Vorlesung BGB AT. Abgabe und Zugang von Willenserklärungen

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Transkript:

Vorlesung BGB AT Abgabe und Zugang von Willenserklärungen RA Dr. Ulf Müller, Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, Universität Münster Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 1

130 Abs. 1 BGB Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 2

I. Übersicht Wirksamwerden einer WE ( 130 132 BGB) Nicht empfangsbedürftige WE empfangsbedürftige WE Abgabe Zugang Unter Abwesenden Unter Anwesenden Verkörperte WE Nicht verk. WE Verkörperte WE Nicht verk. WE Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 3

I. Übersicht Geregelte Probleme Wirkung des Zugangs: bewirkt bei Erklärung unter Abwesenden das Wirksamwerden ggü. Erklärungsempfänger, 130 I 1, III Zugang = Zeitpunkt bis zu dem WE widerrufen werden kann, 130 I 2 Wirkung der Abgabe: macht Wirksamwerden der WE unabhängig von späterem Tod/Geschäftsunfähigwerden des Erklärenden, 130 II Sonderregeln für WE ggü. nicht voll Geschäftsfähigen/Unbekannte, 131, 132 Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 4

I. Übersicht Ungeregelte Probleme Was ist für Abgabe und Zugang im Einzelnen erforderlich? Wie wird WE unter Anwesenden wirksam? Wie wird WE wirksam, die nicht einem anderen ggü. abzugeben ist (nicht empfangsbedürftige WE)? Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 5

II. Nicht empfangsbedürftige WE z.b. Auslobung ( 657), Testament ( 2229 ff.) Wird ohne Notwendigkeit des Zugangs schon mit Abgabe wirksam, soweit nicht weitere Erfordernisse bestehen (Eintreten des Erbfalls bei Testament) Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 6

III. Empfangsbedürftige WE Empfangsbedürftige WE Abgabe Zugang Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 7

1. Abgabe der WE Abgegeben ist eine WE, wenn der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen so geäußert hat, dass an der Endgültigkeit seiner Äußerung kein Zweifel möglich ist. Mündlich (nicht verkörpert): Zum Adressaten hin ausgesprochen, dass mit Kenntnis durch diesen zu rechnen ist Schriftlich (verkörpert): An Adressaten abgeschickt Problem Abhanden gekommene WE: keine wirksame WE (h.m.), aber Schadensersatz bei sorgfaltswidrigem Handeln Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 8

2. Zugang der WE Zugang gegenüber Abwesenden ( 130 I 1 direkt) gegenüber Anwesenden Verkörpert ( 130 I 1 analog) Nicht verkörpert (Vernehmungstheorie) Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 9

a. Zugang ggü. Abwesenden ( 130 I 1) Die WE gilt als zugegangen, wenn sie (1) derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass (2) bei gewöhnlichem Lauf der Dinge mit deren Kenntnisnahme gerechnet werden kann (Empfangstheorie) Gilt auch bei mündlichen Erklärungen ggü. Boten Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 10

a. Zugang ggü. Abwesenden Empfangsbote: Wer für die Empfangnahme geeignet scheint Zugang, wenn nach regelmäßigem Verlauf der Dinge mit einer Weiterleitung an den Empfänger zu rechnen ist Erklärungsbote: Bote auf Seiten des Erkl. und jeder ungeeignete Empfangsbote Zugang erst bei tatsächlicher Weiterleitung an Empfänger Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 11

b. Zugang ggü. Anwesenden Verkörperte WE: 130 I 1 analog (Empfangstheorie) Übergabe an Empfänger Nicht verkörperte WE: Vernehmungstheorie E.A.: WE zugegangen, wenn richtig verstanden (strenge Vernehmungstheorie) H.M.: WE zugegangen, wenn der Erkl. davon ausgehen kann, dass sie richtig und vollständig verstanden wurde (eingeschränkte Vernehmungstheorie) Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 12

c. Zusammenfassung Zugang von WE Verkörpert (gespeichert) Nicht verkörpert (nicht gespeichert) (1) Im Machtbereich des Empfängers und (2) Möglichkeit der Kenntnisnahme Möglichkeit der akustischen Wahrnehmung Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 13

d. Zugangsverhinderung Arglistige Zugangsverhinderung (Empf. kennt Inhalt des Schreibens und verhindert absichtlich Zugang Rechtzeitiger Zugang der WE wird ohne erneuten Zustellungsversuch fingiert ( 242) Fahrlässige Zugangsverhinderung (Empf. verhindert Zugang aus Nachlässigkeit) Wahlrecht des Erkl., ob er neuen Zustellungsversuch unternimmt (h.m.) Wenn erneuter Versuch unverzüglich nach Kenntnis des Fehlschlags, dann muss sich Empfänger so behandeln lassen, als wenn WE bei 1. Versuch zugegangen Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 14

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Vorlesung BGB AT Dr. Ulf Müller 15