Salutogenese - Leitorientierung für die Entwicklung präventiver Dienstleistungen
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- Ulrich Dressler
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1 Salutogenese - Leitorientierung für die Entwicklung präventiver Dienstleistungen Veranstaltungsreihe Gesundheit und Prävention von WEGE. & Z I G Prof. Dr. Beate Blättner Seite 0 Zur Person Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda, Fachbereich Pflege und Gesundheit Studiengangsleitung für die Studiengänge Gesundheitsmanagement, Pflegemanagement (B.Sc.) & Public Health (M.Sc.) 12 Jahre Berufserfahrung in der Gesundheitsbildung und Gesundheitsförderung 12 Jahre Lehrerfahrung an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen Schwerpunkte: Salutogenese & Gesundheitsförderung, Krankheitsverlaufskurven & Patienteninformation, Gender und Gesundheit Seite 1 1
2 Notwendigkeit von Prävention und Gesundheitsförderung: Demografische Entwicklung (Arbeitsfähigkeit lange erhalten) Veränderung des Krankheitsspektrums hin zu überwiegend chronischen Erkrankungen (Entstehung und Verschlechterung verzögern) Einnahmen und Ausgaben bedingte Finanzierungskrise der solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung (individuelle Verantwortung) Gesellschaftliche Erwartungen an Personen (Fitness und Wellness) Seite 2 Evidenz präventiver Interventionen: Insgesamt gute Datenlage zur Notwendigkeit von Prävention, aber unbefriedigende Datenlage hinsichtlich der Wirksamkeit Verhaltenstherapeutische Interventionen haben sich bei gesundheitlich relevanten Themen als nicht oder nicht nachhaltig wirksam gezeigt Für verhältnistherapeutische Interventionen liegen in der Regel nicht ausreichend Studien vor. Erste Hinweise besagen: isoliert sind sie wahrscheinlich nicht ausreichend wirksam. Folge: Es werden Strategien gesucht, die auf anderen theoretischen Modellen aufbauen. Seite 3 2
3 Dilemma präventiver Dienstleistungen: Soziale Ungleichheit von Gesundheitschancen steigt durch präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen Marktorientierung erreicht besser Verdienende Bildungsangebote erreichen Bildungsgewohnte Settings-Ansätze erreichen Integrierte Niedrigschwellige Angebote wirken bei Personen aus niedrigeren sozialen Gruppen kontraproduktiv Das Modell der Salutogenese kann dies zumindest erklären, wenn auch nicht lösen Seite 4 Theoretischer Rahmen The contemporary evidence shows the salutogenic approach could have a more central position in public health and health promotion research and practice. Furthermore, it could contribute to the solution of some of the most urgent public health problems of our time such as the question of mental health promotion. Finally, it could create a solid theoretical framework for health promotion. Lindström B, Eriksson M: Salutogenesis, J Epidemiol Community Health 2005;59: doi: /jech Seite 5 3
4 Aaron Antonovsky *1923 New York Beer Sheba Antonovsky A (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. dgvt Tübingen Seite 6 Wissenschaftlicher und biographischer Kontext: Biografische Erfahrungen Aaron Antonovskys mit Armut, Rassismus, Antisemitismus, Krieg, Migration Wissenschaftliche Community: Soziologie, insbesondere Ungleichheitsforschung, Konfliktsoziologie, sozialkritische Sozialpsychologie (Lazarsfeld), Stressforschung (Lazarus) Einfluss auf die Konzepte der WHO (z.b. Ottawa- Charta) und auf die Public Health Szene insbesondere in USA, Skandinavien, Australien Diskurs in Deutschland: eher (individual-)psychologische Perspektive Seite 7 4
5 Entstehungskontext Studie von Antonovsky zur Adaption an das Klimakterium bei Frauen verschiedener ethnischer Gruppen in Israel (1970) Eine der Gruppen: Frauen, die zwischen 1914 und 1923 in Mitteleuropa geboren waren und Jahre alt gewesen waren 51% der Kontrollgruppe und 29% der KZ- Überlebenden bei guter psychischer Gesundheit Phänomen: Trotz Lebenserfahrungen des Holocaust, deplaced person, Migration nach Israel, 3 Kriegen bei angemessener Gesundheit Seite 8 Kernaussage Menschen mit einem hohen Empfinden von Kohärenz (SOC) sind besser in der Lage, generalisierte Widerstandsressourcen zur Bewältigung unterschiedlichster Stresssituationen für sich zu nutzen und entwickeln sich deshalb auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum eher in Richtung Gesundheit. Ein hoher SOC ist nicht mit bestimmten Bewältigungsstrategien verbunden, sondern mit einer hohen Flexibilität, die situative Bedingungen berücksichtigt. Der SOC entsteht durch Lebenserfahrungen. Seite 9 5
6 Spezifische Lebenserfahrungen SOC Spannungszustand: GRRs- GRDs- Kontinuum Coping Gesundheits- Krankheits- Kontinuum Sozialer Kontext: Lebensbedingungen Seite 10 Empfinden von Kohärenz (SOC) Eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die Anforderungen aus der inneren und äußeren Erfahrungswelt im Verlaufes des Lebens strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit) dass die Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden (Handhabbarkeit) dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und Engagement verdienen (Bedeutsamkeit) Seite 11 6
7 Verstehbarkeit: Ihr Leben wird in Zukunft wahrscheinlich voller Veränderung sein, ohne dass Sie wissen, was als nächstes passiert. ganz beständig und klar sein Handhabbarkeit: Wenn Sie an Schwierigkeiten denken, mit denen Sie in wichtigen Lebensbereichen wahrscheinlich konfrontiert werden, haben Sie das Gefühl, dass es Ihnen immer gelingen, wird, die Schwierigkeiten zu meistern, Sie die Schwierigkeiten nicht werden meistern können Bedeutsamkeit: Wie oft haben Sie das Gefühl, dass die Dinge, die Sie täglich tun, wenig Sinn haben? Seite 12 Lebensbedingungen entscheiden über Stressoren entscheiden über Bewältigungsstrategien sind die entscheidende Komponenten des Kontinuums GRRS-GRDs beeinflussen die Chancen auf Lebenserfahrungen, unter denen ein starkes SOC ausgebildet werden kann Seite 13 7
8 Verstehbarkeit comprehensibility Beständigkeit SOC Handhabbarkeit Manageability Verfügung über Ressourcen Lebens erfahrungen Bedeutsamkeit Meaningfulness Teilhabe an sozial Anerkanntem Seite 14 Entwickelt sich der SOC nur bis zum 30ten Lebensjahr? Nimmt er danach sogar tendenziell ab? Studien zeigen: er nimmt tendenziell zu. Seite 15 8
9 SOC is strongly related to perceived health, especially mental health. The stronger the SOC the better the perceived health in general, at least for those with an initial high SOC. This relation is manifested in study populations regardless of age, sex, ethnicity, nationality, and study design. SOC seems to have a main, moderating or mediating role in the explanation of health. Furthermore, the SOC seems to be able to predict health. SOC is an important contributor for the development and maintenance of people s health but does not alone explain the overall health. Eriksson M, Lindström B: Antonovsky s sense of coherence scale and the relation with health: a systematic review J Epidemiol Community Health 2006, 60; ; doi /jech Seite 16 Hohe Übereinstimmung zwischen SOC und psychischer Gesundheit Hohe Übereinstimmung zwischen SOC und subjektivem Gesundheitsempfinden Zusammenhang zwischen SOC und extern beschreibbarer physischer Gesundheit nicht eindeutig, aber Hinweise auf Zusammenhang zu physischen Parametern Inkonsistente Ergebnisse zu SOC und Gesundheitsverhalten Seite 17 9
10 Ich behaupte nicht, dass Personen mit einem starken SOC eher solche Verhaltensweisen realisieren, die nach Datenlage gut für die Gesundheit sind [ ]. Diese Verhaltensweisen sind weitaus stärker durch soziostrukturelle und kulturelle Faktoren als durch die persönliche Weltsicht determiniert, und ich möchte die beiden nicht durcheinanderbringen. Es kann gut sein, dass dieselben soziokulturellen Faktoren, die die Quoten von Rauchern verringern (die Schichtzugehörigkeit zum Beispiel), auch das Entstehen eines starken SOC beeinflussen, so dass die Chancen, dass eine Person mit einem starken SOC nicht rauchen wird, größer sind. Aber man sollte die Kausalitätsrichtung nicht verzerren (Antonovsky 1997: 141f) Seite 18 Wenn wir uns jedoch allein auf das Coping mit Stressoren konzentrieren, können wir fragen: wer wird bei Konfrontationen mit einem akuten oder chronischen Stressor wahrscheinlicher mit unangemessenem Gesundheitsverhalten wie verstärktem Rauchen oder Trinken, Verleugnung von Symptomen oder Nichteinhalten medizinischer Maßnahmen reagieren und wer mit adaptivem Gesundheitsverhalten wie Reduktion von Rauchen und Trinken, Wachsamkeit gegenüber Symptomen und Ausüben von Sport? Dann würde ich sagen, dass der Vorteil in den Händen derjenigen läge, die ein starkes SOC haben. (Antonovsky 1997: 141f) Seite 19 10
11 Studien zum Zusammenhang von SOC und Gesundheitsverhalten sind in ihrer theoretischen Basis mit Skepsis zu betrachten Ein konsequent und ausschließlich an der Vermeidung von gesundheitlichen Risiken und der Stärkung von gesundheitlichen Schutzfaktoren ausgerichteten Leben ist kein an dem Modell der Salutogenese ausgerichteten Leben Menschen mit hohem SOC sind in der Wahl ihrer Bewältigungsstrategien flexibel Seite 20 Wann immer ich das salutogenetische Modell mündlich vorgestellt habe, war eine der vor allem von Menschen aus helfenden Berufen am häufigsten gestellten Fragen, inwieweit das SOC geplant und absichtlich verändert werden kann. Besonders die, die sich zu dem Modell hingezogen fühlen, die einen systematischen Zugang zum Verstehen von Stärken und nicht nur von Risikofaktoren suchen, fanden es sehr verwirrend zu hören, dass jemand mit einem starken SOC solche Helfer nicht wirklich braucht und dass jemandem mit einem schwachen SOC von einem temporären Begleiter nicht wirklich geholfen werden kann. (Antonovsky 1997: 118) Seite 21 11
12 Intentionelle Modifikation Stabilisieren in den Phasen der Fluktuation um einen Mittelwert, temporäre, bescheidene Modifikation Praxis: Health (Care) Professionals Rüstzeug für beständige Veränderungen in den Lebenserfahrungen Praxis: psychosoziale und pädagogische Berufe Tiefgreifende Veränderungen durch beträchtliches Ausmaß an Kontrolle über die Lebenssituation Praxis: Health Promotion Seite 22 Spezifische Lebenserfahrungen SOC GRRs- GRDs- Kontinuum Coping Gesundheits- Krankheits- Kontinuum Sozialer Kontext: Lebensbedingungen Seite 23 12
13 Verstehbarkeit comprehensibility Beständigkeit 2 SOC Handhabbarkeit Manageability Verfügung über Ressourcen 3 Lebens erfahrungen Bedeutsamkeit Meaningfulness Teilhabe an sozial Anerkanntem 1 Seite 24 Salutogenese als Leitorientierung Spannungszustand senken: Risiken für destruktive Stressoren minimieren, vermeidbare Stressoren minimieren, Ressourcen zur Verfügung stellen SOC stärken: Erfahrungen der Beständigkeit, der Verfügung über Ressourcen und vor allem der Teilhabe an sozial Anerkanntem ermöglichen Voraussetzungen für partnerschaftliche Entscheidungsfindungen schaffen Seite 25 13
14 Mögliche Missverständnisse: Teilhabe an sozial Anerkanntem ist nicht Teilnahme an Gesundheitsangeboten Verstehbarkeit entsteht nicht durch Erklären gesundheitlicher Zusammenhänge Ressourcen zur Bewältigung der Anforderungen des Lebens sind nicht identisch mit den Ressourcen zur Bewältigung von Krankheit Gesundheit schließt Krankheit nicht aus Der SOC ist kein Persönlichkeitsmerkmal Seite 26 14
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