Neoadjuvante Systemtherapie beim Pankreaskarzinom
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1 T. Seufferlein, Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Ulm. 04. August 2016 Neoadjuvante Systemtherapie beim Pankreaskarzinom Das Robert-Koch-Institut prognostiziert für Pankreaskarzinomfälle in Deutschland. Männer und Frauen sind etwa gleichermaßen betroffen. Damit gehört das Pankreaskarzinom nicht zu den häufigsten Tumoren im Magen-Darm-Trakt. Bei allerdings einer etwa gleichen Zahl an Sterbefällen pro Jahr ist das Pankreaskarzinom einer der Tumoren mit den ungünstigsten Prognosen. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt insgesamt bei etwa 7%. Sollte sich dies in den kommenden Jahren nicht ändern, wird das Pankreaskarzinom im Jahr 2030 nach den Bronchialkarzinomen die zweithäufigste Krebstodesursache in den USA sein (1). Die Gründe dafür sind vielschichtig. Effektive Maßnahmen zur Frühdiagnostik existieren bislang nicht, die Mehrzahl der Pankreaskarzinome wird erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Das Pankreaskarzinom ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters, was in alternden Gesellschaften zu einer erhöhten Inzidenz führt. Schließlich liegt wahrscheinlich sogar in den selten diagnostizierten frühen Tumorstadien häufig eine Mikrometastasierung vor, die die hohen Rezidivraten postoperativ erklärt (2). So liegt das 5- Jahres-Überleben nach kurativ intendierter Resektion bei nur 9% ohne und bestenfalls 28% mit adjuvanter Chemotherapie. In vielen Fällen kann der Tumor nur mit einer R1-Resektion entfernt werden. Daher ist die Idee, durch eine vor der Operation durchgeführte Chemotherapie (neoadjuvante Therapie) eine bessere Resektabilität und eine bessere Tumorkontrolle zu erreichen, naheliegend. Resektable, borderline resektable und lokal fortgeschrittene Stadien Bevor man über neoadjuvante Therapien beim Pankreaskarzinom nachdenkt, muss man sich über die Tumorsituation im Klaren sein. Beim Pankreaskarzinom unterscheiden wir klar resektable, grenzwertig resektable und lokal fortgeschrittene, nicht operable Tumore. Insbesondere für grenzwertig resektable Tumore gibt es zahlreiche Definitionen unterschiedlicher Fachgesellschaften und Konsortien. Ein von chirurgischer Seite kürzlich publiziertes Konsensus- Statement unterstützt wie die deutsche S3-Leitlinie die NCCN-Guideline zu dieser Fragestellung (Tab. 1) (3, 4).
2 Tab. 1: NCCN-Kriterien für borderline resektable Pankreaskarzinome. In dieser Übersicht soll vor allem auf die per definitionem neoadjuvante Therapie, d.h. die präoperative Therapie bei resektablen Pankreaskarzinomen, eingegangen werden. Die Situation bei borderline resektablen und lokal fortgeschrittenen Tumoren wird nur kurz dargestellt. Standortbestimmung: Was erreicht die adjuvante Therapie? Eine neoadjuvante Therapie ist aktuell beim Pankreaskarzinom kein klinischer Standard. Standard ist vielmehr die adjuvante Therapie, die sich weiter verbessert. Die gerade auf dem ASCO präsentierte ESPAC-4-Studie (5) zeigt eine signifikante Verbesserung des medianen Überlebens von 25,5 Monaten (Gemcitabin alleine) auf 28 Monate und eine Verbesserung der 5- Jahres-Überlebensrate von 16,3% (Gemcitabin alleine) auf 28,8% durch eine Kombination aus Gemcitabin und Capecitabin. Die JASPAC-01-Studie ergab allerdings in einem rein asiatischen Kollektiv eine 5-Jahres-Überlebensrate von 43,6% bei Gabe des Fluoropyrimidins S1 (6). Es ist nicht klar, ob sich diese Ergebnisse auch in einem westlichen Patientenkollektiv reproduzieren lassen. Trotzdem zeigen die Daten, dass sich in der adjuvanten Situation durch neue Medikamente oder Medikamentenkombinationen durchaus Verbesserungen erzielen lassen. Aktuell haben weitere Studien, die neue Chemotherapiekombinationen wie das FOLFIRINOX- Protokoll oder die Kombination aus Gemcitabin und nab-paclitaxel in der Adjuvanz beim Pankreaskarzinom untersuchen, ihre Rekrutierung beendet oder stehen kurz davor. Ziele einer neoadjuvanten Therapie Betrachtet man die Daten zur adjuvanten Therapie, so fällt auf, dass entdifferenzierte Tumoren, Tumoren im Stadium III und R1-resezierte Tumoren eine deutlich schlechtere Prognose aufweisen. Zieht man zudem die frühe (Mikro-)Metastasierung in Betracht, macht eine präoperative Therapie des Pankreaskarzinoms biologisch Sinn. Letztlich soll diese Therapie das Überleben verlängern angesichts der Tatsache, dass 5 Jahre nach kurativ intendierter Resektion des Pankreastumors auch bei optimaler adjuvanter Therapie (die nur etwa 60-70% der Patienten postoperativ erhalten können) über 70% der Patienten verstorben sind. Daten zur neoadjuvanten Therapie Zur neoadjuvanten Therapie beim Pankreaskarzinom gibt es Meta-Analysen, die allerdings auf Daten basieren, die aus der Zeit vor dem FOLFIRINOX-Protokoll oder der Kombination Gemcitabin plus nab-paclitaxel stammen (7, 8, 9). Diese Meta-Analysen leiden unter dem gleichen Problem: Die zur Verfügung stehenden Studien sind klein, z.t. retrospektiv, nicht randomisiert, mit z.t. Einschluss verschiedener Tumorstadien (resektable, borderline resektable, lokal fortgeschrittene
3 Tumoren) und Einsatz verschiedener Therapiemodalitäten (z.b. auch Radiochemotherapie) und wahrscheinlich hohem Selektionsbias. Das Fazit der Meta-Analysen ist aber recht ähnlich: Eine neoadjuvante Therapie hat eine gewisse Aktivität bei borderline resektablen und lokal fortgeschrittenen Tumoren. Bis zu einem Drittel der Patienten können durch Downsizing resektabel werden. Der Vorteil einer neoadjuvanten Therapie wird bei initial resektablen Tumoren geringer oder als nicht vorhanden eingeschätzt. In den Studien wurde ein Tumoransprechen von bis zu 30% (CR und PR) sowie eine R0-Resektionsrate von 80-90% beobachtet. Allerdings zeigt sich bei 15-20% der Patienten unter einer neoadjuvanten Therapie ein Progress der Erkrankung, was dazu führen kann, dass ein initial resektabler Tumor nicht mehr reseziert werden kann. Das mediane Überleben der Patienten nach Resektion lag zwischen 23 und 31 Monaten kein dramatischer Unterschied zu den Daten der ESPAC-4-Studie aus der adjuvanten Situation. In der Zwischenzeit haben neue Chemotherapiekombinationen Einzug in die Therapie des metastasierten Pankreaskarzinoms gehalten, FOLFIRINOX und Gemcitabin plus nab-paclitaxel (10, 11). Diese Therapien verbessern das Gesamtüberleben der Patienten und erreichen in der metastasierten Situation Tumoransprechraten von 20-30%. Die Protokolle wurden allerdings in den jeweiligen Phase-III-Studien nur in der metastasierten Situation untersucht.auf Grund des besseren Tumoransprechens könnten die Protokolle aber eine höhere Effektivität hinsichtlich Downsizing, pathologischer Tumorremission, R0-Resektionsrate und eventuell auch bei der Therapie der (Mikro-)Metastasierung erzielen. Zur Kombination von Gemcitabin mit nab-paclitaxel als neoadjuvante Therapie gibt es bisher nur wenige, kleine Studien, in die Patienten mit resektablen und borderline resektablen Tumoren eingeschlossen wurden und die teilweise nur als Abstract publiziert sind (12-15). Die Resektionsraten lagen zwischen 70% und 85%, die R0-Resektionsrate bei etwa 90%. Überlebensdaten werden kaum berichtet, in der Studie von Ielpo, in die Patienten mit borderline resektablen Tumoren eingeschlossen wurden, wird ein medianes Überleben von 21 Monaten berichtet (15). Auch zur neoadjuvanten Therapie des resektablen Pankreaskarzinoms mit FOLFIRINOX gibt es bislang nur Daten aus kleinen Studien. Exemplarisch sei eine gerade beim ASCO vorgestellte Studie mit 21 Patienten mit resektablem Pankreaskarzinom dargestellt: Das Tumoransprechen lag bei 20%, die R0-Resektionsrate bei 94% (aber nur 17 der 21 Patienten wurden operiert), ein pathologisches Tumoransprechen war bei 59% der Tumoren feststellbar, allerdings lag nur bei einem Patienten eine komplette pathologische Tumorremission vor. Bei 15% der Patienten zeigten sich trotz der intensiven Vorbehandlung intraoperativ Lebermetastasen. Das mediane Überleben lag bei 33,4 Monaten, die Rate an Grad-3/4-Toxizität präoperativ lag bei 50% (16). Eine kürzlich publizierte systematische Übersicht von 14 Studien zu FOLFIRINOX bei lokal fortgeschrittenen, inoperablen Tumoren zeigt eine Resektionsrate von 12% (davon 70% R0- Resektionen) und ein medianes Überleben von 15,7 Monaten. Die Grad-3/4-Toxizität lag bei 19% (17). Probleme bei einer neoadjuvanten Therapie Damit sind die Daten zur neoadjuvanten Therapie aus den kleinen Studien auch mit den neuen Protokollen nicht überragend und es gilt herauszufinden, welcher Patient von welchem Protokoll möglicherweise besonders profitieren kann und welcher nicht.
4 Bei bis zu 25% der Patienten tritt unter einer neoadjuvanten Therapie auch bei optimalen Therapieprotokollen ein Tumorprogress ein. Bei einer initial resektablen Tumorerkrankung kann dies bedeuten, dass der Tumor somit nicht mehr operabel ist. Allerdings wissen wir nicht, ob sich durch eine Operation die Prognose dieser Patienten wirklich verbessert hätte. Man kann auch argumentieren, dass die neoadjuvante Therapie gerade eine ideale Phase ( window of opportunity ) ist, um die Biologie eines bestimmten Tumors besser zu verstehen und Patienten eine nicht sinnvolle Operation zu ersparen. Daten hierzu stehen aber aus. Für eine neoadjuvante Chemotherapie ist eine histologische Sicherung des Tumors erforderlich. Dies geschieht in der Regel durch eine endosonografisch gesteuerte Biopsie (EUS-FNA), die laut Literatur mit einer hohen Erfolgsrate sensitiv und spezifisch Tumormaterial gewinnen lässt. Allerdings gelingt dies in der Praxis in etwa einem Viertel der Fälle mit EUS-FNA nicht, zumindest nicht bei der ersten Intervention. Ein möglicher Ausweg könnte eine Tumordiagnostik aus zirkulierender Tumor-DNA sein (18). Allerdings ist dieses Verfahren für die Primärdiagnostik von Pankreaskarzinomen noch nicht ausreichend validiert. Ein weiteres Problem bei der neoadjuvanten Therapie ist die Toxizität der Therapie selbst. Dies hängt natürlich von der Art der Therapie und der verabreichten Zykluszahl ab. Da insbesondere letztere zwischen den einzelnen Studien deutlich variiert, ist die Beurteilung der Toxizität im Hinblick auf die perioperative Morbidität/Mortalität schwierig. Generell scheint die Toxizität von FOLFIRINOX etwas höher zu sein als die der Kombination aus Gemcitabin und nab-paclitaxel. Allerdings scheinen beide Protokolle die perioperative Morbidität und Mortalität nicht signifikant zu erhöhen. Erste Berichte zeigen eine verlängerte Operationszeit und einen etwas höheren intraoperativen Blutverlust bei einer präoperativen FOLFIRINOX Therapie. Allerdings war in dieser Studie bei neoadjuvanter Therapie die perioperative Morbidität sogar geringer und es traten postoperativ keine Pankreasfisteln auf. Krankenhausaufenthaltsdauer und Letalitätsrate waren unabhängig davon, ob eine präoperative Therapie durchgeführt wurde (19). Fazit und Ausblick Die neoadjuvante Systemtherapie könnte gerade bei resektablen Pankreaskarzinomen das Gesamtüberleben deutlich verbessern, auch über das durch eine optimale adjuvante Therapie erreichbare Maß hinaus. Nicht alle Patienten werden von der Therapie profitieren. Wir können aber da der Tumor ja meist reseziert wird feststellen, welches molekulare Setting eines Tumors bei einer bestimmten Therapie einen Benefit der neoadjuvanten Therapie wahrscheinlich macht. Bevor eine neoadjuvante Therapie in der klinischen Routine Einsatz findet, sollten wir uns angesichts der trotz kleiner Studien mit ausgewählten Patienten durchaus unterschiedlichen Ergebnisse über das beste Protokoll und die optimale Zykluszahl für einen bestimmten Subtyp von Pankreaskarzinom im Klaren sein. Es ist dabei auch zu klären, welche Rolle die adjuvante Therapie nach neoadjuvanter Therapie spielt angesichts der Tatsache, dass etwa 30% der Patienten postoperativ keine Chemotherapie erhalten können. Patienten sollten daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt in randomisierte, prospektive Studien zu dieser Fragestellung eingeschlossen werden, um die optimalen Bedingungen dieses interessanten Therapiekonzepts für das Pankreaskarzinom zu definieren. Eine Übersicht zu aktuellen Studienkonzepten ist in Tabelle 2 dargestellt.
5 Tab. 2: Aktuelle Studien zur neoadjuvanten Chemotherapie des resektablen Pankreaskarzinoms. R=resektabel, BR=borderline resektabel Prof. Dr. med. Thomas Seufferlein Klinik für Innere Medizin I Universitätsklinikum Albert Einstein Allee Ulm Tel.: 0731/ Fax: 0731/ thomas.seufferlein@uniklinik-ulm.de
6 ABSTRACT T. Seufferlein, Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Ulm Pancreatic cancer is still one of the tumors in the gastrointestinal tract with the poorest prognosis. Only a small number of patients is diagnosed with a resectable or at least still localized tumor and even after curatively intended resection with optimal adjuvant chemotherapy, the 5-year survival rate is at best about 30%. It is therefore reasonable to consider that neoadjuvant therapy with new, effective protocols such as FOLFIRINOX or gemcitabine and nab-paclitaxel can possibly improve survival of the patients, analogous to the situation in gastric cancer. Data so far available, problems and possible solutions for such an approach are discussed within this overview. Keywords: pancreatic cancer, neoadjuvant therapy, peri-operative chemotherapy, borderline resectable pancreatic tumor
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