Vorlesung: Mechanische Verfahrenstechnik Praktikum: Pulverfließeigenschaften und Silodimensionierung
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- Clara Böhm
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1 Vorlesung: Mechanische Verfahrenstechnik Praktikum: Pulverfließeigenschaften und Silodimensionierung 1 Einleitung und Problemstellung Es gibt nur wenige Zweige einer Volkswirtschaft, in der nicht in irgendeiner Form kohäsive Schüttgüter erzeugt, transportiert, umgeschlagen, gelagert, verfahrenstechnisch gewandelt, verarbeitet oder verbraucht werden. Bei den mechanischen Prozessen, d.h. Trenn- und Misch-, Zerkleinerungs- und Agglomerationsprozessen, aber auch thermischen Prozessen, wie z.b. Trocknen und bei heterogenen chemischen Reaktionen in der chemischen Industrie bzw. Grundstoffindustrie, Metallurgie, Glas- und Keramikindustrie, Baustoffindustrie, Leichtund Lebensmittelindustrie, Energiewirtschaft, Landwirtschaft sowie den modernsten Technologien in der Umweltschutztechnik, Werkstofftechnik, Biotechnik und Elektronik müssen Schüttgüter gelagert, gefördert und dosiert werden. Bunker bzw. Silos sind als Schüttgutspeicher ein wesentliches Element von verfahrenstechnischen Haupt-, Hilfs- und Nebenanlagen unterschiedlichster Industriezweige und der Landwirtschaft. Die hauptsächlichsten technologischen Probleme stellen Fließstörungen kohäsiver Schüttgüter durch Schacht- oder Brückenbildung, schwankende Mengenströme, Entmischungen, breite Verweilzeitverteilungen verbunden mit der Gefahr von Zeitverfestigungen, Explosionsgefahr und Verderbgefahr sowie mangelhafte Füllstands-kontrolle, Havariegefahr durch Überlastungen der Bauwerke und Fördertechnik und letztlich mangelhafte Verfügbarkeit der gesamten Bunkeranlage dar. 2 Aufgabenstellung Mit dem im Schüttgutlabor des Instituts für Verfahrenstechnik vorhandenem Ringschergerät RST-XS.s (siehe Abbildung 1 b) sind für das zu untersuchende Schüttgut die Schüttgutkennwerte sowie, die Wandreibung zu bestimmen und ein Massenfluss- bzw. Kernflussbunker auszulegen. Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 1
2 a) b) Abbildung 1: a) Scherzellenprinzip; b) Ringschergerät RST-XS.s [1] 3 Versuchsdurchführung 3.1 Ermittlung der Momentanfließorte (Normallasten: 2000; 4000; 8000; Pa) Schüttgut locker in den Bodenring füllen (darf beim Füllen nicht verdichtet werden) Überstehendes Schüttgut mit einem Spachtel zunächst in einer Zick-Zack-Bewegung gegen den Uhrzeigersinn vorsichtig abstreifen. Danach den Spachtel wie in Abbildung 2 a) dargestellt gegen den Uhrzeigersinn führen. Bodenring mit Inhalt wiegen. Gesamtmasse in Software RST-CONTROL 95 eingeben. Messablauf starten und den Anweisungen folgen. Nach jedem Durchgang neu befüllen! Bodenring der Scherzelle Spachtel - max. 10 Spachtel a) b) Abbildung 2: Abstreichen der Schüttgutoberfläche [2] Bodenring Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 2
3 3.2 Ermittlung des Wandfließortes Vorbereiten der Wandscherzelle: ausreichende Anzahl von Distanzringen und die Wandmaterialprobe in den Bodenring legen, sodass der Abstand zwischen der Oberfläche der Wandmaterialprobe und dem oberen Rand des Bodenrings etwa 4 mm beträgt. Wiegen des Bodenrings mit Distanzringen und der Wandmaterialprobe, jedoch ohne Schüttgut. Weitere Schritte wie unter Versuchsauswertung 4.1 Modellgestützte numerische Auswertung der Fließorte In den meisten Fällen lassen sich Fließorte durch eine Gerade mit ausreichender Genauigkeit beschreiben. Es ergibt sich die folgende Fließortgleichung (τ c Kohäsion, siehe Manuskript MVT Kap ): τ = tan (φ i ) σ + τ c = tan (φ i ) (σ + σ z ) (1) Diese wird mittels linearer Regression der Abscherwerte ermittelt und ausgewertet. Alle Fließkennwerte der vier Fließorte für beginnendes Fließen lassen sich dann wie folgt berechnen (vgl. VO MVT Folien 6.20 bis 6.24): Die einaxiale Druckfestigkeit jedes Fließortes: σ 1 = σ aa + τ c cos(φ i ) (σ aa sin(φ i ) + τ c cos(φ i )) 2 τ 2 aa cos 2 (φ i ) 1 sin(φ i ) (2) Der effektive (innere) Reibungswinkel: φ e = arcsin σ 1 sss(φ i ) + τ c ccc(φ i ) (3) σ 1 τ c ccc(φ i ) Die kleinste Hauptspannung (2-dimensionaler Spannungszustand): Die Mittelpunktspannung beim stationären Fließen: σ 2 = 1 sin(φ e) 1 + sin(φ e ) σ 1 (4) σ M,ss = σ 1 + σ 2 2 (5) Die Radiusspannung beim stationären Fließen: σ R,ss = σ 1 σ 2 2 (6) Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 3
4 Der stationäre Fließort (SFO) wird durch das Auftragen des Radius beim stationären Fließen über der zugehörigen Mittelpunktspannung aller gemessenen 4 Fließorte ermittelt: σ R,ss = sin(φ ss ) σ M,ss + σ 0 = tan(α) σ M,ss + σ 0 (7) Er wird mittels linearer Regression ausgewertet. Der Anstiegswinkel ist der stationäre (innere) Reibungswinkel: φ ss = arcsin(ttt(α)) (8) Für kohäsive Schüttguter ergibt sich eine nennenswerte isostatische Zugfestigkeit des unverfestigten Schüttgutes σ 0, die aus dem Abszissenabschnitt der Regressionsgraden (7) für σ R,ss = 0 berechnet wird, Abbildung 3. Der effektive Fließort ist nur eine Näherungsgerade für den Fall σ 0 = 0. Der resultierende effektive Reibungswinkel φ e wird für die Trichterauslegung benötigt, Gl. (13): Abbildung 3: Der effektive und stationäre Fließort (EFO & SFO) im σ τ - Diagramm Die Schüttgutdichte wird durch folgende Kompressionsfunktion beschrieben, s. Folie 6.25: ρ b = ρ b,0 1 + σ n M,ss σ 0 (9) Durch Logarithmieren der Gleichung (9) wird diese linearisiert und die Schüttgutdichte des unverfestigten Schüttgutes ρ b,0 (bei σ M,ss = 0) und der Kompressibilitätsindex n mittels linearer Regression ermittelt (σ 0 wurde vorher mit der (7) ermittelt): ln(ρ b ) = ln ρ b,0 + n ln 1 + σ M,ss σ 0 (10) Der Wandreibungswinkel ergibt sich für jeden beliebigen Punkt des Wandfließortes zu: φ W = arctan τ W σ W (11) Im Allgemeinen verlaufen die Wandfließorte linear durch den Koordinatenursprung (ohne Adhäsion), weshalb in diesem Fall der Wandreibungswinkel konstant ist. Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 4
5 4.2 Zusammenfassung der wichtigsten Eigenschaftsfunktionen kohäsiver Schüttgüter Die Kompressionsfunktion wird ausgedrückt mittels ρ b = f(σ 1 ): n 1 ρ b = ρ b,0 1 + sin(φ ss ) 1 + σ m 1 σ 0 (12) Der spannungsabhängige effektive (innere) Reibungswinkel φ e = f(σ 1 ): σ 1 + σ 0 φ e = arcsin sss(φ ss ) (13) σ 1 sss(φ ss ) σ 0 Die linear approximierte Verfestigungsfunktion σ c = f(σ 1 ) ist ebenfalls als Regressionsgerade auswertbar, siehe Folie 6.47: σ c = a 1 σ 1 + σ c,0 (14) 4.3 Grafische Darstellungen der Ergebnisse Darstellung aller gemessenen Fließorte in einem σ-τ-diagramm, (i.a. lassen sich die Fließorte durch Geraden darstellen), einzeichnen der Mohrschen Spannungskreise Auswertung der wesentlichen Fließkennwerte: Tabelle mit: FO-Nr., σ 1, σ M,ss, σ c, ff c, φ i, φ e und ρ b ; sowie einmalig für alle Fließorte: σ 0, φ ss, ρ b,0 und n; Beurteilung der Fließfähigkeit und Kompressibilität des untersuchten kohäsiven Schüttgutes (siehe Folien 6.25 und 6.31) Darstellung der gemessenen Wandfließorte in einem σ-τ-diagramm, s. Folie Der Wandreibungswinkel ergibt sich aus dem aktuellen Verhältnis von Scher- und Normalspannung an der Wand, siehe Gleichung (11) Grafische Darstellung der wichtigsten Fließkennwerte kohäsiver Schüttgüter: einaxiale Druckfestigkeit: σ c = f(σ 1 ) innerer Reibungswinkel φ i = f(σ 1 ), effektiver innerer Reibungswinkel φ e = f(σ 1 ), Schüttgutdichte ρ b = f(σ 1 ) in Abhängigkeit von der größten Hauptspannung σ 1 beim stationären Fließen (Verfestigen) und Vergleich mit den numerisch ermittelten Kurven Gln. (12) bis (14). 4.4 Silodimensionierung Die Trichterneigung θ entscheidet ob sich im Silo Kern- oder Massenfluss einstellt. Die von Jenike ermittelten Grenzen zwischen beiden werden folgendermaßen beschrieben: Axialsymmetrisches Spannungsfeld (konischer Trichter; m = 1) θ aa = arccos 1 sss(φ e) 2 sss(φ e ) φ w arcsin sss(φ w) (15) sss(φ e ) Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 5
6 Ebenes Spannungsfeld (keilförmiger Trichter; m = 0) arctan 50 φ e 7,73 φ w θ ee = 60, ,07 42,3 + 0,0131 e 0,06 φ (16) e Zur Gewährleistung von Massenfluss muss die Trichterneigung jeweils kleiner sein als die hier errechneten Grenzwerte! Zudem sind beim konischen Trichter noch 3 als Sicherheitswert abzuziehen. Mit Hilfe des Diagramms in Abbildung 4 kann der Fließfaktor ff als Funktion des effektiven Reibungswinkels bestimmt werden. Abbildung 4: Ermittlung von Näherungswerten des Fließfaktors (Wandreibungswinkel φ w =10 bis 30 ) Durch Kombination der Auflagerspannung σ 1 einer kohäsiven Brücke, σ 1 = σ 1 ff (17) mit der gemessenen Verfestigungsfunktion Gl. (14) erhält man die kritische Druckfestigkeit σ c,kkkk, die kritische Verfestigungsspannung σ 1,kkkk und mit der Kompressionsfunktion Gl. (12) die kritische Schüttgutdichte ρ b,kkkk, siehe Folie Mit Hilfe von Gleichung (18) kann dann die minimal erforderliche Öffnungsweite b min ermittelt werden: b min = (m + 1) σ c,kkkk sin 2 (φ w + θ) ρ b,kkkk g (18) Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 6
7 5 Hinweise zur Praktikumsvorbereitung Grundwissen sind der Stoff der Vorlesung (Einführung in die) "Mechanische Verfahrenstechnik", diese Praktikumsanleitung und die angegebene Literatur. Anhand der Stichworte können Sie Ihr Wissen prüfen bzw. ergänzen. Die Aufgabenstellung, Versuchsdurchführung und Auswertung sollten Sie soweit kennen, dass Sie im Kolloquium den Ablauf der Untersuchung, die Ermittlung der Messgrößen einschließlich der Versuchsauswertung ausgehend von den theoretischen Grundlagen (physikalische Haftkräfte und Kontinuumsmechanik) anwendungsbezogen (verfahrenstechnische Apparateauslegung der Silo- und Bunkertrichter) erläutern können. Stichworte zur Vorbereitung Aufgaben einer Speichereinrichtung, Silo- und Bunkerprobleme, Massenfluss und Kernfluss; mikroskopische Haftkräfte; MOHRscher Spannungskreis, Fließorte für beginnendes und stationäres Fließen, Zeitfließort, Wandfließort, Kennwerte des Fließverhaltens kohäsiver Schüttgüter (Kohäsion, Adhäsion, Reibungswinkel, Festigkeitskennwerte, Verfestigungsspannung, Fließfunktion), Kompressions- und Verfestigungsfunktionen, fließgerechte Trichterauslegung zur Vermeidung von Brücken- und Schachtbildung. J. Tomas Manuskript & Folien Vorlesung: Mechanische Verfahrenstechnik / Einführung in die Partikeltechnologie; Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg, 2013 D. Schulze Pulver und Schüttgüter Fließeigenschaften und Handhabung; Springer- Verlag, Berlin Heidelberg, 2006 M. Stieß Mechanische Verfahrenstechnik 1; Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York, Symbolverzeichnis Symbol S Bezeichnung Einheit b min bmin minimale Trichterauslaufbreite m F N FN Normalkraft N F 1, F 2 F1F2 Scherkraft N ff ff Fließfaktor ff c ffc Fließfunktion n n Kompressibilitätsindex ω omega Winkelgeschwindigkeit 1 s θ Phi Trichterneigungswinkel φ e phie effektive Reibungswinkel φ i phii innerer Reibungswinkel φ ss phist stationärer Reibungswinkel φ W phiw Wandreibungswinkel Pa ρ b rhob Schüttgutdichte kk ρ b,0 rhob0 Schüttdichte (Dichte des unverdichteten Schüttguts) σ sigma Normalspannung Pa σ 0 sigma0 isostatische Zugfestigkeit Pa σ 1 sigma1 größte Hauptspannung Pa σ 1 sigma1' größte Haupspannung in einer Schüttgutbrücke Pa m 3 kk m 3 Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 7
8 Symbol S Bezeichnung Einheit σ 2 sigma2 kleinste Hauptspannung Pa σ aa sigmaan Normalspannung beim Anscheren Pa σ c sigmac Druckfestigkeit Pa σ M,ss sigmam Mittelpunktspannung Pa σ R,ss sigmar Radiusspannung Pa σ W sigmaw Wandnormalspannung Pa σ z sigmaz dreiachsige Zugspannung Pa τ tau Scherspannung Pa τ c tauc Kohäsion Pa τ W tauw Wandschubspannung Pa 7 Literatur [1] Schulze, Dietmar: Ringschergerät RST-XS.s - noch kleiner - noch mehr Funktionen. [Online] [Zitat vom: 04. Januar 2016.] [2] Schulze, Dietmar: Ringschergerät RST-XS.s Betriebsanleitung v S. 59. Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 8
9 Messprotokoll für Scherzellen-Messung Datum: Materialart: Kalkstein Feststoffdichte: 1400 kg/m3 Korngröße: 80 µm Einwaage: g Tabelle 1: Momentanfließorte FO-Nr. σ an τ an σ ab τ ab ρ b Tabelle 2: Wandreibungsmessung σ W τ W Pa Pa Pa Pa kg/m Pa Pa Lehrstuhl für Mechanische Verfahrenstechnik 9
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