Rebirth , Fall 1 Seite 1
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- Heinz Winter
- vor 7 Jahren
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Transkript
1 Rebirth , Fall 1 Seite 1 Ein unpassendes Alter? Der jetzt 25-jährige Michael D., ein Student im 11. Semester Politologie, geht wegen Gewichtszunahme und einem Völlegefühl im Bauch zu seinem Hausarzt. Michael war vor einem Jahr zum ersten Mal aufgefallen, dass sein Bauchumfang zugenommen hat; er hat das auf seinen damals deutlichen Alkoholkonsum zurückgeführt. Neben der Umfangszunahme seine Jeans-Größe hatte sich um drei Größen verändert hatte er damals auch ein frühes Sättigungsgefühl, so dass er mehrere kleine Mahlzeiten einnahm, er war schnell müde und nicht belastbar. Auch die 10 Minuten Fahrradfahren zur Uni, die sonst keine Probleme bereiteten, hatte er aufgegeben und nutzte den RMV. Michael hatte mit 16 Jahren eine erste depressive Episode. Diese hatte damals einen mehrwöchigen stationären Aufenthalt in der Psychosomatik zur Folge, er nimmt immer noch Citalopram in niedriger Dosierung, unter dieser Medikation hatte er bisher eine weitere depressive Episode mit 22 Jahren. Bei Schlafstörungen nimmt er außerdem Clonazepam nach Bedarf; das ihm eigentlich verschriebene Zaleplon hatte er schlecht vertragen. Vor zwei Jahren, bei einem Urlaub in Sizilien, war er akut an einer schweren Grippe erkrankt. Er wurde in Palermo drei Tage stationär untersucht und behandelt; bei seinen Italienisch-Kenntnissen hatte er nicht alles verstanden, aber mitbekommen, dass er Flüssigkeit in der Lunge habe. Michael ist bisher nur in Europa verreist. Er hat bis vor einem Jahr viel Bier getrunken, etwa 4 6 Flaschen pro Tag, und bei Gelegenheiten oder schlechter Stimmung auch einmal doppelt so viel. Er hat zwischen dem 13. und 20. Lebensjahr geraucht (insgesamt 10 pack years), ist danach auf Kautabak umgestiegen, weil das in seiner Gruppe cool war. Er verneint die Einnahme von Drogen.
2 Rebirth , Fall 1 Seite 2 Bei der weiteren Anamnese verneint Michael, jemals Bluttransfusionen bekommen zu haben; er hat auch keine Tattoos, wie der Hausarzt bei der Inspektion bestätigt. Die Familienanamnese ist unauffällig; auch auf Nachfrage verneint Michael, dass in der Familie M. Wilson, Hämochromatose, Zirrhosen oder Hepatitiden beobachtet wurden. Auch M. Crohn oder Colitis ulzerosa werden verneint. Seine Mutter (Direktionsassistentin) ist jetzt 52 Jahre, sein Vater (Architekt) 53 Jahre, sie leben im nördlichen Taunus in einer kleinen Stadt, auch die Großeltern leben noch (derzeitige Diagnosen: D. mellitus, Hypertonie, rel. Niereninsuffizienz, Prostata-Adenom). Michael hat eine jüngere (gesunde) Schwester. Sein Hausarzt weist Michael zur Abklärung in die Gastroenterologie ein.
3 Rebirth , Fall 1 Seite 3 Bei der körperlichen Untersuchung durch den PJ-ler Jens ist Michael in reduziertem Allgemeinzustand und erscheint krank. Die Temperatur ist 36,7 C, HF 67/min, Blutdruck 137/87 mm Hg, Atemfrequenz 147min und die Sauerstoffsättigung 99% unter Raumluft. Michael hat einen BMI von 28,2 kg/m 2, bei der Inspektion fallen keine Exantheme, Narben oder Ikterus auf. Bei einer Oberkörperhochlage von 30 sind die Jugularvenen nicht sichtbar. Auch eine genauere Inspektion der Hände und Füße ergibt keinen Hinweis auf Palmar- oder Plantarerytheme, Spider naevi sind nicht nachweisbar, ebenso wenig ein Caput medusae. Die Auskultation des Abdomens ergibt klare 1. und 2. Herztöne, ohne Geräusche oder einen Gallop. Die Lunge ist in allen Bereichen frei, die Atemgeräusche vesikulär, der Stimmfremitus unauffällig. Das Abdomen ist gespannt, bei der tiefen Palpation in allen Quadranten leicht gespannt. Eine Flüssigkeitswelle läßt sich nicht auslösen. Die Darmgeräusche sind spärlich, aber vorhanden, Flussgeräusche sind nicht hörbar. Die Beine sind warm, die Pulse an Tibialis posterior und dorsalis pedis sind beidseits tastbar. Reflexe sind seitengleich auslösbar, die weitere orientierende neurologische Untersuchung ist unauffällig. Bei der analen Inspektion und digitalen rektalen Untersuchung finden sich keine Hinweise auf Hämorrhoiden, am Fingerling ist etwas brauner Stuhl. Nach Rücksprache mit dem Stationsarzt nimmt Jens Blut ab und veranlasst die bildgebende Diagnostik.
4 Rebirth , Fall 1 Seite 4 Das EKG hat Jens selbst abgeleitet: I avl V1 V4 II avr V2 V5 III avf V3 V6 V1 II V6 Die Laborwerte werden bei der nachmittäglichen Kurvenvisite abgerufen: Hb 14,3% Thrombozyten /µl Leukozyten /µl Na 138 mmol/l K 4,2 mmol/l Kreatinin 0,9 mg/dl Glukose 98 mg/dl GOT 29 U/L GPT 23 U/L Bilirubin (gesamt) 2,1 mg/dl Bilirubin (direkt) 1.0 mg/dl Protein 7,3 g/dl Albumin 4,1 g/dl Lipase 14 U/L PTT 12,7 sec PTZ 29,9 sec INR 1,2
5 Rebirth , Fall 1 Seite 5 Auch das Ultraschall kann Jens vorher machen, bevor es vom Stationsarzt bestätigt wird; die Leber ist etwas echoverstärkt, die Milz deutlich vergrößert und im gesamten Abdomen ist viel Aszites sichtbar, geschätzt mehr als 5 Liter. Auch im CT ist der Aszites sehr gut sichtbar: Am späten Nachmittag wird der Aszites punktiert.
6 Rebirth , Fall 1 Seite 6 Jens und der Stationsarzt lassen insgesamt 3,5 l Aszites ab; die Flüssigkeit ist gelblich und klar. Eine Probe wird in das Labor geschickt: Aszites-Labor 245 Leukozyten/ml Differenzierung: 32% Neutrophile Granulozyten, 28 % Lymphozyten, 39% Histiozyten, 1% Makrophagen 1095 Erythrozyten/ml Protein 4,7 g/dl Albumin 2,5 g/dl Serum-Aszites-Albumin-Gradient 1,6 g/dl LDH 106 U/L Amylase 18 U/L Triglyzeride 56 mg/dl In einer zentrifugierten Probe sind keine Bakterien nachweisbar, Kulturen werden angelegt und bleiben steril. Auch maligne Zellen sind nicht nachweisbar. Die serologischen Ergebnisse, die bei Aufnahme ebenfalls abgenommen wurden, kommen erst am zweiten stationären Tag: HBV-Serologie negativ HCV-Serologie negativ HCV-PCR negativ HIV-Serologie negativ ANA negativ
7 Rebirth , Fall 1 Seite 7 Auch die Speziallabor-Ergebnisse sind nicht weiterführend: alpha-1-antitrypsin 224 mg/dl ( ) Ferritin 601 ng/ml Transferrin-Sättigung 13% Coeruloplasmin 33 mg/dl (16 36) alpha-fetoprotein 3,2 ng/ml (<7,9) NT-proBNP 101 pg/ml (< 100) Im Urin war der Kupfergehalt 24 µg/tag (normal <55); ein nachträglich angefertigtes MRT der Leber zeigt gering ausgeprägte Lappung der Leber, ohne Hinweise auf eine portale oder venöse Thrombose. Nach einer Vorstellung in der Klinikkonferenz werden weitere diagnostische Tests veranlasst.
8 Rebirth , Fall 1 Seite 8 Eine perkutane Leberbiopsie erscheint bei Michael schlecht möglich, daher wird diese Probe transjugulär gewonnen; die histologische Befundung kommt schnell: perizelluläre Fibrose im Sinne einer Maschendrahtfibrose, am ehesten vereinbar mit chronisch venöser Stauung. Kein Hinweis auf nutrotiv-toxischen zirrhotischen Umbau, kein Hinweis auf Hämochromatose oder Kupferablagerungen. Bei der transjugulären Leberbiopsie wurde auch der Lebervenendruck zu 30 mm Hg und der rechtsatriale Druck zu 32 mm Hg bestimmt; der hepatische wedge-druck ergibt ebenfalls einen Druck von 32 mm Hg. Wegen des Aszites ist ein transthorakales Herzecho schwierig durchzuführen; der Kardiologie beschreibt in seinem Befund normale Ventrikelgröße links und rechts, keine Klappenfunktionsstörungen, leicht vergrößerte Vorhöfe links und rechts. Das Ventrikelseptum bewegt sich diastolisch ausgeprägt in Richtung der linken Kammer. Eine Abschätzung der Drücke ist nicht möglich.
9 Rebirth , Fall 1 Seite 9 Am vierten Tag wird ein Herzkatheter in beiden Herzkammern durchgeführt. Im rechten Vorhof beträgt der Druck 29 mm Hg, im rechten Ventrikel sind die Drücke 45 mm Hg systolisch und 30 mm Hg diastolisch. Der pulmonale kapilläre Wegde-Druck ist 30 mm Hg, auch der linksventrikuläre diastolische Druck beim Linksherzkatheter ist 30 mm Hg. Der Herzindex beträgt 1,7 l/m 2 Körperoberfläche. Die rechts- und linksventrikulären Drücke werden im Zeitverlauf aufgezeichnet: Inspiration Ordinate: Druck im rechten Vorhof Inspiration Inspiration Ordinate: Drücke im rechten Ventrikel (unten) und im linken Ventrikel (oben)
10 Rebirth , Fall 1 Seite 10 Diese Befunde sind eindeutig der deutliche Druckabfall in der Vena cava bei Inspiration (Kussmaul'sches Zeichen) weist auf eine Einflussstörung des rechten Ventrikels hin. Auch die Zacke, die systolisch sichtbar ist, belegt diese Form der Störung. In ähnlicher Weise ist auch der linke Ventrikel verändert, auch hier besteht im wesentlichen eine Störung der diastolischen Füllung. Zur weiteren Abklärung wird eine Koronarangiographie durchgeführt die keinen pathologischen Befund ergibt. In der Bildgebung wird ein thorakales CT angefertigt, welches kleine Lymphknoten zeigt, die als am ehesten reaktiv befundet werden. Das Perikard erscheint im CT unauffällig. Beide Vorhöfe erscheinen vergrößert, in Übereinstimmung mit dem Herzecho-Befund. Das anschießend angefertigte MRT bestätigt diese Ergebnisse:
11 Rebirth , Fall 1 Seite 11 Michael hat eine konstriktive Perikarditis. Um die Hämodynamik zu normalisieren, wird das Perikard gefenstert, d.h. es wird zwischen den beiden Ästen des N. phrenicus reseziert. Dieser Eingriff wird zwei Tage später durchgeführt, nach Verlegung auf die Herz-Thorax-Chirurgie. Direkt nach dem Eingriff normalisieren sich die Drücke in den Vorhöfen und Kammern, das Herzminutenvolumen steigt ebenfalls um etwa 50% auf einen altersentsprechenden Normwert. Die pathologische Untersuchung des resezierten Perikards zeigt eine zellarme Fibrosierung, Granulome sind nicht nachweisbar, ebenso wenig wie Mykobakterien. Einige wenige Hämosiderinbeladene Makrophagen weisen darauf hin, dass das Perikard mechanisch belastet worden sein muss, mit kleinen Blutungen in den Herzbeutel hinein. Die vorsichtshalber angelegten Kulturen des Perikards auf säurefeste Stäbchen, Bakterien (einschließlich langsam wachsender Formen) und Pilze blieben steril. Sieben Monate nach der Operation geht es Michael gut. Er hat 14 kg Gewicht abgenommen und ist damit wieder im normalen BMI-Bereich; das Abdomen ist nicht mehr geschwollen, und er fühlt sich wieder in der Lage, durch Frankfurt zu radeln.
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