Prof. Dr. Gerhard Robbers Wintersemester 2003/2004 Übung für Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht Fallbesprechung am 2.12.2003 Sachverhalt Peter Panther (P) besitzt seit kurzem einen fahrbaren Hähnchengrill. In der Römerstraße in der kreisfreien Stadt S in Rheinland-Pfalz möchte er gerne täglich ganzjährig seine Hähnchen anbieten. Die Römerstraße ist eine enge städtische Nebenstraße und vor allem wegen der zahlreichen historischen Fassaden bei Touristen beliebt. Von diesen Besuchern möchte P profitieren. Er beantragt daher bei der zuständigen Behörde die Erteilung einer Erlaubnis nach dem LStrG zur Aufstellung des Verkaufswagens auf dem Bürgersteig. Dies hätte zur Folge, dass den Fußgängern nur ca. 20 cm Gehweg verblieben. Der Träger der Straßenbaulast und die zuständige Behörde sprechen sich gegen das Vorhaben aus. Mit formell rechtmäßigem Bescheid teilt die Behörde P mit, dass sein Antrag abgelehnt wird. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass S in der Nähe des geplanten Standortes eine Kantine für ihre Mitarbeiter betreibe. Diese sei jedoch wenig beliebt. Würde P seinen Stand eröffnen, stehe zu erwarten, dass die städtischen Mitarbeiter diesen für ihre Mittagspause nutzen würden. Da die Arbeitsplätze der Kantinenangestellten durch das Vorhaben des P gefährdet seien, sei der Antrag abzulehnen. Gegen den Bescheid legt P Anfang Oktober 2003 bei der Widerspruchsbehörde frist- und formgerecht Widerspruch ein. Als am 02. Dezember 2003 noch immer nicht über seinen Widerspruch entschieden ist, verliert P die Geduld und möchte Klage erheben. Er hat durch den Erwerb des Hähnchengrills beträchtliche Schulden und kann diese nur dann zurückzahlen, wenn er regelmäßige Einnahmen hat, die ohne einen festen Standplatz nicht zu erzielen sind. An einer einstweiligen Anordnung hat P kein Interesse, da es ihm um eine endgültige Klärung der Rechtslage geht. Bearbeitervermerk: Die Erfolgsaussichten der Klage des P sind zu prüfen. Dabei ist zu allen angesprochenen Fragen, ggf. im Rahmen eines Hilfsgutachtens, Stellung zu nehmen.
Prof. Dr. Gerhard Robbers Wintersemester 2003/2004 2 Übung für Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht Fallbesprechung am 2.12.2003 Lösungshinweise Bitte beachten Sie: Die nachstehenden Lösungshinweise fassen die wichtigsten Probleme - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - zusammen, sie beinhalten nicht durchgehend ein klausurmäßiges Aufbauschema und geben teilweise nur Beispiele, wie in einer Klausur argumentiert werden könnte. I. Zulässigkeit 1. Verwaltungsrechtsweg ( 40 I 1 VwGO) Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß 40 I 1 VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet. Nach der herrschenden modifizierten Subjektstheorie ist dies der Fall, wenn dem Streit öffentlich-rechtliche Vorschriften zugrunde liegen. vgl. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 4. Auflage 2000, 11, Rdnr. 21 ff. m. w. N. Vorliegend hat die Behörde den Antrag des P auf Erteilung einer Erlaubnis zur Aufstellung des fahrbaren Hähnchengrills abgelehnt. Es stellt sich daher die Frage, ob bei der Entscheidung über die von P begehrte Einräumung eines Rechts zur Straßenbenutzung öffentlich-rechtliche Vorschriften anzuwenden sind. Nach 45 I 1 LStrG richtet sich die Einräumung von Rechten zur Benutzung der Straße nach bürgerlichem Recht, wenn der Gemeingebrauch nicht oder für Zwecke der öffentlichen Versorgung nur kurzfristig beeinträchtigt wird. Entscheidend für die Zuordnung zum öffentlichen oder privaten Recht ist, ob die in Frage stehende Nutzung "abstrakt" geeignet ist, die Ausübung des Gemeingebrauchs nachteilig zu
3 beeinträchtigen. Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Auflage 1999, V, Rdnr. 114 P möchte in der Römerstraße ganzjährig einen fahrbaren Hähnchengrill aufstellen. Die Ausübung des Gemeingebrauchs wird also langfristig und nachteilig beeinträchtigt. Weiterhin handelt es sich bei der Römerstraße um eine enge Nebenstraße. Durch die Aufstellung des Wagens wird die Gehwegnutzung eingeschränkt. Den Fußgängern verbleiben nur ca. 20 cm Bürgersteig. Bürgerlich-rechtliche Vorschriften finden deshalb keine Anwendung. Vertretbar ist es, allein auf folgenden Gesichtspunkt abzustellen: Für die Aufstellung des Wagens benötigt P eine Sondernutzungserlaubnis. Über die Erteilung der Erlaubnis entscheidet die Behörde nach den Vorschriften des LStrG ( 41 LStrG), mithin nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Da die Streitigkeit erkennbar nichtverfassungsrechtlicher Art ist, ist der Verwaltungsrechtsweg nach 40 I 1 VwGO eröffnet. 2. Statthafte Klageart Für die Bestimmung der richtigen Rechtsschutzform ist vom tatsächlichen Begehren des Klägers auszugehen. P begehrt hier die Erteilung der Erlaubnis zur Errichtung des fahrbaren Hähnchengrills und damit einen Verwaltungsakt im Sinne der 1 I LVwVfG i.v.m. 35 S. 1 VwVfG. Statthafte Klageart ist eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage ( 42 I VwGO). 3. Klagebefugnis L müsste gemäß 42 II VwGO klagebefugt sein. Voraussetzung ist insoweit, dass L geltend machen kann durch die Ablehnung des Verwaltungsaktes möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Diese mögliche Rechtsverletzung ergibt sich bei einer Verpflichtungsklage immer aus dem möglichen Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt, der im Fall der Versagung als subjektiv-öffentliches Recht des Klägers möglicherweise verletzt ist.
4 Hufen, a.a.o., 15, Rdnr. 16 ff.; vgl. auch Lüdemann Jura 1997, 89 (91) m. w. N. Die Erlaubnis zur Sondernutzung bestimmt sich nach 41 I LStrG. Diese Vorschrift ist gesetzestechnisch als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet. Fraglich ist, ob sich die Klagebefugnis des P aus einem subjektiv-öffentlichen Recht auf Erteilung der Erlaubnis herleiten lässt. Auf die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis besteht kein Rechtsanspruch. Dies ergibt sich aus 41 II 1 und VI LStrG. Wenn Befristung oder Widerruf zwingend angeordnet sind und der Widerruf ersatzlos ausgesprochen werden darf, wird kein Rechtsanspruch (auf Erteilung der Sondernutzungserlaubnis) gewährt. Dem Träger der Straßenbaulast steht somit ein Ermessensspielraum zu. Insoweit ergibt sich für P ein Anspruch gegen die Behörde auf fehlerfreie Ermessensausübung. vgl. Steiner, a.a.o, V, Rdnr. 115 Ob die Klagebefugnis bei dieser Fallkonstellation auf einen "Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung" zu stützen ist oder ob dieser "Anspruch" entbehrlich ist, da es vorliegend um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt geht, ist umstritten. vgl. Hufen, a.a.o., 15, Rdnr. 27 f. vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Auflage 2002, 8, Rdnr. 15 Der Streit kann vorliegend jedoch dahinstehen, da beide Ansichten hier zu dem Ergebnis führen, dass P klagebefugt ist. 4. Ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens Nach 68 II VwGO ist vor Erhebung der Verpflichtungsklage ein Vorverfahren durchzuführen, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes abgelehnt wurde. Nach der Ablehnung seines Antrags auf Erteilung der Erlaubnis zur Aufstellung des Wagens hat P Anfang Oktober 2003 ordnungsgemäß Widerspruch eingelegt. Über diesen wurde bis zum 2. Dezember 2003 nicht entschieden. Gleichwohl möchte P klagen.
5 Die Klagemöglichkeit des P könnte sich hier aus 75 S. 1 und 2 VwGO ergeben. P hat frist- und formgerecht Widerspruch eingelegt. Über diesen Widerspruch wurde innerhalb von zwei Monaten nicht entschieden. Die Klagemöglichkeit folgt bei dieser Fallkonstellation aus 75 S. 2 Alt. 2 VwGO. Dann müsste wegen besonderer Umstände für die Erhebung der sog. Untätigkeitsklage eine kürzere Frist geboten sein, als die gesetzlich geforderten drei Monate. Es stellt sich daher die Frage, ob hier solche besonderen Umstände vorliegen. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist als drei Monate gebieten können, sind grundsätzlich solche die im Bereich der Klägers liegen. Maßgeblich ist für die Beurteilung insoweit ausschließlich das (nach objektiven Gesichtspunkten) zu bestimmende Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer rascheren (ggf. sofortigen) Entscheidung. Geboten sein kann eine frühere Entscheidung z. B. wegen drohender materieller Nachteile des Klägers. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage 2003, 75, Rdnr. 12; Redeker / von Oertzen, VwGO, 13. Auflage 2000, 75, Rdnr. 6 Für das Vorliegen besonderer Umstände und damit für eine kürzere Frist könnten hier die Schulden des P sprechen. Diese kann er nur bei der Erzielung regelmäßiger Einnahmen zurückzahlen. Ohne einen festen Standplatz ist das jedoch nicht möglich. 5. Beteiligtenfähigkeit P ist nach 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig. Für T ergibt sich die Beteiligtenfähigkeit aus 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. 6. Prozessfähigkeit P ist nach 62 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Stadt T ist, vertreten durch den Bürgermeister, ebenfalls prozessfähig nach 62 III VwGO i.v.m. 47 I 1 GemO.
6 vgl. Hufen, a.a.o., 15, Rdnr. 35; Kopp, VwGO, 76 a.f., Rdnr. 1 Bei der Klageerhebung muss P die Formvorschriften der 81, 82 VwGO beachten. 7. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis des P ist nicht deshalb abzulehnen, weil es ihm um eine endgültige Klärung der Rechtslage geht und er es deshalb ablehnt eine einstweilige Anordnung zu beantragen. 8. Form und Frist P muss bei der Klageerhebung (da 75 VwGO eingreift) keine (weitere) Frist im eigentlichen Sinne beachten. Auch für eine Verwirkung bestehen keine Anhaltspunkte im Sachverhalt. 9. Ergebnis Die Klage des P ist zulässig. II. Begründetheit 1. Passivlegitimation ( 78 I Nr. 1 VwGO) Richtiger Beklagter ist die Stadt T. 2. Erlaubnispflicht Fraglich ist, ob P überhaupt eine Erlaubnis bedarf. Dies bestimmt sich nach 41 I LStrG. Nur bei einem Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus ist eine Sondernutzung zu bejahen. Gemeingebrauch ist das jedermann gewährte subjektiv-öffentliche Recht, die öffentlichen Wege ohne besondere Zulassung im Rahmen der Widmung zu Zwecken des Verkehrs unentgeltlich zu benutzen.
7 vgl. Steiner, a.a.o., V, Rdnr. 110 Eine Überschreitung des Gemeingebrauchs liegt unter anderem dann vor, wenn die Straße zu anderen Zwecken als denen des Verkehrs in Anspruch genommen werden soll. Der Straßenhandel ist nicht nur Sondernutzung, wenn er von einem festen Verkaufsstand aus betrieben wird, sondern auch dann, wenn fahrende Händler vom Kraftfahrzeug aus verkaufen. von Danwitz, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 11. Auflage 1999, 8. Abschnitt, Rdnr. 57; vgl. Steiner, a.a.o., V, Rdnr. 110 P benötigt somit eine Sondernutzungserlaubnis. 3. Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung Es bekommt ein Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch) in Betracht. Voraussetzung ist, dass die Behörde sich nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensvorschrift hat leiten lassen. Die Behörde handelt danach ermessensfehlerhaft, wenn sie die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend in ihre Erwägungen einbezieht. Ermessensfehlerhaft sind z. B. persönliche oder parteipolitische Rücksichtnahmen, sofern sie nicht ausnahmsweise gerade gesetzlich gefordert sind, sowie sonstige unsachliche Beweggründe. Maurer, a.a.o., 7, Rdnr. 22 Zweck der in 41 I LStrG geregelten und als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestalteten Sondernutzung (-serlaubnis) ist unter anderem die Wahrung der Sicherheit des Verkehrs. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass eine Ablenkung der Verkehrsteilnehmer vom eigentlichen Verkehrsgeschehen vermieden werden soll. Daneben soll die Verengung des den verschiedenen Verkehrsteilnehmer zustehenden Straßenraums nur in kontrolliertem Umfang möglich sein. Die Ablehnungsgründe für die Versagung der Sondernutzungserlaubnis sind in zweifacher Hinsicht begrenzt: Sie müssen zunächst an vernünftigen öffentlichen Interessenorientiert sein. Darüber hinaus kommen nur solche Gesichtspunkte in Betracht, die gerade mit den
8 wegehoheitlichen Aufgaben des Straßenbaulastträgers zusammenhängen: mit dem Schutz der Straßensubstanz und der Aufrechterhaltung eines störungsfreien Gemeingebrauchs für alle. vgl. von Danwitz, in: Schmitdt-Aßmann, a.a.o., 8. Abschnitt, Rdnr. 57 Zweck der Sondernutzungsregeln ist jedoch nicht die Sicherung von Arbeitsplätzen in städtischen Betrieben. Diese Überlegungen mögen zwar gegebenenfalls berechtigt sein, als Beweggrund für die Ablenkung der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis sind sie jedoch nicht geeignet. Damit liegt ein Ermessensmissbrauch vor. Die Behörde hat ermessensfehlerhaft gehandelt. 4. Ergebnis Die Klage des P ist begründet; jedoch nicht in vollem Umfang: P müsste vorliegend eine Verpflichtungsklage erheben. Bei dieser besagt ein Ermessensfehler noch nicht unbedingt, dass der Kläger mit der Klage durchdringt, weil die Behörde möglicherweise noch andere rechtmäßige Alternativen für ihre Entscheidung hat, auf die sie das Gericht nicht ohne weiteres festlegen kann. (Hier: Die übermäßige Einschränkung der Gehwegnutzung oder ggf. -je nach Umgebung- eine Störung des historischen Stadtbildes durch den Wagen.) Deshalb prüft das Gericht die Spruchreife bei der Verpflichtungsklage gesondert und kommt hier nur zu einem Bescheidungsurteil, so dass P nur teilweise mit seiner Klage durchdringt (vgl. auch 113 V 1, 2 VwGO). vgl. dazu Hufen, a.a.o., 25, Rdnr. 33 und 26, Rdnr. 22