1999;286:487-91 Hepatische Clearance eines Medikamentes Die Clearance in der Leber ist abhängig vom Blutfluss (Q H ~ 1500ml/min ) und von der Metabolisierungskapazität (Cl int ) in der Leber: Cl hep = Q H x fu x Cl int Q H + fu x Cl int 4
Einflussfaktoren auf Leberdurchblutung Leberpathologie/Zirrhose Herzinsuffizienz Katecholamine Sepsis Beatmung??? Einteilung der Medikamente nach Effektivität der Verstoffwechselung durch die Leber (i.v. Verabreichung) High extraction ratio drug (> 0.7) Effektive Verstoffwechselung bei Leberpassage (Cl>1000ml/min) Tiefe orale Bioverfügbarkeit Leberblutfluss Q bestimmt Ausmass der Lebermetabolismus (Cl H ) CL H = Q H Low extraction ratio drug (<0.3) Niedrige Verstoffwechselung bei Leberpassage (<400ml/min) Mittlere bis hohe Bioverfügbarkeit Stoffwechselleistung der Leber (CYP) und freie Anteil im Blut bestimmt Ausmass des Lebermetabolismus CL H = fu x Cl int 5
Eiteilung nach hepatischer Extraktionrate <0.3 0.3-0.7 >0.7 Diazepam, Oxazepam, Temazepam Midazolam Propranolol, Metoprolol Phenytoin Mirtazapin Nitroglycerin, Lidocain Phenobarbital Haloperidol Chlorpromazine Procainamid Diltiazem Verapamil Valproinsäure Amiodaron Morphin, Pethidin Warfarin Omeprazol Antidepressiva Methadon Atorvastatin Simvastatin Metocopramid Verapamil Hohe hepatische Exteraktionsrate geht mit niedriger oraler Bioverfügbarkeit einher! Folgen der Leberschädigung gesunde Leber Entzündung + Fibrose Zirrhose Leberversagen 6
Folgen des zirrhotischen Umbaues Portal-systemische Shunts (auch TIPS) Verminderte Leberdurchblutung Abnahme der Masse intakter Hepatozyten Intrahepatische Cholestase Verminderte hepatische Clearance von Medikamenten Methoden zur Quantifizierung der Leberfunktion mit exogenen Substanzen Midazolam (IV, PO) Delco F. Drug safety 2005 7
Antipyrin-Clearance und Child-Pugh Score Mahoud et al. Engel et al 1996 Antipyrin-Clearance und klinische Leberfunktionsparameter Mahoud et al. 8
CYP Aktivität bei akutem *CCL4-induziertem Leberversagen bei der Ratte *carbon tetrachloride Yokogawa. International Journal of Pharmaceutics 2004 Pharmakokinetik der Markersubstanzen nach akutem CCL4-induziertem Lebeschaden CYP1A2 HWZ 14x CYP2C6 HWZ 2x CYP2E1 HWZ 4x CYP3A4 HWZ 2x Yokogawa. International Journal of Pharmaceutics 2004 9
Berurteilung der Leberfunktion und Metabolisierungskapazität resp. Wirkung von Medikamenten Kein Parameter konnte bisher etabliert werden aequivalent zu Kreatinin-Clearance bei Niereninsuffizienz In Studien die PK bei Leberinsuffizienz untersuchen, werden Patienten in der Regel nach Child-Pugh-Kriterien eingeteilt. Weitere Faktoren wie verminderte Proteinbindung bei hochproteingebundenen Substanzen (>90%) müssen in Bezug auf Wirkungsverstärkung ebenfalls berücksichtigt werden. Vorsicht bei Medikamenten mit enger therapeutischer Breite: niedrigste Dosis, Spiegelbestimmung Freie Fraktion mit abnehmender Albuminbindung Nach Tchambaz L. Dissertation 2004 10
Bei Hypalbuminämie Bestimmung der freien Valproat Konzentration Hermida J. J Pharmacol Sci 2005 Anstieg der Atorvastatin-Bioverfügbarkeit bei eingeschränktem hepatischen Metabolismus Metabolismus über CYP3A4 3mg Metabolismus über CYP3A4 10 mg F: 30% F: 100% 10 mg 10 mg Steigerung der Bioverfügbarkeit um den Faktor 3.3 11
Anstieg der oralen Bioverfügbarkeit bei «moderate» und «high extraction» Substanzen bei Leberzirrhose Verbeeck RK. Eur J Clin Pharmacol 2008 Dosisanpassung nach E H <0.3 (low) 0.3-0.7 (Intermediate) >0.7 (high) Initialdosis: Oral: Keine Anpassung Niedrigste Dosis Dosisreduktion = Normal Dosis x F/100 i.v.: Keine Anpassung Keine Anpassung Keine Anpassung Erhaltungsdosis: Oral und i.v.: Child A: 50% Child B: 75% Child C: choose drugs whose kinetics is not affected by liver disease and/or TDM is available. Nach Tchambaz L. Dissertation 2004 12
Aktivität von hepatischen Phase-II-Enzymen in Lebergewebe bei chronischer Hepatopathie Pacifici Br. J. Clin. Pharnac 1990 Morphin Metabolismus vorwiegend über Glucuronidierung CYP UGT 50% UGT 15% active inactive Renale Auscheidung active 13
Morphin PK bei Leberzirrhose Tegeder et al. Clin Pharmacokinet 1999 Metabolismus E H PK-Veränderung bei Leberzirrhose Fentanyl Sufentanil Remifentanil Hepatisch, CYP3A4 Hepatisch, CYP3A4 Plasma/Gewebes Esterasen Hoch Hoch hoch Gering bei Einmaldosis, kurzzeitiger Anwendung, sonst verlängerte Wirkung möglich Gering bei Einmaldosis, kurzzeitiger Anwendung, sonst verlängerte Wirkung möglich gering Methadon Hepatisch, CYP2B6, 2D6, CYP3A4 niedrig Relevant bei schwerer Leberinsuffizienz Tegeder et al. Clin Pharmacokinet 1999 14
Pharmakologische Eigenschaften von Benzodiazepinen CYP aktiver 3A4, 2C9, 2C19, 2D6, 3A4 3A4 2.8-10*/20 # UGT 3A4 3A4 3-9 3-18 12-16 24-30 30-40 2C19,3A4 Abbau nur durch Glucuronidierung *>60J. # ICU Diazepam PK bei Leberzirrhose und akuter viraler Hepatitis Wilkonson GR. Acta Psychiatr Scand Suppl. 1978 15
Oxazepam und Lorazepam PK bei Leberzirrhose und akuter viraler Hepatitis Oxazepam po Lorazepam i.v. Wilkonson GR. Acta Psychiatr Scand Suppl. 1978 Einfluss der Leberzirrhose und TIPS auf die Midazolam- Pharmakokinetik intravenös peroral Chalasani N. Hepatology 2001 16
Antiarrhythmika bei eingeschränkter Leberfunktion * *vorwiegend renal ausgeschieden Klotz U. Clin Pharmacokinet 2007 Schlussfolgerung I Medikamente bei Patienten mit Leberinsuffizienz meist schlecht oder gar nicht untersucht, Dosisempfehlungen oft ungenau Praktisch keine Daten zum akuten Leberversagen IPS-Patienten: Heterogene Patientenpopulation Unterschiedliche Ursachen für Leberpathologie mit unterschiedlicher Ausprägung der Lebergewebsveränderungen Komorbiditäten: Niereninsuffizienz, Hypoalbuminämie, Aszites, Infekt, Kardiopathie Polymedikation mit Wechselwirkungen 17
Schlussfolgerung II Bei Medikamenten mit enger therapeutischer Breite und vorwiegend hepatischem Metabolismus mit 25-50% der üblichen Dosis beginnen und danach je nach Klinik oder Spiegelbestimmung steigern. Ladedosis i.v. bleibt unverändert Bevorzugt über Phase II Enzyme (Glucuronidierung) metabolisierte Substanzen bevorzugen, bei normaler Nierenfunktion renal eliminierte Substanzen einsetzen 18