Epidemiologie der spezifischen Phobien

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Einleitung Die Epidemiologie lässt sich klassischerweise als die Untersuchung der Verteilung und der Determinanten von gesundheitsbezogenen Zuständen oder Ereignissen in umschriebenen Bevölkerungsgruppen sowie die Anwendung dieser Ergebnisse zur Steuerung von Gesundheitsproblemen definieren (Last, 1995). Die zwei wesentlichen Komponenten der modernen Epidemiologie umfassen somit die Untersuchung von Verbreitung und Ursache einer Krankheit und stellt ein Bindeglied zwischen Ursachenforschung und öffentlichem Gesundheitswesen dar (Last, 1988). Neuere Definitionen unterscheiden zwischen der deskriptiven und der analytischen Epidemiologie (Wittchen und Perkonigg, 1996). Die deskriptive Epidemiologie umfasst hierbei speziell die Untersuchung der Häufigkeit und des Verlaufs von Krankheiten in vorab definierten Populationen. Die analytische Epidemiologie versucht hingegen diejenigen Faktoren zu eruieren, die ursächlich an der Entstehung einer Krankheit beteiligt sind und/oder zur Ausformung spezifischer Krankheitsverläufe beitragen. In dem hier vorliegenden Artikel wird sich auf die deskriptive Epidemiologie beschränkt. Das Forschungsfeld der Epidemiologie psychischer Störungen befasst sich speziell mit der Beantwortung epidemiologischer Fragestellungen auf dem Gebiet der psychischen Störungen (Lieb et al. 2003). Grundlegen für eine reliable und valide epidemiologische Untersuchung psychischer Störungen sind Falldefinition und Fallidentifikation. In der Falldefinition werden die diagnostisch erfassbaren Störungsmerkmale festgelegt, welche eine Person aufweisen muss, um auch als pathologischer Fall identifiziert zu werden. Hierzu sind explizite Kriterien nötig, mit denen vorgegeben wird, welche Merkmale vorhanden sein müssen, um einen Fall als positiv zu identifizieren. Die probatesten Klassifizierungsinstrumente im Bereich der psychischen Störungen sind das DSM-III, DSM- III-R und DSM-IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Deseases (American Psychiatric Association, 1980, 1987, 1994) oder das ICD-10 International Classification of Deseases (Word Health Organisation, 1993). Die Fallidentifikation behandelt die Frage, wie die Entscheidung getroffen werden kann, ob eine Person die diagnostischen Kriterien der Falldefinition erfüllt, oder nicht. Es stellt sich hier die Frage nach den entsprechenden Erhebungsinstrumenten, welche die testtheoretischen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität für die jeweilige Falldefinition erfüllen müssen. 2

Die nun vorliegende Arbeit soll einen Überblick über den aktuellen Wissensstand speziell zur Epidemiologie von Spezifischen Phobien liefern. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Häufigkeit des Auftauchens einer Spezifischen Phobie in einer definierten Population, sowie Erklärungsansätze, weshalb unterschiedliche Studien zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Weitere, ebenfalls zentrale Aspekte der epidemiologischen Forschung von Spezifischen Phobien wie beispielsweise Inzidenzen, Risikofaktoren, Krankheitsverläufe, sowie auf Aspekte der Versorgung dieses Störungsbilds durch das Gesundheitssystems können aus Platzgründen nicht gebührend und erschöpfend behandelt werden. Häufigkeiten von Spezifischen Phobien Die Verbreitung von Krankheiten wird allgemein in Prävalenzzahlen angegeben. Die Prävalenz beschreibt den Anteil erkrankter Personen im Verhältnis zur gesunden Risikopopulation. Als Risikopopulation kommen alle diejenigen Personen in Frage, die für die untersuchte Krankheit generell anfällig sind. Entscheidend bei der Manifestation einer Prävalenzzahl ist der Zeitraum auf den sich die Angaben beziehen. Die Punktprävalenz gibt den Anteil an Erkrankten zu einem bestimmten, fixen Zeitpunkt an. Hingegen bewertet die Periodenprävalenz (meist ausgedrückt in der Lebenszeitprävalenz oder der 12-Monate- Prävalenz) den Anteil an erkrankten Personen innerhalb des definierten Zeitabschnitts. Tabelle 1 vermittelt eine Übersicht über die bekanntesten, gross angelegten epidemiologischen Studien zur Häufigkeit von psychischen Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Diese Studien wurden nach den Falldefinitionen des DSM-III, DSM- III-R und DSM-IV durchgeführt. Für die Fallidentifikation wurden die gängigen Diagnoseinstrumente DIS, SPIKE, FPI, CIDI, M-CIDI und F-DIPS verwendet. Es ist auffällig, dass die Varianz in den dargestellten Untersuchungen betreffend der Lebenszeitprävalenz von 0,6% (Faravelli et al.; 1989) bis 14,4% (Kringlen et al. 2001) reicht. Die Varianz bei der 12-Monats-Prävalenz geht von 1,2% in der Studie von Angst et al. (1993) bis 11,1% in der Studie von Kringlen et al. (2001). Ebenso drastisch sind die Unterschiede in den Angaben der Punktprävalenzen (dem Anteil der Bevölkerung, der zum Zeitpunkt der Untersuchung die Kriterien für eine Spezifische Phobie nach den jeweiligen Fallkriterien erfüllte). Hier reichen die Angaben von 0,5% in der Studie von Canino et al. (1987) in Puerto Rico bis zu einem 3