Arbeitsgemeinschaft BGB AT SS 2018 Fall 3 Der Gemüsehändler A und S sind alte Bekannte. Beide leben seit einiger Zeit in Münster. Gemeinsam haben sie schon etliche Ausflüge und Reisen unternommen. Dafür haben die beiden jeweils das Auto des A, ein betagtes grünes Vehikel benutzt, das beide liebevoll Gurke nennen. Da S im Gegensatz zu A nicht zentrumsnahe, sondern in Coerde wohnt, möchte S die Gurke kaufen, um schneller die Stadtmitte zu erreichen. Deshalb schickt S eine SMS an A, in der er 700 für die Gurke offeriert. A ist nicht abgeneigt und ruft sofort S an. Da ihm aber das Alter seines Fahrzeuges bekannt ist, möchte er die Gewährleistung ausschließen. Er teilt dies dem S während des Telefonates mit. S, der davon offenkundig wenig begeistert ist, seufzt daraufhin lautstark und legt auf. Kann A die Zahlung von 700 verlangen? Seite 1 von 8
Skizze A. A - S auf Zahlung des Kaufpreises ihv. 700 gemäß 433 Abs. 2 BGB I. Anspruch entstanden: Kaufvertrag: zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme? 1. Einigung über die wesentlichen Vertragsbestandteile? Angebot durch S mittels SMS: Kaufgegenstand = Gemüse oder das Fahrzeug? Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont ( 133, 157 BGB), dh. nach dem Verständnis eines objektiven Dritten anstelle des Erklärungsempfängers mit dessen Wissen; ein besonderer Sprachgebrauch zwischen den Erklärenden ist zu berücksichtigen; aufgrund der Vorgeschichte (gemeinsame Bezeichnung des Fahrzeuges als Gurke) weiß A, dass S mit Gurke das Fahrzeug meint; ein objektiver Dritter anstelle des A mit dessen Wissen bezieht das Angebot daher auf das Fahrzeug (unechte Fehlbezeichnung; der Rekurs auf die rein subjektive Auslegung ist nicht erforderlich) Annahme durch A am Telefon: Kaufgegenstand = Gemüse oder das Fahrzeug? S.o. Kaufgegenstand = Fahrzeug 2. Natürlicher Konsens hinsichtlich der wesentlichen Vertragsbestandteile (+) 3. Einigung über Nebenpunkte ( 154 f. BGB): Haftung aus Gewährleistung? Angebot des S mittels SMS inkludiert Haftung aus Gewährleistung ( 433 Abs. 1 S. 2 BGB) A lehnt während des Telefonates die Haftung aus Gewährleistung ab = Ablehnung des Angebotes unter neuerlichem Angebot ( 150 Abs. 2 BGB) Seite 2 von 8
S seufzt und legt auf = konkludente Ablehnung des Angebotes ( 146 BGB) 4. offener Dissens hinsichtlich der Haftung aus Gewährleistung (-) II. Angebot und Annahme decken sich hinsichtlich eines Nebenpunktes nicht; im Zweifel liegt kein Vertragsschluss vor ( 154 Abs. 1 S. 1 BGB); Anspruch ist nicht entstanden B. A hat keinen Anspruch gegen S auf Bezahlung des Kaufpreises ihv. 700 gemäß 433 Abs. 2 BGB Seite 3 von 8
Fall 4 Mieter M möchte aus seiner Wohnung ausziehen und die schriftliche Kündigung in Briefform seinem Vermieter V am 15.4., dem letzten Tag vor Ablauf der Kündigungsfrist persönlich überreichen. Zu diesem Zwecke fährt M zu dem Anwesen des V, trifft diesen jedoch nicht an. Allerdings ist der Gärtner (G) des V gerade am Werk. M übergibt die Kündigung dem arbeitenden G. Dieser steckt die Kündigung in seine Arbeitsschürze und versichert, er werde sie V noch heute überreichen. G vergisst darauf und bemerkt erst am 25.4., dass er die Kündigung noch immer in seiner Schürze hat, woraufhin er sie umgehend V aushändigt. Neugierig erbricht V sofort den Brief, um diesen zu lesen. Hat M fristgerecht gekündigt? Seite 4 von 8
Skizze A. Fristgerechte Kündigung des M? I. Kündigung abgegeben? II. Durch Übergabe an G (+) III. Fristwahrung hängt vom Zeitpunkt des Zuganges ab; Zugang noch am 15.4.? Zugang ( 130 Abs. 1 S. 1 BGB) = Machtbereich + mit Kenntnisnahme nach gewöhnlichen Umständen zu rechnen/tatsächliche Kenntnisnahme der Zugang hängt von der Stellung des G ab: Empfangs- oder Erklärungsbote? 1. G = Empfangsbote des V: tatsächlich ermächtigt oder nach der Verkehrsauffassung ermächtigt? 2. (-) 3. G = Erklärungsbote des M IV. Zugang mit tatsächlicher Kenntnisnahme des V, dh. nicht am 15.4., sondern am 25.4.; Kündigung ist somit verspätet zugegangen B. M hat nicht fristgerecht gekündigt Seite 5 von 8
Gutachten A. Die Kündigung ist ein Gestaltungsrecht, sohin ein einseitiges Rechtsgeschäft. Sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und wird mit ihrem Zugang wirksam. Damit die Kündigung fristgerecht erfolgt, muss sie V noch am 15.4. zugehen. I. Der Zugang setzt zunächst die Abgabe voraus. Es ist vorab zu klären, ob die Kündigung überhaupt abgegeben wurde. Die Kündigung ist abgegeben, wenn M sie willentlich in den Verkehr, nämlich in Richtung des Erklärungsempfängers V entäußert hat. M muss alles getan haben, um unter normalen Umständen mit dem Zugang bei V und damit mit dem Wirksamwerden der Willenserklärung rechnen zu dürfen. M übergibt die schriftliche Kündigung dem auf dem Grundstück des V arbeitenden Gärtner G, der ihm verspricht, er werde den Brief noch heute weiterleiten. Damit hat M die Kündigung willentlich in Richtung des V entäußert; er hat alles getan, um unter normalen Umständen mit dem Zugang rechnen zu dürfen. II. Die Kündigung wurde durch M abgegeben. III. Entscheidend für die Frage, ob die Kündigung fristgerecht erfolgt ist, ist der Zugang bei V. Nur durch den Zugang wird die Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung auch wirksam. Der Zugang müsste noch am 15.4. erfolgen. M übergibt die schriftliche Kündigung nicht an den Erklärungsempfänger V, sondern an G. Darin ist eine gespeicherte Willenserklärung unter Abwesenden, der Erklärungsempfänger ist V und nicht G, zu sehen. Zugang isd. 130 Abs. 1 S. 1 BGB liegt dann vor, wenn die Erklärung nach der Verkehrsauffassung derart in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangt ist, dass er sich nach den gewöhnlichen Umständen Kenntnis ob des Inhaltes verschaffen kann, und mit dieser Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Umständen auch zu rechnen ist. Weil M die Kündigung nicht V, sondern G aushändigt, hängt der Zugang dezisiv davon ab, wie die Stellung des G zu Seite 6 von 8
beurteilen ist. Aufgrund des tatsächlichen, nach außen erkennbaren Auftretens des G muss dieser entweder als Erklärungsbote des M oder als Empfangsbote des V eingestuft werden, nicht aber als Stellvertreter des V. Der Empfangsbote ist eine Art personifizierte Empfangseinrichtung des Adressaten, dh. funktional ähnlich einem Briefkasten. Er ist daher Teil des Machtbereiches des V, sodass der Zugang dann nur noch davon abhängt, wann nach gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist. Im Falle des Empfangsboten ist das der Zeitpunkt, in dem die Weiterreichung der Willenserklärung nach gewöhnlichen Umständen zu erwarten ist. Nach der Rechtsprechung hängt dies von dem Ort der Übernahme der Willenserklärung durch den Empfangsboten ab, weil daraus Rückschlüsse auf die Dauer der Übermittlung gezogen werden. Da G bei Übergabe auf dem Anwesen des V arbeitet, ist vorliegend von einer äußerst kurzen Übermittlungsdauer auszugehen, sodass noch an demselben Tag mit der Weiterleitung der Erklärung und folglich mit der Kenntnisnahme durch V zu rechnen ist. Das hätte zur Konsequenz, dass die Kündigung fristgerecht, nämlich noch am 15.4. zugegangen wäre. Dass V tatsächlich erst viel später, nämlich am 25.4. von der Kündigung erfährt, spielte keine Rolle. Dagegen gehört der Erklärungsbote nicht zum Machtbereich des Adressaten V. Ein Erklärungsbote ist lediglich mit der Übermittlung einer Erklärung betraut. Er ist somit nicht Empfangseinrichtung, sondern Transportmittel. Dabei trägt der Erklärende das Risiko der unterlassenen oder verspäteten Weiterleitung. Ein Erklärungsbote agiert in zeitlicher Hinsicht noch vor dem Machtbereich. Wenn G bloßer Erklärungsbote wäre, befände sich die Kündigung mit Übergabe an G somit noch nicht einmal in dem Machbereich des V. Die Kündigung wird V am 25.4. übergeben, woraufhin V den Brief öffnet und liest. Vorliegend fielen der Zeitpunkt der Erreichung des Machtbereiches des V und der Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme durch V zusammen. Die Kündigungsfrist wäre abgelaufen und M hätte nicht fristgerecht gekündigt. Seite 7 von 8
1. Ob G als Empfangsbote zu qualifizieren ist, hängt davon ab, ob G von V zur Entgegennahme und Weiterleitung von Willenserklärungen ermächtigt wurde oder eine Ermächtigung zur Entgegennahme und Weiterleitung von Willenserklärungen nach der Verkehrsauffassung anzunehmen ist, was auch voraussetzt, dass G als geeignet und bereit anzusehen ist. Eine tatsächliche Ermächtigung durch V liegt nicht vor. Dass G nach der Verkehrsauffassung nicht geeignet oder bereit wäre, ist nicht ersichtlich. Dennoch ist fraglich, ob er als ermächtigt angesehen werden kann. Als Indiz dient das Verhältnis des etwaigen Empfangsboten (G) zu dem eigentlichen Erklärungsempfänger (V). Nach der Verkehrsauffassung ist ein Gärtner zwar mit der Gartenpflege betraut, nicht aber mit den sonstigen Abläufen eines Haushaltes. Eine entsprechende Nahbeziehung zu V liegt nicht vor. Dem Gärtner G fehlt es daher nach der Verkehrsauffassung an einer Empfangsermächtigung. 2. G ist mangels Ermächtigung kein Empfangsbote des V. 3. G ist daher als Erklärungsbote des M einzustufen. Die verspätete Weiterleitung der Kündigung durch G geht zulasten des M. IV. Die Kündigung erreicht den Machtbereich des V erst mit der Übergabe am 25.4. Dies ist auch der Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme. Der Zugang erfolgt daher erst am 25.4. B. Die Kündigung geht nicht am 15.4. zu und ist daher nicht fristgerecht erfolgt. Seite 8 von 8