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1 Postprint This is the accepted version of a paper published in European Journalism Observatory. This paper has been peer-reviewed but does not include the final publisher proof-corrections or journal pagination. Citation for the original published paper (version of record): Klinger, U., Svensson, J. (2014) Vernetzung als Problem: Social Media in der Politik. European Journalism Observatory, Dezember(16) Access to the published version may require subscription. N.B. When citing this work, cite the original published paper. Permanent link to this version:
2 Die Logik vernetzter Medien: Social Media als Herausforderung für Parteien und Politiker Politiker und politische Parteien interessieren sich sehr dafür, das Internet und speziell soziale Netzwerke für ihre Kommunikation mit Mitgliedern, Wählern und Bürgern im Allgemeinen einzusetzen. Obwohl bislang unklar bleibt, wie viele zusätzliche Stimmen sich über Facebook, Twitter & Co. gewinnen lassen, bieten diese Anwendungen ein großes Potential für Dialog, Image- Management und die gezielte Ansprache von (potentiellen) Wählern. Dadurch können Social Media als Brücke wirken zwischen der eher distanzierten massenmedialen Kommunikation und dem direkten, interpersonalen Straßenwahlkampf, bei dem Politiker an Türen klopfen und Hände schütteln. Vor diesem Hintergrund scheint es zunächst überraschend, dass sich politische Akteure im Umgang mit Social Media so schwer tun. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass sie Social Media, wenn überhaupt, zumeist als weiteren Kanal für einseitige Information einsetzen ( broadcasting ). Dagegen findet kaum wirkliche Interaktion mit den Bürgern statt und ein großer Teil ihres Potentials bleibt ungenutzt. Zugleich haben Parteien und andere politische Organisationen ihre Kommunikationsabteilungen aufgestockt, mehr Personal für öffentliche Kommunikation eingestellt und geben mehr Ressourcen für Kommunikationsarbeit aus. Wissenschaftler haben diese Prozesse als Mediatisierung bezeichnet und die Sorge geäußert, Medienlogik könnte die politische Logik überformen. Bereits in den 1980er Jahren zeigten Forscher, wie Politiker durch Medienanforderungen beeinflusst werden und ihre eigene Arbeit an diese Anforderungen anpassen. Dies wird z.b. daran deutlich, wie Politiker ihre Äußerungen so formulieren, dass die Chancen auf mediale Berichterstattung steigen. Allerdings unterscheidet sich nun die Logik sozialer Netzwerke ganz wesentlich von der Logik der traditionellen Massenmedien. Wir bezeichnen dies als die Logik vernetzter Medien (oder network media logic). Mit Logik meinen wir die Normen und Prozesse, die das Kommunikationsverhalten anleiten, sozusagen die Spielregeln. Diese geht über schlichte Unterschiede in einzelnen Aspekten hinaus, sondern betrifft alle drei Dimensionen der Produktion von Inhalten, der Verbreitung von Informationen sowie der Art der Mediennutzung. Obwohl sich die Logik der Massenmedien und die Logik vernetzter Medien oftmals überlappen (wir werden weiter unten ein paar Beispiele dafür 1
3 anführen), sind sie grundverschieden. Daher werden politische Akteure lernen müssen, beide Logiken zu bespielen, wenn sie auch online erfolgreich kommunizieren wollen. Beginnen wir mit der Produktion von Inhalten. Soziale Netzwerke haben die Art und Weise, wie Informationen und Nachrichten entstehen, grundlegend verändert. Am deutlichsten wird dies auf der Akteursebene, durch das Verschmelzen der Rollen von Informations- Produzenten und Informations- Konsumenten. Der größte Teil der Inhalte in sozialen Netzwerken stammt von Amateuren, die möglicherweise über authentisches Wissen und Informationen verfügen, jedoch nicht über entsprechende Expertise und Ressourcen. Produktion bezieht sich auch auf die unterschiedlichen Stile oder Techniken des storytellings, die in Massenmedien und sozialen Netzwerken Anwendung finden. Es ist empirisch gut belegt, dass Journalisten ihre Auswahl von nachrichtentauglichen Informationen anhand ähnlicher Kriterien vornehmen (Nachrichtenfaktoren bzw. Nachrichtenwerte). Ganz anders ist dies in sozialen Netzwerken. Dort ist die Auswahl maßgeblich geleitet von den persönlichen Interessen der Autoren, von Überlegungen, wie sie von anderen wahrgenommen werden wollen und dem Ziel, maximale Sichtbarkeit zu erreichen. Dies führt dazu, dass sich die Informationen, die sich in sozialen Netzwerken verbreiten, deutlich von den Inhalten und Themen in traditionellen Massenmedien und auf journalistisch produzierten Nachrichten- Websites unterscheiden. Soziale Netzwerke ermöglichen vor allem unmittelbare, horizontal vernetzte, interaktive und stark personalisierte Kommunikation. Soziale Netzwerke haben zweitens auch die Art, wie sich Informationen verbreiten, verändert. Es gibt Gründe, warum das Internet voll ist mit Katzenvideos und food porn. Die Verbreitung in sozialen Netzwerken basiert auf Viralität, verstanden als network- enhanced word of mouth. Professionelle Mitarbeiter traditioneller Massenmedien kennen ihr Publikum üblicherweise sehr genau und wissen, dass ihre Publikationen eine bestimmte Anzahl an Abonnenten, Hörern oder Lesern erreichen wird. Auch dies verhält sich ganz anders in sozialen Netzwerken: Dort müssen Publikationen ihre Rezipienten erst finden, die diese dann möglicherweise über ihre Netzwerke an Freunde und Gleichgesinnte (like- minded users) weiter verbreiten. In diesem Sinne gibt es in sozialen Netzwerken kein Publikum. Informationen werden nicht länger vom Sender an einen Rezipienten übermittelt, sondern müssen von Nutzer zu Nutzer verbreitet werden, ähnlich einem Kettenbrief. Daher gestaltet sich die 2
4 Verteilung von Inhalten in sozialen Netzwerken asymmetrisch. Nur ein sehr kleiner Anteil von Postings wird überhaupt wahrgenommen, das meiste bleibt ungesehen. Viralität ist eng verbunden mit Popularität, in dem Sinne, dass soziale Netzwerke die Dominanz populärer Inhalte verstärken. Daraus resultiert ein starker Zusammenhang von Emotionalität und Viralität, da Nutzer eher emotionale und positiv besetzte Inhalte miteinander teilen als negative Inhalte (im Gegensatz zu der massenmedialen Tendenz, bevorzugt negative Inhalte zu veröffentlichen.) Vor diesem Hintergrund wäre es eine sinnvolle Kommunikationsstrategie, Angenehmes in sozialen Netzwerken zu teilen ( sweet talk ) und schlechte Nachrichten über Massenmedien in die Öffentlichkeit zu tragen. Soziale Netzwerke ermöglichen drittens einen hohen Grad selektiver Zuwendung und führen zu fragmentierten Rezipientenstrukturen. Dadurch entsteht eine andere Logik der Mediennutzung. Anders als bei Zeitungen, Radio, Fernsehen oder auch Webseiten gibt es in sozialen Netzwerken kein Publikum. Während traditionelle Massenmedien sich an ein Massenpublikum und die allgemeine Öffentlichkeit richten, kann über soziale Netzwerke zwar eine hohe Zahl selbst- selektierter Nutzer erreicht werden, jedoch nicht eine breite Öffentlichkeit. Nutzer müssen sich heutzutage in einem Überfluss an Informationen zurecht finden und entscheiden, was davon für sie relevant ist daher ist das Teilen von Informationen und Hinweise von Kontakten im eigenen Netzwerk so bedeutsam. Das eigene Netzwerk von Gleichgesinnten und Freunden in sozialen Netzwerken orientiert Nutzer nicht nur über die verfügbaren Optionen, sondern teilt ihnen zugleich mit, was diese in ähnlichen Situationen ausgewählt haben und welche Erfahrung damit gemacht wurden (denken Sie z.b. an Tripadvisor). Wenn wir also unsere Freunde und Kontakte bei Facebook und anderen Plattformen auswählen, schneidern wir gleichzeitig daran, welche Informationen wir künftig bekommen werden und welche nicht. In anderen Worten: Nutzer konstruieren und organisieren ihre soziale Realität durch ihre Netzwerke. Dies wurde wissenschaftlich bereits diskutiert ( in- group polarization oder auch information bubbles ) und schlägt den Bogen zu früheren Studien über persönlichen Einfluss und Herdenverhalten. Ökonomen haben gezeigt, dass Konsumenten den Entscheidungen und Empfehlungen von Anderen folgen, selbst wenn sie selbst über bessere und gegenteilige Informationen verfügen. Dieses Verhalten unterscheidet sich signifikant davon, Informationen zu konsumieren und soziale Realität auf Basis der Empfehlungen professioneller Experten (wie 3
5 Reisejournalisten oder Literaturkritikern) entstehen zu lassen. Zudem verdeutlicht diese Dynamik die Macht des Populären in sozialen Netzwerken. Die Logik vernetzter Medien ersetzt nicht die Logik traditioneller Massenmedien. Soziale Netzwerke funktionieren einfach nach anderen Spielregeln als Zeitungen, Radio oder TV. Das bedeutet aber keineswegs, dass Massenmedien nun obsolet wären oder nur noch eine marginale Rolle spielten. Der Grund ist recht einfach: Die Mehrheit relevanter Informationen wird nach wie vor journalistisch hergestellt, wird über Massenmedien verbreitet und wird von Individuen mit routinisierten Mediengewohnheiten genutzt. In der Realität überlappen sich die Logik vernetzter Medien in sozialen Netzwerken und die massenmediale Logik oftmals: Häufig sind die Inhalte in sozialen Netzwerken nicht nutzergeneriert, sondern verlinken und kommentieren Inhalte aus den journalistischen Massenmedien. Traditionelle Massenmedien versuchen sich ihrerseits an viraler Distribution als Basis für neue Geschäftsmodelle. So bauen sie virale Elemente in ihre Online- Portale ein, wie Listen von populären Artikeln oder Inhalte, die auf algorithmischer Selektion beruhen. Die Grenzen zwischen Journalisten und Nicht- Journalisten verschwimmen zusehends, während Journalisten auch Tweets und Blogeinträge ausserhalb ihrer Arbeitszeit und ihres beruflichen Kontexts schreiben. Jüngere Leute schauen sich Fernsehprogramme zunehmend im Internet an und Medienorganisationen setzen vernetzte Videoplattformen ein, um Inhalte zu bewerben und zu verbreiten. Für Politiker und Parteien ist die Herausbildung der Logik vernetzter Medien eine grosse Herausforderung. Um maximale Wahrnehmung zu erreichen, müssen Politiker so viele Verbindungen und Beziehungen wie möglich aufbauen und unterhalten. Es reicht nicht aus, ein Profil z.b. bei Facebook zu erstellen. Sie müssen auch möglichst viele andere Nutzer als Freunde gewinnen, um Aufmerksamkeit für sich selbst, ihre Partei und ihre Anliegen zu bekommen. Mit vielen anderen verbunden zu sein ist wichtig, denn es signalisiert Popularität. Auch die virale Verbreitung ist zentral. Für politische Akteure bedeutet dies, dass Kommunikationsstrategien in sozialen Netzwerken anders aussehen müssen als jene, die auf traditionelle Massenmedien gerichtet sind mit positiven, personalisierten und emotionalen Inhalten. 4
6 Wir hoffen mit diesen Ausführungen gezeigt zu haben, dass politische Kommunikation sich durch soziale Netzwerke verändert ohne einem technologischen Determinismus zu verfallen, aber auch ohne die Annahme, Technologie sei neutral. Unbeschadet der Tatsache, dass soziale Netzwerke neue Wege für politische Partizipation öffnen können, sind sie dennoch nicht unbedingt besser oder demokratischer als traditionelle Massenmedien. Sie unterscheiden sich nur grundlegend in ihren Formaten und ihrer Logik. Der Beitrag basiert auf Klinger, U., & Svensson, J. (2014). The emergence of network media logic in political communication: A theoretical approach. New Media & Society, doi: Ulrike Klinger ist Oberassistentin am IPMZ Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Jakob Svensson ist Associate Professor of Media and Communication an der Universität Uppsala, Schweden. 5
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