Beitrag: Aufrüstung bei der Bundeswehr Die geheimen Pläne der Ministerin

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Aufrüstung bei der Bundeswehr Die geheimen Pläne der Ministerin Sendung vom 9. Mai 2017 von Marc Lindemann Anmoderation: Vor ein paar Tagen nahm die Bundesverteidigungsministerin Haltung an, nicht für sich, sondern bei anderen. Sie konstatierte "ein Haltungsproblem" bei der Bundeswehr. Es ging um rechtsextreme Umtriebe und den terrorverdächtigen Oberleutnant Franco A. Heute wurde bereits der zweite mutmaßliche Komplize festgenommen. Da waren es schon drei. Ursula von der Leyen muss um ihr Amt kämpfen. Dazu kommen andere Schlachten, die sie zu schlagen hat. Reformstau, Rüstungsausgaben und vor allem: Personalmangel. Wie soll diese Truppe für Deutschlands Sicherheit einstehen? Der Lagebericht von Marc Lindemann offenbart eklatante Lücken bei Mensch, Material und Plänen der Ministerin. Text: Dezember Ursula von der Leyen übernimmt das Kommando über die Bundeswehr. Ihre Vorgänger haben gespart und verkleinert. Die erste Frau an der Spitze hat neue große Ziele. Bundesverteidigungsministerin, am : Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir sind bereit zu führen. Wie die Ministerin das erreichen will, steht jetzt in einem vertraulichen Strategiepapier des Verteidigungsministeriums, das Frontal 21 vorliegt. Es geht um das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Das Ministerium ist überzeugt, die Pläne hätten das Potenzial, die Bundeswehr grundlegend zu verändern. Von der Leyens Abteilung Planung hat es im März 2017 an die

2 Generalität verschickt. Diese grundlegenden Veränderungen die Ministerin hält sie für notwendig. Bundesverteidigungsministerin, am : Wenn wir uns das sicherheitspolitische Umfeld anschauen, dann sehen wir, dass wir eine nie gekannte Dichte und Parallelität der Krisen haben. Die Bundeswehr soll deshalb massiv aufgerüstet werden. Die Zielmarke für die Seestreitkräfte: Zeitgleiches Bereitstellen von mindestens 15 schwimmenden Plattformen inkl. Unterstützungseinheiten über alle Maritime Warfare Areas für den (3-dimensionalen Seekrieg)... Dafür geplant unter anderem: - zwei neue U-Boote - drei neue Flottendienstboote - vier Mehrzweckkampfschiffe - fünf neue Korvetten und die Erneuerung der Minenabwehreinheiten in den kommenden zehn Jahren. Auch für die Luftwaffe soll aufrüsten. Ziel: mehr internationale Lufteinsätze unter deutscher Führung. Ab 2030 soll die Fähigkeit zum Luftangriff mit einem Next Generation Weapon System sichergestellt werden. Das heißt: Neue Kampfjets sollen den Eurofighter ersetzen. Außerdem soll auch ein neues Flugabwehrsystem gekauft werden. Die größte Aufrüstung plant von der Leyen für das Heer. Hier sind acht bis zehn voll ausgerüstete Brigaden geplant. Neue Einheiten sind im Paper rot gekennzeichnet. Damit würden Artillerie- und Panzereinheiten annähernd verdoppelt. Von der Leyen sei überzeugt von einer neuen Bedrohungslage, sagen ehemalige Generäle. O-Ton Hans-Lothar Domröse, General a.d.: Mit dem Einmarsch Russlands in der Krim und dem weiteren Handeln nach wie vor in der Ost-Ukraine, haben wir eine neue Zeitenwende. Es ist etwas passiert, es ist Krieg zurückgekommen nach Europa. Damit hatte vorher keiner gerechnet. Eine öffentliche Debatte über die militärischen Konsequenzen dieser ausgemachten Zeitenwende will die Verteidigungsministerin offenbar nicht führen.

3 O-Ton Frontal 21: Frau Ministerin, Lindemann, Frontal 21. Ich würde gern mit Ihnen über die Aufrüstungspläne ganz kurz sprechen. Ihr Sprecher beschwichtigt später: O-Ton Boris Nannt, Oberst i.g., Sprecher Bundesverteidigungsministerium: Was wir machen, sind ganz normale begrenzte Anpassungen, die wir auch im Rahmen dieses Planungsprozesses untersuchen. Auch für den Koalitionspartner sind die geheimen Pläne offenbar ein ganz normaler Vorgang. O-Ton Rainer Arnold, SPD, Verteidigungspolitischer Sprecher: Diese Wende ist auch keine Aufrüstung, dann sind wir erst wieder in der Lage das anzubieten und ins Bündnis einzubringen, was wir eigentlich auf dem Papier stehen haben. Und natürlich hat der Umgang Russlands mit der Ukraine dazu geführt, dass man innerhalb der NATO wieder stärker an den Artikel 5, also die kollektive Verteidigung, denkt. Und Abschreckung muss glaubhaft sein und deshalb muss Deutschland seine eigenen Mängel beseitigen. Doch wer neue Kampfbrigaden will, braucht nicht nur Panzer, sondern Zehntausende zusätzliche Soldaten. O-Ton Marco Seliger, Militärexperte: Kampfpanzer allein sind es ja nicht, sondern ich brauche auch Personal für Kampfpanzer. Ich brauche Personal, das die Kampfpanzer bedienen und fahren kann und ich brauche auch Personal, das die Panzer warten und reparieren kann. Und dieses Personal ist in den vergangenen Jahren abgebaut worden. O-Ton Tobias Lindner, B 90/DIE GRÜNEN, Mitglied Verteidigungsausschuss: Wo Frau von der Leyen die zusätzlichen Soldaten herbekommen will, das ist ihr Betriebsgeheimnis. Sie hat heute schon enorme Probleme im Personal. Das beginnt darin, dass sie im Haushalt jedes Jahr woanders Geld hernehmen muss, um Personal überhaupt bezahlen zu können. Geht dann natürlich über Probleme bei der Personalgewinnung und teilweise hohe Abbruchquoten. Schon heute sind Stellen unbesetzt, deshalb startete Ursula von Leyen bereits vor über drei Jahren ihre sogenannte Attraktivitätsoffensive:

4 Bundesverteidigungsministerin, am : Mein Ziel ist es, dass die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgebern in Deutschland wird. Schwerpunkte der Ministerin: Kitas in Kasernen, Teilzeitarbeitsmodelle, die 41-Stunden-Woche und Geldprämien für längere Dienstzeiten. Außerdem wirbt sie um neue Zielgruppen, plant die Öffnung der Bundeswehr für EU-Ausländer. Doch das reicht offenbar nicht. O-Ton Marco Seliger, Militärexperte: Gleichzeitig hat die Bundeswehr aber auch damit begonnen, ihre Anforderung an die Soldaten zu reduzieren. Man stellt also beispielsweise inzwischen Soldaten ein, die nicht mal einen Hauptschulabschluss haben. Die können diesen Hauptschulabschluss aber in der Bundeswehr nachholen. Auch das halte ich für einen gangbaren Weg. Das wird aber langfristig nicht das Personalproblem lösen. Ein weiterer Versuch an neue Rekruten zu kommen. Das Verteidigungsministerium gibt Millionenbeträge für Plakatkampagnen und Werbevideos aus, eröffnet Rekrutierungsbüros. Das Ministerium glaubt an den Erfolg. O-Ton Boris Nannt, Oberst i.g., Sprecher Bundesverteidigungsministerium: Wir haben ja bereits Anfang 2014 angefangen mit der Agenda Attraktivität. Haben dort ein riesen Bündel an Maßnahmen mit 55 Maßnahmen eingeleitet. Da geht s drum, um eine höhere Finanzierung der Gehälter, es geht darum, mehr Attraktivität, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, also ein Bündel an Maßnahmen. Und wir sehen, dass diese Maßnahmen greifen. Der Wehrbeauftragte des Bundestages kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. In seinem aktuellen Jahresbericht heißt es: Die Bundeswehr leidet nach wie vor unter dem erheblichen Personalmangel in einer Reihe von Laufbahnen und Verwendungen. O-Ton Marco Seliger, Militärexperte: Die Bundeswehr hat ein erhebliches Imageproblem. Das besteht darin, dass es in der Bundeswehr aktuell Soldaten gibt, die ihren Kindern oder ihren Bekannten nicht empfehlen würden, den Dienst in der Bundeswehr zu leisten. Ursula von der Leyen hat seit letzter Woche weit mehr als ein Image-Problem. Mehrere Offiziere sollen ein rechtsextremes Netzwerk aufgebaut haben, stehen unter Terrorverdacht, hatten angeblich Politiker im Visier. Da wirken Hakenkreuzschmierereien und Wehrmachtbildchen an der Wand fast harmlos.

5 Heute wurde ein weiterer Soldat verhaftet und dem Generalbundesanwalt vorgeführt. O-Ton Sprecherin Bundesanwaltschaft: Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, aus einer rechtsextremistischen Gesinnung heraus, gemeinsam mit den bereits Ende April festgenommenen Franco A. und Mathias F. eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Zu Beginn des Skandals suchte die Ministerin die Verantwortung bei anderen: Bundesverteidigungsministerin, am in der ZDF- Sendung Berlin direkt: Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und sie hat offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen. Dabei hat sie die Probleme mit rechten Radikalen in der Bundeswehr auch nicht in den Griff bekommen: 63 rechtsextreme Vorkommnisse allein Zwei Beispiele: Ein Soldat fährt vor ein Flüchtlingsheim mit einer auf der Motorhaube befestigten Reichskriegsflagge. Er zeigt eine Handbewegung, die das Durchschneiden der Kehle darstellte. Die Asylbewerber seien in Panik verfallen. Ein anderer ruft z.b. Heil Hitler, Sieg Heil, Heil unserer Führer, Sieg Heil Kameraden und hat. In Belsen in Belsen da hängen sie an den Hälsen, während einer Dienstfahrt gesungen. O-Ton Ulla Jelpke, Die Linke, MdB: Sie hat jahrelang weggeschaut, hat nicht wahrgenommen, dass das ein riesen Problem ist oder wollte es nicht wahrhaben. Und deswegen muss man, denke ich, die Frage stellen, ob diese Verteidigungsministerin noch tragbar ist. Die Ministerin steht unter Druck. Auch ehemalige Generäle suchen nach Antworten. O-Ton Hans-Lothar Domröse, General a.d.: Heute muss man sagen, natürlich die Bevölkerungsverankerung ist natürlich durch das Fehlen der Wehrpflichtigen etwas zurückgegangen. Und in der Gefahr steht jede Berufsarmee, dass sie sich separiert, vom Volk allgemein. Das ist in Amerika, genau wie in Frankreich oder Großbritannien der Fall und diese Erfahrung machen wir jetzt.

6 Wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine Lösung der Personalprobleme? Würden die Skandale weniger? Kaum einer will darüber offen reden nur der Verband der Reservisten. O-Ton Oswin Veith, Präsident Verband der Reservisten der deutschen Bundeswehr: Wir können uns vorstellen, dass dieses Land gut damit fährt, eine allgemeine Bürgerpflicht, eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen. Das ist unsere Beschlusslage kam unter einem Verteidigungsminister der Union das Ende der Wehrpflicht. Die Regierung setzte auf eine Bundeswehr vor allem für Auslandseinsätze in Krisengebieten. Ein strategischer Fehler sagt einer von von der Leyens Vorgängern. O-Ton Volker Rühe, CDU, ehemaliger Bundesverteidigungsminister ( ): Es geht darum, dass, wie ich glaube, gerade auch die Union, die ja die Verantwortung in den letzten zehn Jahren gehabt hat, den sicherheitspolitischen Kompass verloren hat, etwas orientierungslos wirkt, obwohl die Sicherheitspolitik eigentlich immer unser Markenzeichen war. Einen Weg zurück zur bürgernahen Armee, zum Bürger in Uniform eine Illusion. O-Ton Volker Rühe, CDU, ehemaliger Bundesverteidigungsminister ( ): Wenn Sie eine größere Zahl von Soldaten brauchen und wenn Sie dann die Wehrpflicht wiedereinführen, dann ist das so krisenverschärfend, dass es fast ein Schritt in Richtung des Krieges ist. Und deswegen ist auch das eine der Lebenslügen der deutschen Politik, dass man den Leuten gesagt hat, regt euch nicht auf, die Wehrpflicht wird ja nur ausgesetzt und sie wird nicht abgeschafft. Sie ist abgeschafft. Eine Ministerin mit großen Problemen: Rechtsradikale in Uniform, zu wenig Personal und trotzdem große Aufrüstungspläne. Abmoderation: Im Fall Franco A. muss die Bundesverteidigungsministerin morgen Rede und Antwort stehen vor den Abgeordneten in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.