DAS SCHÄDEL-HIRN-TRAUMA
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- Marta Solberg
- vor 7 Jahren
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1 DAS SCHÄDEL-HIRN-TRAUMA Bei der Beurteilung und Behandlung eines schweren Schädel-Hirn-Traumas muß man davon ausgehen, daß ein- und dieselbe klinische Symptomatik durch morphologisch völlig differente Schädigungen am Gehirn hervorgerufen werden können. Als Sitz lebenswichtiger Zentren, vegetativer und endokriner Schaltstellen, Durchgangsstation vom und zum Großhirn sowie mit der Formatio reticularis auch Teil des wichtigsten Aktivierungssystems zur Steuerung des Bewußtseins nimmt der Hirnstamm eine zentrale Stellung ein. Eine d i r e k t e Schädigung der Hirnsubstanz in diesem Bereich führt daher - je nach den betroffenen Arealen - zum Ausfall lebenswichtiger vegetativer Zentren oder Reflexen, zu Störungen des Bewußtseins und - oder der Motorik. Befinden sich diese Läsionen im Hirnstamm, so spricht man von einer p r i m ä r e n Hirnstammschädigung. Dieser Verlauf ist schicksalhaft, die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt und können nur darin bestehen, die ausgefallenen Funktionen artifiziell aufrecht zu erhalten, um eine eventuelle Erholung dieser kontusionierten Areale abzuwarten. Anders verhält es sich bei den s e k u n d ä r e n Hirnstammschädigungen. Durch die anatomische Lage bedingt, kann eine entstehende Raumforderung (Blutung, Ödem) zu einer sekundären Schädigung lebenswichtiger Zentren führen (tentorielle Herniation, foraminelle Herniation). Die Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie beim Schädel-Hirn-Trauma sind also darauf gerichtet, sekundäre Hirnstammschädigungen vor ihrem Entstehen rechtzeitig zu erkennen und zu therapieren und die primäre Hirnstammschädigung durch artifiziellen Ersatz der ausgefallenen Zentren (Beatmung, Kreislaufstützung) zu kompensieren. Wie oben erwähnt ist das k l i n i s c h - n e u r o l o g i s c h e Zustandsbild sowohl der primären wie der sekundären Hirnstammschädigung gleich, im notärztlichen Einsatz unmittelbar nach dem Trauma muß es das Ziel sein, die Folgen der primären Schädigung zu verhindern und die Entwicklung einer sekundären Hirnstammschädigung durch adäquate Therapie und raschen Transport zu vermeiden. Präklinische Diagnostik Zur klinischen Beurteilung eines Schädel-Hirn-Traumas gibt es eine Reihe von Scores und Einteilungen, die sich großteils auf folgende Parameter reduzieren lassen: Bewußtseinslage (Reaktion auf Anrede, auf Befehle) Pupillenreaktion und -form, sowie Bulbusmotilität Ausfall von Hirnstammfunktionen (Schutzreflexe wie Würgreflex, Husten- und Schluckreflex, Blinkreflex, Cornealreflex, Oculocephalreflex, Oculovestibulärreflex, Ciliospinalreflex, Streck- und Beugekrämpfe, pathologischer Muskeltonus, Atem-, Temperatur- und Kreislaufregulationsstörungen). 1
2 Das am häufigsten gebrauchte Diagnoseschema ist die Glasgow-Coma-Scale (Jennett / Teasdale): Augenöffnen: spontan 4 auf Anrede 3 auf Schmerz 2 keine 1 Verbale Antwort: normal 5 verwirrt 4 sinnlose Worte 3 unverständliche Töne 2 keine 1 Motorische Antwort: bewegt auf Kommando 6 gezielte Schmerzabwehr 5 Massenbewegungen 4 Strecken auf Schmerzen 3 spontane Streckkrämpfe 2 keine 1 Bei Addition der Punkte ergibt ein Wert unter 8 eine schwere substantielle Hirnschädigung. Diese Bewertungsskala hat den Vorteil großer Praktikabilität, hat sich deshalb allgemein durchgesetzt, sie ist gut geeignet zur Verlaufskontrolle eines Patienten. Da sie auf die Morphologie der Hirnverletzung keine Rücksicht nimmt, sollte sie zum V e r g l e i c h bzw. der Beurteilung verschiedener Patienten nicht herangezogen werden. Auch ist diese Komagraduierung für Bewußtseinsstörungen jeder Genese anzuwenden und somit nicht spezifisch für das Schädel-Hirn-Trauma. Bei Verwendung der Glasgow-Coma-Scale empfiehlt es sich, noch zusätzlich die Pupillensymptomatik aufzuzeichnen: Spezifischer für das Schädel-Hirn-Trauma, wenn auch nicht so einfach in der Handhabung, ist die Einteilung in Mittelhirn- oder Bulbärhirnsyndrom nach Gerstenbrand. Pathologisch-anatomische und klinische Untersuchungen ergaben, daß neurologische Ausfälle morphologischen Schädigungen in bestimmten Ebenen des Mittelhirnes b z w. Bulbärhirnes zuzuordnen waren, diese Klassifizierung ergibt somit eine bessere Aussage über den Grad der Schädigung des Hirnstammes sowie über die Prognose. Eine weitere, relativ ungenaue, aber allgemein gebräuchliche Einteilung bei Schädel-Hirn-Traumen unterscheidet: Contusio capits (Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen) Commotio cerebri (Bewußtlosigkeit bis zu 30 Minuten, mit retrograder, in schweren Fällen auch anterograder-amnesie, o h n e nachfolgende neurologische Defizite) Contusio oder Conquassatio cerebri (Bewußtlosigkeit, zusätzlich nachfolgend neurologische Defizite). Diese, für den klinischen Alltag sehr gebräuchliche Differenzierung läßt sich im Zeitalter der Computertomographie und Magnetresonanz nicht mehr aufrecht erhalten, da nicht so selten selbst bei Schädel-Hirn-Traumen ohne Bewußtlosigkeit (also einer Contusio capitis) Kontusionsherde (sogenannte stumme Kontusionen) ohne neurologische Auswirkungen gefunden werden. Prinzipiell unterscheidet man geschlossene (oder gedeckte) offenen Schädel-Hirn-Traumen 2
3 Als Sonderform der offenen Schädel-Hirn-Verletzungen sind die Basisfrakturen zu nennen, wobei eine Kommunikation des Schädelinnenraumes mit den Nebenhöhlen zustande kommt. Es gibt folgende Raumforderung, die zu einer Steigerung des intracraniellen Druckes führen: Impressionsfrakturen intracranielle Blutungen Hirnschwellung Liquorzirkulationsstörungen Bei jeder Raumforderung (= Volumenzunahme) im Schädelinneren ist die Zunahme des intracraniellen Druckes durch Auspressen der sogenannten "Reserveräume" (extra- und intracerebrale Liquorräume) zunächst gering, nach.aufbrauchen dieser Reserveräume können aber schon geringe Volumenzunahmen zu einer exzessiven Druckerhöhung - und damit zur Hirnstammeinklemmung - führen. Impressionsfrakturen sind häufig, aber nicht immer offene Frakturen. Eine neurologische Symptomatik kann durch lokale Druckschädigung direkt benachbarten Hirngewebes entstehen. Bei entsprechend großen Arealen kann das begleitende Hirnödem groß genug sein, um zu einer sekundären Hirnstammschädigung zu führen. Naturgemäß ist bei offenen Impressionsfrakturen die Infektionsgefahr groß. Blutungen E p i d u r a l e s H ä m a t o m Entsteht meistens durch Blutungen aus den Meningealarterien, seltener durch venöse Blutungen (Sinusläsionen, Läsionen der Pacchioni'schen Granulationen). Das freie, sogenannte lucide Intervall kann, muß aber nicht vorhanden sein. S u b d u r a l e s H ä m a t o m Entsteht durch Blutungen aus Kontusionsherden an der Hirnoberfläche, d. h. es liegt immer ein mehr oder weniger großer Hirngewebsschaden vor, sodaß auch bei rascher Therapie die Prognose schlechter als beim epiduralen Hämatom ist. Häufig ist die entstehende Raumforderung nicht so sehr durch die Blutung, sondern durch das durch die substantielle Hirnschädigung ausgelöste Begleitödem bedingt. I n t r a c e r e b r a l e s H ä m a t o m Diese Blutungen haben die schlechteste Prognose, meist liegen ausgedehnte Blutungsherde vor, die zusammen mit dem perifokalen Ödem beträchtliche Raumforderungen hervorrufen können. Hirnschwellung: 2 Hauptfaktoren sind für die Hirnschwellung verantwortlich das vasogene Hirnödem (Störung der Blut-Hirn-Schranke und nachfolgend Austritt proteinreicher Flüssigkeit in den extravasalen bzw. intracellulären Raum) die cerebrale Blutvolumenzunahme. 3
4 Durch Änderung des präkapillaren Widerstandes werden normalerweise Änderungen des Systemdruckes abgefangen. Durch lokalisierte oder generalisierte Störungen dieser Autoregulation der Hirngefäße kann es einerseits durch arteriellen Druckanstieg zu einer Zunahme des Blutvolumens im Gehirn kommen, andererseits können aber hypotone Kreislaufsituationen nicht abgefangen werden, wodurch sich die ausgeprägte Labilität eines traumatisierten Gehirnes erklärt. Ein Absinken des ph in den sauren Bereich (Hyperkapnie oder vermehrter Anfall saurer Stoffwechselprodukte durch Hypoxie) bewirkt ebenfalls eine vermehrte Kapillardurchblutung. Umgekehrt wird durch Hypokapnie die Durchblutung durch Konstriktion im präkapillären Bereich vermindert, ein Umstand, den man sich bei der Beatmung schädelhirntraumatisierter Patienten bei Bedarf zunutze machen kann. Man strebt im Notfall aber eine Normoventilation" mit PCO 2 - Werten um 35 mmhg und PO 2 - Werten um 100 mmhg an. Nur in Sonderfällen sollte schon am Notfallort hyperventiliert werden (drohende Hirnstammeinklemmung). Die Hyperventilation ist In letzter Zeit in Verruf geraten. Es liegt zwar auf der Hand, daß durch Drosselung des arteriellen Zustromes das Volumen im Schädelinneren und damit der intracranielle Druck vermindert werden kann, dies aber zwangsweise zu einer Verminderung des Sauerstoffangebotes führt. Extremisten hatten ein Absenken des PCO 2 auf 20 bis 25 mmhg empfohlen. Seit Einführung des Bulbus-Jugulariskatheters (Messung der jugular-venösen Sauerstoffsättigung) kann festgestellt werden, daß solche Extremwerte die Gesamtsituation eines traumatisierten Gehirnes verschlechtern können. Eine rechnerische Größe, die eine gute Orientierungsmöglichkeit über die Durchblutungsverhältnisse am Gehirn darstellt, ist der sogenannte die Differenz zwischen mittlerem arteriellem Blutdruck und Hirndruck (= Perfusionsdruck CPP) CPP = MAP (mittl.arterieller Druck) minus ICP (intracranieller Druck, Hirndruck). Unter idealen Verhältnissen sollte beim ruhigen (sedierten) Patienten, der Hirndruck Werte von 20 bis 30 mmhg nicht übersteigen, der Perfusionsdruck sollte über 70 mmhg liegen. Bei arterieller Hypotonie (MAP ) und dadurch vermindertem Perfusionsdruck ist eine Verbesserung der Situation nur durch Anhebung des systemischen Blutdruckes zu erreichen. Ist der Perfusionsdruck durch Anstieg des intracraniellen Druckes vermindert, sollte eine Perfusionsverbesserung hauptsächlich durch Senkung des Hirndruckes angestrebt werden. Eine Anhebung des systemischen Blutdruckes in übernormale Bereiche würde zwar rein rechnerisch den Wert verbessern, durch die gestörte Autoregulation aber durch eine weitere Blutvolumenzunahme möglicherweise zu einem zusätzlichen Hirndruckanstieg führen. In diesen Fällen kann die Hyperventilation oder Gabe von Mannit hilfreich sein. Liquorzirkulationsstörungen: Abflußbehinderungen im Liquorsystem (Subarachnoidalblutungen, Ventrikelblutungen) können zu Störungen der Liquorzirkulation führen, die das Einlegen einer Ventrikeldrainage notwendig machen. D i a g n o s t i s c h e Z e i c h e n einer Hirndruckerhöhung (die letztlich zur Einklemmung führen können) sind Kopfschmerzen, Erbrechen, Bewußtseinstrübung bis hin zur Bewußtlosigkeit, bei einseitiger Druckerhöhung durch Schädigung des Oculomotorius gleichseitige Mydriasis und gegenseitige Halbseitensymptomatik, Streckkrämpfe 4
5 Im klinischen Routinebetrieb sollte jeder schädelhirntraumatisierte Patient, der neurologisch nicht beurteilt werden kann (und das sind alle intubierten und sedierten Patienten, denn die Bewußtseinslage ist ja ein wesentliches Kriterium der Beurteilung) zur Überwachung des intracraniellen Druckes eine Hirndrucksonde erhalten. Therapie der Hirndruckerhöhung: Raumforderungen durch Impressionsfrakturen und intracranielle Blutungen sind selbstverständlich eine Domäne der operativen Therapie. Die Therapie der Hirnschwellung beruht im wesentlichen auf 4 Grundpfeilern: Herstellung eines ausreichenden arteriellen Blutdruckes (Schocktherapie!) Sedierung (Narkose!) des Patienten kontrollierten Normoventilation (PO mmhg, PCO 2 35 mmhg) Lagerung bei Schock flach, nur bei isolierten SHT mit Hirndruckzeichen Oberkörper 30 hoch, Kopf gerade. Medikamentös-prophylaktisch ist vor allem die Herstellung der Bluthomöostase essentiell (Volumszufuhr), zur Hirndrucksenkung therapeutisch werden Barbiturate sowie andere Sedativa routinemäßig verwendet, Osmodiuretika sollten nur im Falle eines akuten Hirndruckanstieges gegeben werden. Zuckerlösungen (auch Zuckeraustauschsubstanzen) sind obsolet (erhöhen intrazelluläre Azidose). Corticoide waren vor einiger Zeit Standardtherapie beim Schädel-Hirn-Trauma, ihre Anwendung wird heute abgelehnt. Ähnliches gilt für Aldosteronantagonisten und Calciumantagonisten. Auch die operative Dekompression - bei Hirndruckanstiegen und Versagen der medikamentösen Therapie - ist nicht state of the art. (bitemporale Entlastungstrepanation). ZUSAMMENFASSUNG Die primäre Hirnstammschädigung ist schicksalshaft, Ziel der Erstversorgung ist ein Ersatz der ausgefallenen vitalen Funktonen und die Vermeidung einer sekundären Hirnstammschädigung. Vegetative Entgleisungen im Rahmen einer Hirnstammschädigung können schockbedingte Kreislaufund respiratorische Störungen verstärken. Die Autoregulation der Hirndurchblutung ist gestört, sodaß die cerebrale Durchblutung den Änderungen des Systemdruckes folgt, Blutdruckabfälle, die noch im physioloischen Bereich liegen und normalerweise kompensiert werden, können bei cerebraler Beteiligung irreversible hypoxische Schädigungen setzen. Ein traumatisiertes Gehirn ist wesentlich empfindlicher gegenüber Sauerstoffmangel und ph- Verschiebungen. 5
6 Die wesentlichen Handlungen beim SHT sind daher: Rasche, orientierende Diagnostik Bewußtseinslage (spontan und auf Anrede) Motorik (spontan und auf Reize) Augen (Bulbusstellung, Pupillenreaktion und -form) Halbseitenzeichen wobei auch jede Änderung der Symptomatik festgehalten und an den weiterbehandelnden Arzt übergeben werden muß. Adäquater Volumenersatz freie Atemwege und ausreichendes Angebot ("immer wenn an eine Intubation gedacht wird, ist sie eigentlich schon indiziert"). Bewußtlose Patienten müssen immer, auch wenn sie scheinbar ausreichend atmen, intubiert werden somnolente Patienten immer dann, wenn ein Verdacht auf eine zentrale oder periphere Atemstörung oder die Gefahr einer Aspiration besteht Die zur Intubation notwendige Sedierung- bzw. Narkotisierung muß weitergeführt werden, Krämpfe oder Schmerzen - etwa durch Bewegen einer frakturierten Extremität - können zu einer wesentlichen Steigerung des intracraniellen Druckes führen. Erst danach sollte der rasche Transport an eine geeignete Klinik erfolgen. Alle anderen Maßnahmen (etwa die Gabe von Osmo- oder Saludiuretika) sollten in dieser Phase der Behandlung bis auf einige wenige Ausnahmefälle unterbleiben. 6
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