S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

Transkript

1 Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers by the author S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G: Zwei-Klassen-Pfleger: Werkverträge erobern jetzt auch das Gesundheits-system Autorin: Red. Mitarbeit: Kamera: Schnitt: Claudia Butter Gottlob Schober Janina Selzer Andreas Deinert Helmut Fischer Christian Saal Thomas Schäfer Roland Wittmann Frank Rosam Moderation Fritz Frey: Ein Operationssaal, heimlich gedreht. Zwei Mitarbeiterinnen machen sauber. Die Arbeit ist die gleiche. Aber eine verdient 12,89 Euro, die andere nur neun Euro pro Stunde. O-Ton:»Es ist einfach eine Frechheit, so was zu machen.«guten Abend zu REPORT MAINZ. Da arbeiten also zwei Kolleginnen Seit an Seit und verrichten exakt die gleiche Arbeit. Die eine verdient deutlich weniger als die andere. Und oft kommt noch hinzu: weniger Urlaub und schon gar keine betriebliche Altersversorgung.

2 2 Wie ist das möglich? Ganz einfach: Die Fantasie mancher Arbeitgeber ist scheinbar grenzenlos, wenn es gilt, Personalkosten zu drücken. Da werden Servicegesellschaften gegründet, Leiharbeitsfirmen engagiert oder man greift auf Werkverträge zurück. Dass so etwas in der Fleischbranche üblich ist, darüber haben wir schon berichtet. Doch jetzt trifft es auch Mitarbeiter von Krankenhäusern. Claudia Butter zeigt, wie dort Lohndumping um sich greift. Bericht: Heimlich gedrehte Aufnahmen aus einer Klinik. Sie wurden uns zugespielt. Mitarbeiterinnen desinfizieren die OP-Säle. Die eine verdient neun Euro pro Stunde. Die andere 12,89 Euro. Aber sie machen die gleiche Arbeit. Wie kann das sein? Wir gehen der Frage nach. Treffen Liane Guttke. Sie arbeitet in einer anderen Klinik. Als Servicekraft und Pflegehelferin misst sie Blutdruck, verteilt Essen. Jetzt sollte sie einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben, bei einer Werkvertragsfirma. O-Ton, Liane Guttke:»In diesem Vertrag sind die Bedingungen bedeutend schlechter wie in meinem jetzigen Vertrag. Das heißt, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld, der Urlaub schlechter, der Stundenlohn schlechter. Ich empfinde das als Frechheit, was die mit uns machen.«am Anfang war Liane Guttke an der Klinik selbst angestellt, dann als Leiharbeiterin in einer Tochterfirma. Schon da gab es weniger Geld. Die Werkvertragsfirma ist nicht tarifgebunden. Der Bruttolohn nur noch 7,64 Euro pro Stunde. O-Ton, Liane Guttke:»Ich kann von diesem neuen Vertrag einfach nicht leben. Ich mache jahrelang schon die selbe Arbeit und kriege jetzt schon wieder weniger Geld dafür.«der Klinikbetreiber bestreitet, dass es schlechtere Verträge gibt. Was passiert hier? Kliniken gründen Tochtergesellschaften. Die sind nicht an teure Krankenhaustarife gebunden. Ein Teil des Personals

3 3 wird dort angestellt, bekommt weniger Geld. Die Tochterfirma übernimmt dann bestimmte Aufgaben in der Klinik. Bislang meist per Leiharbeit. Wir treffen den Anwalt von Liane Guttke. Bei ihm häufen sich Fälle, in denen die Tochterfirmen jetzt per Werkvertrag arbeiten. Seit Leiharbeit nicht mehr dauerhaft möglich ist und durch Mindestlöhne teurer wurde. O-Ton, Holger Thieß, Rechtsanwalt:»Deswegen hat man eine neue Strategie entwickelt und greift jetzt systematisch auf Werkverträge zurück, um geringere Löhne zahlen zu können. Aus meiner Sicht eine Riesensauerei, um es mal ganz deutlich zu sagen. Die Vergabe von pflegerischen Tätigkeiten im Werkvertrag ist aus meiner Sicht eine völlig neue Dimension.«Die Sozialstiftung Bamberg. Sie betreibt Kliniken und ein Seniorenheim. Seit die Leiharbeitsgesetze verschärft wurden, arbeiten Stiftung und Tochterfirma auch hier mit Dienstleistungsverträgen, erzählt der Betriebsrat, das sei prinzipiell das gleiche wie ein Werkvertrag. Ihr Vorwurf: O-Ton, Gerhard Sterzer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender»Es ist eine Flucht aus der Tarifbindung.«O-Ton, Felix Holland, Personalratsvorsitzender Sozialstiftung Bamberg:»Es sollen ganz klar Personalkosten gespart werden, und das erfolgt auf dem Rücken der Arbeitnehmer.«In der Tochtergesellschaft angestellt sei sogar Kernpersonal, etwa Altenpfleger. Wer neu dazu komme, werde dort beschäftigt. O-Ton, Gerhard Sterzer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender»Die Lohnunterschiede können teilweise schon recht heftig sein, zum Beispiel eine Stationsleitung in der Altenpflege mit mehrjähriger Berufserfahrung kann hier schon einmal 400 Euro im Monat weniger verdienen.«außerdem fehle die betriebliche Altersvorsorge.

4 4 Sie arbeitet in der Altenpflege bei der Tochterfirma. Aus Angst um ihren Arbeitsplatz will sie nicht erkannt werden. O-Ton, Stimme nachgesprochen:»man fühlt sich als Arbeiter zweiter Klasse, dabei arbeitet man genauso viel. Das ist wahnsinnig ungerecht. Und es motiviert auch nicht. Deshalb läuft alles nicht so rund manchmal. Das bekommen auch die Senioren zu spüren.«hier geht es schließlich um die Pflege von Menschen.Wir konfrontieren den Bamberger Oberbürgermeister mit diesen Zuständen. Er ist Vorsitzender des Stiftungsrats. O-Ton, Andreas Starke, SPD, Stiftungsrats-Vorsitzender»Es ist momentan ein Zustand, der auch mir nicht gefällt. Aber es gibt im Moment dazu keine Alternative. Das betrifft aber nur einen ganz geringen Teil.«Frage: Warum stellen sie diese Mitarbeiter nicht sofort wieder fest an zu einem normalen Tarifvertrag wie die anderen auch? O-Ton, Andreas Starke, SPD, Stiftungsrats-Vorsitzender»Ja, das hängt auch damit zusammen, dass wir uns nach der Decke strecken müssen. Die wirtschaftliche Situation der Sozialstiftung Bamberg ist außerordentlich angespannt.«merkwürdig nur: Die Sozialstiftung hat zuletzt jahrelang Überschüsse erwirtschaftet. Zurück zu den Aufnahmen aus dem OP einer Klinik. Wir zeigen sie Betriebsrätin Ottilie Probst. Sie erklärt, eine der beiden Frauen sei bei der Werkvertragstochter angestellt zu einem schlechteren Tarif, bei gleicher Arbeit. Ein Gericht kam jetzt zu der Auffassung, dass es sich hier um keinen echten Werkvertrag handelt. Die Aufgaben von Mitarbeitern der Klinik und der Tochtergesellschaft seien nicht unterscheidbar, ein abgrenzbares Werk sei nicht zu erkennen. Die Betriebsrätin: verärgert.

5 5 O-Ton, Ottilie Probst, Gesamtbetriebsratsvorsitzende:»Werkverträge, noch dazu Scheinwerkverträge in einem Betrieb zu machen, bloß mit dem Ziel billigere Löhne zu zahlen. Es ist einfach eine Frechheit, so was zu machen.«auf Nachfrage verwehrt sich die Klinik gegen den Vorwurf, Scheinwerkverträge bewusst abgeschlossen zu haben, um Lohnkosten zu sparen. Werkverträge, schlechtere Löhne in Kernbereichen von Kliniken und sozialen Einrichtungen. Für den Sozialwissenschaftler Prof. Stefan Sell hat die Politik hier versagt: O-Ton, Prof. Stefan Sell, Sozialwissenschaftler, Fachhochschule Koblenz: Abmoderation Fritz Frey:»Die Politik hätte schon in den letzten zwei Jahren an die Unternehmen klare Signale senden müssen. Wir sehen, dass Werkverträge missbraucht werden zum Zwecke des Lohndumpings, das wollen wir nicht akzeptieren. Und weil sie es nicht getan hat, haben die Unternehmen gesagt: OK, Feuer frei, wir können dieses Instrument nutzen. Und sie nutzen es immer mehr. Es breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür.«Wie nennt das unser Experte? Ein Krebsgeschwür, das sich ausbreitet. Wer immer nach der Wahl am Sonntag die Nase vorne hat, er sollte sich um dieses Krebsgeschwür kümmern.