S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G:

Transkript

1 Diese Kopie wird nur zur rein persönlichen Information überlassen. Jede Form der Vervielfältigung oder Verwertung bedarf der ausdrücklichen vorherigen Genehmigung des Urhebers by the author S Ü D W E S T R U N D F U N K F S - I N L A N D R E P O R T MAINZ S E N D U N G: Risiko Lebendspende: Warum Nieren- Spender nicht über gefährliche Langzeitfolgen aufgeklärt werden Autor: Kamera: Schnitt: Ulrich Neumann Gottlob Schober Peter Kempter Thomas Schäfer Eduard Sperling Frank Waldschmidt Marcus Kaul Moderation Fritz Frey: Ist es zu verantworten, den nun kommenden Film zu zeigen? So viel vorab, lange wurde in der Redaktion diskutiert, bevor wir die Frage bejaht haben. Worum geht es? Tausende Kranke warten auf eine Spenderniere. Doch weil es zu wenige gespendete Nieren von Toten gibt, springen Angehörige als Spender ein und stellen eine ihrer Nieren zur Verfügung. Kein Problem, auch mit einer Niere kann man gut leben, so der Eindruck, der in der Öffentlichkeit vermittelt wird. Stimmt dieser Eindruck wirklich? Recherchen von Ulrich Neumann und Gottlob Schober.

2 2 Bericht: Christiane Geuer, die heute 32-Jährige war bis vor vier Jahren extrem fit physisch und mental. O-Ton, Christiane Geuer, Nierenspenderin:»Ich war voller Energie. Ich habe eigentlich Leistungssport gemacht. Ich war im Sommer stundenlang auf dem See unterwegs mit dem Wake-Board, war skaten, Skatemarathons von 140 Kilometern gefahren, klettern gegangen in den Alpen, im Winter Snowboarden und war eigentlich voll mit Energie. Manchmal wusste ich gar nicht, wohin mit meiner Energie.«2007: Christiane Geuer spendet ihrer schwerkranken Mutter eine Niere. Uns berichtet sie: Die Klinikärzte hätten ihr gesagt, nach der Spende könne sie ein Leben führen wie vorher. Doch tatsächlich: Sie zahlt beruflich wie privat dafür einen hohen Preis. O-Ton, Christiane Geuer, Nierenspenderin:»Jetzt mit der Teilzeitarbeit, also auf 35 Prozent, da würde ich sagen, habe ich vielleicht noch die Hälfte meiner vorherigen Energie und beim Sport vielleicht auch die Hälfte noch.«vor der Spende hat Christiane Geuer als Fluglotsin gearbeitet. Ein Beruf, der höchste Konzentration erfordert und keine Fehler verzeiht. Auch damit ist es vorbei. O-Ton, Christiane Geuer, Nierenspenderin:»Ich bin nicht mehr als Fluglotsin tätig. Ich habe das über zwei Jahre versucht mit zweimal Wiedereingliederungen im Abstand von einem Jahr, und das ging überhaupt nicht. Da war an kein normales Leben mehr zu denken. Das war eigentlich blanker Horror für mich.«und die Folgen der Spende sieht auch die Mutter und trägt schwer daran.

3 3 O-Ton, Heike Geuer, Mutter von Christiane Geuer, Nierenempfängerin:»Es ist ein unglaublich hoher Preis, den sie zahlen muss, damit ich mich so gesund fühle wie selten in meinem Leben.«2010 spendeten fast 700 Menschen in Deutschland eine Niere an engste Angehörige. In den meisten Fällen ist die Spende komplikationslos. Aber immer wieder klagen Spender nach der Operation über eine schlechtere Leistungsfähigkeit. Was sagen Deutschlands führende Transplanteure zu diesem Erschöpfungssyndrom? Wir sind auf dem Chirurgenkongress 2011 in München. Professor Jürgen Klempnauer von der Medizinischen Hochschule Hannover. Er hat Hunderte Nieren transplantiert. Professor Peter Neuhaus von der Charité in Berlin. Auch er ein international anerkannter Transplanteur. O-Ton, Prof. Peter Neuhaus, Charité Berlin:»Das wäre mir nicht bewusst, dass wir Organspender hätten, die weniger leistungsfähig werden, die irgendwelche Störungen in ihrem körperlichen Empfinden hätten.dass ein solches Müdigkeitssyndrom allein durch die Nierenspende verursacht ist, ist eher unwahrscheinlich.«frage: Und ist auch Stand der Wissenschaft?»Das ist Stand der veröffentlichten wissenschaftlichen Ergebnisse.«Wirklich? Monatelang haben wir recherchiert. Tatsächlich ist die mangelnde Leistungsfähigkeit in einer ganzen Reihe von Fachartikeln dokumentiert.

4 4 Zum Beispiel stellt eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover, also der von Professor Klempnauer, vor einigen Jahren fest: 26 Prozent der Spender klagen über eine schlechtere Leistungsfähigkeit ein Jahr nach der Organentnahme. Damit konfrontiert, räumt Professor Klempnauer im selben Interview kurz darauf ein:»dass ein Viertel davon sagt, dass die Leistungsfähigkeit abgenommen hat nach der Nierenspende, ist im Prinzip besorgniserregend und bedarf weiterer Analyse.«Wir fahren nach Basel. Wir wissen, hier gibt es seit 18 Jahren ein Datenregister über alle Nierenspender in der Schweiz. Das Team um Professor Gilbert Thiel befragt in einer Langzeituntersuchung unter anderem alle Spender alle zwei Jahre nach ihrem Gesundheitszustand. Das ist weltweit einmalig. Obwohl Professor Thiel die Spender gar nicht direkt nach Müdigkeit befragt hatte, klagen acht Prozent spontan darüber. Und das gilt in der Medizin als häufig. Seine Ergebnisse liegen REPORT MAINZ exklusiv vor. O-Ton, Prof. em. Gilbert Thiel, Transplantationsmediziner, Basel:»Ein für mich überraschend häufiger Befund. Ich hatte damit nicht gerechnet. Ich weiß aber, dass diese Spender vor der Spende nicht über Müdigkeit geklagt haben.«nochmals: Professor Thiel hat nicht direkt nach Müdigkeit gefragt. Dennoch geben Spender genau das als Folgewirkung an. Frage: Also kann man davon ausgehen, es gibt auch noch eine Dunkelziffer, die noch größer sein kann? O-Ton, Prof. em. Gilbert Thiel, Transplantationsmediziner, Basel:»Durchaus.«Frage: Müssen darüber potentielle Spender aufgeklärt werden? Was ist Ihre Meinung dazu?

5 5 O-Ton, Prof. em. Gilbert Thiel, Transplantationsmediziner, Basel:»Absolut. Da ist für mich überhaupt kein Zweifel.«Christiane Geuer beteuert: Sie sei über mögliche Leistungseinbußen und andauernde Müdigkeit, dem so genannten Fatigue-Syndrom, nicht aufgeklärt worden. Ist das in Deutschland etwa gängige Praxis?»Wir klären über langfristige psychosoziale Einschränkungen auf, können aber nicht jeden möglichen Umstand einzeln ansprechen.«frage: Also Fatigue-Syndrom wird nicht angesprochen?»nicht als Fatigue-Syndrom als einzelne Komplikation.«O-Ton, Prof. Peter Neuhaus, Charité Berlin:»Ich bin persönlich sehr überzeugt davon, dass diese Störungen mit der Organentnahme keinen Zusammenhang haben. Und ich würde die Patienten oder die potentiellen Spender nur verängstigen, und das halte ich nicht für richtig.«christiane Geuer klagt jetzt wegen Nichtaufklärung über diese Folgewirkung gegen die Transplantationsklinik. Wie ist die Rechtslage? Professor Hans-Ludwig Schreiber, Medizin- und Strafrechtler. Er hat am derzeit gültigen Transplantationsgesetz mitgeschrieben. O-Ton, Prof. em. Hans-Ludwig Schreiber, Medizin- u. Strafrechtler:»Alle belastenden Risiken, alle die Gesundheit beeinträchtigenden und belastenden Risiken darüber muss aufgeklärt werden.«frage: Wenn darüber nicht aufgeklärt wird, ist das ein Gesetzesverstoß?

6 6 O-Ton,, Prof. em. Hans-Ludwig Schreiber, Medizin- u. Strafrechtler:»Das ist ein haftungsbegründendes Verhalten.«Christiane Geuer zusammen mit ihrer Mutter. Ihr geht es mit der gespendeten Niere gut. Fazit: Nierenspenden helfen schwerstkranken Menschen. Aber: Spender müssen umfassend über Risiken aufgeklärt werden. Und da muss sich einiges ändern in Deutschland. Abmoderation Fritz Frey: Jedes Organ, das nicht gespendet wird, aber gespendet werden könnte, ist angesichts der Wartelisten eine Katastrophe. Doch um die schwierige Entscheidung einer Organspende treffen zu können, müssen alle Informationen auf den Tisch. Fälle wie der von Frau Geuer in unserem Film darf es nicht geben.