Übung im Privatrecht I Wintersemester 2013/14 Fall 4: Das Schnäppchenauto (frei nach BGH Urteil vom 07.11.2001, Az.: VIII ZR 13/01) Der Anbieter R.de (R) bietet auf seiner Web-Site die Durchführung privater Auktionen über KFZ der Mitglieder an. Um dieses Angebot nutzen zu können, muss man bei R angemeldet sein. Im Rahmen der Anmeldung erhält man dafür einen freiwählbaren Benutzernamen sowie ein Passwort für den eigenen Account. Zugleich akzeptiert man die AGB der R, in denen es unter anderem heißt: Der anbietende Teilnehmer erklärt bereits mit der Freischaltung seiner Angebotsseite die Annahme des höchsten wirksam abgegebenen Kaufangebots. Der anbietende Teilnehmer wird vom Zustandekommen des Kaufvertrags alsbald, spätestens jedoch bis 24.00 Uhr des zweiten Werktags nach Ende des Angebotszeitraums unter der von ihm angegebenen Adresse per E-Mail von R unterrichtet. Valentin (V) handelt nebenberuflich mit EU-reimportierten KFZ. Im Rahmen dessen richtete er unter seinem Benutzernamen eine Angebotsseite ein, auf der er einen Neuwagen des Typs VW-Passat zum Startpreis von 10,- EUR anbot. Zugleich setzte er darauf die Schrittweite der Gebote und die Angebotsdauer (5 Tage) fest und gab eine vorgezeichnete Erklärung ab, in der es unter anderem heißt: Bereits zu diesem Zeitpunkt erkläre ich die Annahme des höchsten wirksam abgegebenen Kaufangebots. Ein Mindestkaufpreis wurde von V nicht festgesetzt. Konrad (K) gab acht Sekunden vor dem Ablauf der Auktion mit 13.000,- EUR das letzte und höchste Gebot ab. Dies teilte R dem V umgehend mit und forderte ihn unter Bekanntgabe der Identität des K auf, sich mit diesem zur Abwicklung des Kaufvertrags in Verbindung zu setzen. V lehnt dies unter Hinweis darauf, dass noch kein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen sei, ab. Er (V) sei jedoch bereit, das Fahrzeug zu einem Preis von 19.000,- EUR zu verkaufen. Frage: Hinweise: Kann K von V Lieferung (Übergabe und Übereignung) des VW-Passats verlangen? Gehen Sie davon aus, dass R für die Nutzer des Auktionsangebots jeweils Empfangsvertreter i.s.v. 164 Abs. 3 BGB ist. Eine ggf. mögliche Anfechtung ist nicht zu prüfen. 1
Lösungsskizze K könnte gegen V einen Anspruch auf Lieferung (Übergabe und Übereignung) des VW-Passats gem. 433 Abs. 1 Satz 1 BGB haben. Voraussetzung ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und K über den VW. - ein Vertrag kommt zustande durch Angebot und Annahme 1 ( 151, 145 ff. BGB) - =zwei übereinstimmende, in Bezug aufeinander abgegebene, 2 Willenserklärungen - Verdrängung der 145 ff. BGB durch 156 BGB (Auktion)? - eine Onlineauktionen ist kein Fall des 156 BGB, da sie zeitlich begrenzt => man kann nicht beliebig überbieten => es gewinnt nicht das schlechthin höchste Gebot, sondern lediglich das höchste innerhalb des Bietzeitraumes abgegebene Gebot => bleibt bei der Anwendbarkeit der 145 ff. BGB für den Vertragsschluss - Willenserklärung des V durch Freischalten der Angebotsseite? - obj. Erklärungstatbestand 3 (+) - Freischalten der Angebotsseite ist eine objektive Erklärungshandlung des V - subj. Erklärungstatbestand 4? - Handlungswille 5 (+) - V schaltet die Angebotsseite willentlich frei - Erklärungswille 6 und Geschäftswille 7? - könnte hier mit Blick auf einen möglicherweise fehlenden Bindungswillen des V fraglich sein - Vorliegen von Bindungswillen ist durch Auslegung ( 133 u. 157 BGB) der Erklärung des V zu ermitteln - Maßstab: objektiver Empfängerhorizont 8 ; wie musste ein verständiger Rechtsadressat die Erklärung verstehen? - Bezeichnung der Seite als Angebot (Wortlautargument) 1 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 246 ff. 2 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 243. 3 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 180 f. 4 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 182 ff. 5 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 183. 6 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 184. 7 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 185. 8 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 295. 2
- Angebotsseite nach Sinn und Zweck gleichwohl lediglich Aufforderung zur Unterbreitung eines Angebots (invitatio ad offerendum 9 )? - V hat aus objektiver Sicht das Interesse, einen marktangemessenen Preis zu erzielen - aufgrund der Kürze der Auktionszeit und der geringen Weite der Bietschritte (im konkreten Fall 50,- EUR) besteht ein erhebliches wirtschaftliches Risiko für den V, das eher an ein(e) Spiel/Wette ( 762 BGB) erinnert (so noch LG Münster 10 als erste Instanz) - V hätte jedoch einen Mindestpreis festsetzten können (BGH) - V hätte den auch Startpreis höher wählen können (BGH) - die AGB 11 von R als Auslegungsmaßstab? - gelten grundsätzlich nur gegenüber R - ein Verstoß des V gegen die AGB hätte keine unmittelbare Auswirkung auf den Vertrag zwischen ihm und V, sondern stellte lediglich eine Pflichtverletzung im Verhältnis zu R dar 12 - die AGB können aber als Anhaltspunkt für Auslegung herangezogen werden (die objektiven Umstände der Erklärung sind zur Auslegung heranzuziehen 13 ) - hier ist jedoch die ausdrückliche Erklärung des V beim Einstellen des Angebots vorrangig => V erklärt die verbindliche Annahme des höchsten Angebots => es kommt auf die AGB von R insofern auch im Rahmen der Auslegung der Erklärung des V nicht an - Gefahr für V, eine Vielzahl von Verpflichtungen einzugehen? (Hauptargument für invitatio ad offerendum) - nein, weil nur der Höchstbietende Vertragspartner wird 9 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 251. 10 Urt. v. 21.01.2000, Az.: 4 O 424/99. 11 S. zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Skript Privatrecht I, 2 Rn. 323 ff. 12 Vgl. zu dieser Konstellation LG Darmstadt, NJW-RR 2002, 1139. 13 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 297. 3
=> Zwischenergebnis: die Erklärung des V ist nach der maßgeblichen objektiven Auslegung nicht lediglich als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum), sondern als verbindliche Willenserklärung auf den Abschluss eines Kaufvertrags über den VW zu sehen - möglicherweise jedoch fehlender Erklärungswille 14 bzw. Rechtsbewusstsein des V, sofern diesem die im Wege der Auslegung ermittelte Verbindlichkeit der Freischaltung seiner Angebotsseite nicht bewusst ist? - im Grundsatz denkbar, wenn V nicht klar ist, dass er damit (verbindliche) Rechtsfolgen setzt - nach der Rspr. führt fehlendes Rechtsbewusstsein jedoch nicht zur Nichtigkeit der Erklärung, sondern lediglich ggf. zur Anfechtbarkeit (Schulfall: Trierer Weinversteigerungsfall 15 ) => selbst wenn V nicht klar war, dass er eine verbindliche Erklärung abgegeben hat, berührt dies die Wirksamkeit der Erklärung nicht Zwischenergebnis: das Freischalten der Angebotsseite durch V stellt eine verbindliche Willenserklärung auf den Abschluss eines Kaufvertrags über den VW dar - dogmatischer Streit: => ist die Erklärung des V Angebot oder vorweggenommene Annahme? - Problem : V kennt bei Abgabe seiner Erklärung nicht alle wesentlichen Fakten des Vertrags (essentialia negotii) 16 - denn V kennt den Vertragspartner und den Kaufpreis nicht - => Rspr.: Erklärung des V ist vorweggenommene Annahmeerklärung in Bezug auf das spätere Höchstgebot - Gegenansicht: Erklärung des V ist Angebot und als solches bestimmt genug, da Vertragspartner (der Höchstbietende) und Kaufpreis (Höchstgebot) bereits hinreichend bestimmt sind - letztlich ist die Qualifikation der Erklärung für das praktische Ergebnis jedoch nicht von Bedeutung - Zugang 17 der Erklärung des V bei K (+) - K kann von der Erklärung auf seinem Rechner inhaltlich Kenntnis nehmen - => die Erklärung ist K zugegangen 14 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 184. 15 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 184. 16 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 242. 17 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 213. 4
- Wirksame Annahme des K? - ist hier unproblematisch in der Abgabe des Höchstgebots gegenüber R als Empfangsvertreter 18 ( 164 Abs. 3 BGB) des V zu sehen - => Zugang bei V mit Zugang bei R => Zwischen V und K ist ein wirksamer Kaufvertrag über den VW-Passat zum Kaufpreis von 13.000,- EUR zustande gekommen Ergebnis: K hat gegen V einen Anspruch auf Lieferung (Übergabe und Übereignung) des VW-Passats gem. 433 Abs. 1 Satz 1 BGB. 18 S. dazu Skript Privatrecht I, 2 Rn. 229. 5