Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 1) Lösungsskizze Fall 6 Teil 1: Erfolgsaussichten der Klage Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie vor dem (rechtsweg-) zuständigen Gericht erhoben wurde, zulässig und begründet ist. I. Verwaltungsrechtsweg und Zuständigkeit 1. Verwaltungsrechtsweg, 40 I 1 VwGO a) öffentlich-rechtliche Streitigkeit: Streitentscheidende Vorschriften sind solche der JAPO, insbesondere 35, 6 I. Diese berechtigen bzw. verpflichten aber ausschließlich Träger hoheitlicher Verwaltung (Ljpa) und nicht jedermann (Zuordnungstheorie), so dass eine öffentlichrechtliche Streitigkeit zu bejahen ist. b) nichtverfassungsrechtlicher Art, keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit c) keine abdrängende Sonderzuweisung 2. Zuständigkeit des Gerichts, 45, 52 Nr. 3 Sätze 2, 5: laut Sachverhalt gegeben II. Zulässigkeit der Klage 1. Klageart: a) Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren, 88 VwGO. Vorliegend begehrt S nicht nur die Aufhebung des Bescheides des Ljpa über das Nichtbestehen des Ersten Juristischen Staatsexamens, sondern auch die Verpflichtung des Prüfungsamtes, die Prüfung für bestanden zu erklären.
b) Bei dem Bescheid (der Gesamtnote) handelt es sich auch um einen VA (vgl. Art. 35, 1 BayVwVfG). Das Ljpa erlässt als Behörde (Art. 1 II BayVwVfG, 6 I JAPO) eine einseitige vom Einverständnis des S unabhängige Anordnung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit der verbindlichen Feststellung, dass die Staatsprüfung nicht bestanden wurde. Diese Anordnung betrifft allein die Prüfung des S und berührt unmittelbar seine Rechtsposition. Die einzelnen Prüfungsabschnitte stellen demgegenüber nur rechtlich unselbständige Bewertungselemente dar. c) Statthafte Klageart ist damit die Verpflichtungsklage, 42 I Var. 2 VwGO, in der Form einer Bescheidungsklage ( 113 V 2 VwGO). Eine Vornahmeklage ist demgegenüber nicht möglich, da prüfungsspezifische Wertungen vorzunehmen sind, die allein dem Prüfer zustehen. 2. Klagebefugnis, 42 II VwGO Es besteht die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten (Möglichkeitstheorie). Prüfungsentscheidungen unterliegen dem Gebot, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe zu beachten. Aus diesem Gebot ergibt sich ein Anspruch des Prüflings auf ordnungsgemäße Bewertung seiner Prüfungsleistungen. Dieser resultiert aus 4 JAPO ivm. 1 VO sowie allgemein aus Art. 12 I GG und Art. 3 I GG. Es ist nicht ausgeschlossen, dass S in diesem Recht verletzt ist. 3. Widerspruch entbehrlich, 68 II, I 2 Nr. 1 VwGO, Art. 15 III 2 AGVwGO: Ljpa untersteht der obersten Landesbehörde Justizministerium
4. Klagefrist des 74 II, I 2 VwGO laut Sachverhalt gewahrt 5. Formvorschriften der 81, 82 VwGO laut Sachverhalt eingehalten 6. Beteiligten-/Prozessfähigkeit S: 61 Nr. 1 Var. 1, 62 I Nr. 1 VwGO Freistaat Bayern: 61 Nr. 1 Var. 2, 62 III VwGO ivm. 5 II, I LABV Die Klage ist damit zulässig. III. Die Klage ist begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist, der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, 113 V VwGO. Dies ist der Fall, wenn der Kläger einen Anspruch auf ordnungsgemäße Bewertung der Prüfungsleistungen hat. 1. Passivlegitimation, 78 I Nr. 1 VwGO Der Freistaat Bayern ist als Rechtsträger des Justizministeriums richtiger Beklagter. 2. Anspruch auf Neubewertung der Prüfungsleistungen bei Verstoß gegen Gebot über allgemein gültige Bewertungsgrundsätze Ein unbestimmter Rechtsbegriff (mangelhaft) unterliegt im Grundsatz der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung. Für Prüfungsentscheidungen besteht unter anderem eine Ausnahme. Diese werden nur auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften und auf die Beachtung allgemeiner Prüf- und Bewertungsmaßstäbe überprüft sowie darauf, dass keine sachfremden Erwägungen angestellt und richtige Tatsachen zugrunde gelegt wurden. Grund hierfür ist ihr
höchstpersönlicher Charakter und die einmalige Prüfungssituation, die nicht wiederholbar ist. a) Zivilrechtsklausur: Verletzung allgemeiner Prüf- und Bewertungsmaßstäbe früher: Willkürkontrolle bzgl. solcher Wertungen heute: Wie dem Prüfer ein Bewertungsspielraum zusteht, besitzt auch der Prüfling einen angemessenen Antwortspielraum. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf also nicht als falsch gewertet werden. Vorliegend hat S zwar eine mögliche Ansicht vertreten, diese Mindermeinung jedoch nicht mit gewichtigen Argumenten gestützt. Außerdem ist der subjektive Fehlerbegriff bereits im Gesetz angelegt. b) Verwaltungsrechtsklausur: Verfahrensfehler Lärmbelästigungen können zu Konzentrationsbeeinträchtigung, damit zu schlechten Leistungen führen und Auswirkungen auf das Prüfungsergebnis haben. Dem steht jedoch eine Mitwirkungspflicht des Kandidaten entgegen, Verbot des spekulativen Abwartens. In der Prüfung hätte über eine Schreibverlängerung abgeholfen werden können. Dieser Pflicht ist S nicht nachgekommen. c) Mündliche Prüfung: Anstellen sachfremder Erwägungen Befangenheit wäre möglich, Besorgnis der Befangenheit reicht jedoch nicht aus. Auf jeden Fall müssen objektive Anhaltspunkte vorliegen. Die kritischen Kommentare rechtfertigen keine Voreingenommenheit. Denn kritische Kommentare gehören zur Aufgabe des Prüfers, Prüfungsleistungen gerecht zu benoten. Denn Nichtwissen führt immer
zu einer schlechten Benotung. Diese Benotung klingt durch die Aussage an, mehr beispielsweise Antipathien nicht. Ein Anspruch des S auf Neubewertung seiner Leistungen scheidet ergo aus. Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg. Teil 2: Zulässigkeit des Widerspruchs Fraglich ist, ob der Widerspruch zulässig ist. 1. Verwaltungsrechtsweg, 40 I 1 VwGO analog a) öffentlich-rechtliche Streitigkeit: Streitentscheidende Vorschriften sind vorliegend solche des Schulrechts. Diese Normen berechtigen bzw. verpflichten ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt (Schulbehörde) und nicht jedermann (Zuordnungstheorie), so dass eine öffentlichrechtliche Streitigkeit zu bejahen ist. b) nichtverfassungsrechtlicher Art, keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit c) keine abdrängende Sonderzuweisung 2. Statthaftigkeit des Widerspruchs, 68 II, I VwGO a) Der statthafte Widerspruch richtet sich nach dem Widerspruchsbegehren, 88 VwGO analog. Hier will A nicht nur gegen die Nennung seiner Englischnote vorgehen (Anfechtungswiderspruch),
sondern eine neue bessere Bewertung erreichen (Verpflichtungssituation). b) VA - Qualität der Einzelnote, vgl. Art. 35, 1 BayVwVfG - Behörde, Art. 1 II BayVwVfG: bayerisches Berufskolleg nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (Art. 133, 139 BV). - hoheitliche Maßnahme: einseitige Bewertung, unabhängig vom Einverständnis des A - auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts: s. o. - Regelung: gerichtet auf eine Rechtsfolge, Rechte/Pflichten müssen begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt werden. Einzelnoten stellen regelmäßig unselbständige, die Gesamtbewertung des Zeugnisses vorbereitende Teilakte dar, besitzen also nicht VA Qualität. Hier: Englischkenntnisse des A werden definitiv mit mangelhaft bewertet. Diese Benotung hat aber nicht nur vorbereitenden Charakter, da sie nicht in die Gesamtbewertung einfließt und sich nicht auf diese auswirkt, sondern gesondert im Abschlusszeugnis aufgeführt wird. Englischkenntnisse erfahren heutzutage aber größte Beachtung, können folglich die Chancen am Arbeitsmarkt schmälern und berühren im Ergebnis den Schutzbereich des Art. 12 I GG. Eine verfassungskonforme Auslegung gebietet damit die Bejahung der Regelungswirkung. - Einzelfall: konkret individuell, Benotung der Englischkenntnisse des A - Außenwirkung: Die Rechtsposition des A muss unmittelbar tangiert sein, nicht nur den schulischen Bereich berühren; Die Englischnote belastet die beruflichen Aussichten, die Berufsfreiheit ist damit eingeschränkt.
Die Einzelnote im Fach Englisch stellt folglich einen VA dar. c) keine Entbehrlichkeit, 68 II, I 2 VwGO, Art. 15 II AGVwGO; Art. 15 I 1 Nr. 6 AGVwGO sieht ausdrücklich fakultativ einen Widerspruch vor. Der Verpflichtungswiderspruch ist folglich statthaft. 3. Widerspruchsbefugnis, 42 II VwGO analog Es besteht die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten (Möglichkeitstheorie). Es ist nicht ausgeschlossen, dass A wegen der nachteiligen Wirkungen in seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 I GG verletzt ist. 4. Widerspruchsfrist, 70 I 1 VwGO: Da eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung fehlt, läuft nicht die Monatsfrist ( 70 II, 58 I VwGO), sondern die Jahresfrist des 58 II 1 VwGO. Die Übergabe und damit die Bekanntgabe, Art. 41 I 1 BayVwVfG, erfolgte am 2.11.2007. Die Fristberechnung richtet sich nach 57 II VwGO, 222 I ZPO, 187 I, 188 II Var. 1 BGB. Fristbeginn: 3.11.2007 (0.00); Samstag irrelevant Fristende: 2.11.2008 (24.00) Damit hat A am 19.11.2007 fristgerecht Widerspruch eingelegt. 5. Form, 70 I 1 VwGO Schriftform kann durch elektronische Form ersetzt werden; eine abweichende Vorschrift existiert nicht, Art. 79 HS. 2; 3 a II 1 BayVwVfG. Weitere Voraussetzung ist das Zufügen einer qualifizierten elektronischen Signatur, Art. 3 a II 2 BayVwVfG. Hier: Email mit qualifizierter elektronischer Signatur
Die Widerspruchsbehörde hat einen Zugang für elektronische Dokumente eröffnet, Art. 3 a I BayVwVfG, mit der Folge, dass der Widerspruch formgemäß erhoben wurde. 6. Beteiligungs- /Handlungsfähigkeit des A Art. 79 HS. 2, 11 Nr. 1 Var. 1, 12 I Nr. 1 BayVwVfG 7. allgemeines Rechtsschutzbedürfnis gegeben 8. Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde: nach Sachverhalt gegeben, 73 I 2 Nr. 1 VwGO Der Widerspruch ist demnach zulässig.