Universitätsherzzentrum Klinik für Herzund Dipl.- Psych. K. Tigges-Limmer 1
Synonyme Begriffe Durchgangssyndrom Akuter exogener Reaktionstyp Verwirrtheitszustand Hirnorganisches Psychosyndrom Clouded states Passagere Psychose 2
Überblick Diagnostik Epidemiologie Chirurgische Inzidenz Ursachen Therapie 3
Fallbeispiel Patient, Herr S., männlich, Dachdeckermeister, 39 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder Diagnose Lungenfibrose stetige Abnahme der pulmonalen Leistungsfähigkeit Listung zur LuTX, psychologische Exploration HU-Listung inklusive 8 wöchiger stationärer Wartezeit Doppel-LungenTX ohne HLM 3.postop-Tag Delir 4
Diagnostische Kriterien (ICD-10) Alle akut (innerhalb von Stunden oder Tagen) auftretenden psychische Störungen mit Symptomen in folgenden Bereichen: 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität (Symptomatik fluktuiert im Tagesverlauf) 5
Diagnostische Kriterien (ICD-10) 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität 6
1a. Quantitative Bewusstseinsstörung Störung Definition Benommenheit Patient ist teilnahmslos und verlangsamt, Informationsaufnahme und verarbeitung sind eingeschränkt Somnolenz Patient ist apathisch, schläfrig, aber weckbar Sopor Patient schläft und ist nur durch starke Reize (z.b. Kneifen) für kurze Zeit zu erwecken Koma Patient ist bewusstlos und nicht mehr weckbar 7
1b. Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration Aufmerksamkeit: Die Fähigkeit, die Kognition im Wachzustand einzugrenzen (zu fokussieren) und auszurichten Überprüfung durch Zahlennachsprechen (im Schnitt können 6 Zahlen nachgesprochen werden Konzentration: Die Fähigkeit, die Kognition im Wachzustand aufrechtzuerhalten Überprüfung durch Substraktionsaufgaben ( 7-Reihe ) oder durch Rückwärtsbuchstabieren (RADIO) 8
Diagnostische Kriterien (ICD-10) 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität 9
2a. Inkohärentes Denken Denken ist ungeordnet Redet weitschweifig und am Thema vorbei Gedankengänge sind unklar und unlogisch Gedanken sind sprunghaft (Springen von Thema zu Thema) Desorientierung zu Zeit, Ort, Person 10
2b. Wahrnehmungsstörungen Verzerrung der Wahrnehmung Illusionen Optische Halluzinationen (flüchtige) Wahngedanken 11
Diagnostische Kriterien (ICD-10) 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität 12
3. Psychomotorische Störungen Hyporeaktivität Hyperreaktivität Rascher Wechsel zwischen beiden Verlängerte Reaktionszeit Vermehrter oder verminderter Redefluss Verstärkte Schreckreaktion 13
Diagnostische Kriterien (ICD-10) 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität 14
4. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus Schlafstörungen (E und D) Schläfrigkeit am Tage Verschlimmerung der Symptome nachts Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus Alpträume Teilweise Aufwachhalluzinationen 15
Diagnostische Kriterien (ICD-10) 1. Bewusstsein und Aufmerksamkeit 2. Denken und Wahrnehmung 3. Psychomotorik 4. Schlaf-Wach-Rhythmus 5. Affektivität 16
5. Affektive Störungen Depression Angst und Furcht Reizbarkeit, Aggression Euphorie Apathie Staunende Ratlosigkeit 17
Epidemiologie Ältere >65-jährige internistische Patienten 14 24% bei Aufnahme (1) Inzidenz bei > 70-jährigen während des stationären Aufenthaltes: 30 50% (2) Postoperativ 20 50 % (3) 30 60% aller Delirien bleiben unerkannt (4) 18 (1) Bucht G, Gustafson Y, Sandberg O.Epidemiology of delirium.dement Geriatr Cogn Disord. 1999 Sep- Oct;10(5):315-8. Review. PMID: 10473930 [PubMed - indexed for MEDLINE] (2) Lipowski, Z. J.: Transient cognitive disorders (delirium, acute confusional states in the elderly). American Journal of Psychiatry,1983, 140, 1426 1436.List, W.: Postoperatives Delir. In: Der Anästhesist 1999, 48 (3) Levkoff S, Cleary P, Liptzin B, Evans DA. Epidemiology of delirium: an overview of research issues and f indings.int Psychogeriatr. 1991 Winter;3(2):149-67. Review. PMID: 1811770 [PubMed i ndexed for MEDLINE] (4) Inouye, S The dilemma of delirium: Clinical and research controversies regarding diagnosis and evaluation of delirium in hospitalized elderly medical patients1. The American Journal of Medicine, Volume 97, Issue 3, Pages 278-288
Chirurgische Inzidenz Metaanalyse: 40%(bei erheblicher Streuung) Nach Kardiotomie: 70% Nach Hüft-TEP: 40 50 % Delire treten meist am 3. Post-OP-Tag auf Post-OP-Delir ist mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit (10 25%) verbunden. Postoperative Delirien werden zu 40 % als Depression fehldiagnostiziert (5) (5) Farrell KR, Ganzini L. Misdiagnosing delirium as depression in medically ill elderly patients 1995 Dec 11-25;155(22):2459-64. 19
Akut behandlungsbedürftige Ursachen/Differentialdiagnosen Hypoxie Herzkreislauf-versagen Meningoencephalitis Schlaganfall Hirnblutung Hirntumor Hypoglykämie Hyponaträmie Diabetische Ketoazidose Hyperosmolares Koma Epileptischer Anfall Intoxikation Drogen- oder Alkoholentzug 20
Delirogene Medikamente Substanzgruppe Analgetika Antiarrhythmika Antiasthmatika Antibiotika Anticholinergika Antidepressiva Antihistaminika Antihypertensiva Antiphlogistika Immunsuppressiva Neuroleptika Parkinsontherapeutika Virostatika Zytostatika Verschiedene Beispiele Opiate, ASS Chinidin, Disopyramid, Amioradon Theophylin Aminoglycoside, Sulfonamide, Metronidazol, Gyrasehemmer, Macrolide Atropin Amitryptilin Cimetidin Captopril, Amlodipin Cortison, Dexamenthason, Prednisolon Cyclospurin Thioridazin, Clozapin Amantadin, Biperiden, Carbidop Aciclovir 5-Flourouracil Lithium, Chloroquin 21
Therapie 1. Behandlung der auslösenden Faktoren 2. Pharmakologische Behandlung 3. Zuwendung durch bekannte Personen 4. Erleichterung der Reorientierung 5. Schaffung einer reizarmen Umgebung 6. Anpassung der Kommunikation 7. Sitzwachen 22
Therapie 1. Behandlung der auslösenden Faktoren Absetzen/Umsetzen delirogener Medikamente Behandlung der Grunderkrankung (z.b. Infekt) Beseitigung der begünstigenden Faktoren (z.b. Elektrolytstörung) 23
Therapie 2. Pharmakologische Behandlung (die Auswahl des Medikaments richtet sich nach Ursache des Delirs und entsprechender Zielsymptomatik) Antipsychotika z.b. Risperdal oder Haloperidol wirken leicht sedierend, reorientierend, antipsychotisch, psychomotorisch hemmend Niederpotente Antipsychotika z.b. Melperon wirken sedierend und schlaffördernd Benzodiazepine z.b. Lorazepam bei Entzugsdelirien (Alkohol, Benzodiazepine) 24
Therapie 3. Zuwendung durch bekannte Personen Kontinuierliche Betreuung durch eine Pflegeperson ( primary nursing ) Einbezug naher Angehöriger (Anzahl begrenzen, Häufigkeit erhöhen) 25
Therapie 4. Erleichterung der Reorientierung Zähne, Brille, Hörgerät frühzeitig zur Verfügung stellen Uhr, Kalender in Zimmern Tageszeitung, Fernseher große Namensschilder vertraute Gegenstände (Photos, Bilder, Maskottchen in Bettnähe) Patienten Datum, Zeit und Ort nennen 26
Therapie 5. Schaffung einer beschützten, reizarmen Umgebung Reduktion von Alarmlautstärken und Handyklingeltönen, kein Rundum Radiogedudel, sondern gezielte Absprachen, leise sprechen, CD-Player, Ohrstöpsel unnötige Schläuche, Kabel, Geräte aus dem Sichtfeld herausnehmen, Sichtschutz nachts pflegerische Maßnahmen auf ein Minimum reduzieren 27
Therapie 6. Anpassung der Kommunikation Statt: Diskussion über Wahninhalte, Halluzinationen Alles ist gut Sie brauchen keine Angst zu haben Das wird nicht wehtun Achtung Schuss Welcher Tag ist heute? Lieber: Wahninhalte nutzen Ruhe und Sicherheit vermitteln (auf Blickkontakt bestehen) Wir passen gut auf Sie auf. Bleiben Sie ganz ruhig. Sie sind hier in Sicherheit. Ich bin für Sie da. Sie haben die Operation gut überstanden. Sie machen das gut hier mit etc. Tag, Ort, Situation benennen 7. Sitzwachen 28
Zusammenfassung Ein Delir ist eine akut auftretende psychische Störung der Orientierung, des Denkens, der Wahrnehmung Ein Delir geht mit einer hohen Mortalität (10-25%) einher Die Ursachen sind meistens multifaktoriell (Medikamente, Infekt, Operation, vorbestehende Risikofaktoren) Die Behandlung der Grunderkrankung steht im Vordergrund Antipsychotika stellen eine sichere Behandlung dar Wichtig ist der Einbezug von Angehörigen und kontinuierlichen Pflegepersonen Beschützte, reizarme Umgebung, eine angepasste Kommunikation und Sitzwachen begünstigen die Genesung 29
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 30