Inklusion: vom Menschenrecht zur Praxis. Vortrag zur Fachtagung Was heißt hier eigentlich Inklusion? Oldenburg, 14. April 2010
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- Volker Fürst
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1 Prof. Dr. Clemens Hillenbrand Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik Universität Oldenburg Inklusion: vom Menschenrecht zur Praxis Vortrag zur Fachtagung Was heißt hier eigentlich Inklusion? Oldenburg, 14. April 2010 Von der Praxis... Integrative Kindertagesstätten in Osnabrück: Fast flächendeckend, Viele positive Erfahrungen Wohnen/Freizeit in Bielefeld: Kesselschmiede, Wohngruppen in der Stadt Arbeit in Hamburg: Arbeitsassistenz, Zahlreiche Beschäftigungen in 2 Hotels 2 1
2 zum Menschenrecht eine kleine Zeitreise Auf dem Weg zu Autonomie und Teilhabe 3. Inklusion als Menschrecht die UN-Konvention 4. Inklusion konkret 5. Wider-Sprüche und Probleme Zur Praxis eine kleine Zeitreise 1780: Kinder mit Behinderung erhalten keine Bildung -> Bettel 1850: erste Einrichtungen in Frankreich und Deutschland vermitteln wenigen gehörlosen, blinden, geistig behinderten, verwahrlosten Kindern in Internaten (Finanzen!) elementare Bildung. Tätigkeiten in speziellen Berufsbildern (Besenbinder) 1900: für sozial benachteiligte, leistungsschwache Schüler wird in D die Hilfsschule ausgebaut 1960: Auf- und Ausbau der frühen Hilfen: Sonderkindergärten, Frühförderung 4 2
3 ... eine kleine Zeitreise 1973: Deutscher Bildungsrat fordert mehr Gemeinsamkeit, Integration, im Bildungssystem 1994: Salamanca-Erklärung der UNO: Inklusion 2001: ICF der WHO. SGB IX 2006: UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK) fordert die Beachtung der besonderen Bedürfnisse in allen gesellschaftlichen Bereichen 2008: BRK tritt in Kraft 2009: Deutschland ratifiziert 5 Auf dem Weg zu Autonomie und Teilhabe Gerichte USA (1954 Linda Brown): Ggü. früherer Ausschulung oder gefängnisähnlicher Einrichtung Prinzip des least restrictive environment Wolfensberger (USA), Thimm (OL): Normalisierungsprinzip = Leben so normal wie möglich! Theunissen: Empowerment Behindertenbewegung: Autonom leben, Krüppelbewegung, People First Bürgerrechte auch von Personen mit Körperlichen Beeinträchtigungen auf Handicapped übertragen 6 3
4 Normalisierung Ursprung: Bank Mikkelsen (Jurist, Verwaltungsbeamter) im Dänischen Fürsorgegesetz 1959: letting the mentally retarded obtain an existence as close to normal as possible. Normalisierung bedeutet, ein Leben so normal wie möglich! Erste Konsequenzen: Wichtige Lebensbereiche voneinander trennen Wohnen/ Schlafen Schulbesuch/Arbeiten Freizeit medizinische/ therapeutische Versorgung 7 Normalisierung Nirje (1977) fasst kurz zusammen: A normal rhythm of the day. A normal rhythm of the week. A normal rhythm of the year. Normal experiences of the life circle. Normal respect. Normal life in a heterosexual world. Normal economic standards. Normal environmental standards 8 4
5 Erste Schritte seit 1970er Jahren Normalisierung Abbau großer stationärer Einrichtungen zugunsten kleinerer halbstationärer Einrichtungen und offener Sozialhilfen für die ortsnahe Serviceangebote für Menschen mit Behinderung durch Regionalisierung der Hilfen Inklusion: radikaler Neuanfang oder Fortsetzung? 9 INKLUSION ALS MENSCHENRECHT 5
6 Inklusion Begriff Integration: eigentlich in das Ganze hineinfügen -> Menschen mit Behinderung in bestehendes Schulsystem einfügen Inklusion: dazu-gehörend -> System so gestalten, dass keiner ausgeschlossen ist, jeder sich zugehörig fühlt ( sense of belonging ) Diskussion: völlig neue Zielrichtung ggü. Integration? Systemwechsel unverzichtbar? 11 Allgemeiner Grundsatz (Art. 3): Inklusion UN-Konvention Achtung Nichtdiskriminierung vollständige und wirksame Teilhabe in der Gesellschaft Grundsatz: nicht den Menschen mit Behinderung Raum in bestehenden Strukturen einräumen oder ihn integrieren, Sondern: Strukturen von vornherein so verändern, dass sie ihnen gemäß sind umstritten: mit Individualanspruch? (Gutachten, erste Gerichtsurteile) 12 6
7 Inklusion UN-Konvention Hat (typisch Menschenrecht!) rechtliche + ethische + politische Dimension zugleich Veränderung allgemeiner sozialer Einrichtungen Behindertenhilfe/ Sonderpädagogik als Ressource und Service mit wirksamen Hilfen! 13 Inklusion UN-Konvention 14 7
8 Inklusion UN-Konvention 15 INKLUSION KONKRET 8
9 Inklusion in Deutschland Im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion steht die Schule aufgrund internationaler Kritik Munoz 2007: D macht keine ausreichenden Fortschritte zu einem inklusiven Bildungssystem 5-stufiges Bildungssystem verhindert sense of belonging, Zugehörigkeit Strukturmerkmale eines inklusiven (Bildungs-) Systems = 4 A-Schema: 1. Adaptability: Flexible Anpassung des Systems an die Bedürfnisse 2. Availability: Zugänglichkeit des Bildungssystems 3. Accessibility: Verfügbarkeit der nötigen Ressourcen 4. Acceptablity: Akzeptanz der Beteiligten 17 Inklusion: effektive Unterstützung accessibility Persons with disabilities receive the support required, within the general education system, to facilitäte their effective education (UN, Art.24, 4) Die notwendigen Maßnahmen folgen den Personen im allgemeinen Bildungssystem Evidenzbasierte (wissenschaftlich überprüfte, wirksame) Maßnahmen gefordert, aber erst in 18 Ansätzen implementiert 9
10 Aber: Inklusion lebenslang! Die Fokussierung der Diskussion auf die Schule widerspricht dem umfassenden Menschenrechtsansatz. Inklusion als Menschenrecht gilt lebenslang (vor der Geburt bis zum natürlichen Tod) Die Weiterentwicklung der Möglichkeiten zur Autonomie und Teilhabe von Menschen mit Behinderung sind gemäß des 4 A-Schemas weiter zu entwickeln 19 Inklusion - Arbeit Artikel 27: Arbeit und Beschäftigung Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.... D) Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen => Ausbau der Integrationsfachdienste/ unterstützte Beschäftigung 20 10
11 Ausbau 2005 ca. 270 IFD mit ca Mitarbeiter-Stellen, die ca Fälle bearbeiten. Aufgaben Integrationsfachdienste - Aufgaben Profil erstellen Akquise geeigneter Arbeitsplätze Begleitung am Arbeitsplatz Hilfebedarf am Arbeitsplatz klären Information des Arbeitgebers Mitarbeiter im Betrieb informieren und beraten Nachbetreuung, Krisenintervention, psychosoziale Begleitung 21 Integrationsfachdienste - Bilanz Großer und unerwarteter Erfolg Zur Sicherung der Beschäftigung: 75 % stabilisiert Vermittlung in 2005 ca Fälle, (20 %) erfolgreiche Vermittlungen Nachhaltigkeit (Doose 2005, LWL 2005) der 1990 bis 1998 vermittelten Beschäftigten: ca. 2 Drittel sind weiterhin in Beschäftigung! 22 11
12 Integrationsfachdienste - Bilanz Gründe für Beendigung Betriebsbezogene Gründe (Schließung, Wegfall von Arbeitsplätzen) Individuelle Gründe (Gesundheit, langfristige Arbeitsunfähigkeit) = entspricht genau den allgemeinen Kündigungen Keine Mitnahme-Effekte (z.b. von Lohnkostenzuschüssen)! Wichtiger sind Persönlichkeit, längere Probezeit 23 Integrationsfachdienste - Probleme Finanzierung Stabilisierung der IFDs Komplizierte Zuständigkeiten Individueller Rechtsanspruch! => Inklusion fordert dringend die Lösung dieser Probleme! 24 12
13 Inklusion - Konsequenz Menschenrecht auf Teilhabe und Autonomie = Inklusion in der Gesellschaft Bedeutet zunächst Recht auf Besuch der allgemeinen sozialen Einrichtung mit den individuell notwendigen Ressourcen! Dabei auch Wahlmöglichkeit für andere Formen möglich (parallele Angebote) Existenz des Systems besonderer sonderpädagogischer Institutionen (Sonderschulen) steht in Frage bei zunehmender Dringlichkeit wirksamer Unterstützungsangebote 25 Wider-Sprüche und problematische Befunde 13
14 Befunde aus Schulversuchen zur Integration Im deutschsprachigen Raum durchgehend positive Befunde aus Integrations-Versuchen ( Jahre) mit guter Ausstattung Wirkungen für Schüler mit Behinderungen Kognitive Entwicklung: Chancen für Schullaufbahn trotz niedrigem IQ verbessert Schulleistungen: höherer Leistungsstand sozialer Status: nicht unproblematisch, unterschiedlich Die anderen Schüler haben keinerlei Nachteile in vielen Studien profitieren sogar gerade die Leistungsstärksten 27 Wider-Sprüche Huber (2006, 2008, 2009): Untersuchungen zum Alltag gemeinsamen Unterrichts Risiko sozialer Ablehnung 3 bis 5,5 mal höher Ausgrenzung erfolgt über Schülermerkmale (insbes.schulleistung!) Normabweichungen -> soziale Ausgrenzung je heterogener die Lerngruppe, desto stärker werden Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgegrenzt; unterrichtliche Faktoren moderieren diese Prozesse = schlechtere Rahmenbedingungen schlagen voll durch! 28 14
15 ... und in der Kita? Breiter Konsens: Gruppen mit integrativer Erziehung bieten günstige Voraussetzungen für einen normalen Umgang zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern: Mehr Anregungen, dadurch bessere Entwicklungschancen (kognitiv, sprachlich, sozial), mehr Kontakte und in der Kita? Untersuchung in Österreich (Zettl et al. 2001) Höhere Qualität integrativer Kitas mit regelmäßiger sonderpäd.förderung durch qualifizierte Fachkraft Geringere Qualität bei zeitweisem Einsatz mobiler sonderpädagogischer Fachkraft Aber: Mehr als die Hälfte der Zeit spielen die Kinder mit erhöhtem Förderbedarf "parallel/gemeinsam", d. h. dass nicht unbedingt Interaktion oder Zusammenarbeit zwischen den Kindern stattfindet.... Die restliche Zeit verbringen die Kinder mit erhöhtem Förderbedarf "allein", seltener noch in Kooperation mit anderen Kindern. (8) 30 15
16 ... und in der Freizeit? Untersuchung Sarimski & Schaumburg (2010) Kinder mit Behinderungen (S, GB) in integrativen Kitas haben zwar mehr Freizeitkontakte als Betroffene in Sondereinrichtungen Die Häufigkeiten außerfamilialer Freizeitkontakte von Kindern mit Geistiger Behinderung sind deutlich niedriger Kindern mit Sprachbehinderung niedriger als von Kindern ohne Behinderung! Die Ergebnisse unserer Elternbefragungen bestätigen die Eindrücke aus anderen Studien, dass Kinder mit einer Sprachbehinderung oder einer geistigen Behinderung signifikant seltener Freunde zu finden scheinen und in der Freizeit weniger Kontakte zu anderen Kindern haben. (128) und in der Freizeit? Konsequenz Sarimski & Schaumburg (2010) Kinder mit Behinderungen bleiben allein auf die Unterstützung der Erzieherinnen im Kindergarten angewiesen, die ihnen Anleitung geben können, wie sie soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen erfolgreich aufnehmen und gestalten können. (128) 32 16
17 ... ZUR PRAXIS 33 Ansätze Dialog der Initiativen: Aufbau eines Netzwerks Aktionsbündnisse vor Ort: Konkrete Schritte zur Inklusion Konkrete Projekte: Beispiel Stockholm 17
18 Konsequenzen Inklusion ist gesetzlicher Auftrag für die Veränderung der sozialen Realität gelingt nicht von selbst benötigt also fundierte und wirksame Maßnahmen auf allen Ebenen, und fordert Anstrengungen aller Beteiligten! Fachkräfte Eltern Betroffene Wissenschaft Dringlich ist eine wissenschaftlich fundierte Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte und Intensive Forschung im vorschulischen Bereich! 35 18
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