Vertiefungsveranstaltung Grundrechte. Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken 1

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In der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1990 BGBl. I S. 2747

Transkript:

Prof. Dr. Markus Heintzen Sommersemester 2004 Vertiefungsveranstaltung Grundrechte Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken 1 Der Bundestag verabschiedet in einem ordnungsgemäßen Verfahren, allerdings nach hitzigen Debatten, einen Gesetzentwurf über den Import embryonaler Stammzellen (IeS- Gesetz). Das Gesetz sieht in seinem 1 vor, dass der Import menschlicher embryonaler Stammzellen grundsätzlich verboten, aber ausnahmsweise, unter in den 2-8 IeSG näher beschriebenen Voraussetzungen, für Forschungsvorhaben eine Genehmigung erteilt werden kann. So muss etwa das Einverständnis der Eltern zur Gewinnung von Stammzellen aus einem Embryo vorliegen, der Embryo muss zum Zwecke einer Schwangerschaft und nicht zu Forschungszwecken gezeugt und das Einverständnis der Eltern darf nicht durch finanzielle Zuwendungen erzielt worden sein. Des Weiteren muss die Hochrangigkeit des Forschungsvorhabens für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zur Entwicklung diagnostischer oder therapeutischer Verfahren nachgewiesen werden. Schließlich beschränkt 8 IeSG den Import embryonaler Stammzellen auf solche Stammzelllinien, die vor dem 31.12.2001 etabliert worden sind. In der Gesetzesbegründung zum IeSG heißt es unter anderem, dass die biomedizinische Forschung das über den Menschen verfügbare Wissen außerordentlich erweitere und die Hoffnung und Erwartung bestehe, durch dieses Wissen bisher unheilbare Krankheiten behandeln zu können. Es sei daher eine Pflicht, die durch die Forschung eröffnete Perspektive von Hilfe und Heilung Kranker zu nutzen. Von dem durch das IeSG zugelassenen Import von Stammzellen seien nur sog. pluripotente Zellen erfasst, die in ihrer konkreten Funktion noch nicht festgelegt sind. Sog. totipotente Zellen, aus denen sich ein Mensch entwickeln kann, sind von der Regelung ausgeschlossen, da das Embryonenschutzgesetz ein Verbot der verbrauchenden Forschung dieser Zellen ausspricht. Die pluripotenten Zellen werden in einem Verfahren gewonnen, bei dem grundsätzlich entwicklungsfähige Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung überzählig sind und daher nicht in die Gebärmutter eingesetzt werden, getötet und aufgeteilt werden. Die bei der Abstimmung über das IeSG unterlegenen Abgeordneten, die ein Drittel der Mitglieder des Bundestages ausmachen, zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des IeSG und wollen das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Sie meinen, dass sich die Verfassungswidrigkeit des Herstellungsvorgangs der Stammzellen, der im Ausland stattfindet, da er in Deutschland verboten ist, aus dem Grundrecht auf Leben und aus der Menschenwürdegarantie ergebe. Man könne auch nicht einerseits den Herstellungsvorgang verbieten und andererseits den Import der solchermaßen gewonnenen Stammzellen zulassen und dadurch die Art ihrer Gewinnung billigen. Auch der Embryo in vitro sei grundrechtsfähig ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Durch die Verwendung der überzähligen Embryonen würde menschliches Leben vernichtet und zum Objekt herabgewürdigt. Der Staat müsse hier schützend tätig werden. Weiterhin könne das Grundrecht auf Forschungsfreiheit und eine eventuell bestehende Schutzpflicht für das Recht auf Leben und körperliche Gesundheit von möglicherweise heilbaren Patienten zu keinem anderen Ergebnis führen, da Art. 1 I GG nicht abwägbar sei. Hat ein Antrag des Drittels der Mitglieder des Bundestages gegen das IeSG im Wege der abstrakten Normenkontrolle Aussicht auf Erfolg? 1 Fall nach Haltern/Viellechner, JuS 2002, S. 1197. 1

Lösung zum Fall: Import embryonaler Stammzellen Der Antrag hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Das BVerfG ist gemäß Art. 93 I Nr. 2 GG i.v.m. 13 Nr. 6 BVerfGG im Wege der abstrakten Normenkontrolle zuständig. II. Beteiligtenfähigkeit Ein Drittel der Mitglieder des Bundestages können nach 76 I BVerfGG Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle sein. III. Antragsgegenstand Bei dem IeSG handelt es sich um Bundesrecht und damit um einen zulässigen Antragsgegenstand i.s.d. 76 I BVerfGG. IV. Antragsbefugnis Die Antragsbefugnis ist gemäß 76 I Nr. 1 BVerfGG dann gegeben, wenn der Antragsteller das Gesetz für nichtig hält. Da die Antragsteller das Gesetz für verfassungswidrig halten, wird man davon ausgehen können, dass sie es auch für nichtig halten, so dass es auf die Formulierungsunterschiede in 76 I Nr.1 BVerfGG ( für nichtig hält ) und Art. 93 I Nr. 2 GG ( Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel ) nicht ankommt. Die Antragsbefugnis liegt vor. V. Form und Frist Es gelten die Formerfordernisse des 23 I BVerfGG. Eine Frist ist im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht einzuhalten. Zwischenergebnis: Der Antrag ist zulässig. 2

B. Begründetheit Der Antrag ist begründet, wenn das IeSG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Art. 74 I Nr. 26 i.v.m. Art. 72 II GG. Zum einen sollte (nach dem Willen des historischen verfassungsändernden Gesetzgebers) von der Formulierung der künstlichen Befruchtung beim Menschen die gesamte Fortpflanzungsmedizin erfasst werden. Zum anderen findet bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen eine Untersuchung von Erbinformationen statt. Ferner ist eine bundesgesetzliche Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit i.s.d. Art. 72 II GG erforderlich. 2. Verfahren und Form Die Erfordernisse hinsichtlich des Verfahrens und der Form wurden eingehalten. II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Das IeSG darf nicht gegen materielle Verfassungsnormen, insbesondere nicht gegen Grundrechte, verstoßen. Durch die Erlaubnis, begrenzt embryonale Stammzellen zu importieren, könnte der Gesetzgeber seine grundrechtliche Schutzpflicht vernachlässigt haben. 1. Konstruktion der Schutzpflichten Grundrechte stellen nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat dar, sondern können den Staat auch zu positiven Leistungen verpflichten. Für das Grundrecht aus Art. 1 I 1 GG folgt dies bereits aus dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 1 I 2 Alt. 2 GG ( zu schützen ). Im Übrigen sind grundrechtliche Schutzpflichten aus den in den Grundrechten verkörperten objektiven Grundentscheidungen herzuleiten. Für das Recht auf Leben aus Art. 2 II 1 GG kann auf beide Ansätze zurückgegriffen werden, da das BVerfG hier ergänzend Art. 1 I 2 Alt. 2 GG heranzieht. 3

2. Bestehen einer Schutzpflicht Zunächst ist zu klären, ob vorliegend eine staatliche Schutzpflicht besteht. Dies ist dann der Fall, wenn private Tätigkeit den Schutzbereich eines Grundrechts berührt und ein Bedürfnis nach staatlichem Schutz besteht. a) Berührung eines Grundrechts durch Dritte Der Schutzbereich eines Grundrechts müsste durch Private gefährdet sein. aa) Art. 2 II 1 GG Zu denken ist zunächst an das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 II 1 GG. (1) Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG Art. 2 II 1 GG schützt das menschliche Leben, das mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Fraglich ist, ob auch der Embryo Lebensschutz genießt, bzw. wann das menschliche Leben beginnt. (Die pluripotenten Zellen bleiben außer Betracht, da sie sich nicht in einen vollständigen Menschen entwickeln können.) Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Stammzellgewinnung um Embryonen nicht in utero, sondern in vitro handelt, so dass man sich fragen muss, ob die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zum Beginn des Lebens und des damit einhergehenden Grundrechtsschutzes vom Embryo in utero auf den Embryo in vitro übertragbar sind. Das BVerfG hat in seinen Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch entschieden, dass menschliches Leben ab dem Zeitpunkt der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Nidation) besteht. Bei dem Ungeborenen handelt es sich dann um ein individuelles in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes Leben, das sich im Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt (BVerfGE 88, 203; Identitäts-, Potenzialitäts- und Kontinuitätsargument). Übertragbarkeit der Argumentation auf den Embryo in vitro? Contra: Entwicklung als Mensch ist beim Embryo in vitro noch nicht gewährleistet (Kontinuitätsargument), da erst Implantation durch einen Arzt erfolgen und Frau sich 4

dafür entscheiden muss. Diese Entscheidung liegt im Intimbereich der Frau von Art. 1 I i.v.m. Art. 2 I GG, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist. Erst der Steuerungsapparat der Mutter gibt die Befehle zur konkreten Embryo- Genese (Potentialitätsargument); in vitro kann sich der Embryo nicht allein weiter entwickeln. Pro: Überzählige Embryonen können adoptiert werden, so dass eine Entwicklung als Mensch möglich bleibt. Steht man auf dem Standpunkt der prinzipiellen Vergleichbarkeit der Embryonen in utero und in vitro, dann muss man den Zeitpunkt des Beginns des Lebens bestimmen, da eine Nidation beim Embryo in vitro ja nie stattfindet. Vieles spricht dafür ihn vorzuverlagern auf den Zeitpunkt der Verschmelzung von Eiund Samenzelle: Ab der Verschmelzung entsteht ein neues, genetisch festgelegtes, individuelles Leben, das mit dem später geborenen Leben identisch ist (Identitätsargument). Dieses Individuum ist zwar noch nicht entwickelt, aber auf Entwicklung angelegt (Kontinuitätsargument). Die nachfolgenden Schritte wie die Ausbildung von Gehirnströmen oder die Geburt stellen nur die Realisierung eines bereits festgelegten Programms dar (Potenzialitätsargument). Daher soll hier davon ausgegangen werden, dass menschliches Leben des Embryo in vitro mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Der Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG ist somit berührt. (2) Beeinträchtigung durch Dritte Deutsche Forscher könnten den Schutzbereich des Art. 2 II 1 GG durch den Import von Stammzellen beeinträchtigen. Da die Forscher jedoch nicht an der Herstellung embryonaler Stammzellen in der Vergangenheit mitgewirkt haben und die zu importierenden Embryonen bereits tot sind, scheidet eine Verletzung des Grundrechts auf Leben in dieser Hinsicht aus. Das IeSG sieht weiterhin eine Stichtagsregelung vor, mit der der Import der Stammzellen beschränkt wird auf am 5

31.12.2001 bestehende Stammzelllinien. Somit können deutsche Forscher auch zukünftig lebende Embryonen nicht beeinträchtigen. Ob im Import eine Verlängerung des Eingriffs in Leben im Ausland zu sehen ist, kann hier dahinstehen, da das in der Vergangenheit im Ausland getötete Leben nicht mehr schutzbedürftig ist, da es nicht mehr gerettet werden kann. (3) Zwischenergebnis Aufgrund der mangelnden Beeinträchtigung durch Dritte bzw. mangels Schutzbedürftigkeit bereits toter Embryonen besteht keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG, die durch das IeSG verletzt sein könnte. bb) Art. 1 I GG Eine grundrechtliche Schutzpflicht könnte sich jedoch aus Art. 1 I GG ergeben. (1) Grundrechtsqualität von Art. 1 I GG Voraussetzung für eine staatliche Schutzpflicht ist zunächst, dass Art. 1 I GG ein eigenständiges Grundrecht darstellt. A1: Nein, lediglich Grundprinzip, das bei der Auslegung der übrigen Verfassungsnormen zu berücksichtigen ist. Arg.: Wortlaut: die nachfolgenden Grundrechte Struktur: kein Schutzbereich und keine Einschränkbarkeit wie bei anderen Grundrechten HM: Ja, Art. 1 I GG ist ein eigenständiges Grundrecht. Arg.: Formal: Überschrift Die Grundrechte Materiell: Der Wortlaut zu achten und zu schützen bringt Abwehr- und Leistungsanspruch zum Ausdruck. 6

Von Art. 1 GG geschützter Wert ist Individualgut, der auch prozessual durchsetzbar sein muss, insb. da es sich um tragendes Verfassungsprinzip handelt! Die Frage nach der Grundrechtseigenschaft von Art. 1 I GG ist durch das BVerfG bisher nicht ausdrücklich entschieden worden; die Praxis der Rechtsprechung geht aber dahin, dass die Menschenwürde ein Grundrecht darstellt (da VB für zulässig gehalten, als Menschenwürdeverletzung gerügt wurde). Somit ist Art. 1 I GG als eigenständiges Grundrecht zu werten. (2) Schutzbereich i) Schutzbereich in persönlicher Hinsicht Es ist fraglich, ob der Embryo überhaupt Träger der Menschenwürde sein kann. A1: (streng) Nein, da Würde erst mit der Geburt beginne. ( Menschenwürde und nicht Zygotenwürde ) Historischer Verfassungsgeber wollte Abkehr vom Nationalsozialismus dokumentieren, dem vor allem geborene Menschen zum Opfer gefallen sind. Für Menschenwürde sei neben der Summe seiner Gene weiterhin Vernunftbegabung, Gefühlsabhängigkeit, Sozialität, Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zur Selbstachtung sowie eigener Überlebenswille konstitutiv. (contra: Dies ist bei (neu-)geborenen Menschen jedoch auch nicht der Fall!) A2: (vermittelnd) Abgestufte, entwicklungsabhängige Intensität des Würdeschutzes vor der Nidation bzw. Implantation des Embryo Arg: Vermeidung von Alles-oder-Nichts-Entscheidung und von Widerspruch zur Zulässigkeit nidationshemmender Mittel wie der Spirale Aber: Frau setzt diese Mittel lediglich gegen Weiterentwicklung des Embryo ein, während Forscher Embryonen für seine Zwecke tötet und gebrauchen will. Insofern nicht zu vergleichende Lage. 7

Außerdem kommt Menschenwürdeschutz dem Menschen voraussetzungslos zu, kraft seines Menschseins, insofern Abstufung problematisch. BVerfG und hm: Beginn des Würdeschutzes und Beginn des Lebens fallen zusammen. ( Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Würde zu. BVerfGE 39, 1, 41; 88, 203, 252). Es kommt nicht darauf an, ob der Träger Würde verdient, sich ihrer bewusst ist oder sie selbst zu wahren weiß. Somit kann im Ergebnis auch der Embryo Träger der Menschenwürde bzw. ihr Schutzgut sein. ii) Schutzbereich in sachlicher Hinsicht Menschenwürde wird meist nicht positiv umschrieben (wie etwa durch Mitgifttheorie oder Leistungstheorie ), sondern eher gefragt, welches Handeln oder Unterlassen diese verletzt. Insofern wird sogleich auf die Frage des Eingriffs übergegangen. (3) Beeinträchtigung durch Dritte Fraglich ist, ob eine Beeinträchtigung der Menschenwürde seitens privater Dritter gegeben ist. A1: Eingriffe in das Leben berühren stets die Menschenwürde. Contra: unterschiedliche Schutzintensität der beiden Grundrechte. Während Art. 2 II 3 GG die Einschränkbarkeit des Rechts auf Leben vorsieht, ist die Menschenwürde unantastbar. Ferner hätte andernfalls die Regelung des Verbots der Todesstrafe in Art. 102 GG keinen Sinn. Nach der sog. Objektformel des BVerfG (von Dürig übernommen) darf der Einzelne nicht zum bloßen Objekt gemacht werden (BVerfGE 9, 89, 95). Diese Formel wurde im Abhör-Urteil dahingehend präzisiert, dass zusätzlich eine verächtliche Behandlung notwendig ist (BVerfGE 30, 1, 25f). Zunächst könnte der Import der Stammzellen durch deutsche Forscher Anknüpfungspunkt für die Beeinträchtigung der Menschenwürde sein. Eine 8

unmittelbare Beeinträchtigung kann hierin jedoch nicht gesehen werden. Dies folgt zwar noch nicht bereits aus der Tatsache, dass die Embryonen zum Zeitpunkt des Imports bereits tot sind, da auch Tote Menschenwürde genießen. Allerdings sind die Stammzellen mit menschlichen Organen vergleichbar, denen auch kein Grundrechtsschutz zukommt (Brohm, JuS 1998, 197, 199). Die Stammzellen sind im Ausland durch Tötung von Embryonen gewonnen worden. Diesem Menschenwürdeverstoß im Ausland könnte Fernwirkung zukommen, mit der Folge dass ein verfassungsrechtliches Verwertungsverbot besteht, sog. fruits-ofthe-poisonous-tree-doctrine. A1: Derartiger mittelbarer Grundrechtsverstoß wird unter Verweis auf das völkerrechtliche Souveränitätsprinzip abgelehnt. Handlungen im Ausland seien abgesehen von weltweit geächtetem Unrecht - an den dort geltenden Rechtsvorstellungen zu messen. Das BVerwG hat etwa in seinem Urteil zum Verbot des Schächtens auf die Möglichkeit des Imports geschächteten Fleisches hingewiesen. A2: Souveränitätsprinzip verbietet nur, einen anderen Staat der eigenen Hoheitsgewalt zu unterwerfen. Demgegenüber steht es Staaten frei, einen Akt auf dem Territorium eines anderen Staates nach Maßstäben der eigenen nationalen Rechtsordnung als rechtswidrig zu qualifizieren. Dieser Ansicht soll hier gefolgt werden. Damit ist zu entscheiden, ob die Tötung überzähliger Embryonen zur Stammzellgewinnung eine verächtliche Behandlung darstellt. Verfassungsrechtliche Gesamtbewertung: Raum für Argumentation Contra verächtliche Behandlung : Embryonen, die ohnehin sterben müssten, werden einem letzten Zweck zugeführt, insb. da sich Heilungschancen abzeichnen, ist ihr Tod nicht völlig sinnlos. 9

Daneben stellen die Forschungsfreiheit aus Art. 5 III 1 GG und das Recht auf Leben potenzieller Kranker aus Art. 2 II 1 GG hochwertige Verfassungsgüter dar, deren Schutz die Verfassung gebietet. Pro verächtliche Behandlung : Embryo wird aktiv zerstört und somit anderen Interessen vollständig untergeordnet. Anders als beim Schwangerschaftsabbruch will der Forscher den Embryo für seine Zwecke instrumentalisieren. Sinngebung macht den Menschen und seine Würde nicht aus, auch Objekte haben einen Sinn. Schließlich sind die überzähligen Embryos nicht notwendigerweise dem Tod geweiht, da eine Adoptionsmöglichkeit geschaffen werden könnte. Somit liegt eine Beeinträchtigung der Menschenwürde im Ausland vor, aus der sich ein verfassungsrechtliches Verwertungsverbot ergibt. (Die Gegenansicht ist gut vertretbar.) b) Schutzbedürftigkeit Ferner muss ein Bedürfnis nach staatlichem Schutz bestehen. Dagegen könnte sprechen, dass die Embryonen zum Zeitpunkt des Imports bereits tot sind. Im Hinblick auf Art. 1 I GG wird nach der Rspr. des BVerfG jedoch angenommen, dass die Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewährleisten, nicht mit dem Tod endet. Gerade weil der Tote sich nicht mehr selbst wehren kann, ist er insbesondere auf Hilfe vom Staat angewiesen. Somit besteht eine Schutzpflicht des Staates aus Art. 1 I 1 i.v.m. Art. 1 I 2 Alt. 2 GG. 3. Erfüllung der Schutzpflicht durch den Staat Der Gesetzgeber ist vorliegend nicht untätig geblieben, sondern hat vielmehr versucht, durch das IeSG die Grenzen des Imports embryonaler Stammzellen aufzuzeigen und dadurch die betroffenen Rechtspositionen zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen. Die Schutzpflicht ist aber auch dann nicht erfüllt, wenn die getroffenen Maßnahmen offensichtlich unzureichend sind. 10

a) Eignung des IeSG zum Schutz der Menschenwürde der Embryonen Da das Gesetz ein grundsätzliches Verbot des Imports embryonaler Stammzellen aufstellt, und eine Ausnahmegenehmigung nur unter strengen Voraussetzungen erteilt wird (sog. repressives Verbot mir Befreiungsvorbehalt), ist das IeSG nicht gänzlich ungeeignet zum Schutz der Rechte der Embryonen. b) Untermaßverbot Die Ausgestaltung des Schutzes der Embryonen durch die Rechtsordnung muss Mindestanforderungen entsprechen. Dabei ist zu beachten, dass es eine hoch komplexe Frage ist, wie die staatliche Schutzpflicht im Einzelnen zu verwirklichen ist. Oft sind verschiedene Lösungen möglich. Dem Gesetzgeber wird aufgrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips ein Entscheidungsspielraum über die zu treffenden Maßnahmen zugebilligt, so dass das BVerfG erst dann einen Verfassungsverstoß feststellen kann, wenn kein angemessener und wirksamer Schutz gewährleistet wird. Ob besagter angemessener und wirksamer Schutz vorliegt, richtet sich in erster Linie nach der Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsguts. Hier liegt ein Verstoß gegen die Menschenwürde trotz der Hochrangigkeit der Forschungsvorhaben, der Beschränkung auf die Erforschung schwerer Krankheiten, sowie der sonstigen Einschränkungen in den 2-8 IeSG vor. Ein angemessener und wirksamer Schutz der Menschenwürde der Embryonen ist daher allein durch ein ausnahmsloses Verbot des Imports und der Forschung mit embryonalen Stammzellen zu erzielen. Da das Grundrecht des Art. 1 I GG ausweislich seines Wortlauts ( unantastbar ) nicht einschränkbar und folglich auch nicht abwägbar ist, müssen kollidierende Grundrechte wie die Forschungsfreiheit aus Art. 5 III 1 GG und eine etwaige Schutzpflicht für das Leben potentieller Kranker aus Art. 2 II 1 GG unberücksichtigt bleiben. Somit ist das Untermaßverbot ist verletzt. Der Gesetzgeber ist seiner Schutzpflicht aus Art. 1 I 1 GG i.v.m. Art. 1 I 2 Alt. 2 GG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. III. Endergebnis Der Antrag ist zulässig und begründet (ein anderes Ergebnis ist gut vertretbar). 11