Zur Grenzöffnung. Agrarsektor. Wirtschaft
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1 Wirtschaft Zur Grenzöffnung im Agrarsektor Die Schweizer Marktöffnung im Agrar- und Lebensmittelbereich hat für die Hotellerie und Gastronomie Konsequenzen. Der Einkauf wird zwar günstiger, der Wettbewerb und der Konkurrenzkampf mit dem Detailhandel werden sich aber nicht entspannen. TEXT: Matteo Aepli 26 7/2012
2 7/ Foto: zabalotta/photocase.com
3 Foto: Fotomeister/photocase.com Wirtschaft Das Schweizer Gastgewerbe muss im Bereich der Agrarprodukte und Nahrungsmittel mit einer weiteren Marktöffnung rechnen. Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EU im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL) sind seit längerem in Schieflage. Dem Inseldasein der Schweiz im Agrar- und Lebensmittelbereich wurde zwar ein Aufschub gewährt. Wer jetzt aber denkt, dass damit alles beim Alten bleibt, täuscht sich. Trotz blockiertem Freihandelsabkommen mit der EU ist die Strategie einer Marktöffnung nicht vom Tisch (siehe Kasten). Wenn nämlich nicht der ganze Agrarbereich mit der EU auf einmal geöffnet wird, dann erfolgt die Öffnung eben etappenweise und sektoriell. Sprich, es wird eine Teil-für-Teil-Öffnung geben, und wenn sie nicht zuerst mit der EU erfolgt, dann mit China, Indien und Teilen von Südamerika. Auf den Punkt gebracht: Die Schweiz wird in naher Zukunft eine Reihe von Freihandelsabkommen in Angriff nehmen, die besonders für den zweiten und dritten Sektor der Schweizer Volkswirtschaft von grosser Bedeutung sind. Der Agrarbereich wird sich dabei kaum ausklammern lassen. Zusätzlich zur Marktöffnung durch bilaterale Freihandelsabkommen hat die Schweiz die Möglichkeit, ihren Grenzschutz autonom abzubauen, das heisst, ohne Rücksprache mit Handelspartnern. Der Autor Matteo Aepli ist Agrarökonom und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Agrarwirtschaft der ETH Zürich. 28 7/2012
4 gernot1610/photocase.com Zuletzt sind auch die Türen für ein Abkommen im Rahmen der WTO noch nicht zugeschlagen. Das Schweizer Gastgewerbe muss daher mit einer weiteren Marktöffnung im Bereich der Agrarprodukte und Nahrungsmittel rechnen. Unklar bleibt aber, zu welchem Zeitpunkt diese Schritte erfolgen werden. Dazu bräuchte es zurzeit einen Blick in die Kristallkugel. Keinen Gang zum Orakel braucht es dagegen, um die Konsequenzen für die Gastronomie abzuschätzen. Ein wichtiger Aspekt sind die Preise. Der Abbau von Handelshemmnissen, beispielsweise durch Zollreduktionen, senkt die Importpreise. Importieren wird sowohl günstiger als auch einfacher. Davon wird das Gastgewerbe profitieren. Ist es doch jene Branche, die im Vergleich zum Detailhandel bei bestimmten Nahrungsmitteln wie zum Beispiel Fleisch einen hohen Importanteil aufweist. Das ist aber noch nicht alles. Mit den zunehmenden Importen steigt der Druck auf das hohe Schweizer Preisniveau. Auch die Preise für Schweizer Produkte werden sinken. Eine gewisse Differenz zu Importprodukten wird je nach Produktgruppe zwar bestehen bleiben, die Gastronomie wird aber auch für Schweizer Produkte mit tieferen Vorleistungskosten bei den Nahrungsmitteln rechnen können, wie eine Studie im Auftrag von Hotelleriesuisse Anfang dieses Jahres bestätigte. Wie stark das Preisniveau für Vorleistungen sinkt, hängt vom entsprechenden Liberalisierungsszenario ab. Wird der Markt mit der EU geöffnet, dann wird es beim Fleisch zu einer starken Preiskorrektur kommen. Auf Stufe der Landwirtschaft ist mit maximal 30 bis 40 Prozent tieferen Preisen zu rechnen. Bei Milchprodukten wird die Preiskorrektur hingegen geringer ausfallen, da der Käsemarkt schon geöffnet ist. 7/
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6 Nahrungsmittelpreise machen die Schweizer Gastronomie nur begrenzt wettbewerbsfähiger. Damit haben sich die Preise bei Milch und Milchprodukten zu einem gewissen Mass dem EU-Preisniveau bereits angenähert. Bei einer Öffnung der Märkte mit Südamerika wird die Schweizer Gastronomie vor allem beim Rind- und Geflügelfleisch von tieferen Preisen profitieren können. Ein Wermutstropfen bleibt: Tiefere Preise für Nahrungsmittel führen nur begrenzt zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Gastronomie. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens machen die Vorleistungen für Nahrungsmittel im Schweizer Gastgewerbe vor allem im Vergleich zu anderen Kostenpositionen, insbesondere den Personalkosten, mit weniger als 20 Prozent (gemäss Studie der Hotelleriesuisse) einen eher bescheidenen Anteil aus. Damit ist das Kostensenkungspotenzial bei den Gesamtausgaben nicht allzu gross. Zweitens profitiert auch der Detailhandel von einem tieferen Preisniveau, der sich im Bereich der Schnellverpflegung einen beträchtlichen Teil des Kuchens abschneidet. Besonders die Supermärkte werden zu einer immer grösseren Konkurrenz des Gastgewerbes. Der Konkurrenzkampf mit dem Detailhandel um die Konsumausgaben der Privathaushalte wird sich bei einer Liberalisierung kaum entschärfen. Erschwerend wirkt dabei, dass sich die Gastronomie gegenüber dem Detailhandel in der Schweiz in den letzten Jahren beträchtlich verteuert hat. Im internationalen Vergleich dürfte sich die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Gastgewerbes jedoch leicht verbessern, was gerade in der heutigen Situation mit dem starken Franken wünschenswert wäre. Offene Grenzen im Agrarbereich führen insgesamt zu einem steigenden Im- Foto: al73/photocase.com Wie steht es um den Freihandel mit der EU? Ein aktuell prominentes bilaterales Abkommen ist das Freihandelsabkommen mit der EU im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL). Der Bundesrat hat zu diesem Zweck in den letzten Jahren Verhandlungen mit der EU geführt. Ein FHAL soll zu besserem Marktzugang für Schweizer Unternehmen in der EU, zu sinkenden Importpreisen und damit auch zu einem Druck auf die inländischen Preise führen. Und dies auf allen Stufen der Wertschöpfungskette von der Produktion bis zu den Konsumenten. Momentan sind die Verhandlungen für ein FHAL festgefahren. Der Grund sind die nichttarifären Handelshemmnisse. Darunter versteht man all jene Massnahmen, die den Handel behindern, aber weder Zölle noch Kontingente sind; dazu gehören zum Beispiel unterschiedliche Produktions- oder Deklarationsvorschriften. In diesen Bereichen ist ein Konsens schwierig. Dazu kommen ungeklärte institutionelle Fragen wie die Übernahme von EU-Recht oder die Gerichtsbarkeit, die nicht nur den Agrarbereich betreffen. Solange diese Fragen nicht gelöst sind, wird es zu keinem Abschluss kommen. Gleichzeitig hat der innenpolitische Druck auf ein mögliches Agrarfreihandelsabkommen mit der EU zugenommen. Das Parlament hat dem Bundesrat mehrere Motionen überwiesen, die den Abbruch der Verhandlungen fordern. Diese Forderungen sind jedoch bloss politische Signale. Das Parlament kann erst im Rahmen des Ratifizierungsprozesses einen Entscheid zu einem möglichen Abkommen fällen; die Verhandlungsführung liegt in der Kompetenz des Bundesrates. Aufgrund der schwierigen Verhandlungen ist für die nächsten Jahre kein vollständiger Freihandel mit der EU in Sicht. Die Mühlen im Agrarbereich mahlen oft nur sehr langsam und träge. Auch bei einem heutigen Abschluss würde der Freihandel erst nach einer Übergangsfrist von einigen Jahren vollständig in Kraft treten. Alternativen zu einem FHAL sind aber auf dem Tisch wie etwa eine vollständige Öffnung des Milchmarktes mit der EU. Auch andere Branchen müssen sich darauf einstellen. An der Strategie Marktöffnung ändert sich mittelfristig gesehen nichts. 7/
7 Wirtschaft Foto: manun/photocase.com «Importe müssen nicht a priori qualitativ minderwertig sein.» portanteil. Gleichzeitig ist der Trend zu regionalen Produkten auch in der Gastronomie ungebrochen. Auf den ersten Blick scheint dies ein Widerspruch zu sein. Doch entspricht die Tendenz den Bedürfnissen des heterogenen Konsumenten. Importe und Regionalprodukte ergänzen sich. Während die Importe die Bedürfnisse der Konsumenten nach grosser Auswahl, preisgünstigen Produkten, aber auch Produkten, die in der Schweiz nicht oder kaum erhältlich sind (zum Beispiel Seafood), erfüllen, stehen Regionalprodukte für Frische, Natürlichkeit, hohe Produktionsstandards (Tierschutz und Ökologie), Tradition und enge Verbundenheit mit den Regionen und der Schweiz. Importe müssen dabei nicht a priori qualitativ minderwertig sein. Man denke beispielsweise an einen guten französischen Wein oder an irisches Lamm. Diese Dualität zwischen ausländischen und regional hergestellten Produkten wird sich in Zukunft nochmals verstärken. Das zeigen die aktuellen Zunahmen bei den Importen von verarbeiteten Nahrungsmitteln bei gleichzeitigem Aufschwung von Regionalprodukten. Problematisch ist aber zurzeit, dass die bestehenden Labels für Regionalprodukte auf den Detailhandel und weniger auf die Gastronomie ausgerichtet sind. Eine Qualitätssicherung durch Zertifizierung von Gastronomiebetrieben ist aufgrund der bestehenden Labels schwierig. Hier besteht ein grosses Potenzial vor allem in den Tourismusregionen, denn Qualitätssicherung schafft Vertrauen beim Konsumenten und erhöht schliesslich seine Zahlungsbereitschaft. Auch nach einer Grenzöffnung wird das Gastgewerbe ein wichtiger Kunde von Agrarprodukten bleiben und die Landwirtschaft ein zuverlässiger Lieferant sein. Zurzeit befinden sich aber beide Branchen in einem rauen Umfeld. Eine verstärkte Kooperation und eine bessere Abstimmung der Bedürfnisse innerhalb der Wertschöpfungskette und besonders zwischen der Landwirtschaft und der Gastronomie sind deshalb wichtig. Dabei ist die Abstimmung von Regionalprodukten auf die Bedürfnisse der Gastronomie nur eine von mehreren Möglichkeiten. Obwohl viele Gastronomiebetriebe eine Zusammenarbeit mit Direktlieferanten aus der Landwirtschaft erfolgreich praktizieren, braucht es in Zukunft einen intensiven branchenübergreifenden Austausch und eine bessere Koordination, aus der sowohl die Gastronomie wie auch die Landwirtschaft gestärkt hervorgehen. 32 7/2012
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