Laboranalysen Beitrag zur Konsistenzprüfung und zu einem Drogenscreening im Rahmen von IV Begutachtungen Stephan Krähenbühl Klinische Pharmakologie & Toxikologie Universitätsspital Basel kraehenbuehl@uhbs.ch
Inhalt Therapeutic drug monitoring Beziehung zwischen Adherence und Spiegelkontrolle von Medikamenten Hypertonie Depressionen
Von der Applikation zur Wirkung Pharmazeutische Phase Applikation Pharmakokinetische Phase Speicherung Freisetzung Resorption Verteilung Metabolismus Aussscheidung Pharmakodynamische Phase Pharmakologischer Effekt (Erwünschte) Therapeutische Wirkung Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW)
Zunahme des TDM während der letzten Jahre Entwicklung des TDM am Karolinska Institut in Huddinge (Schweden) Wichtigste Substanzklassen: Immunsuppressiva, Antiepileptika und Antiinfektiva Eur J Clin Pharmacol 2013; 69 (Suppl 1):S25 S32
Therapiemonitoring mittels TDM Für Arzneistoffe, bei denen der pharmakologische Effekt nicht einfach gemessen werden kann Antibiotikum Immunsuppressivum Antiepileptikum Plasmakonzentration Plasmakonzentration Plasmakonzentration Erfolgreiche Behandlung der Infektion Verhinderung Transplantatabstossung Verhinderung erneuter Krampfereignisse Clin Pharmacol Ther 2001;69:89-95
TDM - Definition Messung der Arzneistoff- Konzentrationen in Körperflüssigkeiten z.b. Serum Plasma Vollblut Speichel und Korrelation und Interpretation im Zusammenhang mit klinischen Gegebenheiten des Patienten
TDM Ziele und Voraussetzungen Individualisierung und Optimierung der medikamentösen Therapie Optimierung des therapeutischen Effektes Minimierung der unerwünschten (toxischen) Effekte (Gewährleistung der Therapiesicherheit) Voraussetzungen Enger therapeutischer Bereich des Wirkstoffes Klare Beziehung zwischen Plasmakonzentration mit Wirkung und/oder Toxizität Effekt klinisch nicht gut beurteilbar Hohe pharmakokinetische Variabilität in der Population Keine Toleranzentwicklung (Verschiebung der Dosis-Wirkungskurve)
TDM - Indikationen Ungenügender Therapieerfolg Adherence mit antihypertensiver Therapie Vermutete Toxizität Bestimmung der therapeutischen Konzentration Berechnung der individuellen Kinetik Verdacht auf Interaktionen Compliance-Kontrolle Bulletin of the World Health Organization 2002;80:33-39
Referenzbereich Therapeutischer Bereich Referenzbereich Therapeutischer Bereich Verwendung durch analytisches Labor Wert unterhalb Referenzbereich = therapeutischer Effekt unwahrscheinlich Wert oberhalb Referenzbereich = Toxizität wahrscheinlich Statistische Beschreibung der Effekte eines Arzneistoffes in einem Kollektiv von Patienten Konzentrationsbereich mit dem bestmöglichen klinischen Effekt und geringsten UAW bei einem bestimmten Patienten Kann nur individuell bestimmt werden Therapeutischer Bereich muss nicht deckungsgleich mit Referenzbereich sein Epilepsia 2008;49:1239-1276
Therapeutischer Bereich: individuell bestimmen beginnende Toxizität Plasmakonzentration c max Wirkungsdauer minimale therapeutische Konzentration therapeutischer Konzentrationsbereich t max Zeit (t)
Phenytoin Untergrenze des Referenzbereichs 51 Patienten mit 1 Grand-Mal Anfall pro Woche mit Phenobarbital und/oder Phenytoin behandelt 6 von 24 Patienten mit Serum- Phenytoin <10mg/L (25%) anfallsfrei 21 von 27 Patienten mit Serum- Phenytoin >10 mg/l (75%) anfallsfrei 10 mg/l als Untergrenze etabliert Letzter Anfall am 21. Oktober Dosis Phenytoin: 17.10. 31.10 400 mg/d, 1.11. 6.11. 200 mg/d 7.11. 20.11. 600 mg/d EEG: Anzahl Spikes pro 20 min Arch Neurol 1960;50:624-630
Phenytoin Obergrenze des Referenzbereichs 32 Patienten mit Serumspiegel von Phenytoin 23-89 mg/l und Zeichen von Toxizität Nystagmus bei allen Patienten mit einem Serum-Phenytoin >20 mg/l Ataxie beginnt ab einem Serum- Phenytoin >30mg/L Ataxie bei allen Patienten ab einem Serum-Phenytoin >40 mg/l Referenzbereich auf 10 20 mg/l festgelegt (40-80 µmol/l) Arch Neurol 1964;11:642-648
Folgerungen aus der Definition des Referenzbereichs Keine Dosisanpassung 1. Nur aufgrund der Serumkonzentration ohne Kenntnis des klinischen Kontext 2. Bei Patienten mit langdauerndem gutem klinischem Effekt bei Konzentration unterhalb Referenzbereich (dies spricht dafür, dass der therapeutische Bereich tiefer liegt als der Referenzbereich) 3. Bei Patienten mit stabiler Therapie ohne klinische Hinweise auf Toxizität bei Konzentrationen oberhalb des Referenzbereiches
TDM - Interpretation Substanzfaktoren Halbwertszeit Proteinbindung Eliminationsweg Metabolismus Bioverfügbarkeit Blutentnahme: Ort & Zeit Messwert Therapiedauer Dosis Patientenfaktoren Alter Nierenfunktion Leberfunktion Komedikation Gewicht Geschlecht Proteinstatus Komorbidität
TDM - typische Substanzen Antiepileptika Phenytoin Valproinsäure Carbamazepin Phenobarbital / Primidon Kardiaka/Antiarrhythmika Digoxin Amiodaron Immunsuppressiva Cyclosporin Tacrolimus Sirolimus Mycophenolat Theophyllin Antibiotika Vancomycin Aminoglycoside Daptomycin Antidepressiva SSRI SNRI TCA Antimykotika Voriconazol Posaconazol Fluconazol Lithium
18 806 neu diagnostizierte Hypertoniker >35 Jahre ohne kardiovaskuläre Krankheit Adherence bestimmt durch Kontrolle der genommenen Tabletten und der eingelösten Verschreibungen Klassifikation der Adherence >80%: hoch 40 80%: mittel <40%: tief Adherence mit Antihypertensiva Korrelation von kardiovaskulären Events mit Adherence Circulation 2009;120:1598-1605
Ärzte auf der Poliklinik mussten Adherence von Patienten mit Hypertonie voraussagen (VAS) Vergleich mit Adherence gemessen mit Medical Event Monitoring System (MEMS) Patienten mindestens seit 1 Jahr behandelt Abschätzen der Adherence Hypertens Res 2008;31:1765-1771
Abschätzen der Adherence Hypertens Res 2008;31:1765-1771
Faktoren für Adherence Circulation 2009;120:1598-1605
Risikofaktoren für Non-Adherence Krankheit chronisch oligo- oder asymptomatisch gut Beziehung Arzt Patient Information über Krankheit und Therapie Therapie komplizierte Schemata Polypharmazie passabel schlecht Änderung der Lebensgewohnheiten unerwünschte Arzneimittelwirkungen N Engl J Med 2005;355:487-97
162 Patienten mit Antihypertensiva ein- oder zweimal täglich arterieller Hypertonie Randomisiert auf: - Captopril 2 x 25 mg/d - Trandolapril 2 mg/d Adherence registriert durch elektronisch gesicherte Behälter Overall Adherence: - 98.9% Trandolapril - 97.5% Captopril Normalisierung Blutdruck: - 41% Trandolapril - 27% Captopril Am J Hypertens 2000;13:184-90 Trandolapril Captopril
Retrospektive Studie 840 regelmässig kontrollierte Patienten mit essentieller Hypertonie Monotherapie (1 tägliche Gabe 1 Arzneistoffes oder 1 Kombinationspräparates) Adhärenz bestimmt als Zeit, für welche Medikation reicht Primärer Endpunkt: Blutdruck-Kontrolle Adherence und Blutdruckkontrolle J Managed Care Pharmacy 2006;12:239-45
Therapieresistente Hypertonie Blutdruckwerte >140/90 mmhg oder >160/100 mmhg bei Ausgangs BD >180/115 mmhg oder >160 mmhg bei älteren Patienten (> 60 Jahre) mit isolierter systolischer Hypertonie Trotz voll ausgeschöpfter mehrwöchiger Dreierkombination, welche ein Diuretikum enthält
«Resistente» Hypertonie Untersuchung aller Patienten mit einem schwer einstellbaren Blutdruck an der Goethe Universität Frankfurt zwischen 2004 und 2011 Total 375 Patienten, die meisten konnten mit einem 3-er Regime stabilisiert werden (250/375) oder hatten eine white coat Hypertonie (9/375) 47% adherent 53% non-adherent Journal of Hypertension 2013;31:766 774
«Resistente» Hypertonie - Adherence Nach Ausschluss der Patienten mit sekundärer Hypertonie und solchen, die mit 4 Arzneistoffen kontrolliert werden konnten bleiben 76 Patienten mit resistenter Hypertonie Adherence bestimmt aufgrund der Analyse eines Urinsamples 87.5% 12.5% Journal of Hypertension 2013;31:766 774
«Resistente» Hypertonie Adherence und Antipyertensiva Die Adherence hängt unter anderem vom Antihypertensivum ab, welches verschrieben worden ist Journal of Hypertension 2013;31:766 774
Adherence mit Antidepressiva 3684 Patienten, welche wegen einer Depression mit Antidepressiva behandelt werden Adherence berechnet durch Vergleich verschriebene und dispensierte (Apotheke) Antidepressiva Gute Adherence: score >80% BMC Public Health 2015;15:1184
Adherence mit Antidepressiva Voraussage 104 mit Antidepressiva behandelte Pateinten Adherence geschätzt durch Arzt (nach Interview und Konsultation Krankengeschichte) Adherence von Patient angegeben Adherence gemessen durch Plasmaspiegel Pharmacopsychiatry 2012;45:204-207
Antidepressive Therapie und Plasmaspiegel Eur J Clin Pharmacol 2008;64:159-166
Adherence mit Antidepressiva Blutspiegel 12 Patienten mit Depression mit Paroxetin (40 mg/d) behandelt Alle mit klinisch gutem Ansprechen Serumspiegel bestimmt Serumspiegel nach 12 Wochen bei gleicher Dosierung wiederholt J Clin Psychopharmacology 2010;82-83
Adherence mit Antidepressiva Blutspiegel 190 Behandlungs-resistente Patienten mit Depression 4 Therapiegruppen SSRI SSRI plus Psychotherapie Venlafaxin Venlafaxin plus Psychotherapie Plasmaspiegel nach 6 und 12 Therapie Keine Adherence: kein Blutspiegel, mehr als 2-fache Differenz für C p /Dosis Vergleich mit Adherence via Tabletten zählen J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2011;50:490-498
Level-dose ratio (LDR) und klinisches Ansprechen J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2011;50:490-498
Clinical pill count (CDC) und klinisches Ansprechen J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2011;50:490-498
Adherence bei depressiven Drogenkonsumenten Depressive Patienten therapiert mit Bupropion oder Mirtazapin Gleichzeitig Abusus mit Metamphetamin Testtermin der Urinprobe den Patienten bekannt Adherence gemessen mit Medical Event Monitoring System (MEMS) Drug and Alcohol Dependence 2014;143:277-280
163 Patienten mit Depression behandelt mit Sertralin Therapiert mit 50 150 mg Sertralin/Tag Blutproben zu Beginn und nach Woche 2, 4, 6, 8, 12, 24 Plasmaspiegel von Sertralin Hum Psychopharmacol Clin Exp 2004;19:283-291
Plasmakonzentration (mg/l) 14 12 10 8 6 4 2 Repetitive Dosierung F Dosis C ss = Cl Dosierintervall(t) 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Plasmakonzentration nach Erreichen des steady state (C SS, Kumulationsgrenzwert) B (C ss ) Kumulation R = A B A Plasmakonzentration nach der ersten Dosis Zeit (Tage)
Plasmaspiegel von Sertralin 163 Patienten mit Depression behandelt mit Sertralin Therapiert mit 50 150 mg Sertralin/Tag Blutproben zu Beginn und nach Woche 2, 4, 6, 8, 12, 24 Hum Psychopharmacol Clin Exp 2004;19:283-291
5 Plasmasamples während 24 Wochen abgenommen bei 96 Patienten Hidden total non-compliance: Kein detektierbares Sert oder Dsert in 1 Sample Hidden partial non-compliance: 1 Bestimmung ausserhalb 2SD der Dsert/Sert Ratio der Population 1 Bestimmung >50% höher oder tiefer als individuelle Ratio Dsert/Sert Plasmaspiegel von Sertralin J Affective Disorders 2004;82:443-446
Schlussfolgerungen TDM ist für die Klinischen Pharmakologen ein wichtiges Werkzeug, um die Dosierung von Patienten zu individualisieren Patienten mit therapieresistenter Hypertonie sind oft nicht-adhärent: hier kann die Bestimmung von Arzneistoffen im Urin etwas bringen Mit Antidepressiva behandelte Patienten sind oft nicht-adhärent: je nach Substanz können Plasmaspiegel hilfreich sein