Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt (Hrsg.) Die Welt im Anthropozän Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität
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1 Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt (Hrsg.) Die Welt im Anthropozän Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität
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3 Anthropozän Folgen für das Verhältnis von Humanität und Ökologie Wolfgang Haber 1 Einleitung Das Wirken der Menschen hat die Natur des Planeten Erde so grundlegend verändert, dass damit ein eigenes erdgeschichtliches Zeitalter entstanden ist. Diese Auffassung vertritt der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen (Crutzen 2002; vgl. auch Steffen, Crutzen & McNeill 2007), der dieses neue Zeitalter als Anthropozän bezeichnet (von ánthropos = Mensch und kainós = neu). Es löst das Zeitalter des Holozän (Nacheiszeit) ab. In Wissenschaft und Gesellschaft wird seitdem lebhaft diskutiert, ob die Einführung dieses neuen Erdzeitalters gerechtfertigt sei. Der Grundgedanke des Anthropozän ist nicht neu, wie Mauelshagen (vgl. den Beitrag von F. Mauelshagen in diesem Band) mit Verweis auf die bereits vor über 100 Jahren von Ernst Haeckel veröffentlichten Überlegungen zur menschlichen Transformation von Natur in Kultur darlegt. Ergänzend weise ich darauf hin, dass es bei der ökologischen Einteilung der Natur in Sphären (Kosmo-, Atmo-, Hygro-, Litho- und Biosphäre) schon länger üblich ist, innerhalb der Biosphäre eine Anthroposphäre abzugrenzen. In meinen Ökologievorlesungen habe ich darin noch eine Technosphäre und auch eine Noosphäre (nach Vernadsky aus Levit 2001) unterschieden. Und 1998 hat Hubert Markl vorgeschlagen, ein Anthropozoikum als Erdzeitalterära einzuführen, also noch zwei Kategorien oberhalb der auf -zän endenden geologischen Epochen (vgl. die Darstellung der Erdzeitalter von U. Kutschera in diesem Band). Doch erst der Name Anthropozän hat allgemeine Aufmerksamkeit gefunden. Zum Thema Anthropozän gibt es inzwischen zahlreiche Publikationen (zum Beispiel Ehlers 2008; Ellis 2011; Steffen et al. 2011). Das Deutsche Museum in München widmete ihm 2015 eine Sonderausstellung mit einer Buchveröffentlichung (Möllers et al. 2015). Bei einer rein sachlichen, auf Daten und Beobachtungen gestützten Argumentation überwiegt einerseits die Befürwortung des Anthropozän. Andererseits erzeugt es gefühlsmäßig auch Abneigung, vermischt mit Schuldgefühlen wegen der schädlichen Veränderungen der Natur, die wie zum Beispiel der Klimawandel hätten vermieden werden müssen.
4 20 Teil 1 Ökologisch-evolutionäre Perspektiven Da die Definition der Erdzeitalter bisher nach großen geologischen Veränderungen in der Geschichte des Planeten erfolgte, soll dies auch für das Anthropozän gelten. Eine internationale geologische Arbeitsgruppe mit Sitz in England sucht dafür nach geologischen Kriterien. Wenn ihr dies gelingt und sie einen Konsens findet, soll das Anthropozän offiziell eingeführt werden. Nach meiner Auffassung kann es aber auch aus rein ökologischer Sicht definiert werden, zumal diese Perspektive geologische Aspekte mit einschließt. Dies möchte ich im Folgenden näher begründen, wobei ich auch Teile der Argumentation von Mauelshagen (vgl. den Beitrag von F. Mauelshagen in diesem Band) einbeziehe. 2 Anthropozän ökologisch begründet Die Ökologie untersucht als Wissenschaft die Evolution und Organisation des gesamten Lebens in der Natur. Eine ökologische Grunderkenntnis besagt, dass für alle Lebewesen, von Bakterien bis zu Menschen, für den Umgang mit der sie jeweils umgebenden Natur (als ihrer Umwelt) zwei Hauptantriebe maßgebend sind (Haber 2016): 1. Nutzung der Natur: Jedes Lebewesen braucht mindestens Nahrung, Wasser und Raum zum Leben. Diese sind nur durch Eingriffe (impacts) in die Natur zu erlangen, die stets Störungen oder Schäden bedingen, doch von ihr wieder ausgeglichen oder reguliert werden. 2. Schutz vor der Natur: Jedes Lebewesen ist bestrebt, sein eigenes Leben vor den Bedrohungen der Natur zu schützen. Zu diesen gehören gemäß 1. auch die Eingriffe der anderen Lebewesen als Konkurrenten, Erbeuter oder Parasiten. Beide Antriebe kann man unter dem Begriff»Überlebenstrieb«als universellem Lebensprinzip zusammenfassen. Leben heißt letztlich Sichbehaupten, Sichdurchsetzen und Sichfortpflanzen in steter Konkurrenz. Dies ist aber nicht darwinistischeinseitig als ein Kampf ums Dasein zu verstehen, sondern wird auch mit Geschick, Konkurrenzstärke, Erkennen günstiger Gelegenheiten, Finden von Partnern, von ökologischen Nischen sowie durch Zufall und Glück erreicht. Dazu hat die Evolution die Lebewesen mit beachtlichen Fähigkeiten ausgestattet, die ihrerseits Forschungsobjekte der Ökologie sind. 2.1 Ökologische Modelle: Umweltkreis Die Ökologie versucht, die Prinzipien der Lebensorganisation mit einfachen Modellen zu vermitteln, von denen ich die drei wichtigsten herausgreife. Das erste gilt der Umwelt als dem Stück Natur, das jedes Lebewesen umgibt und trägt. Diese Lebewesen-Umwelt-Einheit stelle ich als Umweltkreis dar, der in acht absolut lebens-
5 Anthropozän Folgen für das Verhältnis von Humanität und Ökologie 21 Wärme Licht Luft Wasser 2.2 Ökologische Modelle: Stammbaum (Evolution) des Lebens Die ungeheure Vielfalt der Lebewesen wird zur Übersicht und Systematik in taxonomische Kategorien (aber ohne Umweltbezug) mit der abstrakten Grundeinheit Art eingeteilt. Ihre Evolution zeigt der Stammbaum des Lebens, den ich als zweites Modell verwende (Abbildung 2). Das aktuelle Leben befindet sich an den Spitzen der Stamm- Lebewesen Raum Nahrung Information Partner Abbildung 1: Der Umweltkreis Modell des»stücks Natur«, das jedes Lebewesen umgibt und trägt, mit acht Hauptbestandteilen, die ihrerseits miteinander vernetzt sind. Quelle: Haber wichtige Naturbestandteile aufgegliedert ist (Abbildung 1). Sie werden vom Lebewesen, wie die Doppelpfeile ausdrücken, sowohl gebraucht als auch beeinflusst. Doch jedes Lebewesen hat eigene, typische Ansprüche an die Natur und braucht oder nutzt deren Bestandteile unterschiedlich. Daher umfasst die Natur ebenso viele Umwelten wie es Lebewesen gibt. Die Ökologie erforscht sowohl die spezifischen Einzelumwelten als auch ihre Gemeinsamkeiten und berücksichtigt dabei, dass diese Lebewesen- Umwelt-Einheiten einander konkurrierend durchdringen. Alle acht Bestandteile des Umweltkreises stehen auch untereinander in Beziehungen und bilden dadurch ein Netzwerk oder System, in dem also alles mit allem zusammenhängt was aber nicht jederzeit und überall gilt und ebenfalls der Untersuchung bedarf. Umwelt zu verstehen, ist daher viel schwieriger, als man glaubt: ein organisiertes, komplexes System, dem die Lebewesen angehören, zu dessen Funktionen sie mit ihren Aktivitäten und Verhaltensweisen beitragen und das sie wiederum durch eigene Nutzung beeinflussen.
6 22 Teil 1 Ökologisch-evolutionäre Perspektiven Vielzeller Wimperntierchen und Dinoflagellaten Gliederfüßer Rundwürmer Tiere Bacteria Proteobakterien ε β γ Chlamydien α Grüne Schwefelbakterien Cyanobakterien Grüne Nichtschwefelbakterien Deinococcen δ Flexistipes Fibrobacter Niedrig GC Gram-Positive (Bacillus, Mycoplasma, Lactobacillus) Hoch GC Gram-positive Clostridien Spirochaeten Braun- und Goldalgen Rotalgen Schleimpilze Euglenen Diplomonaden Desulfotomaculum Dictyoglomus Thermotoga Pyrolobus Thermocrinis baumzweige. Auf den evolutionären Wegen dorthin sind aber rund 98 Prozent aller je entstandenen Lebewesenarten wieder ausgestorben und nur als Fossilien bekannt; ja es sind sogar ganze Stammbaumzweige abgestorben. Denn Evolution heißt ständige und unumkehrbare Transformation von Leben mit nur zeitweiligem Verharren, mit unvorhersehbarem Verlauf und manchmal radikalem Wandel, wie ihn die fünf durch gewaltige Naturkräfte verursachten großen Artensterben im Lauf der Erdgeschichte zeigen. Sie haben jedoch die Ganzheit des Lebens nicht aufgehoben, ja seiner Evolution sogar neue Wege geöffnet bis hin zum Menschen. Weitere Einzelheiten dazu enthält der Beitrag von Kutschera. Der untere Teil des Stammbaums wird durch die ungeheure Fülle der Mikroorganismen eingenommen. Von ihnen hängt das Leben der mehrzelligen Lebewesen (im oberen Teil) vollständig ab, im positiven wie negativen Sinn (Kegel 2015). So kön- Thermoanaerobium Aquifex Thermovibrio Methanococcales Methanopyrus Sulfolobus Acidianus Ignicoccus Metallosphaera Thermofilum Thermoproteus Pyrococcus Pyrodictium»Nanoarchaeum equitans«thermoplasma Wirbeltiere (Mensch) Weichtiere Pilze Grünalgen und Pflanzen Amöben Amöbo-Flagellaten Trichomonaden Microsporidien Methanoplanus Methanomicrobium Methanosarcina Archaea (Urbakterien) Thermococcus Methanobacterium Methanothermus Archaeoglobus/Ferroglobus Halobacteriales Abbildung 2: Stammbaum des Lebens als Modell der Evolution zur Vielfalt. Quelle: Haber 2016 nach Stetter 2011, mit Genehmigung des Autors und des Verlages Dr. Pfeil, München.
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