Akutes Leberversagen Epidemiologie und Therapie

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Transkript:

DIVI 2017 Leipzig, 06. Dezember 2017 Akutes Leberversagen Epidemiologie und Therapie Hartmut H.-J. Schmidt Med. Klinik B für Gastroenterologie und Hepatologie

Definition: Leberversagen Koagulopathie, Hepatische Enzephalopathie (HE) Ikterus, Foetor hepaticus, flapping tremor Vorbestehende Lebererkrankung ja nein akut-auf-chronisch Koagulopathie/HE Intervall Hyperakut < 7 Tage Akut 7-21 Tage Subakut > 21 Tage- <26 Wochen > 2 Wo. subfulminant Ikterus/HE Intervall < 2 Wo. fulminant

Leberversagen Steatosis Akutes Leberversagen Akut-auf-chronisch

Pathogenese der Hepatischen Encephalopathie (HE) Beispiele auslösender Faktoren Blutungen Sedativa hohe Proteinzufuhr Infektion inflammatorische Zytokine Niereninsuffizienz Gliaschwellung (low grade cerebral endema) Gliafunktion Glioneurale Kommunikation HE

Gradeinteilung der HE Stadium Vigilanz Klinischer Befund Intellektuelle Fähigkeiten Asterixis Neuromuskuläre Störungen Grad I Schlafstörungen, geistesabwesen d Depression, Euphorie, leichte Verwirrung, verwaschene Sprache Konzentration und Rechnen (besonders Addition) gestört +/- Gestörte Feinmotorik, Fingerzittern, Schriftänderung Grad II Schläfrig Persönlichkeitsstörung, mittelmäßige Verwirrung Grad III Somnolenz, Stupor Deutliche Verwirrtheit, Wahnvorstellungen, erweckbar bei Somnolenz Subtraktion gestört, zeitlich desorientiert, Gedächtnisstörunge n zeitlich und örtlich desorientiert + Verwaschene Sprache, verminderte Reflexe, verstärkter Muskeltonus + Hyperreflexie, Muskelkrämpfe Grad IV Koma Keine intellektuellen Fähigkeiten mehr vorhanden - Mydriasis, Streckkrämpfe, Nackensteife

Ätiologie Beispiele Virale Hepatitis Hep. A, B, D, E Metabolisch M. Wilson hereditäre Galaktosämie Induktion von Nekrose und Apoptose Schwangerschaftsassoziiert Akute Schwangerschaftsfettleber, HELLP Vaskulär Schock, Rechtsherzversagen, Budd-Chiari-S., Trauma, postoperativ Toxisch Paracetamol, Isoniazid (+/- Alkohol), Propylthiouracil, Phenytoin, Valproinsäure, Knollenblätterpilz, Ecstasy Verlust einer kritischen Hepatozytenmasse Leberzerfall, -ausfall Akkumulation toxischer Metabolite Hirnödem, Koma

Ätiologie % HAV HBV Medikamente Acetaminophen Andere GB: 1993-94 (n=342) Frankreich: 1972-90 (n=502) Indien: 1987-93 (n=423) Dänemark: 1973-90 (n=160) USA: 1994-96 (n=295) USA: 1998-2000 (n=206) 2 2 2 73 21 4 32 17 2 45 2 31 5 0 62 1 7 10 45 37 7 10 12 20 51 4 8 14 38 35

Morbus Wilson Kayser-Fleischer-Ring 1902

Blutgerinnung Serumchemie Großes Blutbild und Diff BB Hepatitis Serologie Virusserologie Toxikologisches Screnning Initiale Diagnostik Prothrombinzeit/ INR Elektrolyte, Leberwerte (ALT [GPT], AST [GOT], AP, GLDH, y GT, Bilirubin, LDH), Nierenretetionsparameter (Kreatitinin, Harnstoff), CRP, Laktat, Blutglukose Anti HAV IgM, Anti HBc IgM, HBs Ag, HBeAg, Anti Habe Ag, HBV DNA, Anti HCV, HCV - RNA EBV, CMV, HSV, Parvovirus B19, HIV Incl. Paracetamol - Spiegel Autoimmundiagnostik Serumelektrophorese, ANA, SMA, LKM, Immunglobuline Morbus Wilson Diagnostik Arterielle Blutgasanalyse Schwangerschaftstest Blutgruppe Ammoniakspiegel Kupfer im Serum und im Urin, Coeruloplasmin Vor einer Transplantation

Akutes Leberversagen Selten, 1 in 1-5 Mio/Jahr USA: 2000 Fälle pro Jahr ca. 2% aller LTx in D Mortalität 50% Therapie in ausgewiesenen Zentren Prognose bei frühzeitiger Therapie verbessert Neue Therapieansätze ermöglichen häufiger transplantfreies Überleben

ALV Prognose Mortalität 80-85 % Überleben 15-20 % Mortalität bei HBV 75-85 % HDV 80-85 % HAV 40-50 % Parac. 50 % Med. 85 % krypt. 90 %

King s-college-kriterien Paracetamol Nicht Paracetamol ph < 7,3 INR > 6,5 (PT > 100s) (Alle Kriterien müssen erfüllt sein) INR > 6,5 (PT > 100s) Kreatinin > 3,4mg/dl Hepatische Enzephalopathie III/IV oder (3 Kriterien müssen erfüllt sein) Non - A non - B Hepatits bzw. medikamentös-toxisch Ikterus Enzephalopathie Intervall > 7 Tage Alter < 10 oder > 40 PT > 50s Bilirubin > 17,4mg/dl

Clichy-Kriterien Viral-bedingtes ALV Hepatische Encephalopathie III/IV Alter < 30 Jahre und Faktor V < 20 % und Jedes Alter und Faktor V < 30%

Quotienten der verschiedenen Leberenzyme und ihre klinische Bedeutung Quotient Differenzierung GOT/GPT frischer Verschlussikterus (< 1) vs. chronisch aktiver Hepatitis (> 1) y-gt/got akute alkoholtoxische Hepatitis (> 6) vs. akuter Virushepatitis (< 1) (GOT+GPT)/GLDH akute Leberzirkulationsstörung (< 10) vs. akuter Virushepatitis (> 50)

Akutes Leberversagen (ALV) Leberfunktion, Ikterus HE Gerinnungsstörungen Reduzierte Synthese und Verbrauch von Gerinnungsfaktoren Thrombozytopenie, -funktionsstörung Faktor V, Faktor VIII normal Nierenfunktion Dehydration (prärenales Nierenversagen) Hepatorenales Syndrom Tubulusnekrose Infektionen Glukose-Monitoring Leberarterie

Paracetamolintoxikation N-Acetylcystein Initial 150 mg/kg KG i.v. über 15-60 min Dann 12,5 mg/kg KG i.v. über 4 Stunden Dann 6,25 mg/kg KG i.v. pro Stunde bis zur deutlichen Besserung der Leberfunktion Aktivkohle 1 g/kg KG über Magensonde Ggf. Albumin-Dialyse

Fulminante Hepatitis B Ursprünglich: Keine antivirale Therapie LTx wenn erforderlich Rationale: Niedrige Viruslast (HBV-DNA) HBsAg manchmal nicht nachweisbar Könnte Immunantwort limitieren und einen chronischen Verlauf begünstigen Aktuell: Nukleos(t)id-Analoga Bestimmung der HBV-DNA

Molecular Adsorbent Recirculating System Stange und Mitzner 1993 Erstmalig beim Menschen 1996 Kombination Hämodiafiltration, Adsorption und Hämodialyse

Management Thrombozyten > 50.000/µl Kein Hinweis für eine aktive Blutung Keine vor kurzem durchgeführte Eingriffe (Operationen, Ligatur von Ösophagusvarizen, Zahnextraktionen etc.) Ausschluss einer Infektion Ausschluss Pankreatitis Geringes Risiko einer Rezidiv Blutung analog der Baveno V Kriterien bei Ösophagusvarizenblutung Intubation / Dauer des ITS-Aufenthalts

n=6 Ann Hepatol 2016;15:775-87

ACUTE LIVER INJURY (ALI) Gerth HU et al. (PLOS one 2017) New outcome data on late stage organ support with albumin dialysis

ELAD System - Human Cell-Based, Bio-Artificial Liver Support System Gas Blender UFG in Blood Circuit Blood Gas Analyzer Cell Filter 4 ELAD Cartridges in Plasma Circuit Oxygenator Water Heater Base Unit 27

Zusammenfassung Selten, aber häufiger als in Tx-Zentren in D beobachtet Therapie in ausgewiesenen Zentren Prognose GLDH, Anurie, INR-Verlauf, Transaminasen/Alter Leberbiopsie kann hilfreich sein Bei frühzeitiger Therapie meist gute Prognose Frühe Dialyseindikation sinnvoll (Hirndruck, Gesamtprognose) Eher keine Steroide Glukose-Monitoring Vermeide Katecholamine Antibiotika/Antimykotika oft nicht notwendig Koagulopathie nur substituieren, wenn Blutung Neue Therapieansätze ermöglichen häufiger transplantfreies Überleben

DIVI 2017 Leipzig, 06. Dezember 2017 Akutes Leberversagen Epidemiologie und Therapie Hartmut H.-J. Schmidt Med. Klinik B für Gastroenterologie und Hepatologie