Skript zur Vorlesung Einführung in Sobolevräume. Prof. Dr. R. Herzog. gehalten im SS2010 Technische Universität Chemnitz
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1 Skript zur Vorlesung Einführung in Sobolevräume Prof. Dr. R. Herzog gehalten im SS2010 Technische Universität Chemnitz
2 Dieses Skript ist als Begleitmaterial für andere Vorlesungen oder zum Selbststudium gedacht. Fehler und Kommentare bitte an: Stand: 5. Mai 2011
3 Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften 5 1 Einführung 5 2 Lebesgue-Räume 6 3 Sobolev-Räume Schwache Ableitungen Definition der Sobolev-Räume 11 4 Reguläre Gebiete Der Spuroperator Der Sobolevsche Einbettungssatz Kompakte Einbettungen 17 5 Weitere Eigenschaften von Sobolev-Räumen 17 Literaturverzeichnis 21 Abbildungsverzeichnis 23 Index 25 3
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5 KAPITEL 1 Grundlegende Eigenschaften 1 Einführung Sobolev-Räume spielen eine herausragende Rolle bei der modernen Behandlung partieller Differentialgleichungen (PDEs). Dies betrifft sowohl die Analysis als auch die numerische Lösung sowie darauf aufbauende Disziplinen wie zum Beispiel die optimale Steuerung partieller Differentialgleichungen. Der Begriff der klassischen Lösung stellt sich dabei als zu eng heraus. Sobolev-Räume sind geeignete Funktionenräume, um schwächere Lösungsbegriffe zu definieren. Wir setzen voraus, dass der Leser vertraut ist mit Grundlagen der Funktionalanalysis Vektoranalysis Lebesgue-Integration Voraussetzung 1.1 (a) Im gesamten Skript ist R N, N 1, ein Gebiet, also eine offene zusammenhängende Menge. 1 (b) Außerdem setzen wir als beschränkt voraus. (c) bezeichnet den Abschluss von, und Γ = = \ bezeichnet den Rand. Wir sprechen häufig von messbaren Mengen und messbaren Funktionen und meinen dies immer in Bezug auf das Lebesgue-Maß. Als Konsequenz aus der Beschränktheit besitzt endliches Maß 2 <. Notation Wir verwenden folgende Notationen: N 0 = N {0} Für Vektoren v R n ist v die Euklidische Norm. 1 Die Offenheit von hat den Vorteil, dass wir von differenzierbaren Funktionen auf sprechen können, ohne einseitige Ableitungen benutzen zu müssen. 2 d.h. anschaulich endliche Länge in 1D, endliche Fläche in 2D und endliches Volumen in 3D 5
6 6 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften 2 Lebesgue-Räume Definition 2.1 (Lebesgue-Raum L p () für 1 p < ) Unter L p (), 1 p <, versteht man den Lebesgue-Raum aller messbaren Funktionen y : R mit der Eigenschaft y(x) p dx <. L p () wird stets versehen mit der Norm 3 ( 1/p y L p () := y(x) dx) p. Genauer ist L p () der Raum aller Äquivalenzklassen von Funktionen (wobei zwei Funktionen, die fast überall im Sinne des Lebesgue-Maßes gleich sind, in derselben Äquivalenzklasse liegen), sodass ein beliebiger Repräsentant der Äquivalenzklasse zur p-ten Potenz integrierbar ist. (Dann sind alle Repräsentanten zur p-ten Potenz integrierbar, und die Integrale sind gleich, also ist die Norm wohldefiniert.) Beachte: Es gilt y L p () y L p () y p L 1 (). Definition 2.2 (Lebesgue-Raum L ()) Unter L () versteht man den Raum aller messbaren und im Wesentlichen beschränkten Funktionen y : R, mit der Norm y L () := ess sup y(x) := inf { c 0 : {x : y(x) > c} = 0 }. x Wieder besteht L () genau genommen aus Äquivalenzklassen fast überall gleicher Funktionen. Satz 2.3 (Eigenschaften der L p ()-Räume) (a) L p () ist ein Banachraum für alle 1 p. (b) L p () ist separabel 4 für alle 1 p <. Dem Raum L 2 () kommt eine besondere Bedeutung zu. In ihm ist durch (u, v) L 2 () := u(x) v(x) dx ein Skalarprodukt definiert, welches die oben definierte Norm erzeugt. Daher ist L 2 () sogar ein Hilbertraum. 3 Die Normeigenschaften werden hier nicht nachgewiesen. Die Dreiecksungleichung ist die Minkowskische Ungleichung, die auch sichert, dass L p () überhaupt ein Vektorraum ist. 4 Ein normierter linearer Raum (nomierter Vektorraum) V heißt separabel, wenn es eine abzählbare Teilmenge von V gibt, die in V dicht liegt.
7 2. Lebesgue-Räume 7 Satz 2.4 (Höldersche Ungleichung) Es sei f L p () und g L q (), wobei p und q konjugierte Exponenten 5 sind: 1 p, q und 1/p + 1/q = 1. Dann ist f g L 1 (), und es gilt ( ) 1/p ( ) 1/q f g dx f p dx g q dx (2.1) oder kurz f g L 1 () f L p () g L q (). Die Höldersche Ungleichung kann leicht verallgemeinert werden auf mehr als zwei Faktoren oder um zu beweisen, dass f g L r () f L p () g L q () 1 und natürlich f und g den entsprechenden Räumen ange- gilt, falls = 1 p q r hören. Folgerung 2.5 (Stetige Einbettung von L p () L q ()) Es sei 1 q p und u L p (). Dann gilt: u gehört auch zu L q (), und es ist u L q () p q p q u L p (). (2.2) Für p = bedeute dabei (p q)/(p q) = 1/q (für q < ) bzw. (p q)/(p q) = 0 (für q = ). Beachte: Folgerung 2.5 bedeutet: L () L 2 () L 1 (). Lebesgue-Räume mit dem höheren Index p sind also die besseren (im Sinne von Unterräumen) und besitzen zudem eine stärkere Norm. Man sagt: L p () ist stetig in L q () eingebettet: L p () L q () für p q. Wie man an (2.2) sieht, hängt diese Eigenschaft daran, dass endliches Maß hat. Definition 2.6 (Stetige Einbettung) Es seien U und V normierte lineare Räume mit U V. U heißt stetig eingebettet in V, wenn die Injektion i : U u u V stetig ist, d.h., wenn eine Konstante c existiert mit Man schreibt: U V. u V c u U für alle u U. Beispiel 2.7 (a) u L 1 () 1/2 u L 2 () für alle u L 2 () (b) u L 2 () 1/2 u L () für alle u L () (c) u L 1 () u L () für alle u L () Satz 2.8 (Dualräume und Reflexivität der L p -Räume) 5 Im Grenzfall p = und q = 1 ist 1/p als null zu verstehen.
8 8 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften (a) Der Dualraum von L p () für 1 p < kann (isometrisch isomorph) identifiziert werden mit L q (), wobei q der zu p konjugierte Exponent ist. Jedes F L p () kann also eindeutig mit einem f L q () identifiziert werden, sodass F (u) = f u dx für alle u L p () gilt sowie F L p () = f L q (). Umgekehrt definiert u f u dx für jedes f L q () jeweils ein stetiges lineares Funktional auf L p (). (b) Der Dualraum von L () ist größer als L 1 (). Er enthält zusätzlich sogenannte endlich additive Maße, siehe Yosida and Hewitt [1952], [Rudin, 1987, Theorem 6.19] oder [Folland, 1984, Proposition 7.16]. (c) Für 1 < p < sind die Räume L p () reflexiv, jedoch nicht für p {1, }. Man kann auch L p ()-Räume für 0 p < 1 definieren. In ihnen gilt jedoch mit der oben definierten Norm L p () nicht mehr die Dreiecksungleichung, und sie werden deshalb hier nicht weiter betrachtet. Bemerkung 2.9 Später werden wir auch den Rand Γ von mit einem (N 1)-dimensionalen Maß ausstatten. Dazu benötigen wir aber eine gewisse Regularität dieses Randes, siehe 4. Dann können wir analog zu oben auch die Räume L p (Γ) definieren, und alle Eigenschaften von L p () übertragen sich. 3 Sobolev-Räume Kurz gesagt bestehen Sobolev-Räume aus Funktionen, die mitsamt ihren (partiellen) Ableitungen in L p () liegen. Dabei erweitert man allerdings den Begriff der klassischen Ableitung und arbeitet mit sogenannten schwachen Ableitungen. 3.1 Schwache Ableitungen Für v : R heißt die Menge der Träger von v. supp v = Abschluss von {x : v(x) 0} Definition 3.1 (Funktionen C k (), C k 0 () und C k ()) (a) Die Menge aller k-mal stetig partiell differenzierbaren Funktionen v : R wird mit C k () bezeichnet, k N 0. C () wird definiert als k N0 C k (). (b) Mit C k 0 (), k N 0, bezeichnen wir die Menge aller k-mal stetig partiell differenzierbaren Funktionen v : R mit kompaktem Träger in. Analog zu oben ist C 0 () = k N0 C k 0 (). (c) Mit C k (), k N 0 bezeichnen wir die Menge aller k-mal stetig partiell differenzierbaren Funktionen v : R, sodass sich alle Ableitungen bis einschließlich zur Ordnung k stetig auf den Rand Γ fortsetzen lassen. 6 6 Die Funktion 1/x gehört für = (0, 1) zum Beispiel zu C (), aber nicht zu C(), da sie sich nicht stetig auf den Randpunkt x = 0 fortsetzen lässt.
9 3. Sobolev-Räume 9 Beachte: Für v C k 0 () ist der Träger aller partiellen Ableitungen bis einschließlich zur Ordnung k enthalten im Träger von v selbst. Anschaulich sind Funktionen in C 0 0() in einer ganzen Umgebung des Randes Γ gleich null, bei C k 0 () gilt das auch für alle partiellen Ableitungen bis zur Ordnung k. Definition 3.2 (Multiindex) (a) Ein Vektor nichtnegativer ganzer Zahlen α = (α 1,..., α N ) N N 0 heißt ein Multiindex. Im Symbol D α geben die Komponenten von α an, wie oft nach welcher Raumkoordinate differenziert wird. Da wir D α nur auf hinreichend glatte Funktionen anwenden, ist die Reihenfolge der Differentiation unerheblich (Satz von Schwarz). (b) Die Ordnung des Multiindex ist α := α α N. (c) Insbesondere setzt man D (0,...,0) y := y und D i := = D (0,...,0,1,0,...,0). x i Beispiel 3.3 Im Fall N = 3 und für y C 3 () ist: D (1,0,2) y = 3 y x 1 x 2 3 Lemma 3.4 (Partielle Integration) Sei ein beschränktes Gebiet mit stückweise glattem Rand. 7 Für y, v C 1 () gilt die Formel der partiellen Integration (auch Greensche Formel): v(x) D i y(x) dx = v(x) y(x) n i (x) ds y(x) D i v(x) dx. (3.1) Γ Das Integral über Γ ist als Weg- bzw. Oberflächen-Integral zu verstehen. 8 Dabei ist n i (x) die i-te Komponente des äußeren Normaleneinheitsvektors n(x) in x Γ. Dieser existiert nach Voraussetzung fast überall (im Sinne des Randmaßes). Gilt v = 0 auf Γ, so folgt natürlich v(x) D i y(x) dx = y(x) D i v(x) dx. Durch mehrmaliges Anwenden dieser Beziehung erhält man für y C k () und v C0 k () für einen Multiindex mit α k y(x) D α v(x) dx = ( 1) α v(x) D α y(x) dx. (3.2) Dies motiviert folgende Verallgemeinerung des Ableitungsbegriffes auf die sehr große Funktionenklasse L 1 loc (): 7 Hinreichend sind bereits Gebiete mit Lipschitz-Rand, mehr dazu in 4. 8 (3.1) verallgemeinert die eindimensionale Formel der partiellen Integration b a v(x) y (x) dx = v y b a b a y(x) v (x) dx.
10 10 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften Definition 3.5 (L 1 loc () und schwache Ableitung) (a) Die Menge L1 loc () bezeichnet die Funktionen v : R, die für jede kompakte Teilmenge K Lebesgue-integrierbar, also in L 1 (K) sind. 9 (b) Es sei y L 1 loc () und α ein Multiindex. Falls eine Funktion w L1 loc () existiert, sodass y(x) D α v(x) dx = ( 1) α v(x) w(x) dx für alle v C0 () gilt, so heißt w die schwache Ableitung oder die Ableitung im Distributionensinn der Ordnung α von y. Man schreibt w = D α y. Beachte: Für v C 0 () besitzen v und D α v kompakten Träger K in. L 1 loc () ist deshalb die natürliche Menge von Funktionen in dieser Definition, damit beide Integrale existieren. Bemerkung 3.6 (a) Die schwache Ableitung D α y bildet die Formel (3.2) der partiellen Integration nach. (b) Es gilt D (0,...,0) y = y für alle y L 1 loc (). Das ist gleichbedeutend mit: Für y L 1 loc () gilt y ϕ dx = 0 für alle ϕ C0 () y = 0 f.ü. in. (c) Falls D α y und D α+β y in L 1 loc () existieren, so kann man leicht zeigen, dass D α+β y = D β D α y ist. Jedoch impliziert die Existenz einer schwachen Ableitung i.a. nicht die Existenz schwacher Ableitungen niedrigerer Ordnung. (d) Man verwendet für schwache Ableitungen dieselben Symbole wie für gewöhnliche Ableitungen, z.b. u = (D (1,0,...,0) u,..., D (0,...,0,1) u) etc. Lemma 3.7 (Verallgemeinertes Fundamentallemma der Variationsrechnung) Sei u L 1 loc () und k N. Falls Dα u = 0 ist für alle Multiindizes α mit α = k, dann ist u (fast überall) gleich einem Polynom der Ordnung höchstens k 1. Aus diesem Lemma folgt u.a. auch die Eindeutigkeit schwacher Ableitungen. Beispiel 3.8 Die Funktion y(x) = x in = ( 1, 1) besitzt die schwache Ableitung erster Ordnung { y 1 für x ( 1, 0) (x) = w(x) = 1 für x (0, 1). y(x) besitzt jedoch keine schwache Ableitung 10 der Ordnung 2 in L 1 loc (). 9 Zum Beispiel gehört 1/x auf = (0, 1) zu L 1 loc (), jedoch nicht zu L1 (). 10 Man kann im Rahmen der Theorie von Distributionen auch y eine schwache Ableitung zuordnen. Diese ist aber keine Funktion mehr, sondern 2 δ 0 (Delta-Distribution). Wir betrachten hier aber nur schwache Ableitungen, die wieder Funktionen sind.
11 3. Sobolev-Räume 11 Wir sehen also, dass eine L 1 loc -Funktion (z.b. die Funktion y aus Beispiel 3.8) keine schwache Ableitungen in L 1 loc besitzen muss. Andersherum kann eine schwache Ableitung aber auch besseren Räumen angehören als nur L 1 loc (). Dies führt auf die Definition der Sobolev-Räume. 3.2 Definition der Sobolev-Räume Definition 3.9 (Sobolev-Raum W k,p ()) N 0. Wir definieren (a) Es sei 1 p und k W k,p () := {y L p () : D α y L p () für alle α k}. Dabei bezeichnet k den Differentiationsindex, und p wählt die Norm aus. (b) Für 1 p < wird W k,p () versehen mit der Norm ( ) 1/p y W k,p () := D α y(x) p dx α k ( 1/p. = D α y p L ()) p α k W k, () wird versehen mit der Norm 11 y W k, () := max α k Dα y L (). Diese Räume werden als Sobolev-Räume bezeichnet. Beachte: Dass die Menge W k,p () ein Vektorraum ist, folgt sofort aus der Vektorraumeigenschaft von L p () und der Linearität der Ableitungsoperatoren D α. Die Norm W k,p () misst die L p -Normen aller partiellen Ableitungen, die man laut Definition der Menge W k,p () bilden darf. Es gilt W 0,p () = L p (). Beispiel 3.10 Nach Beispiel 3.8 gehört die Funktion y(x) = x auf = ( 1, 1) zum Sobolev-Raum W 1,, denn y, y L (). Aber y gehört zu keinem Raum W 2,p (), da keine zweite schwache Ableitung existiert. Bemerkung 3.11 Man kann die Sobolev-Räume alternativ auch über einen Vervollständigungsprozess definieren: H k,p () := Abschluss von C () bzgl. der Norm W k,p (). Nach der Arbeit von Meyers and Serrin [1964] mit dem Titel H = W sind jedoch beide Zugänge äquivalent. Die Räume W k,p 0 () werden unten auf diese Weise definiert. Satz 3.12 (Eigenschaften der W k,p -Räume) Sei k N 0. (a) W k,p () ist ein Banachraum für alle 1 p. (b) W k,p () ist separabel für alle 1 p <. 11 alternativ: α k Dα y L ()
12 12 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften Wie bei den Lebesgue-Räumen kommt dem Fall p = 2 wieder eine besondere Bedeutung zu. Man schreibt kurz H k () := W k,2 () für k N 0. In diesen Räumen ist durch (u, v) H k () := D α u(x) D α v(x) dx α k ein Skalarprodukt definiert, welches die oben definierte Norm erzeugt. Daher ist H k () sogar ein Hilbertraum. Nach Definition ist H 0 () = L 2 (). Beispiel 3.13 Zum Beispiel lautet das Skalarprodukt für den häufig benutzten Raum H 1 () (u, v) H 1 () := u v dx + u v dx, und seine Norm ist ( u H 1 () = = u 2 + u 2 dx ) 1/2 ( u 2 L 2 () + u 2 L 2 () N ) 1/2. Den Anteil u L 2 () N bezeichnet man auch als H1 -Seminorm 12. Bemerkung 3.14 Für beschränkte Gebiete gelten die folgenden stetigen Einbettungen: L () L 2 () L 1 () W 1, () W 1,2 () W 1,1 () W 2, () W 2,2 () W 2,1 (). Die horizontalen Inklusionen gelten tatsächlich nur Gebieten mit endlichem Maß <, die vertikalen immer aufgrund der Definition. Außerdem gibt es noch diagonale Einbettungen in Richtung Nordwesten. Man kann also Differenzierbarkeit eintauschen (im Tableau nach oben gehen) gegen einen höheren Integrationsindex (nach links gehen). Dazu später mehr beim Sobolevschen Einbettungssatz 4.8. Definition 3.15 (Sobolev-Raum W k,p 0 ()) Wir definieren für k N 0 und 1 p die Räume. W k,p 0 () = Abschluss von C 0 () bzgl. der Norm W k,p (). Insbesondere setzen wir H k 0 () := W k,2 0 (). Beachte: Nach Definition ist C0 () dicht in jedem W k,p 0 (). Der Raum W k,p 0 () ein abgeschlossener Unterraum von W k,p (). Wenn der Rand Γ gewissen Glattheitsanforderungen genügt, so kann man W 1,p 0 () verstehen als diejenigen Funktionen in W 1,p (), deren Randwerte (im Sinne des Spuroperators, 4.1) null sind, siehe Bemerkung Einer Seminorm fehlt zu einer Norm nur die Eigenschaft u = 0 u = 0. Das ist hier der Fall, denn konstante Funktionen u c gehören zu H 1 () und haben wegen c 0 eine H 1 -Seminorm von null..
13 4. Reguläre Gebiete 13 4 Reguläre Gebiete Außer bei der Formel der partiellen Integration (3.1) haben wir bisher keine Anforderungen an die Glattheit des Gebietsrandes Γ gestellt. Diese ermöglichen jedoch eine Reihe weiterer Eigenschaften, die insbesondere für die Diskussion partieller Differentialgleichungen nützlich sind. Wir definieren nur vage: Definition 4.1 (Gebiet mit C k,1 -Rand) Es sei R N, N 2, ein beschränktes Gebiet mit Rand Γ. Das Gebiet bzw. sein Rand Γ gehören zur Klasse C k,1 für ein k N 0, wenn Γ in endlich viele Stücke Γ i zerteilt werden kann, sodass jedes Γ i der Graph einer auf einem (N 1)-dimensionalen Würfel in einem geeigneten Koordinatensystem k-mal stetig partiell differenzierbaren Funktion mit Lipschitz-stetigen Ableitungen bis einschließlich zur Ordnung k ist. Außerdem darf lokal immer nur auf einer Seite des Randes liegen. Für eine genauere Definition verweisen wir auf [Tröltzsch, 2005, 2.2.2] und die dort genannten Referenzen. Gebiete mit Rändern der Klasse C 0,1 heißen Gebiete mit Lipschitz-Rand, kurz: L-Rand. Diese werden für unsere Zwecke hier ausreichend sein. Ein Gebiet R ist übrigens notwendig ein offenes Intervall, sodass sich die Frage nach der Glattheit des Randes im R 1 nicht stellt. Beispiel 4.2 (Beispiele für Gebiete mit L-Rand) Beispiele für Gebiete mit L-Rand sind: Keinen L-Rand besitzen dagegen: Bemerkung 4.3 (a) Für Gebiete mit L-Rand existiert der äußere Normaleneinheitsvektor n(x) fast überall, denn Lipschitz-stetige Funktionen f : R m R sind fast überall differenzierbar (Satz von Rademacher). (b) Durch die Darstellung der Randteile Γ i als Graph einer Funktion ergibt sich in natürlicher Weise das (N 1)-dimensionale Lebesgue-Maß auf dem Rand, siehe etwa den entsprechenden Abschnitt in Alt [2002]. Anschaulich misst das Randmaß bei R 2 die Länge einer Teilmenge E Γ und bei R 3 die Fläche. Wir bezeichnen zur Unterscheidung die Integration bzgl. des Randmaßes mit ds statt dx.
14 14 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften Vorsicht: Man muss sorgfältig zwischen dem Lebesgue-Maß auf R N und dem (N 1)-dimensionalen Maß auf dem Rand Γ von R N unterscheiden. Zum Beispiel ist das 3-dimensionale Lebesgue-Maß der Oberfläche einer Kugel R 3 eine Nullmenge, das Volumen der Oberfläche ist also null. Das 2-dimensionale Oberflächenmaß der Kugeloberfläche ist jedoch nicht null. Voraussetzung 4.4 Generalvoraussetzung für den Rest von 4 ist, dass R N ein beschränktes Gebiet mit L-Rand sei. 4.1 Der Spuroperator Wir klären nun die Frage von Randwerten von Funktionen in Sobolev-Räumen. Satz 4.5 (Spursatz) Für p 1 existiert eine (eindeutige) lineare und stetige Abbildung τ : W 1,p () L p (Γ) (die Spur), sodass für alle y W 1,p () C() gilt: (τy)(x) = y(x) f.ü. auf Γ. Für stetige Funktionen fällt also die Spurabbildung mit den üblichen Randwerten y Γ zusammen. Statt τy schreiben wir deshalb auch einfach weiter y Γ. Die Stetigkeit der Spurabbildung bedeutet, dass eine nur von p und abhängige Konstante c existiert, sodass y L p (Γ) c y W 1,p () für alle y W 1,p () gilt. Analog kann man den Spuroperator y Γ0 durch Einschränkung auf messbare (bzgl. des Randmaßes) Teilmengen Γ 0 Γ definieren. Bemerkung 4.6 (a) Man kann für beschränkte Gebiete mit L-Rand und 1 p zeigen (vgl. Definition 3.15): W 1,p 0 () = {y W 1,p () : y Γ = 0}. (b) Der o.g. Spuroperator kann nicht stetig auf ganz L p () erweitert werden. Funktionen in L p ()-Räumen erlauben also im Allgemeinen keine Randwerte. (c) Der Spuroperator τ : W 1,p () L p (Γ) ist nicht surjektiv. Das heißt, es existieren Funktionen g L p (Γ), die nicht die Randwerte irgendwelcher Funktionen in W 1,p () sind. (d) Der Spuroperator τ : W 1,p () L p (Γ) ist auch nicht injektiv. Alle Funktionen in W 1,p (), die in der Nähe des Randes Γ gleich null und weiter innen beliebig sind, werden auf die Nullfunktion 0 L p (Γ) abgebildet. Satz 4.7 (Abbildungseigenschaften des Spuroperators) Es sei 1 p. Dann bildet die Spurabbildung wie folgt stetig ab: (i) Im Fall p < N: (ii) Im Fall p = N: τ : W 1,p () L r (Γ) für alle 1 r τ : W 1,p () L r (Γ) für alle 1 r <. (N 1) p N p.
15 4. Reguläre Gebiete 15 (iii) Im Fall p > N: τ : W 1,p () C(Γ). Dabei wird C(Γ) mit der Norm max x Γ y(x) ausgestattet. Beweis: siehe zum Beispiel [Adams and Fournier, 2003, Satz 5.36] Abbildung 4.1. Darstellung der Abbildungseigenschaften des Spuroperators τ : W 1,p () L r (Γ) für R N mit Lipschitz-Rand Γ in verschiedenen Raumdimensionen N 4.2 Der Sobolevsche Einbettungssatz Der folgende Satz begründet diagonale Einbettungen im Tableau der Bemerkung 3.14, Durch Nachlassen im Differentiationsindex m kann man im Integrationsindex q gegenüber p hinzugewinnen. Satz 4.8 (Sobolevscher Einbettungssatz) Es sei 1 p < und k N 0. Dann bestehen folgende stetige Einbettungen: (i) Im Fall kp < N: (ii) Im Fall kp = N: W k,p () L q () für alle 1 q Np N kp. W k,p () L q () für alle 1 q <.
16 16 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften (iii) Im Fall kp > N: W k,p () C(). Dabei wird C() mit der Norm max x y(x) ausgestattet. 13 Beweis: siehe zum Beispiel [Adams and Fournier, 2003, Satz 5.4] Eine Darstellung einiger Einbettungen findet sich in Abbildung 4.2. Durch Anwendung von Satz 4.8 auf die Ableitungen einer Funktion kann man leicht Folgendes zeigen: Folgerung 4.9 (Sobolevscher Einbettungssatz) Es sei 1 p < und k, m N 0 mit k > m. Dann bestehen folgende stetige Einbettungen: (i) Im Fall (k m) p < N: W k,p () W m,q () (ii) Im Fall (k m) p = N: für alle 1 q Np N (k m) p. W k,p () W m,q () für alle 1 q <. Abbildung 4.2. Darstellung der Einbettungen W 1,p () L q () für R N in verschiedenen Raumdimensionen N 13 Genauer bettet dann W k,p () sogar in einen Raum Hölder-stetiger Funktionen ein.
17 5. Weitere Eigenschaften von Sobolev-Räumen 17 Beispiel 4.10 (Häufig benutzte Einbettungen) (a) Für = (a, b) R gilt W 1,2 () = H 1 () C(). (b) Für R 2 gilt W 1,2 () = H 1 () L q () für alle 1 q <. (c) Für R 3 gilt W 1,2 () = H 1 () L 6 (). 4.3 Kompakte Einbettungen Definition 4.11 (Kompakte Einbettung, vgl. Definition 2.6) Es seien U und V normierte lineare Räume mit stetiger Einbettung U V. U heißt dann sogar kompakt eingebettet in V, wenn die Injektion i : U u u V kompakt ist, d.h., {u n } U beschränkt {u n } besitzt eine Teilfolge, die Cauchyfolge in V ist. Man schreibt: U V. Falls V ein Banach-Raum ist, dann impliziert U V, dass gilt: u n u in U u n u in V. Durch die erheblich schwächere Norm auf V werden also aus schwach konvergenten Folgen in U bereits stark konvergente Folgen in V. Satz 4.12 (Kompakte Sobolev-Einbettungen, Satz von Rellich-Kondrachov) Unter den Voraussetzungen von Folgerung 4.9 sind die dort genannten Einbettungen sogar kompakt, wenn man mit q von der genannten oberen Grenze wegbleibt. Folgerung 4.13 Sei 1 p < und k N. Dann besteht die kompakte Einbettung W k,p () W k 1,p (). 5 Weitere Eigenschaften von Sobolev-Räumen Voraussetzung 5.1 Auch in diesem Abschnitt sei R N ein beschränktes Gebiet mit L-Rand. Satz 5.2 (Lebesgue-Punkte) Für Funktionen y L 1 () gilt: Fast jeder Punkt x 0 E ist ein Lebesgue-Punkt, d.h., es gilt dort lim r 0 1 y(x) dx = y(x 0 ). B r (x 0 ) B r(x 0 ) Beweis: siehe zum Beispiel [Rudin, 1987, Theorem 7.7] Satz 5.3 (Stampacchia-Lemma) Es sei y W 1,p () für 1 p. Dann besitzt max{0, y} die schwache Ableitung { y, wo y 0 max{0, y} = 0, wo y < 0, und es gilt max{0, y} W 1,p (). Falls y W 1,p 0 () liegt, dann auch max{0, y}.
18 18 Kapitel 1. Grundlegende Eigenschaften Beweis: siehe zum Beispiel [Kinderlehrer and Stampacchia, 1980, S. 50] Folgerung 5.4 (Verbandseigenschaft von W 1,p ()) Es seien y 1, y 2 W 1,p () für 1 p. Dann gehören auch max{y 1, y 2 } und min{y 1, y 2 } zu W 1,p (), und es gilt { { y 1, wo y 1 y 2 y 1, wo y 1 y 2 max{y 1, y 2 } = min{y 1, y 2 } = y 2, wo y 1 < y 2 y 2, wo y 1 > y 2. Definition 5.5 (Äquivalente Normen) Es sei U ein normierter linearer Raum. Zwei Normen und auf U heißen äquivalent, wenn es Konstanten c 1, c 2 > 0 gibt mit für alle u U. c 1 u u c 2 u Oft ist die Frage wichtig, wann eine Seminorm durch Einschränkung auf einen geeigneten Unterraum dort zu einer Norm wird (die zur Standard-Norm äquivalent ist). Zum Beispiel wird die H 1 ()-Seminorm u L 2 () auf dem Unterraum H0() 1 zu einer Norm, die zur H 1 ()-Norm äquivalent ist. 14 Ein allgemeines Resultat in diesem Sinne liefert der folgende Satz. Dabei bezeichnet ( u W k,p () := α =k D α u p dx die Standard-Seminorm in W k,p (), und P k ist der Vektorraum aller Polynome vom Höchstgrad k. 15 Satz 5.6 (Normierungssatz von Sobolev) Es sei 1 p < sowie k N. Darüber hinaus sei f i : W k,p () [0, ) ) 1 p i = 1,..., l ein System von Seminormen mit folgenden Eigenschaften: Dann ist (a) Es existieren Konstanten c i > 0 mit 0 f i (u) c i u W k,p () für alle u W k,p () und i = 1,..., l. (b) Aus f i (v) = 0 für alle i = 1,..., l und v P k 1 folgt v = 0. ( l u := [f i (u)] p + u p W k,p () i=1 auf W k,p () eine zu W k,p () äquivalente Norm. Bemerkung 5.7 (zum Normierungssatz 5.6) Die Standard-Seminorm u W k,p () ist null genau für die Funktionen in W k,p (), für die D α u = 0 für alle α = k gilt. Nach Lemma 3.7 sind dies genau die Polynome P k 1 vom Höchstgrad k 1. Das heißt, die Seminorm u W k,p () übersieht die Polynome in P k 1 und weist ihnen den Wert null zu. Hier müssen jetzt die Seminormen 14 Dies folgt aus der Poincaré-Friedrichs-Ungleichung. 15 Elemente in P k können als α k c α x α geschrieben werden. Dabei ist x α := x α1 1 xα2 2 xα N N. ) 1 p
19 5. Weitere Eigenschaften von Sobolev-Räumen 19 einspringen: Aus Voraussetzung (b) folgt, dass sie zusammen gerade das Nullpolynom erkennen können und für alle anderen Polynome in P k 1 einen positiven Wert liefern. Mit Hilfe des Normierungssatzes können mit einem Schlag verschiedene Norm-Äquivalenzen gezeigt werden: Folgerung 5.8 (äquivalente Normen auf W 1,p ()) (a) Sei Γ 1 Γ mit Γ 1 > 0 und 1 p <. Dann ist ( ) u ds p 1 + u p p W k,p () Γ 1 auf W 1,p () eine zu W 1,p () äquivalente Norm. (b) Es sei 1 mit 1 > 0 und 1 p <. Dann ist ( ) u dx p 1 + u p p W k,p () 1 auf W 1,p () eine zu W 1,p () äquivalente Norm. Hieraus folgen wiederum verschiedene Ungleichungen vom (a) Friedrichs- und (b) Poincaré-Typ.
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21 Literaturverzeichnis R. Adams and J. Fournier. Sobolev Spaces. Academic Press, New York, second edition, H.W. Alt. Skript zur Vorlesung Partielle Differentialgleichungen I, URL Lecture Notes. G. Folland. Real Analysis. John Wiley & Sons, New York, D. Kinderlehrer and G. Stampacchia. An Introduction to Variational Inequalities and Their Applications. Academic Press, New York, N. Meyers and J. Serrin. H=W. Proceedings of the National Academy of Sciences, 51: , W. Rudin. Real and Complex Analysis. McGraw Hill, F. Tröltzsch. Optimale Steuerung partieller Differentialgleichungen. Vieweg, Wiesbaden, K. Yosida and E. Hewitt. Finitely additive measures. Transactions of the American Mathematical Society, 72:46 66,
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23 Abbildungsverzeichnis 4.1 Darstellung der Abbildungseigenschaften des Spuroperators τ : W 1,p () L r (Γ) für R N mit Lipschitz-Rand Γ in verschiedenen Raumdimensionen N Darstellung der Einbettungen W 1,p () L q () für R N in verschiedenen Raumdimensionen N 16 23
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25 Index Differentiationsindex, 11 distributionelle Ableitung, 10 Einbettung kompakte, 17 stetige, 7 Einbettungssatz, 15 kompakter, 17 Gebiet, 5 mit C k,1 -Rand, 13 mit Lipschitzrand, 13 Greensche Formel, 9 Höldersche Ungleichung, 7 kompakte Einbettung, 17 konjugierte Exponenten, 7 Lebesgue-Maß, 5 Rand-, 13 Lebesgue-Punkt, 17 Lebesgue-Raum, 6 Dualraum, 7 Multiindex, 9 Ordnung, 9 partielle Integration, 9 Randwerte, 14 Satz von Rellich-Kondrachov, 17 schwache Ableitung, 10 Sobolev-Raum, 11 Sobolevscher Einbettungssatz, 15 Spuroperator, 14 Stampacchia-Lemma, 17 stetige Einbettung, 7 Träger, 8 25
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2 2 Gewöhnliche Differentialgleichungen 2. Einleitung Sei f : D R wobei D R 2. Dann nennt man y = f(x, y) (5) eine (gewöhnliche) Differentialgleichung (DGL) erster Ordnung. Als Lösung von (5) akzeptiert
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