Vorlesung 3 Konvexe Kurven und das isoperimetrische Problem 3.1 Einführung Der Kreis läßt sich rch folgende Minimumeigenschaft charakterisieren: Unter allen ebenen Figuren gleichen Flächeninhalts hat die Kreisscheibe den kleinsten Umfang. Sei c eine beliebige einfach geschlossene Kurve vom Umfang L, welche ein Gebiet vom Inhalt F einschließt. Sei ferner r der Radius des Kreises von diesem Umfang L = 2πr. Die Kreisisoperimetrie besagt F πr 2. Da andererseits πr 2 = 1 4π (2πr)2 = 1 4π L2 ist, schließen wir F 1 4π L2. 3.2 Die isoperimetrische Ungleichung in der Ebene Satz 3.1. Die Länge L des Umfangs einer einfach geschlossenen, ebenen und regulären Kurve c und der von ihr eingeschlossene Flächeninhalt F genügen der isoperimetrischen Ungleichung L 2 4πF mit Gleichheit dann und nur dann, wenn c der Kreis ist. Bemerkung 3.1. 1. Die isoperimetrische Ungleichung gilt auch für stetige, einfach geschlossene Kurven. In unserem Beweis sind dann die auftretenden Ableitungen im schwachen Sinne, die Integrale im Lebesgueschen Sinne zu verstehen. 2. Isoperimetrisch bedeutet von gleichem Umfang (griech. isos=gleich, peri=um, herum, metron=maß). Betrachtet werden also Figuren gleichen Umfangs, d.h. gleichlangen Umrisses. Die isoperimetrische Eigenschaft des Kreises begegnet uns alltäglich: Fettaugen auf der Fleischbrühe sind kreisförmig: Molekularkräfte erzwingen eine Figur kleinsten Umfangs, d.h. kleinster potentieller Energie für eine gegebene Menge Fett, und diese Figur ist eine Kreisscheibe. Im Vergleich zu allen anderen ebenen Gebieten desselben Inhalts läßt sich auf der Kreisscheibe der höchste Sandhaufen aufschütten. Eine vollkommen elastische Säule mit kreisförmigem Querschnitt läßt sich bei gegebenem Kraftaufwand am wenigsten verdrillen. Bei gegebener Fläche besitzt die kreisförmige Fellmembran einer Trommel den niedrigsten Grundton. 13
14 VORLESUNG 3. KONVEXE KURVEN UND DAS ISOPERIMETRISCHE PROBLEM 3.3 Beweis nach Hurwitz Der nachstehende Beweis stammt von A. Hurwitz aus dem Jahre 192 und wurde [2] entnommen. Beweis des Satzes. 1. Die Kurve c sei in Bogenlänge s gegeben: c(s) = (x(s),y(s)), s [,L]. Der von ihr eingeschlossene Flächeninhalt berechnet sich zunächst wegen der Geschlossenheit der Kurve und nach Ausführen einer partiellen Integration zu F = = 1 2 1 2 (c c ) 3. Komp. ds = xy ds 1 2 xy s=l s= + 1 2 2. Wir führen einen neuen Parameter u = 2π L ( ) dx 2 + ( ) dy 2 = L2 4π 2 1 2 (xy x y)ds xy ds = s ein. Dann gilt (dx ) 2 + ds xy ds. ( ) dy 2 = L2 ds 4π 2. Obiger Ausdruck für F transformiert sich unter Beachtung der Kettenregel gemäß F = x dy ds L 2π = x dy. 3. Wir betrachten nun die Fourier-Reihen der Funktionen x und y in Abhängigkeit von u : mit den Ableitungen x(u) = 1 2 a + y(u) = 1 2 b + a k cos(ku) + ã k sin(ku), b k cos(ku) + b k sin(ku) dx = k ã k cos(ku) a k sin(ku), dy = k bk cos(ku) b k sin(ku). Die Reihen konvergieren auf Grund unserer Differenzierbarkeitsvoraussetzungen absolut. Unter Beachtung der Orthogonalitätsrelationen für trigonometrische Funktionen berechnen wir zusammen mit dem zweiten Beweispunkt 2π L2 4π 2 = (dx ) 2 + ( ) dy 2 = π k 2 a 2 k + ã2 k + b2 k + b 2 k.
3.4. STEINERS SYMMETRISIERUNG 15 Andererseits wissen wir (für den vorzeichenbehafteten Flächeninhalt, d.h. F ohne die Beträge um das Integral) F := = = π x dy ( 1 2 a + a k bk ã k b k k. a k cos(ku) + ã k sin(ku) )( + Die letzten beiden Identitäten liefern nach Zusammenfassen der Quadrate ) k bk cos(ku) b k sin(ku) L 2 2π 2F = π = π k 2 a 2 k + ã2 k + b2 k + b 2 k 2π k a k bk ã k b k (ka k b k ) 2 + (kã k ± b k ) 2 + (k 2 1)(b 2 k + b 2 k ). Daher ist L2 4π F L2 4π Damit ist die isoperimetrische Ungleichung bewiesen. bzw. F L2 4π. 4. Gleichheit in der obigen Summation gilt dann und nur dann, wenn k = 1 und a 1 b 1 =, ã 1 ± b 1 =, k > 1 und a k = ã k = b k = b k =. Die Funktionen x und y haben dann aber die Kreisdarstellungen x(u) = 1 2 a + a 1 cos u b 1 sin u, y(u) = 1 2 b + b 1 cos u + a 1 sinu. Damit ist alles gezeigt. 3.4 Steiners Symmetrisierung Zum Beweis der Isoperimetrie des Kreises ersann Jacob Steiner folgende Konstruktion 1 : Satz 3.2. Angenommen, es gibt eine Lösung des isoperimetrischen Problems. Dann muß diese Kurve ein Kreis sein. 1 Skizzen im Beweis entnommen aus [11], Kapitel 6
16 VORLESUNG 3. KONVEXE KURVEN UND DAS ISOPERIMETRISCHE PROBLEM Beweis. 1. Die Kurve muß notwendig konvex sein. Andernfalls finden sich zwei Punkte P und Q auf c, deren Verbinng nicht vollständig im Innern von c liegt. Durch Spiegelung konstruieren wir eine zu c längengleiche Kurve c, die aber eine größere Fläche einschließt. Widerspruch zur Maximaleigenschaft! 2. Wähle nun zwei Punkte R und S auf der konvexen Kurve c, welche diese in längengleiche Bögen c und c zerlegen. Dann gilt für die eingezeichneten Flächeninhalte B = B. Denn: Angenommen, es ist B > B. Spiegele B an der Verbinng RS. Das so entstandene Gebiet besitzt den gleichen Umfang wie das ursprüngliche, hat aber einen größeren Flächeninhalt. Widerspruch zur Maximaleigenschaft! 3. c und c müssen Halbkreise sein. Angenommen, c ist kein Halbkreis. Dann gibt es einen Punkt A auf c mit RAS 9. Wir denken uns die Seiten AR und AS beweglich um ein Gelenk in A. Dieses wird wie skizziert bewegt, bis RAS = 9. Der eingezeichnete Umfang sowie die schraffierten Flächen bleiben erhalten, während die Fläche des Dreiecks (RAS) größer geworden ist. Widerspruch zur Maximaleigenschaft!
3.5. DER VIERSCHEITELSATZ 17 Bemerkung 3.2. Das Existenzproblem bleibt in Steiners Konstruktion unbeachtet, der Beweis der isoperimetrischen Eigenschaft des Kreises damit unvollständig. Dirichlet soll erfolglos versucht haben, seinen Kollegen Steiner von dieser Lücke in der Argumentation zu überzeugen. 3.5 Der Vierscheitelsatz Im zweiten Teil dieser Vorlesung wenden wir uns einem weiteren Satz der globalen Kurventheorie zu: Wir zeigen, dass jede glatte, einfach geschlossene und konvexe Kurve mindestens vier Scheitel besitzt. Zunächst die Definition 3.1. Die reguläre ebene Kurve c: I R 2 besitzt in t I einen Scheitel, falls dort für ihre Krümmung κ gilt. Bemerkung 3.3. dκ(t ) dt 1. Kurven konstanter Krümmung, (Geradenstücke, Kreisbögen) bestehen nur aus Scheiteln. 2. Die Ellipse c(t) = (acos t,bsin t), < a b < +, besitzt genau vier Scheitel, nämlich in den Schnittpunkten mit den Koordinatenachsen. Satz 3.3. Jede reguläre, einfach geschlossene und dreimal stetig differenzierbare ebene Kurve c nichtnegativer Krümmung besitzt mindestens vier Scheitel. 3.6 Beweis nach Herglotz Der folgende Beweis stammt von G. Herglotz und ist [2], Band I, entnommmen. = Beweis. 1. Aus Gründen der Einfachheit denken wir uns c bogenlängenparametrisiert: c = c(s). 2. Die Krümmung κ(s), s L, der Kurve ist stetig differenzierbar. Sie besitzt daher auf [,L] ein absolutes Minimum in s m und ein absolutes Maximum in s M : κ(s m ) κ(s) κ(s M ) für alle s [,L]. Dabei gelten κ (s m ) =, κ (s M ) =. Also besitzt c mindestens zwei Scheitel. Wir zeigen rch Widerspruch, daß es einen weiteren Scheitel geben muß. Genauer: Wegen der Geschlossenheit von c gibt es wenigstens zwei weitere Scheitel, insgesamt also mindestens vier. Die Ellipse besitzt genau vier Scheitel. 3. Angenommen, es gibt keine weiteren Scheitel. Dann zerfällt c in zwei offene Bögen c 1 und c 2 mit c = c 1 c 2. O.B.d.A. seien κ > auf c 1 und κ < auf c 2. Es sei g(x,y) = ax + by + c = die Gleichung der Verbinngsgeraden der beiden Scheitel, wobei a, b und c geeignet gewählt sind. Setzen wir hierin unsere Kurve ein, so ist also g(x(s),y(s)) = für s = s m,s M, und sonst seien etwa g(x(s),y(s)) > entlang c 1, g(x(s),y(s)) < entlang c 2. Dann gilt aber ax(s) + by(s) + c κ (s)ds > für das entlang der geschlossenen Kurve c erstreckte Integral.
18 VORLESUNG 3. KONVEXE KURVEN UND DAS ISOPERIMETRISCHE PROBLEM 4. Aber das führt zum Widerspruch, denn jedes Teilintegral verschwindet, was man nach Anwenng der Frenetschen Gleichungen und Beachtung der Geschlossenheit von c einsieht: κ (s)ds = κ(l) κ() =, x(s)κ (s)ds = x(s)κ(s) L L x (s)κ(s)ds = y(s)κ (s)ds = y(s)κ(s) L L y (s)κ(s)ds = + Die Behauptung ist damit bewiesen. y (s)ds = y (L) + y () =, x (s)ds = x (L) x () =.