16. Oktober Reizdarm. Pathomechanismen und Komorbiditäten

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Transkript:

16. Oktober 2013 Reizdarm Pathomechanismen und Komorbiditäten Dr. rer. nat. Katrin Huesker Institut für Medizinische Diagnostik Berlin, Nicolaistraße 22, 12247 Berlin +49 3077001-220, info@inflammatio.de

Definition Reizdarm-Syndrom Mindestens 12 Wochen im vergangenen Jahr Bauchbeschwerden oder Schmerzen im Zusammenhang mit dem Stuhlgang - bei Ausschluss anderer Darmerkrankungen. z.b. Laktoseintoleranz Fruktosemalabsorption Fruktoseintoleranz Zöliakie, Morbus Crohn Darmkrebs Uexküll, Psychosomatische Medizin, 6. Auflage 2003

Ausschluss einer Laktose-Intoleranz bei wiederkehrenden Bauchschmerzen und Durchfall

Ausschluss einer Zöliakie mittels HLA-Genetik, da 99% der Zöliakie-Patienten eines der assoziierten Merkmale tragen

Das Reizdarm-Syndrom kommt häufig vor und wird meist als psychosomatische Erkrankung eingestuft Anteil der Patienten mit Reizdarm in Allgemeinpraxen: 10-15% (geschätzt) in gastroenterologischen Praxen auf 25-50% -> bei Diagnose Reizdarm: Relativ harmlose Störung, doch Verminderung der Lebensqualität. Bei Behandlung psychotherapeutische Ansätze, auch Antidepressiva. Uexküll, Psychosomatische Medizin, 6. Auflage 2003

Doch ist das Reizdarm-Syndrom tatsächlich eine rein psychosomatische Erkrankung? wissenschaftliche Studien liefern Hinweise auf mehrere biologische Einflussfaktoren: 1. Entzündung 2. mikrobielle Fehlbesiedlung des Darms (auch des Dünndarms) 3. eine vermehrte periphere Serotonin-Produktion 4. Stress 5. Darm-Hirn-Achse ( brain-gut axis ) 6. Genetik

Bei einem Teil der Reizdarm-Patienten tritt die Symptomatik in der Folge einer Gastroenteritis auf bakteriologisch bestätigte Gastroenteritis Reizdarm-Syndrom über mehrere nachfolgende Jahre Bercik et al., Gastroenterol Clin North Am. 2005; 34: 235-245.

Reizdarm wird mit einer mikrobiellen Fehlbesiedlung des Darms in Verbindung gebracht Relative Abnahme der Bifidobakterien in der Darmflora z.b. Malinen et al., Am J Gastroenterology 2005; 100: 373-382) Mehrere Studien belegen die Wirksamkeit von Probiotika (Lactobacillen, Bifidobakterien) Dai et al., Probiotics and irritable bowel syndrom. World Journal of Gastroenterology 2013; 19: 5973-5980

Histologischer Nachweis von Immunaktivierung in der Darmschleimhaut von Reizdarm-Patienten Histologische und immunhistologische Untersuchung von 77 Reizdarm-Patienten, Vergleich mit 28 Kontrollprobanden): 38 / 77: interepitheliale Einwanderung von Lymphozyten 31 / 77: mikroskopische Anzeichen für Entzündung 8 / 77: lymphozytäre Colitis Chadwick et al., Gastroenterology 2002; 122: 1778-1783

In der Darmschleimhaut von Reizdarm-Patienten ist die Mastzellzahl signifikant erhöht Guilarte et al., Gut 2007; 56: 203-209

Aktivierte Mastzellen in der Nähe von Nervenfasern der Darmschleimhaut von Reizdarm-Patienten gehen mit abdominalem Schmerz einher Intensität Häufigkeit Barbara et al., Gastroenterology 2004; 126: 693-702

Reizdarmpatienten haben meist erhöhte Serumspiegel von Entzündungsmarkern (IL-6, IL-8) Dinan et al., Gastroenterology 2006; 130: 304-311

Erhöhte IL-6 und IL-8 Serumwerte sind typisch, aber nicht spezifisch, für Reizdarm

Wirken antientzündliche Therapieansätze bei Reizdarm? Therapeutischer Effekt von Curcumin: Gupta et al., Therapeutic roles of curcumin: lessons learned from clinical trials. AAPS J. 2013; 15: 195-218 Vorstellung einer klinischen Studie mit Mesalazin, einem immunsuppressiven Derivat der Salicylsäure: Leighton et al., Efficacy and mode of action of mesalazine in the treatment of diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome (IBS-D): study protocol for a randomised controlled trial. Trials 2013; 14: 10

Die Bedeutung des Serotonin-Stoffwechsels für das Reizdarm-Syndrom -> Reizdarm geht einher mit einer vermehrten Bildung enterochromaffiner Zellen = Syntheseort eines Großteils des körpereigenen Serotonins -> erhöhte Serotonin-Serumspiegeln -> Unspezifischer Hinweis auf Reizdarm Houghton et al., Gut 2003; 52:663-670 Camilleri, Curr Opin Endocrinol Diabetes Obes. 2009; 16: 53 59.

Die vermehrte Serotonin-Bildung könnte eine ursächliche Rolle im Pathomechanismus spielen Eine klinische Phase 2-Studie bestätigt die Wirksamkeit eines Inhibitors der peripheren Tryptophan Hydroxylase Responder: verminderte Serotoninsynthese Nonresponder: Serotoninsynthese nicht deutlich verändert Brown et al., Gastroenterology 2011; 141: 507-516

Stress wirkt als Auslöser und verschlechtert die Symptomatik Chronischer Stress erhöht das Risiko für Reizdarm Akuter Stress kann Schübe auslösen Konturek et al., J Physiol Pharmacol 2011; 62: 591-599.

Die Hirn-Darm-Achse ( brain-gut axis ) Stress Autonomes Nervensystem Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse ZNS-wirksame intestinale Botenstoffe z.b. CRF (corticotrophin releasing factor) Camilleri et al., J Pediatr Gastroenterol Nutr 2012; 54;446-453

Die Hirn-Darm-Achse ( brain-gut axis ) Stress Autonomes Nervensystem Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse ZNS-wirksame intestinale Botenstoffe z.b. CRF (corticotrophin releasing factor) Mikrobiom Camilleri et al., J Pediatr Gastroenterol Nutr 2012; 54;446-453

Das Reizdarm-Syndrom ist mit bestimmten Gen-Polymorphismen assoziiert: -> Polymorphismen in Zytokin-Genen: TNF-alpha, IL-6, IL-10 -> Serotonin-Transporter-Polymorphismus

Reizdarm-Patienten tragen signifikant häufiger eine proentzündliche genetische Prädisposition Risiko-Genotypen: TNFa -308 A/A IL-6-174 G/G Eine mögliche Abhängigkeit der IL-1 und IL-1RN-Genotypen wurde bisher nicht in Studien untersucht. Barkhordari et al., J Clin Immunol 2010; 30: 74-79 Gonsalkorale et al., Gut 2003; 52: 91-93 Van den Veek et al., Am J Gastroenterology 2005; 100: 2510-2516

Genetische Prädisposition für Reizdarm bei Trägern der Risiko-Genotypen in TNF-alpha und IL-6

Die genetisch verminderte Expression des Serotonin- Transporters verdoppelt das Risiko für Reizdarm-Syndrom Yeo et al., Gut 2004; 53: 1452-1458

Reizdarm eine neuro-endokrino-immunologische Störung der Hirn-Darm-Mikrobiom-Achse?! ZNS Stress autonomes Nervensystem Serotonin GI-Trakt Entzündung Mikrobiom

Auch die Komorbiditäten des Reizdarms spiegeln die Störung des neuro-endokrino-immunologischen Gleichgewichts wieder Basierend auf der Auswertung von knapp 100 000 Patienten, erhöht Reizdarm das Risiko für Depression (x 1,4) Fibromyalgie (x 1,8) Migräne (x 1,6) Cole et al., BMC Gastroenterology 2006; 6;26

Stellt Reizdarm eine Vorstufe zu chronisch entzündlichen Darmerkrankungen dar? -> überlappende Symptomatik -> entzündliche Genese auch des Reizdarm-Syndroms -> lymphozytäre Colitis auch bei diagnostiziertem Reizdarm => Fließender Übergang zwischen den Erkrankungen?? Quigley. Irritable bowel syndrome and inflammatory bowel disease: interrelated diseases? Chin J Dig Dis. 2005: 122-32