Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 1)

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Universität Augsburg Institut für Öffentliches Recht Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 1) Lösungshinweise zu Fall 2 Stand: SS 2012 A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und Zuständigkeit des Gerichts I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, 40 VwGO Es muss gemäß 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen, die nicht einem anderen Gericht gesetzlich ausdrücklich zugewiesen ist. 1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, kann im Wesentlichen nach drei Abgrenzungstheorien beurteilt werden: der Interessentheorie (weitgehend überholt), der Subordinationstheorie (bzw. Subjektstheorie) und der Zuordnungstheorie (bzw. modifizierte Subjektstheorie oder Sonderrechtstheorie). 1 a) Interessentheorie Nach der Interessentheorie ist maßgeblich, ob dem Rechtsstreit ein Rechtssatz zugrunde liegt, der überwiegend öffentlichen Interessen dient. Das öffentliche Baurecht (Bauordnungs- und Bauplanungsrecht) regelt die Zulässigkeit, die Grenzen und die Ordnung der baulichen Nutzung des Bodens (insbesondere durch Errichtung baulicher Anlagen) unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen. b) Subordinationstheorie Die Subordinationstheorie stellt auf das Verhältnis der am Rechtsstreit Beteiligten ab. Besteht ein Über-Unterordnungsverhältnis, liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, besteht ein Gleichordnungsverhältnis, handelt es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit. Diese Theorie greift jedoch nur im Bereich der Eingriffsverwaltung (bei der Leistungsverwaltung wird idr ein Gleichordnungsverhältnis vorliegen). Das hier einschlägige Bauordnungsrecht (BayBO) befasst sich mit sicherheitsrechtlichen Anforderungen an bauliche Anlagen und mit dem bauaufsichtlichen Verfahren. Die diesbezüglichen Normen sind damit dem Eingriffsrecht (Sicherheitsrecht) 2 zuzurechnen, womit gleichzeitig gegenüber dem Bürger ein Über-Unterordnungsverhältnis besteht. c) Zuordnungstheorie Nach der Zuordnungstheorie sind die Zuordnungssubjekte der entscheidungsrelevanten Rechtssätze ausschlaggebend. Es kommt darauf an, ob dem Rechtsstreit eine Norm zugrunde liegt, deren Rechte und Pflichten sich ausschließlich an den Staat oder einen sonstigen Träger hoheitlicher Gewalt gerade in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger richten. Dies ist hier der Fall, da Streitgegenstand die Erteilung einer Baugenehmigung und damit der Vollzug des öffentlichen Baurechts durch das Landratsamt als Staatsbehörde ist. 1 2 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 6. Auflage 2005, RN 11 RN 14 ff. Vgl. Dürr/König, Baurecht, 4. Auflage 2000, RN 250.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 2 2. Nicht-verfassungsrechtlicher Art Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt nur dann vor, wenn sowohl die der Streitigkeit zugrunde liegende Norm verfassungsrechtlich ist als auch die beteiligten Parteien unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Organe sind (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit) 3. Dies ist hier nicht der Fall. 3. Keine abdrängende Sonderzuweisung Der allgemeine Verwaltungsrechtsweg ist nur gegeben, wenn die Streitigkeit nicht kraft Gesetzes den besonderen Zweigen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (zb Finanzrechtsweg, 33 FGO) oder den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist. Eine derartige abdrängende Sonderzuweisung liegt im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. II. Zuständigkeit des Gerichts, 45, 52 VwGO 1. Sachliche Zuständigkeit, 45 VwGO Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet und damit das VG Augsburg in erster Instanz für die Klage zuständig. 2. Örtliche Zuständigkeit, 52 Nr. 1 VwGO Die Norm ist in folgender Reihenfolge zu prüfen: zuerst Nr.1, dann Nr.4, Nr.2, Nr.3 und abschließend Nr. 5, da sich die Gerichtsstände in dieser Reihenfolge gegenseitig ausschließen (vgl. Wortlaut der Norm). Hier liegt eine baurechtliche Streitigkeit vor. Das örtlich zuständige Gericht ergibt sich daher aus 52 Nr. 1 VwGO, da das betroffene Grundstück im Bezirk des Verwaltungsgerichts Augsburg liegt, Art. 1 Abs. 2 BayAGVwGO. B. Zulässigkeit der Klage I. Statthaftigkeit der Anfechtungsklage, 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO Die Anfechtungsklage ist gemäß 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, wenn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird. Fraglich ist daher, ob ein Verwaltungsakt vorliegt. Nach der Begriffsbestimmung des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG setzt sich ein Verwaltungsakt aus sechs Elementen zusammen 4 : Behörde; Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme; auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts; Regelung; Einzelfall; unmittelbare Rechtswirkung nach außen. 1. Behörden Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG definiert die Behörde als Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, wobei dieser Begriff erkennbar weit gefasst ist. Das Landrats- 3 4 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 6. Auflage 2005, 11 RN 69. Vgl. hierzu Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Auflage 2006, RN 326 ff.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 3 amt Augsburg hat im vorliegenden Fall die Baugenehmigung als untere Bauaufsichtsbehörde nach Art. 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 BayBO ivm. Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LKrO erteilt und dabei in ihrer Eigenschaft als Staatsbehörde gehandelt. 2. Hoheitliche Maßnahme Bei der Erteilung der Baugenehmigung handelt es sich auch um eine hoheitliche Maßnahme. Sie stellt eine verwaltungsrechtliche, einseitige Willenserklärung dar, was das diesbezügliche behördliche Handeln insbesondere vom öffentlich-rechtlichen Vertrag (Gleichordnungsverhältnis) abgrenzt. 3. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Ein Verwaltungsakt setzt stets ein Handeln auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts voraus. Erforderlich ist damit ein Handeln aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Befugnis 5, was jedoch bereits bei der Frage nach der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs geklärt wurde (s.o.). Abgegrenzt werden mit diesem Merkmal va. Tätigkeiten einer Behörde auf dem Gebiet des Privatrechts und des Verfassungsrechts. 4. Regelung Mit dem Kriterium der Regelung wird das Ziel einer hoheitlichen Maßnahme bestimmt: Der Verwaltungsakt ist auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet, dh. es wird ein Rechtsverhältnis unmittelbar und rechtsverbindlich geregelt 6. Eine gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO zu erteilende Baugenehmigung stellt fest, dass ein Bauvorhaben den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht und befreit den Bauherrn von dem grundsätzlichen präventiven Bauverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Also besitzt die Baugenehmigung auch die erforderliche rechtsgestaltende Wirkung, 7. 5. Einzelfall Mit der Einzelfallbezogenheit eines Verwaltungsaktes wird dieser als konkretindividuelle Regelung von Rechtsnormen als abstrakt-generelle Regelungen abgegrenzt 8. Die Baugenehmigung wird für ein einzelnes Bauvorhaben erteilt und richtet sich damit an einen festumrissenen Adressatenkreis (Bauherr). Damit stellt sie eine einzelfallbezogene Maßnahme dar; es handelt sich um einen sachbezogenen Verwaltungsakt. 6. Außenwirkung Die Regelung muss letztendlich auf eine Rechtswirkung nach außen gerichtet sein. Nach seiner Finalität regelt der Verwaltungsakt außerhalb der Behörde Rechte und Pflichten gegenüber dem Bürger (oder einer juristischen Person), indem er deren Rechtsposition erweitert, einschränkt oder auf sonstige Weise regelnd eingreift. Die dem B erteilte Baugenehmigung befugt ihn zum Baubeginn und ist somit auf Rechtswirkung nach außen gerichtet. Bei der hier in Rede stehenden Genehmigung handelt es sich demnach um einen Verwaltungsakt isd. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG als Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur einseitigen und rechtsverbindlichen Regelung eines 5 6 7 8 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 35 RN 32. Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 35 RN 47 ff. Vgl. Dürr/König, Baurecht, 4. Auflage 2000, RN 333. Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 35 RN 68 ff.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 4 Einzelfalles mit Außenwirkung. Nach seiner weiteren Spezifizierung 9 ist die Baugenehmigung ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt, da nach Art. 64 Abs. 1 S.1 BayBO ein Antrag erforderlich ist, ein gebundener Verwaltungsakt, auf dessen Erteilung ein Anspruch besteht, soweit das Bauvorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO entspricht, ein sachbezogener Verwaltungsakt, der für ein grundstücksbezogenes Vorhaben (und nicht für eine bestimmte Person) erteilt wird, ein feststellender Verwaltungsakt, da die Genehmigung feststellt, dass das Bauvorhaben den geprüften öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, ein rechtsgestaltender und gestattender Verwaltungsakt, der vom präventiven Bauverbot mit Erlaubnisvorbehalt befreit und ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, der für den Bauherrn eine begünstigende und für den oder die Nachbarn uu eine belastende Wirkung entfaltet. II. Klagebefugnis, 42 Abs. 2 VwGO Um Popularklagen auszusondern, muss der Kläger gemäß 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein, dh. nach seinem Sachvortrag muss eine Rechtsverletzung zumindest als möglich erscheinen (Möglichkeitstheorie) 10. Liegt ein belastender Verwaltungsakt vor, so kommt die Adressatentheorie in Betracht. 1. Adressatentheorie Ist der Kläger Adressat eines ihn belastenden Verwaltungsaktes, ergibt sich die Klagebefugnis auch ohne plausiblen Vortrag bereits aus Art. 2 Abs. 1 GG (Adressatentheorie): In diesem Fall besteht per se die Möglichkeit eines unberechtigten Eingriffs in seine allgemeine Handlungsfreiheit. Im vorliegenden Fall ist N jedoch nicht Adressat der Baugenehmigung, vielmehr der B als derjenige, für den der Verwaltungsakt nach Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG bestimmt ist. N ist von der Baugenehmigung lediglich dann und möglicherweise betroffen, wenn er durch die Baugenehmigung als Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung eine Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen kann (Möglichkeitstheorie). Denn N ist als Nachbar nicht unmittelbar Adressat der Baugenehmigung, sondern lediglich Adressat einer Ausfertigung der an B gerichteten Genehmigung nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO. 2. Möglichkeitstheorie Ist der Kläger nicht Adressat des Verwaltungsaktes, muss er durch einen substantiierten Vortrag die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten darlegen (Möglichkeitstheorie). Ob eine Rechtsverletzung im Ergebnis tatsächlich vorliegt, ist allerdings eine Frage der Begründetheit (über 42 Abs. 2 VwGO sollen lediglich im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung Popularklagen ausgeschlossen werden). Da N Nachbar des geplanten Bauvorhabens ist, muss die Baugenehmigung des B grundsätzlich nachbarschützende Rechte verletzen können. Als diesbezügliche Schutzrechte kommen sowohl einfachgesetzliche Normen als auch Grundrechte in Betracht. Einfachgesetzliche Vorschriften sind jedoch nur dann drittschützend, wenn sie nach ihrem durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsgehalt nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch den Individualinteressen des Nachbarn zu dienen bestimmt sind (Schutznormtheorie). 9 10 Vgl. hierzu Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 3. Auflage 2000, Art. 72 RN 3 ff. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, 42 RN 66.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 5 a) Klagebefugnis aus einfachgesetzlichen Normen 11, hier 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ) Rechte des N könnten vorliegend verletzt sein, wenn die Baugenehmigung unter Verstoß gegen das unter anderem in 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltenem Rücksichtnahmegebot erteilt worden wäre. Demnach sind bebauungsplankonforme Vorhaben im Einzelfall dann unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die für die Umgebung unzumutbar sind. Im Rahmen des Rücksichtnahmegebots sind die Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen; öffentlich-rechtliche Vorschriften dürfen nur Vorhaben ermöglichen, welche die Substanz des Eigentums der Nachbarn nicht aushöhlen, und müssen jeweils auch mit Blick auf die Nachbargrundstücke den allgemeinen Anforderungen genügen, die das Verfassungsrecht an eigentumsbeschränkende Vorschriften stellt 12. Das Rücksichtnahmegebot dient auf diese Weise vornehmlich dem Schutz der Individualinteressen des Nachbarn. N beruft sich in seinem Sachvortrag auf die gewaltigen Ausmaße des Hochhauses, die seinem Grundstück Licht und Luft nähmen. Ein schwerer und unzumutbarer Eingriff in sein Eigentum erscheint mithin vorstellbar. Möglicherweise könnte N daher in seinem Recht auf Rücksichtnahme nach 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verletzt sein. b) Sonderproblem: Beteiligung des Nachbarn nach Art. 66 Abs. 1 BayBO Nach Art. 66 Abs. 1 BayBO ist den Eigentümern der benachbarten Grundstücke vom Bauherrn oder seinem Beauftragten der Lageplan und die Baubezeichnung zur Unterschrift vorzulegen (Satz 1). Unterschreibt der Nachbar, gilt dies als Zustimmung zum Bauvorhaben (Satz 2). Verweigert der Nachbar seine Zustimmung, ist ihm eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen (Satz 6). Ein Problem ird. Klagebefugnis entsteht nur, wenn der Nachbar gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO unterschreibt und damit seine Zustimmung zu dem Bauvorhaben erteilt. Denn er verzichtet damit gleichzeitig auf seine eigenen subjektiv-öffentlichen Rechte, was nach der hm einem vorweggenommenen Rechtsmittelverzicht gleichkommt 13. Damit scheitert in diesen Fällen eine Klage des Nachbarn an der fehlenden Klagebefugnis (aa wegen des fehlenden allgemeinen Rechtsschutzinteresses). N hat sich im vorliegenden Fall durch die Verweigerung seiner Unterschrift allerdings seine subjektivöffentlichen Rechte vorbehalten. III. Kein Vorverfahren, 68 VwGO, Art. 15 AGVwGO Grundsätzlich ist gemäß 68 Abs. 1 S. 1 VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen. Gemäß 68 Abs. 1 S.2 Alt.1 VwGO gilt dieses Erfordernis nicht, wenn ein Gesetz es anders bestimmt. Art. 15 AGVwGO ist ein solches Gesetz. 11 12 13 Soweit drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden sind, kann ein weitergehender unmittelbar auf Art. 14 I GG beruhender Anspruch entgegen der früheren ständigen Rspr. des BVerwG nicht bestehen. Denn durch eine den Anforderungen des Art. 14 I 2 GG genügende gesetzliche Regelung werden Inhalt und Schranken des Eigentums dergestalt bestimmt, dass innerhalb des geregelten Bereichs weitergehende Ansprüche aus Art. 14 I 1 GG ausgeschlossen sind. Im Hinblick auf Belästigungen und Störungen des Nachbarn durch ein Bauvorhaben besitzt das Bauplanungsrecht mit den 31, 34 und 35 BauGB sowie mit 15 BauNVO Regelungen, die Umfang und Grenzen des Nachbarschutzes umfassend bestimmen, BVerwG v.26.09.1991, BVerwGE 89, 69. Dürr/König, Baurecht, 4. Auflage 2000, RN 450. Vgl. Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 3. Auflage 2000, Art. 71 RN 17.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 6 Diese Norm ändert das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Bayern dahingehend, dass die sofortige Klageerhebung die Regel ist (Art. 15 Abs. 2 AGVwGO) und das Widerspruchsverfahren nur in bestimmten Fällen statthaft ist, und selbst dann nur als Alternative zur sofortigen Klageerhebung (Art. 15 Abs. 1 AGVwGO). Vorliegend handelt es sich um eine Streitigkeit aus dem Baurecht. Dies ist kein in Art. 15 Abs. 1 AGVwGO genanntes Rechtsgebiet. Es bleibt daher bei 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO ivm Art. 15 Abs.2 AGVwGO, so dass kein Vorverfahren durchzuführen ist. IV. Form, 81, 82 VwGO Nach 81 Abs. 1 VwGO ist die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Schriftlichkeit gemäß 81 VwGO ist nicht vergleichbar mit 126 BGB. Denn 81 VwGO verlangt nur, dass die Klage vom Kläger herrührt (Urheberschaft) und mit dessen Willen an das Gericht gelangt ist (Verkehrswille). Dies ist vorliegend der Fall. Der notwendige Inhalt der Klageschrift ergibt sich aus 82 VwGO. Da keine gegenteiligen Anhaltspunkte ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass die Klageschrift die erforderlichen Formalien aus 82 VwGO enthält. V. Frist, 74 Abs. 1 VwGO 1. Allgemeines Die Klage beträgt nach 74 Abs. 1 VwGO grundsätzlich einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Beschwerten. Die Rechtsbehelfssfrist nach 74 Abs. 1 VwGO beginnt nach 58 Abs. 1 VwGO aber nur zu laufen, wenn der Betroffene über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem die Anfechtungsklage zu erheben ist, den Sitz dieses Gerichts und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Sofern keine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung gegeben ist, gilt gemäß 58 Abs. 2 S. 1 VwGO eine Ausschlussfrist von einem Jahr. Dies bedeutet, dass eine Klageerhebung nur binnen eines Jahres nach Zustellung zulässig ist. Im vorliegenden Fall ist fraglich, welche Bekanntgabe für den Lauf der Klagefrist maßgeblich ist: Die Bekanntgabe der Baugenehmigung gegenüber B oder die Bekanntgabe durch Zustellung einer Ausfertigung gegenüber N? Grundsätzlich sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden: Wird dem Nachbar eigens eine Ausfertigung der Baugenehmigung zugestellt und enthält dieser Bescheid eine den Anforderungen des 58 Abs. 1 VwGO entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung, wird nach 74 Abs. 1 S. 2 VwGO i.v.m. Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG mit Zustellung der Ausfertigung an den Nachbarn die Monatsfrist des 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO für dessen Klage in Gang gesetzt. Fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung oder ist diese unrichtig, so beginnt mit Zustellung der Ausfertigung die Jahresfrist gemäß 58 Abs. 2 VwGO zu laufen 14. Wird dem Nachbarn entgegen Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO eine Ausfertigung der Baugenehmigung hingegen nicht zugestellt und hat er auf andere Weise verlässlich von dem Vorhaben Kenntnis erlangt (zb Baubeginn), muss er den Bescheid ab Kenntniserlangung innerhalb der Jahresfrist nach 58 Abs. 2 VwGO analog anfechten. Unterlässt er dies, verliert er sein Klagerecht 15. 14 15 Vgl. Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 3. Auflage 2000, Art. 71 RN 25. Vgl. Dürr/König, Baurecht, 4. Auflage 2000, RN 436; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, 58 RN 17.

Fallbesprechungen zum GK ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 2 Lösung 7 Da dem N eigens eine Ausfertigung der Baugenehmigung nebst ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt wurde, muss er somit innerhalb der Monatsfrist des 58 Abs. 1 VwGO seine Klage einlegen. 2. Fristbeginn Die Zustellung der Ausfertigung der Baugenehmigung an N erfolgte am 13.4.2012 gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO, Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG, Art. 1 V BayVwZVG. Da die Zustellung ein in den Lauf eines Tages fallendes Ereignis ist, beginnt die Frist am 14.4.2012, 0.00 Uhr gemäß 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB. 3. Fristende Für die Berechnung des Fristendes gelten die 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Danach endet die Frist grundsätzlich am 13.5.2012, 24.00 Uhr. Da der 13.5.2012 jedoch auf einen Sonntag fällt, greift 222 Abs. 2 ZPO ein und verschiebt das Fristende auf Montag, den 14.5.2012, 24.00 Uhr. Die Klage des N vom 14.5.2012 war somit fristgemäß. VI. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit, 61, 62 VwGO N ist nach 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO (natürliche Person) beteiligungs- und nach 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ivm 1, 104 BGB prozessfähig. Der Freistaat Bayern ist als juristische Person des öffentlichen Rechts beteiligtenfähig nach 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Gem. 62 Abs. 3 VwGO ivm 3 Abs. 2 Satz 1 LABV obliegt die Vertretung der Ausgangsbehörde, hier dem (lt. SV) zuständige Landratsamt. VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis ist vorliegend nicht zu zweifeln, da es für N keine einfachere, ebenso effektive Möglichkeit gibt, seine Rechte durchzusetzen. (Die Einlegung des Widerspruchs ist wegen Art. 15 Abs.2 AGVwGO nicht möglich und ein formloser Rechtsbehelf, wie Aufsichtsbeschwerde oder Petition, ist nicht ebenso effektiv wie eine Klage). Auch eine missbräuchliche Klageerhebung bzw. eine Verwirkung des Klagerechts liegen nicht vor. IX. Ergebnis Die Klage des N gegen die Baugenehmigung des B ist zulässig.