4. Anwendung der Differentialrechnung: Kurvendiskussion 4.1. Maxima und Minima einer Funktion. Definition 4.3. Es sei f : R D R eine auf D erklarte Funktion. Die Funktion f hat in a D eine globales oder auch absolutes Maximum (bzw. Minimum) wenn f(x) f(a) (bzw. f(x) f(a)) fur alle x D gilt. In diesem Fall heit a globale Maximalstelle (bzw. Minimalstelle) und f(a) globales Maximum (bzw. Minimum). b D heit lokales oder auch relatives Maximum (bzw. Minimum), wenn es ein (evtl. kleines) Intervall I um b gibt, so dass f(x) f(b) (bzw. f(x) f(b)) fur alle x D I. Minima und Maxima sind Extrema. Lemma 4.1. x 0 ist Minimalstelle von f x 0 ist Maximalstelle von f. Satz 4.9. Ist f eine auf dem oenen Intervall I dierenzierbare Funktion, so gilt: Ist x 0 I eine Extremstelle von f, dann ist f (x 0 ) = 0. Ein Punkt x D mit f (x) = 0 heit stationarer Punkt. Beweis: Es sei x 0 eine Maximalstelle in (x 0 ε, x 0 + ε), ε > 0. D.h. und damit f(x) f(x 0 ) fur alle x (x 0 ε, x 0 + ε) f(x) f(x 0 ) 0 fur x 0 ε < x < x 0 gilt f f(x) (x 0 ) = x x 0 x x 0 x 0. Analog ergibt sich f (x 0 ) = f(x) x x 0 + x 0 und damit f (x 0 ) = 0.# Die Bedingung f (x 0 ) = 0 ist zwar notwendig fur ein Extremum, aber nicht hinreichend wie das Beispiel f(x) = x 3 in x = 0 zeigt. Der Satz gibt auch keine Ausskunft uber Extremalstellen an den Intervallenden, an Spitzen oder anderen Stellen, in den f nicht dierenzierbar ist. D.h. 49
50 Die Kandidaten fur Extremalstellen von f : I R sind: (1) die Randpunkte des Intervalls I, (2) die Punkte, in denen f nicht dierenzierbar ist, (3) die stationaren Punkte aus dem Innern des Intervalls I. Beispiel 4.14. Es sei f(x) = sin x und I = [ 0, 5π 2 die Extremalstellen zu bestimmen, betrachten wir ] R. Um die Extrema und (1) Randpunkte: sin 0 = 0 und sin 5π 2 = 1. (2) In x = π und x = 2π ist die Funktion sin x nicht dierenzierbar, da f (π+) = cos π = 1 aber f (π ) = cos π = 1. Analog fur x = 2π. Es ist sin π = sin(2π) = 0. (3) In den Intervallen (0, π), (π, 2π) und (2π, 5π ) ist f(x) = sin x dierenzierbar und es 2 gilt: f (x) = { (sin x) = cos x, fur x (0, π) und ( sin x) = cos x, fur x (π, 2π). ( ) 2π, 5π 2, Die stationaren Stellen sind die Nullstellen der ersten Ableitung in den Intervallen: cos x = 0 fur x = 2k + 1 π, k Z, 2 davon liegen in den von uns betrachteten Intervallen: x = π und x = 3π. 2 2 Die dazugehorigen Funktionswerte sind sin π 2 = sin 3π 2 = 1. Damit sind x = 0, π, 2π lokale und globale Minimalstellen mit dem Minimum 0 und x = π, 3π, 5π lokale und globale Maximalstellen mit dem Maximum 1. Wie 2 2 2
4. ANWENDUNG DER DIFFERENTIALRECHNUNG: KURVENDISKUSSION 51 man auch leicht an dem Graphen der Funktion ablesen kann y x = sin x 4.2. Mittelwertsatz. Die folgenden Beobachtungen bilden das Fundament f ur weiterfuhrende Betrachtungen. Satz 4.10. Mittelwertsatz. Ist die Funktion f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] stetig und auf dem oenen Intervall (a, b) diferenzierbar, dann gibt es (wenigstens) einen inneren Punkt x 0 (a, b) mit f (x 0 ) = f(b) f(a). b a Beweis: Wir betrachten die Funktion F (x) = f(x) (x b) (f(b) f(a)). (b a) Sie ist im abgeschlossenen Intervall [a, b] stetig und hat deshalb nach Satz 3.11 wenigstens eine Extremalstelle x 0 wegen F (a) = F (b) = f(b) liegt diese in (a, b), somit gilt F (x 0 ) = 0 und das bedeutet: F (x 0 ) = f (x 0 ) (f(b) f(a)) (b a) = 0. # Bemerkung: Anschaulich bedeutet der Mittelwertsatz, dass fur mindestens ein x 0 (a, b) die Kurventangente parallel zur Sehne AB ist.
52 Satz 4.11. Monotonieverhalten. Fur eine im Intervall I dierenzierbare Funktion f gilt: (1) f (x) > 0 auf I f ist auf I echt monoton wachsend. (2) f (x) < 0 auf I f ist auf I echt monoton fallend. (3) f (x) 0 auf I f ist auf I monoton wachsend. (4) f (x) 0 auf I f ist auf I monoton fallend. (5) f (x) = 0 auf I f ist auf I konstant. Beweis: Wir beschranken uns auf die Aussagen fur (1). Zu x 1 < x 2 I gibt es nach dem Mittelwertsatz 4.10 und der Voraussetzung ein x 0 mit x 1 < x 0 < x 2 mit f(x 2 ) f(x 1 ) x 2 x 1 = f (x 0 ) > 0. Folglich ist f(x 2 ) > f(x 1 ). Alle anderen Falle lassen sich analog behandeln. # Folgerung: Fur zwei auf einem Intervall I dierenzierbare Funktionen f und g folgt: f (x) = g (x) fur alle x I f(x) = g(x) + C fur alle x I (2) mit einer Konstanten C R. (3) 4.3. Kurvendiskussion. Satz 4.12. 1. Extremwert-Test. Eine auf dem oenen Intervall (a, b) dierenzierbare Funktion f hat im stationaren Punkt x 0 (a, b) ein lokales Maximum (bzw. lokales Minimum), wenn die Ableitung f (x) unmittelbar links von x 0 (also in einer kleinen einseitigen linken Umgebung (x 0 ε, x 0 ) (ε > 0)) positiv, rechts von x 0 negativ (bzw. links negativ, rechts positiv) ist. Satz 4.13. 2. Extremwert-Test. Ist f auf (a, b) zweimal stetig dierenzierbar und x 0 (a, b) ein stationarer Punkt, dann gilt (1) f (x 0 ) < 0 f hat in x 0 ein lokales Maximum, (2) f (x 0 ) > 0 f hat in x 0 ein lokales Minimum.
4. ANWENDUNG DER DIFFERENTIALRECHNUNG: KURVENDISKUSSION 53 Beweisidee: Die erste Ableitung f ist in einer kleinen Umgebung von x 0 streng monoton wachsend bzw. fallend und hat in x 0 einen Vorzeichenwechsel. # Auch das Krummungsverhalten der Kurve y = f(x) kann man am Vorzeichen von f erkennen. Definition 4.4. Eine Funktion f heit konkav auf einem Intervall I, wenn die Sekante durch zwei beliebige Punkte (x 0, f(x 0 )) und (x 1, f(x 1 )) im Bereich zwischen diesen Punkten auf oder unterhalb des Funktionsgraphen von f liegt: f((1 t)x 0 + tx 1 ) (1 t)f(x 0 ) + tf(x 1 ) 0 t 1, x 0 < x 1, konvex auf einem Intervall I, wenn die Sekante durch zwei beliebige Punkte (x 0, f(x 0 )) und (x 1, f(x 1 )) im Bereich zwischen diesen Punkten auf oder oberhalb des Funktionsgraphen von f liegt: f((1 t)x 0 + tx 1 ) (1 t)f(x 0 ) + tf(x 1 ) 0 t 1, x 0 < x 1, Satz 4.14. Krümmung (1) f > 0 im Intervall I, so ist die Kurve y = f(x) konvex (Linkskrummung). (2) f < 0 im Intervall I, so ist die Kurve y = f(x) konkav (Rechtskrummung). Definition 4.5. Diejenigen Punkte, in denen y = f(x) von konvex (einer Linkskrummung) nach konkav (in eine Rechtskrummung) oder umgekehrt ubergehen, heien Wendepunkte. Kandidaten fur Wendepunkte von f : I R sind: (1) die Punkte aus I, in denen f nicht existiert; (2) die Punkte aus I, in denen f = 0 ist.
54 Beispiele: f ' '=0 x 0 x 0 x 0 Satz 4.15. Wendepunkt-Test. f (x 0 ) = 0, f (x 0 ) 0 f hat in x 0 einen Wendepunkt. Beweis: Nach Satz 4.13 ist in x 0 eine Extremalstelle der Ableitung, also ein Wendepunkt. # 4.4. Kurvendiskussion eines Graphen. Ziel einer Kurvendiskussion ist die Feststellung Verhaltens eines Graphen einer Funktion y = f(x). Im folgenden geben wir eine Liste der Punkte an, die bei einer Kurendiskussion untersucht werden konnen: (1) Definitions- und Wertebereich. Hier ist der maximale Denitionsbereich fur die Funktion y = f(x) gemeint. Man achte insbesondere auf isolierte Singulariaten und untersuche diese dahingehend, ob die Funktione stetig erganzt werden kann ( zudeniniert\ werden kann). " (2) Symmetrie. Ist die Funktion f(x) symmetrisch zur y-achse, d.h. gilt fur alle x : f( x) = f(x), so nennt man f eine gerade Funktion. Ist f(x) symmetrisch zum Ursprung, d.h. es gilt fur alle x : f( x) = f(x), so nennt man f eine ungerade Funktion. (3) Pole. Hat f(x) die Form f(x) = g(x) (x x 0 mit g(x) stetig und g(x ) k 0 ) 0, so besitzt f(x) fur ungerade k einen Pol mit Vorzeichenwechsel, fur gerade k eine Pol ohne Vorzeichenwechsel in x 0. (4) Verhalten im Unendlichen. Bestimmung der Grenzwerte f(x) und x f(x), falls sie existieren. x Untersuchung auf Asymptoten. Eine Gerade y = ax + b heit Asymptote von f(x) fur x ±, falls gilt [f(x) ax b] = 0. Dabei ist b = [f(x) ax] und a = (5) Nullstellen. f(x) x.
4. ANWENDUNG DER DIFFERENTIALRECHNUNG: KURVENDISKUSSION 55 (6) Bestimmung der Extrema und Extremalstellen, Monotonieverhalten Man untersuche alle Kandidaten fur Extrema. (7) Wendepunkte und Krümmungsverhalten. Man untersuche alle Kandidaten fur Wendepunkte. (8) Skizze. Beispiel 4.15. Fur die folgende Funktion sei eine Kurvendiskussion durchzufuhren: y = f(x) = 2x2 + 3x 4 x 2. (1) Denitionsbereich: R\{0}. Die Funktion kann fur x = 0 nicht stetig erganzt werden, da der Grenzwert nicht existiert, da 2x 2 + 3x 4 x 0 x 2 2x 2 + 3x 4 x 0 x 2 = x 0 2 + 3x 4 x 2 =. Den Wertebereich erhalt man aus den spateren Resultaten zu (, f( 8) 2.56]. 3 (2) Symmetrie: Die Funktion ist weder gerade noch ungerade. (3) Pole: x 0 = 0 ist eine Polstelle ohne Vorzeichenwechsel. (4) Asymptoten: 2x 2 + 3x 4 = 2, x 2 (und f(x) x = ) Die Asymptote ist also y = 2. (5) Nullstellen: f(x) = 0 2x 2 + 3x 4 = 0 2x 2 + 3x 4 x 3 = 0. x 1/2 = 3 9 4 ± 16 + 32 16 = 1 4 ( 3 ± 41). x 1 2.35 und x 2 0.85. (6) Extrema: 1. Randpunkte gibt es nicht zu untersuchen, da die gesamte reelle Achse betrachtet wird. 2. Die Funktion ist in x 0 = 0 weder deniert noch stetig, noch dierenzierbar. 3. y = (4x + 3)x2 2x(2x 2 + 3x 4) = 4x3 + 3x 2 4x 3 6x 2 + 8x (x 2 ) 2 x 4 = 3x + 8 x 3 = 0 fur x 3 = 8 3.
56 Weiterhin ist ( ) 8 y 3 = 3x3 3x 2 ( 3x + 8) x 6 x= 8 3 = 6x 24 x 4 x= 8 3 = 48 3 24 ( 8 3) 4 < 0 Somit hat f(x) in x 3 = 8 ein lokales Maximum mit f(x 3 3) 2.56. Monotonie: 8 < 0 : < x <, echt monoton fallend, y 3 (x) = > 0 : 0 < x < 8, echt monoton wachsend, 3 < 0 : < x < 0, echt monoton fallend. (7) Wendepunkte: Die Funktion ist in x 0 = 0 nicht deniert. Da aber rechts und links von x 0 = 0 die zweite Ableitung existiert und dasselbe Vorzeichen hat, ist x 0 = 0 kein Wendepunkt. Weiterhin ist und es ist y = 0 x = x 4 = 4 mit f(x 4 ) = 5 2 y (x 4 ) = 6x4 4x 3 (6x 24) x 8 = 18x4 + 96x 3 = 6 0 x=4 x=4 und deshalb ist x 4 = 4 ein Wendepunkt. Krummungverhalten: > 0 : 4 < x <, konvex von unten, y (x) = < 0 : 0 < x < 4, konvex von oben, < 0 : < x < 0, konvex von oben. (8) Skizze x 8 y= f x = 2x2 3x 4 x 2 Asymptote y=2 Wendepunkt bei x=4, globales Maximum bei x=x 3 =8/3.