Zur Begutachtung der Reisefähigkeit bei psychischen Störungen
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- Martin Langenberg
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1 Zur Begutachtung der Reisefähigkeit bei psychischen Störungen PD Dr. E. Richartz-Salzburger Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Klinische Geriatrie Referat für Gesundheit und Umwelt, LH München 66. Wissenschaftlicher Kongress des BVÖGD Reutlingen, 30. April 2016
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3 4 Säulen des Verfolgungsschutzes Asyl-Gesetz GFK Subsidiärer Schutz Nationale Abschiebungs- Verbote Anerkennung als politisch verfolgter Asylberechtigter Verfolgung wg. Rasse, Religion, Nationalität, polit. Gesinnung Todesstrafe, Folter, menschenerniedrigende Behandlung Erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Herkunftsland Art 16a I GG 3 I + IV AsylVfG 60 I AufenthG 60 II AufenthG 60 V + VII AufenthG
4 Krankheit als Abschiebehindernis Zielstaatbezogenes Abschiebehindernis Wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes z.b. aufgrund fehlender Behandlungsmöglichkeiten Gefahr der Retraumatisierung im Herkunftsland Entscheidung durch BAMF Inlandsbezogenes Abschiebehindernis Erhebliche und konkrete Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch den Abschiebevorgang selbst Entscheidung durch die örtliche Ausländerbehörde
5 Reisefähig? Transferfähig? Transportfähig? Flugfähig? Rückkehrfähig?
6 Innenministerielle Forderungen: Verbesserung = Beschleunigung der Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern Einsatz von Flugärzten zur Beurteilung der Flugtauglichkeit Deutscher Ärztetag: Beurteilung der alleinigen Reisefähigkeit i.s. von Transportfähigkeit nicht ausreichend: Sowohl zielstaats- als auch inlandsbezogene Abschiebehindernisse sind im Einzelfall zu berücksichtigen Kritik an der Beurteilung durch Flugärzte
7 Erweiterte Reisefähigkeit Keine isolierte Betrachtung der Transportfähigkeit Berücksichtigung der Auswirkungen einer Ankündigung der Abschiebung Berücksichtigung der Krankheitsprognose im Zielstaat 25 Abs. 5 AufenthG: Schutz bei schwerer Erkrankung Schutz vor wesentlichen durch den Reisevorgang oder die Abschiebung als solche bedingte Gesundheitsgefahren.
8 Fragen der Ausländerbehörde an die Gutachter 1. Welche Medizinische Diagnose ist erhoben worden? 2. Folgt aus dem Untersuchungsergebnis Reisetauglichkeit? 3. Kann die Reisetauglichkeit mit begleitenden Vorsorgemaßnahmen bejaht werden? (e.g. pflegerische Betreuung...) 4. Welche Behandlung ist erforderlich? Welche Dauer beträgt diese voraussichtlich? 5. Besteht im Falle der Rückführung ein Suizidrisiko? 6. Gehen von dem Probanden erkennbare Gefährdungen für Dritte aus (e.g. Infektionsrisiko)?
9 Gutachten-Aufbau Rahmenbedingungen Auftraggeber, Fragestellung, zugrundeliegende Befunde, Ort und Zeit der Begutachtung, Angaben zu Dolmetscher NB: Krankheitsspezifische und kulturelle Besonderheiten Anamnese a) Fremdanamnese (e.g. Therapieberichte) b) Eigenanamnese Befunderhebung Psychischer Befund (AMDP) Persönlichkeits- und Verhaltensbeobachtung ggf. Zusatzuntersuchungen Diagnose Beantwortung der Zuleitungsfragen
10 Psychischer Befund Befunderhebung gem. AMDP Bewusstseinslage, Orientierung, Kognitive Leistungen: Gedächtnis, Aufmerksamkeitsspanne, Konzentration, formale und inhaltliche Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Ich- Störungen, Antrieb, Psychomotorik, Grundstimmung, affektive Auslenkbarkeit, Suizidalität Persönlichkeits- und Verhaltensbeobachtung Eingangsszene: Äußeres Erscheinungsbild, Auftreten, Beziehungsgestaltung, szenische Informationen Identifizierung bewusster Copingstrategien und unbewusster Abwehrmechanismen (Bagatellisierung, Verleugnung, Rationalisierung, Projektion ) Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene
11 Diagnose Diagnosen gem. ICD 10 /DSM V Comorbiditäten Funktionelle Diagnose (cf. ICFDH) mit Beschreibung von Leistungseinschränkungen Mini-ICF für psychische Erkrankungen (Linden M et al., 2005) Spezifische Fähigkeitsstörungen als Folge bestimmter psychopathologischer Symptome
12 Psychoreaktive Traumafolgen Akute Belastungsreaktion (F43.0) Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) Anpassungsstörung (F43.2) Rezidivierende depressive Störungen (F33) Angststörungen (F40, F41) Dissoziative Störungen (F44) Andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung (F62.9) Dissoziative Identitätsstörung (Multiple Persönlichkeitsstörung) (F 44.81)
13 Traumafolge-Störungen: Komorbidität Depressive Störungen Angst- und Panikstörungen Suchterkrankungen Somatisierungsstörungen: Somatoforme Schmerzstörung! Essstörungen Sexuelle Dysfunktion Borderline-Persönlichkeitsstörung
14 Posttraumatische Belastungsstörung Eingangskriterium: Trauma ICD 10 Der Betroffene war (kurz oder lang anhaltend) einem belastenden Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. DSM IV A 1: Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv) A 2: Subjektive Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
15 Besonderheiten der Begutachtung von Probanden mit psychoreaktiven Traumafolgen Traumatische Erinnerungen Teil des impliziten Gedächtnisses: nonverbal, nicht symbolisierbar Schuld- und Schamgefühle Angst vor unerträglichen, unkontrollierbaren Affekten Bei Thematisierung u.u. Intrusionen, flashbacks, Dissoziationen
16 Traumaspezifische Beziehungsaspekte Angst, Unsicherheit, Misstrauen des Probanden Mangelnde Mentalisierungsfähigkeit des Traumatisierten Wirksamkeit archaischer Abwehrmechanismen (Spaltung, Ungeschehenmachen, Identifikation mit dem Aggressor ) Containment
17 Beantwortung der Zuleitungsfragen 1. Medizinische Diagnose ICD 10-Diagnosen Anschauliche Darstellung von Symptomen und resultierenden Funktionseinschränkungen (vgl. ICF) 2. Reisetauglichkeit Differenzierte Äußerung zur erweiterten Reisefähigkeit (zu erwartende Auswirkungen auf aktuelle Symptomatik, u.u. Hinweis auf eingeschränkte Kompensationsfähigkeit) 3. Vorsorgemaßnahmen 4. Behandlung Therapievorschlag mit Zeitangabe 5. Suizidrisiko z.b. unwägbar, nicht auszuschließen, mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen Erkennbare Gefährdungen für Dritte
18 Asylpaket II Unverändert: Aussetzung der Abschiebung bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankung Im Gesetzentwurf (2/2016) vorgesehene Neuerungen: Psychische Erkrankungen: schwer diagnostizier- und überprüfbar. Abschiebung bei PTBS regelmäßig möglich außer im Fall einer wesentlichen Gesundheits- oder Selbstgefährdung Medizinische Versorgung im Zielstaat muss nicht dem deutschen Standard entsprechen Qualifizierte ärztliche Bescheinigung innerhalb von 14 Tagen
19 Änderung des Aufenthaltsgesetzes v lt. Bundesgesetzblatt v (7)1 Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist 60 a (2c) Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (2d) Der Ausländer ist verpflichtet, eine entsprechende ärztliche Bescheinigung unverzüglich vorzulegen
20 Berufsordnung für Ärzte 2 Allgemeine ärztliche Berufspflichten (1) Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können.
21 ...Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden...
Grundbedingungen nach Jaspers (1965)
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