Universität Würzburg Sommersemester 2011 Konversatorium zum Verwaltungsprozessrecht Fall 2: Der ägyptische Staatsangehörige Mohammed Fati liebt seit langem die Deutsche Sabine L. Nun möchte er nach Deutschland kommen, um in der Stadt Würzburg Paläontologie zu studieren. Er beantragt bei der zuständigen Behörde der Stadt Würzburg am 03.03.2011 eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese wird am 10.03.2011 mit dem Hinweis abgelehnt, dass Ägypten nicht zur EU gehöre. M, dem die Ablehnung am 17.3.2011 bekannt gegeben wird, wird darüber hinaus u.a. belehrt, dass er gegen diese Ablehnung innerhalb von vier Wochen nach Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg erheben könne. Mohammed ist empört und fürchtet sowohl um seine Ausbildung als auch um seine große Liebe. Er fragt sich, ob er nun doch Sabine schon früher als geplant heiraten muss, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen oder ob er bereits einen Anspruch auf die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums hat. M fragt sich nun, wie er vorgehen kann. Bearbeitervermerk: Hat eine am 19.04.2011 eingelegte Klage des M vor dem Verwaltungsgericht der Stadt Würzburg Aussicht auf Erfolg? 1
Anhang Auszüge aus relevanten Gesetzen: FiktAuslG 2 Anwendungsbereich (2) Auf die Ausländer, die nach Europäischem Unionsrecht Freizügigkeit genießen, findet dieses Gesetz nur Anwendung, soweit das Europäische Gemeinschaftsrecht keine abweichende Bestimmung enthält. FiktAuslG 6 Anspruch auf Aufenthaltsgenehmigung (1) Ausländern ist auf Antrag eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, wenn sie sich zu einem der in 10 I aufgeführten Zwecke in Deutschland aufhalten wollen. Die Aufenthaltsgenehmigung darf nur versagt werden, soweit der Anspruch auf Grund des 10 Abs. 2 ausgeschlossen ist. FiktAuslG 10 Zulässige Aufenthaltszwecke (1) Zulässige Zwecke für den Aufenthalt in der BRD sind: a) Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen b) Ausbildung und Studium (2) Die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung darf nur versagt werden, falls diese den Interessen der BRD widerspricht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn: a) der Ausländer bereits strafrechtlich verurteilt wurde FiktAuslG 19 Entbehrlichkeit des Vorverfahrens Das Vorverfahren gemäß 68 VwGO entfällt für alle Klagen auf Grundlage des FiktAuslG. 2
Lösungsskizze zu Fall 2 Obersatz: Die Klage des M hat Aussicht auf Erfolg, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind und sie begründet ist. A) Sachentscheidungsvoraussetzungen I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, 40 I 1 VwGO 1. Aufdrängende Zuweisung Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich 2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit Richtet sich danach, ob die streitentscheidende Norm öffentlichrechtlicher Natur ist (hier 6 I FiktAuslG): 6 I FiktAuslG verpflichtet auf der einen Seite zwingend einen Träger öffentlicher Gewalt eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, falls ein Anspruch von Seiten des Antragstellers vorliegt, so dass die Norm nach der modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlicher Art ist. Zudem ergibt sich aus 6 I FiktAuslG zwischen der Behörde und dem Bürger ein Verhältnis der Über-, Unterordnung, so dass die Norm nach der Subordinationstheorie öffentlich-rechtlich ist. (Dasselbe Ergebnis erreicht man durch Anwendung der Interessentheorie.) 3
3. nichtverfassungsrechtlicher Art Es liegt keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vor. 4. keine abdrängende Sonderzuweisungen Eine abdrängende Sonderzuweisung an ein anderes Gericht bzw. eine andere Spruchstelle besteht nicht. II. Statthafte Klageart Richtet sich nach klägerischem Begehren, 88, 86 III VwGO; M begehrt hier den Erlass einer Aufenthaltsgenehmigung. Falls diese einen VA gem. 35 VwVfG darstellt, so ist die richtige Klageart die Verpflichtungsklage gem. 42 I 2. Alt. VwGO. Die Aufenthaltsgenehmigung ist eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (s.o.) trifft. Insbesondere hat die Maßnahme auch unmittelbare Außenwirkung, da sie ohne weiteren Zwischenschritt M den Aufenthalt in Deutschland ermöglicht und damit seinen Rechtskreis unmittelbar berührt. Sie ist ein VA. Statthafte Klageart ist demnach die Verpflichtungsklage gemäß 42 I 2. Alt. VwGO, hier aufgrund der vorherigen Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form der Versagungsgegenklage. III. Klagebefugnis, 42 II VwGO Obersatz: Klagebefugt ist, wer geltend macht, durch die Unterlassung des begehrten VA in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist im Rahmen der Verpflichtungsklage dann der Fall, wenn die Möglichkeit 4
besteht, dass zugunsten des Klägers ein Anspruch auf Erlass des begehrten VA besteht. Es müsste also zumindest möglich sein, dass M einen Anspruch auf Erlass des begehrten VAs, also der begehrten Aufenthaltsgenehmigung hat. Anspruch aus 6 I FiktAuslG? Aus 6 I FiktAuslG kann sich bei Vorliegen der statuierten Voraussetzungen ein Anspruch auf das in dieser Norm vorgesehene Verhalten der Behörde, d.h. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergeben. Deshalb ist ein Anspruch auf die begehrte Aufenthaltsgenehmigung aus 6 I FiktAuslG möglich. Somit ist M gem. 42 II 2.Alt. VwGO auch klagebefugt. (Die Adressatenlehre ist hier NIE anwendbar!) IV. Widerspruchsverfahren, 68 II, I VwGO 1. Erfolgloses Widerspruchsverfahren, 68 II, I 1 VwGO Vor Erhebung einer Verpflichtungsklage ist nach 68 II, I 1 VwGO die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens notwendig; B hat keinen Widerspruch eingelegt. 2. Entbehrlichkeit, 68 I 2 VwGO Das Widerspruchsverfahren ist aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein Gesetz dies bestimmt, 68 II, I 2 1. HS VwGO. Ein solches Gesetz liegt mit 19 FiktAuslG vor, das Vorverfahren ist entbehrlich. 5
3. Zwischenergebnis Das Widerspruchsverfahren ist gem. 68 II, I 1, 68 I 2 1. HS VwGO i.v.m. 19 FiktAuslG entbehrlich. V. Partei- und Prozessfähigkeit M ist nach 61 Nr. 1 1. Alt. VwGO partei- und nach 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Stadt Würzburg ist nach 61 Nr. 1 2. Alt. VwGO partei- und nach 62 Abs. 3 VwGO i.v.m. Art. 38 I GO prozessfähig VI. Klagefrist Die Klage müsste fristgerecht erhoben sein. 1. Frist Die Klagefrist ist geregelt in 74 II, I 2 VwGO und beträgt normalerweise einen Monat ab Ablehnung des Antrags auf Vornahme des Verwaltungsakts. 2. Fristbeginn Gemäß 74 II, I 2 VwGO mit Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags auf Vornahme, hier nach Art. 41 BayVwVfG. a) Bekanntgabe M wird die ablehnende Entscheidung lt. SV am 17.03.2011 bekannt gegeben (Art. 41 I BayVwVfG) b) Bestimmung des Fristbeginns Fristbeginn nach 74 II, I S.2, 57 II VwGO i.v.m. 222 I ZPO; 187 I BGB 18.03.2011, um 0.00 Uhr 6
c) Bestimmung des Fristendes: Fristende der Monatsfrist nach 57 II VwGO, 222 I ZPO, 188 II BGB: rechnerisch 17.04.2011, aber Sonntag Nach 222 II ZPO: Ablauf des nächsten Werktages 18.04.2011,um 24 Uhr d) Zwischenergebnis: Klage ist nicht innerhalb der Monatsfrist eingegangen, da Schreiben des B erst am 19.04.2011 beim VG Würzburg eingeht. 3. Fristverlängerung auf 1 Jahr? Es könnte anstelle der Monatsfrist des 74 I 2 VwGO die Jahresfrist gem. 58 II 1 VwGO gelten. Voraussetzung: fehlende oder fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung, hier wurde M über eine Frist von vier Wochen belehrt, gem. 74 II, I 2 VwGO gilt aber die Monatsfrist (!), die Rechtsbehelfsbelehrung ist fehlerhaft, es gilt somit die Jahresfrist. 17.03.2012 Samstag, daher wiederum Anwendung des 222 II ZPO. Fristende somit: 19.03.2012 um 24 Uhr 4. Zwischenergebnis Die Jahresfrist der 74 II, I 2, 58 II VwGO ist gewahrt. VII. Klageform Es ist davon auszugehen, dass die Klage die Form der 81 f. VwGO wahrt. VIII. Zuständiges Gericht 7
Das VG Würzburg ist örtlich, gem. 52 Nr. 5 VwGO, Art. 1 II Nr. 5 AGVwGO und sachlich, gem. 45 VwGO, zuständig. VIII. Zwischenergebnis Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen mithin vor. B) Begründetheit Obersatz: Die Klage des M ist begründet, wenn sie sich gem. 78 I Nr.1 VwGO gegen den richtigen Beklagten richtet, die Ablehnung der begehrten Aufenthaltsgenehmigung rechtswidrig ist, M dadurch in seinen Rechten verletzt ist und die Sache spruchreif ist, 113 V 1 VwGO. Dies ist dann der Fall, wenn M einen Anspruch auf Erlass der Aufenthaltsgenehmigung hat. I. Passivlegitimation 78 I Nr. 1 VwGO Fraglich ist zunächst, wer der richtige Beklagte ist. Rechtsträgerprinzip: richtiger Beklagter ist der Rechtsträger der handelnden Behörde. Hier also Stadt Würzburg als Rechtsträger der zuständigen Ausländerbehörde. II. Anspruch des M auf Erlass der Aufenthaltsgenehmigung (fraglich ist der Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Anspruch gegeben ist; hierbei ist bei einer Verpflichtungsklage auf die letzte mündliche Verhandlung abzustellen) 8
1. Anspruchsgrundlage Hier kommt als Anspruchsgrundlage 6 I FiktAuslG in Betracht. Hiernach müsste die Behörde dem M eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, falls er einen Anspruch darauf hätte. 2. Formelle Anspruchsvoraussetzungen a) Zuständigkeit: M hat den Antrag lt. SV bei der zuständigen Behörde der Stadt Würzburg gestellt. b) Verfahren/Form: für besondere Verfahrens- und Formvorschriften bezüglich des Antrags ist nichts ersichtlich c) Zwischenergebnis: Die formellen Voraussetzungen sind gegeben. 3. materielle Anspruchsvoraussetzungen (Subsumtion unter die Anspruchsgrundlage, hier 6 I FiktAuslG) a) Anwendungsbereich des Gesetzes: Als Ägypter und damit Nicht-EU-Bürger fällt M gem. 2 II FiktAuslG in den Anwendungsbereich des Gesetzes. b) Anspruchsvoraussetzungen Nach 6 I FiktAuslG stünde M ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung zu, falls M sich zu einem in 10 I 9
FiktAuslG genannten Zwecke in der BRD aufhalten will und falls kein Versagungsgrund i.s.d. 10 II FiktAuslG vorliegt. c) Tatbestandsvoraussetzungen (1) Zulässiger Zweck gem. 10 I FiktAuslG M möchte in Deutschland studieren. Somit möchte er sich gem. 10 I FiktAuslG zu einem zulässigen Zwecke in Dtld. aufhalten. (2) Kein Versagungsgrund gem. 10 II FiktAuslG Die Aufenthaltserlaubnis darf nur verweigert werden, falls ein Spezialfall des 10 II S. 2 FiktAuslG vorliegt bzw. der Aufenthalt des Ausländers nach der Generalklausel des 10 II S.1 FiktAuslG den Interessen der BRD widerspricht. 10 II 2 a FiktAuslG: (-) keine strafrechtlich Verurteilung 10 II 1 FiktAuslG: (-) keine Anhaltspunkte für die Einschlägigkeit der Generalklausel Zwischenergebnis: 10 II FiktAuslG ist nicht einschlägig. d) Rechtsfolge Somit besteht zugunsten des M ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung. (anders bei einer Ermessensnorm: hier müsste eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen) 4. Rechtsverletzung des M 10
Durch die Ablehnung der begehrten Aufenthaltsgenehmigung war damit rechtsfehlerhaft, d.h. M wurde in seinem Recht auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung ( 6 I FiktAuslG) verletzt. 5. Spruchreife Da M einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung hat, ist die Sache auch gem. 113 V 1 VwGO spruchreif, es ergeht ein Vornahmeurteil, 113 V 1 VwGO. Das Gericht wird den ablehnenden Bescheid der Stadt Würzburg aufheben und die beklagte Stadt Würzburg zur Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung verpflichten. (Steht M nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, so kann nur ein Verbescheidungsurteil nach 113 V 2 VwGO ergehen, nach dem die Behörde dann verpflichtet ist, den Kläger erneut, nun mit ordnungsgemäßer Ermessensausübung, zu verbescheiden) 6. Zwischenergebnis: Die Klage des M ist also auch begründet. C) Endergebnis: Die Klage des M hat Aussicht auf Erfolg, da alle Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind und sie begründet ist. 11