Evaluation von Kontextfaktoren: Ergebnisse einer experimentellen Studie I. Bülau, M. Bassler, A. Kobelt 25. Reha-Kolloquium Aachen, 01.03.2016
Einführung ICF-Orientierung in der Rehabilitation: systematische Berücksichtigung von extra- und intrapsychischen Kontextfaktoren Zur Erfassung von Kontextfaktoren bislang nur wenige Dokumentationsund Messinstrumente in operationalisierter Form vorhanden Individuelle Therapieplanung und -umsetzung erfordert spezifische Kenntnis von Kontextfaktoren (Erhebung via Selbst- und Fremdrating) Großer Bedarf an empirischer Forschung zu Einfluss von Kontextfaktoren auf Indikation, Verlauf und Outcome von psychosomatischer Rehabilitation
Fragestellungen der Studie Welches sind häufig auftretende kontextuelle Belastungsfaktoren bei psychosomatischen Rehabilitanden? Welchen Einfluss haben diese Kontextfaktoren auf Verlauf und Outcome psychosomatischer Rehabilitation?
Erhebungsdesign 1. Stufe Patientenpool Gültige Interviews: n=102 Altersspanne: 23-62 J. Geschlecht: 52.9% weiblich 2. Stufe Klinisches Interview 2 Wochen nach Aufnahme BaDo bei Aufnahme: n=99 (w=46.5%) 3. Stufe Zufallsauswahl: - ca. n=20 Rehabilitanden/ Woche (n=103) - Ausschluss: invalides Antwortverhalten (n=1) BaDo bei Entlassung: n=89 (w=46.1%)
Vergleichsgruppen Gesamtbelastung Einzelne Kontextfaktoren niedrige Gesamtbelastung keine bis leichte Belastung hohe Gesamtbelastung mittelstarke bis sehr starke Belastung
Top 10 belastender Kontextfaktoren Kontextfaktor Enttäuschende oder kränkende Erfahrungen mit wichtigen Menschen Belastung (1-4) Mittelwert (Belastung) Keine Belastung 86 3,50 16 102 Mangel an Entspannung und Freizeit 86 3,23 16 102 Soziale Beziehungen 77 2,41 25 102 Sonstige inter- und intrapersonelle Faktoren 71 3,55 31 102 Subjektiv erfahrenes Unrecht 69 3,49 33 102 Erfahrungen mit Arbeitgebern 63 3,04 39 102 Familiäre Unterstützung 54 2,63 48 102 Schwere Erkrankung eines Angehörigen 45 2,86 57 102 Bedeutsamkeit der Berufstätigkeit 43 1,71 59 102 Finanzielle Belastung/ Verschuldung 60 3,06 42 102 N Codierung: 1= leichte, 2=mittlere, 3= starke, 4= sehr starke Belastung
5 stärker belastende Kontextfaktoren (5 von insgesamt 20 Kontextfaktoren) Bei über 50% der Rehabilitanden waren Enttäuschende oder kränkende Erfahrung Mangel an Entspannung und Freizeit Erfahrenes Unrecht Erfahrung mit Arbeitgebern Soziale Beziehungen mittelstark bis sehr stark belastende Kontextfaktoren (KF)
Einfluss von Kontextfaktoren zu Rehabeginn ( Gesamtscore, subjektiv erfahrenes Unrecht korrelieren hoch mit wesentlichen Testskalen) Symptombelastung (ISR) Depressivität (BDI) 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 Depressivität (H-49) Interaktionelle Schwierigkeiten (H-49) somatoforme Beschwerden (H-49) Verminderte Selbstwirksamkeit (H-49) Gesamtscore Erfahrenes Unrecht
Einfluss von Kontextfaktoren zu Rehabeginn KF Gesamtscore bezüglich ausgewählter Health-49-Skalen Soziale Belastung 3 2,5 Aktivität 2 1,5 1 0,5 0 Depressivität Interaktionelle Schwierigkeiten somatoforme Beschwerden Verminderte Selbstwirksamkeit Belastung hoch Belastung gering
Unterschiede Selbsteinschätzung Vergleichsgruppe: Kontextuelle Gesamtbelastung Signifikante Unterschiede auf den meisten Skalen von ICF AT-50 Psych, HEALTH-49 und BDI-II (p<.05) Mittlere bis große empirische Effekte des Gruppenfaktors (d.5, η p ².06) Rehabilitanden mit niedriger kontextueller Gesamtbelastung wiesen über alle untersuchten testpsychologischen Skalen signifikant niedrigere Werte auf als Rehabilitanden mit hoher kontextueller Gesamtbelastung.
Einfluss von Kontextfaktoren zu Rehabeginn KF subjektiv erfahrenes Unrecht bezüglich ausgewählter Health-49-Skalen Soziale Belastung 2,5 2 Aktivität 1,5 1 0,5 0 Depressivität Interaktionelle Schwierigkeiten somatoforme Beschwerden Verminderte Selbstwirksamkeit Belastung hoch Belastung gering
Score: Kontextuelle Gesamtbelastung (Vergleich Beginn versus Ende von Rehabilitation) Vergleichsgruppe: kontextuelle Gesamtbelastung Überwiegend große Haupteffekte des Faktors Klinikaufenthalt für beide Gruppen über alle Skalen von ICF AT-50 Psych HEALTH-49 BDI-II (Grafikbeispiel rechts)
Positiv wirksame Faktoren Eigene Kinder (38.8 %) Lebensfreude/ Lebenslust/ Abenteuerlust (36.7 %) Partnerschaft (34.7 %) Positive, optimistische Lebenseinstellung (18.3 %)
Zusammenfassung Fünf gravierende kontextuelle Belastungsbereiche bei untersuchter Stichprobe psychosomatischer Rehabilitanden Kontextuell stark belastete Rehabilitanden verzeichneten bei fast allen testpsychologischen Assessments signifikant höhere psychische Belastungswerte als kontextuell weniger belastete Rehabilitanden Kränkungserlebnisse bzw. subjektiv erlebtes Unrecht erwiesen sich bei den meisten Patienten als sehr stark belastende Kontextfaktoren Spezielle Therapiekonzepte für besonders wirksame Kontextfaktoren sinnvoll (z.b. bei Kränkungserlebnissen; Verbitterungsstörung )
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!