Migrationssensibler Kinderschutz. Eine Tagungsdokumentation
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- Gitta Böhm
- vor 7 Jahren
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1 Migrationssensibler Kinderschutz Eine Tagungsdokumentation
2 Vorwort Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit hat zusammen mit dem Diakonischen Werk Hamburg und EvaMigra einen Fachtag zum Thema Migrationssensibler Kinderschutz am in Hamburg durchgeführt. Das Ziel war, neben einer allgemeinen Einführung zu den Änderungen im Bundeskinderschutzgesetz, den Kinderschutz aus einem migrationsspezifischer Perspektive in den Blick zu nehmen und praktisch an dem Hamburger Modell Leitfragen zur Erstellung von Schutzkonzepten in Einrichtungen in ersten Schritten anzudiskutieren. Diese Tagungsdokumention ist so aufgebaut, dass die Vortragsunterlagen vorgestellt und nachträglich kommentiert werden. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden am Ende der Dokumentation zusammengefasst. Der ausführliche Vortrag von Frau Teupe vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism) und die Leitfragen zur Erstellung von Schutzkonzepten in Einrichtungen des Stadtstaates Hamburg finden sich als Anlage zur Dokumentation. Ein herzliches Dankeschön an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben. Kristina Krüger Joerg Kiolbassa Andreas Länge Diakonie Hamburg EvaMigra BAG EJSA Referentin für Kinder und Jugendhilfe Leitung JMD Referent Migration Stuttgart, 1. September 2014
3 1. Einleitung in die Thematik und Überblick zu den Änderungen beim Bundeskinderschutzgesetz Andreas Länge, BAG EJSA Ziel der BAG EJSA ist es seit in Krafttreten des neuen Bundeskinderschutzgesetztes im Jahr 2012, die Ergebnisse und Erkenntnisse von der Umsetzung vor Ort bundesweit zu transportieren. Joerg Kiolbassa von EvaMigra hat die BAG EJSA zum Hamburger Modell informiert und zusammen mit Kristina Krüger von der Diakonie Hamburg, welche an dem Modell der Leitfragen mitgearbeitet hatte, wurden die Grundlagen für diesen Fachtag gelegt. Die Aufgabe als Bundesverband, Landesverband und Träger liegen darin, die Mitarbeitenden zu informieren und die notwendigen Maßnahmen für einen praktischen Kinderschutz in den Einrichtungen einzuleiten, zu unterstützen und umzusetzen. Für diese Umsetzung hat die BAG EJSA das Vorgehen des Stadtstaates Hamburg überzeugt und die Leitfragen zur Erstellung von Schutzkonzepten in Einrichtungen haben den Impuls für diesen Fachtag gegeben. Einen Überblick zu den Änderungen beim Bundeskinderschutzgesetz möchten ich Ihnen nun mit der folgenden Präsentation geben.
4 Bei den Frühen Hilfen hat die BAG EJSA zunächst positiv gedacht, dass der präventive Gedanke des SGB VIII für alle Kinder und Jugendliche gelten soll. Allerdings musste dann festgestellt werden, dass diese Unterstützungsform in erster Linie für Kinder in den ersten Lebensjahren und deren Mütter und Väter sowie schwangere Frauen und werdende Väter gedacht ist. Diese Fokussierung ist für die BAG EJSA nachvollziehbar und als erster Schritt auch richtig. Für weitere Schritte sieht die BAG EJSA aber die Notwendigkeit, die frühen Hilfen auf alle Altersgruppen des SGB VIII auszuweiten.
5 Die hier benannte Handlungs und Rechtssicherheit betrifft hauptsächlich die freien Träger in der Kinder und Jugendhilfe. Da es keine bundesweiten Standards gibt und sehr wahrscheinlich auch nicht geben wird, wird jeder örtliche Träger eigene oder für ihn am geeignetste Verfahren der Überprüfung und Dokumentation vorgeben 1. Die Beteiligungsund Beschwerdeverfahrensnotwendigkeit werden von der BAG EJSA begrüßt. 1 Arbeitshilfe Führungszeugnisse bei Ehrenamtlichen mit Dokumentationshinweis nrw.de/fileadmin/content_ljr/dokumente/publikationen/broschueren/
6 2. Kernbefunde aus dem Projekt Migrationssensibler Kinderschutz Ursula Teupe, Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz (ism) Frau Teupe hat nicht alle zur Verfügung stehenden Folien vorgestellt, sondern sich bei ihrem Vortrag auf das Wesentliche konzentriert. Die zentralen Ergebnisse des Modellprojekts und der ausführliche Beitrag ist im Anhang der Dokumentation nachzulesen. 3. Kommentierung aus Sicht des JMD Joerg Kiolbassa, EvaMigra e.v. Andreas Länge, BAG EJSA e.v. Frau Teupe hat sich in ihrem Forschungsprojekt ausschließlich mit ASD Mitarbeitenden und deren Fallzahlen befasst. Nun stellt sich natürlich die berechtigte Frage, was hat das alles mit der Jugendmigrationsarbeit zu tun. Hier nun ein paar Antworten direkt zum Vortrag und ergänzend dann auch Fallbeispiele aus der Praxis.
7 3.1 Bezug zum Vortrag Das Forschungsprojekt wollte migrationsspezifische Besonderheiten aus Perspektive der Fachkraft erfahren um Erkenntnisse zu erlangen, Wie Familien mit Migrationshintergrund am besten erreicht werden können Wie man sie am besten anspricht, mit ihnen zusammen arbeitet und Wie man Verstehensprozesse erleichtert. Diese Erkenntnisse sind auch für die Arbeit im Jugendmigrationsdienst von großer Bedeutung, so dass wir hier schon eine große Schnittmenge an gemeinsamen Interessen feststellen können. Der Schutzauftrag und damit das Bundeskinderschutzgesetz betrifft auch die Mitarbeitenden in den Jugendmigrationsdiensten, denn diese sind Teil der Kinder und Jugendhilfe und somit auch verpflichtet, Erkenntnisse zu prüfen und gegebenenfalls zu melden. Trotz medialer Präsenz von Kindern mit Migrationshintergrund konnte keine Überrepräsentanz von Kindern mit MH im Kinderschutz, trotz überproportionaler Betroffenheit von Kindern mit MH von prekären Lebensverhältnissen, festgestellt werden. Familien mit Migrationshintergrund haben spezifische Ressourcen, die ihnen helfen und auf die sich die JMD Mitarbeitenden konzentrieren. Es gibt ein hohes Maß an Nichtwissen auf Seiten der ASD Fachkräfte bzgl. Aufenthaltsstatus von Familien mit Migrationshintergrund. Daraus ergeben sich auch fehlende bedeutsame Informationen im Hinblick auf das Verstehen der Lebenssituation. Das ist umso kritischer, wenn jede 10. Familie mit Migrationshintergrund in einer ungesicherten aufenthaltsrechtlichen Situation lebt. Hier unterscheiden sich sehr deutlich die Kenntnisse der JMD Mitarbeitenden zu den ASD Fachkräften und es könnten beide Seiten von einander profitieren. Die Gefährdungseinschätzung fällt bei älteren Kindern/Jugendlichen uneindeutiger aus und führt zu einer deutlich schlechteren Bewertung. Hier könnten die JMD sensibilisiert und unterstützend tätig werden. Mädchen mit MH im Alter zwischen 15 und 18 Jahren treten mit zunehmenden Alter häufiger bei den Meldungen auf. Die Hälfte dieser Meldungen werden von den Mädchen selbst gemacht. Die JMD haben schon früher Kontakt zu den Mädchen und könnten eventuell frühzeitiger Hilfen vermitteln. Allerdings wird für die JMD der Wegfall von Gruppenfinanzierungen zu weniger Kontaktmöglichkeiten führen. Den Zugang zum Vater zu bekommen wird bei Kindern mit MH als herausfordernder beschrieben, obwohl diese als bedeutsame Akteure im Familiengeschehen wahrgenommen werden. Die Elternbildung und arbeit wurde noch einmal mit dem Rahmenkonzept Elternarbeit vom BMFSFJ gestärkt. Gezielte geschlechtsspezifische Angebote könnten wir uns als Bundesverband perspektivisch gemeinsam mit dem ASD überlegen.
8 Zusammenfassend erscheint es uns für sinnvoll, die Kooperation mit dem ASD bzw. Jugendamt zu intensivieren und zwar nicht nur bezogen auf ein Dolmetschersystem. Neben der konkreten Fallbegleitung könnten zum Beispiel auch die interkulturelle Öffnung und die Reflexion des eigenen Handels, wie z.b. bei den viel häufigeren Einladungen zum Gespräch ins Jugendamt von Familien mit MH als von Familien ohne MH angeboten werden. 3.2 Fallbeispiele In einer Flüchtlingsunterkunft hat eine ehrenamtliche Kraft festgestellt, dass die Kinder und Jugendlichen im Winter immer in Sandalen herumlaufen. Obwohl es auch Schuhspenden gab, sind die Kinder und Jugendlichen weiterhin im Schnee und Matsch mit den Sandalen gelaufen. Daraufhin hatte die ehrenamtliche Kraft das Jugendamt eingeschaltet. Der Jugendamtsmitarbeitende wollte sofort die Kinder in eine Jugendhilfeeinrichtung überführen. Zum Glück hatten die JMD Mitarbeitenden von dem Vorgang erfahren und haben den Jugendamtsmitarbeitenden behutsam auf die Gebräuche in Pakistan verwiesen. Dort gehen alle Menschen in Sandalen das ganze Jahr über und bei extremeren Klimaverhältnissen. Nach mehreren Gesprächen konnte dann das Jugendamt überzeugt werden, dass kein Schaden bei den Kindern und Jugendlichen auftreten wird, wenn diese weiterhin in Sandalen herumlaufen. An einer Ferienmaßnahme hatten drei Geschwister teilgenommen. Zwei Schwestern und ein Bruder. Der Bruder hatte in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder eigenartig gerochen, so dass sich die JMD Mitarbeitenden gewundert hatten. Erst als zufällig eine Mitarbeitende die drei bei einer Reinigung des Bruders überrascht hatte, konnte der Vorgang aufgeklärt werden. Die beiden Schwestern hatten alles getan, damit der einkotende Bruder nicht auffällig wird und Schande über die Familie bringt. Nach Gesprächen mit der Familie und dem Jugendamt konnten gezielte Maßnahmen für den Jungen eingeleitet werden. Er und seine Schwestern können nun selbstständig leben und sich entwickeln.
9 4. Leitfragen zur Erstellung von Schutzkonzepten in Einrichtungen Kristina Krüger, Diakonie Hamburg, Referentin für Kinder und Jugendhilfe
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12 5. Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen Es wurden zwei Arbeitsgruppen zu den Themen Beteiligung und Umgang mit Beschwerden sowie Gewalt unter Kindern und Jugendlichen gebildet. 5.1 Arbeitsgruppe 1: Beteiligung und Umgang mit Beschwerden Kristina Krüger, Diakonie Hamburg, Referentin für Kinder und Jugendhilfe Der überwiegende Teil der Teilnehmenden der Arbeitsgruppe kam aus dem Arbeitszusammenhang der Einzelberatung von jungen Menschen. Definition /Haltung Verweisen bei weitergehendem Unterstützungsbedarf in der Beratung zu Gewalterfahrungen Kennen von Kontaktadressen Die Arbeitsgruppe diskutiert unter den Fragestellungen: Wie kann in der Beratungssituation gewährleistet werden, dass junge Menschen über ihre Rechte informiert werden? Wann ist ein geeigneter Zeitrahmen? Evtl. zu Beginn einer Beratung? In anderen Beratungszusammenhängen werden Eltern über Kinderrechte informiert. Risikosituationen Aufbau einer Vertrauensbeziehung 1:1 Setting in Beratungen Schutz der Mitarbeiter/in, besonders Frauen beim Thema Distanz und Klarheit Rollenklarheit im Beratungsprozess erfordert Begleitung und Unterstützung der Beratenden Welche Rolle haben die Beratenden gegenüber den jungen Menschen (Rollenklärung) Wie wird diese kommuniziert? Prävention Teambesprechung auch für reflexive Haltung zum Thema Gewalt, Grenzen, Rolle
13 Beschwerdewege Zusammenarbeit mit Schule und gemeinsam Beschwerdewege aufnehmen Weitergehende Fragen Wie kommunizieren wir Schutzkonzepte? Wer können Ansprechpersonen für junge Menschen sein (Beschwerdestelle außerhalb des Beratungssettings)? 5.2 Arbeitsgruppe 2: Gewalt unter Kindern und Jugendlichen Andreas Länge, BAG EJSA, Referent Migration und Integration Die Teilnehmenden der Arbeitsgruppe waren sich einig, dass es sehr schwierig ist, Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zu erkennen. Neben dem oft schon schwierigen pubertierenden Verhalten kommen noch gruppendynamische Prozesse dazu, die es Mitarbeitenden schwer macht, Einschätzungen vorzunehmen. Trotzdem wurde folgendes festgehalten: Es sollte im Team ein gemeinsames Verständnis geben, was unter Gewalt verstanden wird. Es sollte eine konsequente Vorgehensweise abgestimmt sein, die es den Kindern und Jugendlichen nicht ermöglicht, die Mitarbeitenden gegeneinander auszuspielen. Alle Beteiligten innerhalb der Einrichtung und damit auch Ehrenamtliche oder Honorarkräfte, sollten geschult und eingebunden werden in den Schutzauftrag. 6. Zusammenfassung Die Diskussionen haben gezeigt, dass die migrationssensible Perspektive auf das Thema Kinderschutz auf Interesse stößt. Es zeigt sich ein Bedarf an Weiterentwicklung und Sensibilisierung zum Thema Kinderschutz, wenn es um die Zielgruppe mit Migrationshintergrund in den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit geht. Die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit haben Kenntnisse und Erfahrung in der Arbeit mit jungen Menschen und Familien mit Migrationshintergrund. Ein gemeinsames Ziel muss der Kinderschutz in den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit sein. Unsere Erfahrungen mit jungen Menschen und Familien aus Migrationszusammenhängen können wir als Hilfe und Unterstützung im Kinderschutz wirksam werden zu lassen.
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