Anämie im Alter. Behandeln oder nicht behandeln, ist das eine Frage? Christian Kalberer

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Transkript:

Anämie im Alter Behandeln oder nicht behandeln, ist das eine Frage? Christian Kalberer

Inhalt das normale Blutbild Definition, Häufigkeit der Anämie im Alter Beschreibung der Anämie Anämieabklärung nach dem MCV oder nach Erythrozyten-Produktion Anämie: unerklärt Tumorerkrankung Zusammenfassung

Das normale rote Blutbild (Erythrogramm) Hämoglobin Hb 131 g/l (120-160) Hämatokrit Hk 0.389 (0.360-0.460) Erythrozyten Ery 4.35 T/L (4.00-5.10) Mittleres Ery-Volumen MCV 89 fl (80 100) Hb pro Erythrozyt MCH 30.1 pg (26.0 34.0) Mittlere Hb-Konz. MCHC 337 g/l (330 358)

MCV (Volumen: fl) Das normale rote Blutbild (Erythrogramm) Hämoglobin Hb 131 g/l (120-160) Hämatokrit Hk 0.389 (0.360-0.460) Erythrozyten Ery 4.35 T/L (4.00-5.10) Mittleres Ery-Volumen MCV 89 fl (80 100) Hb pro Erythrozyt MCH 30.1 pg (26.0 34.0) Mittlere Hb-Konz. MCHC 337 g/l (330 358) MCHC (Hb Konzentration: g/l)

Definition: Anämie Verminderung der Hämoglobin-Konzentration im Blut Anämie umgangssprachlich: Blutarmut, Blutmangel Frauen: Hb <120 g/l (schwangere Frauen: <110 g/l) Männer: Hb <130 g/l => keine Grenzwerte für alter Personen Alter: Studien: 60-65 Jahre Geriatrie: ab 70 Jahre

Häufigkeit der Anämie Guralnik et al, Blood 2004

Häufigkeit der Anämie im Alter Stauder et al, Blood 2018

Weshalb muss eine Anämie abgeklärt werden? Signifikante Assoziation zwischen einer Anämie und einer erhöhten Mortalität (Sterberate) und Morbidität (Erkrankungsrate)

Risiken einer Anämie Ältere Patienten mit einer Anämie zeigen häufiger eine: verminderte Lebensqualität verminderte Muskelkraft verminderte Leistungsfähigkeit erhöhtes Sturz- und Hospitalisationsrisiko erhöhtes Risiko, Depressionen zu entwickeln

Anämieabklärung Das Vorgehen bei einer Anämieabklärung soll altersunabhängig sein. Anamnese Blutbild und Blutausstrich (Indizes und Morphologie): Einteilung: - Mikrozytäre, hypochrome Anämie - Normoztytäre normochrome Anämie - Makrozytäre Anämie - Regenerative Anämie Retikuloztyen Ferritin, löslicher Transferrin-Rezeptor, CRP Serum Vitamin B12, Folsäure Kreatinin

Beschreibung der Anämie Anämien lassen sich wie folgt beschreiben: 1. nach dem Volumen (MCV: fl): mikro-, makro- oder normozytäre Anämien 2. nach dem Hämoglobin-Gehalt (MCHC g/l): normo-, hypo- oder hyperchrome Anämien 3. nach der Ec-Produktion (Retikulozyten): hypo-, normo- oder hyperregenerative Anämien

Anämie: Abklärung nach dem MCV Tichelli, MedArt 2012

MCV (Volumen: fl) Mikrozytäre Anämie: MCV < 80 fl Hb 75 g/l, MCV 57 fl, MCHC 279 Weitere Diagnostik: Ferritin 4 µg/l (Ref 30-300) löslicher Transferrin-Rezeptor CRP (Retikuloztyen-Chromie ) MCHC (Hb Konzentration: g/l) Eisenmangel Therapie: Eisen-Substitution oral oder intravenös

MCV (Volumen: fl) Mikrozytäre Anämie: MCV < 80 fl Hb 131 g/l, MCV 62 fl, MCHC 320 Ery 6.57 T/L (Ref 4.50 5.90), Weitere Diagnostik: Hämoblobin-Elektrophorese: bei b-thalassämie: HbA2 (a2d2): 5.9% (Ref 2.2 3.5 ) Genetische Abklärung: bei a-thalassämie MCHC (Hb Konzentration: g/l) b-thalassämie Therapie: falls nötig Transfusionen, bei Eisenüberladung mit Chelation

Mikrozytäre, hypochrome Anämie 1. Eisenmangel 2. Thalassämie 3. Chronische Entzündung (+/- sekundärem Eisenmangel) Weitere Diagnostik: Ferritin bis, löslicher Transferrin-Rezeptor, CRP Suche nach Ursache (Infekt, Tumor, ) Therapie: Behandlung der Ursache

Normoztytäre, normochrome Anämie 1. Niereninsuffizienz 2. chronische Erkrankung (rheumatisch, entzündlich, Tumor, Herzinsuffizienz) 3. Blutung, Hämolyse (akut) 4. Knochenmarksinfiltration 5. Knochenmarkserkrankung

Normoztytäre, normochrome Anämie 1. Niereninsuffizienz 2. chronische Erkrankung (rheumatisch, entzündlich, Tumor, Herzinsuffizienz) 3. Blutung, Hämolyse (akut) 4. Knochenmarksinfiltration 5. Knochenmarkserkrankung Pathophysiologie: 1. Kreatinin, erniedrigtes Erythropoietin 2. verminderte Eisenabsorption im Magen 3. Verlust 4.+ 5. Verdrängung der Erythropoiese

Makrozytäre Anämie: MCV > 100 fl 1. präanalytisch («altes Blut») 2. Vitamin B12 oder Folsäuremangel => Substitution 3. Medikamente (Zytostatika: Hemmung der DNA Synthese) 4. Alkohol (direkt toxisch, Mangelernährung, Leberzirrhose) 5. endokrin bedingt (z.b. Hypothyreose = Mangel an Schilddrüsenhormonen) 6. Retikulozytose (chronische Blutung, Thalassämien) 7. Knochenmarkserkrankung: z.b. MDS

MCV (Volumen: fl) MCV (Volumen: fl) Makrozytäre Anämie: MCV > 100 fl Chemotherapie + Vitaminmangel Hb 69 g/l (Ref 135 175) MCV 112 fl (Ref 80-100) MCHC 304 (Ref (Ref 80-100) Reti 35 G/L (Ref: < 89) Folsäure 9.6 nmol/l (Ref >12.2) Chemotherapie Retikulozytose + Hämolyse Hb 82 g/l (Ref 120 160) MCV 113 fl (Ref 80-100) MCHC 310 (Ref (Ref 80-100) Reti 389 G/L (Ref: < 89) Folsäure? (Ref >12.2) Haptoglobin <0.08 g/l (Ref 0.30-2.00) MCHC (Hb Konzentration: g/l) MCHC (Hb Konzentration: g/l)

Anämie: Abklärung nach Ec- Produktion Tichelli, MedArt 2012

Ursachen: unerklärt Tumorerkrankung Anämie aufgrund der Verdrängung der Erythropiese (Leukämie, Lymphom, Myelom, Myelofibrose, MDS, Metastasen eines Karzinoms) Knochenmarksversagen: «leeres» Knochenmark mit Panzytopenie im peripheren Blut (SAA = schwere apalstische Anämie)

Ursachen: unklar Myelodysplastisches Syndrom, MDS (bis 30%) Zytopenien Makrozytäre Anämie Dysplastische (abnorme) neutrophile Granulozyten- Morphologie Knochenmarksuntersuchung: Bildungsstörung der hämatopoietischen Zellreihen (Hyperzellularität, Dysplasien)

Ursachen: unklar Myelodysplastisches Syndrom, MDS (bis 30%)

Anämie: häufige Ursachen im Alter (Drittelsregel) Mangelanämien 34% Eisenmangel 20% Vitamin B12- oder Folsäure-Mangel 14% Anämie der Entzündung 32% Chron. Niereninsuffizienz 8% entzündliche Erkrankungen (rheumatische oder 24% Tumorerkrankung, Herzinsuffizienz) Unerklärte Anämie 34% NHANES III, Blood 2004

Anämie: häufige Ursachen im Alter Himmelmann et al, Praxis 2012

Beeinflussende Faktoren des Hb Medikamente Raucher Wohnort: Höhe über Meeresspiegel Hb oder Hb Hb Testosteronspiegel (bei älteren Männern) Hb

Zusammenfassung Anämie ist klinisch relevant, auch im (hohen) Alter, und hat einen Einfluss auf die Lebensqualität, Leistungsfähigkeit, Mortalität und Morbidität. Einfache Abklärungsschemata erlauben in bis zu 2/3 der Fälle eine Diagnose zu stellen (Drittelsregel). Mangelanämien können mit Substitution gut gehandelt werden. Unter den unerklärten Anämien finden sich oft hämatologische Erkrankungen.

Anämie: möglicher Abklärungsweg Himmelmann et al, Praxis 2012