6: Schutz des Vermögens (Fortsetzung)
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- Benedict Fried
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1 V. Insolvenzdelikte Randbereiche 6: Schutz des Vermögens (Fortsetzung) 1. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB a) Rechtsgut Rechtsgut des 288 StGB besteht im Schutz des Einzelgläubigers in seinem sachlich begründeten und vollstreckungsfähigen Recht auf Befriedigung aus dem Schuldnervermögen. Im Gegensatz zu 283 StGB werden nur Einzelgläubiger und nicht deren Gesamtheit geschützt. 288 StGB ist eine Ergänzung zu 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Schutzgut ist daher: - nach herrschender Meinung das durch die Tat gefährdete materielle Recht des Gläubigers auf Befriedigung aus dem Schuldnervermögen. - nach anderer Auffassung die vom materiell-rechtlichen Anspruch zu trennende, verfahrensrechtlich entstandene Rechtsposition des Gläubigers, zwangsweise auf das der Vollstreckung unterliegende Vermögen zugreifen zu dürfen. KK 137
2 1. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB (Fortsetzung) b) Tatbestand aa) Objektiver Tatbestand (1) Täter: Vollstreckungsschuldner (Sonderdelikt) Eine Strafbarkeitslücke besteht für den Fall, dass ein Dritter in Abwesenheit des Schuldners einen Vermögensgegenstand auf Bitten des Schuldners entfernt, da der Vollstreckungsschuldner mangels Tatherrschaft nicht mittelbarer Täter, der Dritte mangels Sondereigenschaft nicht unmittelbarer Täter sein kann. Da es in dieser Konstellation an einer Haupttat fehlt, kann der Schuldner auch nicht als Anstifter bzw. der Dritte nicht als Gehilfe bestraft werden (str., aa nimmt Strafbarkeit an, wenn man von normativer Tatherrschaft ausgeht oder 288 StGB als Pflichtdelikt begreift). (2) Tatsituation: Drohen der Zwangvollstreckung - Zwangsvollstreckung Unter dem ersten Merkmal der Zwangsvollstreckung ist die durch staatliche Organe erfolgende zwangsweise Verwirklichung eines Anspruchs zu verstehen, wobei die Vollstreckung vom Gerichtsvollzieher, einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde durchgeführt werden kann. Der zu vollstreckende Anspruch kann sowohl privatrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein, muss sich aber stets auf das Vermögen beziehen. KK 138
3 1. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB (Fortsetzung) - droht dem Täter (unter Einschluss von 14 StGB) Nach den Umständen des Falles muss anzunehmen sein, dass der Gläubiger den Willen hat, seinen Anspruch demnächst zwangsweise durchzusetzen. Dafür müssen weder die Vollstreckungsvoraussetzungen der ZPO vorliegen noch muss der Gläubiger erste Schritte unternommen haben, um die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Es ist jedoch nicht ausreichend, wenn der Gläubiger mit einer Klage droht, um den Schuldner allein durch diese Drohung zur Zahlung zu bewegen. Ausreichend sollen jedenfalls die Erhebung der Klage, das Vorliegen eines Titels und der Beginn der Vollstreckung sein. In der Praxis ist die Bestimmung dieses Merkmals mitunter sehr schwierig und vom Einzelfall abhängig: (3) Tatobjekt - P: nur bei sachlich begründetem und durchsetzbarem Anspruch des Gläubigers Bestandteil des Vermögens des Vollstreckungsschuldners, vollstreckungsrechtlicher Vermögensbegriff. Hierunter fallen also solche pfändbaren Rechte und Sachen, in die die Vollstreckung des Gläubigers aufgrund eines zu erlangenden Titels zulässig ist. KK 139
4 1. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB (Fortsetzung) (4) Tathandlung - Veräußern rechtliche Entziehung des Vermögenswertes Keine tatbestandliche Veräußerung stellen lediglich schuldrechtliche Geschäfte wie zb ein Kaufvertrag dar. Hinzukommen muss stets ein wirksames dingliches Rechtsgeschäft, ohne ein solches kommt nur ein Beiseiteschaffen in Betracht. - Beiseiteschaffen tatsächliche Entziehung des Vermögenswertes Unter der Tatbestandsalternative Beiseiteschaffen ist jedenfalls die räumliche Entfernung der Sache in der Art und Weise zu verstehen, dass sie der Zwangsvollstreckung tatsächlich entzogen ist oder zumindest erschwert wird zb durch Verstecken. KK 140
5 1. Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB (Fortsetzung) b) Tatbestand bb) subjektiver Tatbestand Vorsatz: jede Vorsatzart ausreichend; zusätzlich (untechnische) Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln; ausreichend: sichere Kenntnis als Abgrenzung zum Eventualvorsatz. cc) Rechtswidrigkeit dd) Schuld c) Konkurrenzen Die Vollstreckungsvereitelung ist dem Verstrickungsbruch gem. 136 StGB äußerlich zwar ähnlich, jedoch schützen beide unterschiedliche Rechtsgüter. 288 StGB schützt die individuellen Befriedigungsinteressen des Gläubigers, 136 StGB hingegen das durch die Pfändung oder Beschlagnahme entstandene öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnis. Daher Idealkonkurrenz möglich. d) Antragserfordernis, 288 Abs. 2 StGB Verfolgung nur auf Antrag des Gläubigers, von dem die Zwangsvollstreckung drohte und der sachlich begründeten Anspruch hatte. KK 141
6 2. Insolvenzverschleppung a) Einführung und Überblick Mit dem Begriff der Insolvenzverschleppung werden Verstöße gegen die bei sämtlichen Gesellschaftsformen bestehende gesetzlich geregelte Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages oder der Einberufung der Gesellschafterversammlung bezeichnet. Aktiengesellschaft GmbH OHG Kommanditgesellschaft Genossenschaft Eur. Wirtschaftl. Interessenvereinigung Versicherungsunternehmen 401 i.v.m. 92 AktG 84 i.v.m. 64 GmbHG 130 b i.v.m. 130 a HGB 130 b i.v.m. 130 a, 177 a HGB 148 i.v.m. 99 GenG 15 i.v.m. 11 EWIV-AG, 130 a HGB 141 i.v.m. 88 VAG (Sonderregelung) KK 142
7 a) Einführung und Überblick (Fortsetzung) Geschütztes Rechtsgut ist bei der jeweiligen: Nr. 1 Nr. 2 - das Vermögen der Gesellschafter sowie die Gesellschaft selbst. - primär: das wirtschaftliche Interesse der aktuellen und potenziellen Gläubiger (auch Geschäftsführer und Arbeitnehmer) und - sekundär: Gesellschafter sowie Gesellschaft. Rechtsgut ist relevant für die Möglichkeit der Einwilligung von Gesellschaftern und/oder Gläubigern. KK 143
8 b) Systematik am Beispiel des 401 AktG Deliktscharakter - echtes Unterlassungsdelikt - Sonderdelikt - abstraktes Gefährdungsdelikt Krisensituation - Nr. 1 Verlust der Hälfte des Grundkapitals - Nr. 2 Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Täterkreis - Nr. 1 Vorstandsmitglied - Nr. 2 Vorstandsmitglied und Abwickler Tathandlung - Nr. 1 Einberufung & Verlustanzeige gegenüber Hauptversammlung - Nr. 2 unterlassener Insolvenzeröffnungsantrag KK 144
9 c) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall Sachverhalt A, B und C sind die drei gemeinschaftlich vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder der Freiburg AG. Eingetragenes Grundkapital der AG sind Das vorhandene reale Eigenkapital, ausgewiesen in der Bilanz 2005, beträgt aber Aufgrund einer von Vorstand A angestoßenen und zu verantwortenden Fehlkalkulation bei einer Investition machte die AG im Folgejahr 2006 Verluste in Höhe von Euro ,-. Der Buchhalter informiert den Vorstand vor Erstellung der eigentlichen Bilanz hierüber. Der für die Investition zuständige Vorstand A tritt nach internen Diskussionen daraufhin zurück. Weiteres geschieht nicht. Strafbarkeit von A, B und C nach 401 AktG? KK 145
10 d) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall strafrechtliche Würdigung aa) Täterkreis - Nr. 1 Beschränkung auf Vorstandsmitglieder. - Nr. 2 auch Abwickler gem 265 Abs. 1 AktG regelmäßig Vorstand. Andere Personen als Täter nur, falls Abwickler eine juristische Person ist und für diese eine der in 14 StGB genannten Personen handelt. - Erfasst auch: Vertreter des Vorstands/Abwicklers, falls Vertretungspflicht greift. KK 146
11 d) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) aa) Täterkreis (Fortsetzung) - Erfasst auch: faktischer Vorstand. Der Vorstand kann sich jedoch nicht seiner Pflichten durch Delegation auf einen faktischen Vorstand entledigen, zumal ihn dann meist ein Übernahmeverschulden treffen wird. Nach hm sind dann beide gleichrangig verantwortlich. In praktischer Hinsicht erscheint problematisch, ob die Pflichten für das faktische Organ überhaupt erfüllbar sind, denn dieses ist nach den zivilrechtlichen Regelungen nicht einmal berechtigt, einen Insolvenzantrag zu stellen, so dass es erst recht nicht dazu verpflichtet sein könne, den Antrag zur Einberufung der HV zu stellen. Jedoch bejaht auch die überwiegende zivilrechtliche Meinung eine solche Pflicht (mithin auch das Recht) des faktischen Organs. Die hm geht davon aus, dass der Wortlaut der Normen nicht dazu zwinge, nur das förmlich bestellte Organ zu erfassen, da eben auch das faktische Organ Geschicke der Gesellschaft lenke bzw lenken könne. Nach BGH ist aber eine anhand konkreter Kriterien feststellbare überragende Stellung bzw. ein Übergewicht des faktischen Organs nötig, um dem Bestimmtheitsgebot gerecht zu werden. KK 147
12 d) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) aa) Täterkreis (Fortsetzung) - Nicht aber sonstige Beteiligte: Leitende Angestellte, Sanierer, Gesellschafter, Aufsichtsrat oder andere Organe. Diese können nur Teilnehmer sein. - Keine Straflosigkeit bei Ausscheiden oder Niederlegung des Amtes: Pflicht entfällt nicht, außer der Pflichtige scheidet bereits vor dem Verlust der Hälfte des Grundkapitals oder dem Eintritt der wirtschaftlichen Krise aus dem Amt aus, keine nachlaufende Pflicht. Im Fall: B und C sind noch Vorstandsmitglieder. A war es jedenfalls noch, als die Situation bekannt wurde. Alle drei sind somit taugliche Täter im Sinne von 401 Aktiengesetz. KK 148
13 d) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) bb) Verlust der Hälfte des Grundkapitals - Für Feststellung des Verlustes keine Bilanz notwendig. - Nach Wortlaut des 401 Abs. 1 Nr. 1 Pflicht bei Verlust von mindestens der Hälfte des Grundkapitals. - Nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten, ein gesundes Unternehmen aufgrund eines finanziellen Rückschlages durch eine Verlustanzeige zu negativer Publizität und Selbstanprangerung zu zwingen, falls noch ausreichende Kapitalreserven vorhanden. - Strafrechtliche Gefahrenschwelle erst überschritten, wenn das noch vorhandene Eigenkapital auf die Höhe des halben Grundkapitals abgeschmolzen ist. - Ausschlaggebend ist Größe des Reinvermögens im Verhältnis zum Grundkapital. Im Fall: Freiburg AG hat trotz des wertmäßigen Verlustes in Höhe des Grundkapitals noch das Vierfache des Grundkapitals. KK 149
14 d) Verlust der Hälfte des Grundkapitals 401 AktG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) cc) Handlungspflichten die tatbestandsmäßige Unterlassung - Gem. 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG müssen die Handlungspflichtigen die Hauptversammlung einberufen und den Verlust der Hälfte des Grundkapitals dieser anzeigen. - Hauptversammlung muss gem. 121 ff. AktG einberufen werden. - P: Muss diese Einberufung ordnungsgemäß erfolgen? Soweit dem Schutzzweck genügt wurde, ist dies entbehrlich. - P: Widerspruch zwischen Straftatbestand mit individualisierter Pflicht des einzelnen Vorstands und Regelung des 121 Abs. 2 AktG, der Mehrheitsbeschluss vorsieht. 401 AktG ist nach hm so zu lesen, dass sich jeder Pflichtige im Rahmen seiner tatsächlichen Möglichkeiten und rechtlichen Befugnisse um die Information der Aktionäre im Wege der Hauptversammlung zu bemühen hat. Im Fall: B und C müssten bei einem einschlägigen Kapitalverlust auf einen entsprechenden Beschluss im Vorstand hinwirken. Der ausgeschiedene A müsste entsprechend auf Vorstand, Aufsichtsrat bzw Aktionäre oder Öffentlichkeit einwirken. KK 150
15 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall Sachverhalt Die Konzern-AG hält sämtliche Stamm-Anteile der finanziell angeschlagenen G-GmbH. Die G- GmbH ist am Stichtag des endgültig überschuldet. Sie schuldet jedoch nur dem Mutterkonzern sowie der AOK Geld. Der ausschließlich von der K-AG bezahlte und einzige Geschäftsführer der G-GmbH möchte deshalb Insolvenz anmelden und informiert am selben Tag die K-AG. Die am selben Tag tagende Gesellschafterversammlung der G-GmbH möchte diesen Antrag jedoch noch eine Weile verzögern, da der Konzern erst im nächsten Jahr genügend Geld für die Restrukturierung der G-GmbH hat. Bis zum nächsten Jahr soll die G-GmbH daher ihr operatives Geschäft einstellen, das Geld für die AOK wird der G-GmbH von der K-AG kreditiert. Dieses Geld kommt bei der AOK drei Wochen später an. Bevor dies jedoch von der AOK bemerkt wird, stellen Vertreter der AOK am nächsten Tag einen Insolvenzantrag, den das zuständige Insolvenzgericht aufgrund der erfolgten Zahlung aber später zurückweist. Strafbarkeit des Geschäftsführers nach 84 I Nr. 2 GmbHG? KK 151
16 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung aa) Tauglicher Täter (+) bb) Krise - Nach 84 I Nr. 2 GmbHG muss Unternehmenskrise isv 64 Abs. 1 GmbHG vorliegen. - umfasst: Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. - Nicht aber: drohende Zahlungsunfähigkeit, da echte Überlegungsfrist zur Sanierung vom Gesetzgeber gewollt. - Die Feststellung der Krise erfolgt ebenso wie beim Bankrott. Im Fall: Die G-GmbH ist am Stichtag des überschuldet. KK 152
17 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung cc) Handlungspflicht Unterlassung einen Insolvenzantrag zu stellen (1) Allgemeines zum Insolvenzantrag Insolvenzantrag selbst ist formlos möglich. Insolvenzantrag als Prozesshandlung muss aber zulässig sein und darf daher nicht befristet, bedingt oder zurückgenommen sein. (2) Eigenantrag Zur Stellung eines Antrages auf Insolvenzeröffnung ist bei mehreren Geschäftsführern jeder einzelne allein und unabhängig von seinem Ressort und seiner Vertretungsmacht verpflichtet, arg. 15 InsO und dem bei einer Insolvenz bestehenden Grundsatz der Generalverantwortlichkeit/Allzuständigkeit. Der Antrag eines Geschäftsführers wirkt strafrechtlich für alle. KK 153
18 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) cc) Handlungspflicht Unterlassung einen Insolvenzantrag zu stellen (3) Gläubigerantrag - Str. ist, ob der Pflichtige eigenen Antrag stellen muss, falls ein Gläubiger diesen bereits gestellt hat. Aus Sicht des Rechtsgutes ist unerheblich, wer den Antrag stellt. Somit können auch Dritte einen Insolvenzantrag mit strafrechtlicher Wirkung stellen. Straflosigkeit ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn der Unterlassende nicht bereits durch schuldhaftes Zögern das Delikt vollendet hatte. Ist jedoch der konkrete Gläubigerantrag unzulässig oder sollte dieser an anderen Mängeln leiden, so lebt die Pflicht des Geschäftsführers zur Stellung eines eigenen Antrags unmittelbar wieder auf. - Der Pflichtige trägt also das Risiko, dass der Antrag durch den Dritten nicht korrekt gestellt wird. Im Fall: Der GF hat es unterlassen, den Insolvenzantrag zu stellen. Gestellt worden ist der Antrag von der AOK. Dieser war aber nicht erfolgreich. KK 154
19 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) dd) Tatzeitpunkt: verstrichene Frist - Stellung des Insolvenzantrags gem. 64 I GmbHG muss ohne schuldhaftes Zögern nach 121 BGB erfolgen. - Spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vgl 64 I GmbHG. - Dies ist eine Höchstfrist und kann kürzer sein, wenn Überleben der GmbH ausgeschlossen. - Beginn der Pflicht beginnt frühestens mit dem objektiven Eintritt des Krisenfalles. KK 155
20 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) dd) Tatzeitpunkt: verstrichene Frist - Streitig ist, ob es auf die Kenntnis des Pflichtigen im Hinblick auf die Krise bereits im Rahmen des objektiven Tatbestandes ankommt. - Nach einer im Zivilrecht vordringenden Meinung ist nicht mehr auf die Kenntnis des Pflichtigen abzustellen. Dies ließe sich daraus ersehen, dass der Geschäftsführer als ordentlicher Kaufmann ihm für die GmbH obliegende Selbstprüfungspflichten über den Status der GmbH zukommen. Versäumt er diese, so könne er sich auch strafrechtlich hiermit nicht exkulpieren. Die Überlegungsfrist von drei Wochen bedeute nicht, dass derjenige straflos bleiben müsse, der den Insolvenzfall pflichtwidrig nicht zur Kenntnis nimmt und deshalb gar nicht überlegt. - Die Gegenmeinung für die Fälle einer pflichtwidrigen Nichtzurkenntnisnahme die in 84 Abs. 2 GmbHG normierte fahrlässige Begehungsweise ins Feld. Das Tatbestandsmerkmal schuldhaftes Zögern setze entsprechend 121 I BGB zwingend die Kenntnis der Krise voraus. Es handele sich also um eine echte Überlegungsfrist, welche zum Tragen kommen soll. Nach dieser Ansicht muss der Pflichtige für den Beginn der Frist daher entsprechende Kenntnis aufweisen, wobei jedoch auch keine überzogenen Anforderungen zu stellen sein dürften. KK 156
21 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) dd) Tatzeitpunkt: verstrichene Frist - Lösung: Eine Anknüpfung des Beginns der Dreiwochenfrist an eine positive Kenntnis oder auch nur böswillige Unkenntnis des Täters würde dem durch 84 GmbHG geschützten Rechtsgut nicht entsprechen. Aus einer auf eine partielle Unabdingbarkeit des Vorsatzes hinauslaufenden Subjektivierung würde die faktische Aushöhlung der Fahrlässigkeit resultieren. 64 I GmbHG soll die stetige Vergewisserung des Geschäftsleiters über die wirtschaftliche Lage absichern. Daher kommt es lediglich auf die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes an, damit die Dreiwochenfrist zu laufen beginnt. Soweit ein Sonderpflichtiger den Eintritt der Insolvenz pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat, ist bei späterer Kenntnis bzw fahrlässiger Unkenntnis die Dreiwochenfrist bereits abgelaufen. - Im Fall: Die Frist ist in jedem Fall verstrichen. KK 157
22 e) Insolvenzverschleppung 84 I Nr. 2 GmbHG Fall strafrechtliche Würdigung (Fortsetzung) ee) Sonderproblem: Einwilligung von Gesellschaftern und Gläubigern - Eine Einwilligung des Rechtsgutsträgers kommt nur bei Straftaten gegen ihm zustehende Individualrechtsgüter in Betracht. Da hier Gesellschaft, Gesellschafter, aktuelle und zukünftige Glä u- biger geschützt sind, ist eine Einwilligung grundsätzlich nicht möglich. Wird aber die Rechtsgutsbeeinträchtigung insgesamt ausgeschlossen, kann eine rechtfertigende Einwilligung im Ausnahmefall anzunehmen sein. - Für die Einwilligung durch die Gesellschafter ist dann str., ob die Gesellschafterversammlung mehrheitlich oder einstimmig abstimmen muss. - In Bezug auf die Einwilligung der Gläubiger ist zu beachten, dass alle Gläubiger zustimmen müssen und dass auch die wirtschaftlichen Interessen potenzieller Gläubiger schutzbedürftig sind. Dem kann zb dadurch Rechnung getragen werden, dass die Erklärung der aktuellen Gläubiger als Forderungsverzicht oder Stundung zu werten ist, die dann aber bereits die Za h- lungsunfähigkeit selbst beseitigt, mithin den objektiven Tatbestand entfallen lassen. Im Fall: Einzige Gläubigerin ist nunmehr die K-AG. Da für sie kein Schaden droht, liegt grundsätzlich seitens der aktuellen Gläubiger eine rechtfertigende Einwilligung vor. Vertretbar ist es, davon auszugehen, dass auch dem wirtschaftlichen Interesse potenzieller Gläubiger dadurch Rechnung getragen wird, dass das operative Geschäft der G-GmbH eingestellt wird. KK 158
23 3. Einwilligung Nach herrschender Meinung grundsätzlich ein Rechtfertigungsgrund. Eine Einwilligung des Rechtsgutsträgers ist nur bei ihm zustehenden Individualrechtsgütern möglich. Sind mehrere Inhaber desselben Rechtsgutes, so müssen nach herrschender Meinung alle zustimmen. Daher ist keine Einwilligung in 370 AO und 266 a StGB möglich (zb Schwarzarbeiterfälle). Wenn aber individuelle und überindividuelle Rechtsgutsaspekte gleichrangig nebeneinander treten, kann die Einwilligung der individuellen Rechtsgutsträger unter bestimmten Voraussetzungen rechtfertigend wirken. KK 159
24 Literaturhinweise zum Vereiteln der Zwangsvollstreckung 288 StGB: Krey/Hellmannn Strafrecht BT Bd. 2, 13. Aufl. (2002) Rn 288 ff. Geppert Vollstreckungsvereitelung und Pfandkehr Jura 1987, 427 ff. zur Insolvenzverschleppung: Hefendehl in: Spindler/Stilz (Hrsg) AktG-Kommentar (2007) Kommentierung zu 401 Hellmann/Beckemper Wirtschaftsstrafrecht (2004) Rn 330 ff. Wabnitz/ Janovsky (Hrsg.) Hb. d. Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. (2007) 7. Kap. Rn 10 ff. KK 160
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