6. Steuerungstechnik Teil IV
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- Martin Diefenbach
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1 6. Steuerungstechnik Teil IV Das gezielte Beeinflussen von Vorgängen, denen ein schrittweiser, d.h. diskreter Ablauf zugrunde liegt, gehört in der Automatisierungstechnik neben der Regelung bzw. Steuerung kontinuierlicher Prozesse zu den am häufigsten vorkommenden Aufgaben. Solche Probleme treten z.b. in der Fertigungstechnik auf, wie das Beschicken von Arbeitsmaschinen, in der Verfahrenstechnik als Chargenprozesse, etc.. Charakteristisch für diese Aufgaben ist, dass die Zustände der Prozesse durch Größen, die nur endlich viele Werte annehmen können, charakterisiert werden. Bei einfach zu überblickenden, ausschließlich sequentiell ablaufenden Prozessen ist der Nachweis der Funktionsfähigkeit der Steuerung noch relativ einfach, da sämtliche auftretenden Zustände erfasst werden können. Enthält das System hingegen nebenläufige Prozesse mit der Nutzung gemeinsamer Betriebsmittel, so besteht beispielsweise die Gefahr von Verklemmungssituationen. Dies sollte im Rahmen der Analyse eines Steuerungssystems einfach festgestellt werden können. Eine diskrete Steuerung arbeitet, im Gegensatz zu einer Steuerung im Kontinuierlichen, in einem geschlossenen Wirkungskreis. Die gegenseitigen Kopplungen der Vorgänge in einem diskret gesteuerten System charakterisieren das dynamische Verhalten. Im nachfolgenden Kapitel wird gezeigt, wie mit Hilfe von Petri-Netzen das dynamische Verhalten beschrieben und hinsichtlich gewisser Anforderungen überprüft werden kann. 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Die nachfolgend behandelten Petri-Netze gehören zur Klasse der sogenannten Stellen/- Transitionen Netze (S/T Netze), die sich für die Modellierung von Systemen mittlerer Größenordnung und Komplexität eignen Ein einführendes Beispiel Abbildung 6. zeigt das Verfahrensbild einer einfachen chemischen Anlage. Dabei handelt es sich um eine sogenannte kooperative Kopplung zweier Prozesseinheiten R und R2 über einen Zwischenspeicher B. In der Prozesseinheit R wird ein definiertes Volumen an Stoff produziert und anschließend in den Zwischenspeicher B, welcher maximal zwei Chargen aus R fassen kann, abgelassen. Erst wenn B zwei Chargen Produkt enthält, wird dessen Inhalt komplett nach R2 abgelassen. Dazu muss R2 leer sein. Die Aufgabe besteht nun darin, das Produktionssystem in Form eines Petri-Netzes zu modellieren Syntax und Darstellung Petri-Netze sind gewisse Sonderfälle gerichteter Graphen. 3
2 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Einsatzstoffe R Einsatzstoff B R2 Abbildung 6.: Verfahrensfließbild einer chemischen Anlage. Definition 6.. Ein gerichteter Graph (Digraph) G =(X, Y ) besteht aus der Menge der Knoten X und der Menge der Kanten Y. Jedem Element y Y wird genau ein geordnetes Paar (a, b) X X von Knoten a, b X zugeordnet. Petri-Netze können nun folgendermaßen definiert werden. Definition 6.2. Ein Petri-Netz ist ein 6-Tupel N =(S, T, F, K, W, M 0 ) mit () der nichtleeren, endlichen Stellenmenge S =,,...,s S ª, (2) der nichtleeren, endlichen Transitionsmenge T =,,...,t T ª, (3) der nichtleeren Kantenmenge F (Flussrelation), wobei jeder Kante genau ein Paar aus (S T ) (T S) zugeordnet ist, (4) der Funktion K : S N \{0}, der Kapazität jeder Stelle, (5) der Funktion W : F N \{0}, demgewichteinerkanteund (6) der Anfangsmarkierung M 0 : S N. 32
3 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Für ein Petri-Netz gilt nun offensichtlich X = S T und Y = F. Es existieren aber nur zwei Arten von Knoten, und nur Knoten verschiedenen Typs dürfen miteinander verbunden werden. Ohne besondere Einschränkung wird im Folgenden vorausgesetzt, dass ein Petri- Netz keine mehrfachen Kanten zwischen zwei Knoten und keine Schlingen besitzt. Solche Petri-Netze heißen auch rein. Bei reinen Petri-Netzen ist eine Kante durch Angabe der mit ihr verbundenen Knoten eindeutig bestimmt. Es gilt also F (S T ) (T S) und weiters für alle Kanten, falls (s i,t j ) F dann (t j,s i ) / F Abbildung 6.2: Zu den Symbolen eines Petri-Netzes. Die Symbole der graphischen Darstellung eines Netzes N =(S, T, F, K, W, M 0 ) mit den speziellen Werten S = {, } T = {, } F = {(, ), (, ), (, ), (, )} K( )=0 K( )= 7 W (, )= W (, )=2 W (, )= W (, )=3 M 0 ( )= M 0 ( )=0 sind Abbildung 6.2 zu entnehmen. Die Stellen s i S werden durch Kreise symbolisiert. Sie sind die passiven Elemente des Netzes. In den Kreis wird ihre Kapazität eingetragen, wobei die Kapazität die Anzahl der Marken angibt, die eine Stelle aufnehmen kann. Nicht beschriftete Stellen haben die Kapazität eins. Die Transitionen t i T werden durch Rechtecke dargestellt. Sie sind die aktiven Elemente, die durch Schaltvorgänge den Markenfluss im Netz verursachen. Netzknoten werden durch Kanten der Art (s, t) oder (t, s) verbunden, wobei das Gewicht angibt, wieviele Marken bei einem Schaltvorgang über die Kante fließen. Nicht beschriftete Kanten haben das Gewicht eins. Haben alle Kapazitäten und Gewichte eines Netzes den Wert eins, heißt es Bedingungs/Ereignis-Netz (B/E-Netz). Das Petri-Netz zur Chemieanlage von Abbildung 6. ist Abbildung 6.3 zu entnehmen mit 33
4 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV s 9 s 6 s 8 s s 4 t 7 s 5 Abbildung 6.3: Petri-Netz zur Chemieanlage von Abbildung 6.. der nachfolgenden Interpretation der Netzelemente. Stellen Transitionen B ist mit M ( ) Chargen gefüllt Start des Ablassens aus B nach R2 R2 ist leer Ende des Ablassens aus B nach R2 Ablassen aus B nach R2 Start des Ablassens aus R nach B s 4 B ist frei für M (s 4 ) Chargen Ende des Ablassens aus R nach B s 5 R2 ist voll Start der Produktion in R s 6 R enthält Produkt Ende der Produktion in R s 7 Ablassen aus R nach B t 7 Ablassen von R2 s 8 Füllen von R (Einzelheiten sind im Netzmodell s 9 Produktion einer Charge in R nicht beachtet) Neben der graphischen Beschreibung, lassen sich reine Petri-Netze auch mittels Matrizen darstellen (vektorielle oder algebraische Beschreibung). Definition 6.3. Einem Petri-Netz werden die Größen Transitionsvektor, Netzmatrix, Kapazitätsvektor und Anfangsmarkierungsvektor gemäß nachfolgenden Vorschriften zugeordnet. () Für den Transitionsvektor t j zu einer Transition t j T t j = t j t j2. t j S Z S 34
5 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV gilt mit i =,..., S und j =,..., T. W (s i,t j ) falls (s i,t j ) F t ji = W (t j,s i ) falls (t j,s i ) F 0 sonst (2) Die aus den Transitionsvektoren gebildete Matrix N =,,...,t T heißt Netzmatrix. (3) Der Kapazitätsvektor z wird aus den Kapazitäten der Stellen s i gemäß der Beziehung K( ) K(s z = 2). K(s S ) gebildet. (4) Der Anfangsmarkierungsvektor m 0 enthält die Anfangsmarkierungen nach der Vorschrift M 0 ( ) M m 0 = 0 ().. M 0 (s S ) Für das einfache Petri-Netz von Abbildung 6.2 sind diese Größen durch 3 0 N =, z = und m = 0 gegeben Erreichbarkeitsgraph Definition 6.4. Es gelte x, y S T für die Knoten eines Petri-Netzes N. () Die Menge aller Knoten x S T, von denen Kanten zum Knoten x führen, heißt Vorbereich von x : x = {y (y, x) F }. (2) Die von x zu erreichenden Knoten heißen Nachbereich x. Es gilt: x = {y (x, y) F }. 35
6 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Beim Schalten einer Transition t werden jeder Stelle des Vorbereiches s i t eine dem Gewicht der zugehörigen Kante entsprechende Markenanzahl entzogen und jeder Stelle des Nachbereiches s i t entsprechend dem Gewicht der zuführenden Kanten hinzugefügt. Eine Transition heißt schaltfähig, wenn durch ihr Schalten eine zulässige Markierung erzeugt wird. Zum tatsächlichen Schalten ist jedoch eine externe Eingabe vonnöten. Definition 6.5. Eine Transition t ist schaltfähig unter einer Markierung M, man nennt sie M-aktiviert, wenn 0 m + t z gilt. Durch Schalten einer Transition t entsteht eine Folgemarkierung m 0 = m + t. Obige Schaltregel heißt auch starke Schaltregel. Berücksichtigt man die Kapazität der Stellen nicht (die rechte Ungleichung), spricht man von der schwachen Schaltregel. Definition 6.6. Eine Transitionsfolge σ =,,...,t n mit t i T, für i =,...,n heißt Schaltsequenz. Eine Schaltsequenz heißt anwendbar bei M, wenn gilt. 0 m + ix t k z für i =,...,n k= Definition 6.7. Eine Markierung M eines Petri-Netzes N heißt erreichbar, falls eine anwendbare Schaltsequenz existiert, die M 0 in M überführt. Die Menge aller erreichbaren Markierungen heißt Erreichbarkeitsmenge, und man schreibt dafür R N (M 0 ). Die Erreichbarkeitsmenge wird im Allgemeinen als Digraph (Erreichbarkeitsgraph) dargestellt. Abbildung 6.4 zeigt den Erreichbarkeitsgraphen für das einfache Petri-Netz von Abbildung 6.2. Auf analoge Art und Weise lässt sich der Erreichbarkeitsgraph für das Petri-Netz der Chemieanlage Abbildung 6.3 bestimmen (siehe Abbildung 6.5). Aufgabe: Welche Markierungen liegen in Abbildung 6.5 bei m 0 bis m 24 vor? Satz 6.. Ist M eine erreichbare Markierung eines Petri-Netzes N, dann besitzt das Gleichungssystem m = m 0 + Nv eine nichtnegative, ganzzahlige Lösung v. 36
7 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV t t t Abbildung 6.4: Erreichbarkeitsgraph zum Petri-Netz von Abbildung 6.2. Man beachte, dass v nur angibt wie oft eine Transition schaltet, aber nicht in welcher Reihenfolge die Schalthandlungen auszuführen sind. Eine Markierung ist auch nur dann erreichbar, wenn alle Zwischenmarkierungen bei der Überführung von m 0 zu m zulässig sind. Obiger Satz ist also nur ein notwendiges Kriterium. So folgt im Beispiel nach Abbildung 6.4 für 8 m = 6 nach obigem Satz 4 v =. 5 Man überzeugt sich leicht, dass die Schaltsequenz σ =,,,,,,,, m 0 in m überführt. Für 0 m = 7 folgt 5 v =. 6 Wie man Abbildung 6.4 entnehmen kann, ist diese Markierung aber nicht erreichbar Qualitative Eigenschaften Reversibilität Reversible Netze besitzen die Eigenschaft, dass der Anfangszustand von allen sich ergebenden Folgezuständen wieder erreicht werden kann. Reversibilität ist dann eine wünschenswerte Eigenschaft, wenn die Anfangsmarkierung einen Zustand beschreibt, der Teil des 37
8 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV t m 0 m 5 m t 2 6 m t 3 m4 3 t m 4 5 m6 t 7 t 7 t 7 t m 23 m 2 m 22 m 20 m 9 m 8 5 m 4 t 7 m 24 m 3 t 7 m 2 m 5 t 7 t 7 m m 0 m 9 m 8 t 7 t 7 m 6 m 7 m 7 t 7 Abbildung 6.5: Erreichbarkeitsgraph zum Petri-Netz von Abbildung 6.5. gewünschten Ablaufes ist. Falls die Anfangsmarkierung einen Ruhezustand des Systems beschreibt (z.b. einen Zustand, in dem alle Behälter leer sind), dann ist man möglicherweise nicht daran interessiert, diesen Zustand während des Prozesses wieder zu erreichen. Definition 6.8. Ein Petri-Netz N heißt reversibel, wenn für alle Markierungen M, M 2 R N (M 0 ) gilt M 2 R N (M ) und M R N (M 2 ). Satz 6.2. Ist N ein reversibles Petri-Netz, dann besitzt das Gleichungssystem Nv = 0 eine nichtnegative, ganzzahlige Lösung v 6= 0. Aus dem Grund, dass bei der Bedingung von Satz 6.2 auch nicht zulässige Zwischenmarkierungen auftreten können, ist sie lediglich notwendig. Für das Petri-Netz der Chemieanlage von Abbildung 6.3 ist die Forderung nach Reversibilität sinnvoll, da die Anfangsmarkierung einen Zustand des Produktionssystems kennzeichnet, der Teil des Sollverhaltens ist. Beschränktheit Petri-Netze können unbeschränkte Erreichbarkeitsmengen besitzen. Die nachfolgende Eigenschaft schließt dies aus. Definition 6.9. Die Stelle s eines Petri-Netzes N heißt k-beschränkt bei M 0,wennfür alle M R N (M 0 ) eine positive ganze Zahl so existiert, dass M(s) k gilt. Das Netz N heißt beschränkt bei M 0, wenn jede Stelle beschränkt ist. Man nennt ein Netz sicher bei M 0,wennjedeStelledurchk =beschränkt ist. 38
9 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV In den hier behandelten Fällen ist sehr oft zu fordern, dass die Netze beschränkt sind. Unbeschränktheit kann z.b. bedeuten, dass eine unendliche Menge von Ressourcen zugelassen wird, oder dass begrenzte Kapazitäten von Ressourcen überschritten werden, was praktisch zu einer Fehlfunktion der Steuerung führen kann. Lebendigkeit In Petri-Netzen können Markierungen auftreten, von denen aus nicht mehr alle Transitionen aktivierbar sind: Im Falle der totalen Verklemmung liegt eine Markierung vor, in der keine Transition mehr schalten kann. D.h., es wird eine Situation bezeichnet, wo sämtliche ablaufenden Prozesse zum Stillstand kommen. So etwas ist generell zu vermeiden. Bei einer partiellen Verklemmung tritt eine Markierung auf, bei der nur noch ein Teil der Transitionen aktiviert werden kann. Dieser Fall ist durchaus von Interesse und wird teilweise gezielt herbeigeführt. Beispielsweise im Störfall bzw. bei Not-Aus Situationen dürfen bestimmte Prozesse nicht mehr aktiviert werden, was zu einer partiellen Verklemmung führt. Definition 6.0. Eine Transition t eines Petri-Netzes N heißt tot, wenn sie bei keiner Folgemarkierung von M 0 aktiviert werden kann. D.h., R N (M 0 ) enthält keine Markierung, die eine Aktivierung von t zulässt. Eine Markierung M heißt tot, wenn keine Transition M-aktiviert ist. Während eine tote Transition bei keiner Markierung der Erreichbarkeitsmenge schalten kann, aktiviert eine tote Markierung keine Transition. Definition 6.. Eine Transition t eines Petri-Netzes N heißt lebendig, wenn t bei jeder Folgemarkierung M R N (M 0 ) aktivierbar ist. D.h., es existiert eine Markierung M 0 R N (M) die t aktiviert. Das Netz N nennt man lebendig, wenn alle Transitionen lebendig sind. Abbildung 6.6 zeigt ein nicht lebendiges Petri-Netz ohne tote Markierungen mit den Matrizen 2 N =, z = 2 2 und m 0 = Zuerst ist nur schaltfähig und man erhält 0 m =. Jetzt kann nur schalten, und es folgt m 2 =
10 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV t 2 s s Abbildung 6.6: Nicht lebendiges Petri-Netz ohne tote Markierung. ist die einzige schaltfähige Transition, und die nächste Markierung ist 0 m 3 =. Damit ist aber der Kreis geschlossen und das System führt einen zyklischen Prozess durch. Abbildung 6.7 zeigt das Verfahrensfließbild eines Produktionssystems, in dem in den Reaktoren R und R2 zwei unterschiedliche Produkte hergestellt werden. Für beide Produkte werden die Einsatzstoffe A und B benötigt. Im Reaktor R werden zuerst Stoff Aund danach Stoff B und im Reaktor R2 zuerst Stoff B und anschließend Stoff A dosiert. Die Dosiervorlagen müssen exklusiv genutzt werden. Mit den Stellen und Transitionen Stellen Transitionen Dosiervorlage A ist frei Start der Dosierung von Stoff AinR Dosiervorlage B ist frei Ende der Dosierung von Stoff AinR R ist leer Reaktion in R, Entleeren s 4 Dosieren von Stoff AinR Start der Dosierung von Stoff BinR2 s 5 Dosieren von Stoff BinR Ende der Dosierung von Stoff BinR2 s 6 R2 ist leer Reaktion in R2, Entleeren s 7 Dosieren von Stoff BinR2 Dosieren von Stoff AinR2 s 8 folgt das Petri-Netz von Abbildung 6.8. Der zugehörige Erreichbarkeitsgraph ist in Abbildung 6.9 dargestellt. Man erkennt, dass die Markierung m 5 eine tote Markierung darstellt. Diese wird erreicht, wenn bei der Anfangsmarkierung die Ereignisse und in beliebiger Reihenfolge (kausal unabhängig) schalten. Dann werden im Reaktor R der Stoff A und im Reaktor R2 der Stoff Bdosiert. Die Dosiervorlage A wird von R erst dann freigegeben, wenn die Dosiervorlage B 40
11 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Einsatzstoff A Einsatzstoff B A B R R2 Produk Produk Abbildung 6.7: Verfahrensfließbild einer Produktionsanlage. verfügbar ist. Analoges gilt für die Freigabe der Dosiervorlage B beim Reaktor R2. Auf diese Weise blockieren sich beide Prozesse. Dieser Zustand kann einfach vermieden werden, wenn durch die Steuerung zuerst die benutzten Dosiervorlagen freigegeben werden und erst anschließend auf andere zugegriffen wird. Aufgabe: Ändern Sie das Petri-Netz von Abbildung 6.8 so ab, dass es keine tote Markierung mehr beinhaltet. Konflikte und Nebenläufigkeit Bei einem Petri-Netz können mehrere Transitionen gleichzeitig aktiviert sein. Diese können unabhängig voneinander, d.h., gleichzeitig oder nur alternativ schalten. Entzieht z.b. das Schalten einer Transition der anderen die Aktivität, spricht man von einem Konflikt. Ein Konflikt kann eintreten, wenn die Vor- bzw. die Nachbereiche von Transitionen sich überlappen. Definition 6.2. M 0 sei die Folgemarkierung von M durchschaltenvont k.beider Markierung M liegt ein Konflikt zwischen den Transitionen t k,t l vor, wenn t k und t l M- aktiviert sind, aber t l nicht M 0 -aktiviert ist. Ist jede Markierung ohne Konflikt, heißt das Petri-Netz N konfliktfrei. 4
12 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV s 6 s 4 s 7 s 5 s 8 Abbildung 6.8: Petri-Netz zur Produktionsanlage von Abbildung 6.7. Abbildung 6.0 zeigt je ein konfliktfreies und -behaftetes Petri-Netz. Konflikte treten beispielsweise dann auf, wenn sich zwei Betriebsmittel eine gemeinsame Resource teilen. Diese Eigenschaft kann bei einem modellgestützten Steuerungsentwurf zu Effekten führen, die unerwünscht sind. So gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, eine Lösung des Konfliktes herbeizuführen. () Regulationskreis: Der sogenannte Regulationskreis von Abbildung 6. erzwingt durch die Bedingungen und s 4 sowie den zugehörigen Kanten, dass die ursprünglich im Konflikt stehenden Transitionen und streng abwechselnd schalten. (2) Inhibitorkante: Die Inhibitorkante von Abbildung 6.2 a.) bedingt, dass bei einem Konflikt zwischen den Transitionen und immer die Priorität behält. Damit m 0 m m 3 m 2 m 5 m 4 Abbildung 6.9: Erreichbarkeitsgraph zum Petri-Netz Abbildung
13 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV s 4 konflikfreies Netz konfliktbehaftetes Netz Abbildung 6.0: Zum Konflikt in einem Petri-Netz. s 5 s 4 Abbildung 6.: Konfliktlösung durch Regulationskreis. wird auch der Konflikt beseitigt. Eine Inhibitorkante darf nur von einer passiven zu einer aktiven Komponente gehen und sie bewirkt, dass die aktive Komponente (Transition) nur dann schalten kann, wenn die zugehörige passive Komponente (Stelle) keine Marke enthält. Die Realisierung der Inhibitorkante ist in Abbildung 6.2 b.) dargestellt. (3) Externe Bedingungen: Abbildung 6.3 zeigt schließlich die Variante, dass der Konflikt durch externe Bedingungen (Eingaben) s 4 und s 5 entschieden werden kann. D.h., in diesem Fall gibt der Mensch oder eine übergeordnete Prozesssteuerung durch eine Markierung für s 4 bzw. s 5 vor, wie der Konflikt zu lösen ist. Man erkennt, dass Konflikte in einem Steuerungssystem zusätzliche Freiheitsgrade (Entscheidungsmöglichkeiten) angeben, mittels derer das Systemverhalten gezielt beeinflusst werden kann. 43
14 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV s 5 s 5 s 4 Inhibitorkante Abbildung 6.2: Konfliktlösung durch Inhibitorkante. s 5 s 4 s 5 Abbildung 6.3: Konfliktlösung durch externe Eingabe. Das Gegenteil zum Konflikt zweier Transitionen ist die sogenannte Nebenläufigkeit, dabei wird durch das Schalten einer Transition der anderen nicht die Aktivität entzogen. Kontakte Wird das Aktivieren einer Transition durch die Markierung des Nachbereiches verhindert, liegt ein Kontakt vor (siehe Abbildung 6.4). Definition 6.3. Bei der Markierung M liegt ein Kontakt an der Transition t vor, wenn gilt m + t 0, aber mindestens eine der Ungleichungen m + t z verletzt ist. Ein Petri-Netz N heißt kontaktfrei, wenn jede Markierung kontaktfrei ist. 44
15 6.. Zur Theorie kausaler Petri-Netze Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV s 4 s 4 s 4 Kontakt kein Kontakt kein Kontakt Abbildung 6.4: Zum Kontakt in einem Petri-Netz. Kontaktfreie Netze weisen bei der schwachen bzw. der starken Schaltregel das gleiche Verhalten auf. Satz 6.3. Ein Petri-Netz N ist kontaktfrei, wenn für jede Markierung M R N (M 0 ) aus m + t 0 folgt m + t z. Kontakte in einem System bezeichnen gewisse technologische Anforderungen. Dies kann z.b. dadurch gegeben sein, dass mit der Kapazität einer Stelle das begrenzte Volumen eines Behälters modelliert wird. s 9 s 6 s 9 s 6 s 8 s 8 s 7 s 7 f t 7 t 7 s 5 s 5 Abbildung 6.5: Zu Petri-Netzen mit beschränkten Kapazitäten. 45
16 6.2. Beispiel: Einfache Fertigungsstraße Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Bemerkung: Jene Zustände, die einen Kontakt darstellen, werden manchmal auch in Form von sogenannten Fakten modelliert. Ein Fakt ist eine aktive Komponente, die unter keiner erreichbaren Markierung eine Konzession zum Schalten erhalten darf. Als Beispiel betrachte man die Chemieanlage von Abbildung 6.. Die Modellierung erfolgt nun mittels des Petri-Netzes von Abbildung 6.5, welches sich direkt durch Vernachlässigung von s 4 in Abbildung 6.3 ergibt. Aufgrund dieser Modifikation kann die maximale Markenanzahl von 2 bei der Stelle überschritten werden, was wiederum ein Überlaufen des Zwischenbehälters B bedingen würde. Dadurch beschränkt man im Petri-Netz die Kapazität der Stelle mi (Abbildung 6.5 rechts) oder man fügt einen Fakt f dazu (Abbildung 6.5 links), der erst dann schaltfähig ist, wenn mehr als zwei Marken bei vorliegen Beispiel: Einfache Fertigungsstraße Zur Modellbildung diskret gesteuerter Prozesse mit Petri-Netzen verwendet man oft eine tabellarische Zusammenstellung () der im System auftretenden Ereignisse, (2) der zum Eintreten eines Ereignisses notwendigen Bedingungen (Vorbedingungen) und (3) der Beeinflussung des Systems durch das Eintreten von Ereignissen (Nachbedingungen). Abbildung 6.6 zeigt einen Ausschnitt aus zwei Fertigungsstraßen A und B, an denen zwei Handhabungsgeräte I und II angebracht sind. Vorerst werden zur Bearbeitung von Werkstücken auf A beide Handhabungsgeräte und zur Bearbeitung von Werkstücken auf B nur das Gerät II benötigt. Die Bedingungen (Stellen) und die Ereignisse (Transitionen) I B A II A B Abbildung 6.6: Eine einfache Fertigungsstraße. 46
17 6.2. Beispiel: Einfache Fertigungsstraße Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV ~ ~ A B s 4 I II s 7 s 8 s 5 s 6 ~ ~ Abbildung 6.7: Petri-Netz zum Abbildung 6.6. lauten Stellen Transitionen Werkstück auf A noch nicht bearbeitet Beginn der Bearbeitung auf A Werkstück auf A wird bearbeitet Ende der Bearbeitung auf A Werkstück auf A ist bearbeitet Beginn der Bearbeitung auf B s 4 Werkstück auf B noch nicht bearbeitet Ende der Bearbeitung auf B s 5 Werkstück auf B wird bearbeitet s 6 Werkstück auf B ist bearbeitet s 7 Handhabungsgerät I ist frei Handhabungsgerät II ist frei s 8 und die Vor- bzw. Nachbedingungen zu jedem Ereignis sind in der Form Transitionen Vorbedingungen Nachbedingungen, s 7, s 8, s 7, s 8 s 4, s 8 s 5 s 5 s 6, s 8 47
18 6.2. Beispiel: Einfache Fertigungsstraße Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV gegeben. A B s I s 7 s 5 t II s 8 s Abbildung 6.8: Das Petri-Netz und der Erreichbarkeitsgraph zu Variante I. Abbildung 6.7 zeigt das B/E-Netz des Prozesses, mit einer Anfangsmarkierung die besagt, dass die Geräte frei und Werkstücke vorhanden sind. Dem Netz ist nicht nur die Verkopplung der Prozesse (s 8 ) sondern auch die Abhängigkeit von den vorangehenden und den folgenden Fertigungsstationen zu entnehmen. Eine Verbesserung brächten SpeicherstationenandenStellen(s,,s 4,s 6 ). Dann wird man aber anstelle von B/E-Netzen S/T-Netze heranziehen. Sollten auch mehrere Werkstücke gleichzeitig entnommen werden, kann man dies durch das Gewicht der Kanten ausdrücken. Dieses Beispiel umfasst zwei nebenläufige Prozesse, die durch s 8 gekoppelt sind. Das Handhabungsgerät II wird von beiden Prozessen exklusiv genutzt. Bei solchen Prozessen können Verklemmungen auftreten. Um dies zu zeigen wird dieser Prozess so erweitert, dass zur Fertigung auf B, auch das Gerät I benötigt wird. In der ersten Variante wird jedes Werkstück auf A bzw. B nacheinander von den Geräten I und II gefertigt. Die Modellierung des Netzes erfolgt vollkommen analog zu obigem. Abbildung 6.8 ist das Petri-Netz mit dem zugehörigen Erreichbarkeitsgraphen zu entnehmen. Die Kanten (, ) und (,s 4 ) sind eingeführt worden, um jeden Teilprozess für sich betrachten zu können. In der zweiten Variante wird lediglich die Reihenfolge des Einsatzes der Handhabungsgeräte auf B vertauscht. Abbildung 6.9 zeigt wieder das Petri-Netz und den Erreichbarkeitsgraphen. Das Petri-Netz ist aus gleichen Gründen wie oben durch die Kanten (, ) und (,s 4 ) erweitert worden. Man erkennt sofort, dass lediglich das Vertauschen der Reihenfolge zu einer totalen Verklemmung führt. Im Erreichbarkeitsgraphen äußert sich das durch einen Knoten der keine weglaufende Kante besitzt. 48
19 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV A s I s s 5 II s 8 B s 4 Abbildung 6.9: Das Petri-Netz und der Erreichbarkeitsgraph zu Variante II Graphentheoretische Analyse Mit Hilfe von graphentheoretischen Untersuchungen lässt sich nicht nur der Nachweis der Lebendigkeit und der Beschränktheit eines Petri-Netzes führen, sondern es lassen sich auch Maßnahmen ableiten, um ein erkanntes Fehlverhalten eines Petri-Netzes zu verhindern. Die Verfahren beruhen dabei auf der Analyse des Überdeckungs- und Erreichbarkeitsgraphen eines Petri-Netzes. Bei der Modellierung technischer Systeme machen unbeschränkte Petri-Netze wenig Sinn. Sie entsprächen einem System, das unendlich viele diskrete Zustände annehmen kann. Die Beschränktheit eines Petri-Netzes kann mit Hilfe des Überdeckungsgraphen nachgewiesen werden. Hier muss natürlich die schwache Schaltregel zugrunde gelegt werden. Die Modellierung und Analyse eines Prozesses kann in nachfolgenden Schritten erfolgen: () Modellierung des Prozesses als Petri-Netz: (2) Konstruktion des Überdeckungsgraphen (schwache Schaltregel): Folgende Eigenschaften sind feststellbar: Beschränktheit, Tote Transition. Ist das Netz unbeschränkt, verzweige zu () andernfalls zu (3). (3) Konstruktion des Erreichbarkeitsgraphen: Folgende Eigenschaften sind feststellbar: Tote Transition, Totale Verklemmung, Erreichbarkeit, Konflikt, Kontakt. (4) Kondensation des Erreichbarkeitsgraphen: Folgende Eigenschaften sind feststellbar: Totale Verklemmung, Partielle Verklemmung, Lebendigkeit, Reversibilität. 49
20 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Konstruktion des Erreichbarkeitsgraphen Einem Petri-Netz N kann ein gerichteter Graph, der Erreichbarkeitsgraph zugeordnet werden, dessen Knoten erreichbare Markierungen M von N sind und dessen Kanten mit schaltfähigen Transitionen beschriftet sind. Der Erreichbarkeitsgraph ist nur dann endlich, wenn das Petri-Netz beschränkt ist. Abbildung 6.20 zeigt ein endliches Petri-Netz und Abbildung 6.2 den zugehörigen Erreichbarkeitsgraphen. t 7 t 8 s 4 s 5 s 6 Abbildung 6.20: Ein endliches Petri-Netz t 7 t t 7 t Abbildung 6.2: Erreichbarkeitsgraph zum Petri-Netz von Abbildung Ein einfacher Algorithmus zur Bestimmung des Erreichbarkeitsgraphen E N zum Petri- Netz N basiert auf dem Suchprinzip Tiefe zuerst. Im Nachfolgenden wird der Kern des Algorithmuskurzskizziert. N // Menge der bereits gefundenen Knoten program first (m) // m : Knoten des Erreichbarkeitsgraphen { bestimme die Menge Z der m-aktivierten Transitionen; für alle z i Z; { führe z i aus; bestimme den Knoten n zur Kante z i =(m, n); 50
21 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV } } ist n/ N dann N = N {n}, first (n) ; mache z i rückgängig; Die Suche wird mit dem Programm program main (m 0 ) // m 0 : Anfangsmarkierung { N = {m 0 } ; Netz mit m 0 belegen; first (m 0 ) ; } gestartet. Um die Eigenschaften des Petri-Netzes aus dem Erreichbarkeitsgraphen ablesen zu können, muss obiger Algorithmus noch so erweitert werden, dass auch die Kanten, d.h., die Transitionen in entsprechender Weise abgespeichert werden. So kann man jedem Knoten n die Menge der Paare (t i,n j ) mit t i als zu n laufenden Kante und ihren Anfangsknoten n j bzw. die Menge der Paare (t i,n j ) mit t i als von n weglaufenden Kante und ihren Endknoten n j zuordnen. Satz 6.4. E N sei der Erreichbarkeitsgraph eines Petri-Netzes N. Dann gilt: () Eine Kante t j ist nicht in E N enthalten, genau dann ist t j eine tote Transition. (2) E N besitzt einen Knoten M ohne auslaufende Kante, genau dann ist eine totale Verklemmung möglich. (3) E N besitzt einen Knoten M, genau dann ist M erreichbar, d.h., es gilt M R N (M 0 ). Um eine Konflikt- bzw. eine Kontaktsituation zu finden sind einige zusätzliche Untersuchungen nötig: Bei einer Markierung M tritt ein Konflikt auf, wenn mehrere Transitionen M-aktiviert sind und das Schalten einer Transition mindestens einer anderen die Aktivierung entzieht. Ein Konflikt kann an einem Knoten M nur auftreten, wenn die Menge der von M auslaufenden Kanten A M mehr als eine Transition enthält. Damit kein Konflikt vorliegt, muss für jeden Zielknoten M t von t A M A M {t} A Mt gelten. Eine Kontaktsituation tritt auf, wenn die schwache und die starke Schaltregel zu verschiedenen Ergebnissen führen. A M sei die Menge der von M auslaufenden Kanten nach der starken und ĀM sei die Menge der von M auslaufenden Kanten nach der schwachen Schaltregel. Es tritt nun kein Kontakt auf, wenn Ā M = A M für alle Knoten des Erreichbarkeitsgraphen E N gilt. Auf Grund des Erreichbarkeitsgraphen von Abbildung 6.2 des Petri-Netzes nach Abbildung 6.20 kann festgestellt werden: 5
22 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV () Das Petri-Netz besitzt keine tote Transition. (2) EinetotaleVerklemmungistmöglich, durch die Schaltsequenz σ =,,, wird sie erreicht. (3) Konflikte: (4) Kontakte: zwischen {, } bei m T =(,, 0, 0, 0, 0) zwischen {, } bei m T =(0, 0, 0,,, 0) zwischen {, } bei m T =(0, 0, 0,,, 0) zwischen {,, } bei m T =(0, 0, 0,,, 0) bei m T =(, 0, 0,, 0, 0) mit bei m T =(, 0, 0,, 0, 0) mit bei m T =(, 0, 0, 0,, 0) mit Die Kondensation gerichteter Graphen Dazu werden noch einige Grundlagen aus der Graphentheorie benötigt (siehe Abbildung 6.22). Definition 6.4. G =(X, Y ) sei ein gerichteter Graph. Eine Kantenfolge z = y,y 2,...,y Y, yi Y, i =,..., Y, wobei y i, y i einen Knoten von y i und y i, y i+ den anderen Knoten von y i für i = 2,...,k gemeinsam haben, heißt Kette. Dabei bezeichnet n = l(z) die Länge der Kette z. Die Kantenfolge z ist eine Bahn, wenn alle Kanten (Bögen) von z in ihrem Richtungssinn durchlaufen werden. Kommt in einer Bahn keine Kante mehrmals vor, heißt sie einfach. Eine einfache Bahn, die geschlossen ist, d.h., y und y n haben den Anfangsbzw. den Endknoten gemeinsam, wird Kreis genannt. Bei Digraphen ist es von Interesse, ob Knoten durch eine Bahn verbunden werden können. Definition 6.5. Ein Graph G =(X, Y ) heißt stark zusammenhängend, wenn jedes Paar von Knoten durch eine Bahn verbunden werden kann. Ein maximaler, stark zusammenhängender Untergraph heißt starke Komponente. Man überzeugt sich leicht, dass auf der Menge der Knoten eines Digraphen G =(X, Y ) die Relation R stark zusammenhängend eine Äquivalenzrelation (reflexiv, symmetrisch und transitiv) ist. D.h., für R gilt: R = {(x,x 2 ):x,x 2 X, x und x 2 bzw. x 2 und x sind durch eine Bahn verbunden}. Durch R wird eine Klasseneinteilung auf X induziert. Die Elemente einer Klasse von R sind die Knoten einer starken Komponente. Unter der Kondensation eines Digraphen G K =(X K,Y K ) versteht man nun jenen Digraphen, dessen Knoten einer Klasse von R entsprechen, und bei dem genau dann eine Kante von einem Knoten x K, zu einem Knoten 52
23 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Digraph Kette Bahn Kreis Abbildung 6.22: Zu den Begriffen Kette, Bahn und Kreis. x K,2 führt, wenn im ursprünglichen Graphen eine Bahn von einem Knoten der starken Komponete x K, zu einem Knoten der starken Komponente x K,2 führt. Abbildung 6.23 zeigt einen Digraphen mit seinen starken Komponenten und seiner Kondensation. Ein einfacher Algorithmus zur Bestimmung einer starken Komponente eines Digraphen G =(X, Y ) besteht aus folgenden Schritten: () Man wähle einen beliebigen Knoten x X und markiere ihn mit + und mit. (2) Man bestimme alle von x erreichbaren Knoten, wenn die Kanten in Pfeilrichtung durchlaufen werden und markiere diese mit +. (3) Man bestimme alle von x erreichbaren Knoten, wenn die Kanten gegen die Pfeil- K K K 2 K 3 K 2 K 3 Abbildung 6.23: Starke Komponenten und Kondensation eines Digraphen. 53
24 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV richtung durchlaufen werden und markiere diese mit. (4) Die mit + und markierten Knoten sind die Knoten der durch x festgelegten starken Komponente. Die erreichbaren Knoten kann man z.b. sehr einfach mit dem Suchprinzip Tiefe zuerst finden. Abbildung 6.24 veranschaulicht dieses Verfahren. Es muss nun so lange wiederholt werden, bis alle starken Komponenten gefunden sind. Startknoten + + Startknoten Vorwärtsmarkierung Rückwärtsmarkierung + Abbildung 6.24: Zur Bestimmung der starken Komponenten. Mit Hilfe der Kondensation E K N des Erreichbarkeitsgraphen E N eines Petri-Netzes N lassen sich einfach weitere Eigenschaften des Netzes herleiten. Satz 6.5. Das Petri-Netz N ist genau dann reversibel, wenn der Erreichbarkeitsgraph E N stark zusammenhängend ist. Ebenso einfach erhält man eine hinreichende Bedingung für die Lebendigkeit eines Netzes. Satz 6.6. Ist der Erreichbarkeitsgraph E N eines Petri-Netzes N stark zusammenhängend, und existiert zu jeder Transition t T eine Kante in E N, dann ist das Netz N lebendig. 2 2 s 2 2 s 4 2 Abbildung 6.25: Lebendiges, nichtreversibles Petri-Netz. 54
25 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Die Umkehrung muss jedoch nicht gelten. Abbildung 6.25 zeigt ein lebendiges nichtreversibles Petri-Netz und der zugehörige Erreichbarkeitsgraph mit seiner Kondensation ist in Abbildung 6.26 dargestellt. Da die starke Komponente K 2 alle Transitionen enthält ist das Netz lebendig K K 00 K K Abbildung 6.26: Erreichbarkeitsgraph und Kondensation zum Petri-Netz von Abbildung Definition 6.6. Eine starke Komponente K des Erreichbarkeitsgraphen E N eines Petri- Netzes heißt lebendig, wenn zu jeder Transition t T eine Kante in K existiert. Damit erhält man aber sofort folgendes Kriterium. Satz 6.7. Ein Petri-Netz N ist genau dann lebendig, wenn jede Senke von EN K ohne auslaufende Kante) lebendig ist. (Knoten 55
26 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Zum Beweis nehme man vorerst an, dass eine Senke von EN K nicht lebendig ist. Dann existiert aber notwendigerweise eine nicht mehr aktivierbare Transition. Zum zweiten Teil des Beweises beachte man, dass mindestens eine Markierung M und eine Transition t so existieren, dass kein M 0 R N (M) die Transition t aktiviert. Also muss EN K mindestens zwei Knoten besitzen. Ein zusammenhängender Digraph ohne starke Komponente hat aber mindestens eine Senke. Mit Hilfe der Kondensation lassen sich auch Verklemmungen feststellen. Satz 6.8. E N sei der Erreichbarkeitsgraph eines Petri-Netzes N, E K N seine Kondensation. () Besitzt EN K eine nicht lebendige Senke ohne Kante, genau dann ist eine totale Verklemmung möglich. (2) Besitzt E K N eine nicht lebendige Senke mit mindestens einer Kante, genau dann ist eine partielle Verklemmung möglich. Der Beweis dieses Satzes kann analog zum vorigen erfolgen t 7 t t 7 t 8 K K 3 totale Verklemmung K partielle Verklemmung K 2 K K 3 Abbildung 6.27: Kondensation des Erreichbarkeitsgraphen von Abbildung 6.2. Abbildung 6.27 zeigt die starken Komponenten des Erreichbarkeitsgraphen von Abbildung 6.2 und die zugehörige Kondensation. Man erkennt die bereits gefundene, tote Markierung m T =(, 0, 0,, 0, 0) alsstarkekomponentek 2, die keine Kante enthält. Die starke Komponente K 3 ist ebenfalls eine Senke. Da sie nicht alle Transitionen enthält, ist eine partielle Verklemmung 56
27 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV möglich. Das Beispiel zeigt, dass aus der Kondensation neben dem Existenznachweis von Verklemmungen auch deren Ursachen zu entnehmen sind. So führt das Schalten von auf jeden Fall zu einer partiellen Verklemmung und das Schalten von zu einer totalen Konstruktion des Überdeckungsgraphen Im Gegensatz zum Erreichbarkeitsgraphen kann der Überdeckungsgraph auch für unbeschränkte Petri-Netze konstruiert werden. In diesem Zusammenhang wird beim Überdeckungsgraphen, wie unten gezeigt wird, nur die schwache Schaltregel maßgeblich sein. Mit diesem Konstrukt lassen sich im Folgenden zum Beispiel Aussagen über die Eigenschaft der sogenannten strukturellen Beschränktheit eines Petri-Netzes machen. Definition 6.7. M und M 0 mit M 6= M 0 seien zwei Markierungen eines Petri-Netzes N. M wird von M 0 überdeckt, wenn gilt. Für M und M 0 mit M 6= M 0 gelte m m 0 M 0 R N (M). Dann hat das Gleichungssystem m 0 = m + Nv eine nichtnegative, ganzzahlige Lösung v. Wird M durch M 0 überdeckt, so ist die v entsprechende Schaltsequenz σ auch bei M 0 anwendbar, und es folgt m 00 = m 0 + Nv = m+2nv = m+2(m 0 m). Durch Wiederholen obiger Operation entsteht eine Folge (m k )=m+k(m 0 m), (6.) und man sieht sofort, dass das Netz unbeschränkt ist. Die natürlichen Zahlen werden durch die Zahl ω (vergleiche + Unendlich) ergänzt, die den Rechengesetzen ω + n = ω ω n = ω für alle n N n < ω ω ω genüge. Eine Folge nach Gl. (6.) wird im Überdeckungsgraphen durch einen einzigen Knoten m mit ½ ω falls m m 0 i = i >m i i =,..., S m i sonst dargestellt, der diese Folge überdeckt. Die Grundidee bei der Konstruktion des Überdekkungsgraphen ist, solche Folgen rechtzeitig zu erkennen, und sie durch ihre Überdeckung darzustellen. Der Überdeckungsgraph lässt sich wieder einfach mit Hilfe des Suchprinzips Tiefe zuerst bestimmen. Dazu sind im Programm für den Erreichbarkeitsgraphen folgende Modifikationen vorzunehmen: 57
28 6.3. Graphentheoretische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV N // Menge der bereits gefundenen Knoten program first (m) // m : Knoten des Überdeckungsgraphen { bestimme die Menge Z der m-aktivierten Transitionen; für alle z i Z; { führe z i aus; bestimme den Knoten n zur Kante z i =(m, n); ist (n / N) dann N = N {n }, first (n ) ; // n i = ω falls für ein k j N // gilt n k j und n i >k j,i } } Die Suche wird mit gestartet. mache z i rückgängig; program main (m 0 ) // m 0 : Anfangsmarkierung { N = {m 0 } ; Netz mit m 0 belegen; first (m 0 ) ; } 000 t t s ω 0 ω0 t 00 ω 3 0ωω 0 ωω Petri-Netz Überdeckungsgraph Abbildung 6.28: Das Petri-Netz und der Erreichbarkeitsgraph zu Variante II. Abbildung 6.28 zeigt ein unbeschränktes Petri-Netz N mit dem Überdeckungsgraphen U N. Die Kanten von U N haben dieselbe Bedeutung wie die des Erreichbarkeitsgraphen E N.Die 58
29 6.4. Algebraische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Knoten des Überdeckungsgraphen sind jedoch nur Überdeckungen erreichbarer Knoten, d.h., sie selbst müssen nicht erreichbar sein. Auch ist U N nicht eindeutig bestimmt. Satz 6.9. U N sei der Überdeckungsgraph eines Petri-Netzes N. () U N ist endlich. (2) Zu jeder in N anwendbaren Schaltsequenz σ existiert eine Bahn in U N. (3) JedeerreichbareMarkierungwirdvonU N überdeckt. (4) Jeder Knoten von U N überdeckt eine erreichbare Markierung. (5) Jeder Knoten von U N ohne ω-komponente ist eine erreichbare Markierung von N. Aus dem Überdeckungsgraphen kann man nun schließen, ob das Petri-Netz (strukturell) beschränkt ist oder nicht. Diese Eigenschaft gibt an, ob der Erreichbarkeitsgraph des Petrinetzes (unter der Annahme unendlich großer Kapazitäten) beschränkt bzw. unbeschränkt ist. Satz 6.0. U N sei der Überdeckungsgraph eines Petri-Netzes N. () Wenn U N einenknotenmiteinerω-komponente besitzt, genau dann ist N (strukturell) unbeschränkt. (2) Wenn U N einen Knoten mit einer Komponente mit einem Wert größer als eins besitzt, genau dann ist N nicht sicher Algebraische Analyse Alternativ zu den graphentheoretischen Methoden, basieren die algebraischen Methoden auf Lösungen des Gleichungssystems m m 0 = Nv, (6.2) wobei nur ganzzahlige Lösungen von Bedeutung sind. Damit lassen sich aber lediglich notwendige Bedingungen angeben Die S-Invariante Mit Hilfe der S-Invarianten lassen sich gewisse Stellenmengen eines Petri-Netzes N charakterisieren. Definition 6.8. Eine ganzzahlige, nichttriviale Lösung des Gleichungssystems heißt S-Invariante. i T SN = 0 59
30 6.4. Algebraische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV Die Bedeutung der S-Invarianten erkennt man sofort, wenn man Gl. (6.2) von links mit i T S multipliziert. Es gilt i T Sm i T Sm 0 = i T SNv =0. Diese Beziehung erlaubt folgende Interpretation. In einem Netz mit einer S-Invarianten i S bleibt auf den durch i S bestimmten Stellen, die gewichtete Summe der Marken konstant. Gilt insbesondere i S,i {0, }, dann bleibt die Markenanzahl dort konstant. Ist insbesondere die S-Invariante i S positiv, d.h., es gilt i S > 0, dann muss die Markenanzahl beschränkt sein. Satz 6.. Jedes Petri-Netz mit einer positiven S-Invarianten ist beschränkt Die T -Invariante Im Gegensatz zur S-Invarianten charakterisiert die T -Invariante gewisse Mengen von Transitionen. Definition 6.9. Eine ganzzahlige, nichtnegative, nichttriviale Lösung des Gleichungssystems Ni T = 0 heißt T -Invariante. Die T -Invariante gibt also die Schaltsequenz zur Reproduktion der Anfangsmarkierung an. Satz 6.2. Jedes reversible Petri-Netz N besitzt eine T -Invariante. Eine T -Invariante ist also notwendig, damit der Erreichbarkeitsgraph einen Kreis enthält. Daraus erhält man fast unmittelbar den folgenden Satz: Satz 6.3. Jedes lebendige, beschränkte Petri-Netz N enthält eine T -Invariante Interpretationen der Invarianten Die Netzmatrix der Fertigungsstraßen lautet N = Die Lösung des Gleichungssystems i T SN = 0 60
31 6.4. Algebraische Analyse Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV ist i S = λ λ 2 + λ λ für λ,λ 2,λ 3,λ 4 Z. Wählt man z.b. λ = λ 2 = λ 3 = λ 4 =, dann sieht man sofort, dass das Netz beschränkt ist. Durch Lösen des Gleichungssystems I SI I SII A B s 4 A B s 4 s 7 s 5 s 7 s 7 s 5 I SIII s 8 s 6 s 8 s 8 s 6 I t SIV I 3 t TI I TII 6 Abbildung 6.29: Zur Interpretation der S- und T -Invarianten. Ni T = 0 erhält man die T -Invarianten. Die nichtnegativen Lösungen sind durch 0 0 i T = λ 0 + λ 2 0 für λ,λ 2 N 0 0 gegeben. Damit ist aber eine Voraussetzung für die Reversibilität erfüllt. 6
32 6.5. Literatur Kapitel 6. Steuerungstechnik Teil IV S- und T -Invariante erlauben noch weitere Interpretationen, wie dies Abbildung 6.29 zu entnehmen ist. S-Invarianten bezeichnen Stellenmengen, für die die gewichteten Markensummen konstant bleiben. So beziehen sich die Mengen I SI = {,, }, I SII = {s 4,s 5,s 6 } auf den Durchlauf der Werkstücke auf den Fertigungsstraßen und die Mengen I SIII = {,s 5,s 7 }, I SIV = {,s 6,s 8 } auf den Einsatz der Handhabungsgeräte. Mit T -Invarianten werden Schaltsequenzen beschrieben, die Markierungen reproduzieren. Sie können als kleinste, eigenständige Funktionseinheiten angesehen werden. So beziehensichdiemengeni TI = {,, } und I TII = {,, } auf die jeweils getrennten Fertigungsprozesse. Abschließend bleibt zu bemerken, dass hier Gleichungssysteme mit ganzzahligen Koeffizienten auftreten, wobei nur die ganzzahligen oder gar die ganzzahligen und nichtnegativen Lösungen interessieren. Numerische Verfahren zur Lösung solcher Systeme findet man unter anderem bei der linearen, ganzzahligen Programmierung Literatur. Abel D.: Petri-Netze für Ingenieure, Springer Verlag, Hanisch H. M.: Petri-Netze in der Verfahrenstechnik, Oldenbourg Verlag, Koenig R., Quaeck L.: Petri-Netze in der Steuerung- und Digitaltechnik, Oldenbourg Verlag, Reisig W.: Petrinetze, Eine Einführung, Springer Verlag,
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