Wahrnehmungen von Vielfalt und Heterogenität
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- Gerhard Holzmann
- vor 6 Jahren
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1 Wahrnehmungen von Vielfalt und Heterogenität Alle Schülerinnen und Schüler einzeln wahrnehmen, begleiten, fördern und fordern wie soll das gehen? B B B B oder: Individuell fördern mit und nach Bildungsstandards Gerhard Ziener Pädagogisch-Theologisches Zentrum Stuttgart
2 Vorbemerkung: 4mal B
3 B wie Beobachten
4 B wie Beschreiben
5 B wie Bewerten
6 B wie Begleiten
7 Beobachten Beschreiben Bewerten Begleiten
8 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität B. Kompetenzorientiert unterrichten Zwischenschritt: Vom Lernen Zur Leistung C. Umgang mit Vielfalt und Heterogenität
9 Adler steigen keine Treppen Celestine Freinet
10 Adler steigen keine Treppen Vom methodischen Treppensteigen "Der Pädagoge hatte seine Methoden aufs Genaueste ausgearbeitet; er hatte - so sagte er - ganz wissenschaftlich die Treppe gebaut, die zu den verschiedenen Etagen des Wissens führt; mit vielen Versuchen hatte er die Höhe der Stufen ermittelt, um sie der normalen Leistungsfähigkeit kindlicher Beine anzupassen; da und dort hatte er einen Treppenabsatz zum Atemholen eingebaut und an einem bequemen Geländer konnten die Anfänger sich festhalten. Und wie er fluchte, dieser Pädagoge! Nicht etwa auf die Treppe, die ja offensichtlich mit Klugheit ersonnen und erbaut worden war, sondern auf die Kinder, die kein Gefühl für seine Fürsorge zu haben schienen. Er fluchte aus folgendem Grund: solange er dabei stand, um die methodische Nutzung dieser Treppe zu beobachten, wie Stufe um Stufe empor geschritten wurde, an den Absätzen ausgeruht und sich an dem Geländer festgehalten wurde, da lief alles ganz normal ab. Aber kaum war er für einen Augenblick nicht da: sofort herrschten Chaos und Katastrophe! Nur diejenigen, die von der Schule schon genügend autoritär geprägt waren, stiegen methodisch Stufe für Stufe, sich am Geländer festhaltend, auf dem Absatz verschnaufend, weiter die Treppe hoch - wie Schäferhunde, die ihr Leben lang darauf dressiert wurden, passiv ihrem Herrn zu gehorchen, und die es aufgegeben haben, ihrem Hunderhythmus zu folgen, der durch Dickichte bricht und Pfade überschreitet. Die Kinderhorde besann sich auf ihre Instinkte und fand ihre Bedürfnisse wieder: eines bezwang die Treppe genial auf allen Vieren; ein anderes nahm mit Schwung zwei Stufen auf einmal und ließ die Absätze aus; es gab sogar welche, die versuchten, rückwärts die Treppe hinaufzusteigen und die es darin wirklich zu einer gewissen Meisterschaft brachten. Die meisten aber fanden - und das ist ein nicht zu fassendes Paradoxon - dass die Treppe ihnen zu wenig Abenteuer und Reize bot. Sie rasten um das Haus, kletterten die Regenrinne hoch, stiegen über die Balustraden und erreichten das Dach in einer Rekordzeit, besser und schneller als über die so genannte methodische Treppe; einmal oben angelangt, rutschten sie das Treppengeländer runter... um den abenteuerlichen Aufstieg noch einmal zu wagen. Der Pädagoge macht Jagd auf die Personen, die sich weigern, die von ihm für normal gehaltenen Wege zu benutzen. Hat er sich wohl einmal gefragt; ob nicht zufällig seine Wissenschaft von der Treppe eine falsche Wissenschaft sein könnte, und ob es nicht schnellere und zuträglichere Wege gäbe, auf denen auch gehüpft und gesprungen werden könnte; ob es nicht, nach dem Bild Victor Hugos, eine Pädagogik für Adler geben könnte, die keine Treppen steigen, um nach oben zu kommen?" (aus: Célestine Freinet, Pädagogische Texte, Reinbek 1980, in: W. Wallrabenstein: Offene Schule - offener Unterricht. Hamburg 1991, S. 79/80)
11 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 1. Jeder Mensch ist ein In-Dividuum im Blick auf - Lernvoraussetzungen (kognitiv, psychosozial, Anstrengungsbereitschaft) - Lerntypen (visuell, kognitiv, haptisch ) - Motivation Lernen kann immer nur das Subjekt (Erwerb von Kompetenz, Ko- Konstruktion von Sinn und Wirklichkeit)
12 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 1. Individualität Vielfalt / Pluralität Heterogenität? Ausgangspunkt: Individualität der Lernenden Vielfalt, Pluralität: Lernausgangslagen Vorwissen Motivation soziokulturelle Voraussetzung familiäre Hintergründe Genderproblematik Arbeitshaltung -
13 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 2. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen Ausgangspunkt: Individualität der Lernenden Vielfalt, Pluralität(en), z.b.: Vielfältige, unterschiedliche: Lernausgangslagen, Kulturen, Geschlechter, Religionen, Jahrgangsstufen, Motivationen, Lerntypen (haptisch/visuell/aktiv/passiv/assoziativ ), Vorerfahrungen, Erlebnisse, Biografien, Herkunftsgeschichten. Frage: was davon ist erfreulich, belebend, erwünscht und was davon erduldet / störend?
14 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 2. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen Als die Unterrichtsarbeit besonders erschwerend werden von Lehrerinnen und Lehrern vor allem empfunden: Unterschiede in Hinsicht auf: die Anstrengungs- und Einordnungsbereitschaft ( Motivation, Arbeitshaltungen, Disziplin ); das intellektuelle Leistungsvermögen ( Begabung, kognitive Kompetenz ); den Stil und die Fähigkeiten beim Umgang mit anderen (sowohl MitschülerInnen als auch Erwachsenen Sozialverhalten ); den sozio-kulturellen Hintergund (sozial, ethnisch usw.)
15 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 3. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen spezifische Formen von Vielfalt / Heterogentät im Religionsunterricht: aus verschiedenen Klassen zusammengesetzte Lerngruppen; jahrgangsübergreifende Lerngruppen, auch über Standard-Zeiträume hinweg (z.b. HS Kl. 5-7); unterschiedlichste Formen und Grade der religiösen/konfessionellen Sozialisation; Zunahme von vd-kindern im RU; Konfessionelle Kooperation
16 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 4. Vielfalt und Heterogenität: Wodurch entsteht Vielfalt / Heterogenität? Strukturelle Gesichtspunkte: Klassenteiler, Zusammensetzung von Lerngruppen Bildungsschichten Bildungsbiografien, Lernvoraussetzungen Prozess-Gesichtspunkte: Lern- und Arbeitshaltungen Lernphasen, Lerntempi Leistungsbereitschaft Sozialverhalten Disziplin Angemessene didaktische Konzepte! Ergebnisorientierung: Uneinheitliche kognitive Erträge Unterschiedlicher Kompetenzerwerb
17 Übung 1: Wahrnehmung von Individualität und Vielfalt an uns selbst 1. Zweite Vorstellungsrunde: Selbstportrait 2. Individuell: mein Namenszug Übung 2: Vielfalt der Wahrnehmungen: Filmbeispiel 1. Was wir wahrnehmen 2. Was wir an uns wahrnehmen, während wir wahrnehmen 3. Wahrnehmung und Deutung Übung 3: Ampelspiel 1. Was uns stört / hilft 2. Was wir können / was wir können wollen
18 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards: was hat das damit zu tun? 1. Perspektivenwechsel vom Input zum Output (von der Inhalts- zur Ergebnisorientierung) 2. Kompetenzerwerb als Ziel gelingender Bildung 3. Der veränderte Lernbegriff und seine Auswirkungen auf das Lehren (Lernen als Kompetenzerwerb / Lehren als kompetenzorientiert Unterrichten)
19 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 1.Perspektivenwechsel vom Input zum Output (von der Inhalts- zur Ergebnisorientierung) 1. Schritt: Besinnen Sie sich bitte für die nächsten Minuten auf einen beliebigen Lehrinhalt und stellen Sie sich vor, Sie hätten diesen Inhalt zu unterrichten. Notieren Sie sich ggf. unverzichtbare inhaltliche Assoziationen! Beispiele: Die Weimarer Republik* Das Geheimnis der Primzahlen* Present tense und past tense* 2. Schritt Versetzen Sie sich bitte ans Ende der betreffenden Lernsequenz, nehmen Sie die Lernenden in den Blick und formulieren Sie Ihre Erwartungen an den Ertrag Ihres Bildungsangebotes! Nach Stunden zum Thema erwarte ich eigentlich, dass die Schülerinnen und Schüler * oder: Das Kirchenjahr, der Satz des Pythagoras,
20 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 2.Der Ertrag der Eingangsüberlegung (Erwartungen an gelingende Bildungsangebote) Sie haben mit diesen beiden Schritten drei Dinge in einem getan: 1. Eine didaktische Reflexion in Kurzform: Sie haben aus Inhalten Ziele abgeleitet 2. Sie haben Ihr eigenes Bildungsverständnis expliziert 3. Sie haben Bildungsstandards in Form von Kompetenzen generiert. Ertrag: 1. Bildung setzt sich zusammen aus Kenntnissen Fertigkeiten/Fähigkeiten Einstellungen/Haltungen (= Kompetenzen) 2. Bildungsstandards formulieren Kompetenzen der Lernenden als Ertrag gelingender Bildungsangebote 3. Bildungsstandards sind schüler-, ergebnis- und prozessorientiert
21 C. Vom Lernen zur Leistung Zwischenüberlegung: Vom Lernen zur Leistung
22 C. Vom Lernen zur Leistung Das Kind im Mittelpunkt und sein Lernen -
23 C. Vom Lernen zur Leistung - durch die Kompetenzbrille betrachtet heißt: Wir verstehen Lernen als den Erwerb überfachlicher und fachlicher Kompetenzen an geeigneten Inhalten. Wir fragen deshalb: wie müssen wir lehren, damit Kinder kompetent werden (= kompetenzorientiert unterrichten) und zwar jedes auf seine Weise?
24 C. Vom Lernen zur Leistung ein kurzer Exkurs in die Physik: Arbeit und Leistung Den Höhenunterschied der Treppe zu überwinden kostet Arbeit, denn die Gewichtskraft des Körpers zieht den Treppensteiger nach unten. Die Arbeit errechnet sich aus der Höhe und dem Gewicht, das die Höhe überwindet (physikalisch: Kraft mal Weg) Aus Arbeit wird Leistung: Von Leistung spricht man, wenn die Arbeit in einer bestimmten Zeit verrichtet wird. (physikalisch: Kraft mal Weg durch Zeit
25 C. Vom Lernen zur Leistung bedeuten nicht: Von Leistung spricht man, wenn die Arbeit in einer bestimmten Zeit verrichtet wird. Übertragung auf Lernleistung Standards Normierung einer ganz bestimmten Leistung, sondern benennen ein Können, über das man auf vielfältige Weise verfügen kann (physikalisch: Kraft mal Weg durch Zeit
26 Übung 4: Kompetenzanalyse
27 Kontrollfrage 1: Wie heißen diese Standards nicht? Kontrollfrage 2: Was können die Schülerinnen und Schüler, wenn sie über diese Kompetenz(en) verfügen und wie gut können sie es? (Leistungsniveaus) Kontrollfrage 3: Wie unterschiedlich kann man dasselbe können (Leistungsspektren)
28 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 3. Gegenprobe: kompetenzorientierte Aufgaben a. gleichseitige Dreiecke = 1 =? b. Fermi -Aufgaben: z.b.: Stauaufgabe Auf einem 1 km langen Autobahnabschnitt hat sich ein Stau gebildet. Wie viele Menschen befinden sich in diesem Stau? c. Sommergedicht
29 Sommergedicht Weißt du, wie der Sommer riecht? Nach Birnen und nach Nelken, nach Äpfeln und Vergissmeinnicht, die in der Sonne welken, nach heißem Sand und kühlem See und nassen Badehosen, nach Wasserball und Sonnencrem, nach Straßenstaub und Rosen. Weißt du, wie der Sommer schmeckt? Nach gelben Aprikosen und Walderdbeeren, halb versteckt zwischen Gras und Moosen, nach Himbeeren, Vanilleeis und Eis aus Schokolade, nach Sauerklee vom Wiesenrand und Brauselimonade. Weißt du, wie der Sommer klingt? Nach einer Flötenweise, die durch die Mittagsstille dringt, ein Vogel zwitschert leise, dumpf fällt ein Apfel in das Gras, ein Wind rauscht in den Bäumen, ein Kind lacht hell, dann schweigt es schnell und möchte lieber träumen.
30 Gedicht-Partitur B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards
31 Grundformen des Kompetenzerwerbs (allgemeiner Bildungsauftrag - kompetenzorientiert buchstabiert) - I geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich I: wissen, verstehen informiert sein über, so wird von den SchülerInnen erwartet (Reproduktion) Die im Unterricht erhaltenen bzw. bereits erarbeiteten Informationen in wesentlichen Grundzügen wiedergeben (wiederholen, reproduzieren) (Rekonstruktion/Vernetzung) Die im Unterricht u.u. auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhaltenen Informationen verknüpfen und Bezüge herstellen (Transfer/Perspektivübernahme) Informationen selbstständig reorganisieren / strukturieren und in einen veränderten Zusammenhang einordnen geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich II: ausdrücken, berichten, erzählen, erfragen, formulieren, so wird von den SchülerInnen erwartet (sich gegenstandsbezogen äußern; Reproduktion) Sachbezogen und situationsgerecht Sachverhalte (Beobachtungen, Gefühle, Einsichten ) formulieren; eine Redeweise (Sprachspiel) wiederholen bzw. nachahmen (dialogisch, adressatenbezogen reden; Rekonstruktion/Vernetzung) Eigene sprachliche Äußerungen in einen Dialog mit anderen bringen; reagieren, Redeweisen reflektieren und gestalten (empathisch kommunizieren; Transfer) Auch andere (fremde) sprachliche Redeweisen (Sprechweisen, Sprachspiele) wahrnehmen, reflektieren, probeweise übernehmen
32 Grundformen des Kompetenzerwerbs (allgemeiner Bildungsauftrag - kompetenzorientiert buchstabiert) - II geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich IV: reflektieren, beurteilen, positionieren, so wird von den SchülerInnen erwartet (Reproduktion) Bekannte Gesichtspunkte, die ein Urteil begründen, nennen und von widersprechenden unterscheiden; eigene Wahrnehmungen und Deutungen zu formulieren (Rekonstruktion/Vernetzung) Wahrnehmungen und Deutungen zu unterscheiden (eigene Positionen begründen, mit anderen vergleichen, abwägen, hinterfragen) (Transfer/Perspektivübernahme) Wahrnehmungen und Deutungen anderer probeweise einnehmen (auch wenn sie nicht den eigenen Wahrnehmungen/Deutungen entsprechen)
33 Ergebnisse: 1. Unterscheidung von Leistungsniveaus und Leistungsspektren: Expertenstandards Aufsteigendes Leistungsniveau Auf unterschiedliche Weise dasselbe können: Leistungsspektrum Regelstandards Mindeststandards
34 Ergebnisse: 2. Didaktische Konsequenzen Umgang mit Vielfalt von Lernvoraussetzungen, Leistungsniveaus und Leistungsspektren: harmonisieren oder differenzieren? Expertenstandards Regelstandards Mindeststandards Arbeiten wir ziel-gleich oder ziel-different?
35 D. Methodisch-didaktischer Umgang mit Vielfalt A. von Lernvoraussetzungen B. von Leistungsfähigkeit C. von Leistungsprofilen, Entwicklungsmöglichkeiten und Förderbedarf D. von Leistungserwartungen
36 D. Umgang mit Heterogenität und Vielfalt Vielfältige, offene Aufgaben, Lösungsvarianz Fördernder Unterricht statt Förder-Unterricht Selbstorganisiertes Lernen freie Studienzeiten Lernbüros Portfolio-Arbeit, Lernjournale usw. Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) Think-pair-share Unterschiedliche Lerndesigns* Authentische Anforderungssituationen Selbst-/Fremdbeobachtung Transparenz von Leistungserwartungen ( Kompetenzexegese ) Lernverträge
37 D. Umgang mit Heterogenität und Vielfalt: Lehrerrolle I. Input: Instruktion, Vergewisserung, Einführung, Anleitung... Klassisch III. Projekt: Ziel- und produktorientriert, fächerübegreifend zeitlich begrenzt Lernbegleitung II. (Lern-)Werkstatt: Lernaufgaben; Atelier, selbständiges Arbeiten, Info-Inseln IV. Performanz: Lernbegleitung Präsentation, künstlerischästhetisch (Theater), GFS Coach
38 Wahrnehmungen von Vielfalt und Heterogenität Alle Schülerinnen und Schüler einzeln wahrnehmen, begleiten, fördern und fordern wie soll das gehen? B B B B oder: Individuell fördern mit und nach Bildungsstandards Gerhard Ziener Pädagogisch-Theologisches Zentrum Stuttgart
39 Vorbemerkung: 4mal B
40 B wie Beobachten
41 B wie Beschreiben
42 B wie Bewerten
43 B wie Begleiten
44 Beobachten Beschreiben Bewerten Begleiten
45 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität B. Kompetenzorientiert unterrichten Zwischenschritt: Vom Lernen Zur Leistung C. Umgang mit Vielfalt und Heterogenität
46 Adler steigen keine Treppen Celestine Freinet
47 Adler steigen keine Treppen Vom methodischen Treppensteigen "Der Pädagoge hatte seine Methoden aufs Genaueste ausgearbeitet; er hatte - so sagte er - ganz wissenschaftlich die Treppe gebaut, die zu den verschiedenen Etagen des Wissens führt; mit vielen Versuchen hatte er die Höhe der Stufen ermittelt, um sie der normalen Leistungsfähigkeit kindlicher Beine anzupassen; da und dort hatte er einen Treppenabsatz zum Atemholen eingebaut und an einem bequemen Geländer konnten die Anfänger sich festhalten. Und wie er fluchte, dieser Pädagoge! Nicht etwa auf die Treppe, die ja offensichtlich mit Klugheit ersonnen und erbaut worden war, sondern auf die Kinder, die kein Gefühl für seine Fürsorge zu haben schienen. Er fluchte aus folgendem Grund: solange er dabei stand, um die methodische Nutzung dieser Treppe zu beobachten, wie Stufe um Stufe empor geschritten wurde, an den Absätzen ausgeruht und sich an dem Geländer festgehalten wurde, da lief alles ganz normal ab. Aber kaum war er für einen Augenblick nicht da: sofort herrschten Chaos und Katastrophe! Nur diejenigen, die von der Schule schon genügend autoritär geprägt waren, stiegen methodisch Stufe für Stufe, sich am Geländer festhaltend, auf dem Absatz verschnaufend, weiter die Treppe hoch - wie Schäferhunde, die ihr Leben lang darauf dressiert wurden, passiv ihrem Herrn zu gehorchen, und die es aufgegeben haben, ihrem Hunderhythmus zu folgen, der durch Dickichte bricht und Pfade überschreitet. Die Kinderhorde besann sich auf ihre Instinkte und fand ihre Bedürfnisse wieder: eines bezwang die Treppe genial auf allen Vieren; ein anderes nahm mit Schwung zwei Stufen auf einmal und ließ die Absätze aus; es gab sogar welche, die versuchten, rückwärts die Treppe hinaufzusteigen und die es darin wirklich zu einer gewissen Meisterschaft brachten. Die meisten aber fanden - und das ist ein nicht zu fassendes Paradoxon - dass die Treppe ihnen zu wenig Abenteuer und Reize bot. Sie rasten um das Haus, kletterten die Regenrinne hoch, stiegen über die Balustraden und erreichten das Dach in einer Rekordzeit, besser und schneller als über die so genannte methodische Treppe; einmal oben angelangt, rutschten sie das Treppengeländer runter... um den abenteuerlichen Aufstieg noch einmal zu wagen. Der Pädagoge macht Jagd auf die Personen, die sich weigern, die von ihm für normal gehaltenen Wege zu benutzen. Hat er sich wohl einmal gefragt; ob nicht zufällig seine Wissenschaft von der Treppe eine falsche Wissenschaft sein könnte, und ob es nicht schnellere und zuträglichere Wege gäbe, auf denen auch gehüpft und gesprungen werden könnte; ob es nicht, nach dem Bild Victor Hugos, eine Pädagogik für Adler geben könnte, die keine Treppen steigen, um nach oben zu kommen?" (aus: Célestine Freinet, Pädagogische Texte, Reinbek 1980, in: W. Wallrabenstein: Offene Schule - offener Unterricht. Hamburg 1991, S. 79/80)
48 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 1. Jeder Mensch ist ein In-Dividuum im Blick auf - Lernvoraussetzungen (kognitiv, psychosozial, Anstrengungsbereitschaft) - Lerntypen (visuell, kognitiv, haptisch ) - Motivation Lernen kann immer nur das Subjekt (Erwerb von Kompetenz, Ko- Konstruktion von Sinn und Wirklichkeit)
49 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 1. Individualität Vielfalt / Pluralität Heterogenität? Ausgangspunkt: Individualität der Lernenden Vielfalt, Pluralität: Lernausgangslagen Vorwissen Motivation soziokulturelle Voraussetzung familiäre Hintergründe Genderproblematik Arbeitshaltung -
50 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 2. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen Ausgangspunkt: Individualität der Lernenden Vielfalt, Pluralität(en), z.b.: Vielfältige, unterschiedliche: Lernausgangslagen, Kulturen, Geschlechter, Religionen, Jahrgangsstufen, Motivationen, Lerntypen (haptisch/visuell/aktiv/passiv/assoziativ ), Vorerfahrungen, Erlebnisse, Biografien, Herkunftsgeschichten. Frage: was davon ist erfreulich, belebend, erwünscht und was davon erduldet / störend?
51 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 2. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen Als die Unterrichtsarbeit besonders erschwerend werden von Lehrerinnen und Lehrern vor allem empfunden: Unterschiede in Hinsicht auf: die Anstrengungs- und Einordnungsbereitschaft ( Motivation, Arbeitshaltungen, Disziplin ); das intellektuelle Leistungsvermögen ( Begabung, kognitive Kompetenz ); den Stil und die Fähigkeiten beim Umgang mit anderen (sowohl MitschülerInnen als auch Erwachsenen Sozialverhalten ); den sozio-kulturellen Hintergund (sozial, ethnisch usw.)
52 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 3. Vielfalt oder Heterogenität? Wahrnehmungen und Bewertungen spezifische Formen von Vielfalt / Heterogentät im Religionsunterricht: aus verschiedenen Klassen zusammengesetzte Lerngruppen; jahrgangsübergreifende Lerngruppen, auch über Standard-Zeiträume hinweg (z.b. HS Kl. 5-7); unterschiedlichste Formen und Grade der religiösen/konfessionellen Sozialisation; Zunahme von vd-kindern im RU; Konfessionelle Kooperation
53 A. Individualität, Vielfalt und Heterogenität 4. Vielfalt und Heterogenität: Wodurch entsteht Vielfalt / Heterogenität? Strukturelle Gesichtspunkte: Klassenteiler, Zusammensetzung von Lerngruppen Bildungsschichten Bildungsbiografien, Lernvoraussetzungen Prozess-Gesichtspunkte: Lern- und Arbeitshaltungen Lernphasen, Lerntempi Leistungsbereitschaft Sozialverhalten Disziplin Angemessene didaktische Konzepte! Ergebnisorientierung: Uneinheitliche kognitive Erträge Unterschiedlicher Kompetenzerwerb
54 Übung 1: Wahrnehmung von Individualität und Vielfalt an uns selbst 1. Zweite Vorstellungsrunde: Selbstportrait 2. Individuell: mein Namenszug Übung 2: Vielfalt der Wahrnehmungen: Filmbeispiel 1. Was wir wahrnehmen 2. Was wir an uns wahrnehmen, während wir wahrnehmen 3. Wahrnehmung und Deutung Übung 3: Ampelspiel 1. Was uns stört / hilft 2. Was wir können / was wir können wollen
55 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards: was hat das damit zu tun? 1. Perspektivenwechsel vom Input zum Output (von der Inhalts- zur Ergebnisorientierung) 2. Kompetenzerwerb als Ziel gelingender Bildung 3. Der veränderte Lernbegriff und seine Auswirkungen auf das Lehren (Lernen als Kompetenzerwerb / Lehren als kompetenzorientiert Unterrichten)
56 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 1.Perspektivenwechsel vom Input zum Output (von der Inhalts- zur Ergebnisorientierung) 1. Schritt: Besinnen Sie sich bitte für die nächsten Minuten auf einen beliebigen Lehrinhalt und stellen Sie sich vor, Sie hätten diesen Inhalt zu unterrichten. Notieren Sie sich ggf. unverzichtbare inhaltliche Assoziationen! Beispiele: Die Weimarer Republik* Das Geheimnis der Primzahlen* Present tense und past tense* * oder: Das Kirchenjahr, der Satz des Pythagoras, 2. Schritt Versetzen Sie sich bitte ans Ende der betreffenden Lernsequenz, nehmen Sie die Lernenden in den Blick und formulieren Sie Ihre Erwartungen an den Ertrag Ihres Bildungsangebotes! Nach Stunden zum Thema erwarte ich eigentlich, dass die Schülerinnen und Schüler
57 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 2.Der Ertrag der Eingangsüberlegung (Erwartungen an gelingende Bildungsangebote) Sie haben mit diesen beiden Schritten drei Dinge in einem getan: 1. Eine didaktische Reflexion in Kurzform: Sie haben aus Inhalten Ziele abgeleitet 2. Sie haben Ihr eigenes Bildungsverständnis expliziert 3. Sie haben Bildungsstandards in Form von Kompetenzen generiert. Ertrag: 1. Bildung setzt sich zusammen aus Kenntnissen Fertigkeiten/Fähigkeiten Einstellungen/Haltungen (= Kompetenzen) 2. Bildungsstandards formulieren Kompetenzen der Lernenden als Ertrag gelingender Bildungsangebote 3. Bildungsstandards sind schüler-, ergebnis- und prozessorientiert
58 C. Vom Lernen zur Leistung Zwischenüberlegung: Vom Lernen zur Leistung
59 C. Vom Lernen zur Leistung Das Kind im Mittelpunkt und sein Lernen -
60 C. Vom Lernen zur Leistung - durch die Kompetenzbrille betrachtet heißt: Wir verstehen Lernen als den Erwerb überfachlicher und fachlicher Kompetenzen an geeigneten Inhalten. Wir fragen deshalb: wie müssen wir lehren, damit Kinder kompetent werden (= kompetenzorientiert unterrichten) und zwar jedes auf seine Weise?
61 C. Vom Lernen zur Leistung ein kurzer Exkurs in die Physik: Arbeit und Leistung Den Höhenunterschied der Treppe zu überwinden kostet Arbeit, denn die Gewichtskraft des Körpers zieht den Treppensteiger nach unten. Die Arbeit errechnet sich aus der Höhe und dem Gewicht, das die Höhe überwindet (physikalisch: Kraft mal Weg) Aus Arbeit wird Leistung: Von Leistung spricht man, wenn die Arbeit in einer bestimmten Zeit verrichtet wird. (physikalisch: Kraft mal Weg durch Zeit
62 C. Vom Lernen zur Leistung bedeuten nicht: Von Leistung spricht man, wenn die Arbeit in einer bestimmten Zeit verrichtet wird. Übertragung auf Lernleistung Standards Normierung einer ganz bestimmten Leistung, sondern benennen ein Können, über das man auf vielfältige Weise verfügen kann (physikalisch: Kraft mal Weg durch Zeit
63 Übung 4: Kompetenzanalyse
64 Kontrollfrage 1: Wie heißen diese Standards nicht? Kontrollfrage 2: Was können die Schülerinnen und Schüler, wenn sie über diese Kompetenz(en) verfügen und wie gut können sie es? (Leistungsniveaus) Kontrollfrage 3: Wie unterschiedlich kann man dasselbe können (Leistungsspektren)
65 B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards 3. Gegenprobe: kompetenzorientierte Aufgaben a. gleichseitige Dreiecke = 1 =? b. Fermi -Aufgaben: z.b.: Stauaufgabe Auf einem 1 km langen Autobahnabschnitt hat sich ein Stau gebildet. Wie viele Menschen befinden sich in diesem Stau? c. Sommergedicht
66 Sommergedicht Weißt du, wie der Sommer riecht? Nach Birnen und nach Nelken, nach Äpfeln und Vergissmeinnicht, die in der Sonne welken, nach heißem Sand und kühlem See und nassen Badehosen, nach Wasserball und Sonnencrem, nach Straßenstaub und Rosen. Weißt du, wie der Sommer schmeckt? Nach gelben Aprikosen und Walderdbeeren, halb versteckt zwischen Gras und Moosen, nach Himbeeren, Vanilleeis und Eis aus Schokolade, nach Sauerklee vom Wiesenrand und Brauselimonade. Weißt du, wie der Sommer klingt? Nach einer Flötenweise, die durch die Mittagsstille dringt, ein Vogel zwitschert leise, dumpf fällt ein Apfel in das Gras, ein Wind rauscht in den Bäumen, ein Kind lacht hell, dann schweigt es schnell und möchte lieber träumen.
67 Gedicht-Partitur B. Kompetenzorientierter Unterricht nach Bildungsstandards
68 Grundformen des Kompetenzerwerbs (allgemeiner Bildungsauftrag - kompetenzorientiert buchstabiert) - I geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich I: wissen, verstehen informiert sein über, so wird von den SchülerInnen erwartet (Reproduktion) Die im Unterricht erhaltenen bzw. bereits erarbeiteten Informationen in wesentlichen Grundzügen wiedergeben (wiederholen, reproduzieren) (Rekonstruktion/Vernetzung) Die im Unterricht u.u. auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten erhaltenen Informationen verknüpfen und Bezüge herstellen (Transfer/Perspektivübernahme) Informationen selbstständig reorganisieren / strukturieren und in einen veränderten Zusammenhang einordnen geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich II: ausdrücken, berichten, erzählen, erfragen, formulieren, so wird von den SchülerInnen erwartet (sich gegenstandsbezogen äußern; Reproduktion) Sachbezogen und situationsgerecht Sachverhalte (Beobachtungen, Gefühle, Einsichten ) formulieren; eine Redeweise (Sprachspiel) wiederholen bzw. nachahmen (dialogisch, adressatenbezogen reden; Rekonstruktion/Vernetzung) Eigene sprachliche Äußerungen in einen Dialog mit anderen bringen; reagieren, Redeweisen reflektieren und gestalten (empathisch kommunizieren; Transfer) Auch andere (fremde) sprachliche Redeweisen (Sprechweisen, Sprachspiele) wahrnehmen, reflektieren, probeweise übernehmen
69 Grundformen des Kompetenzerwerbs (allgemeiner Bildungsauftrag - kompetenzorientiert buchstabiert) - II geht es im Unterricht um Fähigkeiten aus dem Bereich IV: reflektieren, beurteilen, positionieren, so wird von den SchülerInnen erwartet (Reproduktion) Bekannte Gesichtspunkte, die ein Urteil begründen, nennen und von widersprechenden unterscheiden; eigene Wahrnehmungen und Deutungen zu formulieren (Rekonstruktion/Vernetzung) Wahrnehmungen und Deutungen zu unterscheiden (eigene Positionen begründen, mit anderen vergleichen, abwägen, hinterfragen) (Transfer/Perspektivübernahme) Wahrnehmungen und Deutungen anderer probeweise einnehmen (auch wenn sie nicht den eigenen Wahrnehmungen/Deutungen entsprechen)
70 Ergebnisse: 1. Unterscheidung von Leistungsniveaus und Leistungsspektren: Expertenstandards Aufsteigendes Leistungsniveau Auf unterschiedliche Weise dasselbe können: Leistungsspektrum Regelstandards Mindeststandards
71 Ergebnisse: 2. Didaktische Konsequenzen Umgang mit Vielfalt von Lernvoraussetzungen, Leistungsniveaus und Leistungsspektren: harmonisieren oder differenzieren? Expertenstandards Regelstandards Mindeststandards Arbeiten wir ziel-gleich oder ziel-different?
72 D. Methodisch-didaktischer Umgang mit Vielfalt A. von Lernvoraussetzungen B. von Leistungsfähigkeit C. von Leistungsprofilen, Entwicklungsmöglichkeiten und Förderbedarf D. von Leistungserwartungen
73 D. Umgang mit Heterogenität und Vielfalt Vielfältige, offene Aufgaben, Lösungsvarianz Fördernder Unterricht statt Förder-Unterricht Selbstorganisiertes Lernen freie Studienzeiten Lernbüros Portfolio-Arbeit, Lernjournale usw. Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) Think-pair-share Unterschiedliche Lerndesigns* Authentische Anforderungssituationen Selbst-/Fremdbeobachtung Transparenz von Leistungserwartungen ( Kompetenzexegese ) Lernverträge
74 D. Umgang mit Heterogenität und Vielfalt: Lehrerrolle I. Input: Instruktion, Vergewisserung, Einführung, Anleitung... Klassisch III. Projekt: Ziel- und produktorientriert, fächerübegreifend zeitlich begrenzt Lernbegleitung II. (Lern-)Werkstatt: Lernaufgaben; Atelier, selbständiges Arbeiten, Info-Inseln IV. Performanz: Lernbegleitung Präsentation, künstlerischästhetisch (Theater), GFS Coach
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