Katharina Brazda 5. März 007 Inhaltsverzeichnis Motivation. Das Tangentenproblem................................... Das Problem der Momentangeschwindigkeit.......................3 Differenzenquotient und Differentialquotient...................... 3.4 Zusatz: Grenzwerte für Funktionen, Stetigkeit..................... 3 Die Ableitungsfunktion 4. Definition der ersten Ableitung einer Funktion.................... 4. Höhere Ableitungen................................... 5.3 Ableitungsregeln..................................... 6
Motivation Die Grundidee der Differentialrechnung ist es, Funktionen in einer kleinen Umgebung einer gewünschten Stelle linear (d.h. durch eine Gerade bzw. eine lineare Funktion) zu approximieren. Ausgangspunkte ihrer Entwicklung waren die geometrische Fragestellung des Tangentenproblems (G. W. Leibniz, 646-76) sowie unabhängig davon das physikalisch begründete Problem der Momentangeschwindigkeit (I. Newton, 643-77).. Das Tangentenproblem Ist f : D R, D R eine Funktion und x 0 D, so soll die Tangente von f an der Stelle x 0 jene eindeutige Gerade im R sein, die den Graph von f im Punkt (x 0, f(x 0 )) R berührt und ihm in einer kleinen Umgebung dieses Punktes möglichst nahe kommt. Im Gegensatz zu einer graphischen Konstruktion der Tangente an einen gegebenen Funktionsgraphen geht es beim Tangentenproblem vor allem darum, die Gleichung der Tangente rechnerisch zu ermitteln. Mit passenden Konstanten k und d R für Steigung und Abschnitt auf der y-achse, besitzt eine Tangente als Gerade g im R folgende Darstellung: g : y = kx + d Eine Tangente lässt sich als dadurch entstanden vorstellen, dass zwei Schnittpunkte einer Sekante des Funktionsgraphen immer näher zusammenrücken, um sich schließlich im gewünschten Punkt zu treffen. Mit R, 0 und x 0, x 0 + D ist die Steigung der Sekante durch die Punkte (x 0, f(x 0 )) R und (x 0 +, f(x 0 + )) R durch nachstehenden Quotienten gegeben: f = f(x 0 + ) f(x 0 ) Im Limes 0 ergibt sich daraus die Steigung der Tangente g von f an der Stelle x 0 : k = f lim 0 = lim f(x 0 + ) f(x 0 ) 0 Die Bedingung y = f(x 0 ) für x = x 0 zieht d = f(x 0 ) kx 0 nach sich, womit die Geradengleichung der Tangente von f in x 0 mit obigem k insgesamt wie folgt lautet: g : y = f(x 0 ) + k(x x 0 ) Existiert also der Grenzwert für k, so kann die Gleichung der Tangente an die Funktion an jeder Stelle x 0 ihres Definitionsbereiches angegeben werden.. Das Problem der Momentangeschwindigkeit In der Physik kann die Bewegung eines punktförmigen Teilchens mit Hilfe eines Weg-Zeit-Gesetzes beschrieben werden, welches mathematisch einer Funktion s : D R, D R entspricht, wobei der Wert s(t) der vom Teilchen zum Zeitpunkt t bereits zurückgelegte Weg ist. Für einen Zeitpunkt t 0 D und eine (kleine) Zeitspanne t R, t 0 und t 0, t 0 + t D ist der Quotient s t = s(t 0 + t) s(t 0 ) t die mittlere Geschwindigkeit des Teilchens im Zeitintervall (t 0, t 0 + t) (die mittlere Geschwindigkeit ist jene konstante Geschwindigkeit, welche das Teilchen haben müsste, um im gegebenen Katharina Brazda 5. März 007
Zeitintervall denselben Weg zurückzulegen). Lässt man nun die betrachtete Zeitspanne immer kleiner werden, so erhält man im Limes t 0 die Momentangeschwindigkeit v 0 des Teilchens zur Zeit t 0 zu: s v 0 = lim t 0 t = lim s(t 0 + t) s(t 0 ) t 0 t.3 Differenzenquotient und Differentialquotient Sowohl beim Tangentenproblem als auch beim Problem der Momentangeschwindigkeit treten mathematisch betrachtet dieselben Ausdrücke auf. Für f : D R und x 0 D führt man daher folgende Sprechweisen ein: df dx := lim f 0 = f := f(x 0 + ) f(x 0 ) lim 0 f(x 0 + ) f(x 0 )... Differenzenquotient von f bei x 0... Differentialquotient von f bei x 0 Im Gegensatz zum Differenzenquotient f df ist der Differentialquotient dx geht aus dem Differenzenquotienten durch Limesbildung 0 hervor. kein Quotient, sondern.4 Zusatz: Grenzwerte für Funktionen, Stetigkeit In diesem kurzen Zusatzabschnitt soll zunächst dem Ausdruck lim x a und damit auch dem in der Motivation verwendeten Symbol lim 0 Sinn gegeben werden. Auf diesem Grenzwertbegriff für Funktionen aufbauend wird weiters die Stetigkeit von Funktionen definiert. Grenzwerte für Funktionen: Gegeben sei eine Funktion f : D R, D R und a R eine Stelle innerhalb oder am Rand von D. Gilt für jede Folge (x n ) n N mit Gliedern x n D und lim n x n = a, dass lim n f(x n ) = c für c R, sagt man, dass die Funktion f für x a den (Funktions-)Grenzwert c R besitzt und schreibt: lim x a f(x) = c Stetigkeit: Eine Funktion f : D R, D R mit x 0 D für die lim f(x) = f(x 0 ) x x 0 gilt, heißt stetig in x 0. Andernfalls nennt man f unstetig in x 0. Wenn f in jedem Punkt ihres Definitionsbereiches stetig ist, so heißt f stetig (auf ihrem Definitionsbereich). Auf ihrem Definitionsbereich jeweils stetige Funktionen sind beispielsweise: Polynomfunktionen Rationale Funktionen Exponential- und Logarithmusfunktionen Winkel- und Arkusfunktionen Betragsfunktion Die Zusammensetzung stetiger Funktionen ist wieder stetig, d.h. für stetige Funktionen f : B C und g : A B ist die zusammengesetzte Funktion h := f g : A C mit der Zuordnung h(x) = f(g(x)) für x A ebenfalls eine stetige Funktion (auf A). Katharina Brazda 3 5. März 007
Die Ableitungsfunktion. Definition der ersten Ableitung einer Funktion Es sei f : D R eine (reelle) Funktion und D R ein offenes Intervall oder eine Vereinigung offener Intervalle. Die. Ableitung f (x) von f an der Stelle x D ist als der Grenzwert f (x) := lim h 0 f(x + h) f(x) h definiert (wobei h R, h 0 und x + h D), sofern dieser existiert. In diesem Fall nennt man f an der Stelle x differenzierbar und die Berechnung von f wird als Ableiten, Differenzieren oder Differentiation bezeichnet. Man erkennt: Die. Ableitung von f bei x entspricht genau dem Differentialquotienten von f bei x (ersetze im Differentialquotienten aus Teil.3 die Größe durch h). Aus diesem Grund findet man anstatt f häufig auch die Schreibweise df dx. Ist f sogar an jeder Stelle (in einer Teilmenge U) des Definitionsbereiches D von f differenzierbar, so heißt f (auf U) differenzierbar und mit der Zuordnung f : x f (x) ist die erste Ableitung ist ebenfalls eine (reelle) Funktion f : D R (bzw. f : U R), welche auch als Ableitungsfunktion bezeichnet wird. Die. Ableitung entspricht der Änderungsrate der Funktionswerte und gibt anschaulich an jeder Stelle die Steigung der zugehörigen Tangente an den Funktionsgraphen an. Mit f lautet etwa die Geradengleichung der Tangente an den Graphen von f an der Stelle x 0 : g : y = f(x 0 ) + f (x 0 )(x x 0 ) Beim Problem der Momentangeschwindigkeit gilt: Zum Zeitpunkt t 0 besitzt ein (i.a. ungleichförmig) bewegtes Teilchen mit Weg-Zeit-Gesetz s die Momentangeschwindigkeit s (t 0 ). Beispiele zur Differentiation einiger grundlegender Funktionen: konstante Funktion: f : R R, f(x) = c (= const.) = f : R R, f (x) = (c = 0 Beweis: Es ist f (x) = lim h 0 f(x+h) f(x) h = lim h 0 c c h = lim h 0 0 = 0. Potenzfunktion (genauso mit reellen Exponenten n R und f : R + R + ): f : R R, f(x) = x n (n N) = f : R R, f (x) = (x n = nx n Beweis: Unter Verwendung des binomischen Lehrsatzes ergibt sich für n N f (x+h) (x) = lim n x n x h 0 h = lim n +nx n h+... x n nx h 0 h = lim n h+... +h n h 0 h = nx n. Ohne Beweis seien hier weiters aufgelistet: Exponentialfunktion: exp : R R, exp(x) = e x = exp : R R, exp (x) = (e x = e x = exp(x) Winkelfunktionen (Sinus sin : R R, Cosinus cos : R R): sin = cos, cos = sin Die Exponentialfunktion zur Basis e ist also ihre eigene Ableitung sie bleibt durch Differentiation unverändert. Sinus und Cosinus sind (bis auf ihr Vorzeichen) Ableitungen voneinander. Katharina Brazda 4 5. März 007
Es gilt, dass jede an einer Stelle x R ihres Definitionsbereiches differenzierbare Funktion dort auch stetig ist, kurz: f : D R differenzierbar (in x D) = f : D R stetig (in x D) Obige Behauptung begründet sich in mathematischer Formulierung wie folgt: Ist f in x differenzierbar, so gilt für eine Folge (x n ) n N mit x n x für n, dass f(x) f(x n ) = f(x) f(x n) x x n (x x n ) f (x) 0 = 0 und damit f(x n ) f(x) bzw. lim xn x f(x n ) = f(x), was der Stetigkeit von f in x gleichkommt (vgl. Teil.4). Umgekehrt gelesen kann eine unstetige Funktion demnach niemals differenzierbar sein! Allerdings gibt es sehr wohl Funktionen, die zwar stetig, aber nicht differenzierbar sind. Beispiel: (Absolut-)Betragsfunktion: abs : R R mit abs(x) = x Der Funktionsgraph von abs weist in x = 0 einen Knick auf, sodass dort keine Tangente existieren kann. Formal betrachtet man etwa die für n gegen 0 konvergierende Folge mit den Gliedern h n = ( ) n /n (die Folgenglieder kommen 0 alternierend immer näher). Da abs(0+h n) abs(0) h n = /n 0 ( ) n /n = ( )n für n divergiert, kann auch abs (0) nicht existieren, d.h. die Betragsfunktion ist in 0 nicht differenzierbar.. Höhere Ableitungen Kann die. Ableitung f einer (reellen) Funktion f wiederum differenziert werden, so erhält man die. Ableitung von f, welche als f oder auch d f dx abgekürzt wird. Als die Änderungsrate der Steigung von f gibt f die Krümmung des Graphen von f an. Induktiv ist dann die k-te Ableitung von f (k N \ {0}) gleich der. Ableitung der (k )-ten Ableitung von f, wobei die 0. Ableitung von f mit f identifiziert wird. Die k-te Ableitung von f wird mit dem Symbol f (k) oder dk f bezeichnet. Anstatt von k-ten Ableitungen spricht man häufig dx k auch von Ableitungen der Ordnung k. Nachstehende Funktionen sind beispielsweise auf ihrem jeweiligen Definitionsbereich beliebig oft differenzierbar (d.h. ihre k-te Ableitung existiert für sämtliche k N): Polynomfunktionen Rationale Funktionen Exponential- und Logarithmusfunktionen Winkel- und Arkusfunktionen Nach der Kettenregel (siehe Teil.3) können auch die aus obigen Funktionen zusammengesetzten Funktionen beliebig oft differenziert werden. Katharina Brazda 5 5. März 007
.3 Ableitungsregeln Linearität der Differentiation (Summen-, Differenzen- und Konstantenregel): Sind f und g differenzierbare Funktionen so gilt, dass die Ableitung der Linearkombination f +a g mit a R existiert und gleich der entsprechenden Linearkombination der jeweiligen Ableitungen ist. (f + a g = f + a g für a R Insbesondere ist (f + g = f + g (Summenregel), (f g = f g (Differenzenregel) und (a f = a f (Konstantenregel). Summen und Differenzen von Funktionen werden also termweise differenziert und multiplikative Konstanten können vor die Differentiation gezogen werden. Da die Ableitung von c R (= const.) gleich 0 ist, folgt weiters (f + c = f, d.h. additive Konstanten verschwinden beim Differenzieren. Produktregel (Leibnizregel): Mit f und g ist auch das Produkt f g differenzierbar und seine Ableitung lautet: (f g = f g + f g Die Produktregel lässt sich leicht auf mehrere Faktoren verallgemeinern. Sind z.b. f, f und f 3 differenzierbar, so gilt (f f f 3 = f f f 3 +f f f 3 +f f f 3 und analog für mehr Faktoren. Quotientenregel: Sind f und g differenzierbar, so gilt dort wo g 0 ist, dass auch der Quotient f g ist und die folgende Ableitung aufweist: ( f = f g f g g g differenzierbar Die Quotientenregel ist Konsequenz der Produktregel, denn aus f = ( f g g) = ( f g ) g + f g g ergibt sich ( f g ) = g (f f g g ) = f g f g g. Kettenregel: Ist g differenzierbar in x 0 R und f differenzierbar in g(x 0 ), so ist auch die zusammengesetzte bzw. verkettete Funktion f g mit ( f g ) (x) := f ( g(x) ) in x 0 differenzierbar und es gilt: ( f g (x0 ) = f ( g(x 0 ) ) g (x 0 ) Der Faktor g wird hierbei oft als innere Ableitung von f g bezeichnet. Implizites Differenzieren: Eine Funktion f kann anstatt explizit als y = f(x) auch implizit in der Form einer Gleichung F (y, x) = 0 angegeben sein, wobei F ein Ausdruck in x und y = ist. Implizit dargestellte Funktionen lassen sich mit Hilfe der Kettenregel differenzieren. Durch implizite Differentiation kann allgemeiner die Steigung der Tangente an eine durch eine Gleichung gegebene Kurve im R berechnet werden (so ist z.b. eine Herleitung der Spaltform der Tangentengleichung für Kegelschnitte möglich). Umkehrregel bzw. Differentiation der inversen Funktion: Sei f bijektiv und differenzierbar in x 0 mit f (x 0 ) 0 und es bezeichne g die Umkehrfunktion (inverse Funktion) zu f. Dann ist g in f(x 0 ) differenzierbar und für g gilt: g ( f(x 0 ) ) = f (x 0 ) Kurz gilt mit passenden Argumenten: Die Ableitung bzw. Steigung der Umkehrfunktion von f ist der Kehrwert der Ableitung bzw. Steigung von f. Katharina Brazda 6 5. März 007
Beispiele zur Anwendung der Ableitungsregeln: Unter Verwendung von (x n = nx n für n N sowie der Linearität der Ableitung lassen sich Polynomfunktionen wie folgt differenzieren: ( a m x m +... + a x + a x + a 0 = ma m x m +... + a x + a Die. Ableitung eines Polynoms m-ten Grades ist demnach ein Polynom vom Grad m. Aus der Quotientenregel folgt für die Differentiation von Potenzen mit negativen Exponenten n N: ( x n ( = x = 0 x n nx n n x = nx n = n n x. Speziell gilt: n+ ( x = x Mit Hilfe der impliziten Differentiation können beispielsweise n-te Wurzeln (n N \ {0}) differenziert werden. Hierzu formt man die explizite Darstellung f(x) = n x mit y = f(x) in die implizite Darstellung y n = x um. Differenziert man diese Gleichung implizit nach x, so erhält man mit der Kettenregel ny n y =, woraus y = n y n+ = n (x n ) n+ = n x n folgt. Insbesondere gilt für die Quadratwurzel: ( x = x allgemeine Exponentialfunktion (Kettenregel, (e x = e x muss vorausgesetzt werden): (a x = (e ln a x = ln a e ln a x = ln a a x Logarithmusfunktion: Setzt man y = ln x bzw. x = e y (x R + ), so gilt nach der Umkehrregel ln x = (e y ) = e = = y e ln x x. Mit a log x = ln a ln x für a R+ \ {} erhält man: ln x = und a log x = x ln a x Tangens- und Cotangensfunktion (Quotientenregel, Ableitungen von sin und cos seien bekannt): tan x = cot x = ( sin x = cos x + sin x cos x cos = x ( cos x = sin x cos x sin x sin x cos x = + tan x = sin x = ( + cot x) Arkusfunktionen: Mit x = sin y bzw. y = arcsin x gilt nach der Umkehrregel arcsin x = sin y = cos y = sin = = y sin (arcsin x) x. Analog lassen sich die anderen Arkusfunktionen differenzieren. arcsin (x) = arccos (x) = x x arctan (x) = + x arccot (x) = + x Katharina Brazda 7 5. März 007