Geschwindigkeiten, Steigungen und Tangenten

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Transkript:

Geschwindigkeiten, Steigungen und Tangenten 1-E

Die Geschwindigkeit cc Wir beginnen mit dem Problem der Geschwindigkeit: Wie können wir die Geschwindigkeit eines bewegten Objektes in einem bestimmten Augenblick messen? Oder noch grundsätzlicher, was meinen wir eigentlich mit Geschwindigkeit? Wir werden uns nicht nur mit der Geschwindigkeit von Bewegungen beschäftigen, sondern eine Form von Geschwindigkeit definieren, die sehr allgemeine Bedeutung hat, die es uns erlaubt, die Änderungsrate irgendeiner Größe zu beschreiben. Der Begriff der Ableitung spielt hier zentrale Bedeutung. 1-1

Durchschnittsgeschwindigkeit cc Sei s (t) der Ort eines Objekts als Funktion der Zeit t. Die Durchschnittsgeschwindigkeit für das Zeitintervall [t, t + t]; v d = Δ s Δ t = s (t + Δ t) s (t) Δ t 1-2

Durchschnittsgeschwindigkeit cc Abb. 1-1: Die Funktion s (t) = - t (t - 6) / 3 in m, wobei t die Zeit in s ist Im Folgenden werden wir die Durchschnittsgeschwindigkeit der Bewegung, die man mit der Funktion s = s (t) beschreibt, für verschiedene Zeitintervalle bestimmen. s(t) = 1 t (t 6) 3 1-3

Durchschnittsgeschwindigkeit cc 1-4 Abb. 1-2: Illustration der Durchschnittsgeschwindigkeit im Zeitintervall 1 t 4.5 (Punkte B und F auf der Funktionskurve). s (4.5) - s (1), vertikal in der Abbildung, ist die Positionsänderung in dem Zeitintervall t = [1, 4.5]. Die Zeit, in der diese Änderung stattfand, ist durch 3.5 im Nenner gegeben und horizontal eingezeichnet.

Durchschnittsgeschwindigkeit cc Abb. 1-3: Illustration der Durchschnittsgeschwindigkeit im Zeitintervall 1 t 4 (Punkte B und E auf der Funktionskurve) 1-5

Durchschnittsgeschwindigkeit cc Abb. 1-4: Illustration der Durchschnittsgeschwindigkeit im Zeitintervall 1 t 3 (Punkte B und D auf der Funktionskurve) 1-6

Durchschnittsgeschwindigkeit cc Abb. 1-5: Illustration der Durchschnittsgeschwindigkeit im Zeitintervall 1 t 2 (Punkte B und C auf der Funktionskurve) 1-7

Geschwindigkeit und die cc Steigung einer Kurve Die Durchschnittsgeschwindigkeit über ein beliebiges Zeitintervall t = [a, b] ist die Steigung der Geraden, welche die Punkte der Kurve s(t) zu den Zeiten t = a und t = b verbindet. s (t) = t (t 6) 3 1 ) t a = 1, t b = 1.5, Δ t = 0.5, v d = 1.17 m s 2 ) t a = 1, t b = 1.2, Δ t = 0.2, v d = 1.27 m s 3 ) t a = 1, t b = 1.1, Δ t = 0.1, v d = 1.3 m s 4 ) t a = 1, t b = 1.05, Δ t = 0.05, v d = 1.32 m s 1-8

Geschwindigkeit und die cc Steigung einer Kurve Die nächste Frage ist: Wie kann man die momentane Geschwindigkeit darstellen? Um diese Frage zu beantworten, denken wir noch einmal an die Durchschnittsgeschwindigkeit. Wir bildeten Durchschnittsgeschwindigkeiten über immer kleiner werdende Zeitintervalle. In Abb. 1-6 sind drei solche Geschwindigkeiten durch die Steigungen von Geraden dargestellt. Mit abnehmender Intervalllänge nähert sich die Steigung der Steigung bei t = 1. 1-9

Geschwindigkeit, cc Steigung Abb. 1-6: Durchschnittsgeschwindigkeiten für kleine Zeitintervalle. Die Steigung der Geraden BC ist die Durchschnittsgeschwindigkeit für 1 t 2, die Steigung der Geraden BD ist die Durchschnittsgeschwindigkeit für 1 t 3, die Steigung der Geraden BE ist die Durchschnittsgeschwindigkeit für 1 t 4. 1-10

Geschwindigkeit und die cc Steigung einer Kurve Abb. 2-1: Abschätzen der Steigung durch Zoomen Der Kern der Idee ist die Tatsache, dass die meisten Funktionen fast wie Geraden aussehen, wenn man einen sehr kleinen Bereich herausvergrößert, wie das in Abb. 2-1 skizziert ist. 2-1

Abschätzen der Steigung cc durch Zoomen Abb. 2-2: Die Vergrößerung: Schritt 1 2-2 Mit diesem und den folgenden Schritten zeigen wir, dass die Kurve einer Gerade immer ähnlicher wird, je mehr wir vergrößern.

Abschätzen der Steigung cc durch Zoomen 2-3 Abb. 2-3: Die Vergrößerung: Schritt 2 Wenn wir die Umgebung eines Punktes immer mehr vergrößern, sodass wir ein immer kleineres t-intervall betrachten, so sieht die Kurve dort schließlich wie eine Gerade aus. Die Steigung dieser Geraden bezeichnen wir als die Steigung der Kurve in diesem Punkt.

Abschätzen der Steigung cc durch Zoomen Abb. 2-4: Die Vergrößerung: Schritt 3 2-4

Abschätzen der Steigung cc durch Zoomen Abb. 2-5: Die Vergrößerung: Schritt 4 Die momentane Geschwindigkeit ist die Steigung der Kurve in einem Punkt. 2-5

Momentane Geschwindigkeit cc Die momentane Geschwindigkeit ergibt sich aus der Durchschnittsgeschwindigkeit für das Zeitintervall [t, t + t] v d = Δ s Δ t = s (t + Δ t) s (t) Δ t als Grenzwert für immer kleiner werdende Zeitintervalle um t v m = lim Δ t 0 v d = lim Δ t 0 Δ s Δ t = lim Δ t 0 s (t + Δ t ) s (t ) Δ t Dieser Ausdruck bildet die Grundlage des Verfahrens. Um diesen Grenzwert zu bestimmen, betrachten wir zwar immer kleiner werdende Intervalle, die aber nie die Länge null erreichen! 2-6

Durchschnittliche Änderungsrate Jetzt wollen wir das vorher Gelernte auf eine beliebige Funktion y = f (x) anwenden. Bei der Strecke als Funktion der Zeit, s (t), betrachteten wir die Änderung in einem Zeitintervall geteilt durch die Länge des Intervalls s t t s t t Dieses Verhältnis nennen wir Differenzenquotient. Wir sagen, die durchschnittliche Änderungsrate der Funktion f (x) im Intervall von x bis x + Δ x beträgt (Fig. 3.1) y x = f x x f x x Obwohl das Intervall kein Zeitintervall sein muss, reden wir trotzdem von der durchschnittlichen Änderungsrate im Intervall. Wenn wir die Variable betonen wollen, sprechen wir von der durchschnittlichen Änderungsrate bezüglich x. 3-1

Durchschnittliche Änderungsrate s Abb. 3-1: Veranschaulichung der durchschnittlichen Änderungsrate von f Die Steigung der Sekante s wird durch den Differenzenquotienten gegeben 3-2 tan s = y x = f x x f x x

Zum Begriff der Ableitung 3-3 Abb. 3-2: Zum Begriff der Ableitung der Funktion y = f (x) Die eingeführte Bezeichnungen werden auf der folgenden Seite erklärt.

Zum Begriff der Ableitung f (x) ist die Funktion, deren Steigung im Punkt P untersucht wird. Die Sekante s verläuft durch die Punkte P und Q der Funktion f (x). Die Gerade t ist die Tangente der Funktion f (x) im Punkt P. P = x, y = x, f x, Q = x x, y y = x, f x x PR = x = dx, RQ = y, RN = dy QN = y dy Die Steigung der Sekante s tan s = y x bestimmen wir durch die Ände- rung der Variablen x, x, und entsprechende Änderung y der Funktion. Die Steigung der Tangente t bestimmen wir durch dx und dy : tan t = dy dx Wandert der Punkt Q längs der Kurve auf den Punkt P zu (Q P), strebt die Abszissendifferenz x 0, und beim Grenzübergang fällt die Sekante in die Tangente, d.h. QN = y dy 0. 3-4

Durchschnittliche Änderungsrate Abb. 3-3: Veranschaulichung der momentanen Änderungsrate von f (x) 3-5 Die momentane Änderung der Funktion kann man wie die momentane Geschwindigkeit definierten. Dabei betrachtet man die Durchschnittsrate in immer kleineren Intervallen.

Zum Begriff der Ableitung: Zusammenfassung Die Ableitung der Funktion einer Veränderlichen definiert man als Grenzwert der Sekantensteigung. Beim Grenzübergang geht die Sekante in die Tangente und die Sekantensteigung in die Tangentensteigung über. Der Grenzübergang entspricht: Q P : Δ x 0, φ s φ t, m s m t Die Steigung der Sekante: Die Steigung der Tangente: Definition: m s = tan φ s = Δ y Δ x m t = tan φ t = dy dx = lim Δ x 0 Δ y Δ x Die Ableitung von f (x) nach x, f '(x), ist definiert als f ' x df x dx = lim x 0 f x x f x x Die Funktion f (x) heißt differenzierbar an der Stelle x, wenn dieser Grenzwert existiert. 3-6