Grundlagen der Mathematik I und II

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1 Grundlagen der Mathematik I und II Klaus Ritter TU Kaiserslautern, WS 2014/15 und SS 2015 Literatur Insbesondere H. Amann, J. Escher, Analysis I, Birkhäuser, Basel, 3. Auflage, G. Fischer, Lineare Algebra, Vieweg+Teubner, Wiesbaden, 18. Auflage, O. Forster, Analysis 1, Springer Spektrum, Wiesbaden, 11. Auflage, O. Forster, Analysis 2, Springer Spektrum, Wiesbaden, 10. Auflage, K. Königsberger, Analysis 2, Springer, Berlin, 5. Auflage, 2004.

2 Inhaltsverzeichnis I Grundbegriffe 1 1 Aussagenlogik und Schlußregeln Mengen und ihre Verknüpfungen Funktionen und Relationen Gruppen und Körper II Die reellen Zahlen 20 1 Angeordnete Körper Die natürlichen Zahlen Mächtigkeit von Mengen Archimedisch angeordnete Körper Konvergenz von Folgen Vollständigkeit Konvergenz von Reihen III Stetige Funktionen in einer Variablen 54 1 Punktmengen in R Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen Hauptsätze über stetige Funktionen Die Exponentialfunktion im Komplexen Trigonometrische Funktionen IV Differenzierbare Funktionen in einer Variablen 80 1 Differenzierbarkeit Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung V Integrierbare Funktionen in einer Variablen 94 1 Das Riemann-Integral Integration und Differentiation Uneigentliche Integrale VI Vektorräume und lineare Abbildungen Vektorräume Basen und Dimension Matrizen Lineare Abbildungen Lineare Abbildungen und Matrizen ii

3 INHALTSVERZEICHNIS iii 6 Koordinatentransformationen Lineare Gleichungssysteme Quotientenvektorräume VII Determinanten und Eigenwerte Determinanten Eigenwerte Diagonalisierbarkeit VIII Euklidische und unitäre Vektorräume Skalarprodukt und Orthogonalität Orthogonale und unitäre Abbildungen Selbstadjungierte Abbildungen IX Metrische und normierte Räume Grundbegriffe Konvergenz und Stetigkeit Kompaktheit Funktionenfolgen X Differenzierbare Abbildungen in mehreren Variablen Differenzierbarkeit Mittelwertsätze Taylor-Approximation Implizite Funktionen XI Integrierbare Funktionen in mehreren Variablen Vorbereitungen Das Lebesgue-Integral Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien Iterierte Integration Die Transformationsformel A Beispiele in MAPLE Exponential- und Cosinusreihe Lokale Approximation der Exponentialfunktion Monotonie und Konvexität Uneigentliche Integration Lineare Gleichungssysteme Eigenwerte Taylor-Approximation in einer Variablen Richtungsableitungen und Stetigkeit Taylor-Approximation in zwei Variablen Lokale Extrema Lokale Extrema unter Nebenbedingungen Literaturverzeichnis 326

4 INHALTSVERZEICHNIS iv Definitionen 327 Symbolverzeichnis 332

5 Kapitel I Grundbegriffe In den ersten drei Abschnitten stellen wir mit einigen Grundbegriffen der Logik und der Mengenlehre die Sprache dieser Vorlesung bzw. der Mathematik bereit; wir verweisen dazu insbesondere auf [AE] sowie auf [SS]. Im vierten Abschnitt über Gruppen und Körper präsentieren wir Definitionen, einfache Beispiele und elementare Eigenschaften; mehr dazu in der Vorlesung Algebraische Strukturen. 1 Aussagenlogik und Schlußregeln Definition 1. Aussagen sind Zeichenketten, von denen sich entscheiden läßt, ob sie wahr (w) oder falsch (f) sind. Beispiel ist eine Aussage, während 33 keine Aussage ist. Zur Konstruktion neuer Aussagen aus gegebenen Aussagen betrachtet man folgende Verküpfungen. Definition 3. Die Disjunktion (, oder), Konjunktion (, und), Implikation ( ) und Äquivalenz ( ) von Aussagen A und B und die Negation ( ) von A sind definiert durch folgende Wahrheitswerte: A B A A B A B A B A B w w f w w w w w f f w f f f f w w w f w f f f w f f w w Ferner steht B A für A B. Konvention 1 : bindet stärker als,, und, binden stärker als,. Im Folgenden bezeichnen A, B und C Aussagen. 1 Nicht einheitlich in der Literatur. 1

6 I.1. Aussagenlogik und Schlußregeln 2 Bemerkung 4. Stets wahr sind (i) ( A) A, (ii) (A B) A B sowie (A B) A B (De Morgansche Regeln), (iii) A (B C) (A B) (A C) sowie A (B C) (A B) (A C), (iv) (A B) A B, (v) (A B) ( B A), (vi) (A B) (B C) (A C), (vii) (A B) (A B) (B A), (viii) (A B) (B C) (A C). Beweis jeweils durch Berechnung der Wahrheitswerte in allen 4 bzw. 8 Fällen. Bemerkung 5. Mathematische Schlußregeln. (i) Zum Beweis von B zeigt man A und A B. Dies entspricht den wahren Aussagen A (A B) A ( A B), A ( A B) (A A) (A B), (A A) (A B) A B, A B B. (ii) Zum Beweis der Implikation A B zeigt man die Kontraposition B A. Dies entspricht Bemerkung 4.(v). (iii) Zum Beweis der Implikation A B nimmt man A und B an und führt dies zu einem Widerspruch. Dies entspricht den wahren Aussagen (A B) A B, A B (A B). (iv) Zum Beweis der Äquivalenz A B zeigt man die Implikationen A B und B A. Dies entspricht Bemerkung 4.(vii). (v) Zum Beweis der Äquivalenzen A B und B C zeigt man die Implikationen A B, B C und C A. Dies entspricht Bemerkung 4.(vi) und (vii). Schreibweise: für Aussagen A 1,..., A n schreibt man die Äquivalenzen A 1 A 2,..., A n 1 A n

7 I.2. Mengen und ihre Verknüpfungen 3 wegen Bemerkung 4.(viii) auch in der Form A 1 A n. Ebenso wegen Bemerkung 4.(vi) für Implikationen. Also etwa in Bemerkung 5.(iii) kurz (A B) ( A B) (A B). Literatur. [AE, I.1] und [SS, 3]. 2 Mengen und ihre Verknüpfungen Definition 1. Eine Menge ist eine Zusammenfassung wohlunterschiedener Objekte zu einem Ganzen. Die zu einer Menge gehörigen Objekte heißen Elemente der Menge. Notation: Für ein Objekt x und eine Menge X heißt x X, daß x ein Element von X ist. Ebenso heißt x / X, daß x kein Element von X ist. Definition 2. Zwei Mengen heißen gleich, wenn 2 sie dieselben Elemente enthalten. Notation: Für Mengen X und Y heißt X = Y, daß X gleich Y ist. Ebenso heißt X Y, daß X nicht gleich (ungleich) Y ist. Bemerkung 3. Definition von Mengen: (i) Durch Auflisten aller Elemente. Zum Beispiel 3 {2, 3, 11} = {11, 2, 3} = {11, 2, 3, 2}. X = {2, 3, 11}. Beachte, daß (ii) Durch Angabe einer die Elemente definierenden Eigenschaft. Zum Beispiel X = {x : x Primzahl}. Lies: Menge aller x für die gilt... Standardbezeichnungen (zunächst) als bekannt vorausgesetzter Mengen von Zahlen (i) N = {1, 2, 3,...} Menge der natürlichen Zahlen 4, (ii) N 0 = {0, 1, 2, 3,...}, (iii) Z = {0, 1, 1, 2, 2,...} Menge der ganzen Zahlen, (iv) Q = {p/q : p Z und q N} Menge der rationalen Zahlen. Im Folgenden bezeichnen X, Y, Z Mengen. Definition 4. X ist eine Teilmenge von Y, falls alle Elemente von X Element von Y sind. Notation 5 : X Y bzw. Y X. X ist eine echte Teilmenge von Y, falls X Y und X Y gilt. Notation: X Y bzw. Y X. 2 In Definitionen üblicherweise wenn anstelle des korrekten genau dann, wenn. 3 Ich vermeide die Notation :=. 4 Notation nicht einheitlich. So N = {0, 1, 2,... } bei [Fi, Fo1]. 5 Im Unterschied zu [Fi, Fo1]; dort X Y.

8 I.2. Mengen und ihre Verknüpfungen 4 Schreibweise zur Definition von Teilmengen von X oft {x X : x hat Eigenschaft...} statt {x : x X und x hat Eigenschaft...}. Beispiel 5. Es gilt und N N 0 Z Q { x N : x 2 5 } = {1, 2}. Trifft man Aussagen über die Elemente einer Menge, verwendet man dazu oft abkürzend Quantoren 6 : x X : statt für alle x X gilt x X : statt es existiert (mindestens) ein x X mit 1 x X : statt es existiert genau ein x X mit Bemerkung 6. Für eine Aussageform A(x), die von der freien Variable x X abhängt, gilt ( x X : A(x) ) ( x X : A(x) ), ( x X : A(x) ) ( x X : A(x) ). Nun: Beziehung zwischen Gleichheit und Inklusion (Teilmengeneigenschaft) von Mengen. Lemma 7. Es gelten (i) X = Y (X Y Y X), (ii) (X Y Y Z) X Z, (iii) X Y (X Y ( y Y : y / X)). Beweis. ad (i): Wir zeigen beide Schlußrichtungen, siehe Bemerkung 1.5.(iv). Gelte X = Y. Für jedes x X folgt x Y, also gilt X Y. Ebenso ergibt sich Y X. Gelte X Y Y X. Für x X folgt x Y, und für y Y folgt y X, d.h. aus x X folgt x Y, siehe Bemerkung 1.4.(v). Also gilt X = Y. ad (ii): Gelte X Y Y Z. Sei x X. Es folgt x Y und weiter x Z aufgrund von Bemerkung 1.5.(i). 6 Anstelle von 1 auch!.

9 I.2. Mengen und ihre Verknüpfungen 5 ad (iii): Gelte X Y. Dann folgt X Y. Nun Widerspruchsbeweis für siehe Bemerkung 1.5.(iii). Annahme y Y : y / X, y Y : y X, siehe Bemerkung 6. Also gilt Y X und somit X = Y gemäß (i), im Widerspruch zu X Y. Gelte X Y ( y Y : y / X). Somit folgt X Y und weiter X Y. Zur Konstruktion neuer Mengen aus gegebenen Mengen betrachtet man folgende Verküpfungen. Definition 8. Vereinigung ( ), Durchschnitt ( ) und Differenz (\) von X und Y sind definiert durch Beispiel 9. Es gilt und N 0 \Z enthält keine Elemente. X Y = {z : z X z Y }, X Y = {z : z X z Y }, X \ Y = {z : z X z / Y }. Z \ N 0 = { 1, 2,...}, Bemerkung 10. Zwei Mengen, die jeweils keine Elemente enthalten, sind gleich. Definition 11. Die Menge, die kein Element enthält, heißt leere Menge. Notation:. Definition 12. X und Y heißen disjunkt, falls X Y =. Definition 13. Paare (x, y) und (u, v) von Objekten x, y, u, v heißen gleich, falls x = u und y = v gilt. Beispiel 14. Es gilt (1, 2) (2, 1) und {1, 2} = {2, 1}. Definition 15. Das kartesische Produkt von X und Y ist definiert durch X Y = {(x, y) : x X y Y }. Beispiel 16. Es gilt {1, 2} {1} = {(1, 1), (2, 1)}. Rechenregeln für Mengenoperationen, siehe Übung 1.2. Literatur. [AE, I.1 und I.2], [SS, 4.1 und 4.5] und [Fi, 1.1].

10 I.3. Funktionen und Relationen 6 3 Funktionen und Relationen Im Folgenden bezeichnen U, V, W, X, Y, Z Mengen. Funktionen Definition 1. Eine Funktion (Abbildung) f von X nach Y ist eine Vorschrift, die jedem Element x X genau ein Element f(x) Y zuordnet. X und Y heißen Definitions- bzw. Wertebereich 7 von f. Sprechweise: f(x) Wert der Funktion an der Stelle x oder Bild von x unter der Abbildung f. Ebenfalls: x X Argument von f. Notation: f : X Y : x f(x). Beispiel 2. Beispiele für Funktionen sind f : Z Z : x x 2 und g : N {0, 1}, definiert durch { 1, falls x Primzahl, g(x) = 0, sonst. Definition 3. Funktionen f : X Y und g : W Z heißen gleich, falls 8 (i) X = W und Y = Z, (ii) x X : f(x) = g(x). Notation: f = g. Bemerkung 4. Es existiert genau eine Abbildung von nach Y, die sogenannte leere Abbildung von nach Y. Für X existiert keine Abbildung von X nach. Definition 5. Eine Abbildung f : X Y heißt konstant, falls y Y existiert, so daß x X : f(x) = y. Notation 9 : f = y. Definition 6. Der Graph Γ f einer Funktion f : X Y ist definiert durch Γ f = {(x, y) X Y : y = f(x)}. Bemerkung 7. Γ X Y ist genau dann Graph einer Funktion von X nach Y, wenn x X 1 y Y : (x, y) Γ. Eine Funktion ist eindeutig durch Angabe von Graph und Wertebereich bestimmt. Definition 8. Für f : X Y und X X X heißt (i) f X : X Y : x f(x) die Einschränkung (Restriktion) von f auf X. 7 Terminologie nicht einheitlich. 8 Hier und andernorts unterdrückt man das (i) und (ii) verbindende und. 9 Mißbräuchliche, aber übliche Verwendung von =.

11 I.3. Funktionen und Relationen 7 (ii) jede Funktion g : X Y mit g X = f eine Fortsetzung von f auf X. Definition 9. Für f : X Y, X X und Y Y heißt das Bild von X (unter f) und das Urbild von Y (unter f). f(x ) = {y Y : x X : f(x) = y} f 1 (Y ) = {x X : f(x) Y } Beispiel 10. Setze X = { x : x X} für X Z. Für f gemäß Beispiel 2 gilt f(n 0 ) = f( N 0 ) = f(z), f 1 (N) = Z \ {0} und f 1 ( N) =. Komposition von Funktionen und Umkehrabbildungen Definition 11. f : X Y heißt (i) injektiv, falls 10 x, x X : (f(x) = f(x ) x = x ), (ii) surjektiv 11, falls y Y x X : f(x) = y, (iii) bijektiv, falls f injektiv und surjektiv ist. Beispiel 12. Für die Funktionen aus Beispiel 2 gilt: f ist weder injektiv noch surjektiv, und g ist surjektiv, aber nicht injektiv. Bemerkung 13. Zur Lösbarkeit von Gleichungen f(x) = y, wobei f : X Y. (i) Surjektivität heißt: für alle y Y existiert mindestens eine Lösung x X (Existenz). (ii) Injektivität heißt: für alle y Y existiert höchstens eine Lösung x X (Eindeutigkeit). (iii) Bijektivität heißt: für alle y Y existiert genau eine Lösung x X (Existenz und Eindeutigkeit). Beispiel 14. Für f gemäß Beispiel 2 gilt: f N0 ist injektiv. Definition 15. Die Komposition g f von f : W X und g : Y Z mit f(w ) Y ist definiert durch g f : W Z : w g(f(w)). Beispiel 16. Betrachte f : N N : x x 2 und g : N N : x x + 1. Dann gilt 12 für alle x N (g f)(x) = x und Insbesondere gilt f g g f. (f g)(x) = (x + 1) 2 = x 2 + 2x Kurzschreibweise statt x X x X. 11 Man spricht auch von Surjektionen von X auf Y. 12 Die Klammer um g f dienen nur der besseren Lesbarkeit.

12 I.3. Funktionen und Relationen 8 Bemerkung 17. Für Abbildungen f : U V, g : W X und h : Y Z mit f(u) W und g(w ) Y gilt h (g f) = (h g) f. Definition 18. Die identische Abbildung (Identität) id X der Menge X ist definiert durch id X : X X : x x. Satz 19. f : X Y ist genau dann bijektiv, wenn g : Y X existiert, so daß Ferner ist g durch (1) eindeutig bestimmt. g f = id X f g = id Y. (1) Beweis. Sei f : X Y bijektiv. Gemäss Bemerkung 13 existiert für alle y Y genau ein x X mit f(x) = y. Definiere g : Y X durch g(y) = x. Für x X folgt g(f(x)) = x, und für y Y gilt f(g(y)) = y. Gelte g f = id X und f g = id Y. Für x, x X mit f(x) = f(x ) folgt x = g(f(x)) = g(f(x )) = x. Somit ist f injektiv. Für y Y sei x = g(y). Dann gilt f(x) = f(g(y)) = y. Somit ist f surjektiv. Zur Eindeutigkeit: Für g, g : Y X gelte g f = g f und f g = id Y. Für alle x X gilt also g(f(x)) = g (f(x)), und f ist surjektiv. Dies zeigt g = g. Definition 20. In der Situation von Satz 19 heißt g die Umkehrabbildung (Umkehrfunktion) von f. Notation: f 1 = g. Beispiel 21. Für a, b Q sei f : Q Q definiert durch f(x) = ax + b. f ist genau dann bijektiv, wenn a 0, und gegebenenfalls gilt für alle y Q. f 1 (y) = y b a Folgen und Familien Definition 22. Für k Z und I = {i Z : i k} heißt f : I Y Folge in Y mit Indexmenge I. Notation: (f i ) i k oder (f i ) i I, wobei f i = f(i) für i I. Notation und Sprechweise: Für beliebige Mengen I und Abbildungen f : I Y suggestive Schreibweise (f i ) i I, wobei f i = f(i) für i I. Bezeichnung: (f i ) i I Familie in Y mit Indexmenge I. Im Folgenden bezeichnet (M i ) i I eine Familie von Mengen M i, wobei I.

13 I.3. Funktionen und Relationen 9 Definition 23. Vereinigung und Durchschnitt über die Familie (M i ) i I sind definiert durch M i = {z : i I : z M i } i I M i = {z : i I : z M i }. i I Bemerkung 24. Für I = {1, 2} gilt i I M i = M 1 M 2 und i I M i = M 1 M 2. Beispiel 25. Für I = N 0 und gilt und M i = {z Q : i z i} M i = Q i I M i = M 0 = {0}. Für I = Q und M i = {i} gilt i I M i = Q und i I M i =. i I Im Folgenden gelte i I : M i. Definition 26. Das kartesische Produkt über die Familie (M i ) i I ist definiert durch i I M i = { m : I i I M i : i I : m i M i }. Bemerkung 27. Sei I = {1, 2}. Wir identifizieren m i I M i mit (m 1, m 2 ) M 1 M 2 und unterscheiden dementsprechend nicht zwischen i I M i und M 1 M 2. Formal heißt dies, daß ϕ : i I M i M 1 M 2 : m (m 1, m 2 ) eine Bijektion ist. Ausblick 28. Das Auswahlaxiom sichert, daß i I M i, siehe [AE, S. 54]. Notation und Sprechweise: Für I = {1,..., n} mit n N suggestive Schreibweise M 1... M n statt i I M i und (m 1,..., m n ) statt (m i ) i I. Ferner M n statt i I M i im Spezialfall M 1 = = M n = M. Sprechweise: (m 1,..., m n ) n-tupel mit Komponenten m i M i. Relationen Definition 29. Eine Menge R X Y heißt Relation auf X, Y. Im Spezialfall X = Y heißt R X X Relation auf X. Beispiel 30. (i) R = {(x, x ) Z 2 : x x }, (ii) R = {(x, x ) N 2 : x teilt x }, (iii) R = {((p, q), (p, q )) X 2 : p q = q p }, wobei X = Z (Z \ {0}), (iv) R = {(A, A ) X 2 : A A }, wobei X die Menge aller Teilmengen von Z.

14 I.3. Funktionen und Relationen 10 Äquivalenzrelationen und partielle Ordnungen Für unsere Zwecke sind neben Graphen, und damit Funktionen, zwei weitere Typen von Relationen von besonderer Bedeutung. Definition 31. R X X heißt (i) reflexiv, falls x X : (x, x) R, (ii) symmetrisch, falls x, x X : ((x, x ) R (x, x) R), (iii) antisymmetrisch, falls x, x X : ((x, x ) R (x, x) R x = x ), (iv) transitiv, falls x, x, x X : ((x, x ) R (x, x ) R (x, x ) R). Eine Relation mit (i), (ii) und (iv) heißt Äquivalenzrelation auf X. Sprechweise: x und x sind äquivalent, falls (x, x ) R. Notation: x x oder x R x. Eine Relation mit (i), (iii) und (iv) heißt partielle Ordnung (Halbordnung) auf X. Sprechweise: x kleiner (oder) gleich (größer (oder) gleich) x, falls (x, x ) R. Beispiel 32. Für die Relationen aus Beispiel 30 gilt (i) R ist eine partielle Ordnung und nicht symmetrisch, (ii) R ist eine partielle Ordnung und nicht symmetrisch, (iii) R ist eine Äquivalenzrelation und nicht antisymmetrisch, vergleiche Gleichheit von Brüchen, (iv) R ist eine partielle Ordnung, die nur im Trivialfall Z = symmetrisch ist. Definition 33. Eine partielle Ordnung R auf einer Menge X heißt totale Ordnung, falls x, y X : ((x, y) R (y, x) R). Beispiel 34. Von den partiellen Ordnungen aus Beispiel 30 sind nur (i) und, falls Z höchstens ein Element enthält, (iv) totale Ordnungen. Beispiel 35. Gelte X und Y. Betrachte eine Funktion f : X Y, und definiere R = { (x, x ) X 2 : f(x) = f(x ) }. Dann ist R eine Äquivalenzrelation und genau dann eine (triviale) partielle Ordnung, wenn f injektiv ist. Im Folgenden bezeichnet X eine nicht-leere Menge. Definition 36. Sei R eine Äquivalenzrelation auf X. Für x X heißt die Äquivalenzklasse von x (bezüglich R). A x = A R x = {z X : (x, z) R}

15 I.3. Funktionen und Relationen 11 Lemma 37. In obiger Situation gilt für alle x, x X (i) x A x, (ii) A x = A x A x A x (x, x ) R. Beweis. ad (i): Dies ist die Reflexivität. ad (ii): Wir schließen gemäß Bemerkung 1.5.(v). Mit (i) folgt A x = A x A x A x. Gelte A x A x. Wähle z A x A x. Dann gilt (x, z) R und (x, z) R. Symmetrie und Transitivität sichern (x, x ) R. Gelte (x, x ) R. Sei z A x, d.h. (x, z) R. Wie oben folgt (x, z) R, d.h. z A x. Dies zeigt A x A x. Die Symmetrie sichert A x A x. Partitionen Definition 38. Eine Menge P von Teilmengen von X heißt Partition von X, falls (i) A P : A, (ii) A, B P : (A B A B = ), (iii) A P A = X. Bemerkung 39. Für jede Partition P von X gilt Beispiel 40. x X 1 A P : x A. (i) Die Partitionen von {1, 2, 3} sind { {1}, {2}, {3} }, { {1, 2}, {3} }, { {1, 3}, {2} }, { {2, 3}, {1} }, { {1, 2, 3} }. (ii) Eine Partition von N ist {G, U} mit G = {x N : x gerade} und U = {x N : x ungerade}. Beachte: Durch R = {(x, x ) N 2 : x + x gerade} wird eine Äquivalenzrelation auf N definiert, und es gilt G = A R 2 sowie U = A R 1. Wir formulieren und beweisen, daß die Partitionen von X genau den Äquivalenzrelationen auf X entsprechen. Satz 41. Sei M die Menge der Äquivalenzrelationen auf X, und sei N die Menge der Partitionen von X. Dann ist eine Bijektion. ϕ : M N : R {A R x : x X}

16 I.4. Gruppen und Körper 12 Beweis. Lemma 37 zeigt: für alle R M gilt {A R x : x X} N. Somit ist ϕ wohldefiniert. Mit (i) (iii) beziehen wir uns im Folgenden auf die Eigenschaften aus Definition 38. Surjektivität : Sei P N. Definiere R = {(x, x ) X 2 : A P : {x, x } A}. Wir zeigen R M. (2) Wegen (iii) ist R reflexiv. Da {x, x } = {x, x}, ist R symmetrisch. Gelte (x, x ) R und (x, x ) R. Also existieren A, B P mit {x, x } A und {x, x } B. Wegen (ii) folgt A = B. Also {x, x } A, d.h. (x, x ) R. Somit gilt (2). Wir zeigen A P x A : A R x = A. (3) : Für A P und x A sei x A R x, d.h. (x, x ) R. Mit Bemerkung 39 folgt x A : Für A P und x A sei x A. Dann (x, x ) R, d.h. x A R x. Somit gilt (3). Wegen (2) ist ϕ(r) wohldefiniert. Wir zeigen woraus sich die Surjektivität von ϕ ergibt. ϕ(r) = P, (4) : Sei x X. Wähle A P mit x A, siehe (iii). Gemäß (3) gilt AR x = A P. : Sei A P. Wähle x A, siehe (i). Mit (3) folgt A = AR x ϕ(r). Somit gilt (4). Injektivität : Wir zeigen R, S M : ( ϕ(r) ϕ(s) R S ). (5) Gelte ϕ(r) ϕ(s), und sei (x, x ) R. Dann existiert y X mit A R x = A S y. Insbesondere folgt x A S y und weiter A S y = A S x, siehe Lemma 37. Also x A R x = A S x, d.h. (x, x ) S. Somit gilt (5). Aus ϕ(r) = ϕ(s) für R, S M folgt mit (5), daß R = S. Literatur. [AE, I.3, I.4 und S. 54], [SS, 4.2 und 4.3], [Fi, 1.1] und [H1, 1 und 13]. 4 Gruppen und Körper Im Folgenden bezeichnet G eine nicht-leere Menge. Gruppen Definition 1. Eine Abbildung : G G G

17 I.4. Gruppen und Körper 13 heißt Verknüpfung auf G. Diese heißt assoziativ, falls a, b, c G : (a b) c = a (b c), und kommutativ, falls a, b G : a b = b a. Schreibweise: Im Fall der Assoziativität in der Regel keine Klammern bei Verknüpfung mehrerer Elemente. Kontextabhängig schreibt man auch a + b, a b, ab etc. statt a b. Definition 2. Eine Menge G, versehen mit einer Verknüpfung, heißt Gruppe, falls assoziativ ist und e G existiert, so daß und Notation: gelegentlich (G, ). a G : e a = a (1) a G a G : a a = e. (2) G heißt kommutativ (abelsch), falls überdies kommutativ ist. Beispiel 3. Kommutative Gruppen sind G = Z und G = Q mit der Addition, G = Q \ {0} mit der Multiplikation sowie G = {0, 1} mit Permutationen Definition 4. Sei eine Verknüpfung auf G. Für G G gelte a, b G : a b G. Dann heißt : G G G, definiert durch a b = a b, die auf G induzierte Verknüpfung. Fortan in der Regel keine Unterscheidung zwischen und. Notation: Für Mengen X, Y bezeichnet 13 Y X die Menge aller Abbildungen von X nach Y. Satz 5. Sei X. Versehen mit der Komposition ist G = {f X X : f bijektiv} eine Gruppe. Diese ist nicht kommutativ, falls X mehr als 2 Elemente besitzt. 13 Abb(X, Y ) bei [Fi].

18 I.4. Gruppen und Körper 14 Beweis. Setze G = X X. Zunächst ist eine assoziative Verknüpfung auf G, siehe Bemerkung Wir zeigen f, g G : g f G. (3) Sind f, g G surjektiv, so folgt (g f)(x) = g (f(x)) = g(x) = X. Sind f, g G injektiv und x, x X, so folgt aus (g f)(x) = (g f)(x ), daß f(x) = f(x ) und weiter x = x. Somit gilt (3), d.h. die Komposition induziert auch eine Verknüpfung auf G. Diese erbt die Assoziativität. Verifikation von (1), (2) aus Definition 2: Für e = id X gilt e G. Für f G gilt e f = f und f 1 f = f f 1 = e. Satz 3.19 (Umkehrabbildung) sichert f 1 G. Zur Nicht-Kommutativität: Seien x, y, z X paarweise verschieden. Definiere f, g G durch f(x) = y, f(y) = x, f(u) = u für u X \ {x, y} und g(y) = z, g(z) = y, g(u) = u für u X \ {y, z}. Dann folgt (g f)(x) = g(y) = z und (f g)(x) = f(x) = y. Definition 6. G aus Satz 5 heißt die symmetrische Gruppe der Menge X. Im Spezialfall X = {1,..., n} mit n N heißt G Permutationsgruppe; deren Elemente heißen Permutationen von 1,..., n. Elementare Eigenschaften von Gruppen Im Folgenden sei G eine Gruppe. Lemma 7. Seien e G mit (1) und (2) und a, a G. Dann gilt (i) a a = e aa = e, (ii) ae = a. Beweis. ad (i): Gemäß 14 (2) existiert a G mit a a = e. Mit (1) folgt aa = eaa = a a aa = a ea = a a = e. ad (ii): Aus (i) ergibt sich für a a = e, daß ae = aa a = ea = a. Satz 8. Es existiert genau ein e G mit den Eigenschaften (1) und (2). 14 Fortan in der Regel keine Wiederholung der Voraussetzungen und Annahmen in Beweisen.

19 I.4. Gruppen und Körper 15 Beweis. Gelten (1) und (2) für e = e 1 und e = e 2. Insbesondere folgt e 1 e 2 = e 2 und e 2 e 1 = e 1. Lemma 7.(i) zeigt e 2 e 1 = e 2. Man erhält e 1 = e 2. Definition 9. e G mit den Eigenschaften (1) und (2) heißt das neutrale Element von G. Im Folgenden sei e das neutrale Element von G. Satz 10. Für alle a G existiert genau ein a G mit a a = e. Beweis. Seien a, a G mit a a = a a = e. Lemma 7 zeigt a = a e = a aa = ea = a. Definition 11. Für a G heißt a G mit a a = e das zu a G inverse Element. Notation: a = a 1, a = 1/a oder a = a. Lemma 12. Für a, b, c G gilt (i) ab = ac b = c, (ii) ba = ca b = c, (iii) (a 1 ) 1 = a, (iv) (ab) 1 = b 1 a 1, (v) e 1 = e, (vi) 1 x G : ax = b. Beweis. Verwende Lemma 7 und die Sätze 8 und 10. Details Übung. Untergruppen Definition 13. G G heißt Untergruppe von G, falls G und Bemerkung 14. a, b G : ( ab G a 1 G ). (i) Für jede Untergruppe G von G gilt e G. Zum Beweis wähle man a G. Dann folgt a 1 G und weiter e = aa 1 G. (ii) Bezüglich der Mengeninklusion ist {e} die kleinste und G die größte Untergruppe von G, d.h. {e} und G sind Untergruppen von G, und für jede Untergruppe G von G gilt {e} G G.

20 I.4. Gruppen und Körper 16 Beispiel 15. (i) G = Z ist eine Untergruppe von G = Q bezüglich der Addition. (ii) G = {g Q : g > 0} ist eine Untergruppe von G = Q \ {0} bezüglich der Multiplikation. (iii) Sei G die symmetrische Gruppe von X. Für X 0 X ist eine Untergruppe von G. G = {f G : x X 0 : f(x) = x} Satz 16. Jede Untergruppe von G, versehen mit der induzierten Verknüpfung, ist eine Gruppe mit neutralem Element e. Beweis. Die auf G induzierte Verknüpfung erbt die Assoziativität der Verknüpfung auf G, und gemäß Bemerkung 14.(i) gilt e G. Sei a G. Dann gilt e a = e a = a. Weiter gilt a 1 G und a 1 a = a 1 a = e. Lemma 17. Für jede Familie (G i ) i I von Untergruppen von G mit I ist i I G i eine Untergruppe von G. Beweis. Seien a, b i I G i. Für jedes i I gilt ab G i und a 1 G i, da G i Untergruppe von G. Dies zeigt ab i I G i und a 1 i I G i. Beispiel 18. G 1 = {k 2 : k Z} und G 2 = {k 3 : k Z} sind Untergruppe von G = Z bezüglich der Addition. Es gilt G 1 G 2 = {k 6 : k Z}. Ferner gilt 2, 3 G 1 G 2, aber ( 2) + 3 = 1 / G 1 G 2. Somit ist G 1 G 2 keine Untergruppe von G. Definition 19. Zu G 0 G sei G = {G : G Untergruppe von G, G 0 G }. Dann heißt G G G die von G 0 erzeugte Untergruppe von G. Notation: G 0 = G. Bemerkung 20. In obiger Situation gilt und für jede Untergruppe G von G G G G 0 G 0 G G 0 G G 0 G. Bezüglich der Mengeninklusion ist G 0 also die kleinste Untergruppe von G, die G 0 enthält. Beispiel 21. Für G = Q mit der Addition und G 0 = {1} gilt G 0 = Z. Wir zeigen. Es gilt 1 Z. Beispiel 15.(i) sichert G 0 Z. Wir zeigen. Es gilt { 1, 0, 1} G 0. Iterierte Addition von 1 bzw. 1 zeigt Z G 0. Hier versteckt sich ein Induktionsargument, siehe Abschnitt II.2.

21 I.4. Gruppen und Körper 17 Körper Definition 22. Eine Menge K, versehen mit Verknüpfungen + : K K K Addition : K K K Multiplikation heißt Körper, falls folgendes gilt: (i) (K, +) ist eine kommutative Gruppe. (ii) Sei 0 das neutrale Element in (K, +). Für K = K \ {0} gilt a, b K : a b K, und (K, ) ist eine kommutative Gruppe. (iii) a, b, c K : ( a (b + c) = a b + a c (a + b) c = a c + b c ) (Distributivität). Notation: Stets 0 für das neutrale Element und a für das zu a K inverse Element in (K, +). Stets 1 für das neutrale Element und a 1 oder 1/a für das zu a K inverse Element in (K, ). Oft ab statt a b. Kurz: a b statt a + ( b) für a, b K, und a/b statt a b 1 für a K und b K. Konvention: bindet stärker als +. Bemerkung 23. In jedem Körper gilt 0 1 per definitionem. Beispiel 24. Körper sind (i) Q mit der üblichen Addition und Multiplikation, (ii) K = {0, 1} mit der Addition gemäß Beispiel 3 und der Multiplikation Hier gilt = Elementare Eigenschaften von Körpern Im Folgenden sei K ein Körper. Lemma 25. Für a, b, c K gilt (i) 0 a = a 0 = 0, (ii) a b = 0 a = 0 b = 0,

22 I.4. Gruppen und Körper 18 (iii) a ( b) = ( a) b = (ab), (iv) ( a) ( b) = ab, (v) a b = a c a 0 b = c, (vi) a 0 ( 1 x K : a x = b). Beweis. ad (i): Es gilt a = 0 a = (0 + 0) a = 0 a + 0 a. Lemma 12.(ii) sichert 0 = 0 a. Ebenso zeigt man 0 = a 0. ad (ii): Zu zeigen ist a 0 b 0 a b 0. Dies folgt aus (ii) in Definition 22. ad (iii): Mit (i) ergibt sich a b + a ( b) = a (b + ( b)) = a 0 = 0. Satz 10 sichert (a b) = a ( b). Ebenso folgt (a b) = ( a) b. ad (iv): Mit (iii) und Lemma 12.(iii) ergibt sich ( a) ( b) = (a ( b)) = ( (a b)) = a b. ad (v): Aus a b = a c folgt mittels (iii) Wende (ii) an. a (b c) = a b + a ( c) = a b a c = 0. ad (vi): Gelte b = 0. Dann ist x = 0 gemäß (i) und (ii) die eindeutig bestimmte Lösung von a x = b. Gelte b 0. Dann ist x = a 1 b gemäß Lemma 12.(vi) die eindeutig bestimmte Lösung von ax = b in K. Wegen (i) ist x = 0 keine Lösung dieser Gleichung. Bemerkung 26. Wegen Lemma 25.(i) ist die Multiplikation assoziativ und kommutativ auf K, und es gilt a K : 1 a = a, aber 0 besitzt kein multiplikatives Inverses. Punktweise Addition und Multiplikation von Funktionen Im Folgenden sei X eine Menge. Definition 27. Auf K X sind Addition und Multiplikation wie folgt definiert. Für f, g K X und x X gilt (f + g)(x) = f(x) + g(x) und (f g)(x) = f(x) g(x). Sprechweise: punktweise Addition bzw. Multiplikation.

23 I.4. Gruppen und Körper 19 Lemma 28. (i) (K X, +) ist eine kommutative Gruppe mit 0 K X als neutralem Element. (ii) Die Multiplikation ist assoziativ und kommutativ auf K X, und für 1 K X gilt f K X : 1 f = f. (iii) Es gelten die Distributivgesetze. (iv) Für alle f K X gilt ( g K X : g f = 1 ) ( x X : f(x) 0 ). Beweis. Tutorium 2.1. Notation: kurz f g statt f + ( g) für f, g K X und f/g statt f h für f K X und g K X, falls g(x) 0 und h(x) = (g(x)) 1 für alle x X. Literatur. [Fi, 1.2 und 1.3] und [Fo1, 2].

24 Kapitel II Die reellen Zahlen Im Zentrum dieses Kapitels stehen die axiomatische Beschreibung der reellen und der natürlichen Zahlen und der Grenzwertbegriff; wir verweisen dazu insbesondere auf [Fo1], [AE] und [H1]. 1 Angeordnete Körper Definition 1. K heißt angeordneter Körper, falls K ein Körper ist und eine Menge P K mit folgenden Eigenschaften existiert: (i) Für alle x K gilt genau eine der Aussagen x P, x = 0, x P, (ii) x, y K : ( x P y P x + y P ), (iii) x, y K : ( x P y P x y P ). Ferner heißt x K positiv (negativ), falls x P ( x P ). Im Folgenden bezeichnet K einen angeordneten Körper. Definition 2. Die Relationen größer (>), kleiner (<), größer (oder) gleich ( ), kleiner (oder) gleich ( ) auf K sind definiert durch x > y, falls x y P, x < y, falls y > x, x y, falls x > y x = y, x y, falls y x, für x, y K. Ferner heißt x K nicht-negativ (nicht-positiv), falls x 0 (x 0). Lemma 3. Seien x, y, z K. (i) Es gilt genau eine der Aussagen x > y, x = y, x < y. (ii) x < y y < z x < z. 20

25 II.1. Angeordnete Körper 21 Beweis. ad (i): Setze z = x y. Beachte y x = z und wende (i) aus Definition 1 an. ad (ii): Aus y x > 0 und z y > 0 folgt z x > 0 mit (ii) aus Definition 1. Bemerkung 4. Mit Lemma 3 folgt, daß und totale Ordnungen auf K sind. Beispiel 5. (i) K = Q ist ein angeordneter Körper. (ii) K = {0, 1} mit den Operationen aus Beispiel I.4.24.(ii) ist kein angeordneter Körper. Es gilt nämlich 1 = 1 0, so daß (i) aus Definition 1 nicht erfüllt ist. Lemma 6. Für x, y, a, b K gilt (i) x < y a + x < a + y, (ii) x < y x > y, (iii) x < y a < b x + a < y + b, (iv) x < y a > 0 ax < ay, (v) 0 x < y 0 a < b ax < by, (vi) x < y a < 0 ax > ay, (vii) x 0 x 2 > 0, (viii) x > 0 x 1 > 0, (ix) 0 < x < y 0 < y 1 < x 1. Beweis. Siehe [Fo1, S ]. Wir zeigen hier nur (iii). Mit (i) folgt x + a < y + a und y + a < y + b. Lemma 3.(ii) sichert x + a < y + b. Bemerkung 7. Lemma 6.(ii) und (vii) zeigen insbesondere: (i) 1 > 0. (ii) Die Gleichung x 2 = 1 besitzt keine Lösung in K. Maximum, Minimum und Betrag Definition 8. Maximum und Minimum von x, y K und der (Absolut)Betrag von x K sind definiert durch { { x, falls x y, x, falls x y, max(x, y) = min(x, y) = y, falls y > x, y, falls y < x, und x = { x, falls x 0, x, falls x < 0.

26 II.1. Angeordnete Körper 22 Satz 9. Für x, y K gilt (i) x 0, (ii) x = 0 x = 0, (iii) x + y x + y (Dreiecksungleichung), (iv) x y = x y Beweis. ad (i), (ii): Für x = 0 gilt x = x = 0, für x > 0 gilt x = x > 0 und für x < 0 gilt x = x > 0, siehe Lemma 6.(ii). Wir bemerken ergänzend, daß x x und x x. ad (iii): Aus x x und y y folgt mit Lemma 6.(iii) x + y x + y. Ebenso folgt aus x x und y y, daß Fazit x + y x + y. ad (iv): Siehe [Fo1, S. 30]. Korollar 10. Für x, y K gilt (i) x = x, (x + y) = x y x + y. (ii) x y x y, (umgekehrte Dreiecksungleichung), (iii) y 0 x/y = x / y. Beweis. ad (i): Verwende Satz 9.(iv). ad (ii): Mit Satz 9.(iii) ergibt sich x = x y + y x y + y, so daß Ebenso folgt x y x y. ( x y ) = y x x y. ad (iii): Mit Satz 9.(iv) ergibt sich x = x/y y = x/y y. Multiplikation mit y 1 liefert die Behauptung. Wir definieren 2 =

27 II.2. Die natürlichen Zahlen 23 Bemerkung 11. Für x, y K gilt (i) x = max(x, x), (ii) max(x, y) = 1 (x + y + x y ), 2 (iii) min(x, y) = 1 (x + y x y ), 2 (iv) min(x, y) = max( x, y). Beweis. Übung. Beschränkte Mengen und Funktionen Definition 12. A K heißt 1 (i) nach oben beschränkt, falls c K existiert, so daß (ii) nach unten beschränkt, falls c K existiert, so daß a A : a c, (1) a A : a c, (2) (iii) beschränkt, falls A nach oben und nach unten beschränkt ist. Die Menge aller c K mit (1) bzw. (2) heißt Menge der oberen bzw. unteren Schranken von A. Bemerkung 13. A K ist genau dann beschränkt, wenn c K existiert, so daß a A : a c. Definition 14. Sei X eine Menge. Dann heißt f : X K nach oben beschränkt, (nach unten beschränkt), (beschränkt), falls f(x) diese Eigenschaft besitzt. Literatur. [Fo1, 3]. 2 Die natürlichen Zahlen Im Folgenden sei K ein angeordneter Körper. 1 Beschränktheit nach oben bzw. unten analog für Teilmengen partiell geordneter Mengen.

28 II.2. Die natürlichen Zahlen 24 Induktive Mengen Definition 1. M K heißt induktiv, falls (i) 1 M, (ii) x K : (x M x + 1 M). Beispiel 2. Die Mengen K und {x K : x 1} sind induktiv. Setze I = {M K : M induktiv} und, vergleiche Definition I.4.19, N = M. M I Lemma 3. (i) N I, (ii) M I N M. Beweis. Nach Definition gilt für alle x K x N ( M I : x M). ad (i): Für alle M I gilt 1 M, also 1 N. Sei n N. Dann folgt n + 1 M für alle M I, also n + 1 N. ad (ii): klar. Bemerkung 4. Lemma 3 zeigt: N ist bezüglich der Mengeninklusion die kleinste induktive Teilmenge von K. Beispiel 2 zeigt n N : n 1. (1) Für y K sei ]y, y + 1[ = {x K : y < x < y + 1}. Bemerkung 5. Es gilt (y + (y + 1))/2 ]y, y + 1[ und insbesondere ]y, y + 1[. Satz 6. Für alle n N gilt Beweis. Setze Wir zeigen ]n, n + 1[ N =. M 1 = {1} {x K : x 2}. N M 1, (2) indem wir nachweisen, daß M 1 induktiv ist und dann Lemma 3 verwenden. Offenbar gilt 1 M 1. Sei x M 1, also x = 1 oder x 2. Für x = 1 gilt x + 1 = 2 2, und für x 2 gilt x > 2.

29 II.2. Die natürlichen Zahlen 25 Wir zeigen ]1, 2[ N =. (3) Für n N gilt n = 1 oder n 2, siehe (2), so daß 1 < n < 2 nicht erfüllt ist. Setze M 2 = {n N : n 1 N {0}}. Wir zeigen M 2 = N, (4) indem wir nachweisen, daß M 2 induktiv ist und dann Lemma 3 und M 2 N verwenden. Offenbar gilt 1 M 2. Sei n M 2. Dann gilt n + 1 N und n = n N N {0}. Setze M 3 = {n N : ]n, n + 1[ N = }. Wie oben zeigen wir M 3 = N und damit die Behauptung des Satzes. Gemäß (3) gilt 1 M 3. Sei n M 3. Dann gilt n + 1 N. Annahme: es existiert m N mit n + 1 < m < n + 2. Es folgt n < m 1 < n + 1 und m 1 N {0}, siehe (4). Bemerkung 4 sichert m 1 > 0, also m 1 N, im Widerspruch zu n M 3. Die Peano-Axiome Wir definieren die Nachfolgerfunktion ν : N N durch ν(n) = n + 1. Satz 7. Es gilt (i) ν ist injektiv, (ii) 1 / ν(n), (iii) M N : (M I M = N). Beweis. ad (i): klar, da (K, +) eine Gruppe ist. ad (ii): Annahme: für n N gilt n + 1 = 1. Dann folgt n = 0, im Widerspruch zu (1). ad (iii): folgt direkt aus Lemma 3.(ii).

30 II.2. Die natürlichen Zahlen 26 Die Eigenschaften aus Satz 7 sind genau die Axiome, die die natürlichen Zahlen charakterisieren, siehe [AE, I.5]. Axiome der natürlichen Zahlen (Peano-Axiome) : Die natürlichen Zahlen sind eine Menge N mit einem ausgezeichneten Element e N und einer Abbildung ν : N N, so daß (i) ν injektiv, (ii) e / ν(n), (iii) M N : ( e M n N : (n M ν(n) M) M = N ). Wir identifizieren N mit N, 1 mit e und die Nachfolgerfunktion mit ν. Fortan betrachten wir also N stets als Teilmenge eines gegebenen angeordneten Körpers. Wir definieren sowie N 0 = N {0} Z = N 0 {x K : x N}. Vollständige Induktion Satz 8. Sei (A(n)) n n0 mit n 0 Z eine Folge von Aussagen. Gelte (i) A(n 0 ) und (ii) n n 0 : (A(n) A(n + 1)). Dann gilt n n 0 : A(n). Beweis. Setze M = {n N : A(n + n 0 1) ist wahr}. Dann sichert Axiom (iii), daß M = N. Die Aussage von Satz 8 ist das Beweisprinzip der vollständigen Induktion. Axiom (iii) ermöglicht auch die rekursive Definition von Folgen, siehe [AE, I.5]. Wir studieren dies nur anhand von Beispielen. Beispiel 9. Sei eine assoziative Verknüpfung auf X. Für eine Folge (x k ) k n0 in X sei (p n ) n n0 definiert durch (i) p n0 = x n0, (ii) p n+1 = p n x n+1 für n n 0. Suggestive Schreibweise p n = x n0 x n. Notation p n = n k=n 0 x k, falls Addition, und p n = n k=n 0 x k, falls Multiplikation. Ebenso p n = max n0 k n x k und p n = min n0 k n x k, falls X angeordneter Körper und = max bzw. = min. Speziell: X = N mit der Addition oder Multiplikation, n 0 = 1 und x k = k. Dann ist p n die Summe bzw. das Produkt der ersten n natürlichen Zahlen.

31 II.2. Die natürlichen Zahlen 27 Satz 10. Für alle n N gilt n k = k=1 n(n + 1). 2 Beweis. Vollständige Induktion. Induktionsanfang (-verankerung). Für n = 1 gilt n k = 1 k=1 und n(n + 1) = 1, 2 also n k=1 k = n(n + 1)/2. Induktionsschluß (-schritt). Sei n N und gelte die Induktionsannahme (-voraussetzung) n n(n + 1) k =. 2 Nach Definition gilt k=1 n+1 k = k=1 Mit der Induktionsvoraussetzung folgt n k + n + 1. k=1 n+1 k = k=1 n(n + 1) 2 + n + 1 = (n + 1)(n + 2). 2 Im Folgenden sei K ein beliebiger Körper. Definition 11. Für x K und n N 0 sind die Potenzen x n definiert durch x 0 = 1 und für n N 0. x n+1 = x n x Satz 12 (Geometrische Summe). Für x K \ {1} und n N 0 gilt n k=0 x k = xn+1 1 x 1.

32 II.2. Die natürlichen Zahlen 28 Beweis. Induktionsanfang: Für n = 0 gilt n x k = x 0 = 1 = xn+1 1 x 1. k=0 Induktionsschluß: Sei n N 0 und gelte n n+1 x k = k=0 n k=0 x k + x n+1 = xn+1 1 x 1 k=0 xk = xn+1 1 x 1 + xn+1 (x 1) x 1. Dann folgt = xn+2 1 x 1. Korollar 13. Für n N 0 gilt Definition 14. n 2 k = 2 n+1 1. k=0 (i) Für n N 0 ist n! (Lies: n-fakultät) definiert durch 0! = 1 und für n N 0. (n + 1)! = n! (n + 1) (ii) Für n N 0 und k {0,..., n} sind die Binomialkoeffizienten ( n k) (Lies: n über k) definiert durch ( ) n = k Lemma 15. Sei n N 0. Dann ( ) ( ) n n (i) = = 1, 0 n ( ) ( ) n n (ii) für k {0,..., n} gilt =, k n k ( ) ( ) n + 1 n (iii) für k {1,..., n} gilt = k k 1 Stichwort: Pascalsches Dreieck. Beweis. ad (i), (ii): klar. ad (iii): Es gilt ( ) n + k 1 ( ) n = k = n! k!(n k)!. + ( ) n k n! (k 1)!(n k + 1)! + n! k!(n k)! ( n + 1 n! (k + n k + 1) = k!(n k + 1)! k ).

33 II.2. Die natürlichen Zahlen 29 Bemerkung 16. Für Familien (a k ) 1 k n und (b k ) 1 k n in K gilt (i) n k=1 (a k + b k ) = n k=1 a k + n k=1 b k, (ii) Π n k=1 (a k b k ) = Π n k=1 a k Π n k=1 b k, (iii) ( n k=1 a k) ( n k=1 b k) = n k=1 n l=1 a k b l. Beweise jeweils durch vollständige Induktion. Verwende bei (i) (und (ii)) die Assoziativität und Kommutativität der Addition (bzw. der Multiplikation). Verwende bei (iii) überdies die Distributivität. Satz 17 (Binomische Formel). Für alle x, y K und n N 0 gilt (x + y) n = n k=0 ( ) n x k y n k. (5) k Beweis. Für n = 0 gilt (x + y) n = 1 = n 1 = k=0 n k=0 ( ) n x k y n k. k Sei n N 0, und gelte (5). Dann ergibt sich mit Bemerkung 16 ( n ( ) ) n (x + y) n+1 = (x + y) n (x + y) = x k y n k (x + y) k k=0 n ( ) n n ( ) n = x k+1 y n k + x k y n+1 k k k k=0 k=0 n+1 ( ) n n ( ) n = x k y n+1 k + x k y n+1 k k 1 k k=1 k=0 n ( ) n n ( ) n = x k y n+1 k + x n+1 + x k y n+1 k + y n+1. k 1 k k=1 Mit Lemma 15.(iii) folgt (x + y) n+1 = n ( ) n + 1 n+1 ( ) n + 1 x k y n+1 k + x n+1 + y n+1 = x k y n+1 k. k k k=1 k=1 k=0 Satz 18. Für x, y K und m, n N 0 gilt (i) x n x m = x n+m, (ii) (x n ) m = x n m, (iii) x n y n = (x y) n.

34 II.3. Mächtigkeit von Mengen 30 Beweis. Vollständige Induktion, Übung. Definition 19. Für x K \ {0} sei y K \ {0} das zu x inverse Element bzgl. der Multiplikation. Dann sind für n N die Potenzen x n definiert durch 2 x n = y n. Satz 20. Für x, y K \ {0} und m, n Z gelten (i) (iii) aus Satz 18. Beweis. Übung. Im Folgenden sei K (wieder) ein angeordneter Körper. Satz 21 (Bernoullische Ungleichung). Für x 1 und n N 0 gilt Beweis. Für n = 0 gilt (1 + x) n 1 + nx. (1 + x) n = n x. Sei n N 0 und gelte (1 + x) n 1 + nx. Da 1 + x 0 und nx 2 0, folgt (1 + x) n+1 = (1 + x) n (1 + x) (1 + nx) (1 + x) = 1 + nx + x + nx 2 = 1 + (n + 1) x + nx (n + 1) x. Bemerkung 22. Bezüglich der Addition ist Z die von {1} erzeugte Untergruppe von K, vgl. Beispiel I Beweis Tutorium 3.2. Literatur. [H1, 6], [AE, I.5], [Fo1, 1 und S. 28, 29]. 3 Mächtigkeit von Mengen Im Folgenden bezeichnen X, Y Mengen. Endliche Mengen und ihre Mächtigkeit Definition 1. X heißt endlich, falls X = oder falls es ein n N und eine Bijektion von {1,..., n} auf X gibt. X heißt unendlich, falls X nicht endlich ist. Bemerkung 2. Teilmengen endlicher Mengen sind endlich. Beweis Übung. Bemerkung 3. Wie im Beweis von Satz I.3.19 (Umkehrabbildung) zeigt man für ϕ Y X (i) ϕ injektiv ( ψ X Y : ψ ϕ = id X ), (ii) ϕ surjektiv ( ψ X Y : ϕ ψ = id Y ). 2 Für n = 1 konsistent mit der Notation für das multiplikative Inverse. Also kurz x n = (x 1 ) n.

35 II.3. Mächtigkeit von Mengen 31 Lemma 4. (i) Für n N und ϕ : {1,..., n} {1,..., n} gilt ϕ injektiv ϕ surjektiv ϕ bijektiv. (ii) Für n, m N existiere eine Bijektion von {1,..., m} auf {1,..., n}. Dann folgt n = m. Beweis. ad (i): Setze X = {1,..., n}. Wir zeigen zunächst n N ϕ X X : (ϕ injektiv ϕ bijektiv) (1) per Induktion. Für n = 1 ist die Aussage klar. Setze X = {1,..., n + 1} für n N. Sei ϕ : X X injektiv. Setze k = ϕ (n + 1), und definiere τ : X X durch n + 1, falls l = k, τ (l) = k, falls l = n + 1, l, sonst. Offenbar gilt τ ϕ (n + 1) = n + 1, und τ ist bijektiv. Somit ist ψ : X X mit ψ(l) = τ ϕ (l) für l X wohldefiniert und injektiv, also nach Induktionsannahme bijektiv. Setze ψ durch ψ (n + 1) = n + 1 zu einer Abbildung ψ : X X fort. Diese ist bijektiv, und es gilt τ ψ = ϕ, so daß auch ϕ bijektiv ist. Dies zeigt (1). Mit Bemerkung 3 folgt aus (1), daß n N ϕ X X : (ϕ surjektiv ϕ bijektiv). ad (ii): Sei n < m, und sei ϕ : {1,..., m} {1,..., n} bijektiv. Setze ψ = ϕ {1,...,n}. Dann ist ψ injektiv, und (i) sichert die Bijektivität von ψ. Für k = ϕ(m) {1,..., n} existiert somit l {1,..., n} mit ψ(l) = k. Da ϕ(l) = ψ(l), ergibt sich ein Widerspruch. Bemerkung 5. Lemma 4.(ii) sichert für endliche Mengen X, daß n gemäß Definition 1 eindeutig bestimmt ist. Definition 6. Die Mächtigkeit X einer endlichen Menge X ist definiert durch { 0, falls X =, X = n, falls n N und eine Bijektion von {1,..., n} auf X existieren. Sprechweise: X n-elementig, falls X = n. Bemerkung 7. Seien X und Y endlich. Dann sind X Y und X Y endlich. Ferner gilt X Y = X Y und, falls X und Y außerdem disjunkt sind, Beweis Übung. X Y = X + Y.

36 II.3. Mächtigkeit von Mengen 32 Definition 8. Die Menge aller Teilmengen von X heißt die Potenzmenge von X. Notation: P(X). Satz 9. Sei X endlich mit n = X. Dann gilt: (i) P(X) ist endlich mit P(X) = 2 n. (ii) Für k {0,..., n} ist M k = {A X : A = k} endlich mit M k = ( n k). (iii) Die Menge M = {f X X : f bijektiv} ist endlich mit M = n!. Beweis. Jeweils durch vollständige Induktion. Details Übung. Unendliche Mengen und Gleichmächtigkeit Beispiel 10. Wie im Beweis von Lemma 4.(ii) zeigt man: N ist eine unendliche Menge. Definition 11. X und Y heißen gleichmächtig, falls es eine Bijektion von X auf Y gibt. Notation: X Y. X heißt abzählbar unendlich, falls X N gilt. X heißt abzählbar, falls X endlich oder abzählbar unendlich ist. X heißt überabzählbar, falls X nicht abzählbar ist. Bemerkung 12. Für jede Menge X ist eine Äquivalenzrelation auf P(X). Satz 13. (i) Teilmengen abzählbarer Mengen sind abzählbar. (ii) Abzählbare Vereinigungen abzählbarer Mengen sind abzählbar. (iii) Endliche kartesische Produkte abzählbarer Mengen sind abzählbar. Beweis. ad (i): Wir betrachten den nicht-trivialen Fall einer abzählbar unendlichen Menge X und einer unendlichen Menge Y X. Also existiert eine Bijektion ϕ : X N. Die durch ψ(y) = {z Y : ϕ(z) ϕ(y)} definierte Abbildung ψ : Y N leistet das Verlangte. ad (ii), (iii): Tafelskizze [AE, S. 53, 54]. Korollar 14. Z und Q sind abzählbar. Beweis. Es gilt Z = N 0 { n : n N} und Q = n N{k/n : k Z}. Verwende Satz 13.(ii). Satz 15. Es existiert keine Surjektion von X auf P(X).

37 II.4. Archimedisch angeordnete Körper 33 Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall X und nehmen an, daß ϕ : X P(X) surjektiv ist. Setze A = {x X : x ϕ(x)}. Der Annahme nach existiert y X mit ϕ(y) = A. Aus y A ergibt sich der Widerspruch y ϕ(y) = A. Aus y A ergibt sich der Widerspruch y ϕ(y) = A. Korollar 16. Die Menge P(N) ist überabzählbar. Definition 17. Für X und A X heißt 1 A : X {0, 1}, definiert durch { 1, falls x A, 1 A (x) = 0, falls x A, die Indikatorfunktion (charakteristische Funktion) von A. Bemerkung 18. Für X ist ϕ : P(X) {0, 1} X, definiert durch eine Bijektion. ϕ(a) = 1 A, Korollar 19. Die Menge {0, 1} N aller binären Folgen ist überabzählbar. Literatur. [AE, I.6], [SS, 4.4] und [Fo1, 9]. 4 Archimedisch angeordnete Körper Im Folgenden sei K ein angeordneter Körper. Definition 1. K heißt archimedisch, falls für alle x, y K gilt Beispiel 2. Q ist archimedisch. x, y > 0 ( n N : nx > y). (1) Bemerkung 3. Es existieren angeordnete Körper, die nicht archimedisch sind, siehe [Fo1, S. 31]. Im Folgenden sei K ein archimedisch angeordneter Körper. Bemerkung 4. Für jedes ε K mit ε > 0 gilt n N : 1/n < ε. Dies folgt aus (1) mit x = 1 und y = 1/ε zusammen mit Lemma 1.6.(iv). Satz 5. Sei b K. (i) Falls b > 1, gilt für alle c K n N : b n > c.

38 II.5. Konvergenz von Folgen 34 (ii) Falls 0 < b < 1, gilt für alle ε K mit ε > 0 n N : b n < ε. Beweis. ad (i): Wir betrachten den nicht-trivialen Fall c > 1. Setze x = b 1. Dann gilt x > 0, und Satz 2.21 (Bernoullische Ungleichung) sichert b n 1 + nx für alle n N. Wende (1) mit y = c 1 an. ad (ii): Verwende siehe Lemma 1.6.(ix), und Aussage (i). Satz 6. Für jedes x K gilt b n < ε (1/b) n > 1/ε, 1 n Z : n x < n + 1. Beweis. Existenz : Per Induktion ergibt sich (in beliebigen angeordneten Körpern) m N x K : (0 x < m n N 0 : n x < n + 1). Da K archimedisch ist, folgt die Existenzaussage für alle x 0. Für x < 0 betrachtet man x und wendet das bereits Bewiesene an. Eindeutigkeit : Annahme: Es existieren n, n Z mit n n, so daß n x < n + 1 und n x < n + 1. Wir können ohne Einschränkung n < n voraussetzen. Setze m = n n + 1. Dann gilt m > 1 und m Z, also m 2 nach Satz 2.6. Dies zeigt n n 1. Man erhält und schließlich den Widerspruch x < x. Literatur. [Fo1, 3]. n + 1 n x 5 Konvergenz von Folgen Im Folgenden sei K ein archimedisch angeordneter Körper. Erinnerung: Folgen in K, kurz K-wertige Folgen, sind Abbildungen a : N K. Notation üblicherweise (a n ) n N oder (a n ) n, wobei a n = a(n). Die nachstehenden Definitionen und Ergebnisse gelten analog für Folgen mit Indexmengen der Form {n Z : n k} für k Z.

39 II.5. Konvergenz von Folgen 35 Beispiel 1. (i) (a n ) n = (x) n mit x K (konstante Folge), (ii) (a n ) n = (1/n) n, (iii) (a n ) n = (n/2 n ) n, (iv) (a n ) n = (x n ) n mit x K. Im Folgenden seien (a n ) n, (b n ) n und (c n ) n K-wertige Folgen. Definition 2. (a n ) n heißt konvergent, falls a K existiert, so daß Andernfalls heißt (a n ) n divergent. ε > 0 n 0 N n n 0 : a n a < ε. (1) Gilt (1), so heißt a Grenzwert der Folge (a n ) n, und (a n ) n heißt konvergent gegen a. Satz 3. Jede Folge besitzt höchstens einen Grenzwert. Beweis. Seien a, a K mit a < a. Setze ε = a a /2 sowie A = {x K : x a < ε}, A = {x K : x a < ε}. Wir zeigen A A =. Annahme: es existiert x A A. Dann folgt mit Satz 1.9.(iii) (Dreiecksungleichung) 2 ε = a a a x + x a < 2 ε. Widerspruch, da ε > 0. Annahme: es existieren n 0, n 0 N mit ( n n 0 : a n a < ε) ( n n 0 : a n a < ε). Für n = max(n 0, n 0) folgt a n A A. Widerspruch. Notation: Statt (1) schreibt man auch lim n a n = a oder lim n a n = a. Bemerkung 4. (a n ) n ist genau dann divergent, wenn a K ε > 0 n 0 N n n 0 : a n a ε. Beispiel 5. Wir betrachten die Folgen (i), (ii) und (iv) aus Beispiel 1. (i) Hier gilt a n x = 0 < ε für alle n N und ε > 0, so daß lim n x = x.

40 II.5. Konvergenz von Folgen 36 (ii) Sei ε > 0. Bemerkung 4.4. sichert die Existenz von n 0 N mit 0 < 1/n 0 < ε. Für n n 0 gilt 0 < 1/n 1/n 0 und somit 1/n 0 < ε. Fazit lim 1/n = 0. n (iv) Wir betrachten den Fall x < 1. Sei ε > 0. Satz 4.5.(ii) sichert die Existenz von n 0 N mit x n 0 < ε. Per Induktion folgt x n < ε für alle n n 0. Fazit: lim n x n = 0. Im Fall x = 1 gilt lim n x n = 1, siehe (i). Sei x = 1. Für a 0 und ungerade n N gilt Für a < 0 und gerade n N gilt ( 1) n a = 1 a = 1 + a 1. ( 1) n a = 1 a = 1 a 1. Gemäß Bemerkung 4 ist (x n ) n divergent. Der Fall x > 1 wird in Beispiel 12 behandelt. Definition 6. (a n ) n heißt Nullfolge, falls lim n a n = 0. Konvergenz und Beschränktheit Wir studieren Beziehungen zwischen Konvergenz und Beschränktheit, siehe Definition 1.14 mit X = N, und greifen dies später mit Satz 6.18 wieder auf. Lemma 7. Sei (a n ) n eine Nullfolge, und gelte Dann ist (b n ) n eine Nullfolge. c > 0 n N : b n c a n. Beweis. Sei ε > 0. Nach Voraussetzung existiert n 0 N, so daß a n < ε/c für alle n n 0. Für n n 0 folgt b n c a n < ε. Lemma 8. Ist (b n ) n beschränkt und (a n ) n eine Nullfolge, so ist (a n b n ) n eine Nullfolge. Beweis. Sei c > 0, so daß b n c für alle n N. Dann folgt für alle n N. Wende Lemma 7 an. a n b n c a n

41 II.5. Konvergenz von Folgen 37 Beispiel 9. Wir betrachten die Folge aus Beispiel 1.(iii). Für n N gilt Per Induktion zeigt man n/2 n = n 2 /2 n 1/n. n 4 : n 2 2 n, woraus die Beschränktheit von (n 2 /2 n ) n folgt. Wende Beispiel 1.(ii) und Lemma 8 an, um lim n n/2 n = 0 zu erhalten. Satz 10. Jede konvergente Folge ist beschränkt. Beweis. Gelte lim n a n = a. Folglich existiert n 0 N mit Für n n 0 folgt n n 0 : a n a < 1. a n a n a + a < 1 + a. Setze c = max ( a 1,..., a n0 1, 1 + a ). Dann folgt a n c für alle n N. Bemerkung 11. Beispiel 5.(iv) mit x = 1 zeigt, daß die Beschränktheit nicht hinreichend für die Konvergenz ist. Beispiel 12. Wir betrachten die Folge aus Beispiel 4.(iv) im Fall x > 1. Satz 4.5.(i) zeigt, daß (x n ) n unbeschränkt ist. Nach Satz 10 ist diese Folge somit divergent. Rechenregeln für konvergente Folgen Wir untersuchen nun Summen, Produkte und Quotienten konvergenter Folgen und behandeln in Satz 15 die geometrische Reihe, siehe Beispiel 7.3. Satz 13. Seien (a n ) n und (b n ) n konvergent. Dann sind (a n + b n ) n und (a n b n ) n konvergent, und es gilt lim n (a n + b n ) = lim n a n + lim n b n, lim n (a n b n ) = lim n a n lim n b n. Beweis. Seien a = lim n a n und b = lim n b n. Für n N gilt ab a n b n ab ab n + ab n a n b n a b b n + b n a a n. Gemäß Satz 10 existiert c > 0 mit Sei ε > 0. Dann existiert n 0 N mit n N : ( b n < c a < c ). n n 0 : ( b b n < ε/(2c) a a n < ε/(2c)).

42 II.5. Konvergenz von Folgen 38 Fazit: Für n n 0 gilt ab a n b n < c ε/(2c) + c ε/(2c) = ε. Die Aussage für die Summenfolge ist einfacher zu beweisen; Ausgangspunkt ist dazu a + b (a n + b n ) a a n + b b n. Korollar 14. Sei (a n ) n konvergent, und sei α K. Dann ist (α a n ) n konvergent, und es gilt lim n (α a n ) = α lim n a n. Beweis. Wende Satz 13 mit b n = α und Beispiel 5.(i) an. Satz 15. Für x K und n N 0 sei s n = n x k. k=0 Falls x < 1, konvergiert (s n ) n, und es gilt Falls x 1, ist (s n ) n divergent. lim n s n = 1 1 x. Beweis. Sei x = 1. Dann gilt s n = n + 1. Mit (4.1) und Satz 10 folgt die Divergenz von (s n ) n. Sei x 1. Dann gilt s n = 1 x 1 (xn+1 1), siehe Satz 2.12 (geometrische Summe). Satz 13 und Korollar 14 zeigen (s n ) n konvergent (x n ) n konvergent. Konvergenz liegt genau dann vor, wenn x < 1, siehe Beispiele 5.(iv) und 12. Im Fall x < 1 wenden wir nochmals Satz 13 an und erhalten gemäß Beispiel 5.(iv) lim n s n = 1 x 1 (lim n xn+1 1) = 1 1 x. Satz 16. Seien (a n ) n und (b n ) n konvergent, und gelte lim n b n n 1 N, so daß n n 1 : b n 0. Ferner ist (a n /b n ) n n1 konvergent, und es gilt 0. Dann existiert lim n (a n /b n ) = lim n a n / lim n b n.

43 II.5. Konvergenz von Folgen 39 Beweis. Zunächst behandeln wir den Spezialfall a n = 1 für alle n N. Setze b = lim n b n. Nach Voraussetzung existiert n 1 N, so daß n n 1 : b b n < b /2. Für n n 1 folgt mit Korollar 1.10.(ii) (umgekehrte Dreiecksungleichung) b n b b n b b b b n > b /2 > 0. Für n n 1 ergibt sich 1 b 1 b n = 1 b b n b b n 2 b b b n. 2 Hieraus folgt die Behauptung. Im allgemeinen Fall verwendet man a n /b n = a n 1/b n für b n 0 und Satz 13. Vergleichssätze Satz 17. Seien (a n ) n und (b n ) n konvergent mit lim n a n = lim n b n, und gelte n N : a n c n b n. Dann konvergiert (c n ) n, und es gilt lim n c n = lim n a n. Beweis. Für n N gilt c n = c n a n + a n sowie 0 c n a n b n a n. Satz 13 sichert lim n (b n a n ) = 0, und mit Lemma 7 folgt lim n (c n a n ) = 0. Wende nochmals Satz 13 an. Satz 18. Seien (a n ) n und (b n ) n konvergent. Dann gilt ( n N : a n b n ) lim n a n lim n b n. Beweis. Für c n = b n a n gilt c n 0 für alle n N, und (c n ) n ist nach Satz 13 konvergent. Annahme: für c = lim n c n gilt c < 0. Für ε = c/2 > 0 existiert dann n N mit c n c < ε. Es folgt c n c n c + c < c/2 < 0 im Widerspruch zu c n 0. Da b n = a n + c n, ergibt sich lim b n = lim a n + c lim a n n n n wiederum mit Satz 13. Korollar 19. Sei (a n ) n konvergent. Dann gilt ( c 1, c 2 K n N : c 1 a n c 2 ) c 1 lim a n c 2. n Beweis. Wende Satz 18 und Beispiel 5.(i) an.

44 II.5. Konvergenz von Folgen 40 Bemerkung 20. Das Konvergenzverhalten von Folgen wird nicht durch endliche Anfangsstücke bestimmt. Genauer: für Folgen (a n ) n n1 und (b n ) n n2 in K existiere n 3 max(n 1, n 2 ), so daß n n 3 : a n = b n. Dann konvergiert (a n ) n genau dann, wenn (b n ) n konvergiert, und gegebenenfalls gilt lim n a n = lim n b n. Die Voraussetzungen in Lemma 7, Satz 17, Satz 18 und Korollar 19 können entsprechend abgeschwächt werden. Monotone Folgen Definition 21. (a n ) n heißt (i) monoton wachsend, falls n N : a n a n+1, (ii) monoton fallend, falls ( a n ) n monoton wachsend ist, (iii) monoton, falls (a n ) n monoton wachsend oder monoton fallend ist. Gilt zusätzlich a n a n+1 für alle n N, so spricht man von strenger (strikter) Monotonie. Beispiel 22. Sei a K mit a > 0. Wähle x 0 > 0 und definiere rekursiv { 1/2 (x n + a/x n ), falls x n > 0, x n+1 = 1, sonst, für n N 0. Stichwort: Heron-Verfahren. Beachte, daß x + a/x > 0 für alle x K mit x > 0. Per Induktion ergibt sich (i) n N 0 : x n > 0. Wir zeigen (ii) n N : x 2 n a, (iii) (x n ) n N ist monoton fallend. Sei n N 0. Es gilt x 2 n+1 a = 1/4 (x 2 n + 2a + a 2 /x 2 n 4a) = 1/4 (x n a/x n ) 2 0, woraus (ii) folgt. Mit (i) und (ii) ergibt sich so daß auch (iii) gilt. Setze für n N 0. Mit (i) (iii) folgt x n x n+1 = 1 2x n (x 2 n a) 0, y n = a/x n

45 II.5. Konvergenz von Folgen 41 (iv) n N 0 : y n > 0, (v) n N : y 2 n a, (vi) (y n ) n N ist monoton wachsend, (vii) n N : y n x n. Frage: Konvergenz der Folgen (x n ) n, (y n ) n und (x n y n ) n? Es gilt Da folgt x n+1 y n+1 = x n + y n 2 = 2a = x n + y n 1 2(x n + y n ) (x n y n ) 2. für alle n N. Per Induktion erhält man x n y n x n + y n 1, 0 x n+1 y n+1 1/2 (x n y n ) 0 x n y n (1/2) n 1 (x 1 y 1 ) für alle n N. Lemma 7 und Beispiel 5.(iv) sichern Satz 16 und Korollar 19 zeigen lim n (x n y n ) = (x n + y n ) ((x n + y n ) 2 4a ) (x n ) n konvergent (y n ) n konvergent, und im Fall der Konvergenz gilt für x = lim n x n, daß x > 0 und x = 1/2 (x + a/x), siehe Korollar 19, Satz 13 und Satz 16. Hieraus folgt x 2 = a. (2) Wir betrachten den Spezialfall K = Q und a = 2. Bekanntlich gilt z 2 2 für alle z Q. Fazit: in diesem Fall ist (x n ) n divergent!

46 II.6. Vollständigkeit 42 Bestimmte Divergenz Definition 23. (a n ) n heißt bestimmt divergent 3 gegen, falls und bestimmt divergent gegen, falls c K n 0 N n n 0 : a n > c, c K n 0 N n n 0 : a n < c, Notation 4 : lim n a n = bzw. lim n a n =. Beispiel 24. Durch a n = max(( 1) n n, 0) wird eine nach oben unbeschränkte, und damit divergente Folge definiert, die nicht bestimmt divergent ist. Literatur. [Fo1, 4 6]. 6 Vollständigkeit Im Folgenden sei K ein archimedisch angeordneter Körper. Ferner sei (a n ) n eine Folge in K. Definition 1. (a n ) n heißt Cauchy-Folge, falls ε > 0 n 0 N n, m n 0 : a n a m < ε. (1) Satz 2. Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge. Beweis. Gelte lim n a n = a, und sei ε > 0. Wähle n 0 N, so daß a n a < ε/2 für alle n n 0. Dann folgt für n, m n 0, daß a n a m a n a + a a m < ε. Beispiel 3. Betrachte die Folge (x n ) n gemäß Beispiel 5.22 (Heron-Verfahren). Für n, m N mit m n gilt x n x m = x n x m x n y m x n y n. Sei ε > 0. Da lim n (x n y n ) = 0, existiert n 0 N, so daß x n y n < ε für alle n n 0. Für n, m n 0 ergibt sich x n x m < ε. Fazit: (x n ) n ist eine Cauchy-Folge. Beachte, daß (x n ) n im Fall K = Q und a = 2 nicht konvergiert. Definition 4. K heißt vollständig, falls jede Cauchy-Folge in K konvergiert. Bemerkung 5. Beispiel 3 zeigt, daß Q nicht vollständig ist. 3 Terminologie nicht einheitlich; so auch uneigentlich konvergent. 4 Im Rahmen dieser Vorlesung sind und keine Zahlen.

47 II.6. Vollständigkeit 43 Die reellen Zahlen Axiome der reellen Zahlen. Die Menge R der reellen Zahlen, versehen mit Verknüpfungen + und, ist ein vollständiger archimedisch angeordneter Körper. Korollar 6. Eine Folge in R ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist. Beweis. Verwende Satz 2 und die Vollständigkeit von R. Bemerkung 7. Die reellen Zahlen können als Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen rationaler Zahlen konstruiert werden, siehe [S, 2.2]. Die unterstellte Eindeutigkeitsaussage lautet wie folgt: Seien K 1 und K 2 zwei vollständige archimedisch angeordnete Körper. Dann existiert eine Bijektion ϕ : K 1 K 2, so daß für alle x, y K 1 ϕ(x + y) = ϕ(x) + ϕ(y), ϕ(x y) = ϕ(x) ϕ(y) und x < y ϕ(x) < ϕ(y). Siehe [SS, S. 328]. Bis auf weiteres legen wir fortan den Körper K = R zugrunde. Beispiel 8. Für jedes a R mit a > 0 konvergiert die Folge (x n ) n gemäß Beispiel 3. Für x = lim n x n gilt x > 0 und x 2 = a. Für y > 0 mit y 2 = a gilt woraus y = x folgt. 0 = x 2 y 2 = (x + y) (x y), Fazit: für X = {x R : x 0} ist die Abbildung f : X X : x x 2 bijektiv. Die Zahl f 1 (a) heißt Quadratwurzel, kurz Wurzel von a X. Notation: a. Stichworte: Approximation, Konvergenzgeschwindigkeit. Bemerkung 9. Sei a K mit a > 0 sowie k N mit k 2. Wähle x 0 > 0 und definiere rekursiv x n+1 = 1/k ((k 1) x n + a/x k 1 n ) für n N 0. Dann konvergiert (x n ) n, und x = lim n x n ist die eindeutig bestimmte Lösung von x k = a mit x > 0. Fazit: für X = {x R : x 0} ist die Abbildung f : X X : x x k bijektiv. Die Zahl f 1 (a) heißt k-te Wurzel von a X. Notation: k a. Siehe [Fo1, S. 66].

48 II.6. Vollständigkeit 44 Intervallschachtelungen Definition 10. Für a, b R mit a b heißt [a, b] = {x R : a x b} kompaktes Intervall mit Randpunkten a und b. Definition 11. Eine Folge ([a n, b n ]) n kompakter Intervalle heißt Intervallschachtelung, falls (i) n N : [a n, b n ] [a n+1, b n+1 ], (ii) lim n (b n a n ) = 0. Beispiel 12. In der Situation von Beispiel 5.22 (Heron-Verfahren) ist ([y n, x n ]) n N eine Intervallschachtelung. Stichwort: Einschlußverfahren. Satz 13. Für jede Intervallschachtelung ([a n, b n ]) n existiert genau ein x R, so daß x [a n, b n ] für alle n N. Ferner gilt lim n a n = lim n b n = x. Beweis. Existenz : Wie in Beispiel 3 zeigt man, daß (a n ) n eine Cauchy-Folge ist, so daß die Vollständigkeit von R die Konvergenz der Folge sichert. Setze x = lim n a n. Satz 5.13 (Summenregel) sichert x = lim n b n. Mit Korollar 5.19 (Vergleichssatz) folgt x [a n, b n ] für alle n N. Eindeutigkeit : Für x, y R gelte x, y [a n, b n ] für alle n N. Aus x y b n a n und lim n (b n a n ) = 0 ergibt sich x = y. Der Satz von Bolzano-Weierstraß Definition 14. Sei (n k ) k eine streng monoton wachsende Folge in N. Dann heißt (a nk ) k eine Teilfolge von (a n ) n. a R heißt 5 Häufungswert von (a n ) n, falls eine Teilfolge von (a n ) n existiert, die gegen a konvergiert. Notation: H((a n ) n ) Menge der Häufungswerte von (a n ) n. Bemerkung 15. Ist (a n ) n konvergent, so konvergiert jede Teilfolge von (a n ) n gegen lim n a n. Es folgt H((a n ) n ) = {lim n a n }. Beispiel 16. (i) Für a n = ( 1) n gilt H((a n ) n ) = { 1, 1}. (ii) Für a n = ( 1) n + 1/n gilt H((a n ) n ) = { 1, 1}. (iii) Für a n = n gilt H((a n ) n ) =. (iv) Für a n = n, falls n gerade, und a n = 1/n, falls n ungerade, gilt H((a n ) n ) = {0}. 5 Ebenso als Häufungspunkt bezeichnet, siehe [Fo1, S. 56].

49 II.6. Vollständigkeit 45 Beweis: ist jeweils klar. : ad (i): Jede Teilfolge enthält eine Teilfolge, die konstant 1 oder konstant 1 ist. ad (ii): Aus der Konvergenz von (a nk ) k folgt die Konvergenz von (( 1) n k )k gegen lim k a nk. Wende (i) an. ad (iii): Jede Teilfolge von (a n ) n ist unbeschränkt. ad (iv): Aus der Konvergenz von (a nk ) k folgt, daß {k : n k gerade} endlich ist. Satz 17 (Bolzano-Weierstraß). Für jede beschränkte Folge (a n ) n gilt H((a n ) n ). Beweis. Definiere rekursiv eine Intervallschachtelung ([u k, v k ]) k, so daß k N : {n N : a n [u k, v k ]} unendlich. Voraussetzungsgemäß existieren u 1 v 1 mit n N : a n [u 1, v 1 ]. Sei [u k, v k ] bereits definiert, und sei {n N : a n [u k, v k ]} unendlich. Setze w k = (u k + v k )/2, und definiere { [u k, w k ], falls {n N : a n [w k, v k ]} endlich, [u k+1, v k+1 ] = [w k, v k ], sonst. Gemäß Bemerkung 3.7 folgt {n N : a n [u k+1, v k+1 ]} unendlich. Per Induktion erhält man k N : v k u k = v 1 u 1 2 k 1. Definiere rekursiv eine Teilfolge (a nk ) k von (a n ) n, so daß k N : a nk [u k, v k ]. Setze n 1 = 1. Sei n k bereits definiert. Da {n : a n [u k+1, v k+1 ]} unendlich, existiert n k+1 > n k mit a nk+1 [u k+1, v k+1 ]. Sei ε > 0. Wähle k 0 N mit Für k, l k 0 folgt v 1 u 1 2 k 0 1 < ε. a nk a nl v k0 u k0 < ε. Somit ist (a nk ) k eine Cauchy Folge und gemäß Korollar 6 konvergent. Beschränkte monotone Folgen Satz 18. Jede beschränkte monotone Folge ist konvergent. Beweis. Sei (a n ) n monoton wachsend. Gemäß Satz 17 existiert eine konvergente Teilfolge (a nk ) k von (a n ) n. Setze a = lim k a nk. Satz 5.18 (Vergleichssatz) sichert k N : a nk a.

50 II.7. Konvergenz von Reihen 46 Sei ε > 0. Wähle k 0 N mit k k 0 : a a nk < ε. Setze n 0 = n k0. Für n n 0 existiert k k 0 mit n k n < n k+1. Also a nk a n a nk+1 a. Fazit a a n = a a n a a nk < ε. Ist (a n ) n monoton fallend, so wende man das bereits Bewiesene auf ( a n ) n an. Literatur. [Fo1, 5 und 6]. 7 Konvergenz von Reihen Im Folgenden seien (a n ) n N und (b n ) n N Folgen in R. Die nachstehenden Definitionen und Ergebnisse gelten analog für Folgen mit Indexmengen der Form {n Z : n k} für k Z. Konvergenz Definition 1. Für n N heißt s n = n k=1 die n-te Partialsumme von (a n ) n. Die Partialsummenfolge (s n ) n heißt (unendliche) Reihe mit den Gliedern a n. Notation: k=1 a k = (s n ) n. Im Falle der Konvergenz von (s n ) n schreibt man ebenfalls k=1 a k = lim n s n für den Grenzwert der Reihe. Definition 2. Für x R heißt k=0 xk geometrische Reihe. Beispiel 3. Wir reformulieren Satz Falls x < 1, konvergiert k=0 xk, und es gilt x k = 1 1 x. Falls x 1, ist k=0 xk divergent. k=0 Beispiel 4. Wir zeigen die Konvergenz von k=1 1/(k(k + 1)) gegen den Grenzwert k=1 a k 1 k(k + 1) = 1.

51 II.7. Konvergenz von Reihen 47 Für k N gilt Gemäß Bemerkung 2.16 folgt für n 2 n k=1 1 k(k + 1) = 1 k(k + 1) = 1 k 1 k + 1. n k=1 = n k 1 k + 1 = k=1 n k=2 1 n k k=2 n k=1 n+1 1 k 1 k k=2 1 k 1 n + 1 = 1 1 n + 1. Lemma 5.7 und Beispiel 5.5.(ii) zeigen lim n 1/(n + 1) = 0. Wende Satz 5.13 (Summenregel) an. Satz 5. Seien k=1 a k und k=1 b k konvergent, und sei α R. Dann sind auch k=1 (a k + b k ) und k=1 (α a k) konvergent, und es gilt (a k + b k ) = a k + b k, k=1 k=1 (α a k ) = α k=1 a k. k=1 Beweis. Gemäß Bemerkung 2.16 gilt für jedes n N n (a k + b k ) = k=1 n a k + k=1 n (α a k ) = α k=1 n a k. k=1 k=1 n b k, Wende Satz 5.13 und Korollar 5.14 (Summen- und Produktregel) an. Satz 6 (Cauchy-Kriterium). k=1 a k ist genau dann konvergent, wenn m ε > 0 n 0 N m n n 0 : a k < ε. Beweis. Für die zugehörigen Partialsummen s n und m n gilt s m s n 1 = m k=n a k. Wende Korollar 6.6 (Cauchy-Folgen in R) an. Korollar 7. Aus der Konvergenz von k=1 a k folgt lim n a n = 0. Beweis. Wende Satz 6 mit n = m an. Satz 8. Gelte a n 0 für alle n N. Dann ist die Konvergenz von k=1 a k äquivalent zur Beschränktheit der Partialsummenfolge. Beweis. Nach Voraussetzung ist die Partialsummenfolge monoton wachsend. Verwende die Sätze 5.10 (Konvergenz und Beschränktheit) und 6.18 (beschränkte monotone Folgen). k=1 k=n

52 II.7. Konvergenz von Reihen 48 Definition 9. k=1 1/k heißt harmonische Reihe. Beispiel 10. Die harmonische Reihe ist divergent. Für n N gilt nämlich 2 n k=1 1/k = 1 + n 2 l l=1 k=2 l /k 1 + n 2 l 1 /2 l = 1 + n/2. Folglich ist k=1 1/k unbeschränkt und damit nicht konvergent. Wir bemerken ergänzend, daß 2 n k=1 1/k 1 + n. Bemerkung 11. Beispiel 10 zeigt, daß lim n a n = 0 nicht hinreichend für die Konvergenz von k=1 a k ist. Satz 12 (Leibniz-Kriterium). Sei (a n ) n monoton fallend, und gelte a n 0 für alle n N sowie lim n a n = 0. Dann konvergiert k=1 ( 1)k 1 a k. Beweis. Setze s n = n k=1 ( 1)k 1 a k für n N. Dann gilt l=1 s 2n+2 s 2n = a 2n+2 + a 2n+1 0, s 2n+3 s 2n+1 = a 2n+3 a 2n+2 0, s 2n+1 s 2n = a 2n+1. Insbesondere gilt lim n (s 2n+1 s 2n ) = 0. Somit ist ([s 2n, s 2n+1 ]) n eine Intervallschachtelung. Mit Satz 6.13 (Intervallschachtelung) folgt lim n s 2n = lim n s 2n+1. Dies zeigt die Konvergenz von (s n ) n mit lim n s n = lim n s 2n. Definition 13. k=1 ( 1)k 1 /k heißt alternierende harmonische Reihe. Beispiel 14. Satz 12 zeigt die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe. Beispiel V.2.11 zeigt k=1 ( 1)k 1 /k = ln 2. Absolute Konvergenz Definition 15. k=1 a k heißt absolut konvergent, falls k=1 a k konvergent ist. Satz 16. Sei k=1 a k absolut konvergent. Dann ist k=1 a k konvergent, und es gilt a k a k. (1) Beweis. Für m n gilt k=1 m a k k=n k=1 m a k. Korollar 6.6 (Cauchy-Folgen in R) und Satz 6 sichern die Konvergenz von k=1 a k. Satz 5.18 (Vergleichssatz) zeigt n n a k a k a k. k=1 k=1 k=n k=1 Wende nochmals diesen Satz an um (1) zu erhalten.

53 II.7. Konvergenz von Reihen 49 Bemerkung 17. Die alternierende harmonische Reihe belegt, daß die Konvergenz einer Reihe nicht hinreichend für die absolute Konvergenz ist. Satz 18 (Majoranten-Kriterium). Gelte n N : a n b n, und sei k=1 b k konvergent. Dann ist k=1 a k absolut konvergent, und es gilt a k k=1 b k. k=1 Beweis. Sei n N. Dann gilt gemäß Satz 5.18 (Vergleichssatz) n a k k=1 n b k k=1 b k. k=1 Somit ist k=1 a k beschränkt. Wende Satz 8 und Satz 5.18 an. Korollar 19. Seien k=1 a k und k=1 b k absolut konvergent, und sei α R. Dann sind auch k=1 (a k + b k ) und k=1 (α a k) absolut konvergent. Beweis. Verwende die Sätze 5 und 18. Beispiel 20. Wir zeigen die Konvergenz von k=1 1/kα für jedes α N mit α 2. Für alle k N gilt 1 k 1 α k 2 2 k(k + 1). Wende Beispiel 4 und die Sätze 3 und 18 an. Es gilt k=1 1/k2 = π 2 /6, siehe [Fo1, S. 267]. Satz 21. Sei b N mit b 2. (i) Für alle m Z und Folgen (β n ) n m in {0,..., b 1} ist k=m β k b k konvergent. (ii) Für alle x R existieren σ { 1, 1}, m Z und eine Folge (β n ) n m in {0,..., b 1}, so daß x = σ β k b k. (2) Beweis. ad (i): Wende Satz 18 und Beispiel 3 an. ad (ii): Tafelskizze [Fo1, S. 52]. Definition 22. (2) mit σ, m und (β n ) n m wie oben heißt eine b-adische Darstellung von x R. k=m Korollar 23. Für alle x R und ε > 0 existiert q Q mit x q < ε. Beweis. Partialsummen von b-adischen Darstellungen sind rational.

54 II.7. Konvergenz von Reihen 50 Satz 24. R ist überabzählbar. Beweis. Sei ϕ : {0, 1} N R definiert durch ϕ(β) = β k 3 k. k=1 Für β, β {0, 1} N und l N gelte β m = β m für m < l sowie β l = 0 und β l = 1. Dann folgt ϕ(β ) ϕ(β) = 3 l + (β k β k ) 3 k 3 l k=l+1 = 3 l 3 (l+1) /(1 1/3) = 3 l /2 > 0. k=l+1 Somit ist ϕ injektiv. Annahme: R ist abzählbar. Dann existiert eine Injektion von {0, 1} N nach N und somit eine Surjektion von N auf {0, 1} N, im Widerspruch zu Satz Satz 25 (Umordnungssatz). (i) Sei k=1 a k absolut konvergent. Für jede bijektive Abbildung τ : N N ist dann k=1 a τ(k) absolut konvergent, und es gilt k=1 a τ(k) = k=1 a k. (ii) Sei k=1 a k konvergent, aber nicht absolut konvergent. Für jedes c R existiert eine bijektive Abbildung τ : N N, so daß k=1 a τ(k) = c. Beweis. ad (i): Sei n N. Wähle m N mit Dann {τ(1),..., τ(n)} {1,..., m}. n a τ(k) k=1 m a k k=1 a k. Nach Satz 8 ist k=1 a τ(k) absolut konvergent, und es gilt k=1 aτ(k) k=1 a k. Betrachte τ 1, um hieraus k=1 a k k=1 aτ(k) zu erhalten. ad (ii): Übung, siehe auch Übung 6.4.b. Satz 26 (Cauchy-Produkt). Seien k=0 a k und k=0 b k absolut konvergent. Definiere k=1 3 k c k = k a l b k l l=0 für k N 0. Dann ist k=0 c k absolut konvergent, und es gilt c k = k=0 a k b k. k=0 k=0

55 II.7. Konvergenz von Reihen 51 Beweis. Setze A n = n a k, A n = n a k, B n = n b k, Bn = n b k, C n = n c k. k=0 k=0 k=0 k=0 k=0 Sei n N gerade. Für I n = {(i, j) {0,..., n} 2 : i + j > n} gilt C n A n B n = a i b j a i b j (i,j) I n (i,j) I n a i b j a i b j (i,j) {0,...,n} 2 (i,j) {0,...,n/2} 2 = A nb n A n/2b n/2. Als konvergente Folge ist (A nb n) n eine Cauchy-Folge, so daß lim n (A nbn A n/2bn/2) = 0. Da (A n B n ) n konvergent ist, folgt die Konvergenz von (C n ) n mit lim n C n = lim n A n B n. Zum Beweis der absoluten Konvergenz verwendet man c k k a l b k l, l=0 woraus n k=0 c k A nb n folgt. Beispiel 27. Für n N 0 sei a n = b n = ( 1) n / n + 1. Dann ist k=0 a k konvergent, aber nicht absolut konvergent, und k=0 c k mit c k gemäß Satz 26 ist divergent. Übung. Satz 28 (Quotienten-Kriterium). Sei a n 0 für alle n N. Für 0 < θ < 1 gelte n N : a n+1 a n θ. (3) Dann ist k=1 a k absolut konvergent. Beweis. Per Induktion zeigt man n N : a n a 1 θ n 1. Beispiel 3 und Satz 5 sichern die absolute Konvergenz von k=1 a 1θ k 1. Wende das Majorantenkriterium an. Bemerkung 29. Die Reihe k=1 1/k2 belegt, daß (3) mit 0 < θ < 1 nicht notwendig für die absolute Konvergenz ist. Die harmonische Reihe belegt, daß a n+1 /a n < 1 für alle n N nicht hinreichend für die Konvergenz ist.

56 II.7. Konvergenz von Reihen 52 Bemerkung 30. Konvergenz und absolute Konvergenz von Reihen hängen nicht von endlichen Anfangsstücken der Folge ihrer Glieder ab. Genauer: für Folgen (a n) n n1 und (b n ) n n2 in R existiere n 3 max(n 1, n 2 ), so daß n n 3 : a n = b n. Dann konvergiert k=n 1 a k genau dann (absolut), wenn k=n 2 b k (absolut) konvergiert. Die Voraussetzungen in den Sätzen 8, 12, 18 und 28 können entsprechend abgeschwächt werden. Die Exponentialfunktion Definition 31. Für x R heißt k=0 xk /k! Exponentialreihe. Beispiel 32. Wir zeigen die absolute Konvergenz der Exponentialreihe für jedes x R. Betrachte den nicht-trivialen Fall x 0. Setze a n = x n /n! für n N 0. Dann gilt a n+1 a n = x n + 1. Für n 2 x 1 folgt a n+1 /a n 1/2, so daß mit Satz 28 die absolute Konvergenz von k=0 xk /k! folgt. Definition 33. Die durch exp(x) = definierte Funktion exp : R R heißt Exponentialfunktion, und e = exp(1) heißt Eulersche Zahl. Satz 34 (Restgliedabschätzung der Exponentialreihe). Für alle x R und n N 0 mit x 1 + n/2 gilt n exp(x) x k k! 2 x n+1 (n + 1)!. k=0 Beweis. Seien x R und n, m N 0 mit m > n. Dann gilt m x k n k! x k k! = m x k m n 1 k! = x k+n+1 (k + n + 1)! k=0 Per Induktion zeigt man k=0 k N 0 : k=n+1 k=0 x k k! k=0 k=0 x n+1 m n 1 (n + 1)! x k (n + 1)! (k + n + 1)!. (n + 1)! (k + n + 1)! 1 (n + 2) k.

57 II.7. Konvergenz von Reihen 53 Gelte x 1 + n/2. Dann folgt und weiter m k=0 x k (n + 1)! (k + n + 1)! x k n k! k=0 x k k! ( ) k x 1/2 k n + 2 x n+1 m n 1 (n + 1)! k=0 1/2 k. Wende die Beispiele 3 und 32 und Satz 5.18 (Vergleichssatz) an, wobei n fixiert ist und Grenzwerte bezüglich des Parameters m betrachtet werden. Graphiken zu Satz 34 finden sich in Abschnitt A.1. Satz 35 (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion). Für x, y R gilt Beweis. Setze für k N 0. Dann gilt exp(x + y) = exp(x) exp(y). a k = xk k!, b k = yk k!, c k = c k = 1 k! k l=0 ( k )x l y k l = l k a l b k l l=0 (x + y)k, k! siehe Satz II.2.17 (binomische Formel). Satz 26 zeigt exp(x + y) = c k = a k b k = exp(x) exp(y). k=0 k=0 k=0 Korollar 36. (i) x R : exp(x) > 0, (ii) x R : exp( x) = 1/ exp(x), (iii) n Z : exp(n) = e n Beweis. ad (ii): Da exp(x) exp( x) = exp(0) = 1, folgt exp(x) 0 und 1/ exp(x) = exp( x). ad (i): Für x 0 gilt exp(x) 1 + x > 0. Für x < 0 folgt exp(x) = 1/ exp( x) > 0, siehe (ii). ad (iii): Wir zeigen per Induktion n N 0 : exp(n) = e n. Klar für n = 0. Sei n N 0 und gelte e n = exp(n). Dann folgt exp(n + 1) = exp(n) exp(1) = e n e = e n+1. Für n Z mit n < 0 ergibt sich exp(n) = 1/ exp( n) = 1/e n = e n. Literatur. [Fo1, 4 8] und [H1, IV].

58 Kapitel III Stetige Funktionen in einer Variablen Die Untersuchung der Stetigkeit von Funktionen f : D R mit D R ist u.a. motiviert durch die Fragen der Lösbarkeit von Gleichungen f(x) = y und der Existenz sogenannter Extremalstellen von f, d.h. von Punkten x 1, x 2 D mit x D : f(x 1 ) f(x) f(x 2 ). Neben die Stetigkeit von f treten dabei sogenannte topologische Eigenschaften des Definitionsbereichs D. Wir verweisen insbesondere auf [Fo1] und [H1]. 1 Punktmengen in R Notation: Für a, b R mit a b setzen wir 1 [a, b] = {x R : a x b}, [a, b[ = {x R : a x < b}, ]a, b] = {x R : a < x b}, ]a, b[ = {x R : a < x < b} (1) sowie Ferner sei [a, [ = {x R : a x}, ]a, [ = {x R : a < x}, ], b] = {x R : x b}, ], b[ = {x R : x < b}. (2) ], [ = R. (3) Im Fall (1) nennen wir a und b die Randpunkte der entsprechenden Menge. Ebenso heißt im Fall (2) a bzw. b der Randpunkt der entsprechenden Menge. Im Folgenden sei A R. 1 Vgl. die Notation auf Seite 24 und in Definition II

59 III.1. Punktmengen in R 55 Offene und abgeschlossene Mengen Definition 1. Für x R und ε > 0 heißt ]x ε, x + ε[ ε-umgebung von x. Definition 2. x R heißt (i) innerer Punkt von A, falls (ii) Berührpunkt von A, falls ε > 0 : ]x ε, x + ε[ A ε > 0 : ]x ε, x + ε[ A. Notation: Å Menge der inneren Punkte von A, genannt das Innere von A, Ā Menge der Berührpunkte von A, genannt der Abschluß von A. Lemma 3. Für x R gilt x Ā genau dann, wenn eine Folge (a n) n in A mit lim n a n = x existiert. Beweis. Für n N wähle man a n ]x 1/n, x + 1/n[ A. Für ε > 0 wähle man n N mit a n ]x ε, x + ε[. Bemerkung 4. (i) Å A Ā, (ii) A B Å B Ā B. Beispiel 5. Für A = ]a, b] mit a < b gilt Å = ]a, b[ und Ā = [a, b]. Beweis: Wir zeigen ]a, b[ Å. Für x ]a, b[ wählen wir ε = min(x a, b x). Dann gilt ε > 0 und ]x ε/2, x + ε/2[ ]a, b[ A, d.h. x Å. Wir zeigen Ā [a, b] und betrachten dazu die Kontraposition. Für x > b wählen wir ε = x b. Dann gilt ε > 0 und ]x ε, x + ε[ A ]b, [ A =, d.h. x / Ā. Für x < a schließt man analog. Zusammenfassend ergibt sich mit Bemerkung 4.(i). ]a, b[ Å A Ā [a, b] Es verbleibt, die Randpunkte a und b zu untersuchen. Da a / A, folgt a / Å mit Bemerkung 4, und aus lim n (a+(b a)/(2n)) = a folgt a Ā mit Lemma 3. Da b A, folgt b Ā mit Bemerkung 4, und für jedes ε > 0 gilt b + ε/2 ]b ε, b + ε[ \ A, also b / Å.

60 III.1. Punktmengen in R 56 Definition 6. A heißt (i) offen, falls Å = A, (ii) abgeschlossen, falls Ā = A. Beispiel 7. Von den Mengen aus (1) und (2) sind im Fall a < b (i) ]a, b[, ], b[, ]a, [ offen, (ii) [a, b], ], b], [a, [ abgeschlossen. Bemerkung 8. (i) A ist genau dann offen, wenn R\A abgeschlossen ist. (ii) Bezüglich der Mengeninklusion gilt: Ā ist die kleinste abgeschlossenen Menge, die A enthält, und Å ist die größte offene Menge, die in A enthalten ist. (iii) A ist genau dann abgeschlossen, wenn lim n a n A für alle konvergenten Folgen (a n ) n in A gilt. Beweis Übung. Beispiel 9. Q ist weder offen noch abgeschlossen, und Z ist abgeschlossen und nicht offen. Beweis für A = Q: Korollar II.7.23 zeigt Q = R. Da Q R, ist Q nicht abgeschlossen. Für x Q und n N sei x n = x + 2/n. Dann gilt x n R \ Q und lim n x n = x. Hiermit folgt R \ Q = R. Da Q, ist R \ Q nicht abgeschlossen. Gemäß Bemerkung 8 ist Q nicht offen. Beweis für A = Z: klar. Häufungspunkte Definition 10. x R heißt Häufungspunkt von A, falls x A\{x}. Beispiel 11. Sei A = {1/n : n N}. Wir zeigen (i) Ā = A {0}, (ii) 0 ist der einzige Häufungspunkt von A.

61 III.1. Punktmengen in R 57 Da lim n 1/n = 0, ist 0 ein Häufungspunkt von A, siehe Lemma 3. Da A ]0, 1] folgt weiter mit Bemerkung 4 und Beispiel 5 {0} A Ā ]0, 1] = [0, 1]. Zu untersuchen sind die Punkte aus ]0, 1]. Für x A, also x = 1/n mit n N, sei Dann gilt ε > 0 sowie ε = 1/n 1/(n + 1). a A \ {x} : a x ε. Also ist x kein Häufungspunkt von A. Für x ]0, 1] \ A existiert nach Satz II.4.6 ein n N mit 1/(n + 1) < x < 1/n. Wir setzen ε = min (1/n x, x 1/(n + 1)) und erhalten ε > 0 sowie Also ist x kein Berührpunkt von A. a A : a x ε. Supremum und Infimum Notation: O(A) und U(A) bezeichnen die Mengen der oberen bzw. unteren Schranken von A. Definition 12. x R heißt das 2 Maximum von A, Notation 3 x = max A, falls (i) x O(A), (ii) x A. Beispiel 13. Es gilt max([0, 1]) = 1, während [0, 1[ kein Maximum besitzt. Definition 14. x R heißt das 4 Supremum von A, Notation x = sup A, falls (i) x O(A), (ii) y O(A) : x y. Bemerkung 15. Die Existenz des Maximums bzw. Supremums setzt voraus, daß A gilt und A nach oben beschränkt ist. Ggf. ist x = max A äquivalent zu x = sup A und x A. Beispiel 16. Es gilt sup([0, 1]) = sup([0, 1[) = 1. 2 Eindeutigkeit klar. 3 Ebenso max(a) und max x D f(x), falls A = f(d). 4 Eindeutigkeit und weitere Notation wie in Definition 12.

62 III.1. Punktmengen in R 58 Lemma 17. Sei A nach oben beschränkt, und sei x R. Dann gilt (i) O(A) ist abgeschlossen, (ii) x = sup A x Ā O(A). Beweis. ad (i): Sei (x n ) n eine konvergente Folge in O(A), und sei a A. Da a x n für alle n N, folgt a lim n x n gemäß Satz II.5.18 (Vergleichssatz). ad (ii): Sei x = sup A. Dann x O(A), und für n N gilt x 1/n < x, also x 1/n O(A). Wähle a n ]x 1/n, x] A. Es folgt lim n a n = x, also x Ā. Sei x Ā O(A), und sei y < x. Dann existiert a A ]y, x]. Also folgt y O(A). Satz 18. Jede nicht leere, nach oben beschränkte Menge A besitzt ein Supremum. Beweis. Seien a A und y O(A). Wir definieren rekursiv eine Intervallschachtelung ([a n, b n ]) n, so daß a n A b n O(A) für alle n N. Zunächst sei [a 1, b 1 ] = [a, y]. Für n N sei [a n, b n ] wie oben bereits gegeben. Setze c n = (a n +b n )/2, und wähle a n ]c n, b n ] A, falls c n O(A). Definiere { [a n, c n ], falls c n O(A), [a n+1, b n+1 ] = [a n, b n ], falls c n O(A). Induktiv folgt ebenfalls 0 b n a n (y a)/2 n 1 für alle n N. Satz II.6.13 (Intervallschachtelung) sichert die Existenz von x = lim n b n = lim n a n. Somit gilt x Ā, und Lemma 17.(i) zeigt x O(A). Nun folgt x = sup A mit Lemma 17.(ii). Bemerkung 19. Sei A nach oben beschränkt. Dann ist sup A die kleinste obere Schranke von A. Es gilt also O(A) = [sup A, [. Notation: sup A =, falls A nicht nach oben beschränkt ist, und sup A =, falls A =. Beispiel 20. Für A = {x R : x 2 < 2} gilt sup A = 2. Beweis: Für x 2 gilt x 2 2. Dies zeigt 2 O(A). Für x n = 2 1/n mit n N gilt x 2 n < 2. Es folgt 2 Ā. Wende Lemma 17.(ii) an. Definition 21. x R heißt das Minimum 5 von A, Notation x = min A, falls (i) x U(A), (ii) x A. 5 Hier und in der folgenden Definition Eindeutigkeit und weitere Notation wie in Definition 12.

63 III.1. Punktmengen in R 59 Definition 22. x R heißt das Infimum 6 von A, Notation x = inf A, falls (i) x U(A), (ii) y U(A) : y x. Korollar 23. Jede nicht leere, nach unten beschränkte Menge A besitzt ein Infimum. Beweis. Wende Satz 18 auf A = { a : a A} an. Es ergibt sich inf A = sup( A). Bemerkung 24. Sei A nach unten beschränkt. Dann ist inf A die größte untere Schranke von A. Es gilt also U(A) = ], inf A]. Notation: inf A =, falls A nicht nach unten beschränkt ist, und inf A =, falls A =. Intervalle Definition 25. A heißt Intervall, falls x, y, z R : (x < y < z x, z A y A). Satz 26. A ist genau dann ein Intervall, wenn A von der Form (1), (2) oder (3) ist. Beweis. : klar. : Spezialfall: A beschränkt. Dann gilt ]inf A, sup A[ A [inf A, sup A], siehe Lemma 17.(ii). Der allgemeine Fall verbleibt als Übung. Kompakte Mengen Definition 27. A heißt kompakt, wenn jede Folge (x n ) n in A eine konvergente Teilfolge (x nk ) k mit lim k x nk A besitzt. Satz 28. A ist genau dann kompakt 7, wenn A abgeschlossen und beschränkt ist. Beweis. Sei (x n ) n eine konvergente Folge in A. Setze x = lim n x n. Es existiert eine Teilfolge (x nk ) k mit lim k x nk A. Da x = lim k x nk, folgt x A. Somit ist A abgeschlossen. Annahme: A unbeschränkt. Dann existiert eine Folge (a n ) n in A mit lim n a n =. Jede Teilfolge von (a n ) n ist unbeschränkt und damit divergent. Widerspruch. Sei (x n) n eine Folge in A. Mit Satz II.6.17 (Bolzano-Weierstraß) folgt die Existenz einer konvergenten Teilfolge (x nk ) k. Die Abgeschlossenheit von A sichert lim k x nk A. 6 Maximum, Minimum, Supremum und Infimum ebenso für Teilmengen geordneter Mengen definiert, siehe [AE, S. 27]. 7 Die Begriffsbildung in Definition II.6.10 ist konsistent zu den Sätzen 26 und 28.

64 III.1. Punktmengen in R 60 Limes superior und Limes inferior von Zahlenfolgen Im Folgenden sei (a n ) n eine Folge in R. Bemerkung 29. Sei (a n ) n nach oben beschränkt. Dann wird durch b n = sup{a k : k n} eine monoton fallende Folge definiert. Diese ist gemäß Satz II.6.18 (beschränkte monotone Folgen) entweder konvergent oder bestimmt divergent gegen. Entsprechendes gilt für c n = inf{a k : k n}, falls (a n ) n nach unten beschränkt ist. Definition 30. In obiger Situation heißt lim n b n Limes superior von (a n ) n und lim n c n Limes inferior von (a n ) n. Notation 8 : lim sup n a n = lim n b n und lim inf n a n = lim n c n. Notation: lim sup n a n =, falls (a n ) n nicht nach oben beschränkt, und lim inf n a n =, falls (a n ) n nicht nach unten beschränkt. Satz 31. Sei (a n ) n beschränkt. Dann gilt lim sup a n = max H((a n ) n ) n und lim inf n a n = min H((a n ) n ). Beweis. Wir beweisen die Aussage für x = lim sup n a n und halten fest, daß (b n ) n wegen der Beschränktheit von (a n ) n gegen x konvergiert. Wir zeigen, daß x ein Häufungswert ist. Lemma 17.(ii) sichert die Existenz einer streng monoton wachsenden Folge (n k ) k N in N 0 mit n 1 = 0 und k N : 0 b nk +1 a nk+1 < 1/k. Zusammenfassend ergibt sich die Konvergenz von (a nk ) k mit lim k a nk = lim n b n = x. Wir zeigen, daß x eine obere Schranke von H((a n ) n ) ist. Annahme: es existiert eine konvergent Teilfolge (a nk ) k von (a n ) n mit a > x für a = lim k a nk. Für ε = (a x)/2 > 0 gilt a ε = x + ε, und es existiert k 0 N, so daß k k 0 : a nk > x + ε. Es folgt b n > x + ε für alle n N und weiter lim n b n x + ε. Widerspruch. Beispiel 32. Für n N sei a n = ( 1) n (1 + 1/n). Dann gilt lim sup n a n = 1 und lim inf n a n = 1. Literatur. [Fo1, 9], [H1, 34 und 35] und [AE, I.10]. 8 Alternativ lim n statt lim sup n und lim n statt lim inf n.

65 III.2. Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen 61 2 Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen Im Folgenden seien D R und f : D R. Stetigkeit Definition 1. Sei x D. f heißt stetig in x, falls für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = x die Folge (f(x n )) n konvergiert. f heißt unstetig in x, falls f in x nicht stetig ist. f heißt stetig (auf D), falls f in jedem Punkt x D stetig ist. Beispiel 2. Sei D = R. (i) f = id R und f = c mit c R sind stetig auf R. (ii) f = 1 ],0] ist genau in x = 0 unstetig. Bemerkung 3. (i) Sei f stetig in x D. Für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = x gilt dann lim n f(x n ) = f(x). Beweis: Betrachte (y n ) n = (x 1, x, x 2, x,...). (ii) Sei f stetig, und sei D 0 D. Dann ist f D0 stetig. Beispiel 4. (i) Für D = R ist f = 1 Q unstetig in jedem Punkt x R. (ii) Jede Funktion mit Definitionsbereich D = Z ist stetig auf D. (iii) Für D = ]0, [ sei f(x) = { 0, falls x D \ Q, 1/q, falls x = p/q mit p, q N teilerfremd. Dann ist f in jedem Punkt x D Q unstetig. Beweis: Für n N sei x n = x + 2/n. Dann gilt lim n x n = x, f(x n ) = 0 und f(x) > 0. Ferner ist f in allen Punkten x D\Q stetig, siehe [H1, S. 213]. Ausblick 5. Für A R sind äquivalent: (i) es existiert eine Funktion f : R R mit A als Menge der Stetigkeitspunkte. (ii) A ist Durchschnitt über eine Folge offener Teilmengen von R. Man kann zeigen, daß A = Q nicht die Eigenschaft (ii) hat. Siehe [A, 1.2]. Satz 6. Sind f, g : D R stetig in x D, so sind auch f + g und f g stetig in x. Beweis. Wende Satz II.5.13 (Summen- und Produktregel) an.

66 III.2. Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen 62 Satz 7. Sind f, g : D R stetig in x D, und gilt g(x) 0, so ist f/g : D 0 R mit D 0 = {y D : g(y) 0} stetig in x. Beweis. Wende Satz II.5.16 (Quotientenregel) an. Definition 8. f heißt Polynomfunktion 9, falls n N 0 und a 0,..., a n R existieren, so daß n x D : f(x) = a k x k. f heißt rationale Funktion, falls Polynomfunktionen g, h : D R existieren, so daß und f = g/h. k=0 x D : h(x) 0 Beispiel 9. Rationale Funktionen sind stetig. Beweis: Verwende Beispiel 2.(i) und die Sätze 6 und 7. Satz 10. Seien f stetig in x D und g : E R mit f(d) E R stetig in f(x). Dann ist g f stetig in x. Beweis. Für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = x gilt lim n f(x n ) = f(x) und somit lim n g (f(x n )) = g (f(x)). Satz 11. f ist genau dann stetig in x D, wenn ε > 0 δ > 0 y D : ( x y < δ f(x) f(y) < ε ). Beweis. Sei (x n ) n eine Folge in D mit x = lim n x n, und sei ε > 0. Wähle δ > 0, so daß y D : ( x y < δ f(x) f(y) < ε ). Wähle n 0 N, so daß n n 0 : x x n < δ. Dann gilt f(x) f(x n ) < ε für alle n n 0. Fazit: (f(x n )) n konvergiert (gegen f(x)). Wir zeigen die Kontraposition. Sei ε > 0, so daß δ > 0 y D : ( x y < δ f(x) f(y) ε ). Für n N wähle man x n ]x 1/n, x + 1/n[ D mit f(x) f(x n ) ε. Dann gilt lim n x n = x, aber (f(x n )) n konvergiert nicht gegen f(x). Beispiel 12. Die Betragsfunktion : R R ist stetig. Beweis: Für x, y R gilt x y x y. Wende Satz 11 mit δ = ε an. 9 Siehe [AE, I.8] und [Fi, 1.3] zur Unterscheidung von Polynomen und Polynomfunktionen.

67 III.2. Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen 63 Beispiel 13. Die Exponentialfunktion exp : R R ist stetig. Beweis: Wir betrachten zunächst x = 0. Satz II.7.34 (Restgliedabschätzung) zeigt für y R mit y 1, daß exp(x) exp(y) = 1 exp(y) 2 y. Wende Satz 11 mit δ = min(ε/2, 1) an. Für x, y R gilt exp(x) exp(y) = exp(x) 1 exp(y x), siehe Satz II.7.35 (Funktionalgleichung). Wende Satz 11 mit δ = min (ε exp( x)/2, 1) an. Grenzwerte und bestimmte Divergenz Definition 14. Sei x ein Häufungspunkt von D. f besitzt einen Grenzwert 10 in x, falls für jede Folge (x n ) n in D \ {x} mit lim n x n = x die Folge (f(x n )) n konvergiert. Bemerkung 15. Besitze f einen Grenzwert in einem Häufungspunkt x von D. Dann existiert c R, so daß c = lim n f(x n ) für jede Folge (x n ) n in D \ {x} mit lim n x n = x. Vgl. Bemerkung 3.(i). Notation: In obiger Situation schreibt man c = lim y x f(y). Bemerkung 16. f ist genau dann stetig in x D, wenn (i) x kein Häufungspunkt von D ist oder (ii) x ein Häufungspunkt von D ist und lim y x f(y) = f(x) gilt. Definition 17. Sei x ein Häufungspunkt von D. f ist in x bestimmt divergent gegen ( ), falls für jede Folge (x n ) n in D \ {x} mit lim n x n = x die Folge (f(x n )) n bestimmt divergent gegen ( ) ist. Notation: lim y x f(y) = ( ). Beispiel 18. Sei D = R \ {1}. (i) Für x D sei Da f(x) = 1 + x, folgt lim y 1 f(y) = 2. f(x) = 1 x2 1 x. (ii) Für x D sei Dann gilt lim y 1 f(y) =. f(x) = 1 (1 x) Begriffsbildung nicht einheitlich, vgl. [H1, S. 235] und [Fo1, S. 106].

68 III.2. Stetigkeit und Grenzwerte von Funktionen 64 (iii) Für x D sei f(x) = 1 1 x. Dann besitzt f an der Stelle x = 1 keinen Grenzwert und ist dort auch nicht bestimmt divergent. Bemerkung 19. Sogenannte einseitige Grenzwerte können durch Restriktion von f auf D ]x, [ bzw. D ], x[ eingeführt werden, siehe [Fo1, S. 107]. Grenzwerte und bestimmte Divergenz für x ± Definition 20. Sei D nicht nach oben beschränkt. f besitzt einen Grenzwert für x, falls für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = die Folge (f(x n )) n konvergiert. Sei D nicht nach unten beschränkt. f besitzt einen Grenzwert für x, falls für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = die Folge (f(x n )) n konvergiert. Bemerkung 21. Besitze f einen Grenzwert für x bzw. x. Dann existiert c R, so daß c = lim n f(x n ) für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = bzw. lim n x n =. Vgl. Bemerkung 3.(i). Notation: In obiger Situation schreibt man c = lim y f(y) bzw. c = lim y f(y). Bemerkung 22. Die Rechenregeln für Grenzwerte von Folgen übertragen sich auf Grenzwerte von Funktionen. Beispiel 23. Für D = R \ {0}, n N und gilt lim x f(x) = lim x f(x) = 0. f(x) = x n Definition 24. Sei D nicht nach oben beschränkt. f ist für x bestimmt divergent gegen ( ), falls für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = die Folge (f(x n )) n bestimmt divergent gegen ( ) ist. Sei D nicht nach unten beschränkt. f ist für x bestimmt divergent gegen ( ), falls für jede Folge (x n ) n in D mit lim n x n = die Folge (f(x n )) n bestimmt divergent gegen ( ) ist. Beispiel 25. Sei n N und seien a 0,..., a n R mit a n 0. Betrachte die durch f(x) = definierte Polynomfunktion f : R R. Sei x 0. Setze g(x) = n a k x k k=0 n a k /a n x k n. k=0

69 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 65 Es gilt f(x) = a n x n g(x) und somit siehe Beispiel 23. Ferner gilt und Im Fall a n > 0 folgt und f(x) lim x a n x = lim f(x) n x a n x = 1, n lim x xn = lim f(x) = x lim x xn = {, falls n gerade,, lim f(x) = x falls n ungerade. {, falls n gerade,, Im Fall a n < 0 betrachte man die Funktion f. Beispiel 26. Für alle n N 0 gilt und lim x x n exp(x) = 0 falls n ungerade. lim exp(x) x x n = 0. Dies folgt aus exp(x) x n+1 /(n + 1)! für x 0 und exp(x) = 1/ exp( x) für x 0. Details Übung. Literatur. [Fo1, 10 und 11]. 3 Hauptsätze über stetige Funktionen Im Folgenden seien a, b R mit a < b und D R. Der Zwischenwertsatz Die Sätze 1.26 (Intervalle) und 1.28 (Kompaktheit) zeigen, daß [a, b] ein kompaktes Intervall ist. Satz 1 (Zwischenwertsatz). Sei f : [a, b] R stetig. Setze u = min(f(a), f(b)) und v = max(f(a), f(b)). Dann gilt y [u, v] x [a, b] : f(x) = y.

70 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 66 Beweis. Stichwort: Bisektionsverfahren. Wir betrachten den Fall f(a) y f(b) und definieren rekursiv eine Intervallschachtelung ([a n, b n ]) n mit der Eigenschaft n N : ([a n, b n ] [a, b] f(a n ) y f(b n )). Zunächst sei [a 1, b 1 ] = [a, b]. Für n N setzen wir c n = (a n + b n )/2 und definieren { [a n, c n ], falls f(c n ) y, [a n+1, b n+1 ] = [c n, b n ], falls f(c n ) < y. Offenbar gilt b n a n = (b a)/2 n 1. Satz II.6.13 (Intervallschachtelung) sichert die Existenz von x = lim n b n = lim n a n. Die Stetigkeit von f und Korollar II.5.19 (Vergleichssatz) sichern f(x) y f(x). Im Fall f(a) y f(b) wende man das bereits Bewiesene auf f an. Korollar 2. Sei D ein Intervall, und sei f : D R stetig. Dann ist auch f(d) ein Intervall. Beweis. Klar. Beispiel 3. Sei n N ungerade, und seien a 0,..., a n R mit a n 0. Betrachte die durch n f(x) = a k x k definierte Polynomfunktion f : R R. Wir zeigen, daß f surjektiv ist. k=0 Falls a n > 0, gilt lim x f(x) = und lim x f(x) =, siehe Beispiel Satz 1 zeigt die Surjektivität von f. Falls a n < 0, wende man das bereits Bewiesene auf f an. Stetige Funktionen auf kompakten Mengen Satz 4. Sei D kompakt, und sei f : D R stetig. Dann ist auch f(d) kompakt. Beweis. Sei (y n ) n eine Folge in f(d). Für n N wähle man x n D mit f(x n ) = y n. Dann existiert eine konvergente Teilfolge (x nk ) k mit x = lim k x nk D. Aufgrund der Stetigkeit von f folgt f(x) = lim k y nk. Korollar 5 (Extremalsatz). Sei D kompakt, und sei f : D R stetig. Dann x 1, x 2 D : (f(x 1 ) = sup f(x) f(x 2 ) = inf f(x)). x D x D Beweis. Nach Satz 1.28 (Kompaktheit) und Satz 4 ist f(d) abgeschlossen und beschränkt. Satz 1.18 (Supremum) und Korollar 1.23 (Infimum) sichern die Existenz von sup f(d) und inf f(d), und Lemma 1.17 zeigt sup f(d) f(d) inf f(d) f(d).

71 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 67 Beispiel 6. Sei n N gerade, und seien a 0,..., a n R mit a n 0. Betrachte die durch n f(x) = a k x k definierte Polynomfunktion f : R R. Wir zeigen, daß f nach unten oder nach oben beschränkt, und damit nicht surjektiv ist. Falls a n > 0, gilt lim x f(x) = lim x f(x) =, siehe Beispiel Wähle b > 0, so daß x R : ( x > b f(x) 0). Setze a = b. Satz 4 zeigt, daß f [a,b] beschränkt ist. Somit folgt für alle x R k=0 f(x) min(0, inf f([a, b])). Falls a n < 0, wende man das bereits Bewiesene auf f an. Gleichmäßige Stetigkeit Definition 7. f : D R heißt gleichmäßig stetig falls ε > 0 δ > 0 x, y D : ( x y < δ f(x) f(y) < ε ). Bemerkung 8. Gleichmäßige Stetigkeit impliziert die Stetigkeit. Beispiel 9. (i) Sei f : D R durch f(x) = x 2 definiert. Dann gilt für x, y D f(x) f(y) = x + y x y. Ist D beschränkt, so folgt die gleichmäßige Stetigkeit von f. Gilt D = R, so ist f nicht gleichmäßig stetig. (ii) Sei D = ]0, 1], und sei f : D R durch f(x) = 1/x definiert. Dann gilt für x, y D x y f(x) f(y) =. xy Somit ist f nicht gleichmäßig stetig. Satz 10. Sei D kompakt, und sei f : D R stetig. Dann ist f gleichmäßig stetig. Beweis. Annahme: f nicht gleichmäßig stetig. Dann existieren ε > 0 und Folgen (x n ) n und (y n ) n in D mit n N : ( x n y n < 1/n f(x n ) f(y n ) ε). Aufgrund der Kompaktheit von D existiert eine [sic] streng monoton wachsende Folge (n k ) k in N, so daß (x nk ) k sowie (y nk ) k konvergieren mit x = lim k x nk D und y = lim k y nk D. Es folgt x = y, und aus der Stetigkeit von f ergibt sich lim k (f(x nk ) f(y nk )) = 0. Widerspruch.

72 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 68 Definition 11. Für n N heißt (x 0,..., x n ) R n+1 Zerlegung von [a, b], falls a = x 0 < < x n = b. Definition 12. f : [a, b] R heißt Treppenfunktion, falls eine Zerlegung (x 0,..., x n ) von [a, b] existiert, so daß k {1,..., n} : f ]xk 1,x k [ konstant. Satz 13. Sei f : [a, b] R stetig, und sei ε > 0. Dann existieren Treppenfunktionen g, h : [a, b] R mit (i) x [a, b] : g(x) f(x) h(x), (ii) x [a, b] : h(x) g(x) < ε. Beweis. Sei ε > 0. Gemäß Satz 10 existiert n N mit x, y [a, b] : ( x y (b a)/n f(x) f(y) < ε). (1) Definiere x k = a + k (b a)/n für k {0,..., n}. Im Folgenden sei k {1,..., n}. Setze I k = [x k 1, x k [. Es existieren u k, v k Īk mit f(u k ) = inf f(x) x I k und siehe Korollar 5. Mit (1) folgt f(v k ) = sup f(x), x I k 0 f(v k ) f(u k ) < ε. Die Funktionen und leisten das Verlangte. g = h = n f(u k ) 1 Ik + f(b) 1 {b} k=1 n f(v k ) 1 Ik + f(b) 1 {b} k=1 Der Umkehrsatz Definition 14. f : D R heißt (i) monoton wachsend, falls x, y D : (x < y f(x) f(y)),

73 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 69 (ii) monoton fallend, falls x, y D : (x < y f(x) f(y)), (iii) monoton, falls f monoton wachsend oder monoton fallend ist. Gilt hier stets f(x) < f(y) bzw. f(x) > f(y), so spricht man von strenger (strikter) Monotonie. Satz 15 (Umkehrsatz). Sei D ein Intervall, und sei f : D R stetig und streng monoton. Dann besitzt f als Funktion von D nach f(d) eine Umkehrfunktion, die ebenfalls stetig ist und dieselbe strenge Monotonie wie f besitzt. Beweis. Sei f streng monoton wachsend. Zu zeigen bleibt die Stetigkeit von f 1 im nicht-trivialen Fall, daß D mehr als einen Punkt enthält. Sei u f(d), und sei ε > 0. Wir betrachten zunächst den Fall f 1 (u) D. Wir setzen A = [f 1 (u) ε, f 1 (u) + ε] und nehmen obda 11 A D an. Korollar 2 und Satz 4 sichern, daß f(a) ein kompaktes Intervall ist. Aufgrund der strengen Monotonie von f ist u ein innerer Punkt von f(a). Wähle δ > 0 mit ]u δ, u + δ[ f(a). Dann folgt f 1 (]u δ, u + δ[) A. Dies zeigt die Stetigkeit von f 1 in u. Wir betrachten nun den Fall f 1 (u) = max D. Wir setzen A = [f 1 (u) ε, f 1 (u)] und nehmen wiederum obda A D an. Wie oben ergibt sich, daß f(a) ein kompaktes Intervall ist, daß neben u einen weiteren Punkt enthält. Ferner gilt u = max f(d) = max f(a). Wähle δ > 0 mit ]u δ, u] f(a). Dann folgt f 1 (]u δ, u]) A und ]u δ, u + δ[ f(d) = ]u δ, u]. Dies zeigt die Stetigkeit von f 1 in u. Den Fall f 1 (u) = min D behandelt man analog. Ist f streng monoton fallend, wende man das bereits Bewiesene auf f an. Beispiel 16. Für k N mit k 2 und D = [0, [ sei f : D R durch f(x) = x k definiert. Beispiel II.6.8 bzw. Bemerkung II.6.9 zeigen f(d) = D. Beispiel 2.9 und Satz 15 zeigen, daß x k x eine stetige Funktion von D nach R definiert. 11 Siehe [SS, S. 39] zur Bedeutung von ohne Beschränkung der Allgemeinheit.

74 III.3. Hauptsätze über stetige Funktionen 70 Die Logarithmusfunktion Beispiel 17. Für u > 0 gilt exp(u) 1 + u > 1, woraus exp(y) = exp(y x) exp(x) > exp(x) für x < y folgt, siehe Satz II.7.35 (Funktionalgleichung) und Korollar II.7.36.(i) (Exponentialfunktion). Beispiel 2.26 zeigt und lim exp(x) = x lim exp(x) = 0. x Die Korollare 2 und II.7.36.(i) sichern exp(r) = ]0, [. Gemäß Satz 15 existiert eine stetige, streng monoton wachsende Funktion g : ]0, [ R mit exp g = id ]0, [ g exp = id R. (2) Durch (2) ist g eindeutig bestimmt, siehe Satz I.3.19 (Umkehrabbildung). Definition 18. Die durch (2) bestimmte Funktion g heißt natürlicher Logarithmus und wird mit ln bezeichnet. Satz 19 (Funktionalgleichung der Logarithmusfunktion). Für x, y ]0, [ gilt ln(x y) = ln(x) + ln(y). Beweis. Setze u = ln(x) und v = ln(y). Satz II.7.35 (Funktionalgleichung) zeigt ln(x y) = ln(exp(u) exp(v)) = ln(exp(u + v)) = u + v = ln(x) + ln(y). Satz 20. Sei f : R R stetig, und gelte x, y R : f(x + y) = f(x) f(y). Dann folgt f = 0, oder es gilt f(1) > 0 und x R : f(x) = exp(x ln(f(1))). Beweis. Für x R gilt f(x) = f(x/2) 2 0. Setze a = f(1). Gelte a = 0. Dann folgt f(x) = f(1) f(x 1) = 0 für alle x R. Gelte a > 0. Da a = f(1 + 0) = a f(0), folgt f(0) = 1, und weiter folgt aus f(x) f( x) = 1, daß f(x) > 0 sowie f( x) = 1/f(x) für alle x R. Für p Z und q N ergibt sich induktiv f(p/q) q = f(p) = a p, d.h. f(p/q) = q a p,

75 III.4. Die Exponentialfunktion im Komplexen 71 da f(p/q) > 0. Setze f(x) = exp(x ln(a)) für x R. Es gilt f(1) = a, und mit Satz II.7.35 (Funktionalgleichung) folgt x, y R : f(x + y) = f(x) f(y). Somit ergibt sich mit dem bereits Bewiesenen f(p/q) = exp(p/q ln(a)). Die Funktionen f und f sind also stetig und stimmen auf Q überein. Wir zeigen, daß daraus f = f folgt. Sei x R. Gemäß Korollar II.7.23 existiert eine Folge (x n ) n in Q mit x = lim n x n. Man erhält aufgrund der Stetigkeit f(x) = lim n f(x n ) = lim n f(xn ) = f(x). Definition 21. Für a > 0 heißt die durch exp a (x) = exp(x ln(a)) definierte Funktion exp a : R R Exponentialfunktion zur Basis a. Notation: a x = exp a (x). Bemerkung 22. Sei a > 0. Die Rechenregeln für Potenzen a x mit x Z übertragen sich auf den allgemeinen Fall x R, siehe [Fo1, S. 128]. Der Beweis von Satz 20 zeigt a p/q = q a p für p Z und q N. Literatur. [Fo1, 11 und 12]. 4 Die Exponentialfunktion im Komplexen Die komplexen Zahlen Auf der Menge C = R 2 definieren wir für (x 1, y 1 ), (x 2, y 2 ) C (x 1, y 1 ) + (x 2, y 2 ) = (x 1 + x 2, y 1 + y 2 ), (x 1, y 1 ) (x 2, y 2 ) = (x 1 x 2 y 1 y 2, x 1 y 2 + y 1 x 2 ). Wir erhalten so einen Körper, genannt Körper der komplexen Zahlen, mit Nullelement (0,0) und Einselement (1, 0). Für (x, y) (0, 0) gilt Siehe [Fo1, S. 136] und vgl. Übung 3.4. (x, y) 1 = ( x/(x 2 + y 2 ), y/(x 2 + y 2 ) ). Das Studium von Funktionen f : D C mit D C ist Gegenstand der Vorlesung Funktionentheorie.

76 III.4. Die Exponentialfunktion im Komplexen 72 Bemerkung 1. Die durch ϕ(x) = (x, 0) definierte Abbildung ϕ : R C ist injektiv, und es gilt ϕ(x) + ϕ(y) = ϕ(x + y), ϕ(x) ϕ(y) = ϕ(x y) für x, y R. In diesem Sinn fassen wir R als Teilkörper von C auf. Im Folgenden sei z = (x, y) C. Definition 2. (i) ı = (0, 1) C heißt imaginäre Einheit. (ii) Re(z) = x und Im(z) = y heißen der Real- bzw. der Imaginärteil von z. (iii) z = (x, y) heißt die zu z konjugiert komplexe Zahl. Bemerkung 3. (i) Es gilt ı 2 = ( 1, 0) = 1. Gemäß Lemma II.1.6.(vii) ist C somit kein angeordneter Körper. (ii) Es gilt z = Re(z) + ı Im(z) sowie z = Re(z) ı Im(z), und aus z = x + ıy mit x, y R folgt x = Re(z) und y = Im(z). (iii) Für z, w C gilt z = z, z + w = z + w und z w = z w. (iv) Es gilt z z = (x + ıy) (x ıy) = x 2 + y 2. Es folgt z z R mit z z 0. Definition 4. z = z z heißt der 12 Betrag von z. Bemerkung 5. Im Fall z 0 gilt z 1 = z/ z 2. Satz 6. Für z, w C gilt (i) z 0, (ii) z = 0 z = 0, (iii) z + w z + w (Dreiecksungleichung), (iv) z w = z w. Beweis. Siehe [Fo1, S. 139]. 12 Für z R stimmen die Definitionen 4 und II.5.8 überein.

77 III.4. Die Exponentialfunktion im Komplexen 73 Folgen und Reihen komplexer Zahlen Die Definitionen II.5.2 (Konvergenz von Folgen) und II.6.1 (Cauchy-Folgen) übertragen sich wörtlich von K = R auf K = C. Satz 7. Sei (z n ) n eine Folge in C. (i) (z n ) n ist genau dann konvergent, wenn (Re(z n )) n und (Im(z n )) n konvergieren. Im Fall der Konvergenz gilt lim n z n = lim n Re(z n ) + lim n (ı Im(z n )). (ii) (z n ) n ist genau dann eine Cauchy-Folge, wenn (Re(z n )) n und (Im(z n )) n Cauchy- Folgen sind. Beweis. Verwende max( Re(z), Im(z) ) z Re(z) + Im(z). Korollar 8. Eine Folge in C konvergiert genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist. Beweis. Verwende Satz 7 und Korollar II.6.6 (Cauchy-Folgen in R). Die Sätze II.5.13 und II.5.16 und Korollar II.5.14 (Summen-, Produkt- und Quotientenregel) übertragen sich wörtlich von K = R auf K = C. Die Definitionen II.7.1 und II.7.15 (Konvergenz und absolute Konvergenz von Reihen) sowie das Majoranten- und das Quotientenkriterium, Aussage (i) des Umordnungssatzes und der Satz über das Cauchy-Produkt übertragen sich wörtlich von K = R auf K = C. Die Exponentialfunktion Satz 9. Für jedes z C ist die Exponentialreihe exp(z) = k=0 z k k! absolut konvergent. Ferner gilt exp(z) = exp( z). Beweis. Die absolute Konvergenz ergibt sich wie in Beispiel II Die zweite Aussage folgt aus n k=0 z k n k! = k=0 z k k!.

78 III.5. Trigonometrische Funktionen 74 Satz 10 (Funktionalgleichung der komplexen Exponentialfunktion). Für z, w C gilt exp(z + w) = exp(z) exp(w). Beweis. Wie für Satz II.7.35 (Funktionalgleichung). Bemerkung 11. Satz 10 zeigt (i) exp(z) 0 für alle z C, (ii) exp(x + ıy) = exp(x) exp(ıy) für alle x, y R. Definition 2.1 (Stetigkeit) überträgt sich wörtlich von Abbildungen f : R R auf Abbildungen f : C C. Satz 12. Die Exponentialfunktion exp : C C ist stetig. Beweis. Wie in Beispiel Literatur. [Fo1, 13]. 5 Trigonometrische Funktionen Im Folgenden sei x R. Sinus und Cosinus Bemerkung 1. Die Sätze 4.9 (Exponentialreihe, K = C) und 4.10 (Funktionalgleichung, K = C) zeigen exp(ıx) = exp(ıx) exp( ıx) = 1. Definition 2. Die Cosinus- und die Sinusfunktion cos : R R und sin : R R sind definiert durch cos(x) = Re (exp(ıx)), sin(x) = Im (exp(ıx)). Additionstheoreme und die Eulersche Formel Satz 3. Es gilt 13 (i) exp(ıx) = cos(x) + ı sin(x) (Eulersche Formel), (ii) cos(x) = 1 (exp(ıx) + exp( ıx)), 2 13 Wir schreiben gelegentlich f n (x) statt (f(x)) n.

79 III.5. Trigonometrische Funktionen 75 (iii) sin(x) = 1 (exp(ıx) exp( ıx)), 2ı (iv) cos( x) = cos(x), (v) sin( x) = sin(x), (vi) cos 2 (x) + sin 2 (x) = 1. Beweis. Klar. Satz 4 (Additionstheoreme). Für x, y R gilt (i) cos(x + y) = cos(x) cos(y) sin(x) sin(y), (ii) sin(x + y) = sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y). Beweis. Aus exp (ı(x + y)) = exp(ıx) exp(ıy) folgt cos(x + y) + ı sin(x + y) = (cos(x) + ı sin(x)) (cos(y) + ı sin(y)) = cos(x) cos(y) sin(x) sin(y) + ı (sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y)). Wende Bemerkung 4.3.(ii) an. Korollar 5. Für x, y R gilt (i) cos(x) cos(y) = 2 sin ( 1 2 (x + y)) sin ( 1 2 (x y)), (ii) sin(x) sin(y) = 2 cos ( 1 2 (x + y)) sin ( 1 2 (x y)). Beweis. ad (i): Setze u = (x + y)/2 und v = (x y)/2. Dann zeigen Satz 3.(iv) und (v) sowie Satz 4.(i) cos(x) cos(y) = cos(u + v) cos(u v) ad (ii): analog. = cos(u) cos(v) sin(u) sin(v) cos(u) cos( v) + sin(u) sin( v) = 2 sin(u) sin(v) = 2 sin ( 1 2 (x + y)) sin ( 1 2 (x y)). Analytische Eigenschaften Satz 6. Die Funktionen cos und sin sind stetig. Beweis. Sei x R, und sei (x n ) n eine Folge in R mit lim n x n = x. Dann folgt lim n exp(ıx n ) = exp(ıx) und lim n exp( ıx n ) = exp( ıx) gemäß Satz 4.12 (Stetigkeit der Exponentialfunktion, K = C). Wende Satz 3.(ii) und (iii) an.

80 III.5. Trigonometrische Funktionen 76 Satz 7. Es gilt cos(x) = sin(x) = ( 1) k x2k (2k)!, ( 1) k x 2k+1 (2k + 1)!, k=0 k=0 und beide Reihen sind absolut konvergent. Beweis. Die absolute Konvergenz folgt aus Beispiel II.7.32 mit dem Majorantenkriterium. Aus Satz 4.9 (Exponentialreihe, K = C) folgt exp(ıx) = ı k xk k! = ( 1) k x2k (2k)! + ı ( 1) k x 2k+1 (2k + 1)!. k=0 k=0 k=0 Betrachte Real- und Imaginärteil. Satz 8 (Restgliedabschätzung der Cosinus- und Sinusreihe). (i) Für n N 0 und x 2n + 3 gilt n cos(x) ( 1) k x2k (2k)! k=0 (ii) Für n N 0 und x 2n + 4 gilt n sin(x) ( 1) k x 2k+1 (2k + 1)! k=0 x 2n+2 (2n + 2)!. x 2n+3 (2n + 3)!. Beweis. Siehe [Fo1, S.148] und vgl. Satz II.7.34 (Restgliedabschätzung der Exponentialreihe). Periodizität Lemma 9. Es existiert genau ein x [0, 2] mit cos(x) = 0. Beweis. Für x 5 gilt gemäß Satz 8 cos(x) 1 + x 2 /2 x 4 /24. Für x = 2 ergibt sich cos(2) ( 1) 2/3, so daß cos(2) 1/3. Da cos(0) = 1, existiert gemäß Satz 6 und Satz III.3.1 (Zwischenwertsatz) ein x ]0, 2[ mit cos(x) = 0. Wie oben zeigt man mit Hilfe von Satz 8, daß sin(w) > 0 für alle w ]0, 2], siehe [Fo1, S. 150]. Korollar 5.(i) zeigt, daß cos auf [0, 2] streng monoton fallend ist. Dies sichert die Eindeutigkeit.

81 III.5. Trigonometrische Funktionen 77 Definition 10. π ist die eindeutig bestimmte Lösung von cos(x/2) = 0 mit x [0, 4]. Satz 11. Es gilt exp(ıπ/2) = ı, exp(ıπ) = 1, exp(ı3/2π) = ı, exp(ı2π) = 1. Beweis. Es gilt sin 2 (π/2) = 1 cos 2 (π/2) = 1. Bereits bekannt ist sin(π/2) > 0. Fazit exp(ıπ/2) = ı sin(π/2) = ı. Die weiteren Aussagen folgen mit Satz 4.10 (Funktionalgleichung, K = C). Bemerkung 12. Satz 11 liefert auch die Werte von sin und cos an den Stellen π/2, π, 3/2π und 2π. Korollar 13. Es gilt (i) cos(x + 2π) = cos(x), sin(x + 2π) = sin(x) (2π-Periodizität), (ii) cos(x + π) = cos(x), sin(x + π) = sin(x), (iii) cos(x + π/2) = sin(x), sin(x + π/2) = cos(x). Beweis. Verwende die Sätze 4 und 11. Korollar 14. Es gilt (i) {x R : sin(x) = 0} = {kπ : k Z}, (ii) {x R : cos(x) = 0} = {π/2 + kπ : k Z}. Beweis. ad (i): Für x ] π/2, π/2[ gilt cos(x) > 0, siehe Satz 3.(iv). Für x ]0, π[ folgt sin(x) > 0, woraus sin(x) < 0 für x ]π, 2π[ folgt, siehe Korollar 13.(ii) und (iii). Verwende Korollar 13.(i). ad (ii): Verwende (i) und Korollar 13.(iii). Die Umkehrfunktionen Satz 15. (i) cos bildet [0, π] streng monoton fallend auf [ 1, 1] ab. (ii) sin bildet [ π/2, π/2] streng monoton wachsend auf [ 1, 1] ab. Beweis. ad (i): Bereits bekannt ist: cos [0,π/2] ist streng monoton fallend und nichtnegativ. Für x ]0, π/2] gilt cos(π/2 + x) = cos(π/2 x) < 0, woraus die strenge Monotonie von cos [0,π] folgt. Da cos(0) = 1 und cos(π) = 1 sichern Satz 6 und Satz 3.1 (Zwischenwertsatz), daß cos([0, π]) = [ 1, 1]. ad (ii): Verwende (i) und Korollar 13.(iii).

82 III.5. Trigonometrische Funktionen 78 Beispiel 16. Gemäß Satz 6 und Satz 3.15 (Umkehrsatz) existieren stetige, streng monoton fallende bzw. wachsende Funktion g : [ 1, 1] [0, π] und h : [ 1, 1] [ π/2, π/2] mit cos g = id [ 1,1] g cos = id [0,π], (1) sin h = id [ 1,1] h sin = id [ π/2,π/2]. Durch (1) sind g und h eindeutig bestimmt, siehe Satz I.3.19 (Umkehrabbildung). Definition 17. Die durch (1) bestimmten Funktionen g und h heißen Arcus-Cosinus bzw. Arcus-Sinus, und werden mit arccos bzw. arcsin bezeichnet. Polarkoordinaten Satz 18. Für alle z C\{0} existieren eindeutig bestimmte r ]0, [ und α [0, 2π[ mit z = r exp(ıα). (2) Beweis. Seien r ]0, [ und α [0, 2π[. Dann ist (2) äquivalent zu r = z z/ z = exp(ıα). Es genügt also den Fall z = 1 zu betrachten. Gelte z = 1 und Im(z) 0. Dann z = exp(ıα) Re(z) = cos(α) sin(α) 0 α = arccos(re(z)). Gelte z = 1 und Im(z) < 0. Dann folgt mit dem bereits Bewiesenen z = exp(ıα) z = exp(ı(2π α)) α = 2π arccos(re(z)). Definition 19. Für z C heißt (2) mit r [0, [ und α R Polardarstellung von z. Ferner heißen dann r und α Polarkoordinaten von z. Bemerkung 20. (i) Für z = r exp(ıα) und w = q exp(ıβ) gilt (ii) Es gilt exp(c) = C \ {0}. z w = rq exp(ı(α + β)). Tangens und Cotangens Definition 21. (i) Die Tangensfunktion tan : R \ {π/2 + kπ : k Z} R ist definiert durch tan(x) = sin(x) cos(x).

83 III.5. Trigonometrische Funktionen 79 (ii) Die Cotangensfunktion cot : R \ {kπ : k Z} R ist definiert durch Bemerkung 22. Wie oben zeigt man cot(x) = cos(x) sin(x). (i) tan(x + π) = tan(x) für alle x R \ {π/2 + kπ : k Z} (π-periodizität), (ii) cot(x + π) = cot(x) für alle x R \ {kπ : k Z} (π-periodizität), (iii) tan bildet ] π/2, π/2[ stetig und streng monoton wachsend auf R ab, (iv) cot bildet ]0, π[ stetig und streng monoton fallend auf R ab, (v) die entsprechenden Umkehrfunktionen sind stetig und heißen Arcus-Tangens bzw. Arcus-Cotangens, und werden mit arctan bzw. arccot bezeichnet. Literatur. [Fo1, 14].

84 Kapitel IV Differenzierbare Funktionen in einer Variablen Die lokale Approximation von Funktionen durch (affin-)lineare Funktionen ist die Grundidee der Differentialrechnung. Wir entwickeln diese Idee hier zunächst für Funktionen f : D R mit D R und verweisen insbesondere auf [Fo1] und [H1]. 1 Differenzierbarkeit Im Folgenden seien D R und f : D R, und x D sei ein Häufungspunkt von D. Wir definieren m : D \ {x} R durch m(y) = f(y) f(x). y x Bemerkung 1. m(y) ist die Steigung der Gerade durch (x, f(x)) und (y, f(y)). Definition 2. f heißt differenzierbar in x, falls m in x einen Grenzwert besitzt. Ggf. heißt lim y x m(y) die Ableitung von f in x. Notation 1 : f (x) = lim y x m(y). f heißt differenzierbar, falls jeder Punkt aus D ein Häufungspunkt von D ist und f in allen Punkten aus D differenzierbar ist. Bemerkung 3. (i) f ist genau dann in x differenzierbar, wenn m eine Fortsetzung auf D besitzt, die stetig in x ist. Siehe Bemerkung III (ii) Ist f differenzierbar, so definiert x f (x) eine Abbildung f : D R, genannt die Ableitung von f. 1 Man schreibt auch df dx (x) statt f (x). 80

85 IV.1. Differenzierbarkeit 81 Beispiel 4. Sei D = R. (i) Mit c 0, c 1 R sei f(x) = c 1 x + c 0. Dann gilt m(y) = c 1, so daß f differenzierbar ist und f (x) = c 1 für alle x D gilt. (ii) Sei f(x) = x 2. Dann gilt m(y) = y+x, so daß f differenzierbar ist und f (x) = 2x für alle x D gilt. (iii) Sei f(x) = exp(x). Dann gilt m(y) = exp(x) exp(y x) 1. y x Gelte 0 < y x 3/2. Dann zeigt Satz II.7.34 (Restgliedabschätzung) exp(y x) (1 + y x) (y x) 2. Somit gilt exp(y x) 1 1 y x y x, und es folgt lim y x (exp(y x) 1) /(y x) = 1. Fazit: f ist differenzierbar, und f (x) = exp(x) gilt für alle x D. (iv) Sei f(x) = sin(x). Gemäß Korollar III.5.5.(i) (zu den Additionstheoremen) gilt Wir zeigen m(y) = cos ( 1 (y + x)) sin ( 1(y x)) (y x). 2 sin(δ) lim = 1. (1) δ 0 δ Gelte 0 < δ 4. Satz III.5.8 (Restgliedabschätzung) zeigt sin(δ) δ δ 3 /6, so daß sin(δ) 1 δ δ2 6. Hieraus folgt (1). Mit der Stetigkeit der Cosinusfunktion und (1) ergibt sich die Differenzierbarkeit von f und f (x) = cos(x) für alle x D. (v) Sei f(x) = x. Im Fall x = 0 ergibt sich { 1, falls y > 0, m(y) = 1, falls y < 0, so daß f in x = 0 nicht differenzierbar ist. Im Fall x > 0 ergibt sich m(y) = 1 für y [0, [ \ {x}, so daß f in x differenzierbar ist mit f (x) = 1. Im Fall x < 0 ergibt sich m(y) = 1 für y ], 0] \ {x}, so daß f in x differenzierbar ist mit f (x) = 1. Beispiel 5. Seien D = R \ {0} und f(x) = 1/x. Dann gilt m(y) = 1 x y, so daß f differenzierbar ist und f (x) = 1/x 2 für alle x D gilt.

86 IV.1. Differenzierbarkeit 82 Affin-lineare Approximierbarkeit Definition 6. h : R R heißt affin-linear, falls c 0, c 1 R existieren, so daß y R : h(y) = c 1 y + c 0. Bemerkung 7. Für h : R R sind äquivalent: (i) h ist affin-linear und h(x) = f(x), (ii) es existiert c R, so daß y R : h(y) = f(x) + c(y x). (2) Ferner ist f genau dann stetig in x, wenn für eine affin-lineare Funktion (alle affinlinearen Funktionen) h der Form (2) gilt lim(f(y) h(y)) = 0. y x Satz 8. f ist genau dann in x differenzierbar, wenn eine affin-lineare Funktion h der Form (2) existiert mit f(y) h(y) lim = 0. y x y x Ggf. ist h mit dieser Eigenschaft eindeutig bestimmt, und es gilt y R : h(y) = f(x) + f (x)(y x). (3) Beweis. Definiere h : R R durch (3). Für y D \ {x} gilt f(y) h(y) y x = f(y) f(x) y x f (x), woraus die Behauptung folgt. Für y D \ {x} und h von der Form (2) gilt f(y) f(x) y x = f(y) h(y) y x + c, woraus die Differenzierbarkeit von f in x und f (x) = c folgen. Definition 9. Sei f differenzierbar in x. Dann heißt die durch (3) definierte Funktion h : R R die Tangente an (den Graphen von) f im Punkt (x, f(x)). Bemerkung 10. Sei f differenzierbar in x, und sei h die Tangente an f im Punkt (x, f(x)). Dann besagt Satz 8 ε > 0 δ > 0 y D : ( y x < δ f(y) h(y) ε y x ). Graphiken zu dieser Aussage im Fall f = exp und x = 0 finden sich in Abschnitt A.2. Korollar 11. Sei f differenzierbar in x. Dann ist f stetig in x. Beweis. Verwende Satz 8 und Bemerkung 7. Ausblick 12. Es existieren Funktionen f : R R, die stetig, aber in keinem Punkt x R differenzierbar sind. Siehe [A, Bsp. 2.9].

87 IV.1. Differenzierbarkeit 83 Rechenregeln Satz 13 (Summen-, Produktregel). Sind f, g : D R differenzierbar in x, so sind auch f + g und f g differenzierbar in x, und es gilt (f + g) (x) = f (x) + g (x) sowie (f g) (x) = f (x) g(x) + f(x) g (x). Beweis. Es gilt für x, y D mit x y sowie (f(y) + g(y)) (f(x) + g(x)) y x = f(y) f(x) y x + g(y) g(x) y x f(y) g(y) f(x) g(x) y x = f(y) f(x) y x g(y) + f(x) g(y) g(x). y x Verwende Bemerkung III.2.22 und Korollar 11. Satz 14 (Quotientenregel). Sind f, g : D R differenzierbar in x, und gilt g(x) 0, so ist x ein Häufungspunkt von D 0 = {y D : g(y) 0}. Ferner ist f/g : D 0 R differenzierbar in x, und es gilt (f/g) (x) = f (x)g(x) f(x)g (x) g(x) 2. Beweis. Gemäß Korollar 11 ist g stetig in x. Also existiert δ > 0, so daß für alle y D mit y x < δ g(y) g(x) < g(x) /2 und damit insbesondere y D 0 gilt. Da x ein Häufungspunkt von D ist, gilt dies auch bezüglich D 0. Im Spezialfall f = 1 gilt für x, y D 0 mit x y 1/g(y) 1/g(x) y x = 1 g(y) g(x) g(x) g(y), y x woraus die Differenzierbarkeit von 1/g in x mit (1/g) (x) = g (x)/g(x) 2 folgt. Im allgemeinen Fall kombiniere man das bereits Bewiesene mit Satz 13. Beispiel 15. (i) Für D = R und n N sei f n durch f n (x) = x n gegeben. Dann ist f n differenzierbar mit f n(x) = n x n 1 für alle x D. Beweis: Induktion, basierend auf Beispiel 4.(i) und Satz 13. (ii) Für D = R \ {0} und n Z \ N 0 sei f n durch f n (x) = x n gegeben. Dann ist f n differenzierbar mit f n(x) = n x n 1 für alle x D. Beweis: Verwende (i) und Satz 14.

88 IV.1. Differenzierbarkeit 84 Die Kettenregel Satz 16 (Kettenregel). Sei f differenzierbar in x, und sei g : E R mit f(d) E R differenzierbar in f(x). Dann ist g f differenzierbar in x, und es gilt (g f) (x) = g (f(x)) f (x). Beweis. Definiere h : E R durch { g(v) g(f(x)), falls v f(x), v f(x) h(v) = g (f(x)), falls v = f(x). Dann ist h stetig in f(x), und für v E gilt Somit ergibt sich für y D mit y x g(v) g (f(x)) = h(v) (v f(x)). g (f(y)) g (f(x)) y x = h (f(y)) f(y) f(x) y x und weiter unter Verwendung von Korollar 11 g (f(y)) g (f(x)) lim y x y x = g (f(x)) f (x). Beispiel 17. (i) Für D = R sei f(x) = cos(x). Setze h(x) = x + π/2. Es gilt f = sin h. Satz 16 und die Beispiele 4.(i) und (iv) zeigen die Differenzierbarkeit von f und f (x) = cos(x + π/2) = sin(x). (ii) Für D = R \ {π/2 + kπ : k Z} sei f(x) = tan(x). Mit Satz 14 und (i) folgt die Differenzierbarkeit von f sowie f (x) = cos2 (x) + sin 2 (x) cos 2 (x) = 1 cos 2 (x). Der Umkehrsatz Satz 18 (Differenzierbarkeit der Umkehrfunktion). Sei D ein Intervall, das mehr als einen Punkt enthält, und sei f : D R stetig und streng monoton. Bezeichne g die Umkehrfunktion von f als Funktion von D nach f(d). Ist f differenzierbar in x und gilt f (x) 0, so ist g differenzierbar in y = f(x), und es gilt g (y) = 1 f (g(y)).

89 IV.1. Differenzierbarkeit 85 Beweis. Bekannt ist: f(d) ist ein Intervall, das mehr als einen Punkt enthält, und g ist stetig und streng monoton. Insbesondere ist y = f(x) ein Häufungspunkt von f(d). Sei (y n ) n eine Folge in f(d) \ {y} mit lim n y n = y. Setze x n = g(y n ). Dann gilt x n x und ( ) 1 g(y n ) g(y) f(xn ) f(x) =. y n y x n x Wende Satz II.5.16 (Quotientenregel) an. Beispiel 19. (i) Gemäß Satz 18 ist ln : ]0, [ R differenzierbar, und es gilt für alle y ]0, [. ln (y) = 1 exp(ln(y)) = 1 y (ii) Für x ]0, [ und α R sei f(x) = x α = exp(α ln(x)). Gemäß (i) und Satz 16 ist f differenzierbar mit f (x) = exp(α ln(x)) α/x = α exp((α 1) ln(x)) = α x α 1. Speziell für α = 1/n mit n N ergibt sich f(x) = n x und f (x) = 1/n x 1/n 1. (iii) Gemäß Satz 18 ist arcsin : [ 1, 1] R in y ] 1, 1[ differenzierbar mit arcsin (y) = 1 cos(arcsin(y)) = 1 1 sin 2 (arcsin(y)) = 1. 1 y 2 (iv) Gemäß Satz 18 ist arctan : R R differenzierbar, und es gilt für y R arctan (y) = cos 2 (arctan(y)). Setze x = arctan(y). Dann gilt x ] π/2, π/2[ und y 2 = tan 2 (x) = so daß cos 2 (x) = 1/(1 + y 2 ). Fazit: Höhere Ableitungen 1 cos 2 (x) 1, arctan (y) = y 2. Notation: Für D R bezeichnet C(D) die Menge der stetigen Funktionen von D nach R. Im Folgenden sei jeder Punkt aus D R ein Häufungspunkt von D.

90 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 86 Definition 20. (i) f heißt nullmal differenzierbar, und f (0) = f heißt die nullte Ableitung von f. Für k N heißt f k-mal differenzierbar, falls f (k 1)-mal differenzierbar und die (k 1)-te Ableitung f (k 1) von f differenzierbar ist. In diesem Fall heißt f (k) = (f (k 1) ) die k-te Ableitung von f. Notation: f = f (2). (ii) Für k N heißt f k-mal stetig differenzierbar, falls f k-mal differenzierbar und f (k) C(D) gilt. Notation: C k (D) Menge der k-mal stetig differenzierbaren Funktionen von D nach R. (iii) f heißt beliebig oft differenzierbar, falls f für jedes k N k-mal differenzierbar ist. Notation (und Bemerkung): C (D) = k=1 Ck (D) Menge der beliebig oft differenzierbaren Funktionen von D nach R. Beispiel 21. Sei D = R, und seien n N und a 0,..., a n R mit a n 0. Betrachte die durch n f(x) = a k x k definierte Polynomfunktion. Per Induktion zeigt man: f C n (R) und k=0 f (n) = n! a n. Es folgt f C (R) und f (k) = 0 für k > n. Literatur. [Fo1, 15]. 2 Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung Im Folgenden seien D R, f : D R und x D. Ferner seien a, b R mit a < b. Sprechweise: f ist differenzierbar in D 0 D, falls f in jedem Punkt aus D 0 differenzierbar ist. Lokale und globale Extrema Definition 1. x heißt (i) lokales Maximum von f, falls δ > 0 y D ]x δ, x + δ[ : f(y) f(x), (ii) lokales Minimum von f, falls δ > 0 y D ]x δ, x + δ[ : f(y) f(x),

91 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 87 (iii) globales Maximum 2 von f, falls y D : f(y) f(x), (iv) globales Minimum von f, falls y D : f(y) f(x). Ferner steht Extremum für Maximum oder Minimum, und lokale Extrema heißen streng (strikt), falls die entsprechende Forderung mit < bzw. > für alle y D mit 0 < x y < δ gilt. Bemerkung 2. Globale Extrema sind lokale Extrema. Satz 3. Sei x D ein lokales Extremum von f. Falls f differenzierbar in x ist, gilt f (x) = 0. Beweis. Sei x D ein lokales Maximum von f. Wähle δ > 0 mit ]x δ, x + δ[ D und y ]x δ, x + δ[ : f(y) f(x). Sei n 2. Für x n = x + δ/n folgt f(x n ) f(x) x n x 0, und für x n = x δ/n folgt f(x n ) f(x) x n x 0. Mit Satz II.5.18 (Vergleichssatz) ergibt sich f (x) = 0. Sei x D ein lokales Minimum von f. Dann ist x ein lokales Maximum von f, und mit dem bereits Bewiesenen ergibt sich f (x) = ( f) (x) = 0. Bemerkung 4. Sei f : [a, b] R in ]a, b[ differenzierbar. Seien L und G die Mengen der lokalen bzw. globalen Extrema von f. Aus Satz 3 folgt G L {a, b} {x ]a, b[ : f (x) = 0}. Ist f ferner stetig, so zeigt Korollar III.3.5 (Extremalsatz), daß G. Beispiel 5. Für D = R sei f(x) = x 3. Es gilt f (0) = 0, aber f besitzt als streng monoton wachsende Funktion auf einer offenen Menge keine lokalen Extrema. Beispiel 6. Für D = [0, [ und α > 0 sei f(x) = exp( x) x α. Es gilt (i) f(0) = 0, (ii) f(x) > 0 für alle x > 0, 2 Hier und bei (iv) Begriffsbildung analog für beliebige Definitionsbereiche D.

92 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 88 (iii) f ist stetig, (iv) lim x f(x) = 0, siehe Beispiel III.2.26 und beachte x α x n für x 1 und n N mit n α. Aus (i) und (ii) folgt, daß x = 0 das globale Minimum von f ist. Mit L und G bezeichnen wir die Mengen der lokalen bzw. globalen Maxima von f. Gemäß (ii) und (iv) existiert x 0 > 1 mit (v) f(x) < f(1) für alle x x 0. Korollar III.3.5 (Extremalsatz) und (iii) sichern die Existenz eines globalen Maximum von f [0,x0 ], und mit (v) folgt, daß jeder solche Punkt auch ein globales Maximum von f ist. Somit ergibt sich G, und wegen (i) und (ii) gilt 0 L. Für x > 0 gilt f (x) = exp( x) x α 1 (α x), so daß f (x) = 0 genau für x = α gilt. Mit Satz 6 ergibt sich G L {α}, so daß x = α das globale Maximum von f ist. Der Mittelwertsatz Satz 7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung). Sei f : [a, b] R stetig und in ]a, b[ differenzierbar. Dann existiert ξ ]a, b[ mit f (ξ) = f(b) f(a). b a Beweis. Wir betrachten zunächst den Spezialfall f(a) = f(b) (Satz von Rolle). Im Fall f = f(a) gilt f = 0. Andernfalls existiert x ]a, b[ mit f(x) f(a). Für die Menge G der globalen Extrema von f gilt G \ {a, b}, siehe Korollar III.3.5 (Extremalsatz). Wende Bemerkung 4 an. Im allgemeinen Fall sei g(x) = f(x) f(b) f(a) (x a) b a für x ]a, b[. Dann gilt g(a) = g(b) = f(a), und der Satz von Rolle sichert die Existenz von ξ ]a, b[ mit 0 = g (ξ) = f f(b) f(a) (ξ). b a Korollar 8. Sei D ein Intervall, und sei f stetig sowie differenzierbar in D. Für m 1, m 2 R gelte z D : m 1 f (z) m 2. Dann folgt 3 x, y D : x < y m 1 f(y) f(x) y x m 2. 3 Funktionen mit dieser Eigenschaft heißen Lipschitz-stetig, siehe [H1, S. 212].

93 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 89 Beweis. Wende Satz 7 auf f [x,y] an. Korollar 9. Sei D ein Intervall, und sei f stetig sowie differenzierbar in D. Dann ( x D : f (x) = 0) f konstant. Beweis. Verwende Korollar 8 mit m 1 = m 2 = 0. Die folgenden beiden Sätze behandeln sogenannte Differentialgleichungen, deren Studium Gegenstand der Vorlesung Einführung: Gewöhnliche Differentialgleichungen ist. Satz 10. Sei f : R R differenzierbar, und sei c R. Dann sind äquivalent: (i) x R : f (x) = c f(x), (ii) a R x R : f(x) = a exp(c x). Ggf. ist a eindeutig durch a = f(0) bestimmt. Beweis. (i) (ii) : Setze g(x) = f(x) exp( c x). Dann gilt g (x) = f (x) exp( c x) c f(x) exp( c x) = 0. Korollar 9 zeigt, daß g konstant ist. Offenbar gilt g(0) = f(0). (ii) (i) : klar. Satz 11. Sei f : R R zweimal differenzierbar. Dann sind äquivalent: (i) x R : f (x) = f(x), (ii) a, b R x R : f(x) = a cos(x) + b sin(x). Ggf. sind a und b eindeutig durch a = f(0) und b = f (0) bestimmt. Beweis. (i) (ii) : Setze g(x) = f(x) f(0) cos(x) f (0) sin(x). Dann gilt g = g und g(0) = g (0) = 0. Setze h(x) = g(x) 2 + g (x) 2. Dann gilt h (x) = 2g(x) g (x) + 2g (x) g (x) = 0 und h(0) = 0. Korollar 9 zeigt h = 0, woraus g = 0 folgt. (ii) (i) : klar. Bemerkung 12. Für f gemäß Satz 11.(ii) und c = a 2 + b 2 gelte c > 0. Nach Satz III.5.18 (Polarkoordinaten) existiert α [0, 2π[ mit a/c = sin(α) und b/c = cos(α). Satz III.5.4.(ii) (Additionstheorem) zeigt für x R f(x) = c sin(x + α).

94 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 90 Monotonie- und Konvexitätskriterien Korollar 13. Sei D ein Intervall, und sei f stetig sowie differenzierbar auf D. Dann gilt: (i) x D : f (x) 0 f monoton wachsend, (ii) x D : f (x) > 0 f streng monoton wachsend. Beweis. : Für x, y D mit x < y existiert ξ ]x, y[ mit f(y) = f(x) + f (ξ) (y x), siehe Satz 7. in (i) : Verwende Satz II.5.18 (Vergleichssatz). Beispiel 14. Die Funktion aus Beispiel 5 ist streng monoton wachsend, aber es gilt f (0) = 0. Beispiel 15. Für f gemäß Beispiel 6 erlaubt Korollar 13 einen einfacheren Nachweis dafür, daß x = α das globale Maximum von f ist: f ist streng monoton wachsend auf [0, α] und streng monoton fallend auf [α, [. Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.3. Bemerkung 16. Die Anwendung von Korollar 13 auf f liefert Aussagen über (streng) monoton fallende Funktionen. Korollar 17. Sei f differenzierbar, sei x D und sei δ > 0 mit ]x δ, x + δ[ D. Gelte y ]x δ, x[ : f (y) 0 sowie y ]x, x + δ[ : f (y) 0. Dann ist x ein lokales Maximum von f. Liegen obige Eigenschaften mit > bzw. < vor, ist x ein strenges lokales Maximum. Beweis. Nach Korollar 13 ist f (streng) monoton wachsend auf ]x δ, x] und (streng) monoton fallend auf [x, x + δ[. Korollar 18. Sei f differenzierbar, und sei f differenzierbar in x D. Gelte f (x) = 0 f (x) < 0. Dann besitzt f in x ein strenges lokales Maximum. Beweis. Da f (x) < 0, existiert δ > 0 mit ]x δ, x + δ[ D und sowie y ]x δ, x[ : f (y) > f (x) y ]x, x + δ[ : f (y) < f (x). Beachte f (x) = 0, und wende Korollar 17 an.

95 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 91 Bemerkung 19. Die Anwendung der Korollare 17 und 18 auf f liefert Aussagen über lokale Minima. Beispiel 20. Für D = R seien f(x) = x 2 und g(x) = x 4. Dann ist x = 0 das globale Minimum von f sowie von g, und es gilt f (0) = g (0) = 0, f (0) = 2, aber g (0) = 0. Definition 21. Sei D ein Intervall. f heißt konvex, falls für alle x 1, x 2 D und alle λ ]0, 1[ f (λ x 1 + (1 λ) x 2 ) λ f(x 1 ) + (1 λ) f(x 2 ). f heißt konkav, falls f konvex ist. Satz 22. Sei D ein offenes Intervall, und sei f zweimal differenzierbar. Dann sind äquivalent: (i) f konvex, (ii) x D : f (x) 0. Beweis. (i) (ii) : Annahme: es existiert x D mit f (x) < 0. Setze g(y) = f(y) f (x) (y x) für y D. Dann ist g konvex und zweimal differenzierbar mit g (x) = 0 und g (x) = f (x) < 0. Nach Korollar 18 ist x ein strenges lokales Maximum von g. Folglich existiert δ > 0 mit x δ, x + δ D und max (g(x δ), g(x + δ)) < g(x). Da (x δ + x + δ)/2 = x, ergibt sich ein Widerspruch. (ii) (i) : Seien x 1, x 2 D mit x 1 < x 2 und λ ]0, 1[. Setze x = λ x 1 + (1 λ) x 2. Gemäß Satz 7 existieren ξ 1 ]x 1, x[ und ξ 2 ]x, x 2 [ mit f (ξ 1 ) = f(x) f(x 1) x x 1 = f(x) f(x 1) (1 λ) (x 2 x 1 ). und f (ξ 2 ) = f(x 2) f(x) x 2 x Nach Korollar 13 gilt f (ξ 1 ) f (ξ 2 ), woraus = f(x 2) f(x) λ (x 2 x 1 ). f(x) f(x 1 ) 1 λ f(x 2) f(x) λ und weiter f(x) λ f(x 1 ) + (1 λ) f(x 2 ) folgt. Definition 23. A R heißt Nullmenge, falls für alle ε > 0 eine Folge (]a n, b n [) n beschränkter offener Intervalle existiert, so daß A n N ]a n, b n [ (b n a n ) ε. n=1

96 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 92 Lemma 24. (i) Teilmengen von Nullmengen sind Nullmengen. (ii) Abzählbare Vereinigungen von Nullmengen sind Nullmengen. Insbesondere sind abzählbare Mengen Nullmengen. Beweis. ad (i): klar. ad (ii): Betrachte eine Folge (A k ) k von Nullmengen, und wähle ε > 0. Nach Voraussetzung existieren Folgen (]a n,k, b n,k [) n mit A k n N ]a n,k, b n,k [ und n=1 (b n,k a n,k ) ε/2 k. Wende Satz II.3.13.(ii) (Vereinigung abzählbarer Mengen) und Beispiel II.7.3 an. Bemerkung 25. Es existieren überabzählbare Nullmengen, siehe Tutorium (GdM II). Ausblick 26. Seien D ein Intervall und f monoton. Dann ist die Menge aller x D, für die f nicht differenzierbar in x ist, eine Nullmenge. Siehe [A, Satz 4.17]. Die Regeln von de l Hospital Satz 27 (2. Mittelwertsatz der Differentialrechnung). Seien f, g : [a, b] R stetig und in ]a, b[ differenzierbar. Dann existiert ξ ]a, b[ mit Beweis. Wende Satz 7 auf (f(b) f(a)) g (ξ) = (g(b) g(a)) f (ξ). h(x) = (f(b) f(a)) g(x) (g(b) g(a)) f(x), x [a, b], an. Satz 28 (Regeln von de l Hospital). Seien f, g : ]a, [ R differenzierbar, und gelte g (x) 0 für alle x ]a, [. Ferner gelte (i) lim x f(x) = lim x g(x) = 0 oder (ii) g ist bestimmt divergent für x, und f /g besitze einen Grenzwert oder sei bestimmt divergent für x. Dann besitzt f/g die entsprechende Eigenschaft mit f(x) lim x g(x) = lim f (x) x g (x). Beweis. Setze D = ]a, [. Nach Voraussetzung existiert für jedes b R und jedes x D ein y > x mit g(y) b. Insbesondere ist D 0 = {x D : g(x) 0} unbeschränkt. Wir betrachten den Fall, daß f /g einen Grenzwert für x besitzt, und setzen c = lim x f (x)/g (x). Sei ε > 0. Wähle a 0 > a, so daß x ]a 0, [ : f (x) g (x) c ε.

97 IV.2. Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung 93 Sei (x n ) n eine Folge in D 0 mit lim n x n =. Gelte (i). Für n N sei (y n,m ) m eine Folge in ]x n, [ mit lim m y n,m = und g(y n,m ) g(x n ) für alle m N. Dann f(x n ) g(x n ) = lim m f(y n,m ) f(x n ) g(y n,m ) g(x n ). Gemäß Satz 27 existiert für alle n, m N ein ξ n,m ]x n, y n,m [ mit f(y n,m ) f(x n ) g(y n,m ) g(x n ) = f (ξ n,m ) g (ξ n,m ). Für alle n N mit x n > a 0 folgt f(x n ) g(x n ) c ε. Dies zeigt lim n f(x n )/g(x n ) = c. Gelte (ii). Dann existiert n 0 N mit g(x n ) g(a 0 ) für alle n n 0. Für n n 0 gilt weiter f(x n ) g(x n ) = f(x ( n) f(a 0 ) g(x n ) g(a 0 ) 1 g(a ) 0) + f(a 0) g(x n ) g(x n ). Mit Satz 27 folgt wie im Fall (i) lim n f(x n ) f(a 0 ) g(x n ) g(a 0 ) = c. Da lim n 1/g(x n ) = 0, ergibt sich hieraus lim n f(x n )/g(x n ) = c. Falls f /g für x bestimmt divergent ist, schließt man ebenso. Weitere Varianten von Satz 28 finden sich in [Fo1, 16]. Beispiel 29. Seien α > 0 und D = ]0, [. Betrachte h(x) = ln(x)/x α für x D. Frage: Besitzt h einen Grenzwert für x? Setze f(x) = ln(x) und g(x) = x α für x D. Es gilt lim x f(x) =. Da x α = exp(α ln(x)) 1+α ln(x) für alle x D infolge von Satz 7, gilt auch lim x g(x) =. Ferner gilt f (x) = 1/x und g (x) = α x α 1, also f (x) g (x) = 1 α x. α Mit Satz 28 ergibt sich lim x h(x) = 0, d.h. Literatur. [Fo1, 16]. α > 0 ε > 0 x 0 1 x > x 0 : 0 < ln(x) < ε x α.

98 Kapitel V Integrierbare Funktionen in einer Variablen In diesem Kapitel fassen wir die Begriffe des Mittelwertes einer Funktion und des Flächeninhaltes gewisser Teilmengen des R 2. Damit eng verbunden ist die Frage, ob und ggf. wie sich eine Funktion aus ihrer Ableitung rekonstruieren läßt. 1 Das Riemann-Integral Im Folgenden seien a, b R mit a < b. Mit B([a, b]), C([a, b]) und T ([a, b]) bezeichnen wir die Mengen der beschränkten Funktionen, der stetigen Funktionen bzw. der Treppenfunktionen von [a, b] nach R. Integration von Treppenfunktionen Satz 1. Für f, g T ([a, b]) und λ R gilt (i) f + g T ([a, b]), (ii) λ f T ([a, b]). Beweis. ad (i): Seien (x 0,..., x n ) und (x 0,..., x n ) Zerlegungen von [a, b], so daß die Funktionen f ]xk 1,x k [ für alle k {1,..., n} konstant und g ]x k 1,x k [ für alle k {1,..., n } konstant sind. Es existiert (genau) eine Zerlegung (z 0,..., z m ) von [a, b] mit {z 0,..., z m } = {x 0,..., x n } {x 0,..., x n }. (1) Sei l {1,..., m}. Dann existieren (genau ein) k {1,..., n} und (genau ein) k {1,..., n }, so daß ]z l 1, z l [ ]x k 1, x k [ ] x k 1, x k [. Folglich sind f ]zl 1,z l [ und g ]zl 1,z l [ und somit auch (f + g) ]zl 1,z l [ konstant. ad (ii): Klar. 94

99 V.1. Das Riemann-Integral 95 Lemma 2. Für f T ([a, b]) seien (x 0,..., x n ) und (x 0,..., x n ) Zerlegungen von [a, b] und c 1,..., c n, c 1..., c n R mit und Dann gilt k {1,..., n} : f ]xk 1,x k [ = c k (2) k {1,..., n } : f ]x k 1,x k [ = c k. n n c k (x k x k 1 ) = c k (x k x k 1). k=1 Beweis. Im Spezialfall {x 0,..., x n } {x 0..., x n } existieren 0 = k 0 < < k n = n, so daß x k = x k für k {0,..., n}. Es folgt k n c k (x k x k 1 ) = k=1 = n k=1 k=1 c k k k k =1 l=k k 1 +1 (x l x l 1) k n k n c l (x l x l 1) = c k (x k x k 1). l=k k 1 +1 k =1 Im allgemeinen Fall betrachtet man die Zerlegung (z 0,..., z m ) von [a, b] mit (1) und wendet zweimal den Spezialfall an. Definition 3. Für f T ([a, b]) mit (2) heißt n k=1 c k (x k x k 1 ) das Integral von f. Notation: b f(x) dx = n a k=1 c k (x k x k 1 ). Notation: Für f, g : X R heißt f g, daß f(x) g(x) für alle x X gilt. Ferner steht f g für g f. Satz 4 (Linearität und Monotonie). Für f, g T ([a, b]) und λ R gilt (i) b (f + g)(x) dx = b f(x) dx + b a a a (ii) b (λ f)(x) dx = λ b f(x) dx, a a (iii) f g b f(x) dx b g(x) dx. a a g(x) dx, Beweis. ad (i): Wähle eine Zerlegung (x 0,..., x n ) von [a, b] und c 1,..., c n, d 1,..., d n R mit k {1,..., n} : ( f ]xk 1,x k [ = c k g ]xk 1,x k [ = d k ), vgl. Beweis Satz 1. Dann b a (f + g)(x)dx = = = n (c k + d k ) (x k x k 1 ) k=1 n c k (x k x k 1 ) + k=1 b a f(x) dx + b a n d k (x k x k 1 ) k=1 g(x) dx. Die Aussagen (ii) und (iii) lassen sich ebenso beweisen.

100 V.1. Das Riemann-Integral 96 Riemann-Integrierbarkeit Bemerkung 5. Sei f B([a, b]). Dann existieren τ, σ T ([a, b]) mit τ f σ. Für ϕ, ψ T ([a, b]) mit ϕ f ψ zeigt Satz 4.(iii), daß b ϕ(x) dx b σ(x) dx sowie a a b ψ(x) dx b τ(x) dx. Beachte Satz III.1.18 und Korollar III.1.23 (Supremum und a a Infimum) mit Blick auf die folgende Definition. Definition 6. Sei f B([a, b]). Dann heißen b a { b f(x) dx = inf a } ψ(x) dx : ψ T ([a, b]), ψ f und b { b } f(x) dx = sup ϕ(x) dx : ϕ T ([a, b]), ϕ f a a das Ober- bzw. Unterintegral von f. Bemerkung 7. Aus Bemerkung 5 folgt (i) b f(x) dx b f(x) dx für alle f B([a, b]), a a (ii) b f(x) dx = b a a f(x) dx = b f(x) dx für alle f T ([a, b]). a Definition 8. f B ([a, b]) heißt (Riemann-)integrierbar, falls b a f(x) dx = b a f(x) dx. In diesem Fall heißt b f(x) dx das Riemann-Integral von f. a Notation: R ([a, b]) bezeichnet die Menge der Riemann-integrierbaren Funktionen von [a, b] nach R, und b f(x) dx = b f(x) dx für f R([a, b]). a a Beispiel 9. Für f = 1 [a,b] Q gilt b a 1 [a,b] Q B([a, b]) \ R ([a, b]). f(x) dx = (b a) und b f(x) dx = 0. Es folgt a Satz 10 (Integrabilitätskriterium). Für f : [a, b] R sind äquivalent (i) f R ([a, b]), (ii) für alle ε > 0 existieren ϕ, ψ T ([a, b]) mit ϕ f ψ b a ψ(x) dx Ggf. gilt b a f(x) dx [ b a ψ(x) dx ε, b a ψ(x) dx]. Beweis. Klar. b a ϕ(x) dx < ε. (3)

101 V.1. Das Riemann-Integral 97 Korollar 11. Für f B([a, b]) seien (ϕ n ) n und (ψ n ) n Folgen in T ([a, b]) mit und n N : ϕ n f ψ n lim (ψ n ϕ n )(x) dx = 0. n a ( ) b Dann folgt f R([a, b]), und ψ a n(x) dx ist konvergent mit b n lim n b ψ n (x) dx = b a a f(x) dx. (4) Beweis. f R([a, b]) folgt mit den Sätzen 4 und 10, und es gilt 0 woraus (4) folgt. b a ψ n (x) dx b a f(x) dx b a ψ n (x) dx b a ϕ n (x) dx, Beispiel 12. Sei f(x) = x für x [a, b]. Für n N und k {0,..., n} sei Setze und ϕ n = ψ n = x k,n = a + k b a n. (5) n f(x k 1,n ) 1 [xk 1,n,x k,n[ + f(b) 1 {b} k=1 n f(x k,n ) 1 [xk 1,n,x k,n[ + f(b) 1 {b}. k=1 Dann gilt ϕ n f ψ n und ϕ n, ψ n T ([a, b]). Ferner b a (ψ n ϕ n )(x) dx = = n k=1 Mit Korollar 11 folgt f R([a, b]). Weiter gilt b a ψ n (x) dx = b a n = b a n (f(x k,n ) f(x k 1,n )) b a n (f(b) f(a)) (b a). n n k=1 = (b a) a + ( a + k b a ) n ( n a + b a n (b a)2 2 woraus b a x dx = (b2 a 2 )/2 folgt, siehe Korollar 11. n (n + 1) 2 n + 1 n, )

102 V.1. Das Riemann-Integral 98 Satz 13. Jede monotone Funktion f : [a, b] R ist integrierbar. Beweis. Wie im ersten Teil von Beispiel 12. Satz 14. Jede stetige Funktion f : [a, b] R ist integrierbar. Beweis. Sei ε > 0. Gemäß Satz III.3.13 (Approximation durch Treppenfunktionen) existieren ϕ, ψ T ([a, b]) mit ϕ f ψ und ψ(x) ϕ(x) < ε für alle x [a, b]. Satz 4 zeigt b a ψ(x) dx Wende Satz 10 an. b a ϕ(x) dx = b a (ψ ϕ)(x) dx b a ε dx = ε (b a). Ausblick 15. Das Lebesguesche Integrabilitätskriterium, siehe [H1, 84]: Für f : [a, b] R sind äquivalent (i) f R ([a, b]), (ii) f B ([a, b]) und {x [a, b] : f unstetig in x} ist eine Nullmenge. Eigenschaften des Riemann-Integrals Satz 16 (Linearität und Monotonie). Für f, g R ([a, b]) und λ R gilt f +g, λ f R([a, b]) sowie (i) b (f + g)(x) dx = b f(x) dx + b a a a (ii) b (λ f)(x) dx = λ b f(x) dx, a a (iii) f g b f(x) dx b g(x) dx. a a g(x) dx, Beweis. ad (i): Sei ε > 0. Gemäß Satz 10 existieren ϕ 1, ϕ 2, ψ 1, ψ 2 ϕ 1 f ψ 1 und ϕ 2 g ψ 2 sowie T ([a, b]) mit b ψ i (x) dx b a a ϕ i (x) dx < ε, i = 1, 2. Es gilt ϕ 1 + ϕ 2 f + g ψ 1 + ψ 2, und Satz 1.(i) sichert ϕ 1 + ϕ 2, ψ 1 + ψ 2 T ([a, b]). Schließlich gilt gemäß Satz 4 b a (ψ 1 + ψ 2 )(x) dx = b Wende Satz 10 an. ad (ii): Analog. ad (iii): Klar. ψ 1 (x) dx b a b (ϕ 1 + ϕ 2 )(x) dx ϕ 1 (x) dx + b ψ 2 (x) dx b a a a a ϕ 2 (x) dx 2ε.

103 V.1. Das Riemann-Integral 99 Definition 17. Für f : X R heißen f +, f : X R, definiert durch f + (x) = max(f(x), 0), f (x) = min(f(x), 0), Positiv- bzw. Negativteil von f. Bemerkung 18. Es gilt f = f + f und f = f + + f. Satz 19. Für f, g R ([a, b]) und p 1 gilt (i) f +, f, f R([a, b]) und b f(x) dx b a f(x) dx, a (ii) f p R([a, b]), (iii) f g R([a, b]). Beweis. ad (i): Sei ε > 0. Gemäß Satz 10 existieren ϕ, ψ T ([a, b]) mit (3). Insbesondere gilt ϕ +, ϕ, ψ +, ψ T ([a, b]) sowie ϕ + f + ψ + und ϕ f ψ. Mit Satz 4 folgt b a ψ + (x) dx = b a b a b a ψ(x) dx ψ(x) dx ϕ + (x) dx b a b a ϕ(x) dx + b a ϕ(x) dx < ε. ψ (x) dx b a ϕ (x) dx Satz 10 zeigt f + R([a, b]), und mit Satz 16 folgt f, f R([a, b]). Weiter zeigt Satz 16 b f(x) dx b a f(x) dx, da f f und f f. a ad (ii): Wir können ohne Einschränkung 0 f 1 voraussetzen. Sei ε > 0. Gemäß Satz 10 existiere ϕ, ψ T ([a, b]) mit (3) sowie 0 ϕ ψ 1. Es folgt ϕ p, ψ p T ([a, b]) und ϕ p f p ψ p, und Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung) zeigt ψ p ϕ p p (ψ ϕ). Verwende die Sätze 4 und 10. ad (iii): Verwende (ii), Satz 16 und ( f g = 1 4 (f + g) 2 (f g) 2). Integration auf Teilintervallen Satz 20. Seien f : [a, b] R und c ]a, b[. Genau dann gilt f R([a, b]), wenn f [a,c] R([a, c]) und f [c,b] R([c, b]), und ggf. gilt b a f(x) dx = c a f(x) dx + b c f(x) dx. Beweis. Für f T ([a, b]) ist die Aussage klar; im allgemeinen Fall wende man Satz 10 und Korollar 11 an.

104 V.1. Das Riemann-Integral 100 Der Mittelwertsatz der Integralrechnung Im Folgenden sei g : [a, b] [0, [ integrierbar mit b g(x) dx > 0. Setze a c g = b a g(x) dx. b Definition 21. Für f R([a, b]) heißt 1/c g f(x) g(x) dx der gewichtete Mittelwert a von f (bzgl. g). Notation: M g (f). Satz 22 (Mittelwertsatz der Integralrechnung). Für alle f C([a, b]) existiert ξ [a, b] mit M g (f) = f(ξ). Beweis. Die Sätze 14 und 19 sichern f g R([a, b]). Setze m = inf{f(x) : x [a, b]} und M = sup{f(x) : x [a, b]}. Es folgt m g f g M g und weiter mit Satz 16 m c g = b a m g(x) dx b a f(x) g(x) dx b a M g(x) dx = M c g. Dies zeigt M g (f) [m, M], und Satz III.3.1 (Zwischenwertsatz) und Korollar III.3.5 (Extremalsatz) sichern die Existenz von ξ [a, b] mit f(ξ) = M g (f). Riemann-Summen Definition 23. Sei f : [a, b] R, sei X = (x 0,..., x n ) eine Zerlegung von [a, b] und sei Ξ = (ξ 1,..., ξ n ) R n. (i) µ(x) = max k {1,...,n} (x k x k 1 ) heißt Feinheit von X. (ii) Ξ heißt Zwischenpunktsystem zur Zerlegung X, falls ξ k [x k 1, x k ] für alle k {1,..., n} gilt, (iii) Sei Ξ ein Zwischenpunktsystem zur Zerlegung X. Dann heißt S(X, Ξ, f) = n f(ξ k ) (x k x k 1 ) k=1 Riemann-Summe von f zur Zerlegung X mit dem Zwischenpunktsystem Ξ. Satz 24. Für alle f R([a, b]) und ε > 0 existiert ein δ > 0, so daß für alle Zerlegungen X von [a, b] und alle zugehörigen Zwischenpunktsysteme Ξ gilt µ(x) δ b a f(x) dx S(X, Ξ, f) ε.

105 V.1. Das Riemann-Integral 101 Beweis. Wir betrachten den Spezialfall f T ([a, b]). Sei (z 0,..., z m ) eine Zerlegung von [a, b], so daß f ]zl 1,z l [ konstant für alle l {1,..., m} ist. Seien X und Ξ wie oben. Dann b n xk n xk f(x) dx = f(x) dx, S(X, Ξ, f) = f(ξ k ) dx. x k 1 x k 1 a k=1 k=1 Ferner { k {1,..., n} : f [xk 1,x k ] nicht konstant } {k {1,..., n} : [x k 1, x k ] {z 0,..., z m } } 2m. Setze M = sup{ f(x) : x [a, b]}. Dann gilt f(x) f(y) 2M für alle x, y [a, b] und b f(x) dx S(X, Ξ, f) 2m 2M µ(x). a Zu f 0 und ε > 0 leistet δ = ε/(4mm) das Verlangte, während die Aussage trivialerweise für f = 0 gilt. Betrachte den allgemeinen Fall. Sei ε > 0. Wähle ϕ, ψ T ([a, b]) mit (3) sowie δ > 0, so daß ( b b ) µ(x) δ max ϕ(x) dx S(X, Ξ, ϕ), ψ(x) dx S(X, Ξ, ψ) ε. Falls µ(x) δ, folgt b a f(x) dx S(X, Ξ, f) a = b a b a 2ε. ψ(x) dx S(X, Ξ, ϕ) ϕ(x) dx S(X, Ξ, ϕ) + Ebenso ergibt sich S(X, Ξ, f) b f(x) dx 2ε. a a b a ψ(x) dx b a ϕ(x) dx Bemerkung 25. Als Umkehrung von Satz 24 gilt: Ist f B([a, b]), und konvergiert (S(X n, Ξ n, f)) n für jede Folge von Zerlegungen X n mit lim n µ(x n ) = 0 und jede Folge zugehöriger Zwischenpunktsysteme Ξ n, so folgt f R([a, b]). Siehe [H1, Kap. X]. Beispiel 26. Sei f C([a, b]) differenzierbar in ]a, b[, und sei c 0 mit f (x) c für alle x ]a, b[. Satz 14 sichert f R([a, b]). Für x k,n gemäß (5) sei für k {1,..., n}. Dann heißt ξ k,n = 1 2 (x k 1,n + x k,n ) S(X n, Ξ n, f) = b a n n f(ξ k,n ) = k=1 n k=1 xk,n x k 1,n f(ξ k,n ) dx

106 V.2. Integration und Differentiation 102 Mittelpunktregel zur Zerlegung X n = (x 0,n,..., x n,n ). Gemäß Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung) gilt f(x) f(ξ k,n ) c x ξ k,n. Es folgt b a f(x) dx S(X n, Ξ n, f) n k=1 c xk,n f(x) f(ξ k,n ) dx x k 1,n n xk,n x ξ k,n dx. x k 1,n k=1 Mit Beispiel 12 ergibt sich xk,n x k 1,n x ξ k,n dx = = 1 2 ξk,n Fazit: für den Fehler der Mittelpunktregel gilt b f(x) dx S(X n, Ξ n, f) a xk,n (ξ k,n x) dx + (x ξ k,n ) dx x k 1,n ξ k,n ( x 2 k,n 2ξk,n 2 + xk 1,n) 2 (b a) 2 =. 4n 2 c (b a)2. 4n Definition 27. Für f R([a, b]) mit f 0 ist der Flächeninhalt der Menge definiert als b f(x) dx. a Literatur. [Fo1, 18] und [H1, Kap. X]. {(x, y) [a, b] R : 0 y f(x)} 2 Integration und Differentiation Im Folgenden sei D R ein Intervall mit mehr als einem Element. Ferner seien f, F : D R und a, b D mit a < b. Sprechweise: f integrierbar auf [a, b], falls f [a,b] R([a, b]). Notation: Falls f integrierbar auf [a, b], sei Ferner sei a f(x) dx = 0. a a b f(x) dx = b a f(x) dx. Bemerkung 1. Satz 1.20 (Integration auf Teilintervallen) gilt für alle a, b, c D, falls f auf [min(a, b, c), max(a, b, c)] integrierbar ist.

107 V.2. Integration und Differentiation 103 Stammfunktionen Definition 2. F heißt Stammfunktion (unbestimmtes Integral) von f, falls F differenzierbar ist mit F = f. Beispiel 3. Sei D = ]0, [. (i) Seien α R \ { 1} und f(x) = x α für x D. Dann definiert F (x) = 1/(α + 1) x α+1 eine Stammfunktion von f. (ii) Sei f(x) = x 1 für x D. Dann definiert F (x) = ln(x) eine Stammfunktion von f. (iii) Sei f = 1 [1, [. Annahme: F ist eine Stammfunktion von f. Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung) und Korollar IV.1.11 (Differenzierbarkeit und Stetigkeit) zeigen die Existenz von c R mit { c, falls 0 < x < 1, F (x) = x + c 1, falls x 1, für alle x R. Widerspruch, da F nicht differenzierbar in x = 1. Somit besitzt f keine Stammfunktion. Satz 4. Sei F eine Stammfunktion von f, und sei G : D R. Dann sind äquivalent (i) G ist eine Stammfunktion von f, (ii) G F ist konstant. Beweis. (ii) (i) klar. (i) (ii) Es gilt (G F ) = 0. Wende Korollar IV.2.9 (zum Mittelwertsatz der Differentialrechnung) an. Hauptsätze Satz 5 (1. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei f integrierbar auf [a, b]. Ferner besitze f eine Stammfunktion F. Dann gilt b a f(x) dx = F (b) F (a). Beweis. Wähle x k,n gemäß (1.5). Für k {1,..., n} existieren ξ k,n ]x k 1,n, x k,n [ mit f(ξ k,n ) = F (x k,n) F (x k 1,n ) x k,n x k 1,n, siehe Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung). Für X n = (x 0,n,..., x n,n ) und Ξ n = (ξ 1,n,..., ξ n,n ) gilt Wende Satz 1.24 (Riemann-Summen) an. S(X n, Ξ n, f) = F (b) F (a).

108 V.2. Integration und Differentiation 104 Bemerkung 6. (i) Es existieren Funktionen, die integrierbar sind, aber keine Stammfunktion besitzen. Vgl. Beispiel 3.(iii). (ii) Es existieren Funktionen, die nicht integrierbar sind, aber eine Stammfunktion besitzen. Siehe Tutorium 9.1. Satz 7 (2. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung). Sei f stetig. Für a D sei F a : D R definiert durch F a (x) = Dann ist F a eine Stammfunktion von f. x a f(t) dt. (1) Beweis. Beachte Bemerkung III.2.3.(ii) und Satz 1.14 (Integrierbarkeit und Stetigkeit). Für x, y D mit x y existiert ξ [min(x, y), max(x, y)] mit F a (y) F a (x) y x = 1 y x y x f(t) dt = f(ξ) siehe Satz 1.22 (Mittelwertsatz der Integralrechnung). Es folgt die Differenzierbarkeit von F a in x mit F a(x) = f(x). Bemerkung 8. Sei f R([a, b]). Falls f stetig in x [a, b], ist F a : [a, b] R, gegeben durch (1), differenzierbar in x mit F a(x) = f(x). Gemäß Ausblick 1.15 ist die Menge der Punkte x [a, b], in denen F a nicht differenzierbar ist oder F a(x) f(x) gilt, eine Nullmenge. Korollar 9. Sei f stetig. Dann besitzt f eine Stammfunktion, und für jede Stammfunktion F von f gilt b a f(x) dx = F (b) F (a). Bemerkung 10. Im Sinn der Sätze 5 und 7 ist die Integration die Umkehrung der Differentiation. Genauer ist {F C 1 (D) : F (a) = 0} C(D) : F F eine Bijektion mit Umkehrabbildung 1 f f(t) dt. a Beispiel 11. Sei f(x) = 1/x für x R \ {0}. Als stetige Funktion ist f auf jedem Intervall [a, b] R \ {0} integrierbar. Für 0 < a < b gilt b a 1/x dx = ln(b) ln(a), siehe Beispiel 3.(ii) und Korollar 9. Für a < b < 0 gilt b a 1/x dx = ln( b) ln( a), 1 Hier wird f eine Funktion zugeordnet; deren Argument wird durch angedeutet.

109 V.2. Integration und Differentiation 105 wie aus Korollar 9 und F (x) = 1/x für F (x) = ln( x) mit x < 0 folgt. Betrachte die alternierende harmonische Reihe. Per Induktion zeigt man 2n k=1 ( 1) k 1 /k = n 1/(n + k) für alle n N. Mit x k,n = 1+k/n für k {0,..., n} und ξ k,n = x k,n für k {1,..., n} ergibt sich n n 1/(n + k) = 1/ξ k,n (x k,n x k 1,n ). k=1 Satz 1.24 (Riemann-Summen) zeigt lim n 2n k=1 Die Substitutionsregel k=1 ( 1) k 1 /k = k= /x dx = ln(2). Im Folgenden seien D R ein Intervall mit mehr als einem Element sowie a, b R mit a < b. Satz 12 (Substitutionsregel). Seien f C(D) und ϕ C 1 ([a, b]) mit ϕ([a, b]) D. Dann gilt b a f (ϕ(x)) ϕ (x) dx = ϕ(b) ϕ(a) f(x) dx. Beweis. Sei F eine Stammfunktion von f, siehe Satz 7. Dann gilt (F ϕ) = f ϕ ϕ, und Korollar 9 zeigt b a f (ϕ(x)) ϕ (x) dx = F (ϕ(b)) F (ϕ(a)) = ϕ(b) ϕ(a) f(x) dx. Beispiel 13. (i) Sei ϕ C 1 ([a, b]) nicht konstant, und gelte ϕ(x) 0 für alle x [a, b]. Da ϕ /ϕ C([a, b]), folgt ϕ /ϕ R([a, b]). Ferner ist D = ϕ([a, b]) ein Intervall mit mehr als einem Element. Beachte 0 D, und setze f(y) = 1/y für y D. Mit Satz 12 und Beispiel 11 folgt b a ϕ (x) ϕ(x) dx = ϕ(b) ϕ(a) 1/x dx = ln ( ϕ(b) ) ln ( ϕ(a) ). (ii) Speziell für [a, b] ] π/2, π/2[ und ϕ(x) = cos(x) ergibt sich ϕ /ϕ = tan und weiter b b ϕ (x) tan(x) dx = dx = ln (cos(a)) ln (cos(b)). a a ϕ(x) Notation: Man setzt F (x) b a = F (b) F (a).

110 V.3. Uneigentliche Integrale 106 Die partielle Integration Satz 14 (Partielle Integration). Seien f, g C 1 ([a, b]). Dann gilt b Beweis. Korollar 9 zeigt f(x) g (x) dx = (f g)(x) b a b a a b f(x) g (x) dx + b a a f (x) g(x) dx. f (x) g(x) dx = (f g)(x) b a. Beispiel 15. Satz 14, angewandt mit f(x) = cos(x) und g(x) = sin(x), zeigt Es folgt b a cos 2 (x) dx = (cos sin)(x) b a + b a b a sin 2 (x) dx. cos 2 (x) dx = 1 2 ((cos sin)(x) b a + x b a). Beispiel 16. Seien D = [ 1, 1] und f(x) = 1 x 2 für x D. Als stetige Funktion ist f auf jedem Intervall [u, v] D integrierbar. Setze a = arcsin(u) und b = arcsin(v) sowie ϕ(x) = sin(x) für x [a, b] [ π/2, π/2]. Dann gilt ϕ([a, b]) D und v u f(x) dx = b a cos 2 (x) dx = 1 2 ((cos sin)(x) b a + x b a), siehe Satz 12 und Beispiel 15. Ferner gilt cos(arcsin(y)) = 1 y 2 für y D, siehe Beispiel IV.1.19.(iii). Fazit: v ( 1 x2 dx = 1 ( ) 1 y 2 2 y) v u + arcsin(y) v u. u Insbesondere 1 1 x2 dx = 1 2 arcsin(y) 1 1 = π/2. 1 Literatur. [Fo1, 19] und [H1, Kap. X]. 3 Uneigentliche Integrale Uneigentliche Integrale auf kompakten Intervallen Im Folgenden seien a, b R mit a < b sowie f : ]a, b] R, so daß f für alle x ]a, b[ integrierbar auf [x, b] ist. Definiere F : ]a, b[ R durch F (x) = b x f(t) dt.

111 V.3. Uneigentliche Integrale 107 Definition 1. Falls F einen Grenzwert in a besitzt, heißt f uneigentlich integrierbar. Notation: ggf. b a f(t) dt = lim x a F (x). Bemerkung 2. (i) f ist genau dann uneigentlich integrierbar, wenn für jede Folge (x n ) n in ]a, b[ mit lim n x n = a die Folge (F (x n )) n eine Cauchy-Folge ist. (ii) Sei f zusätzlich beschränkt. Dann ist f uneigentlich integrierbar. Für M = sup { f(x) : x ]a, b]} und x, y ]a, b[ gilt nämlich F (x) F (y) max(x,y) min(x,y) f(t) dt x y M. Im Fall g R([a, b]) mit f = g ]a,b] gilt überdies b f(t) dt = b g(t) dt. In der a a Tat liegt diese Situation für jede beschränkte Funktion f vor, wie mit Ausblick 1.15 folgt. (iii) Falls zusätzlich f 0 oder f 0 gilt, ist f genau dann uneigentlich integrierbar, wenn F beschränkt ist. Beispiel 3. Seien a = 0, b = 1 und α > 0, und sei f(x) = x α. Für α = 1 gilt F (x) = ln(t) 1 x = ln(x) = ln(1/x). Da lim x a F (x) =, ist f nicht uneigentlich integrierbar. Sei α > 1. Für x ]0, 1] gilt x α x 1. Mit dem bereits Bewiesenen und Satz 1.16.(iii) (Monotonie) folgt, daß f nicht uneigentlich integrierbar ist. Für α < 1 gilt F (x) = 1 α + 1 t α+1 1 x = 1 1 α (1 x1 α ), woraus die uneigentliche Integrierbarkeit von f mit 1 0 t α dt = 1/(1 α) folgt. Analog erklärt und behandelt man uneigentliche Integrale b f(t) dt für geeignete a Funktionen f : [a, b[ R. Uneigentliche Integrale auf Intervallen [a, [ Im Folgenden seien a R sowie f : [a, [ R, so daß f für alle x ]a, [ integrierbar auf [a, x] ist. Definiere F : ]a, [ R durch F (x) = x a f(t) dt. Definition 4. Falls F einen Grenzwert für x besitzt, heißt f uneigentlich integrierbar. Notation: ggf. f(t) dt = lim a x F (x). Bemerkung 5. Bemerkung 2.(i) und (iii) überträgen sich sinngemäß bzw. wörtlich auf die Situation von Definition 4.

112 V.3. Uneigentliche Integrale 108 Beispiel 6. Seien a = 1 und α > 0, und sei f(x) = x α. Für α = 1 gilt F (x) = ln(t) x 1 = ln(x). Da lim x F (x) =, ist f nicht uneigentlich integrierbar. Sei α < 1. Für x [1, [ gilt x α x 1. Mit dem bereits Bewiesenen und Satz 1.16.(iii) (Monotonie) folgt, daß f nicht uneigentlich integrierbar ist. Für α > 1 gilt F (x) = 1 α + 1 t α+1 x 1 = 1 α 1 (1 x1 α ), woraus die uneigentliche Integrierbarkeit von f mit 1 t α dt = 1/(α 1) folgt. Beispiel 7. Sei a = 0. (i) Seien λ > 0 und f(x) = λ exp( λ x). Dann gilt F (x) = exp( λ t) x 0 = 1 exp( λ x), woraus die uneigentliche Integrierbarkeit von f mit 0 λ exp( λ t) dt = 1 folgt. Stichwort: Exponentialverteilung. Ein Graphik und weitere Fakten finden sich in Abschnitt A.4. (ii) Seien σ > 0 und f(x) = 1/σ exp( x 2 /(2σ 2 )). Für x 2σ 2 gilt exp( x 2 /(2σ 2 )) exp( x), so daß x F (x) F (2σ 2 ) + 1/σ exp( t) dt. 2σ 2 Mit Bemerkung 5 und Beispiel (i) folgt die uneigentliche Integrierbarkeit von f. Da F (x) = x/σ gemäß Satz 2.12 (Substitutionsregel), folgt 0 1/σ exp( t 2 /(2σ 2 )) dt = 0 exp( t 2 /2) dt 0 exp( t 2 /2) dt für alle σ > 0. Es gilt 0 exp( t 2 /2) dt = π/2, siehe XI Stichwort: Normalverteilung. Mehr dazu in der Vorlesung Stochastische Methoden. Analog erklärt und behandelt man uneigentliche Integrale b f(t) dt für geeignete Funktionen f : ], b] R sowie Kombinationen der bisher erklärten Fälle.

113 V.3. Uneigentliche Integrale 109 Satz 8 (Integralvergleichskriterium). Sei f : [1, [ [0, [ monoton fallend. Dann sind äquivalent (i) f ist uneigentlich integrierbar, (ii) k=1 f(k) ist konvergent. Ggf. gilt f(k) k=2 1 f(x) dx f(k). k=1 Beweis. Verwende m f(k) m f(t) dt k=2 1 1 m+1 f(t) dt m f(k) k=1 sowie die Monotonie von F. Die Gamma-Funktion Für t, x ]0, [ sei f(t, x) = t x 1 exp( t). Bemerkung 9. Es gilt f(t, x) > 0 sowie lim f(t, x) = t 0 und lim t f(t, x) = 0 für alle x > 0. 0, falls x > 1, 1, falls x = 1,, falls 0 < x < 1, Lemma 10. Für alle t 0, x ]0, [ ist f(, x) uneigentlich integrierbar über [0, t 0 ] und [t 0, [. Beweis. Es gilt so daß f(t, x) exp( t/2) = 2x 1 (t/2) x 1 exp( t/2), lim t f(t, x) exp( t/2) = 0. Mit Bemerkung 5 und Beispiel 7.(i) folgt die uneigentliche Integrierbarkeit von f(, x) über [t 0, [ für jedes t 0 > 0. Da f(t, x) t x 1 folgt mit Beispiel 3 die uneigentliche Integrierbarkeit von f(, x) über [0, t 0 ] für jedes t 0 > 0.

114 V.3. Uneigentliche Integrale 110 Setze Γ(x) = t0 0 t x 1 exp( t) dt + t 0 t x 1 exp( t) dt, x > 0, und beachte, daß die rechte Seite nicht von der Wahl von t 0 abhängt 2. Die so definierte Abbildung Γ : ]0, [ ]0, [ heißt Gamma-Funktion. Satz 11 (Funktionalgleichung der Gamma-Funktion). Für alle x ]0, [ gilt x Γ(x) = Γ(x + 1). Insbesondere gilt Γ(n + 1) = n! für alle n N 0. Beweis. Seien t 0, t 1 ]0, [ mit t 0 < t 1 sowie x ]0, [. Satz 2.14 (partielle Integration) zeigt t1 t 0 t x exp( t) dt = ( t x exp( t)) t 1 t0 + x t1 t 0 t x 1 exp( t) dt, woraus Γ(x + 1) = x Γ(x) mit Bemerkung 9 folgt. Beispiel 7.(i) zeigt Γ(1) = 1 = 0!, so daß sich Γ(n + 1) = n! für alle n N 0 per Induktion ergibt. Ausblick 12. Die Stirlingsche Formel besagt lim n n! 2πn (n/e) n = 1, siehe [Fo1, S ]. Literatur. [Fo1, 20]. 2 Man schreibt deshalb Γ(x) = 0 t x 1 exp( t) dt.

115 Kapitel VI Vektorräume und lineare Abbildungen Vektorräume und lineare Abbildungen sind die Grundobjekte der Linearen Algebra, in deren Rahmen wir beispielsweise die Lösungstheorie für lineare Gleichungssysteme entwickeln. Wir verweisen insbesondere auf [Fi]. 1 Vektorräume Im Folgenden sei K ein Körper. Wir verwenden die üblichen Bezeichnungen +,, 0 und 1 und die üblichen Konventionen. Definition 1. Eine Menge V zusammen mit Abbildungen : V V V : K V V Addition skalare Multiplikation heißt K-Vektorraum (Vektorraum über K), falls folgendes gilt: (i) (V, ) ist eine kommutative Gruppe. (ii) Für alle λ, µ K und v, w V gilt (λ + µ) v = λ v µ v, λ (v w) = λ v λ w, λ (µ w) = (λ µ) w, 1 v = v. Die Elemente von V heißen Vektoren, und die Elemente von K heißen Skalare. Notation: 0 für das neutrale Element und v für das zu v V inverse Element in (V, ). Konvention: bindet stärker als. 111

116 VI.1. Vektorräume 112 Beispiel 2. (i) Für n N sei V = K n = {(x 1,..., x n ) : x i K für i {1,..., n}}. Definiere (x 1,..., x n ) (y 1,..., y n ) = (x 1 + y 1,..., x n + y n ), λ (x 1,..., x n ) = (λ x 1,..., λ x n ) für λ K und (x 1,..., x n ), (y 1,..., y n ) V. Auf diese Weise erhält man einen K-Vektorraum. Beweis Übung. Soweit nichts anderes gesagt, betrachten wir K n stets als K-Vektorraum mit den so definierten Vektorraumoperationen und. Insbesondere ist V = K ein K-Vektorraum, und V = C ist auch ein R-Vektorraum; hier ist die Addition komplexer Zahlen, und ist die Multiplikation komplexer Zahlen, eingeschränkt auf R C, siehe Abschnitt III.4. Ebenso ist V = R ein Q-Vektorraum. (ii) Allgemeiner seien M eine Menge und V ein K-Vektorraum mit den Vektorraumoperationen V und V. Dann ist V M, versehen mit (ϕ ψ)(m) = ϕ(m) V ψ(m), (λ ϕ)(m) = λ V ϕ(m) für ϕ, ψ V M, λ K und m M ein K-Vektorraum. Beweis Übung. Wir betrachten V M, und insbesondere K M, stets als K-Vektorraum mit den so definierten Vektorraumoperationen und. Sprechweise: punktweise Addition bzw. skalare Multiplikation, vgl. Definition I Spezialfälle: Für K = R und M R ist R M der Vektorraum der Abbildungen von M nach R. Insbesondere ist R N der Vektorraum der reellen Zahlenfolgen. Im Folgenden sei V ein K-Vektorraum. Lemma 3. Für v V und λ K gilt (i) 0 v = 0, (ii) λ 0 = 0, (iii) λ v = 0 λ = 0 v = 0, (iv) ( 1) v = v. Beweis. ad (i): Es gilt 0 v = (0 + 0) v = 0 v 0 v. ad (ii): Es gilt λ 0 = λ (0 0) = λ 0 λ 0. ad (iii): Aus λ v = 0 und λ 0 folgt v = 1 v = (λ 1 λ) v = λ 1 0 = 0 mit (ii). ad (iv): Mit (i) folgt v ( 1) v = 1 v ( 1) v = (1 + ( 1)) v = 0. Fortan 0, + und statt 0, und sowie oft λv statt λ v für λ K und v V.

117 VI.1. Vektorräume 113 Unterräume Definition 4. U V heißt Unterraum (linearer Teilraum) von V, falls (i) U, (ii) v, w U : v + w U, (iii) λ K v U : λ v U. Bemerkung 5. Bezüglich der Mengeninklusion ist {0} der kleinste und V der größte Unterraum von V, und für jeden Unterraum U von V gilt 0 U. Vgl. Bemerkung I Beispiel 6. (i) Für a K n und b K ist U = { x K n : n i=1 genau dann ein Unterraum von K n, wenn b = 0. } a i x i = b (ii) Die Mengen der beschränkten, der konvergenten und der Nullfolgen sind Unterräume des Vektorraums R N. (iii) Unterräume von V = R [a,b] mit a, b R und a < b sind D([a, b]) C([a, b]) R([a, b]) B([a, b]), wobei D([a, b]) die Menge der differenzierbaren Funktionen von [a, b] nach R bezeichnet. Satz 7. Jeder Unterraum von V, versehen mit der induzierten Addition und der induzierten skalaren Multiplikation, ist ein K-Vektorraum. Beweis. Wie für Untergruppen, siehe Satz I Lemma 8. Für jede Familie (U i ) i I von Unterräumen von V mit I ist i I U i ein Unterraum von V. Beweis. Wie für Untergruppen, siehe Lemma I Bemerkung 9. Das Analogon zu Lemma 8 für Vereinigungen ist falsch. Siehe auch [Fi, S. 79].

118 VI.1. Vektorräume 114 Erzeugte Unterräume und Linearkombinationen Definition 10. Für W V sei U = {U : U Unterraum von V, W U}. Dann heißt U U U der von W erzeugte (aufgespannte) Unterraum oder die lineare Hülle von W. Notation: span(w ) = U. U U Bemerkung 11. Bezüglich der Mengeninklusion ist span(w ) der kleinste Unterraum von V, der W enthält, vgl. Bemerkung I Insbesondere gilt span( ) = {0}. Definition 12. Seien n N und v 1,..., v n V. Dann heißt v V Linearkombination von v 1,..., v n V, falls λ 1,..., λ n K : v = n λ i v i. i=1 Notation: Wir bezeichnen mit L(v 1,..., v n ) die Menge der Linearkombinationen von v 1,..., v n. Beispiel 13. (i) Für V = R 2 sowie v 1 = (1, 0), v 2 = (0, 1) und v 3 = (3, 2) gilt L(v 1, v 2 ) = L(v 1, v 3 ) = L(v 2, v 3 ) = L(v 1, v 2, v 3 ) = R 2. (ii) Sei V der Vektorraum der zweimal differenzierbaren Funktionen von R nach R (als Unterraum von R R ). Definiere v 1, v 2 V durch v 1 (t) = cos(t) und v 2 (t) = sin(t) für t R. Dann gilt siehe Satz IV Satz 14. Für W V gilt L(v 1, v 2 ) = {f V : f = f}, span(w ) = {v V : n N v 1,..., v n W : v L(v 1,..., v n )}. Beweis. : Dies gilt, da span(w ) ein Unterraum von V mit W span(w ) ist. : Wir zeigen zunächst, daß L(v 1,..., v n ) für alle n N und v 1,..., v n V ein Unterraum von V ist. Offenbar gilt 0 L(v 1,..., v n ). Für v, w L(v 1,..., v n ) existieren λ 1,..., λ n, µ 1,..., µ n K mit v = n λ i v i, w = i=1 n µ i v i. i=1

119 VI.1. Vektorräume 115 Es folgt (per Induktion) sowie für alle λ K. Sei Da v + w = λv = n (λ i + µ i )v i L(v 1,..., v n ) i=1 n λλ i v i L(v 1,..., v n ) i=1 U = {v V : n N v 1,..., v n W : v L(v 1,..., v n )}. L(v 1,..., v n ) L(w 1,..., w m ) L(v 1,..., v n, w 1,..., w m ) U für n, m N und v 1,..., v n, w 1,..., w m W, folgt mit dem bereits Bewiesenen, daß U ein Unterraum von V ist. Offenbar gilt W U. Korollar 15. Für n N und v 1,..., v n V gilt span({v 1,..., v n }) = L(v 1,..., v n ). Beispiel 16. Seien V = R 3 und v 1, v 2 V. Korollar 15 zeigt span({v 1 }) = {λv 1 : λ R}, so daß span({v 1 }) im Fall v 1 0 die Gerade durch 0 und v 1 ist. Ebenso gilt span({v 1, v 2 }) = {λv 1 + µv 2 : λ, µ R}, so daß span({v 1, v 2 }) im Fall v 1 0 und v 2 span({v 1 }) die Ebene durch 0, v 1 und v 2 ist. Siehe [Fi, 0.3] und Definition Beispiel 17. (i) Sei V = R R. Definiere v i V für i N 0 durch v i (t) = t i für t R. Dann ist span({v i : i N 0 }) der Unterraum der Polynomfunktionen. (ii) Für I sei V = K I. Definiere e i V für i I durch { 1, falls i = j, e i (j) =. (1) 0, sonst. Dann gilt 1 span({e i : i I}) = {v V : {i I : v(i) 0} ist endlich}. Insbesondere gilt span({e i : i I}) = V genau dann, wenn I endlich ist. Literatur. [Fi, 1.4]. 1 Für I = N 0 ist span({e i : i I}) der Vektorraum der Polynome über K.

120 VI.2. Basen und Dimension Basen und Dimension Im Folgenden sei V ein K-Vektorraum, und (v i ) i I V 0 = {v i : i I}. sei eine Familie in V. Setze Falls I endlich ist, kann in der Regel ohne Einschränkung I = {1,..., n} angenommen werden. Schreibweise: (v 1,..., v n ) statt (v i ) i {1,...,n}, siehe Seite 9. Lineare Unabhängigkeit Definition 1. Sei I endlich. Dann ist (v i ) i I linear unabhängig, falls für alle (λ i ) i I K I gilt λ i v i = 0 ( i I : λ i = 0). i I Andernfalls ist (v i ) i I linear abhängig. Die leere Familie (v i ) i ist linear unabhängig. Bemerkung 2. (i) Im Fall I = 1 ist (v i ) i I genau dann linear unabhängig, wenn (v i ) i I (0) i I. (ii) Gilt v i = 0 für ein i I, so ist (v i ) i I linear abhängig. Beweis: 1 0 = 0. (iii) Existieren i, j I mit i j und v i = v j, so ist (v i ) i I linear abhängig. Beweis: 1 v + ( 1) v = 0. (iv) Für J I gilt: (v i ) i I linear unabhängig (v i ) i J linear unabhängig. Lemma 3. Für endliche Mengen I mit I 2 sind äquivalent (i) (v i ) i I linear abhängig, (ii) i I : v i L((v j ) j I\{i} ). Beweis. (i) (ii) Es existieren (λ j ) j I K I und i I mit j I λ jv j = 0 und λ i 0. Es folgt v i = j I\{i} ( λ j/λ i ) v j L((v j ) j I\{i} ). (ii) (i) Es existieren i I und (λ j) j I\{i} K I\{i} mit v i = j I\{i} λ jv j. Setze λ i = 1. Dann j I λ jv j = 0. Beispiel 4. (i) Mit den Bezeichnungen aus Beispiel 1.13.(i) sind (v 1, v 2 ), (v 1, v 3 ) und (v 2, v 3 ) linear unabhängig, während (v 1, v 2, v 3 ) linear abhängig ist. (ii) Mit den Bezeichnungen aus Beispiel 1.13.(ii) ist (v 1, v 2 ) linear unabhängig. Beweis: Gelte λ 1 v 1 + λ 2 v 2 = 0 für λ 1, λ 2 R. Dann folgt 0 = (λ 1 v 1 + λ 2 v 2 )(0) = λ 1 und 0 = (λ 1 v 1 + λ 2 v 2 )(π/2) = λ 2.

121 VI.2. Basen und Dimension 117 Satz 5. Für endliche Mengen I sind äquivalent (i) (v i ) i I linear unabhängig, (ii) für alle v span(v 0 ) existiert eindeutig (λ i ) i I K I mit v = i I λ i v i. Beweis. (i) (ii) Die Existenz folgt mit Korollar 1.15 (erzeugter Unterraum). Verwende λ i v i = µ i v i (λ i µ i )v i = 0 i I i I i I für (λ i ) i I, (µ i ) i I K I zum Beweis der Eindeutigkeit. (ii) (i) Betrachte v = 0. Definition 6. Sei I unendlich. Dann ist (v i ) i I linear unabhängig, falls (v i ) i I0 für jede endliche Menge I 0 I linear unabhängig ist. Andernfalls heißt (v i ) i I linear abhängig. Bemerkung 7. (i) (v i ) i I ist genau dann linear unabhängig, wenn für alle endlichen Mengen I 0 I und alle (λ i ) i I0 K I 0 gilt λ i v i = 0 ( i I 0 : λ i = 0). i I 0 (ii) Die Aussagen (ii) (iv) aus Bemerkung 2 gelten für beliebige Mengen I. Beispiel 8. Für V und (e i ) i I gemäß Beispiel 1.17.(ii) ist (e i ) i I linear unabhängig. Falls I endlich ist, d.h. für V = K n mit n N, gilt ferner span({e i : i I}) = V. Satz 9. Im Fall span(v 0 ) {0} sind äquivalent (i) (v i ) i I linear unabhängig, (ii) für alle v span(v 0 ) \ {0} existiert eine eindeutig bestimmte endliche Menge I 0 I und eine eindeutig bestimmte Familie (λ i ) i I0 in K \ {0} mit v = i I 0 λ i v i. Beweis. (i) (ii) Sei v span(v 0 ) \ {0}. Gemäß Satz 1.14 (erzeugter Unterraum) existieren J I und (λ i ) i J K J mit v = i J λ iv i. Setze I 0 = {i J : λ i 0}. Dann I 0 und v = i I 0 λ i v i. Seien I 0 endlich und (µ i ) i I 0 (K \ {0}) I 0 mit v = i I µ 0 i v i. Mit der linearen Unabhängigkeit von (v i ) i I folgt I 0 = I 0 und λ i = µ i für i I 0. (ii) (i) Sei (v i) i I linear abhängig. Dann existiert eine endliche Menge I 0 I, so daß (v i ) i I0 linear abhängig ist. Somit existieren eine endliche Menge I 0 I 0 und (λ i ) i I 0 (K \ {0}) I 0, so daß i I 0 λ i v i = 0.

122 VI.2. Basen und Dimension 118 Erzeugendensysteme und Basen Sprechweise: Ist I endlich, so heißen (v i ) i I endlich und I die Länge von (v i ) i I. Ist I unendlich, so heißt (v i ) i I unendlich. Definition 10. (i) (v i ) i I heißt Erzeugendensystem von V, falls V = span({v i : i I}). (ii) Ein linear unabhängiges Erzeugendensystem von V heißt Basis von V. (iii) V heißt endlich erzeugt, falls V ein endliches Erzeugendensystem besitzt. Beispiel 11. (i) Beispiel 8 zeigt, daß (e i ) i {1,...,n} mit e i gemäß (1.1) eine Basis von K n ist. Diese heißt Standardbasis oder kanonische Basis. Insbesondere ist (1, ı) eine Basis des R-Vektorraums C, und (1) ist eine Basis des C-Vektorraums C. (ii) Die Beispiele 1.13.(ii) und 4.(ii) zeigen, daß (cos, sin) eine Basis des Vektorraums aller zweimal differenzierbaren Funktionen f : R R mit f = f ist. (iii) Der Vektorraum {v K N : {i N : v(i) 0} endlich} ist nicht endlich erzeugt. Satz 12. Falls I endlich ist, sind äquivalent: (i) (v i ) i I ist eine Basis von V. (ii) (v i ) i I ist ein Erzeugendensystem von V, und für alle i I ist (v j ) j I\{i} kein Erzeugendensystem von V. (iii) Für jedes v V existiert eindeutig (λ i ) i I K I mit i I λ iv i = v. (iv) (v i ) i I ist linear unabhängig, und jede Familie (w j ) j J in V mit I J, J \I = 1 und (w i ) i I = (v i ) i I ist linear abhängig. Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall I 2. (i) (ii) Annahme: Sei i I, so daß (v j) j I\{i} ein Erzeugendensystem von V. Dann gilt v i L ( (v j ) j I\{i} ), siehe Korollar 1.15 (endlich erzeugter Unterraum). Lemma 3 zeigt die lineare Abhängigkeit von (v i ) i I. Widerspruch. (ii) (iii) Die Existenz ist klar. Zur Eindeutigkeit: Annahme: Es existieren (λ i) i I K I, (µ i ) i I K I und i I mit λ i µ i und λ j v j = µ j v j. j I j I Es folgt v i L ( (v j ) j I\{i} ) und somit L((vj ) j I ) = L ( (v j ) j I\{i} ). Widerspruch. (iii) (iv) : Die lineare Unabhängigkeit von (v i) i I folgt mit Satz 5, die lineare Abhängigkeit von (w j ) j J folgt mit Lemma 3.

123 VI.2. Basen und Dimension 119 (iv) (i) Zu zeigen bleibt V span({v i : i I}). Für v V existieren (λ i ) i I K I und λ K, so daß einerseits i I λ iv i + λv = 0 und andererseits i I mit λ i 0 existiert oder λ 0 gilt. Da (v i ) i I linear unabhängig, folgt λ 0. Fazit v = i I ( λ i )/λ v i span({v i : i I}). Bemerkung 13. Ist V nicht endlich erzeugt, so existiert eine unendliche, linear unabhängige Familie in V. Beweis: Satz 12 erlaubt die rekursive Definition einer linear unabhängigen Folge in V. Korollar 14 (Basisauswahlsatz). Sei V endlich erzeugt mit einem Erzeugendensystem (v i ) i I. Dann existiert eine Teilmenge I 0 I, so daß (v i ) i I0 eine Basis von V ist. Insbesondere besitzt jeder endlich erzeugte Vektorraum eine endliche Basis. Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall V {0}. Gelte V = L((v i ) i I ) mit einer endlichen Menge I. Im Fall I = 1 ist (v i ) i I entweder eine Basis, siehe Bemerkung 2.(i). Im Fall I 2 gilt i I : L((v j ) j I\{i} ) V, und dann ist (v i ) i I gemäß Satz 12 eine Basis, oder es existiert ein i I mit L((v j ) j I\{i} ) = V. Dann betrachtet man (v j ) j I\{i} und fährt wie oben fort. Dimension eines Vektorraumes Lemma 15 (Austauschlemma). Seien I endlich und (v i ) i I eine Basis von V. Gelte w = j I λ jv j mit (λ j ) j I K I, und sei i I mit λ i 0. Dann ist (ṽ j ) j I mit ebenfalls eine Basis von V. Beweis. Siehe [Fi, S. 89]. ṽ j = { v j, falls j i, w, falls j = i, Satz 16 (Basisaustauschsatz). Seien I endlich und (v i ) i I eine Basis von V. Ferner sei (w j ) j J eine linear unabhängige Familie in V mit J. Dann ist J endlich mit J I, und es existiert eine Injektion τ : J I, so daß (ṽ i ) i I mit { w j, falls i = τ(j), ṽ i = v i, falls i / τ(j), eine Basis von V ist.

124 VI.2. Basen und Dimension 120 Beweis. Zunächst sei zusätzlich gefordert, daß J endlich ist. Wir beweisen dann die Aussage per Induktion nach J. Gelte J = 1. Es existiert (λ i ) i I K I mit w j = i I λ iv i, und Bemerkung 2.(i) zeigt w j 0. Wende Lemma 15 an. Gelte J > 1, also J = J 0 {j } mit J 0 und j / J 0. Also J 0 = J 1. Gemäß Induktionsannahme existiert eine Injektion τ : J 0 I, so daß (ˆv i ) i I mit { w j, falls i = τ(j), ˆv i = v i, falls i / τ(j 0 ), eine Basis von V ist, und es gilt J 0 I. Annahme: J 0 = I. Dann ist τ bijektiv, siehe Lemma II.3.4.(i), so daß (w j ) j J0 eine Basis von V ist. Gemäß Satz 12 ist (w j ) j J linear abhängig. Widerspruch. Somit gilt J I. Es existieren (λ i ) i I\τ(J0 ) K I\τ(J0) und (µ j ) j J0 K J 0 mit w j = λ i v i + µ j w j. j J 0 i I\τ(J 0 ) Annahme: Für alle i I \ τ(j 0 ) gilt λ i = 0. Dann ist (w i ) j J linear abhängig. Widerspruch. Wähle i I \ τ(j 0 ) mit λ i 0 und tausche w j und v i. Gemäß Lemma 15 bleibt die Basiseigenschaft erhalten. Annahme: J unendlich. Dann existiert eine endliche Menge J 0 J mit J 0 > I, und (w j ) j J0 ist linear unabhängig. Widerspruch zum bereits Bewiesenen. Korollar 17. Besitzt V eine endliche Basis, so ist jede Basis von V endlich, und die Längen aller Basen von V sind gleich. Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall V {0}. Seien (v i ) i I eine endliche Basis und (w j ) j J eine weitere Basis von V. Gemäß Satz 16 ist J endlich, und zweimalige Anwendung dieses Satzes sichert I = J. Definition 18. Besitzt V eine endliche Basis, so heißt die Länge einer Basis von V die Dimension von V, und V heißt endlich-dimensional. Notation: dim V. Andernfalls heißt V unendlich-dimensional. Beispiel 19. Für n N gilt dim K n = n. Für den R-Vektorraum C gilt dim C = 2, und für den C-Vektorraum C gilt dim C = 1. Definition 20. Ein Unterraum U von K n heißt Gerade durch den Nullpunkt, falls dim U = 1, und Ebene durch den Nullpunkt, falls dim U = 2. Korollar 21. Seien V endlich erzeugt und U ein Unterraum von V. Dann ist auch U endlich erzeugt mit dim U dim V, und aus dim U = dim V folgt U = V. Beweis. Bemerkung 13 und Satz 16 sichern, daß U endlich erzeugt ist. Korollar 14 zeigt, daß U eine endliche Basis besitzt, und Satz 16 sichert dim U dim V. Gelte dim U = dim V. Annahme: U V. Dann folgt insbesondere dim V 1. Seien (u 1,..., u n ) eine Basis von U und v V \U. Dann ist (u 1,..., u n, v) linear unabhängig. Widerspruch zu Satz 16.

125 VI.3. Matrizen 121 Beispiel 22. Beispiel 11.(ii) und Korollar 21 zeigen, daß K N unendlich-dimensional ist. Dies gilt ebenso für den echten Unterraum {v K N : {i N : v(i) 0} endlich}. Korollar 23 (Basisergänzungssatz). Sei V endlich-dimensional mit dim V = n 2. Ferner sei (w 1,..., w r ) linear unabhängig mit r {1,..., n 1}. Dann existieren w r+1,..., w n V, so daß (w 1,..., w n ) eine Basis von V ist. Beweis. Verwende Satz 16. Ausblick 24. Mit Hilfe des Zornschen Lemmas, das äquivalent zum Auswahlaxiom ist, zeigt man, daß jeder Vektorraum eine Basis besitzt. Siehe [Z, S. 94]. Literatur. [Fi, 1.5]. 3 Matrizen Im Folgenden seien K ein Körper und m, n, p N. Gegeben: v 1,..., v m K n. Gesucht: eine Basis von span({v 1,..., v m }). Hier: ein einfacher Algorithmus für dieses Problem, vgl. den Beweis von Korollar 2.14 (Basisauswahlsatz). Definition 1. Abbildungen A : {1,..., m} {1,..., n} K heißen m n-matrizen 2 (über K). Die Elemente a i,j = A(i, j) K heißen die Koeffizienten von A. Notation: A = (a i,j ) 1 i m, 1 j n sowie K m n für die Menge der m n Matrizen über K. Kurz: A = (a i,j ) i,j K m n. Wir identifizieren 3 fortan K m mit K m 1. Aus Platzgründen setzt man (lies transponiert ) und x 1 (x 1,..., x m ) =. x 1. x m x m K m = (x 1,..., x m ) K 1 m für x 1,..., x m K. Siehe auch Definition Zeilenraum und Zeilenrang Definition 2. (i) Für a 1,..., a n K m, A = (a 1,..., a n ) K m n und 1 j n heißt a j die j-te Spalte von A. 2 Anschaulich: rechteckiges Schema von Elementen aus K. 3 Elemente aus K m sind somit Spaltenvektoren.

126 VI.3. Matrizen 122 (ii) Für a 1,..., a m K n, A = a 1. K m n (1) a m und 1 i m heißt a i K 1 n die i-te Zeile von A. Definition 3. (i) Für A gemäß (1) heißen ZR(A) = span({a 1,..., a m }) K n der Zeilenraum von A und rang A = dim ZR(A) der Rang 4 von A. (ii) A K m n besitzt Zeilenstufenform, falls r {0,..., min(m, n)} mit folgenden Eigenschaften existiert: (a) 1 i r 1 j n : a i,j 0, (b) r < i m 1 j n : a i,j = 0, (c) im Fall r 2 gilt j 1 < < j r für j i = min{j : a i,j 0}. Bemerkung 4. Sei A von der Form (1) und in Zeilenstufenform, und sei r gemäß Definition 3.(ii) bestimmt. Dann gilt r = rang A. Im Fall r > 0 gilt ZR(A) = span({a 1,..., a r }), und (a 1,..., a r ) ist eine Basis dieses Unterraums. Definition 5. Elementare Zeilenumformungen von A K m n sind für λ K \ {0} (i) die Multiplikation einer Zeile von A mit λ (Typ I), (ii) die Addition des λ-fachen einer Zeile von A zu einer anderen Zeile von A (Typ II), (iii) die Vertauschung zweier Zeilen von A (Typ III). Lemma 6. à K m n gehe aus A K m n durch endlich viele elementare Zeilenumformungen hervor. Dann gilt ZR(Ã) = ZR(A). Beweis. Wir betrachten zunächst den Fall einer Zeilenumformung. Dann gilt offenbar ZR(Ã) ZR(A). Da sich jede elementare Zeilenumformung durch eine Umformung gleichen Typs rückgängig machen läßt, geht auch A aus à durch eine solche Umformung hervor. Wir erhalten also ZR(A) ZR(Ã). Im allgemeinen Fall schließt man induktiv. Satz 7. Jede Matrix aus K m n kann durch endlich viele elementare Zeilenumformungen in Zeilenstufenform überführt werden. 4 Bei [Fi, S. 96] zunächst als Zeilenrang bezeichnet.

127 VI.3. Matrizen 123 Beweis. Gaußsches Eliminationsverfahren für A = (a 1,..., a n ) = (a i,j ) i,j K m n. (i) Falls A = 0 oder m = 1: Stopp. (ii) Sei j = min{j {1,..., n} : a j 0}. (iii) Wähle i {1,..., m} mit a i,j 0. (iv) Tausche die Zeilen 1 und i, falls i 1. (v) Für i = 2,..., m: Subtrahiere das a i,j /a 1,j -fache der Zeile 1 von der Zeile i. (vi) Falls j = n: Stopp. (vii) Streiche die Zeile 1 und die Spalten 1,..., j, fahre fort mit Schritt 1. Per Induktion folgt, daß dieser Algorithmus für jede Matrix A K m n eine Matrix in Zeilenstufenform liefert. Beispiel 8. Für m = n = 3 seien v 1 = (0, 0, 1), v 2 = (0, 1, 0) und v 3 = (0, 1, 1). Die Gauß-Elimination für A mit den Zeilen v1, v2, v3 liefert Fazit: rang A = 2, span({v 1, v 2, v 3 }) = {x K 3 : x 1 = 0} und ((0, 1, 0), (0, 0, 1) ) ist eine Basis dieses Unterraums. Beispiel 9. Tafelskizze [Fi, S. 95]. Multiplikation von Matrizen Bemerkung 10. Mit den Operationen aus Beispiel 1.2.(ii) ist K m n ein K-Vektorraum, siehe Beispiel 1.2.(ii). Es gilt dim K m n = m n, siehe Beispiel 2.8. Definition 11. Das Produkt C = (c i,j ) i,j K m p von Matrizen A = (a i,l ) i,l K m n und B = (b l,j ) l,j K n p ist definiert durch n c i,j = a i,l b l,j, 1 i m, 1 j p. Notation: C = A B oder kurz C = AB. Konvention: bindet stärker als +. l=1 Bemerkung 12. Die Matrixmultiplikation ist assoziativ, Beweis Tutorium 12.2.a, aber sie ist nicht kommutativ, und aus AB = 0 folgt nicht A = 0 oder B = 0. Beispielsweise gilt ( ) ( ) 1 0 = 0 0 ( ) und ( ) ( ) 0 1 = 0 0 ( )

128 VI.3. Matrizen 124 Bemerkung 13. Gelte Dann A = a 1. a m K m n, B = (b 1,..., b p ) K n p. a 1 B A B = (A b 1,..., A b p ) =.. a m B Im Spezialfall A = (a 1,..., a n ) = (a i,j ) i,j K m n und x K n gilt n l=1 a 1,l x l n Ax =. = x l a l K m. n l=1 a m,l x l=1 l Im Spezialfall y K n und B = b 1. = (b i,j ) i,j K n p gilt b n ( n y B = y l b l,1,..., l=1 ) n y l b l,p = l=1 Definition 14. E n = (e i,j ) i,j K n n mit { 1, falls i = j, e i,j = 0, sonst, heißt n n-einheitsmatrix. n y l b l K 1 p. Lemma 15. Für A, A 1, A 2 K m n, B, B 1, B 2 K n p und λ K gilt 5 (i) (A 1 + A 2 ) B = A 1 B + A 2 B, (ii) A (B 1 + B 2 ) = A B 1 + A B 2, (iii) (λ A) B = A (λ B) = λ (A B), (iv) A E n = A und E n B = B. Beweis. Siehe Tutorium 12.2.b. Schreibweise: Aufgrund von Bemerkung 12 und Lemma 15.(iii) können gewisse Klammern entfallen. Literatur. [Fi, 1.5, 2.5]. 5 Somit ist (K n n, +, ) ein Ring mit dem Einselement E n. l=1

129 VI.4. Lineare Abbildungen Lineare Abbildungen Im Folgenden seien U, V und W K-Vektorräume. Definition 1. Eine Abbildung F : V W heißt linear, falls (i) v, w V : F (v + w) = F (v) + F (w), (ii) v V λ K : F (λv) = λf (v). F heißt linearer Isomorphismus, falls F überdies bijektiv ist. V und W heißen isomorph, falls ein linearer Isomorphismus von V auf W existiert. Beispiel 2. (i) Für A K m n definiert F A (v) = Av, v K n, eine lineare Abbildung F A : K n K m. Siehe Lemma 3.15.(ii) und (iii). (ii) Für K = R, a, b R mit a < b definiert F (v) = b a v(x) dx, v R([a, b]), eine lineare Abbildung F : R([a, b]) R. Siehe Satz V (iii) Für K, a, b wie oben definiert F (v) = v, v C 1 ([a, b]), eine lineare Abbildung F : C 1 ([a, b]) C([a, b]). Siehe Sätze III.2.6 und IV (iv) Für den Vektorraum V der konvergenten Folgen in R N definiert F (v) = lim n v n, v V, eine lineare Abbildung F : V R. Siehe Satz II.5.13 (Summen- und Produktregel). (v) Für eine Menge M und m M definiert F (ϕ) = ϕ(m), ϕ V M, eine lineare Abbildung F : V M V, genannt Auswertung an der Stelle m. Siehe Beispiel 1.2.(ii). Spezialfall: K, a, b wie oben, M = [a, b] und V = R. Bemerkung 3. Sei F : V W linear. Dann gilt (i) F (0) = 0. Beweis: F (0) = F (0 0) = 0 F (0) = 0.

130 VI.4. Lineare Abbildungen 126 (ii) F ist genau dann injektiv, wenn F (v) 0 für alle v V \ {0} gilt. Beweis: Für v, w V gilt F (v) = F (w) F (v w) = 0. (iii) F ( n i=1 λ iv i ) = n i=1 λ if (v i ) für λ 1,..., λ n K und v 1,..., v n V. Beweis: Induktion. (iv) Ist (v i ) i I eine linear abhängige Familie in V, so ist (F (v i )) i I eine linear abhängige Familie in W. Beweis: Verwende (i) und (iii). (v) Sind V V und W W Unterräume, so sind auch F (V ) und F 1 (W ) Unterräume. Beweis: Für v, w V und λ K gilt v + w V und λv V, so daß F (v)+f (w) = F (v+w) F (V ) und λf (v) = F (λv) F (V ). Für v, w V mit F (v), F (w) W und λ K gilt F (v) + F (w) W und λf (v) W, so daß F (v + w) = F (v) + F (w) W und F (λv) = λf (v) W. (vi) Ist V endlich-dimensional, dann ist auch F (V ) endlich-dimensional, und es gilt dim F (V ) dim V. Beweis: Sei (v 1,..., v n ) eine Basis von V. Dann ist (F (v 1 ),..., F (v n )) gemäß (iii) ein Erzeugendensystem von F (V ). Wende Korollar 2.14 (Basisauswahlsatz) an. Bemerkung 4. Sei F : V W. (i) F ist genau dann linear, wenn F (λv + w) = λf (v) + F (w) für alle v, w V und λ K gilt. Beweis: Verwende Bemerkung 3.(i). (ii) Ist F ein linearer Isomorphismus, so ist F 1 linear. Beweis: Seien w, w W und λ K. Für v = F 1 (w) und v = F 1 (w ) gilt und es folgt Satz 5. Sei F : V W linear. F (λv + v ) = λw + w, λf 1 (w) + F 1 (w ) = F 1 (λw + w ). (i) Ist F injektiv und (v i ) i I eine linear unabhängige Familie in V, so ist (F (v i )) i I linear unabhängig. (ii) Ist F surjektiv und (v i ) i I ein Erzeugendensystem von V, so ist (F (v i )) i I ein Erzeugendensystem von W. (iii) Ist F ein linearer Isomorphismus, so besitzen V und W dieselbe Dimensionen. Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall I. ad (i): Sei I 0 I endlich, und gelte i I 0 λ i F (v i ) = 0 für (λ i ) i I0 K I 0. Dann folgt F ( i I 0 λ i v i ) = 0 und weiter i I 0 λ i v i = 0 aufgrund der Injektivität von F. Die lineare Unabhängigkeit von (v i ) i I sichert λ i = 0 für alle i I 0. ad (ii): Sei w W. Nach Voraussetzung existieren v V, I 0 I und (λ i ) i I0 K I 0 mit F (v) = w und v = i I 0 λ i v i. Es folgt w = i I 0 λ i F (v i ). ad (iii): Sei (v i ) i I eine Basis von V. Dann zeigen (i) und (ii), daß (F (v i )) i I eine Basis von W ist.

131 VI.4. Lineare Abbildungen 127 Konstruktion linearer Abbildungen Im Folgenden sei A = (v i ) i I eine Basis von V. Setze K I = {(λ i ) i I K I : {i I : λ i 0} endlich}. Ist I endlich, gilt K I = K I ; insbesondere gilt K I = K n für I = {1,..., n}. Schreibweise: Für (λ i ) i I K I und I 0 = {i : λ i 0} setzen wir λ i v i = λ i v i, i I 0 falls I 0, und falls I 0 =. i I λ i v i = 0, i I Bemerkung 6. Satz 2.9 zeigt: für alle v V existiert genau ein (λ i ) i I K I mit v = i I λ iv i. Satz 7. Sei (w i ) i I eine Familie in W. Dann existiert genau eine lineare Abbildung F : V W mit i I : F (v i ) = w i. Diese Abbildung ist genau dann injektiv, wenn (w i ) i I linear unabhängig ist, und genau dann surjektiv, wenn (w i ) i I ein Erzeugendensystem von W ist. Beweis. Eindeutigkeit : Sei v V, und gelte v = i I λ iv i mit (λ i ) i I K I. Aufgrund der Linearität von F gilt F (v) = i I λ if (v i ) = i I λ iw i. Existenz : Sei v V, und gelte v = i I λ iv i mit (λ i ) i I K I. Definiere F : V W durch F (v) = λ i w i. i I Für w = i I µ iv i mit (µ i ) i I K I gilt (λ i +µ i ) i I K I und v+w = i I (λ i+µ i )v i. Es folgt F (v + w) = i I (λ i + µ i )w i = F (v) + F (w). Für λ K gilt (λ λ i ) i I K I und λv = i I (λ λ i)v i. Es folgt F (λv) = i I (λ λ i)w i = λf (v). Die Aussagen zur Injektivität und Surjektivität sind klar. Beispiel 8. Sei V = W = R 2. (i) Für α R seien v 1 = (cos(0), sin(0)) = (1, 0), v 2 = (cos(π/2), sin(π/2)) = (0, 1), w 1 = (cos(α), sin(α)), w 2 = (cos(π/2 + α), sin(π/2 + α)) = ( sin(α), cos(α)). Dann beschreibt die durch F (v 1 ) = w 1 und F (v 2 ) = w 2 eindeutig definierte lineare Abbildung F : R 2 R 2 eine Drehung der Ebene entgegen dem Uhrzeigersinn um den Winkel α.

132 VI.4. Lineare Abbildungen 128 (ii) Seien v 1 = (1, 1) und v 2 = ( 1, 1). Dann beschreibt die durch F (v 1 ) = v 1 und F (v 2 ) = v 2 eindeutig definierte lineare Abbildung F : R 2 R 2 eine Spiegelung der Ebene am Unterraum span({v 1 }). Korollar 9. Seien V und W endlich-dimensional. V und W sind genau dann isomorph, wenn dim V = dim W. Beweis. : Siehe Satz 5.(iii). : Wähle Basen (v i ) i I und (w i ) i I von V bzw. W, und wende Satz 7 an. Koordinatensysteme Beispiel 10. Betrachte die durch (1.1) definierte Basis E = (e i ) i I von K I, und definiere gemäß Satz 7 durch Φ A (e i ) = v i einen linearen Isomorphismus Für (λ i ) i I K I gilt Φ A : K I V. Φ A ((λ i ) i I ) = Φ A ( i I λ i e i ) = i I Im Spezialfall I = {1,..., n} und V = K n gilt Φ E = id K n. λ i v i. Definition 11. In obiger Situation heißt Φ A das durch A bestimmte Koordinatensystem in V, und Φ 1 A (v) ist die Familie der Koordinaten von v V bzgl. A. Beispiel 12. Im R-Vektorraum C ist (Re(z), Im(z)) die Familie der Koordinaten von z C bzgl. (1, i). Korollar 13. Jeder endlich-dimensionale K-Vektorraum V {0} ist isomorph zu K n für n = dim V. Kern und Bild Im Folgenden sei F : V W linear. Definition 14. ker F = F 1 ({0}) heißt der Kern von F, und Im F = F (V ) heißt das Bild von F. Bemerkung 15. ker F und Im F sind Unterräume von V bzw. W, siehe Bemerkung 3.(v). Ferner ist F genau dann injektiv, wenn ker F = {0}, siehe Bemerkung 3.(ii). Definition 16. Ist Im F endlich-dimensional, so heißt rang F = dim Im F der Rang von F. Beispiel 17. Für V = W = R 2 und A = (a 1, a 2 ) R 2 2 mit a 1 = (2, 1) und a 2 = ( 2, 1) sei F durch F (x) = Ax für x = (x 1, x 2 ) V definiert. Dann gilt Ax = x 1 a 1 + x 2 a 2 = (x 1 x 2 )a 1, siehe Bemerkung 3.13, so daß Im F = span({a 1 }), und damit insbesondere rang F = 1, sowie ker F = span({(1, 1) }).

133 VI.4. Lineare Abbildungen 129 Bemerkung 18. Für u V beschreibt die durch T (v) = u + v definierte Abbildung T : V V die Translation (Verschiebung) um u. Notation: Für u V und V 0 V sei u + V 0 = {u + v 0 : v 0 V 0 } = T (V 0 ) mit T gemäß Bemerkung 18. Sprechweise: Translation von V 0 um u. Definition 19. X V heißt affiner Unterraum von V, falls X = oder falls ein Unterraum V 0 von V und u V mit X = u + V 0 existieren. Lemma 20. Für u, u V und Unterräume V 0 und V 0 von V sind äquivalent (i) u + V 0 = u + V 0, (ii) V 0 = V 0 und u u V 0. Beweis. Da 0 V 0, existiert v 0 V 0 mit u = u + v 0, d.h. u u V 0. Für v 0 V 0 existiert v 0 V 0 mit u + v 0 = u + v 0, d.h. v 0 = u u + v 0 V 0. Ebenso folgt V 0 V 0. : klar. Definition 21. Sei X = u + V 0 mit u V und einem Unterraum V 0 von V. Falls V 0 endlich-dimensional ist, ist dim X = dim V 0 die Dimension von X und X heißt endlich-dimensional. Andernfalls heißt X unendlich-dimensional. Definition 22. Ein affiner Unterraum X von K n heißt Gerade, falls dim X = 1, und Ebene, falls dim X = 2. Satz 23. Sei w W. Dann ist F 1 ({w}) ein affiner Unterraum von V. Im Fall F 1 ({w}) gilt F 1 ({w}) = u + ker F für jedes u F 1 ({w}). Beweis. Betrachte den nicht-trivialen Fall F 1 ({w}). Verwende v = u + (v u) und F (v) = F (u) + F (v u) für u, v V. Beispiel 24. (i) In der Situation von Beispiel 17 gilt für jedes λ R {v V : F (v) = λa 1 } = λ (1, 0) + {µ (1, 1) : µ R} = {λ (1, 0) + µ (1, 1) : µ R}. (ii) Für F gemäß Beispiel 2.(iii) ist ker F der Unterraum der konstanten Funktionen, siehe Korollar IV.2.9 (zum Mittelwertsatz der Differentialrechnung), und F ist surjektiv, siehe Satz V.2.7. Satz 23 liefert die Aussage von Satz V.2.4.

134 VI.4. Lineare Abbildungen 130 Satz 25. Sei V endlich-dimensional, und seien (v i ) i I eine Basis von ker F und (w j ) j J eine Basis von Im F, wobei I J =. Ferner sei v j F 1 ({w j }) für j J. Dann ist (v k ) k I J eine Basis von V. Insbesondere gilt dim V = dim ker F + dim Im F. Beweis. Falls J =, gilt ker F = V und somit F = 0, woraus die Aussagen des Satzes folgen. Im Folgenden sei J. Zunächst sichert Korollar 2.14 (Basisauswahlsatz), daß J endlich ist. Wir zeigen die lineare Unabhängigkeit von (v k ) k I J. Gelte k I J λ kv k = 0 für (λ k ) k I J K I J. Anwendung von F zeigt j J λ jw j = 0, und weiter ergibt sich λ j = 0 für alle j J. Falls I, gilt also i I λ iv i = 0, woraus λ i = 0 für alle i I folgt. Sei v V. Wir zeigen v span({v k : k I J}). Es existiert (λ j ) j J K J mit F (v) = j J λ jw j. Für v = j J λ jv j ergibt sich F (v) = F (v ), also v v + ker F, siehe Satz 23. Beispiel 26. In der Situation von Beispiel 17 ist ((1, 1), (1, 0) ) eine Basis von R 2 mit den Eigenschaften gemäß Satz 25. Korollar 27. Sind V und W endlich-dimensional mit dim V = dim W, so sind die Injektivität, Surjektivität und Bijektivität von F äquivalent. Beweis. Sei F injektiv. Dann zeigt Satz 25, daß dim W = dim Im F, woraus W = Im F aufgrund von Korollar 2.21 folgt. Sei F surjektiv. Dann zeigt Satz 25, daß dim ker F = 0, woraus ker F = {0} folgt. Beispiel 28. Die durch F ((x 1, x 2,... )) = (x 2, x 3,... ) definierte lineare Abbildung F : R N R N ist surjektiv, aber nicht injektiv. Die durch F ((x 1, x 2,... )) = (0, x 1,... ) definierte lineare Abbildung F : R N R N ist injektiv, aber nicht surjektiv. Räume linearer Abbildungen Notation: L(V, W ) bezeichnet die Menge aller linearen Abbildungen von V nach W. Satz 29. (i) L(V, W ) ist ein Untervektorraum von W V. (ii) Für F L(V, W ) und G L(U, V ) gilt F G L(U, W ). (iii) Für F, F 1, F 2 L(V, W ) und G, G 1, G 2 L(U, V ) gilt 6 F (G 1 + G 2 ) = F G 1 + F G 2, (F 1 + F 2 ) G = F 1 G + F 2 G. 6 Somit ist (L(V, V ), +, ) ein Ring mit dem Einselement id V.

135 VI.5. Lineare Abbildungen und Matrizen 131 Beweis. ad (i): Für F = 0 gilt F L(V, W ). Seien F, G L(V, W ) und µ K. Für u, v V und λ K gilt (F + G)(λu + v) = F (λu + v) + G(λu + v) = λf (u) + F (v) + λg(u) + G(v) d.h. F + G L(V, W ). Ferner gilt = λ(f + G)(u) + (F + G)(v), (µf )(λu + v) = µ(f (λu + v)) = µ(λf (u) + F (v)) = λ(µf )(u) + (µf )(v), d.h. µf L(V, W ). ad (ii): Für v, w U und λ K gilt F (G(λv + w)) = F (λg(v) + G(w)) = λf (G(v)) + F (G(w)). ad (iii): Für F L(V, W ), G 1, G 2 : U V und u U gilt F (G 1 + G 2 )(u) = F ((G 1 + G 2 )(u)) = F (G 1 (u) + G 2 (u)) Sonst ist nichts zu zeigen. Literatur. [Fi, 2.1, 2.2, 2.4]. = F ((G 1 (u)) + F (G 2 (u)) = F G 1 (u) + F G 2 (u) = (F G 1 + F G 2 )(u). 5 Lineare Abbildungen und Matrizen Im Folgenden seien V und W K-Vektorräume mit dim V = n N und dim W = m N. Ferner seien A = (v 1,..., v n ) und B = (w 1,..., w m ) Basen von V bzw. W, und E = (e 1,..., e n ) und Ẽ = (ẽ 1,..., ẽ m ) seien die Standardbasen von K n bzw. K m, siehe Beispiel 2.11.(i). Darstellungsmatrizen linearer Abbildungen Bemerkung 1. Für jede lineare Abbildung F : V W existiert genau eine Matrix A = (a i,j ) i,j K m n, so daß 1 j n : F (v j ) = m a i,j w i, (1) i=1 siehe Satz 2.12.(iii). Für 1 j n folgt a 1,j. a m,j = Φ 1 B (F (v j)).

136 VI.5. Lineare Abbildungen und Matrizen 132 Definition 2. Die durch Bemerkung 1 definierte Abbildung von L(V, W ) nach K m n wird mit M A B bezeichnet, und MA B (F ) heißt die Darstellungsmatrix von F L(V, W ) bzgl. der Basen A und B. Beispiel 3. Sei V = W = R 2. Betrachte die lineare Abbildung F : R 2 R 2 sowie v 1, v 2 R 2 gemäß Beispiel 4.8.(ii). Es gilt F (e 1 ) = F (1/2 (v 1 v 2 )) = 1/2 (v 1 + v 2 ) = (0, 1), F (e 2 ) = F (1/2 (v 1 + v 2 )) = 1/2 (v 1 v 2 ) = (1, 0). Somit Für A = (v 1, v 2 ) gilt M E E(F ) = M A A(F ) = ( ) ( ) Satz 4. Für F L(V, W ) und v V gilt F (v) = Φ B ( M A B (F ) Φ 1 A (v)). Beweis. Gemäß Beispiel 4.2.(i), Bemerkung 4.4.(ii) und Satz 4.29.(ii) definiert G(v) = Φ B ( M A B (F ) Φ 1 A (v)) eine lineare Abbildung G : V W. Zu zeigen bleibt somit F (v j ) = G(v j ) für alle 1 j n, siehe Satz 4.7. In der Tat gilt G(v j ) = Φ B ( M A B (F ) e j ) = ΦB ( Φ 1 B (F (v j)) ) = F (v j ). Bemerkung 5. (i) Das zu Satz 4 gehörige kommutative Diagramm ist Φ 1 A V K n F K x M A B (F ) x W Φ B m (ii) Für A, B K m n und alle x K n gelte A x = B x. Dann folgt A = B. Zum Beweis betrachte man die Vektoren x der Standardbasis von K n. (iii) Satz 4, ergänzt um eine Eindeutigkeitaussage, besagt: Für F L(V, W ) existiert genau ein A K m n mit F = Φ B F A Φ 1 A.

137 VI.5. Lineare Abbildungen und Matrizen 133 Bemerkung 6. Sei F : K n K m linear. Es gilt Satz 4 zeigt M Ẽ E (F ) = (F (e 1),..., F (e n )). F (v) = M Ẽ E (F ) v für alle v K n. Insbesondere ist jede lineare Abbildung von K n nach K m von der Form gemäß Beispiel 4.2.(i). Satz 7. Sei F : V W linear, und gelte r = rang F. Falls r = 0, gilt M A B (F ) = 0 für alle A und B. Andernfalls existieren Basen A und B, so daß ( ) M A Er 0 B (F ) =. 0 0 Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall r > 0. Gemäß Satz 4.25 existieren Basen A = (v 1,..., v n ) von V und (w 1,..., w r ) von Im F, so daß F (v j ) = w j für j = 1,..., r gilt und (v r+1,..., v n ) eine Basis von ker F ist, falls r < n. Gemäß Korollar 2.23 (Basisergänzungssatz) existieren im Fall r < m Elemente w r+1,..., w m W, so daß B = (w 1,..., w m ) eine Basis von K m ist. Dann leistet M A B (F ) das Verlangte. Satz 8. M A B : L(V, W ) Km n ist ein linearer Isomorphismus, und dim L(V, W ) = m n. Beweis. Seien F, G L(V, W ), λ K, A = (a i,j ) i,j = M A B (F ) und B = (b i,j) i,j = M A B (G). Setze C = λa + B. Dann gilt für 1 j n (λf + G)(v j ) = λf (v j ) + G(v j ) = λ = m a i,j w i + i=1 m (λa i,j + b i,j ) w i = i=1 Dies zeigt M A B (λf + G) = C = λma B (F ) + MA B (G). m c i,j w i. i=1 m b i,j w i Aus M A B (F ) = 0 folgt F = 0, so daß MA B injektiv ist. Für A = (a i,j) i,j K m n sei F L(V, W ) durch (1) definiert, siehe Satz 4.7. Dann gilt M A B (F ) = A. Dies zeigt die Surjektivität von M A B. Bemerkung 3.10 und Satz 4.5.(iii) sichern dim L(V, W ) = m n. Im Folgenden sei U ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum mit dim U = p N. Ferner sei C = (u 1,..., u p ) eine Basis von U. Satz 9. Für F L(W, U) und G L(V, W ) gilt 7 M A C (F G) = M B C (F ) M A B (G). 7 Somit ist M A A : L(V, V ) Kn n ein Ringisomorphismus. i=1

138 VI.5. Lineare Abbildungen und Matrizen 134 Beweis. Für v V zeigen Bemerkung 3.12 und Satz 4 F G(v) = F ( Φ B (M A B (G) Φ 1 A ( (v))) = Φ C M B C (F ) Φ 1 Wende Bemerkung 5.(iii) an. B ( (ΦB (M A B (G) Φ 1 A (v))))) = Φ C ( M B C (F ) M A B (G) Φ 1 A (v) ). Bemerkung 10. Das zu Satz 9 gehörige kommutative Diagramm ist Tafelskizze Polynomfunktionen Notation: mit K bezeichnen wir den Körper R oder den Körper C. Im Folgenden sei der Vektorraum K K zugrunde gelegt. Ferner sei u j K K für j N 0 definiert durch u j (t) = t j. Diese Funktionen werden als Monome bezeichnet. Lemma 11. (u j ) j N0 ist linear unabhängig. Beweis. Seien n N 0 und λ 0,..., λ n K mit n j=0 λ ju j = 0. Einsetzen von t = 0 zeigt λ 0 = 0. Im Fall n > 0 folgt n 1 t K : t λ j+1 u j (t) = 0, j=0 so daß aufgrund der Stetigkeit der Funktionen u j Schließe induktiv. n 1 t K : λ j+1 u j (t) = 0. j=0 Satz 12 (Koeffizientenvergleich). Für n N 0 und a 0,..., a n, b 0,..., b n K gelte Dann folgt a i = b i für alle 0 i n. n t K : a i t i = i=0 n b i t i. (2) i=0 Beweis. Verwende Lemma 11 und Satz Notation: Wir setzen für n N 0 sowie Π 1 = {0}. Π n = span({u 0,..., u n })

139 VI.5. Lineare Abbildungen und Matrizen 135 Definition 13. Für n N 0 und v Π n \ Π n 1 heißt n der Grad von v, und Π n heißt der Vektorraum der Polynomfunktionen von K nach K vom Grad höchstens n. Lemma 14. Für n N 0 seien t 1,..., t n+1 K paarweise verschieden. Dann ist F : Π n K n+1, definiert durch ein linearer Isomorphismus. F (v) = (v(t 1 ),..., v(t n+1 )), Beweis. F ist linear, vgl. Beispiel 4.2.(v). Wir zeigen, daß F surjektiv ist. Falls n = 0, sei v 1 = 1 Π 0. Falls n > 0, seien I j = {1,..., n + 1} \ {j} und l I v j (t) = j (t t l ) l I j (t j t l ) für 1 j n + 1 und t K. Da u Π 1 v Π n u v Π n+1 für alle n N 0, ergibt sich induktiv, daß v j Π n für alle 1 j n + 1. Für n N 0 sei E = (e 1,..., e n+1 ) die Standardbasis von K n+1. Für alle 1 j n + 1 gilt F (v j ) = e j. Somit folgt die Surjektivität von F. Da dim Π n = n + 1, sichert Korollar 4.27 die Bijektivität von F. Bemerkung 15. Mit obigen Bezeichnungen gilt: Für alle y K n+1 ist v = n+1 j=1 y j v j die eindeutig bestimmte Funktion v Π n mit F (v) = y. Stichwort: polynomiale Interpolation. Für A = (v 1,..., v n+1 ) ergibt sich M A E (F ) = E n+1, und für à = (u 0,..., u n ) gilt 1 t 1... t n 1 MÃE (F ) = t n+1... t n n+1 Satz 16. Für n N 0 und v Π n \ {0} enthält {t K : v(t) = 0} höchstens n Elemente. Beweis. Annahme: Für v Π n \ {0} existieren paarweise verschiedene t 1,..., t n+1 K, so daß v(t j ) = 0 für 1 j n + 1. Widerspruch zur Injektivität von F gemäß Lemma 14. Bemerkung 17. Satz 16 erlaubt eine Verschärfung von Satz 12: Statt (2) genügt die Forderung, daß {t K : n i=0 a i t i = n i=1 b i t i } mindestens n + 1 Elemente enthält. Beispiel 18. Sei K der Körper gemäß Beispiel I.4.24.(ii). Für alle t K gilt t 2 +t = 0. Mehr zu Polynomen (und Polynomfunktionen) in der Vorlesung Algebraische Strukturen, siehe auch [Fi, 1.3] und [Z, 7.1] sowie Abschnitt VII.2. Literatur. [Fi, 1.3, 2.4, 2.6].

140 VI.6. Koordinatentransformationen Koordinatentransformationen Im Folgenden seien n, m N und K ein Körper. Ferner seien V {0} und W {0} endlich-dimensionale K-Vektorräume. Invertierbare Matrizen Definition 1. A K n n heißt invertierbar, falls A K n n mit A A = E n existiert. Notation: Gl(n, K) = {A K n n : A invertierbar}. Lemma 2. Für A = (a 1,..., a n ) K n n sind äquivalent (i) A ist invertierbar, (ii) F A : K n K n ist bijektiv, (iii) (a 1,..., a n ) ist eine Basis von K n. Beweis. (i) (ii) Sei x K n mit F A (x) = 0, und sei A K n n mit A A = E n. Dann gilt x = E n x = A Ax = A 0 = 0. Also ist F A injektiv. Wende Korollar 4.27 an. 1 (ii) (i). Gemäß Bemerkung 4.4.(ii) gilt F A L(Kn, K n ), und Bemerkung 5.6 sichert die Existenz von A K n n mit x K n : F 1 A (x) = A x. Es folgt E n x = x = F 1 A (F A(x)) = A Ax für alle x K n. Bemerkung 4.4.(ii) sichert A A = E n. Die Äquivalenz von (ii) und (iii) folgt mit Satz 4.7. Satz 3. Sei F : V W linear. Dann sind äquivalent (i) F ist ein linearer Isomorphismus, (ii) für alle Basen A und B von V bzw. W ist M A B (F ) invertierbar, (iii) es existieren Basen A und B von V bzw. W, so daß M A B (F ) invertierbar ist. Beweis. (i) (ii) Gemäß Satz 5.4 gilt F M A B (F ) = Φ 1 B F Φ A. Insbesondere ist F M A B (F ) als Komposition von Bijektionen bijektiv. Wende Lemma 2 an. (ii) (iii) klar. (iii) (i) Gemäß Satz 5.4 gilt F = Φ B F M A B (F ) Φ 1 A, und F M A B (F ) ist gemäß Lemma 2 bijektiv. Schließe wie oben.

141 VI.6. Koordinatentransformationen 137 Satz 4. (Gl(n, K), ) ist eine Gruppe mit neutralem Element E n. Beweis. Sei S die symmetrische Gruppe der Menge K n. Setze S = {F S : F L(K n, K n )}. Gemäß Bemerkung 4.4.(ii) und Satz 4.29.(ii) ist S eine Untergruppe von S. Sei E die Standardbasis von K n. Definiere M : S Gl(n, K) durch M(F ) = M E E (F ), siehe Satz 3. Dann ist M injektiv, siehe Satz 5.8, und surjektiv, da M(F A ) = A für A Gl(n, K), siehe Bemerkung 5.6 und Lemma 2. Ferner gilt M(id K n) = E n und M(F G) = M(F ) M(G) für alle F, G S, siehe Satz 5.9. Somit überträgt sich die Gruppenstruktur von (S, ) auf (Gl(n, K), ). Notation: A 1 bezeichnet die zu A Gl(n, K) inverse Matrix bzgl.. Bemerkung 5. Für A, B Gl(n, K) gilt A A 1 = E n, (A 1 ) 1 = A und (A B) 1 = B 1 A 1, siehe Lemma I.4.7 und Lemma I Bemerkung 6. Für einen linearen Isomorphismus F : V W und Basen A und B von V bzw. W gilt M B A(F 1 ) = ( M A B (F ) ) 1. Beweis: Gemäß Satz 5.9 gilt M B A (F 1 ) M A B (F ) = MA A (id V ) = E n. Die Transformationsformel Definition 7. Für Basen A und B von V heißt M A B (id V ) die Transformationsmatrix des Basiswechsels von A nach B. Notation: T A B = MA B (id V ). Bemerkung 8. (i) Sei n = dim V. Dann gilt in der Situation von Definition 7 für x, y K n Φ A (x) = Φ B (y) y = T A B x. (ii) Seien A = (v 1,..., v n ) und B = (u 1,..., u n ) Basen von V = K n. Setze A = (v 1,..., v n ) K n n und B = (u 1,..., u n ) K n n. Dann gilt für x K n Φ A (x) = Ax, Φ B (x) = Bx. Lemma 2 sichert A, B Gl(n, K), so daß Φ 1 A (y) = A 1 y und Φ 1 B (y) = B 1 y für y K n. Fazit: T A B = B 1 A, T B A = A 1 B.

142 VI.6. Koordinatentransformationen 138 Beispiel 9. Für die Basis A = ( (1, 1), ( 1, 1) ) und die Standardbasis B = E = (e 1, e 2 ) von V = R 2 ergibt sich B = B 1 = E 2, so daß ( 1 1 TE A = A = 1 1 Da e 1 = 1/2 (v 1 v 2 ) und e 2 = 1/2 (v 1 + v 2 ) folgt T E A = 1 2 ( Beispiel 10. Sei V = Π n mit den Basen ) = ). ( ) 1. A = (v 1,..., v n+1 ), B = (u 0,..., u n ) gemäß Bemerkung Für alle v Π n gilt v = n v(t j ) v j. j=1 Es folgt und weiter Φ 1 A (v) = (v(t 1),..., v(t n+1 )) T B A = ( Φ 1 A (u 0),..., Φ 1 A (u n) ) = 1 t 1... t n t n+1... t n n+1 Satz 11 (Transformationsformel). Seien A, A Basen von V und B, B Basen von W. Für F L(V, W ) gilt M A B (F ) = T B B MA B (F ) (T A A ) 1. Beweis. Gemäß Satz 5.9 gilt M A B (F ) = MB B (id W ) M A B (F ) MA A (id V ). Verwende Bemerkung 6. Beispiel 12. In der Situation von Beispiel 5.3 und Beispiel 3 setzen wir A = B und A = B = E. Dann gilt ( ) 0 1 = M E 1 0 E(F ) = TE A M A A(F ) (T ) E A 1 ( ) ( ) ( ) = Definition 13. A, B K m n heißen äquivalent, falls S Gl(m, K) und T Gl(n, K) existieren, so daß B = S A T 1.

143 VI.6. Koordinatentransformationen 139 Bemerkung 14. (i) Die Äquivalenz von Matrizen definiert eine Äquivalenzrelation auf K m n. (ii) A, B K m n sind genau dann äquivalent, wenn Basen A, A von K n und B, B von K m und eine lineare Abbildung F : K n K m mit M A B (F ) = A und (F ) = B existieren. M A B (iii) Für ( jede Matrix ) A K m n existiert r {0,..., min(m, n)}, so daß A äquivalent Er 0 zu ist, siehe Satz Zeilen- und Spaltenrang Definition 15. Für A = (a i,j ) 1 i m,1 j n K m n heißt die zu A transponierte Matrix. Lemma 16. (i) Für A K m n gilt (A ) = A. A = (a j,i ) 1 i n,1 j m K n m (ii) A A definiert einen linearen Isomorphismus von K m n nach K n m. (iii) Für A K m n und B K n p gilt (AB) = B A. (iv) Für A Gl(n, K) gilt A Gl(n, K) und (A ) 1 = (A 1 ). Beweis. ad (i): klar. ad (ii): Aus den Definitionen ergibt sich (A + B) = A + B und (λa) = λa für A, B K m n und λ K. Die Bijektivität der Transposition folgt mit (i). ad (iii): Folgt direkt aus den Definitionen. ad (iv): Mit (iii) folgt (A 1 ) A = (AA 1 ) = E n = E n. Lemma 17. Für äquivalente Matrizen A, B K m n gilt Beweis. Lemma 16 zeigt rang A = rang B, rang A = rang B. rang A = dim ( {(x A ) : x K n } ) = dim ({Ax : x K n }). Gelte A = S B T mit S Gl(m, K) und T Gl(n, K). Dann folgt mit Lemma 2 und weiter mit Korollar 4.9 {Ax : x K n } = {SBx : x K n } rang A = dim ({SBx : x K n }) = dim ({Bx : x K n }) = rang B. Ferner gilt A = T B S und T Gl(n, K) sowie S Gl(m, K). Aus dem bereits Bewiesenen ergibt sich rang A = rang B.

144 VI.6. Koordinatentransformationen 140 Satz 18. Für A K m n gilt 8 rang A = rang A. Ferner ist A K n n genau dann invertierbar, wenn rang A = n. Beweis. Gemäß Bemerkung 14.(iii) existiert r {0,..., min(m, n)}, so daß A und ( ) Er 0 C r = 0 0 äquivalent sind. Mit Lemma 17 folgt rang A = rang C r = rang Cr = rang A. Im Fall m = n gilt A Gl(n, K) genau dann, wenn C r Gl(n, K), und letzteres ist äquivalent zu n = r. Korollar 19. Seien A und B Basen von V bzw. W. Für F L(V, W ) gilt rang F = rang M A B (F ). Beweis. Offenbar gilt rang F = rang ( M A B (F )). Wende Satz 18 an. Korollar 20. Für A, B K m n sind äquivalent (i) A und B sind äquivalent, (ii) rang A = rang B. Beweis. (i) (ii) Siehe Lemma 17. (ii) (i) Mit der Notation aus dem Beweis von Satz 18 ist A äquivalent zu C r und B äquivalent zu C r, wobei r {0,..., min(m, n)}. Mit Lemma 17 folgt r = r. Elementarmatrizen und elementare Zeilenumformungen Definition 21. Für i, j {1,..., m} mit i j und λ K \ {0} sind die Elementarmatrizen S i (λ) = (s k,l ) k,l K m m, Q j i (λ) = (q k,l) K m m, P j i definiert durch λ, falls k = l = i, s k,l = 1, falls k = l i, 0, sonst, λ, falls k = i und l = j, q k,l = 1, falls k = l, 0, sonst, 1, falls k = l {1,..., m} \ {i, j} p k,l = oder {k, l} = {i, j}, 0, sonst. 8 rang A heißt Spaltenrang von A, siehe [Fi, p. 96]. = (p k,l ) K m m

145 VI.6. Koordinatentransformationen 141 Bemerkung 22. Die Linksmultiplikation mit Elementarmatrizen entspricht den elementaren Zeilenumformungen. (i) S i (λ) A entsteht aus A durch Multiplikation der i-ten Zeile mit λ (Typ I), (ii) Q j i (λ) A entsteht aus A durch Addition des λ-fachen der j-ten Zeile zur i-ten Zeile (Typ II), (iii) P j i A entsteht aus A durch Vertauschung der i-ten und j-ten Zeile (Typ III). Ferner gilt S i (λ), Q j i (λ), P j i Gl(m, K) mit (S i (λ)) 1 = S i (1/λ), ( Q j i (λ)) 1 = Q j i ( λ), ( ) P j 1 i = P j i. Satz 23. Jede invertierbare Matrix ist ein endliches Produkt von Elementarmatrizen. Beweis. Sei A K n n. Gemäß Satz 3.7 und Bemerkung 22 existieren k N und Elementarmatrizen C 1,..., C k K n n, so daß Ã = C k... C 1 A Zeilenstufenform besitzt. Lemma 17 zeigt rang à = rang A, so daß A Gl(n, K) äquivalent zu rang à = n ist, siehe Satz 18. Ist letzteres erfüllt, existieren l N und Elementarmatrizen C k+1,..., C k+l K n n, so daß und weiter A = C C 1 k+l. C k+l... C 1 A = E n Bemerkung 24. Der Beweis von Satz 23 liefert einen Algorithmus zur Überprüfung, ob A K n n invertierbar ist und ggf. zur Berechnung von A 1. Seien A = (a 1,..., a n ) und E n = (e 1,..., e n ). Setze (A E n ) = (a 1,..., a n, e 1,..., e n ) K n 2n. Mit der Notation aus dem Beweis von Satz 23 gilt im Fall rang à = n C k+l... C 1 (A E n ) = (E n A 1 ). Beispiel 25. Sei A =

146 VI.7. Lineare Gleichungssysteme 142 Elementare Zeilenumformungen liefern Dies zeigt A Gl(n, R). Weitere elementare Zeilenumformungen liefern / / /2 0. Fazit: A 1 = 1/ Literatur. [Fi, 2.6, 2.7]. 7 Lineare Gleichungssysteme Im Folgenden seien K ein Körper, m, n N und A K m n sowie b K m. Ferner sei r = rang A.

147 VI.7. Lineare Gleichungssysteme 143 Definition 1. Die Menge L(A, b) = {x K n : Ax = b} heißt Lösungsmenge des linearen Gleichungssystems Ax = b. Letzteres heißt homogen, falls b = 0, und inhomogen, falls b 0. Sprechweise: A Koeffizientenmatrix 9, b rechte Seite. Struktur der Lösungsmenge Satz 2. (i) L(A, 0) ist ein Unterraum der Dimension n r. (ii) L(A, b) ist entweder leer oder ein affiner Unterraum der Dimension n r. Falls x L(A, b), folgt L(A, b) = x + L(A, 0). Beweis. Betrachte die lineare Abbildung F A : K n K m, siehe Beispiel 4.2.(i). Bemerkung 4.15 zeigt, daß ker F A = L(A, 0) ein Unterraum ist. Korollar 6.19 zeigt rang A = rang F A. ad (i): Siehe Satz 4.25 (Dimensionsformel). ad (ii): Siehe Satz Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen Notation: (A, b) = (a 1,..., a n, b) K m (n+1), falls A = (a 1,..., a n ). Sprechweise: erweiterte Koeffizientenmatrix. Satz 3. L(A, b) gilt genau dann, wenn rang(a, b) = rang A. (1) Beweis. Nach Korollar 2.21 und Satz 6.18 gilt (1) genau dann, wenn span ({a 1,..., a n, b}) = span ({a 1,..., a n }). Letzteres ist äquivalent zu b span ({a 1,..., a n }). Korollar 4. (i) rang A = m b K m : L(A, b). (ii) rang A = n b K m : L(A, b) 1. Bemerkung 5. Zur Anwendung von Satz 3 führt man (A, b) durch endlich viele elementare Zeilenumformungen in Zeilenstufenform über, siehe Lemma 3.6 und Satz Übliche Notation: ker A = L(A, 0).

148 VI.7. Lineare Gleichungssysteme 144 Gaußsches Eliminationsverfahren Lemma 6. (Ã, b) gehe aus (A, b) durch endlich viele elementare Zeilenumformungen hervor. Dann gilt L(Ã, b) = L(A, b). Beweis. Verwende Bemerkung 6.22, und schließe induktiv. Im Folgenden besitze (A, b) Zeilenstufenform, und es gelte Für 1 j 1 < < j r n gelte und r = rang(a, b) 0. 1 i r 1 j < j i : a i,j = 0 1 i r : a i,ji 0. Bemerkung 7. Für A = (a i,j ) 1 i r,1 j n K r n, b = (b i ) 1 i r K r und x K n gilt Ax = b A x = b. Satz 8. Falls r = n, gilt L(A, b) = {x} für x K n gegeben durch x r = b r /a r,r sowie für i = r 1,..., 1. x i = ( b i n j=i+1 a i,j x j )/a i,i Beweis. Siehe Bemerkung 7. Beispiel 9. Seien A = (a 1,..., a n ) und B = (b 1,..., b n ) Basen von K n. Für A = (a 1,..., a n ) K n n und B = (b 1,..., b n ) K n n gilt rang A = rang B = n. Für v K n ergeben sich die Koordinaten x = Φ 1 A (v) und y = Φ 1 B (v) als Lösung von Ax = v bzw By = v, siehe Bemerkung 6.8. Speziell für K = R, n = 3 und A = 1 3 3, B = sowie x = (1, 1, 1) ergibt sich v = Ax = Die eindeutig bestimmte Lösung von By = v ist 2 y =

149 VI.7. Lineare Gleichungssysteme 145 Beispiel 10. Betrachte die Situation von Bemerkung Gegeben seien n N 0, paarweise verschiedene t 1,..., t n+1 K und y K n+1. Gesucht ist die Darstellung der Polynomfunktion v Π n mit 1 i n + 1 : v(t i ) = y i (2) in der Basis (u 0,..., u n ) von Π n. Sei x K n+1. Für v = n+1 j=1 x ju j 1 ist (2) äquivalent zu Ax = y, wobei 1 t 1... t n 1 A = t n+1... t n n+1 Lemma 5.14 und die Sätze 6.3 und 6.18 sichern rang A = n + 1. Siehe auch Übung 2.4. Graphiken von Interpolationspolynomen werden in Abschnitt A.5 gezeigt. Mehr zur Interpolation und zur numerischen Lösung linearer Gleichungssysteme in der Vorlesung Einführung in die Numerik. Bemerkung 11. Der Algorithmus zur Überprüfung der Invertierbarkeit von A K n n und ggf. zur Berechnung von A 1, siehe Bemerkung 6.24, entspricht dem simultanen Lösen von n linearen Gleichungssystemen Ax = e i, wobei (e 1,..., e n ) die Standardbasis von K n ist. Satz 12. Gelte r < n. Setze J = {j 1,..., j r } und N = {1,..., n}. (i) Für λ K N\J sei x K n definiert durch für j N \ J sowie falls j r = n, falls j r < n, und x jr = x ji = ( b r ( b i x j = λ j x jr = b r /a r,jr, n j=j r+1 n j=j i +1 für i = r 1,..., 1. Dann gilt x L(A, b). a r,j x j )/a r,jr, a i,j x j )/a i,ji (ii) Die durch (i) definierte Abbildung Ψ b : K N\J L(A, b) ist bijektiv. Beweis. ad (i): Siehe Bemerkung 7. ad (ii): Wir zeigen die Surjektivität von Ψ b. Für λ K N\J gilt Ψ b (λ) = Ψ b (0) + Ψ 0 (λ). Gemäß (i) gilt Ψ 0 (K N\J ) L(A, 0), und Ψ 0 ist injektiv und linear, so daß rang Ψ 0 = n r. Satz 2.(i) und Korollar 2.21 sichern Ψ 0 (K N\J ) = L(A, 0). Ferner gilt Ψ b (0) L(A, b) gemäß (i), so daß L(A, b) = Ψ b (K N\J ), siehe Satz 2.(ii). Die Injektivität von Ψ b ist klar.

150 VI.7. Lineare Gleichungssysteme 146 Darstellung affiner Unterräume Bemerkung 13. Für n 2 seien x K n und ein Unterraum U K n der Dimension 1 p n 1 gegeben. Gesucht sind A K m n und b K m mit minimalem m, so daß x + U = L(A, b). Sei (v 1,..., v p ) eine Basis von U. Dann ist L(A, 0) = U äquivalent zu und 1 i p : Av i = 0 (3) rang A = n p, (4) siehe Korollar 2.21 und Satz 2.(i). Wähle m = n p und setze B = (v 1,..., v p ) K n p. Dann ist (3) äquivalent zu B A = 0, und es gilt dim L(B, 0) = m. Fazit: (3) und (4) gilt genau dann, wenn die Zeilen von A eine Basis von L(B, 0) bilden. Für A mit (3) und (4) definiert man b durch Ax = b. Spezialfälle: Darstellung von Geraden und Ebenen. Beispiel 14. In der Situation von Bemerkung 13 gelte K = R, n = 5 und U = span({(1, 0, 1, 1, 1), (1, 2, 0, 2, 0), (3, 1, 1, 1, 1) }). Es ergibt sich B = Elementare Zeilenumformungen für B führen auf , woraus sich dim U = rang B = 3 und ((0, 0, 1, 0, 1), (2, 4, 5, 3, 0) ) als Basis von L(B, 0) ergibt. Fazit: im Fall x = 0 leistet ( ) A = das Verlangte. Bemerkung 15. Betrachte die Situation von Bemerkung 13 im Extremfall p = n 1, also m = 1. Dann ergeben sich die Koeffizienten von A = (a 1,..., a n ) K 1 n als eine von Null verschiedene Lösung des linearen Gleichungssystems a 1 B. a n = 0. Spezialfälle: Darstellungen von Geraden in K 2 bzw. Ebenen in K 3. Literatur. [Fi, 0.4, 2.3].

151 VI.8. Quotientenvektorräume Quotientenvektorräume Im Folgenden seien V ein K-Vektorraum und U V ein Unterraum. Definition 1. v, w V heißen äquivalent modulo U, falls v w U. Notation: v U w oder kurz v w. Bemerkung 2. (i) U ist eine Äquivalenzrelation auf V. (ii) Die Äquivalenzklasse von v V bezüglich U ist der affine Unterraum v + U. (iii) Im Fall U = V gilt v U w für alle v, w V. Im Fall U = {0} gilt v U w genau dann, wenn v = w. Beispiel 3. Seien W ein K-Vektorraum und F : V W linear. Setze U = ker F. Für v, w V gilt v U w genau dann, wenn F (v) = F (w). Beispiel 4. Für a, b R mit a < b sei V = R([a, b]) der R-Vektorraum der Riemannintegrierbaren Funktion von [a, b] nach R. Die Mengen und U 1 = {f V : U 2 = {f V : b a b a f(x) dx = 0} f(x) dx = 0} sind unendlich-dimensionale Unterräume von V, siehe Sätze V.1.16 und V.1.19, und es gilt U 1 U 2. Für f, g V gilt sowie f U1 g f U2 g b a b a f(x) g(x) dx = 0 f(x) dx = b a g(x) dx, vgl. Beispiel 3. Sprechweise: f und g sind fast überall gleich statt f U1 g. Übung 3.3 zeigt, daß U 2 viel größer als U 1 ist. Setze für V V, und betrachte die durch V /U = {v + U : v V } ρ(v) = v + U definierte kanonische Abbildung ρ : V V/U. Bemerkung 5. Es gilt: ρ ist surjektiv, und ρ ist genau dann injektiv, wenn U = {0}.

152 VI.8. Quotientenvektorräume 148 Satz 6. Es existieren eindeutig bestimmte Abbildungen : V/U V/U V/U, : K V/U V/U, so daß V/U ein K-Vektorraum und ρ linear ist. Beweis. Für v, w V und λ K gilt notwendigerweise (v + U) (w + U) = (v + w) + U, (1) Lemma 4.20 zeigt für v, w V mit v U v und w U w λ (v + U) = (λv) + U. (2) (v + w ) + U = (v + w) + U, (λv ) + U = (λv) + U. Durch (1) und (2) werden also Abbildungen und von V/U V/U bzw. K V/U nach V/U definiert. Auf diese Weise erhält man eine K-Vektorraum, dessen neutrales Element U ist. Beweis Übung. Die Abbildung ρ ist offenbar linear. Fortan sei V/U stets mit und gemäß (1) bzw (2) versehen, und wir schreiben + und statt bzw.. Definition 7. V/U heißt Quotientenvektorraum von V nach U. Satz 8. (i) ker ρ = U. (ii) Falls V endlich-dimensional ist, gilt dim V/U = dim V dim U. Beweis. ad (i): Für v V gilt v ker ρ v + U = U v U. ad (ii): Satz 4.25 (Dimensionsformel), Bemerkung 5 und (i) zeigen dim V = dim U + dim V/U. Bemerkung 9. V /U ist ein Unterraum von V/U, falls V ein Unterraum von V ist. Beweis Tutorium 2.2. Der Faktorisierungssatz Im Folgenden sei W ein K-Vektorraum und F : V W sei linear. Satz 10. Gelte U ker F. Dann exististiert genau eine lineare Abbildung ˆF : V/U W, so daß F = ˆF ρ. Ferner gilt ker ˆF = ker F/U, und ˆF ist injektiv, falls U = ker F.

153 VI.8. Quotientenvektorräume 149 Beweis. Für v V gilt notwendigerweise ˆF (v + U) = F (v). (3) Aus v + U = w + U für w V folgt v w ker F, d.h. F (v) = F (w), weshalb durch (3) eine Abbildung ˆF : V/U W definiert wird. Diese ist offenbar linear und erfüllt F = ˆF ρ. Ferner gilt v ker F, falls v + U ker F/U, und hiermit folgt Schließlich gilt U/U = {U}. ˆF (v + U) = 0 F (v) = 0 v + U ker F/U. Beispiel 11. In der Situation von Beispiel 4 seien W = R und F (f) = b f(x) dx für a f V. Da b f(x) dx b f(x) dx, ist Satz 10 für U = U a a 1 und U = U 2 anwendbar, und ˆF (f) ist in beiden Fällen der gemeinsame Wert des Integrals aller Funktionen g V mit g Ui f. Literatur. [Fi, 2.2].

154 Kapitel VII Determinanten und Eigenwerte Zu linearen Abbildungen F : V V auf endlich-dimensionalen Vektorräumen V suchen wir Basen A, die auf möglichst einfache Darstellungsmatrizen M A A (F ) führen. Als wichtiges Hilfsmittel kommen erstmals Determinanten zum Einsatz. Wir verweisen insbesondere auf [Fi]. 1 Determinanten Symmetrische Gruppen Notation: Für n N sei S n, versehen mit der Komposition, die symmetrische Gruppe der Menge {1,..., n}. Wir präsentieren einige Eigenschaften von S n ; mehr dazu in der Vorlesung Algebraische Strukturen. Definition 1. τ S n heißt Transposition, falls k, l {1,..., n} mit k l und τ(k) = l, τ(l) = k sowie τ(i) = i für i {1,..., n} \ {k, l} existieren. Lemma 2. Für n 2 ist jede Permutation aus S n die Komposition von endlich vielen Transpositionen. Beweis. Siehe Tutorium 1.2 zum Beweis einer stärkeren Aussage. Definition 3. Für σ S n heißt (k, l) {1,..., n} 2 ein Fehlstand von σ, falls k < l und σ(k) > σ(l). Beispiel 4. Für 1 die Transpositionen [ ] τ 1 =, τ = [ ] 1 2 3, τ = [ 1 2 ] gilt τ 2 τ 1 = [ ] = τ τ 2 = τ 1 τ 3 1 Notation: in der unteren Zeile stehen die jeweiligen Bilder der Einträge der oberen Zeile. 150

155 VII.1. Determinanten 151 und τ 3 τ 1 = [ ] = τ τ 3 = τ 1 τ 2. Die Permutationen τ i τ j mit i j besitzen jeweils 2 Fehlstände. Ferner gilt S 3 = {τ 1, τ 2, τ 3, τ 2 τ 1, τ 3 τ 1, id {1,2,3} }. Definition 5. Für σ S n sei k N 0 die Anzahl der Fehlstände. Dann heißt 2 sign(σ) = ( 1) k das Vorzeichen von σ, und σ heißt (un)gerade, falls sign(σ) = 1 (sign(σ) = 1). Satz 6. Für σ, τ S n gilt und insbesondere sign(σ 1 ) = sign(σ). Beweis. Siehe [Fi, S. 190]. sign(τ σ) = sign(τ) sign(σ) Korollar 7. Sei σ = τ k... τ 1 mit Tranpositionen τ l S n. Dann gilt sign σ = ( 1) k. Beweis. Für jede Transposition τ l gilt sign τ l = 1. Wende Satz 6 an. Notation: Setze und für τ S n. A n = {σ S n : σ gerade} A n τ = {σ τ : σ A n } Lemma 8. Für τ S n mit sign τ = 1 gilt S n = A n A n τ und Beweis. Satz 6 zeigt A n A n τ =. A n τ = {σ S n : σ ungerade}. 2 Schreibweise auch sign σ.

156 VII.1. Determinanten 152 Parallelotope und ihr Volumen Bemerkung 9. Für n N und a 1,..., a n R n sei { n } P (a 1,..., a n ) = λ i a i : λ 1,..., λ n [0, 1] i=1 das von 0, a 1,..., a n aufgespannte Parallelotop, und Vol (P (a 1,..., a n )) bezeichne das elementargeometrische Volumen von P (a 1,..., a n ). Es gilt 3 Vol (P (e 1,..., e n )) = 1 für die Standardbasis (e 1,..., e n ) von R n, Vol (P (a 1,..., a k 1, λa k, a k+1,..., a n )) = λ Vol (P (a 1,..., a n )) für alle k {1,..., n} und λ R, für jedes σ S n und Vol ( P (a σ(1),..., a σ(n) ) ) = Vol (P (a 1,..., a n )) Vol (P (a 1,..., a k 1, a k + λa l, a k+1,..., a n )) = Vol (P (a 1,..., a n )) für alle k, l {1,..., n} mit k l und alle λ R. Damit läßt sich Vol (P (a 1,..., a n )) durch elementare Spaltenumformungen, d.h. elementarer Zeilenumformungen für die transponierte Matrix, berechnen. Die Weierstraßschen Axiome Im Folgenden seien n N und K ein Körper. Definition 10. Eine Abbildung 4 det : K n n K mit folgenden Eigenschaften heißt Determinante. (i) Für alle 1 i n, a 1,..., a n, b i K 1 n und λ K gilt a 1. a i 1 det a i + b i = det a i+1. a n a 1. a i 1 a i a i+1. a n + det a 1. a i 1 b i a i+1 3 Hier verlassen wir uns auf unsere Anschauung bzw. unsere Vorkenntnisse. Die weitere Theorie baut nicht auf Bemerkung 9 auf! 4 Schreibweise det A oder det(a).. a n

157 VII.1. Determinanten 153 und a 1. a i 1 det λ a i = λ det a i+1. a n a 1. a i 1 a i a i+1. a n. (ii) Für alle A K n n mit zwei gleichen Zeilen gilt det A = 0. (iii) Es gilt det E n = 1. Satz 11. Jede Determinante det : K n n K besitzt folgende Eigenschaften. (i) Für alle A K n n und λ K gilt det(λ A) = λ n det A. (ii) Für alle A K n n mit einer Nullzeile gilt det A = 0. (iii) Seien A K n n und λ K. Entsteht B K n n durch die Addition des λ-fachen einer Zeile von A zu einer anderen Zeile von A, gilt det B = det A. (iv) Für alle a 1,..., a n K 1 n und σ S n gilt det a σ(1). a σ(n) a 1 = sign σ det. (v) Sei A K n n mit 5 a i,j = 0 für alle 1 j < i n. Dann gilt det A = n i=1 a i,i. (vi) Für A K n n gilt genau dann det A = 0, wenn rang A < n. a n (vii) Für A, B K n n gilt (viii) Für A Gl(n, K) gilt det(a B) = det A det B. det(a 1 ) = (det A) 1. Beweis. ad (i), (ii): Dies ergibt sich unmittelbar aus Definition 10.(i). ad (iii): Für i j gilt.... a i + λa j a i a j a i det. = det. + λ det. = det.. a j a j a j a j Solche Matrizen heißen obere Dreiecksmatrizen; analog führt man untere Dreiecksmatrizen ein.

158 VII.1. Determinanten 154 ad (iv): Für 1 i < j n sei τ S n die Transposition mit τ(i) = j. Dann gilt..... a i a j a i a j a i + a j det. + det. = det. + det. = det. = 0 a j a i a i + a j a i + a j a i + a j... und sign τ = 1. Der allgemeine Fall folgt induktiv mittels Lemma 2 und Korollar 7. ad (v): Im Fall n i=1 a i,i 0 zeigen elementare Zeilenumformungen vom Typ II und (iii), daß a 11 0 det A = det.. n n. = a i,i det E n = a i,i. 0 a i=1 i=1 nn Andernfalls erzeugt man durch elementare Zeilenumformungen vom Typ II eine Nullzeile und wendet (ii) und (iii) an. ad (vi): Verwende elementare Zeilenumformungen der Typen II und III sowie (iii), (iv) und (v). ad (vii): Im Fall rang A < n gilt rang(a B) < n und mit (vi) ergibt sich det A det B = 0 sowie det(a B) = 0. Gelte rang A = n. Gemäß Satz VI.6.23 existieren Elementarmatrizen C 1,..., C k K n n mit A = C k C 1. Definition 10.(i) zeigt für Elementarmatrizen C I vom Typ I (Multiplikation einer Zeile mit λ K \ {0}) det(c I B) = λ det B. Für Elementarmatrizen C II und C III der Typen II und III gilt siehe (iii), bzw. det(c II B) = det B det(c III B) = det B siehe (iv). Mit Definition 10.(iii) folgt det C I = λ, det C II = 1 und det C III = 1. Es folgt det(c B) = det C det B für alle Elementarmatrizen. Schließe induktiv. Bemerkung 12. Definition 10 und Satz 11 erlauben die Berechnung von Determinanten mittels elementarer Zeilenumformungen. Beispiel 13. det = det = det = 2.

159 VII.1. Determinanten 155 Existenz und Eindeutigkeit der Determinante Der Beweis von Satz 11 zeigt folgende Eindeutigkeitsaussage. Satz 14. Für alle n N und alle Körper K existiert höchstens eine Determinante. Satz 15 (Leibniz-Formel). det : K n n K, definiert durch det A = σ S n sign σ für A = (a i,j ) i,j K n n, ist eine Determinante. n i=1 a i,σ(i) Beweis. Verifiziere die Eigenschaften aus Definition 10. ad (i): klar. ad (ii): Für 1 k < l n gelte a k,j = a l,j für alle 1 j n. Sei τ S n die Transposition mit τ(k) = l. Dann zeigt Lemma 8 Da und σ S n sign σ n a i,σ(i) = ( n a i,σ(i) i=1 σ A n i=1 a k,σ(τ(k)) = a k,σ(l) = a l,σ(l) a l,σ(τ(l)) = a l,σ(k) = a k,σ(k) n a i,σ(τ(i)) ). sowie a i,σ(τ(i)) = a i,σ(i) für i {1,..., n} \ {k, l} und alle σ S n, folgt σ S n sign σ n a i,σ(i) = 0. ad (iii): Für E n = (e i,j ) i,j und σ S n \ {id {1,...,n} } gilt n i=1 e i,σ(i) = 0, so daß σ S n sign σ i=1 n e i,σ(i) = 1. i=1 i=1 Notation und Sprechweise: fortan sei det : K n n K gemäß Satz 15 definiert 6, und det A heißt die Determinante von A K n n. Beispiel 16. Für a 1,1, a 1,2, a 2,1, a 2,2 K gilt ( ) a1,1 a det 1,2 = a a 2,1 a 1,1 a 2,2 a 1,2 a 2,1. 2,2 6 Dazu äquivalent: die eindeutig durch die Eigenschaften (i) (iii) aus Definition 10 bestimmte Abbildung von K n n nach K.

160 VII.1. Determinanten 156 Für gilt a 1,1 a 1,2 a 1,3 A = a 2,1 a 2,2 a 2,3 K 3 3 a 3,1 a 3,2 a 3,3 det A = a 1,1 a 2,2 a 3,3 + a 1,2 a 2,3 a 3,1 + a 1,3 a 2,1 a 3,2 a 1,3 a 2,2 a 3,1 a 1,2 a 2,1 a 3,3 a 1,1 a 2,3 a 3,2. Lemma 17. Für a K, b K 1 n und A K n n gilt ( ) a b det = a det(a). 0 A Beweis. Überführung in Zeilenstufenform durch elementare Zeilenumformungen und Anwendung von Satz 11. Satz 18. Für A K n n gilt det A = det A T. Beweis. Für A = (a i,j ) i,j K n n gilt det A T = σ S n sign(σ) n a σ(i),i. Ferner gilt n i=1 a σ(i),i = n i=1 a i,σ 1 (i) für alle σ S n. Mit Satz 6 folgt det A T = σ S n sign(σ 1 ) i=1 n a i,σ 1 (i) = sign σ σ S n i=1 n a i,σ(i) = det A. i=1 Bemerkung 19. Satz 18 erlaubt die Verwendung elementarer Spaltenumformungen zur Berechnung von Determinanten. Ausblick 20. Laplacescher Entwicklungssatz, siehe [Fi, S. 203]. Beispiel 21. Für t 1,..., t n+1 K gilt 1 t 1... t n 1 det... = 1 t n+1... t n n+1 1 i<j n+1 (t j t i ), vgl. Beispiel VI Bezeichung: Vandermonde-Matrix bzw. Vandermonde-Determinante. Beweis: Übung 2.4. Bemerkung 22. Für a 1,..., a n R n gilt Vol (P (a 1,..., a n )) = det(a 1,..., a n ).

161 VII.1. Determinanten 157 Determinante einer linearen Abbildung Im Folgenden seien V ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum mit n = dim V N und F : V V linear. Kurzschreibweise: M A (F ) statt M A A (F ) für Basen A von V. Bemerkung 23. Für Basen A und B von V gilt M B (F ) = T A B siehe Satz VI.6.11 (Transformationsformel). M A (F ) (T ) B A 1, Definition 24. A, B K n n heißen ähnlich, falls S Gl(n, K) mit existiert. Bemerkung 25. B = S A S 1 (i) Die Ähnlichkeit von Matrizen definiert eine Äquivalenzrelation auf K n n. (ii) A, B K n n sind genau dann ähnlich, wenn Basen A und B von K n und eine lineare Abbildung F : K n K n mit M A (F ) = A und M B (F ) = B existieren, vgl. Bemerkung VI Zum Beweis von wähle man die Standardbasis E von K n und B bestehend aus den Spalten von S 1. Dann gilt M E (F A ) = A und TE B = S 1. Wende Bemerkung 23 an. Lemma 26. Für ähnliche Matrizen A, B K n n gilt det A = det B. Beweis. Verwende Satz 11.(vii) und (viii). Lemma 26 erlaubt folgende Definition. Definition 27. Sei A eine Basis von V. Dann heißt det M A (F ) die Determinante von F. Notation: det F. Korollar 28. Äquivalent sind (i) F ist injektiv, (ii) F ist surjektiv, (iii) det F 0. Beweis. Verwende Korollar VI.4.27, die Sätze VI.6.3 und VI.6.18 und Satz 11.(vi). Ausblick 29. Orientierung endlich-dimensionaler Vektorräume, siehe [Fi, 3.4]. Literatur. [Fi, 3.1, 3.2, 3.4].

162 VII.2. Eigenwerte Eigenwerte Im Folgenden seien V ein K-Vektorraum und F : V V linear. Ferner sei λ K. Eigenräume, -werte und -vektoren Definition 1. heißt Eigenraum von F bzgl. λ. Bemerkung 2. (i) Eig(F, λ) ist ein Unterraum von V. Eig(F, λ) = {v V : F (v) = λv} (ii) Für λ, µ K mit λ µ gilt Eig(F, λ) Eig(F, µ) = {0}. Definition 3. (i) λ heißt Eigenwert von F, falls Eig(F, λ) {0}. Notation: σ(f ) Menge der Eigenwerte von F. (ii) Sei λ σ(f ). Die Elemente von Eig(F, λ)\{0} heißen Eigenvektoren von F zum Eigenwert λ. Definition 4. Für A K n n heißt Eig(A, λ) = Eig(F A, λ) Eigenraum von A bzgl. λ, und λ heißt Eigenwert von A, falls Eig(A, λ) {0}. Notation: σ(a) Menge der Eigenwerte von A. Für λ σ(a) heißen die Elemente von Eig(A, λ) \ {0} Eigenvektoren von A zum Eigenwert λ. Bemerkung 5. Sei V endlich-dimensional. Für alle Basen A von V und alle λ K gilt (i) σ(f ) = σ(m A (F )), (ii) Eig(F, λ) = {Φ A (x) : x Eig(M A (F ), λ)}. Beweis: Gemäß Satz VI.5.4 ist F (v) = λv äquivalent zu M A (F ) Φ 1 A (v) = λ Φ 1 A (v). Beispiel 6. Seien K = R, V = R 2 und ( ) cos(α) sin(α) A = sin(α) cos(α) mit α [0, 2π[, so daß F A die Drehung der Ebene entgegen dem Uhrzeigersinn um den Winkel α beschreibt. Für α = 0 gilt σ(a) = {1} und Eig(A, 1) = R 2. Für α = π gilt σ(a) = { 1} und Eig(A, 1) = R 2. In allen anderen Fällen gilt σ(a) =, siehe Beispiel 14.

163 VII.2. Eigenwerte 159 Beispiel 7. Sei D R ein Intervall, und sei V der Vektorraum der beliebig oft differenzierbaren Funktionen von D nach R. Setze F (v) = v für v V. Dann gilt σ(f ) = R und für alle λ R siehe Satz IV Eig(F, λ) = span({exp(λ )}), Lemma 8. Für k N seien v 1,..., v k V Eigenvektoren zu paarweise verschiedenen Eigenwerten von F. Dann ist (v 1,..., v k ) linear unabhängig. Beweis. Induktion. Für k = 1 ist die Aussage klar. Sei k 2, und gelte F (v l ) = λ l v l für l = 1,..., k mit paarweise verschiedenen λ 1,..., λ k K. Ferner gelte k l=1 µ lv l = 0 für µ 1,..., µ k K. Es folgt und somit λ 1 µ 1 v 1 + k λ l µ l v l = 0, λ 1 µ 1 v 1 + l=2 k (λ l λ 1 )µ l v l = 0. l=2 k λ 1 µ l v l = 0 Aus der Induktionsannahme ergibt sich µ l = 0 für l = 2,..., k, und hieraus folgt µ 1 = 0. l=2 Das charakteristische Polynom Im Folgenden sei V endlich-dimensional mit n = dim V N. Definiere P A : K K für A K n n durch P A (λ) = det(a λe n ). Satz 9. (i) Für A K n n gilt σ(a) = {λ K : P A (λ) = 0}. (ii) Für ähnliche Matrizen A, B K n n gilt P A = P B. Beweis. ad (i): Für x K n gilt Ax = λx (A λe n )x = 0. Somit gilt λ σ(a) genau dann, wenn rang(a λe n ) < n, siehe Satz VI.7.2.(i). Wende Satz 1.11.(vi) an. ad (ii): Gelte B = SAS 1 für S Gl(n, K). Dann B λe n = SAS 1 SλE n S 1 = S (A λe n ) S 1, siehe Lemma VI.3.15, so daß auch B λe n und A λe n ähnlich sind. Ähnliche Matrizen besitzen gleiche Determinanten, siehe Lemma 1.26.

164 VII.2. Eigenwerte 160 Im Folgenden sei V ein K-Vektorraum, es gilt also K = K {R, C}. Satz 10. Für alle A = (a i,j ) i,j K n n existiert ein Q A Π n 2, so daß 7 ( n ) P A (λ) = ( 1) n λ n + ( 1) n 1 a i,i λ n 1 + Q A (λ) für alle λ K. Insbesondere ist P A eine Polynomfunktion vom Grad n. Beweis. Sei τ S n. Für E n = (e i,j ) i,j K n n sei i=1 R A,τ (λ) = n (a i,τ(i) λe i,τ(i) ), i=1 so daß P A (λ) = τ S n sign(τ) R A,τ (λ), siehe Satz 1.15 (Leibniz-Formel). Setze id = id {1,...,n}. Per Induktion ergibt sich R A,τ Π n 2 für τ id und R A,id (λ) = n ( n ) (a i,i λ) = ( 1) n λ n + ( 1) n 1 a i,i λ n 1 + Q A,id (λ) i=1 i=1 mit Q A,id Π n 2. Für Q A = Q A,id + sign(τ) R A,τ Π n 2 τ S n\{id} ergibt sich ( n ) det(a λe n ) = ( 1) n λ n + ( 1) n 1 a i,i λ n 1 + Q A (λ). i=1 Korollar 11. Für A K n n gilt σ(a) n. Beweis. Verwende die Sätze 9, 10 und VI Definition 12. P A heißt das charakteristische Polynom 8 von A K n n. Satz 9.(ii) erlaubt folgende Definition. Definition 13. Seien F : V V linear und A eine Basis von V. Dann heißt P MA (F ) das charakteristische Polynom von F. Notation: P F. 7 n i=1 a i,i heißt die Spur von A, siehe [Fi, S. 229]. Beachte Satz 9.(ii). 8 Wir verwenden diese, nur im Rahmen unserer Vorlesung nachlässige Sprechweise.

165 VII.2. Eigenwerte 161 Beispiel 14. Für A gemäß Beispiel 6 mit α [0, 2π[ und λ R gilt P A (λ) = (cos(α) λ) 2 + sin 2 (α). Satz 9.(i) zeigt σ(a) =, falls α {0, π}, und nochmals σ(a) = {1}, falls α = 0, sowie σ(a) = { 1}, falls α = π. Beispiel 15. Für A = und λ K ergibt sich mittels Lemma 1.17 λ λ 3 P A (λ) = det 3 2 λ 3 = det 3 2 λ λ λ λ 3 = det 0 1 λ 3/2(λ 1) 0 λ λ/2(λ 3) ( ) 1 3/2 = 2 (1 λ) det λ λ/2(λ 3) = (1 λ) (λ 2 1) = (λ 1) 2 (λ + 1). Somit σ(a) = {1, 1}. Sei x K 3. Für λ = 1 zeigen elementare Zeilenumformungen, daß (A + E 3 )x = 0 äquivalent zu x = ist. Es folgt Eig(A, 1) = span({(1, 3, 2) }). Für λ = 1 zeigen elementare Zeilenumformungen, daß (A E 3 )x = 0 äquivalent zu x = ist. Es folgt Beispiel 16. Für und λ K gilt Eig(A, 1) = span({(1, 0, 1), ( 1, 1, 0) }). A = P A (λ) = (λ + 1) (λ 2 + 1). Sei K = R. Dann gilt σ(a) = { 1} und Eig(A, 1) = span({(1, 0, 0 )}). Sei K = C. Dann gilt σ(a) = { 1, ı, ı} und Eig(A, 1) = span({(1, 0, 0) }), Eig(A, ı) = span({(0, ı, 1) }) sowie Eig(A, ı) = span({(0, ı, 1) }).

166 VII.2. Eigenwerte 162 Nullstellen von Polynomfunktionen Wir benötigen einige Ergebnisse über die Nullstellen von Polynomfunktionen, siehe [Fi, 1.3]; mehr dazu in der Vorlesung Algebraische Strukturen. Bemerkung 17. Sei P : K K eine Polynomfunktion mit P 0. Für λ K gelte P (λ) = 0. Dann existieren r N und eine Polynomfunktion Q : K K mit (i) P (t) = (t λ) r Q(t) für alle t K, (ii) Q(λ) 0. Ferner sind r und Q durch (i) und (ii) eindeutig bestimmt. Definition 18. In der Situation von Bemerkung 17 heißt λ K r-fache Nullstelle von P, und r heißt die Vielfachheit der Nullstelle λ. Notation: µ(p, λ) = r. Satz 19. Für jede Polynomfunktion P Π n \ {0} mit paarweise verschiedenen Nullstellen λ 1,..., λ k gilt k µ(p, λ l ) n. l=1 Definition 20. P Π n zerfällt in Linearfaktoren, falls λ 1,..., λ n K und a K mit n t K : P (t) = a (t λ i ) existieren. Der Beweis des folgenden Satzes gelingt mit Methoden der Funktionentheorie. Satz 21 (Fundamentalsatz der Algebra). Jede Polynomfunktion P : C C zerfällt in Linearfaktoren. i=1 Korollar 22. Für A C n n gilt σ(a) und µ(p A, λ) = n. λ σ(a) Beweis. Verwende die Sätze 9, 10 und 21. Die Vielfachheit von Eigenwerten Lemma 23. Für λ σ(f ) gilt dim Eig(F, λ) µ(p F, λ).

167 VII.3. Diagonalisierbarkeit 163 Beweis. Für m = dim Eig(F, λ) gilt 1 m n. Wähle eine Basis A = (v 1,..., v n ) von V, so daß F (v i ) = λv i für i = 1,..., m, siehe Korollar VI.2.23 (Basisergänzungssatz). Dann gilt ( ) D B M A (F ) = 0 C mit B K m (n m), C K (n m) (n m) und Übung 3.1 zeigt für t K so daß µ(p F, λ) m. D = λ λ P F (t) = P MA (F )(t) = (λ t) m det(c te n m ), Beispiel 24. In der Situation von Beispiel 15 gilt dim Eig(A, λ) = µ(p A, λ) für alle λ σ(a). Für ( ) 1 1 B = 0 1 gilt P B (λ) = (1 λ) 2 und dim Eig(B, 1) = 1 2 = µ(p B, 1). Ausblick 25. Markov-Ketten. Literatur. [Fi, 4.1, 4.2]. 3 Diagonalisierbarkeit Im Folgenden sei V ein endlich-dimensionaler K-Vektorraum mit n = dim V N. Ferner sei F : V V linear. Definition 1. F heißt diagonalisierbar, falls eine aus Eigenvektoren von F bestehende Basis von V existiert. Bemerkung 2. Aus σ(f ) = n folgt die Diagonalisierbarkeit von F. Siehe Lemma 2.8. Definition 3. A = (a i,j ) i,j K n n heißt Diagonalmatrix, falls a i,j = 0 für alle i, j {1,..., n} mit i j gilt. Notation: Für λ 1,..., λ n K sei λ 1 0 diag(λ 1,..., λ n ) =... K n n. 0 λ n

168 VII.3. Diagonalisierbarkeit 164 Bemerkung 4. F ist genau dann diagonalisierbar, wenn M A (F ) für eine Basis A von V eine Diagonalmatrix ist. Im Folgenden sei A K n n. Definition 5. A heißt diagonalisierbar, falls F A diagonalisierbar ist. Lemma 6. Seien A = (v 1,..., v n ) eine Basis von K n, S = (v 1,..., v n ) K n n und λ 1,..., λ n K. Dann sind äquivalent (i) M A (F A ) = diag(λ 1,..., λ n ), (ii) 1 i n : Av i = λ i v i, (iii) diag(λ 1,..., λ n ) = S 1 A S. Beweis. Die Äquivalenz von (i) und (ii) ist klar. Die Äquivalenz von (ii) und (iii) folgt aus S diag(λ 1,..., λ n ) = (λ 1 v 1,..., λ n v n ) und AS = (Av 1,..., Av n ). Bemerkung 7. A K n n ist genau dann diagonalisierbar, wenn A ähnlich zu einer Diagonalmatrix ist, siehe Lemma 6. Beispiel 8. Betrachte A gemäß Beispiel Im Fall K = R ist A nicht diagonalisierbar, da alle Eigenvektoren von A in span({(1, 0, 0) } liegen. Im Fall K = C ist A diagonalisierbar, und ((1, 0, 0), (0, ı, 1), (0, ı, 1) ) ist eine aus Eigenvektoren von A bestehende Basis von C 3, siehe Bemerkung 2. Betrachte B gemäß Beispiel Wie oben sieht man, daß B nicht diagonalisierbar ist. Beispiel 9. Betrachte die Matrix A K 3 aus Beispiel 2.15, und bilde S = (v 1, v 2, v 3 ) = aus den dort bestimmten Eigenvektoren von A. Gemäß Lemma 2.8 ist (v 1, v 2, v 3 ) linear unabhängig, so daß A = (v 1, v 2, v 3 ) eine aus Eigenvektoren von A bestehende Basis von K 3 ist. Lemma 6 zeigt M A (F A ) = diag( 1, 1, 1) = S 1 A S. Die direkte Summe von Unterräumen Im Folgenden seien W 1,..., W k Unterräume von V. Bemerkung 10. Betrachte den Vektorraum V k, siehe Beispiel VI.1.2.(ii), sowie seinen Unterraum W 1 W k. Durch G(w 1,..., w k ) = wird eine lineare Abbildung G : W 1 W k V definiert. k l=1 w l

169 VII.3. Diagonalisierbarkeit 165 Definition 11. V heißt die direkte Summe von W 1,..., W k, falls G gemäß Bemerkung 10 ein linearer Isomorphismus ist. Notation: k l=1 W l oder W 1 W k. Vgl. Übung 3.2 im Fall k = 2. Satz 12. Äquivalent sind (i) V = k l=1 W l, (ii) G gemäß Bemerkung 10 ist surjektiv (injektiv), und n = k l=1 dim W l, (iii) für alle Basen (w i,l ) i=1,...,nl von W l mit l = 1,..., k ist (w i,l ) i=1,...,nl,l=1,...,k eine Basis von V, (iv) für l = 1,..., k existieren Basen (w i,l ) i=1,...,nl eine Basis von V ist. von W l, so daß (w i,l ) i=1,...,nl,l=1,...,k Beweis. Für l {1,..., k} und v V sei v (l) V k durch { v (l) v, falls j = l, j = 0, sonst, definiert. Man verifiziert leicht: Für jede Wahl von Basen (w i,l ) i=1,...,nl (w (l) i,l ) i=1,...,n l,l=1,...,k eine Basis von W 1 W k. Es folgt von W l ist dim(w 1 W k ) = k dim W l l=1 und weiter dim ker G = k dim W l rang G. l=1 Dies zeigt die Äquivalenz von (i) und (ii). Da G(w (l) ) = w für w W l und l = 1,..., k, ergibt sich (i) (iii) sowie (iv) (i) mit Satz VI.4.7, und (iii) (iv) ist trivial. Charakterisierung der Diagonalisierbarkeit Im Folgenden sei V ein K-Vektorraum, es gilt also K = K {R, C}. Satz 13. Äquivalent sind (i) F ist diagonalisierbar, (ii) P F zerfällt in Linearfaktoren, und es gilt λ σ(f ) : dim Eig(F, λ) = µ(p F, λ), (1)

170 VII.3. Diagonalisierbarkeit 166 (iii) σ(f ) und V = λ σ(f ) Eig(F, λ). Beweis. (i) (ii) : Sei (v 1,..., v n ) eine aus Eigenvektoren von F bestehende Basis von V. Genauer gelte F (v i ) = λ i v i mit λ i K für i = 1,..., n. Dann dim Eig(F, λ) {i {1,..., n} : v i Eig(F, λ)} n. λ σ(f ) λ σ(f ) Mit Satz 2.19 und Lemma 2.23 folgt (1). Für A = (v 1,..., v n ) gilt so daß M A (F ) = diag(λ 1,..., λ n ), t K : P F (t) = (ii) (iii) : Aus (ii) ergibt sich dim Eig(F, λ) = λ σ(f ) n (λ i t). i=1 λ σ(f ) µ(f, λ) = n, und Lemma 2.8 zeigt, daß die durch G((w λ ) λ σ(f ) ) = λ σ(f ) w λ definierte Abbildung G : λ σ(f ) Eig(F, λ) V injektiv ist. Wende Satz 12 an. (iii) (i) : Wende Satz 12 an. Bemerkung 14. Zur Überprüfung der Diagonalisierbarkeit und ggf. zur Bestimmung einer aus Eigenvektoren von A bestehenden Basis von K n kann man prinzipiell folgendermaßen vorgehen: 1. Bestimme P A und seine Nullstellen. 2. Falls σ(a) = oder λ σ(a) µ(p A, λ) < n: Stopp A ist nicht diagonalisierbar. 3. Bestimme (jeweils durch elementare Zeilenumformungen) dim Eig(A, λ) für λ σ(a). Falls dim Eig(A, λ) < µ(p A, λ) für ein λ σ(a): Stopp A ist nicht diagonalisierbar. 4. Bestimme (jeweils durch Lösen des entsprechenden homogenen linearen Gleichungssystems) Basen von Eig(A, λ) für alle λ σ(a), und setze diese zusammen. Beispiel 15. In Beispiel 9 ist n = 3, P A zerfällt in Linearfaktoren, und es gilt sowie dim Eig(A, 1) = 1 = µ(p A, 1) dim Eig(A, 1) = 2 = µ(p A, 1). Also ist A, wie bereits in Beispiel 9 erkannt, diagonalisierbar.

171 VII.3. Diagonalisierbarkeit 167 Ausblick 16. Seien k N, λ 1,..., λ k K paarweise verschieden und µ 1,..., µ k N, so daß k t K : P F (t) = ( 1) n (t λ l ) µ l. Die Unterräume l=1 W l = ker(f λ l id V ) µ l, l = 1,..., k, heißen die Haupträume von F. Der Satz über die Hauptraumzerlegung besagt und dim W l = µ l, l = 1,..., k, V = k W l, l=1 siehe [Fi, S. 259]. Für v W l gilt F (v) λ l v W l, woraus F (W l ) W l folgt. Betrachte die linearen Abbildungen F l : W l W l : v F (v), G l : W l W l : v F (v) λ l v. Offenbar gilt G µ l l = 0. Für jede Basis A l von W l gilt M Al (F l ) = λ l E µl + M Al (G l ). Tutorium 4.2 liefert eine Basis, für die M Al (G l ) von besonders einfacher Gestalt ist. Stichwort: Jordansche Normalform, siehe [Fi, 4.6]. Ausblick 17. Die Resultate dieses Kapitels gelten für beliebige Körper K; statt Polynomfunktionen sind dabei Polynome zu betrachten. Literatur. [Fi, 1.6, 4.1, 4.3].

172 Kapitel VIII Euklidische und unitäre Vektorräume Wir betrachten Vektorräume über R oder C, die mit einem Skalarprodukt versehen sind. Dies ermöglicht die Definition und Untersuchung geometrischer Größen wie Längen und Winkel. Wir verweisen insbesondere auf [Fi]. Im Folgenden bezeichnet K entweder den Körper R oder den Körper C, und V sei ein K-Vektorraum. Notation: Für K = R und x K sei x = x und Re x = x. Für K = C und x C schreiben wir kurz x 0 oder x > 0, falls Im x = 0 und Re x 0 bzw. Re x > 0. 1 Skalarprodukt und Orthogonalität Definition 1., : V V K heißt Skalarprodukt (inneres Produkt) auf V, falls v, v, w V : v + v, w = v, w + v, w, (1) v, w V λ K : λv, w = λ v, w, (2) v, w V : v, w = w, v, (3) v V \ {0} : v, v > 0. (4) Ferner heißt (V,, ) dann Innenproduktraum und in den Fällen K = R und K = C euklidischer Vektorraum bzw. unitärer Vektorraum. Notation gelegentlich, V. Bemerkung 2. Sei (V,, ) ein Innenproduktraum. (i) Im Fall K = R folgt aus (1) (3) 1 v, w, w V : v, w + w = v, w + v, w, (5) v, w V λ K : v, λw = λ v, w. (6) 1 Sei V ein K-Vektorraum. Dann heißt, : V V K mit (1), (2), (5) und (6) Bilinearform auf V. Gilt (1), (2) und v, w V : v, w = w, v, so heißt, symmetrische Bilinearform auf V. 168

173 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 169 (ii) Im Fall K = C folgt aus (1) (3) 2 v, w, w V : v, w + w = v, w + v, w, (7) v, w V λ K : v, λw = λ v, w. (8) (iii) Es gilt 3 v V : ( v, v 0 ( v, v = 0 v = 0) ). (9) Beispiel 3. Für n N und K = R sei V = R n. Durch x, y = n x i y i, x, y V, i=1 wird ein Skalarprodukt auf V definiert. Bezeichnung: kanonisches Skalarpodukt auf R n. Es gilt x, y = x y. Beispiel 4. Für a, b K = R mit a < b sei V = R ([a, b]). Für f, g V gilt f g V, siehe Satz V Durch f, g = b a f(x) g(x) dx, f, g V, wird eine Abbildung, : V V R definiert, die (1), (2) und (3), aber nicht (4) erfüllt, wie f = 1 {a} zeigt. Als Ausweg betrachtet man den Quotientenraum V/U mit U = {f V : b f(x) dx = 0}; mehr dazu in der Vorlesung Einführung in die a Funktionalanalysis. Sei W = C([a, b]). Dann ist, W W ein Skalarprodukt auf W. Beweis Übung. Notation: Für A = (a i,j ) C m n mit m, n N sei A = (a i,j ) C m n. Beispiel 5. Für n N und K = C sei V = C n. Durch x, y = n x i y i x, y V, wird ein Skalarprodukt auf V definiert. Bezeichnung: kanonisches Skalarprodukt auf C n. Es gilt x, y = x y. Im Folgenden betrachten wir auf R n bzw. C n, soweit nichts anderes gesagt, das mit, bezeichnete kanonische Skalarprodukt. i=1 Die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung Satz 6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung). Sei (V,, ) ein Innenproduktraum. Für v, w V gilt v, w v, v 1/2 w, w 1/2. (10) In (10) gilt genau dann Gleichheit, wenn (v, w) linear abhängig ist. 2 Im Fall K = C heißt, : V V C mit (1) (3) hermitesche Sesquilinearform. 3 Diese Eigenschaft heißt positive Definitheit.

174 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 170 Beweis. Wir betrachten den nicht-trivialen Fall w 0. Für λ, µ K gilt 0 λv + µw, λv + µw = λλ v, v + λµ v, w + λµ w, v + µµ w, w. Setze λ = w, w und µ = v, w. Beachte, daß λ > 0. Es folgt und somit λv + µw, λv + µw = λ ( w, w v, v v, w w, v ) 0 w, w v, v v, w 2. Dies zeigt (10) und die Tatsache, daß aus v, w = v, v 1/2 w, w 1/2 zunächst λv + µw = 0 und damit die lineare Abhängigkeit von (v, w) folgt, siehe (9). Sei (v, w) linear abhängig. Dann existiert λ K mit v = λw. Somit v, w = λ w, w und v, v 1/2 w, w 1/2 = λ w, w. Definition 7. : V R heißt Norm auf V, falls v, w V : v + w v + w (Dreiecksungleichung), (11) v V λ K : λv = λ v, (12) v V : ( v 0 ( v = 0 v = 0) ). (13) Ferner heißt (V, ) dann normierter Raum. Notation gelegentlich V. Satz 8. Sei (V,, ) ein Innenproduktraum. Dann wird durch v = v, v 1/2, v V, eine Norm auf V definiert. Bezeichnung: heißt die durch, induzierte Norm. Beweis. Bemerkung 2.(iii) sichert, daß wohldefiniert ist und (13) erfüllt. Aus (2) und (6) bzw. (8) folgt Es gilt λv = ( λλ v, v ) 1/2 = λ v. v + w 2 = v, v + v, w + w, v + w, w Mit Satz 6 folgt v + w 2 ( v + w ) 2. = v, v + 2 Re v, w + w, w v, v + 2 v, w + w, w. Im Folgenden betrachten wir, soweit nichts anderes gesagt, die mit bezeichnete induzierte Norm auf einem Innenproduktraum.

175 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 171 Lemma 9 (Polarisationsformeln). (i) Sei (V,, ) ein euklidischer Vektorraum. Für v, w V gilt v, w = 1/4 ( v + w 2 v w 2 ). (ii) Sei (V,, ) ein unitärer Vektorraum. Für v, w V gilt v, w = 1/4 ( v + w 2 v w 2 + ı v + ıw 2 ı v ıw 2 ). Insbesondere bestimmt die induzierte Norm das Skalarprodukt eindeutig. Beweis. Nachrechnen. Definition 10. Sei X. Dann heißt d : X X R eine Metrik auf X, falls x, y, z X : d(x, z) d(x, y) + d(y, z) x, y X : ( d(x, y) 0 (d(x, y) = 0 x = y) ), x, y X : d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie). (Dreiecksungleichung), Ferner heißt (X, d) dann metrischer Raum, und d(x, y) heißt der Abstand zwischen x und y. Notation gelegentlich d X. Satz 11. Sei (V, ) ein nomierter Raum. Dann wird durch d(v, w) = v w, v, w V, eine Metrik auf V definiert. Bezeichnung: d heißt die durch induzierte Metrik. Beweis. Klar. Im Folgenden betrachten wir, soweit nichts anderes gesagt, die mit d bezeichnete induzierte Metrik auf einem normierten Raum. Bemerkung 12. Sei (V,, ) ein euklidischer Vektorraum. Für v, w V \ {0} gilt 1 v, w v w 1, siehe Satz 6. Erinnerung: arccos : [ 1, 1] [0, π] ist stetig und streng monoton fallend. Definition 13. In der Situation von Bemerkung 12 heißt der Winkel zwischen v und w. (v, w) = arccos ( v, w /( v w ) )

176 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 172 Bemerkung 14. (i) Seien (V,, ) ein euklidischer Vektorraum, v, w V \ {0} und λ, µ R \ {0}. Falls λ µ > 0, gilt (λv, µw) = (v, w). Falls λ µ < 0, gilt (λv, µw) = arccos ( v, w /( v w ) ) = π (v, w). (ii) Für α, β [0, 2π[ und x, y R 2 mit x = (cos(α), sin(α)), y = (cos(β), sin(β)) gilt x, y = cos(α) cos(β) + sin(α) sin(β) = cos(α) cos( β) sin(α) sin( β) = cos(α β) = cos( α β ), siehe Sätze III.5.3 und III.5.4 (Additionstheorem). Da cos(x) = cos(2π x) für x R, folgt { α β, falls α β π, (x, y) = 2π α β, falls π < α β < 2π. Ausblick 15. Empirischer Korrelationskoeffizient. Bemerkung 16. (i) Sei (V,, ) ein Innenproduktraum oder (V, ) ein normierter Raum, und sei U V ein Unterraum. Dann ist U, versehen mit der Einschränkung des Skalarproduktes bzw. der Norm, wieder ein entsprechender Raum. (ii) Seien (X, d) ein metrischer Raum und Y X. Dann ist (Y, d Y Y ) wieder ein metrischer Raum. Orthogonalität Im Folgenden sei (V,, ) ein Innenproduktraum. Definition 17. (i) v, w V heißen orthogonal, falls v, w = 0. Notation: v w. (ii) Eine Familie (v i ) i I in V heißt orthogonal, falls v i v j für alle i, j I mit i j gilt. Gilt zusätzlich v i = 1 für alle i I, so heißt (v i ) i I orthonormal. (iii) Eine Basis von V, die orthonormal ist, heißt Orthonormalbasis.

177 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 173 Beispiel 18. (i) Die Standardbasis von K n ist eine Orthonormalbasis. (ii) ((1, 1, 1), (0, 1, 1), ( 2, 1, 1) ) ist orthogonal in R 3. (iii) Betrachte V = C([0, 2π]) mit dem Skalarprodukt, gemäß Beispiel 4. Definiere v 0 (x) = 1/ 2π, v k (x) = 1/ π sin(kx), v k (x) = 1/ π cos(kx) für x [0, 2π] und k Z \ {0}. Dann ist (v k ) k Z orthonormal, siehe [Fo1, 23]. Lemma 19. Sei (v i ) i I eine orthogonale Familie in V mit I, und gelte v i 0 für alle i I. Dann gilt (i) (1/ v i v i ) i I ist orthonormal, (ii) (v i ) i I ist linear unabhängig. Beweis. ad (i): Für i, j I gilt 1/ v i v i, 1/ v j v j = v i, v j / ( v i v j ) = { 1, falls i = j, 0, sonst. ad (ii): Seien I 0 I endlich und (λ i ) i I0 K I 0 mit i I 0 λ i v i = 0. Für alle j I 0 gilt 0 = i I 0 λ i v i, v j = i I 0 λ i v i, v j = λ j v j 2, so daß λ j = 0. Beispiel 20. (1/ 3 (1, 1, 1), 1/ 2 (0, 1, 1), 1/ 6 ( 2, 1, 1) ) ist eine Orthonormalbasis von R 3, siehe Beispiel 18.(ii) und Lemma 19. Im Folgenden seien m N und v 1,..., v m V. Satz 21 (Pythagoras). Ist (v 1,..., v m ) orthogonal, gilt Beweis. Es gilt m 2 v i = i=1 m i,j=1 m 2 m v i = v i 2. i=1 v i, v j = i=1 m v i, v i = i=1 m v i 2. i=1 Definition 22. Für U V heißt das orthogonale Komplement von U. U = {v V : v u für alle u U}

178 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 174 Bemerkung 23. (i) Für U 1 U 2 V gilt U 2 U 1. Insbesondere gilt {0} = V und V = {0}. (ii) Für U V ist U ein Unterraum von V, und es gilt U = (span U). Beweis: Tutorium 3.2. Für U V und v V sei U,v : U R definiert durch U,v (u) = v u, u U. Satz 24. Sei (v 1,..., v m ) orthonormal. Setze U = span({v 1,..., v m }), und definiere F : V V durch m F (v) = v, v i v i, v V. Dann gilt (i) F ist 4 linear und erfüllt F 2 = F, Im F = U und ker F = U, (ii) für v V nimmt U,v genau in F (v) sein globales Minimum an, (iii) v F (v) 2 = v 2 m i=1 v, v i 2 für alle v V. i=1 Beweis. ad (i): Offenbar ist F linear. Lemma 19.(ii) und Bemerkung 23.(ii) zeigen ker F = {v 1,..., v m } = U. Da F (v i ) = v i für alle i = 1,..., m, folgt Im F = U. Für v V und j {1,..., m} gilt m m F (v), v j = v, v i v i, v j = v, v i v i, v j = v, v j. Es folgt i=1 F 2 (v) = i=1 m F (v), v j v j = F (v). j=1 ad (ii): Sei u U. Mit (i) folgt F (v F (v)) = 0 und weiter v F (v) U sowie F (v) u U. Satz 21 sichert v u 2 = v F (v) + F (v) u 2 = v F (v) 2 + F (v) u 2. (14) ad (iii): Gemäß (14) gilt v 2 = v F (v) 2 + F (v) 2, und Satz 21 zeigt F (v) 2 = m v, v i v i 2 = i=1 m v, v i 2. i=1 4 Sei V ein K-Vektorraum. Lineare Abbildungen F : V V mit F 2 = F heißen Projektionen. Siehe auch Übung 4.2.

179 VIII.1. Skalarprodukt und Orthogonalität 175 Korollar 25. Sei (v 1,..., v m ) orthonormal. Für alle v span({v 1,..., v m }) gilt und v = v 2 = m v, v i v i i=1 m v, v i 2. i=1 Satz 26 (Gram-Schmidtsches Orthonormalisierungsverfahren). Sei (w 1,..., w m ) eine linear unabhängige Familie in V. Dann existiert eine orthonormale Familie (v 1,..., v m ) in V, so daß 1 k m : span({w 1,..., w k }) = span({v 1,..., v k }). Beweis. Induktion. Für m = 1 ist die Aussage klar. Sei (w 1,..., w m+1 ) eine linear unabhängige Familie, und sei (v 1,..., v m ) wie oben bereits bestimmt. Definiere w m+1 = m w m+1, v i v i. i=1 Es gilt w m+1 w m+1. Setze v m+1 = 1/ w m+1 w m+1 (w m+1 w m+1 ). Satz 24 zeigt v m+1 span({v 1,..., v m }), und zusammen mit der Induktionsannahme folgt, daß (v 1,..., v m+1 ) orthonormal ist. Da w m+1, v m+1 span({v 1,..., v m+1 }), folgt zusammen mit der Induktionsannahme span({w 1,..., w m+1 }) span({v 1,..., v m+1 }). Korollar VI.2.21 zeigt, daß hier Gleichheit gilt. Korollar 27. Jeder endlich-dimensionale Innenproduktraum besitzt eine Orthonormalbasis. Beweis. Verwende Satz 26 und Korollar VI Korollar 28. Sei U V ein endlich-dimensionaler Unterraum. Für alle v V existiert eine eindeutig bestimmte Minimalstelle von U,v, und diese hängt linear von v ab. Beweis. Verwende Satz 24 und Korollar 27. Definition 29. Seien U V ein endlich-dimensionaler Unterraum und v V. Die eindeutig bestimmte Minimalstelle gemäß Korollar 28 heißt die orthogonale Projektion von v auf U. Die entsprechende Abbildung heißt die orthogonale Projektion auf U.

180 VIII.2. Orthogonale und unitäre Abbildungen 176 Beispiel 30. In der Situation von Beispiel 18.(iii) sei U = span({v m,..., v m }) für m N. Dann ist F (f) = 1/(2π) 2π 0 f(t) dt + 1/π + 1/π m 2π k=1 0 2π m k=1 0 sin(kt)f(t) dt sin(k ) cos(kt)f(t) dt cos(k ) die orthogonale Projektion von f C([0, 2π]) auf U. Stichwort: Fourier-Reihen. Bemerkung 31. Seien V endlich-dimensional und U V. (i) Es gilt (U ) = span U. (ii) Ist U ein Unterraum, gilt V = U U und somit dim U = dim V dim U. Beweis: Übung 5.1. Bemerkung 32. Für V = K n und 1 m n 1 sei (v 1,..., v m ) linear unabhängig. Setze U = span({v 1,..., v m }). Bemerkung VI.7.13 klärt die Berechnung einer Basis von U. Spezialfälle: Hessesche Normalform von Geraden in K 2 bzw. Ebenen in K 3. Beispiel 33. Seien V = R 3, v 1 = (0, 1, 1), v 2 = (1, 0, 1) und U = {v 1, v 2 }. Da dim span U = 2 folgt dim U = 1, siehe Bemerkungen 23.(ii) und 31.(ii). Sei v 3 = (1, 1, 1). Da v 1, v 3 = v 2, v 3 = 0, folgt v 3 U. Fazit: U = span({v 3 }) und somit span U = {v 3 }. Literatur. [Fi, 5.1, 5.3, 5.4]. 2 Orthogonale und unitäre Abbildungen Im Folgenden seien (V,, V ) und (W,, W ) zwei euklidische oder zwei unitäre Vektorräume; entsprechend sei K = R bzw. K = C. Ferner sei F : V W linear. Definition 1. F heißt im Fall K = R orthogonal und im Fall K = C unitär, falls Lemma 2. v, w V : F (v), F (w) W = v, w V. (i) F ist genau dann orthogonal bzw. unitär, wenn v V : F (v) W = v V. (ii) Jede orthogonale bzw. unitäre Abbildung ist injektiv. (iii) Ist F bijektiv und orthogonal bzw. unitär, so ist F 1 orthogonal bzw. unitär.

181 VIII.2. Orthogonale und unitäre Abbildungen 177 Beweis. ad (i): Verwende Lemma 1.9. ad (ii): Verwende (i) und Bemerkung 1.2.(iii). ad (iii): Klar. Im Folgenden sei (V,, ) ein endlich-dimensionaler euklidischer oder unitärer Vektorraum mit n = dim V N; entsprechend sei K = R bzw. K = C. Satz 3. Sei A = (v 1,..., v n ) eine Orthonormalbasis von V. Dann ist 5 Φ A : K n V orthogonal bzw. unitär. Beweis. Gemäß Satz 1.21 gilt für x K n Φ A (x) 2 V = n 2 x i v i = i=1 V n x i v i 2 V = i=1 n x i 2 = x 2 K n. i=1 Wende Lemma 2.(i) an. Notation: E = {λ K : λ = 1}. Bemerkung 4. (i) Die orthogonalen bzw. unitären Abbildungen auf V bilden eine Untergruppe der Gruppe der linearen Isomorphismen auf V, versehen mit der Komposition. (ii) Ist F orthogonal bzw. unitär, gilt σ(f ) E. Darstellungsmatrizen orthogonaler bzw. unitärer Abbildungen Im Fall K = R setzen wir A = A für A R n n, vgl. Seite 169. Definition 5. A Gl(n, K) heißt im Fall K = R orthogonal und im Fall K = C unitär, falls A 1 = A. Bemerkung 6. (i) Ist A orthogonal bzw. unitär, gilt det A E. Beweis: 1 = det(a) det(a 1 ) = det(a) det(a ) = det(a) det(a). (ii) Für A K n n sind äquivalent (a) A ist orthogonal bzw. unitär, (b) die Zeilen von A bilden eine Orthonormalbasis von K n, (c) die Spalten von A bilden eine Orthonormalbasis von K n. 5 In diesem Sinn sind endlich-dimensionale Innenprodukträume isomorph zu einem Raum K n.

182 VIII.2. Orthogonale und unitäre Abbildungen 178 Lemma 7. (i) Für x, y K n und A K n n gilt x, Ay = A x, y. (ii) Für A, B K n n gilt ( x, y K n : Ax, y = Bx, y ) A = B. Beweis. ad (i): Es gilt x, Ay = x Ay = x Ay = (A x) y = A x, y. ad (ii): Betrachte die Standardbasis von K n. Im Folgenden sei F : V V linear. Satz 8. Äquivalent sind (i) F ist orthogonal bzw. unitär, (ii) für alle Orthonormalbasen A und B von V ist M A B (F ) orthogonal bzw. unitär, (iii) es existieren Orthonormalbasen A und B von V, so daß M A B (F ) orthogonal bzw. unitär ist. Beweis. Seien A und B Orthonormalbasen von V sowie v, w V. Setze A = M A B (F ) und x = Φ 1 A (v) sowie y = Φ 1 A (w). Dann gilt sowie F (v), F (w) V = Φ B (Ax), Φ B (Ay) V = Ax, Ay K n = A Ax, y K n siehe Satz 3 und Lemma 7.(i). v, w V = Φ A (x), Φ A (y) V = x, y K n, (i) (ii) : Lemma 7.(ii) zeigt A A = E n. Die Implikationen (ii) (iii) und (iii) (i) gelten offenbar. Diagonalisierung unitärer Abbildungen Definition 9. F heißt orthogonal diagonalisierbar, falls eine aus Eigenvektoren von F bestehende Orthonormalbasis von V existiert. Satz 10. (i) Im Fall K = C ist F genau dann unitär, wenn σ(f ) E und F orthogonal diagonalisierbar ist. (ii) Im Fall K = R ist F orthogonal, wenn σ(f ) E und F orthogonal diagonalisierbar ist.

183 VIII.3. Selbstadjungierte Abbildungen 179 Beweis. Seien A eine Orthonormalbasis von V und λ 1,..., λ n E mit M A (F ) = D für D = diag(λ 1,..., λ n ). Da DD = diag( λ 1 2,..., λ n 2 ) = E n, ist D orthogonal bzw. unitär. Satz 8 sichert, daß auch F diese Eigenschaft besitzt. in (i): Induktion nach n. Für n = 1 ist die Aussage trivial. Sei n > 1. Korollar VII.2.22 und Bemerkung 4.(ii) sichern die Existenz von λ σ(f ) \ {0}. Wähle v Eig(F, λ) mit v = 1, und setze W = {v}. Für w W gilt 0 = v, w = F (v), F (w) = λ v, F (w), so daß F (w) W. Mit dem Skalarprodukt von V wird W zu einem unitären Vektorraum, siehe Bemerkung 1.16.(i). Definiere G : W W durch G(w) = F (w). Dann ist G unitär, und es gilt dim W = n 1, siehe Bemerkung 1.31.(ii). Nach Induktionsannahme existiert eine aus Eigenvektoren von G, und damit von F, bestehende Orthonormalbasis (w 1,..., w n 1 ) von W. Somit leistet (w 1,..., w n 1, v) das Verlangte. Korollar 11. A C n n ist genau dann unitär, wenn S C n n unitär und λ 1,..., λ n E existieren, so daß diag(λ 1,..., λ n ) = S AS. Beweis. Verwende Satz 10.(i), Bemerkung 6.(ii) und Lemma VII.3.6. Beispiel 12. Seien V = K 2 und ( cos(α) sin(α) A = sin(α) cos(α) ) mit α [0, 2π[ \ {0, π}. Im Fall K = R ist A orthogonal, aber nicht diagonalisierbar, siehe Beispiel VII.2.14 und Satz VII Im Fall K = C ist A unitär und es gilt σ(a) = {λ, λ} für λ = cos(α) + ı sin(α) sowie diag(λ, λ) = S AS für S = 1/ ( ) ı ı Ausblick 13. Normalform orthogonaler Abbildungen, siehe [Fi, S. 308]. Literatur. [Fi, 5.5]. 3 Selbstadjungierte Abbildungen Im Folgenden sei (V,, ) ein endlich-dimensionaler euklidischer oder unitärer Vektorraum mit n = dim V N; entsprechend sei K = R bzw. K = C. Ferner sei F : V V linear. Definition 1. F heißt selbstadjungiert falls v, w V : F (v), w = v, F (w).

184 VIII.3. Selbstadjungierte Abbildungen 180 Darstellungsmatrizen selbstadjungierter Abbildungen Definition 2. A K n n heißt symmetrisch, falls A = A, und hermitesch, falls K = C und A = A. Satz 3. Äquivalent sind (i) F ist selbstadjungiert, (ii) für alle Orthonormalbasen A von V ist M A (F ) im Fall K = R symmetrisch und im Fall K = C hermitesch, (iii) es existiert eine Orthonormalbasis A von V, so daß M A (F ) im Fall K = R symmetrisch und im Fall K = C hermitesch ist. Beweis. Seien A eine Orthonormalbasis von V und v, w V. Setze A = M A (F ). Satz 2.3 und Lemma 2.7.(i) zeigen für x = Φ 1 A (v) und y = Φ 1 A (w) F (v), w V = Φ A (Ax), Φ A (y) V = Ax, y K n sowie v, F (w) V = Φ A (x), Φ A (Ay) V = x, Ay K n = A x, y K n. (i) (ii) : Lemma 2.7.(ii) zeigt A = A. Die Implikationen (ii) (iii) und (iii) (i) gelten offenbar. Beispiel 4. Orthogonale Projektionen auf Unterräume von V sind selbstadjungiert. Diagonalisierung selbstadjungierter Abbildungen Lemma 5. Seien K = C und F selbstadjungiert. Dann gilt σ(f ) R. Beweis. Korollar VII.2.22 sichert σ(f ). Seien v V \ {0} und λ C mit F (v) = λv. Dann λ v, v = F (v), v = v, F (v) = λ v, v, so daß λ R. Satz 6. F ist genau dann selbstadjungiert, wenn σ(f ) R und F orthogonal diagonalisierbar ist. Beweis. : Es existieren eine Orthonormalbasis A von V und λ 1,..., λ n R mit M A (F ) = D für D = diag(λ 1,..., λ n ). Verwende D = D und Satz 3. : Zunächst sei K = C. Induktion nach n. Für n = 1 ist die Aussage trivial. Sei n > 1. Wähle λ σ(f ), siehe Lemma 5, sowie v Eig(F, λ) mit v = 1, und setze W = {v}. Für w W gilt v, F (w) = F (v), w = λ v, w = 0,

185 VIII.3. Selbstadjungierte Abbildungen 181 so daß F (w) W. Mit dem Skalarprodukt von V wird W zu einem unitären Vektorraum, siehe Bemerkung 1.16.(i). Definiere G : W W durch G(w) = F (w). Dann ist G selbstadjungiert, und es gilt dim W = n 1, siehe Bemerkung 1.31.(ii). Nach Induktionsannahme existiert eine aus Eigenvektoren von G, und damit von F, bestehende Orthonormalbasis (w 1,..., w n 1 ) von W. Somit leistet (w 1,..., w n 1, v) das Verlangte. Sei K = R. Wähle eine Orthonormalbasis A von V, und setze B = M A (F ). Gemäß Satz 3 ist B symmetrisch. Wir fassen die Koeffizienten von B als Element von C auf, siehe Bemerkung III.4.1, und erhalten so eine hermitesche Matrix A C n n. Da t R : P F (t) = P B (t) = P A (t), zeigt Lemma 5, daß σ(f ). Schließe nun wie oben. Korollar 7. (i) A R n n ist genau dann symmetrisch, wenn λ 1,..., λ n R und S R n n orthogonal existieren, so daß diag(λ 1,..., λ n ) = S AS. (ii) A C n n ist genau dann hermitesch, wenn λ 1,..., λ n R und S C n n unitär existieren, so daß diag(λ 1,..., λ n ) = S AS. Beweis. Verwende Satz 6, Bemerkung 2.6.(ii) und Lemma VII.3.6. Ausblick 8. Normale Matrizen, siehe [Fi, 6.2]. Positiv definite Abbildungen Definition 9. (i) F heißt positiv definit, falls F selbstadjungiert ist und v V \ {0} : v, F (v) > 0. (1) (ii) A K n n heißt positiv definit, falls F A positiv definit ist. Satz 10. Sei F selbstadjungiert. Dann gilt F positiv definit σ(f ) ]0, [. Beweis. Seien A = (v 1,..., v n ) eine Orthonormalbasis von V und λ 1,..., λ n R, so daß F (v i ) = λ i v i für i = 1,..., n. : Für i = 1,..., n gilt λ i = v i, F (v i ) > 0. : Für v und i = 1,..., n gilt v i, F (v) = λ i v i, v und weiter n n v, F (v) = v, v i v i, F (v) = λ i v, v i 2 min λ i v 2, i=1,...,n siehe Korollar i=1 i=1

186 VIII.3. Selbstadjungierte Abbildungen 182 Wir definieren Satz 11. v, w F = v, F (w), v, w V. (i), F ist genau dann ein Skalarprodukt auf V, wenn F positiv definit ist. (ii) Die Zuordnung F, F definiert eine Bijektion zwischen der Menge der positiv definiten Abbildungen F : V V und der Menge der Skalarprodukte auf V. Beweis. ad (i): Die Linearität von, w F für alle w V ist trivial. Die Symmetrie bzw. Hermitizität von, F ist äquivalent zur Selbstadjungiertheit von F, und die positive Definitheit von, F ist äquivalent zu (1). ad (ii): Sei (, ) ein Skalarprodukt auf V. Ferner seien A = (v 1,..., v n ) eine Orthonormalbasis von (V,, ) und v, w V. Setze 6 sowie x = Φ 1 A A = ((v i, v j )) i,j K n n (v) und y = Φ 1 A (w). Dann gilt A = A sowie n (v, w) = i,j=1 x i y j (v i, v j ) = ( Φ 1 A (v)) A Φ 1 A (w) = v, Φ A (A Φ 1 A (w)), siehe Satz 2.3. Seien u, u V und gelte v, u = v, u für alle v V. Es folgt v, u u = 0 für alle v V, und die Wahl von v = u u zeigt u = u. Fazit: (, ) =, F gilt genau dann, wenn F = Φ A F A Φ 1 A. Gemäß (i) ist diese Abbildung positiv definit. Bemerkung 12. Sei A R n n positiv definit. Betrachte das durch x, y A = x, Ay = x A y, x, y R n, definierte Skalarprodukt auf R n. Es existieren eine Orthonormalbasis (v 1,..., v n ) von R n bzgl. des kanonischen Skalarproduktes, sowie λ 1,..., λ n ]0, [, so daß Av i = λ i v i für i = 1,..., n. Da v i, v j A = λ j v i, v j, i, j = 1,..., n, ist (w 1,..., w n ) mit w i = 1/ λ i v i eine Orthonormalbasis von (R n,, A ). Für n x = µ i v i mit µ 1,..., µ n R gilt x 2 A = Stichwort: Hauptachsentransformation. Literatur. [Fi, 5.4, 5.6]. i=1 n λ i µ 2 i. i=1 6 A heißt Gramsche Matrix zum Skalarprodukt (, ).

187 Kapitel IX Metrische und normierte Räume Wir studieren die Konvergenz, Stetigkeit und Kompaktheit im Kontext metrischer Räume und verweisen dazu insbesondere auf [AE, Fo1, Fo2]. Im Folgenden betrachten wir, soweit nichts anderes gesagt, auf R und auf C stets den Betrag als Norm und die so induzierte Metrik auf beliebigen Teilmengen. 1 Grundbegriffe Beispiel 1. Aus Abschnitt VIII.1 bekannte Beispiele normierter Räume sind (i) X = K n für n N, versehen mit ( n ) 1/2 x 2 = x i 2, x X, (ii) X = C ([a, b]) für a, b R mit a < b, versehen mit i=1 ( b 1/2 f 2 = f 2 (x) dx), f X. Diese Normen werden jeweils von einem Skalarprodukt induziert. a (iii) Auf einem angeordneten Körper induziert die Betragsfunktion eine Metrik, siehe Satz II.1.9. (iv) Seien M und n N. Auf X = M n wird durch d(x, y) = {i {1,..., n} : x i y i }, x, y X, eine Metrik definiert. Man nennt d(x, y) den Hamming-Abstand zwischen x und y. Im Fall n = 1 gilt { 0, falls x = y, d(x, y) = 1, sonst. für x, y M, und d heißt diskrete Metrik auf M. 183

188 IX.1. Grundbegriffe 184 Offene Mengen Im Folgenden seien (X, d) ein metrischer Raum und Y X. Von besonderem Interesse ist der Spezialfall eines normierten Raumes, siehe Satz VIII.1.11 (induzierte Metrik). Definition 2. Für x X und r > 0 heißt B r (x) = {y X : d(x, y) < r} die offene Kugel mit Radius r um den Mittelpunkt x. Definition 3. 1 (i) x Y heißt innerer Punkt von Y, falls ε > 0 mit B ε (x) Y existiert. (ii) Y heißt Umgebung von x Y, falls x ein innerer Punkt von Y ist. (iii) Die Menge der inneren Punkte von Y heißt das Innere von Y. Notation: Y. (iv) Y heißt offen, falls Y = Y. Notation: O = O(X, d) bezeichnet die Menge der offenen Teilmengen von X. Lemma 4. (i) Für x X und r > 0 gilt B r (x) O. (ii) Für x, y X mit x y existieren ε 1, ε 2 > 0 mit B ε1 (x) B ε2 (y) =. Beweis. ad (i): Sei y B r (x). Setze ε = r d(x, y). Dann gilt ε > 0 und für alle z B ε (y) d(z, x) d(z, y) + d(y, x) < ε + d(y, x) = r, d.h. B ε (y) B r (x). ad (ii): Wähle ε = d(x, y)/2. Dann gilt ε > 0, und aus z B ε (x) B ε (y) folgt d(x, y) d(x, z) + d(z, y) < 2ε = d(x, y). Widerspruch. Satz 5. (i), X O. (ii) Für U 1, U 2 O gilt U 1 U 2 O. (iii) Sei (U i ) i I mit I eine Familie in O. Dann gilt i I U i O. Beweis. ad (i): klar. ad (ii): Für x U 1 U 2 wähle man ε 1, ε 2 > 0 mit B ε1 (x) U 1 und B ε2 (x) U 2. Für ε = min(ε 1, ε 2 ) folgt ε > 0 und B ε (x) U 1 U 2. ad (iii): Für x i I U i existiert j I mit x U j. Somit existiert ε > 0, so daß B ε (x) U j. Da U j i I U i, folgt B ε (x) i I U i. 1 Im Fall X = R konsistent mit den Definitionen III.1.2 und III.1.6.(i).

189 IX.1. Grundbegriffe 185 Bemerkung 6. Per Induktion folgt: Der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen ist offen. Beispiel 7. Für X = R und n N sei U n = ] 1/n, 1/n[. Dann gilt U n O für alle n N, aber n N U n = {0} O. Satz 8. Für Y = {U O : U Y } gilt U Y U = Y. Beweis. : Sei x Y. Wähle ε > 0 mit B ε (x) Y. Lemma 4.(i) zeigt B ε (x) Y, so daß x U Y U. : Seien U Y und x U. Dann existiert ε > 0 mit B ε(x) U. Da U Y, folgt x Y. Bemerkung 9. Die Sätze 5 und 8 zeigen: Bezüglich der Mengeninklusion ist Y die größte in Y enthaltene offene Menge. Abgeschlossene Mengen Definition (i) x X heißt Berührpunkt von Y, falls B ε (x) Y für alle ε > 0 gilt. (ii) Die Menge der Berührpunkte von Y heißt der Abschluß von Y. Notation: Y. (iii) Y heißt abgeschlossen, falls Y = Y. Definition 11. Y c = X \ Y heißt das Komplement von Y (in X). Lemma 12. Es gilt ( Y ) c = (Y c ). Beweis. Für x X gilt x Y ( ε > 0 : B ε (x) Y c ) x Y c. Satz 13. Y abgeschlossen Y c offen. Beweis. Lemma 12 zeigt Y offen Y = (Y c ) c Y c = (Y c ) Y c abgeschlossen. 2 Im Fall X = R konsistent mit den Definitionen III.1.2 und III.1.6.(ii).

190 IX.1. Grundbegriffe 186 Korollar 14. (i), X sind abgeschlossen. (ii) Für abgeschlossene Mengen U 1, U 2 ist U 1 U 2 abgeschlossen. (iii) Sei (U i ) i I mit I eine Familie abgeschlossener Mengen. Dann ist i I U i abgeschlossen. Korollar 15. Für Y = {A X : A abgeschlossen, Y A} gilt A = Y. A Y Beweis. Die Sätze 8 und 13 zeigen ( ) c A = Wende Lemma 12 an. A Y A Y A c = ( Y c). Bemerkung 16. Die Korollare 14 und 15 zeigen: Bezüglich der Mengeninklusion ist Y die kleinste Y enthaltende abgeschlossene Menge. Definition 17. Für x X und r 0 heißt B r (x) = {y X : d(x, y) r} die abgeschlossene Kugel mit Radius r um den Mittelpunkt x. Lemma 18. Für x, y, z X gilt d(x, z) d(x, y) d(y, z) (umgekehrte Dreiecksungleichung). Beweis. Aus d(x, y) d(x, z) + d(z, y) folgt d(x, y) d(y, z) d(x, z). Ebenso ergibt sich d(y, z) d(x, y) d(x, z). Bemerkung 19. Sei (V, ) ein normierter Raum. Lemma 18 und Satz VIII.1.11 (induzierte Metrik) zeigen für v, w V v w v w (umgekehrte Dreiecksungleichung). Lemma 20. Für x X und r 0 ist B r (x) abgeschlossen. Beweis. Sei y ( B r (x) ) c, d.h. d(y, x) > r. Setze ε = d(y, x) r > 0. Lemma 18 zeigt für z B ε (y) d(z, x) d(x, y) d(y, z) > d(x, y) ε = r, d.h. z B r (x). Fazit: B ε (y) ( B r (x) ) c.

191 IX.1. Grundbegriffe 187 Randpunkte Definition 21. Y = Y \ Y heißt der Rand von Y. Die Elemente von Y heißen Randpunkte von Y. Beispiel 22. (i) Sei (V, ) ein normierter Raum. Für v V und r > 0 gilt B r (v) = B r (v) und B r (v) = B r (v) = {w V : v w = r}. (ii) Für X = R gilt Q = R. Beweis: Übung. Bemerkung 23. Es gilt (i) Y = Y Y c ; insbesondere ist Y abgeschlossen, (ii) Y = Y \ Y, (iii) Y = Y Y. Beweis: Übung 5.4. Ausblick 24. Sei X. Eine Menge O P(X) mit den Eigenschaften gemäß Satz 5 heißt Topologie auf X, die Elemente von O heißen offene Mengen und (X, O) heißt topologischer Raum. Ferner heißt Y X Umgebung von x X, falls U O mit x U Y existiert. Als Satz ergibt sich: Y X ist genau dann offen, wenn Y Umgebung aller Punkte aus Y ist. Die Topologie erfüllt das Hausdorffsche Trennungsaxiom, falls alle x, y X mit x y disjunkte Umgebungen besitzen. Mehr dazu in der Vorlesung Einführung in die Topologie. Im Spezialfall eines metrischen Raumes liefert Definition 3.(iv) eine Topologie, und der oben eingeführte Umgebungsbegriff ist konsistent mit Definition 3.(ii). Der o.g. Satz entspricht unserer Definition offener Mengen in metrischen Räumen. Lemma 4.(ii) zeigt, daß das Hausdorffsche Trennungsaxiom erfüllt ist. Die Definitionen 3.(i) und (iii), 10 und 21 basieren nur auf dem Umgebungsbegriff und legen somit topologische Begriffe fest. Beschränkte Mengen und Funktionen Definition (i) Y X heißt beschränkt, falls x X und r > 0 mit Y B r (x) existieren. (ii) Für eine Menge M heißt f : M X beschränkt, falls f(m) beschränkt ist. 3 In der Situation von Beispiel 1.(iii) konsistent mit den Definitionen II.1.12.(iii) und II.1.14.

192 IX.1. Grundbegriffe 188 Bemerkung 26. Sei (V, ) ein normierter Raum. Genau dann ist Y V beschränkt, wenn r > 0 mit Y B r (0) existiert. Beweis: B r (x) B r+ x (0). Satz 27. Seien M eine Menge und (V, ) ein normierter Vektorraum. Die Menge B(M, V ) = {f V M : f beschränkt} ist ein Unterraum von V M, und definiert eine Norm auf B(M, V ). f = sup{ f(m) : m M} Beweis. Seien f, g B(M, V ), λ K und m M. Es gilt (f + g)(m) f(m) + g(m) f + g, so daß f + g B(M, V ) und f + g f + g. Ferner gilt (λf)(m) = λ f(m) λ f, so daß λf B(M, V ) und λf λ f. Zu ε > 0 wähle man m M mit f(m) f ε. Da folgt λf λ f. λf (λf)(m) λ ( f ε), Es gilt f 0 und 0 = 0. Da f(m) f, folgt f = 0 aus f = 0. Definition 28. Die Norm gemäß Satz 27 heißt Supremumsnorm 4 auf den Vektorraum B(M, V ) der beschränkten Abbildungen von M nach V. Äquivalenz von Normen Definition 29. Zwei Normen und auf einem Vektorraum V heißen äquivalent, falls c 1, c 2 > 0 v V : c 1 v v c 2 v. Beispiel 30. (i) Die Normen 2 und auf K n sind äquivalent. Genauer gilt v v 2 n v, v V. Ferner gilt v = v 2 genau dann, wenn {i {1,..., n} : v i 0} 1, und v 2 = n v gilt genau dann, wenn v 1 = = v n. 4 Die Supremumsnorm wurde unausgesprochen bereits in den Kapiteln II V betrachtet, siehe etwa Satz III.3.13.

193 IX.1. Grundbegriffe 189 (ii) Betrachte den Unterraum V = C([a, b]) von B([a, b], R) für a, b R mit a < b. Für f V gilt ( b 1/2 f 2 f 2 dx) = b a f. a Für n N sei f n V durch f n (x) = ((x a)/(b a)) n definiert. Dann gilt f n = 1 und f n 2 2 = b a ((x a)/(b a)) 2n dx = (b a)/(2n + 1). Also sind die Normen und 2 auf V nicht äquivalent. Satz 31. Zwei Normen sind genau dann äquivalent, wenn sie dieselben offenen Mengen definieren. Beweis. Zu Normen und auf V betrachten wir die zugehörigen offenen Kugeln B r (x) und B r (x) sowie die zugehörigen Mengen O bzw. O offener Mengen. Gelte O O. Da B 1 (0) O, siehe Lemma 4.(i), existiert ε > 0 mit Für v V \ {0} und c = 2/ε folgt Umgekehrt sei c > 0, so daß B ε(0) B 1 (0). v = 2 v /ε ε/(2 v ) v c v. v V : v c v. Es folgt B ε/c (u) B ε(u) für ε > 0 und u V. Für U O und u U existiert somit ε > 0, so daß B ε (u) U. Dies zeigt U O. Beispiel 32. In der Situation von Beispiel 30.(ii) seien B r (f) und O die zu gehörigen offenen Kugeln bzw. die zugehörige Menge offener Mengen. Für U = {f V : t [a, b] : f(t) > 0} zeigen wir U O. Sei f U. Korollar III.3.5 (Extremalsatz) zeigt min f(t) > 0. t [a,b] Für ε = min t [a,b] f(t), g B ε(f) und t [a, b] gilt f(t) g(t) f g < ε, so daß g(t) > f(t) ε 0. Dies zeigt B ε(f) U. Nun seien B r (f) und O die zu 2 gehörigen offenen Kugeln bzw. die zugehörige Menge offener Mengen. Wir zeigen U O, genauer: für alle f U und ε > 0 existiert g B ε (f) \ U. Seien f U und ε > 0. Setze c = max t [a,b] f(t). Für f n wie in Beispiel 30 und g n = f 2c f n gilt g n (b) c 2c < 0 sowie g n f 2 = 2c (b a)/(2n + 1). Wähle n hinreichend groß. Literatur. [AE, II.3, III.2] und [Fo2, 1].

194 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit Konvergenz und Stetigkeit Im Folgenden sei (X, d) ein metrischer Raum. Konvergenz und Vollständigkeit Im Folgenden sei (x n ) n N eine Folge in X. Notation: (x n ) n statt (x n ) n N. Die nachstehenden Definitionen und Ergebnisse gelten analog für Folgen mit Indexmengen der Form {n Z : n k} für k Z. Definition 1. (x n ) n heißt konvergent 5, falls x X existiert, so daß ε > 0 n 0 N n n 0 : x n B ε (x). (1) Andernfalls heißt (x n ) n divergent. Gilt (1), so heißt x Grenzwert der Folge (x n ) n, und (x n ) n heißt konvergent gegen x. Satz 2. Jede Folge besitzt höchstens einen Grenzwert. Beweis. Verwende Lemma 1.4.(ii), und schließe wie im Beweis von Satz II.5.3. Notation: Statt (1) schreibt man lim n x n = x oder lim n x n = x. Bemerkung 3. Für x X gilt Satz 4. Für Y X gilt lim n x n = x lim n d(x, x n ) = 0. Y = {lim n x n : (x n ) n Folge in Y, (x n ) n konvergent}. Insbesondere ist Y genau dann abgeschlossen, wenn für jede Folge (x n ) n in Y, die konvergent ist, lim n x n Y gilt. Beweis. Schließe wie im Beweis von Lemma III.1.3. Bemerkung 5. Konvergenz ist ein topologischer Begriff: für jede Umgebung U von x X ist {n N : x n U} endlich. Definition 6. 6 (i) (x n ) n heißt Cauchy-Folge, falls ε > 0 n 0 N n, m n 0 : d(x n, x m ) < ε. (2) 5 In den Fällen X = R und X = C konsistent mit den bisherigen Definitionen, siehe Definition II.5.2 und Seite In den Fällen X = R und X = C konsistent mit den bisherigen Definitionen, siehe Definitionen II.6.1 und II.6.4 sowie Seite 73.

195 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 191 (ii) X heißt vollständig, falls jede Cauchy-Folge in X konvergiert. (iii) Ein vollständiger normierter Raum heißt Banach-Raum. Ein vollständiger Innenproduktraum heißt Hilbert-Raum. Satz 7. (i) Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge. (ii) Jede Cauchy-Folge ist beschränkt. Beweis. ad (i): Schließe wie im Beweis von Satz II.6.2. ad (ii): Schließe im wesentlichen wie im Beweis von Satz II.5.10 (Konvergenz und Beschränktheit). Bemerkung 8. Sei X ein K-Vektorraum, und seien und äquivalente Normen auf X. Dann ist (x n ) n genau dann konvergent in (X, ), wenn (x n ) n konvergent in (X, ) ist. Ggf. stimmen die Grenzwerte überein. Entsprechendes gilt für Cauchy-Folgen und die Vollständigkeit. Produkträume Bemerkung 9. Betrachte metrische Räume (X i, d i ) für i = 1,..., n. Auf X 1 X n wird durch d((x 1,..., x n ), (y 1,..., y n )) = max i=1,...,n d i(x i, y i ) eine Metrik definiert. Beweis Tutorium 5.1. Definition 10. In der Situation von Bemerkung 9 heißt d die Produktmetrik auf X = X 1 X n, und (X, d) heißt das Produkt der metrischen Räume (X i, d i ). Beispiel 11. Im Fall X = K n wird die Produktmetrik d durch induziert. Satz 12. Sei (X, d) das Produkt der metrischen Räume (X i, d i ) für i = 1,..., n. Für x k = (x k,1,..., x k,n ) gilt (x k ) k konvergent 1 i n : (x k,i ) k konvergent und ggf. lim k x k = (lim k x k,1,..., lim k x k,n ). Beweis. Für x = (x 1,..., x n ) X, 1 i n und k N gilt n d i (x k,i, x i ) d(x k, x) d i (x k,i, x i ). Verwende Bemerkung 3. Satz 13. Das Produkt vollständiger metrischer Räume ist vollständig. Beweis. Verwende die Bezeichnungen aus Bemerkung 9. Sei (x k ) k eine Cauchy-Folge in X = X 1 X n, und gelte x k = (x k,1,..., x k,n ). Da d i (x k,i, x l,i ) d(x k, x l ) für k, l N und i = 1,..., n, ist jede der Folgen (x k,i ) k eine Cauchy-Folge in X i. Für x = (x 1,..., x n ) mit x i = lim k x k,i gilt lim k x k = x gemäß Satz 12. i=1

196 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 192 Die Räume (K n, 2 ) und (B(M, V ), ) Korollar 14. Für jedes n N ist K n, (i) versehen mit der Norm, ein Banach-Raum, (ii) versehen mit dem kanonischen Skalarprodukt, ein Hilbert-Raum. Beweis. ad (i): Verwende die Vollständigkeit von R bzw. C, Satz 13 und Beispiel 11. ad (ii): Sei (x k ) k eine Cauchy-Folge in (K n, 2 ). Aufgrund der Äquivalenz von 2 und, siehe Beispiel 1.30.(i), ist (x k ) k eine Cauchy-Folge in (K n, ), und (i) sichert die Existenz von x K n mit lim k x x k = 0. Es folgt lim k x x k 2 = 0. Satz 15. Seien M eine Menge und (V, ) ein Banach-Raum. Dann ist auch (B(M, V ), ) ein Banach-Raum. Beweis. Sei (f n ) n eine Cauchy-Folge in B(M, V ). Für n, m N und x M gilt f n (x) f m (x) f n f m, so daß (f n (x)) n eine Cauchy-Folge in V ist. Damit ist (f n (x)) n nach Voraussetzung konvergent. Definiere f : M V durch f(x) = lim n f n (x), x M. Sei ε > 0. Wähle n 0 N, so daß f n f m < ε für n, m n 0. Für n, m n 0 und x M folgt f(x) f n (x) f(x) f m (x) + f m (x) f n (x) < f(x) f m (x) + ε. Da lim m f(x) f m (x) = 0, folgt n n 0 : f f n ε. Insbesondere gilt f f n0 B(M, V ), woraus f B(M, V ) folgt, da B(M, V ) ein Vektorraum ist. Die Konvergenz von (f n ) n gegen f in B(M, V ) ist jetzt klar. Beispiel 16. Sei M = [0, 1] und V = R. Wir definieren rekursiv eine Folge von Funktionen f n : [0, 1] R durch 3/2 x, falls 0 x 1/3, f 1 (x) = 1/2, falls 1/3 < x 2/3, 1/2 + 3/2(x 2/3), falls 2/3 < x 1, sowie 1/2 f n (3x), falls 0 x 1/3, f n+1 (x) = 1/2, falls 1/3 < x 2/3, 1/2 + 1/2 f n (3x 2), falls 2/3 < x 1.

197 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 193 Per Induktion folgt für alle n N: f n ist monoton wachsend mit f n (0) = 0, f n (1/3) = f n (2/3) = 1/2 und f n (1) = 1. Insbesondere gilt f n B([0, 1], R). Sei n 2. Für x [0, 1/3] gilt f n+1 (x) f n (x) = 1/2 f n (3x) 1/2 f n 1 (3x) 1/2 f n f n 1, und für x [2/3, 1] gilt f n+1 (x) f n (x) = 1/2 f n (3x 2) 1/2 f n 1 (3x 2) 1/2 f n f n 1. Dies zeigt f n+1 f n 1/2 f n f n 1, und per Induktion ergibt sich n N : f n+1 f n 2 n+1 f 2 f 1. Für m > n 1 folgt m 1 f m f n = (f k+1 f k ) k=n f 2 f 1 m 1 k=n m 1 k=n f k+1 f k 2 k+1 f 2 f 1 2 n+2. Somit ist (f n ) n eine Cauchy-Folge, und Satz 15 sichert die Existenz von f B([0, 1], R) mit lim n f f n = 0. Stichwort: Cantor-Funktion. Stetigkeit Im Folgenden seien (Y, d Y ) und (Z, d Z ) metrische Räume und f : X Y und g : Y Z Abbildungen. Definition (i) f heißt stetig in x X, falls für jede gegen x konvergente Folge (x n ) n die Folge (f(x n )) n gegen f(x) konvergiert. Andernfalls heißt f unstetig in x. (ii) f heißt stetig (auf X), falls f stetig in jedem Punkt x X ist. Notation: C(X, Y ) Menge der stetigen Funktionen von X nach Y. Satz 18. f ist genau dann stetig in x X, wenn ε > 0 δ > 0 y X : ( d(x, y) < δ d Y (f(x), f(y)) < ε ). (3) Beweis. Schließe wie in Satz III Bemerkung 19. Beachte, daß (3) äquivalent ist zu ε > 0 δ > 0 : f(b δ (x)) B ε (f(x)). Somit ist Stetigkeit ein topologischer Begriff: für jede Umgebung U Y von f(x) existiert eine Umgebung U X von x mit f(u ) U. Siehe auch Satz 31 (Charakterisierung stetiger Abbildungen). 7 In den Fällen X = R und X = C konsistent mit den bisherigen Definitionen, siehe Definition III.2.1 und Seite 74.

198 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 194 Satz 20. Ist f stetig in x X und g stetig in f(x), so ist g f stetig in x. Beweis. Schließe wie in Satz III Bemerkung 21. Sind X und Y normierte Räume, so ändert der Übergang zu äquivalenten Normen im Definitions- und/oder Wertebereich nichts an den Stetigkeitkeitseigenschaften von f. Beispiel 22. Sei (V, ) ein normierter Raum. (i) : V R ist stetig. Beweis: Für v, w V gilt v w v w. (ii) Betrachte die Produktmetrik d auf V V. Dann ist + : V V V stetig. Beweis: Für v, v, w, w V gilt (v + w) (v + w ) v v + w w 2 d((v, w), (v, w )). (iii) Betrachte die Produktmetrik auf K V. Dann ist : K V V stetig. Beweis Übung, vgl. Beweis von Satz II.5.13 (Produktregel). (iv) Betrachte die Produktmetrik auf K (K \ {0}). Dann ist / : K (K \ {0}) K stetig. Beweis Übung, vgl. Beweis von Satz II.5.16 (Quotientenregel). Beispiel 23. (i) Betrachte die Produktmetrik d auf X X. Dann ist d : X X R stetig. Beweis: Für x, x, y, y X gilt d(x, y) d(x, y ) d(x, y) d(x, y) + d(x, y) d(x, y ) d(x, x ) + d(y, y ) 2 d((x, x ), (y, y )). (ii) Für Y X und x X definiert man den Abstand von x zu Y durch d(x, Y ) = inf{d(x, y) : y Y }. Die Funktion d(, Y ) : X R ist stetig. Beweis: Für x, x X und y Y gilt d(x, Y ) d(x, y) d(x, x ) + d(x, y). Es folgt d(x, Y ) d(x, x ) d(x, Y ), d.h. d(x, Y ) d(x, Y ) d(x, x ). Ebenso ergibt sich d(x, Y ) d(x, Y ) d(x, x ). Fazit: d(x, Y ) d(x, Y ) d(x, x ). Ferner gilt d(x, Y ) = 0 genau dann, wenn x Y. Definition 24. f heißt Lipschitz-stetig, falls c > 0 x, y X : d Y (f(x), f(y)) c d(x, y). Jedes c mit obiger Eigenschaft heißt eine Lipschitz-Konstante von f.

199 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 195 Bemerkung 25. Lipschitz-stetige Abbildungen sind stetig. Beispiel 26. (i) Die Abbildungen aus den Beispielen 22.(i) und (ii) und 23 sind Lipschitz-stetig. (ii) Die Abbildungen aus den Beispielen 22.(iii) und (iv) sind nicht Lipschitz-stetig. (iii) Für a K n sei f : K n K durch f(x) = x, a definiert. Satz 1.6 (Cauchy- Schwarzsche Ungleichung) zeigt f(x) f(y) x y 2 a 2 für x, y K n, so daß f Lipschitz-stetig ist. Stetigkeit und Produkträume Im Folgenden sei (Y, d Y ) das Produkt der metrischen Räume (Y i, d i ) für i = 1,..., m. Die Abbildungen π i : Y Y i : (y 1,..., y m ) y i heißen Koordinatenabbildungen. Setze f i = π i f : X Y i. Es gilt also f(x) = (f 1 (x),..., f m (x)) für alle x X, und f 1,..., f m heißen die Komponentenfunktionen von f. Bemerkung 27. Die Koordinatenabbildungen sind Lipschitz-stetig, vgl. Satz 12 und sein Beweis. Satz 28. f ist genau dann stetig (in x X), wenn für i = 1,..., m die Abbildungen f i stetig (in x) sind. Beweis. : Verwende Satz 20 und Bemerkung 27. : Gelte lim k x k = x. Nach Voraussetzung folgt lim k f i (x k ) = f i (x) für i = 1,..., m. Satz 12 sichert die Konvergenz von (f(x k )) k mit lim k f(x k ) = (lim k f 1 (x k ),..., lim k f m (x k )) = f(x). Der Raum C(X, V ) Korollar 29. (i) Seien (V, ) ein normierter K-Vektorraum und f, g : X V stetig (in x X). Ferner sei λ K. Dann sind f +g und λf stetig (in x). Insbesondere ist C(X, V ) ein Unterraum des K-Vektorraums V X. (ii) Seien f, g : X K stetig (in x X). Dann ist f g stetig (in x). (iii) Seien f, g : X K stetig (in x X), und gelte g(y) 0 für alle y X. Dann ist f/g stetig (in x).

200 IX.2. Konvergenz und Stetigkeit 196 Beweis. ad (i): Betrachte die Produktmetrik auf V V. Satz 28 sichert die Stetigkeit der Abbildung h : X V V : x (f(x), g(x)) (im Punkt x). Gemäß Beispiel 22.(ii) ist + : V V V stetig. Die Stetigkeit von f + g (in x) folgt mit Satz 20. ad (ii), (iii): analog. Beispiel 30. Betrachte die euklidische Metrik auf X = R 2 \{0}. Definiere h : X R durch h(x, y) = 2xy, (x, y) X. x 2 + y2 Wir zeigen die Stetigkeit von h. Die Abbildungen X R : (x, y) x und X R : (x, y) y sind stetig. Korollar 29 sichert zunächst die Stetigkeit der Abbildungen X R : (x, y) x 2 + y 2 und X R : (x, y) 2xy, und nochmalige Anwendung des Korollars liefert die Behauptung. Sei α [0, 2π[ und r > 0. Für (x, y) = (r cos(α), r sin(α)) ergibt sich h(x, y) = 2 cos(α) sin(α) = sin(2α). Für n N sei r n = 1/n, α n = π/4 + nπ/2 und (x n, y n ) = (r n cos(α n ), r n sin(α n )). Dann gilt (x n, y n ) 2 = 1/n und somit lim n (x n, y n ) = (0, 0), aber h(x n, y n ) = ( 1) n. Damit existiert keine Fortsetzung von h zu einer stetigen Funktion von R 2 nach R. Charakterisierung stetiger Abbildungen Satz 31. Äquivalent sind: (i) f ist stetig, (ii) für jede offene Menge U Y ist f 1 (U) offen, (iii) für jede abgeschlossene Menge U Y ist f 1 (U) abgeschlossen. Beweis. (i) (ii) : Wir betrachten den nicht-trivialen Fall einer offenen Menge U Y. Sei x f 1 (U). Dann existiert ε > 0 mit B ε (f(x)) U. Gemäß Satz 18 und Bemerkung 19 existiert δ > 0 mit f ( B δ (x) ) B ε (f(x)) U, d.h. B δ (x) f 1 (U). (ii) (i) : Seien x X und ε > 0. Nach Voraussetzung ist f 1 (B ε (f(x))) offen, und es gilt x f 1 (B ε (f(x))). Somit existiert δ > 0 mit B δ (x) f 1 (B ε (f(x))), d.h. f(b δ (x)) B ε (f(x)). Wende Satz 18 an. (ii) (iii) : klar. Bemerkung 32. Seien f : X R stetig und c R. Dann ist {x X : f(x) < c} offen, und {x X : f(x) c} ist abgeschlossen. Beweis: Verwende Satz 31 mit U = ], c[ bzw. U = ], c]. Beispiel 33. (i) Für f : R R : x arctan(x) ist f(r) = ] π/2, π/2[ nicht abgeschlossen, während R abgeschlossen ist. (ii) Für f : R R : x x 2 ist f(] 1, 1[) = [0, 1[ nicht offen, während ] 1, 1[ offen ist.

201 IX.3. Kompaktheit 197 Metrische Unterräume Im Folgenden sei X 0 X. Betrachte die Metrik d 0 = d X0 X 0 auf X 0 sowie die Mengen O(X, d) und O(X 0, d 0 ) der offenen Teilmengen von X bzw. X 0. Sprechweise: d 0 heißt die induzierte Metrik. Lemma 34. Es gilt: (i) γ : X 0 X : x x ist Lipschitz-stetig, (ii) f C(X, Y ) f X0 C(X 0, Y ), (iii) O(X 0, d 0 ) = {U X 0 : U O(X, d)}, (iv) Sei (X, d) vollständig. Dann gilt: (X 0, d 0 ) ist vollständig X c 0 O(X, d). Beweis. ad (i), (ii): klar. ad (iii): Für U O(X, d) gilt U X 0 = γ 1 (U) O(X 0, d 0 ) gemäß (i) und Satz 31. Sei U 0 O(X 0, d 0 ). Dann existiert r : U 0 ]0, [, so daß x U 0 : {y X 0 : d 0 (x, y) < r(x)} U 0. Für U = x U 0 {y X : d(x, y) < r(x)} gilt U O(X, d) und U 0 = U X 0. ad (iv): Übung. Literatur. [AE, III.1] und [Fo2, 2]. 3 Kompaktheit Überdeckungs- und Folgenkompaktheit Im Folgenden sei (X, d) ein metrischer Raum, und O bezeichne die zugehörige Menge offener Mengen. Ferner sei K X. Für die leere Abbildung U : P(X) setzen wir i U i =. Definition 1. (i) Eine Familie (U i ) i I in O heißt offene Überdeckung von K, falls K i I U i. (ii) K heißt kompakt, falls für jede offene Überdeckung (U i ) i I von K eine endliche Menge I 0 I mit K i I 0 U i existiert 8. Bemerkung 2. Die Kompaktheit ist ein topologischer Begriff. Ist X ein normierter Raum, so ändert der Übergang zu einer äquivalenten Norm nichts an der Kompaktheit von Teilmengen. 8 Sprechweise: Existenz einer endlichen Teilüberdeckung.

202 IX.3. Kompaktheit 198 Beispiel 3. (i) Jede endliche Teilmenge von X ist kompakt. (ii) Sei (x n ) n eine konvergente Folge in X. Dann ist K = {x n : n N} {lim n x n } kompakt. Beweis: Setze x = lim n x n. Sei (U i ) i I eine offene Überdeckung von K. Dann existiert i 0 I mit x U i0. Wähle ε > 0 mit B ε (x) U i0. Dann ist N = {n N : x n / B ε (x)} endlich, und für n N existiert i n I mit x n U in. Die Menge I 0 = {i n : n N} {i 0 } leistet das Verlangte. (iii) Seien X = R und K = {1/n : n N}. Die Mengen U i = ]2 i, 2 i+2 [ mit i N bilden eine offene Überdeckung von K. Für n N und I 0 {1,..., n} gilt i I 0 U i ]2 n, [. Somit ist K nicht kompakt. Der Begriff der Teilfolge überträgt sich wörtlich von reellen Zahlenfolgen, siehe Definiton II.6.14, auf Folgen in beliebigen Mengen. Satz 4. Äquivalent sind 9 (i) K ist kompakt, (ii) jede Folge (x n ) n in K besitzt eine konvergente Teilfolge (x nk ) k mit lim k x nk K. Beweis. Betrachte den nicht-trivialen Fall K. (i) (ii) : Sei (x n) n eine Folge in K. Annahme: (x n ) n besitzt keine konvergente Teilfolge mit Grenzwert in K. Dann folgt x K ε > 0 : {n N : x n B ε (x)} endlich. von K. Nach Voraus- Betrachte eine entsprechende offene Überdeckung ( B ε(x) (x) ) x K setzung existiert eine endliche Menge K 0 K mit K B ε(x) (x), x K 0 so daß N = {n N : x n K} endlich ist, siehe Bemerkung II.3.7. Widerspruch. (ii) (i) : Wir zeigen zunächst10 ε > 0 m N x 1,..., x m K : K m B ε (x i ). (1) Annahme: (1) ist nicht erfüllt. Dann existiert ε > 0 und eine Folge (x n ) n in K mit n N : x n+1 / n B ε (x i ). 9 Dies zeigt im Fall X = R die Konsistenz mit Definition III Mengen mit dieser Eigenschaft heißen totalbeschränkt, siehe [AE, III.3]. i=1 i=1

203 IX.3. Kompaktheit 199 Nach Voraussetzung existiert eine konvergente Teilfolge (x nk ) k mit x = lim k x nk K, d.h. es existiert k 0 N, so daß d(x, x nk ) < ε/2 für alle k k 0. Für k > k 0 folgt d.h. x nk B ε (x nk0 ). Widerspruch. d(x nk0, x nk ) d(x nk0, x) + d(x, x nk ) < ε, Sei (U i ) i I eine offene Überdeckung von K. Für n N existiert gemäß (1) eine endliche Menge X n K mit K x X n B 1/n (x). Annahme: Für jedes n N existiert x n X n, so daß B 1/n (x n ) K nicht durch endlich viele der U i überdeckt wird. Nach Voraussetzung existiert eine konvergente Teilfolge (x nk ) k von (x n ) n mit Grenzwert x K. Ferner existieren i I mit x U i und ε > 0 mit B ε (x) U i. Gelte n k > 2/ε und d(x, x nk ) < ε/2. Für jedes y B 1/nk (x nk ) gilt d(y, x) d(y, x nk ) + d(x nk, x) < 1/n k + ε/2 < ε. Es folgt B 1/nk (x nk ) B ε (x) U i. Widerspruch. Ausblick 5. Metrische Entropie. Satz 6. Sei K kompakt. Dann ist K abgeschlossen und beschränkt. Beweis. Beschränktheit : Satz 4 und (1) sichern die Existenz von m N und x 1,..., x m K mit K m i=1 B 1(x i ). Für r = max 1 k m d(x 1, x k ) + 1 ergibt sich K B r (x 1 ). Abgeschlossenheit : Sei (x n) n eine Folge in K, die konvergent ist. Setze x = lim n x n. Dann konvergiert jede Teilfolge von (x n ) n gegen x, und Satz 4 sichert x K. Wende Satz 2.4 (Charakterisierung des Abschlusses) an. Satz 7. Seien K kompakt und A X abgeschlossen mit A K. Dann ist A kompakt. Beweis. Sei (x n ) n eine Folge in A. Gemäß Satz 4 existiert eine konvergente Teilfolge (x nk ) k. Satz 2.4 sichert lim k x nk A. Der Satz von Heine-Borel Satz 8 (Heine-Borel). Für den normierten Raum (K n, ) sind äquivalent: (i) K ist kompakt, (ii) K ist abgeschlossen und beschränkt. Beweis. (i) (ii) : Dies ist Satz 6. (ii) (i) : Sei (x k) k mit x k = (x k,1,..., x k,n ) eine Folge in K. Dann sind (x k,i ) k mit i = 1,..., n beschränkte Folgen in K. Die iterierte Anwendung von Satz II.6.17 (Bolzano-Weierstraß), ggf. auf die Real- und Imaginärteile, sichert die Existenz einer Teilfolge (x kl ) l, so daß (x kl,i) l für alle i {1,..., n} konvergent ist. Beispiel 2.11 und Satz 2.12 (Konvergenz in Produkträumen) zeigen die Konvergenz von (x kl ) l, und Satz 2.4 sichert lim l x kl K. Wende Satz 4 an.

204 IX.3. Kompaktheit 200 Beispiel 9. Sei X = B(N, R) versehen mit der Supremumsnorm. Sei B die Menge aller Folgen y = (y i ) i reeller Zahlen mit i N : ( y i = 1 j N \ {i} : y j = 0 ). Es gilt B X, und B ist beschränkt. Da y y = 1 für alle y, y B mit y y gilt, sind für jede Folge (x n ) n in B äquivalent: (i) (x n ) n ist konvergent, (ii) (x n ) n ist eine Cauchy-Folge, (iii) n 0 N n n 0 : x n = x n+1. Damit ist B abgeschlossen, aber nicht kompakt, da B keine endliche Menge ist. Stetige Abbildungen auf kompakten Mengen Im Folgenden sei (Y, d Y ) ein metrischer Raum. Satz 10. Sei K kompakt und sei f : X Y stetig. Dann ist f(k) kompakt. Beweis. Betrachte den nicht-trivialen Fall K. Sei (y n ) n eine Folge in f(k). Wähle x n K mit f(x n ) = y n. Dann existiert eine konvergente Teilfolge (x nk ) k von (x n ) n, und (y nk ) k = (f(x nk )) k ist konvergent. Korollar 11 (Extremalsatz). Sei K kompakt und sei f : X R stetig. Dann gilt x, x K : ( f(x ) = inf f(x) x K f(x ) = sup f(x) ). Beweis. Die Sätze 6 und 10 zeigen, daß f(k) abgeschlossen und beschränkt ist. Mit Lemma III.1.17.(ii) folgt sup x K f(x) f(k). Für das Minumum schließt man analog. x K Bemerkung 12. Sei K X. Betrachte die Metrik d 0 = d K K auf K. Für jede Familie (U i ) i I von Teilmengen von X gilt K i I U i K i I(U i K). Lemma 2.34 zeigt: K ist genau dann im metrischen Raum (X, d) kompakt, wenn K im metrischen Raum (K, d 0 ) kompakt ist. Satz 10 zeigt: Ist K kompakt und f : K Y stetig, so ist f(k) kompakt. Definition 13. f : X Y heißt gleichmäßig stetig falls ε > 0 δ > 0 x, y X : ( d(x, y) < δ d Y (f(x), f(y)) < ε ). Bemerkung 14. Aus der Lipschitz-Stetigkeit folgt die gleichmäßige Stetigkeit, und hieraus folgt die Stetigkeit. Beide Implikationen sind strikt. Satz 15. Sei X kompakt, und sei f : X Y stetig. Dann ist f gleichmäßig stetig. Beweis. Schließe wie im Beweis von Satz III.3.10.

205 IX.3. Kompaktheit 201 Äquivalenz der Normen auf endlich-dimensionalen Räumen Im Folgenden seien (V, V ) und (W, W ) normierte K-Vektorräume. Ferner sei f : V W linear. Lemma 16. Gelte (V, V ) = (K n, 2 ). Dann existiert c > 0 mit x K n : f(x) W c x 2. Beweis. Sei (e i ) i die Standardbasis von K n. Für x = n i=1 λ ie i K n gilt x 2 = ( n i=1 λ i 2 ) 1/2. Setze c = ( n i=1 f(e i) 2 W )1/2. Satz VIII.1.6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) zeigt ( n n ) 1/2 n f(x) W λ i f(e i ) W λ i 2 f(e i ) 2 W = c x 2. i=1 i=1 i=1 Satz 17. Je zwei Normen auf einem endlich-dimensionalen K-Vektorraum sind äquivalent. Beweis. Betrachte zunächst den Raum (V, V ) = (K n, 2 ) und eine weitere Norm auf K n. Gemäß Lemma 16 existiert c 2 > 0 mit In (K n, 2 ) ist die Menge x K n : x c 2 x 2. K = {x K n : x 2 = 1} abgeschlossen, siehe Beispiel 2.22.(i) und Bemerkung 2.32, und offenbar beschränkt, also gemäß Satz 8 kompakt. Setze c 1 = inf x K x. Für x, y K n gilt x y x y c 2 x y 2. Korollar 11 zeigt c 1 > 0, und für y K n \ {0} ergibt sich y = y 2 1/ y 2 y c 1 y 2. Fazit: 2 und, und damit beliebige Normen auf K n, sind äquivalent. Sei V = W {0} endlich-dimensional. Für n = dim V sei F : K n V ein linearer Isomorphismus. Durch x = F (x) V, x = F (x) W für x K n werden zwei Normen auf K n definiert. Aus der bereits bewiesenen Äquivalenz dieser Normen folgt die Äquivalenz von V und W. Bemerkung 18. Beliebige Normen auf einem endlich-dimensionalen K-Vektorraum V erzeugen damit dieselben offenen Mengen und denselben Stetigkeits- und Kompaktheitsbegriff. Ferner ist V stets vollständig, und die Konvergenz ist äquivalent zur Konvergenz der Koeffizienten in einer beliebigen Basis. Aus diesem Grund ist die explizite Angabe einer Norm oft entbehrlich.

206 IX.3. Kompaktheit 202 Stetigkeit linearer Abbildungen Satz 19. Äquivalent sind: (i) c > 0 v V : f(v) W c v V, (ii) f ist Lipschitz-stetig, (iii) f ist stetig in v = 0. Beweis. (i) (ii) : Für v, w V gilt f(v) f(w) W = f(v w) W c v w V. (ii) (iii) : Gilt allgemein, siehe Bemerkung 25. (iii) (i) : Wähle δ > 0, so daß f(w) W < 1 für alle w V mit w V < δ. Für v V \ {0} folgt f(v) W = 2 v V /δ f(δ/(2 v V ) v) W < 2/δ v V. Beispiel 20. (i) Seien (V,, ) ein Innenproduktraum und U V ein endlich-dimensionaler Unterraum. Die orthogonale Projektion f : V V auf U ist Lipschitz-stetig. Beweis: Für v V gilt Dies zeigt f(v) v. v 2 = f(v) 2 + v f(v) 2. (ii) Sei V = R([a, b]) für a, b R mit a < b versehen mit der Supremumsnorm. Durch f(v) = b v(t) dt wird eine Lipschitz-stetige Abbildung f : V R definiert. a Beweis: Für v V gilt b v(t) dt (b a) v. a (iii) Betrachte den Unterraum V = {v R N : {i N : v i 0} endlich} von B(N, R), versehen mit der Supremumsnorm. Durch f(v) = i=1 v i wird eine lineare Abbildung f : V R definiert. Sei n N. Für (v i ) i mit v 1 = = v n = 1 und v i = 0 für i > n gilt v V, f(v) = n sowie v = 1. Folglich ist f nicht stetig. Korollar 21. Sei V endlich-dimensional. Dann ist f Lipschitz-stetig. Beweis. Betrachte den nicht-trivialen Fall V {0}. Sei F : K n V ein linearer Isomorphismus. Lemma 16 sichert die Existenz von c > 0, so daß f(v) W = f F (F 1 (v)) W c F 1 (v) 2 für alle v V. Gemäß Satz 17 wird durch v = F 1 (v) 2 eine zu V Norm auf V definiert. Wende Satz 19 an. äquivalente

207 IX.4. Funktionenfolgen 203 Beispiel 22. (i) Für V = K n und W = K m, versehen mit beliebigen Normen, sowie A K m n definiert f(x) = Ax eine Lipschitz-stetige Abbildung f : V W. (ii) Die polynomiale Interpolation aus Bemerkung VI.5.15 definiert eine Lipschitzstetige Abbildung zwischen den Räumen (K n+1, 2 ) und (B([a, b], K), ). Ausblick: Lebesgue-Konstante. Im Folgenden seien V und W endlich-dimensional. Satz 23. Durch f = sup{ f(v) W : v V, v V 1}, f L(V, W ), wird eine Norm auf L(V, W ) definiert. Für f L(V, W ) gilt Beweis. Siehe Übung 8.4. f(v) W f v V. (2) Definition 24. gemäß Satz 23 heißt die von den Normen auf V und W induzierte Abbildungsnorm. Ebenso für Matrizen aus K m n und Normen auf K n und K m. Bemerkung 25. Sei (U, U ) ein weiterer endlich-dimensionaler K-Vektorraum, und sei g L(U, V ). Für die zugehörigen Abbildungsnormen zeigt (2) Literatur. [AE, III.3] und [Fo2, 2, 3]. f g f g. 4 Funktionenfolgen Im Folgenden seien M eine Menge und (V, V ) ein normierter Vektorraum. Ferner sei (f n ) n eine Folge in V M. Definition 1. Sei f V M. (i) (f n ) n konvergiert punktweise gegen f, falls x M : lim n f n (x) f(x) V = 0. (ii) (f n ) n konvergiert gleichmäßig gegen f, falls f f n B(M, V ) für alle 11 n N und lim n f n f = Es genügt hier und andernorts zu fordern: n 0 N n n 0 : f f n B(M, V ).

208 IX.4. Funktionenfolgen 204 Bemerkung 2. Aus der gleichmäßigen Konvergenz folgt die punktweise Konvergenz gegen dieselbe Funktion. Beispiel 3. Seien c > 0, M = [ c, c], V = R und f n (x) = n k=0 x k k!, x M. Satz II.7.34 (Restgliedabschätzung) zeigt für n 2c 1 exp M f n 2 c n+1 (n + 1)!. Somit konvergiert (f n ) n gleichmäßig gegen die Exponentialfunktion, eingeschränkt auf M. Legt man stattdessen den Definitionsbereich M = R zugrunde, konvergiert (f n ) n nicht gleichmäßig, aber punktweise gegen die Exponentialfunktion. Beweis Übung. Bemerkung 4. Gilt f n B(M, V ) für alle n N, ist die gleichmäßige Konvergenz die Konvergenz in (B(M, V ), ). Ggf. gilt für den Grenzwert f, daß f = lim n f n. Beweis: Verwende Satz 1.27 und Beispiel 2.22.(i). Das Weierstraßsche Kriterium Satz 5. Sei V = K, gelte g k B(M, V ) für alle k N und sei k=1 g k konvergent. Dann konvergiert ( n k=1 g k) n gleichmäßig und ( n k=1 g k(x)) n für jedes x M absolut. Beweis. Wir verweisen auf Ergebnisse für K = R; siehe Seite 73 zum Fall K = C. Für n N und x M gilt g n (x) g n. Satz II.7.18 (Majoranten-Kriterium) sichert die absolute Konvergenz von k=1 g k(x). Definiere f : M R durch f(x) = k=1 g k(x), siehe Satz II.7.16 (Konvergenz und absolute Konvergenz). Für m > n gilt Es folgt und somit m g k (x) k=1 f(x) f n g k (x) k=1 n g k (x) k=1 n g k k=1 m k=n+1 k=n+1 k=n+1 g k. g k g k. Schließlich gilt lim n k=n+1 g k = 0, siehe Übung 6.4 (GdM I). Sprechweise: Die Konvergenz gemäß Satz 5 heißt absolute und gleichmäßige Konvergenz von k=1 g k.

209 IX.4. Funktionenfolgen 205 Beispiel 6. Seien M = R und V = R. Die Reihe k=1 cos(k )/k2 konvergiert absolut und gleichmäßig. Ergänzung: Für 0 x 2π gilt siehe [Fo1, S. 267]. cos(kx)/k 2 = (x π) 2 /4 π 2 /12, k=1 Konvergenz und Stetigkeit Im Folgenden sei (X, d) ein metrischer Raum, und (f n ) n sei eine Folge in V X. Beispiel 7. Seien X = [0, 1] und V = R, und sei f n : X R für n N gegeben durch f n (x) = x n, x X. Dann konvergiert (f n ) n punktweise gegen f = 1 {1}. Während alle Funktionen f n beliebig oft differenzierbar sind, ist f nicht stetig auf X. Da f f n = 1 für alle n N, liegt keine gleichmäßige Konvergenz vor, siehe Bemerkung 2. Satz 8. Gilt f n C(X, V ) für alle n N und konvergiert (f n ) n gleichmäßig gegen f V X, folgt f C(X, V ). Beweis. Seien ε > 0 und x X. Wähle n N mit f f n < ε und δ > 0 mit Für y X mit d(x, y) < δ folgt y X : ( d(x, y) < δ f n (x) f n (y) V < ε ). f(x) f(y) V f(x) f n (x) V + f n (x) f n (y) V + f n (y) f(y) V < 3 ε. Korollar 9. Die Menge C(X, V ) B(X, V ) ist ein abgeschlossener Unterraum von (B(X, V ), ). Beweis. Die Unterraum-Eigenschaft folgt mit Korollar 2.29.(i). Bemerkung 4 und Satz 8 zeigen, daß C(X, V ) B(X, V ) abgeschlossen ist. Korollar 10. Sei X kompakt und sei (V, V ) ein Banach-Raum. Dann ist auch (C(X, V ), ) ein Banach-Raum. Beweis. Die Sätze 3.6 und 3.10 zeigen C(X, V ) B(X, V ). Gemäß Satz 2.15 ist der Raum (B(X, V ), ) vollständig, so daß die Vollständigkeit von (C(X, V ), ) mit Lemma 2.34.(iv) und Korollar 9 folgt. Beispiel 11. Die Cantor-Funktion aus Beispiel 2.16 ist stetig und monton wachsend.

210 IX.4. Funktionenfolgen 206 Konvergenz und Integrierbarkeit Im Folgenden seien X = [a, b] für a, b R mit a < b und V = R. Beispiel 12. Sei X = [0, 1]. (i) Seien D = [0, 1] Q und (x n ) n : N D bijektiv. Setze f n = 1 {x1,...,x n} und f = 1 D. Dann gilt f n R([0, 1]) für alle n N, und (f n ) n konvergiert punktweise gegen f, aber f R([0, 1]), siehe Beispiel V.1.9. Es existiert sogar eine Folge von Funktionen f n C([0, 1]), so daß n N : 0 f n f n+1 1 und f R([0, 1]) für den punktweisen Grenzwert f von (f n ) n. Vgl. Tutorium 6.2 und siehe [A, Bsp. 4.4]. (ii) Setze f n = max(n n 2 x 1/n, 0) für x [0, 1] und n 2. Es gilt f n R([0, 1]) und (f n ) n konvergiert punktweise gegen f = 0 R([0, 1]), aber 1 0 f n (x) dx = 1 0 = 1 0 f(x) dx. Satz 13. Gilt f n R([a, b]) für alle n N und konvergiert (f n ) n gleichmäßig gegen f : [a, b] R, folgt f R([a, b]) und b a f(x) dx = lim n b a f n (x) dx. Beweis. Setze ε n = f f n. Nach Voraussetzung gilt lim n ε n = 0. Gemäß Satz V.1.10 (Integrabilitätskrtiterium) existieren ϕ n, ψ n T ([a, b]) mit ϕ n f n ψ n und Es folgt b a ψ n (x) dx b a ϕ n (x) dx < ε n. ϕ n ε n f n ε n f f n + ε n ψ n + ε n, und offenbar gilt ϕ n ε n, ψ n + ε n T ([a, b]). Schließlich gilt b a (ψ n + ε n )(x) dx b a (ϕ n ε n )(x) dx ε n (1 + 2(b a)). Korollar V.1.11 sichert f R([a, b]). Mit den Sätzen V.1.16 und V.1.19.(i) ergibt sich f f n R([a, b]) und weiter b b f(x) dx f n (x) dx (b a) f f n. a a Bemerkung 14. In der Situation von Satz 13 ergibt sich f R([a, b]) unter der stärkeren Annahme, daß f n C([a, b]) für alle n N, sofort aus Satz 8.

211 IX.4. Funktionenfolgen 207 Beispiel 15. (i) Betrachte nochmals Beispiel 3. (ii) Für die Cantor-Funktion f gilt f R([0, 1]), siehe Bemerkung 14. Setze c = f(x) dx. Übung 7.1.d) zeigt 1 0 c = 1/3 0 = c/3 + 1/3. Es folgt c = 1/2. f(3x)/2 dx + 2/3 1/3 1/2 dx + 1 2/3 (1/2 + f(3x 2))/2 dx Konvergenz und Differenzierbarkeit Im Folgenden sei X R ein Intervall mit mehr als einem Element. Beispiel 16. Für X = R und n N sei f n (x) = 1 n sin(nx), x R. Dann konvergiert (f n ) n gleichmäßig gegen f = 0, und f n ist differenzierbar mit f n(x) = n cos(nx) x R. Für alle x R ist (f n(x)) n jedoch divergent. Beweis: Annahme (f n(x)) n ist konvergent. Dann folgt lim n cos(nx) = 0. Da cos(2nx) = 2 cos 2 (nx) 1, folgt 0 = 1. Widerspruch. Satz 17. Gilt f n C 1 (X) für alle n N, konvergiert (f n ) n punktweise gegen f : X R und konvergiert (f n) n gleichmäßig, so ist f differenzierbar mit f (x) = lim n f n(x), x X. Beweis. Für den Grenzwert f von (f n) n gilt f C(X), siehe Satz 8. Wähle a X. Dann f n (x) = f n (a) + x a f n(t) dt x X, für alle n N, siehe Korollar V.2.9 (zum Hauptsatz). Satz 13 sichert f(x) = f(a) + x a f(t) dt, x X, woraus die Differenzierbarkeit von f und f = f folgt, siehe Satz V.2.7 (2. Hauptsatz).

212 IX.4. Funktionenfolgen 208 Potenzreihen Im Folgenden seien c = (c k ) k N0 eine Folge in K und a K. Wir setzen D(c, a) = {x K : c k (x a) k konvergiert} k=0 und schreiben gelegentlich kurz D statt D(c, a). Bemerkung 18. Es gilt a D(c, a) und D(c, a) = D(c, 0) + a. Beispiel 19. (i) Für die Exponentialreihe k=0 1/k! xk gilt D = K, siehe Satz III.4.9 (Exponentialreihe, K = C). (ii) Sei K = R. Für k=0 ( 1)k /(2k)! x 2k gilt D = R sowie k=0 ( 1) k (2k)! x2k = cos(x), x R. Für k=0 ( 1)k /(2k + 1)! x 2k+1 gilt D = R sowie Siehe Satz III.5.7. k=0 ( 1) k (2k + 1)! x2k+1 = sin(x), x R. (iii) Sei K = R. Für die geometrische Reihe k=0 xk gilt D = ] 1, 1[ sowie (iv) Für k=0 kk x k gilt D = {0}. k=0 x k = 1, x ] 1, 1[. 1 x Lemma 20. Gelte D(c, a) {a}, und seien y D(c, a) \ {a} sowie 0 < ρ < y a. Definiere g k : B ρ (a) K durch g k (x) = c k (x a) k, x B ρ (a). (1) Dann ist k=0 g k absolut und gleichmäßig konvergent. Sprechweise: k=0 c k(x a) k ist absolut und gleichmäßig konvergent auf B ρ (a). Beweis. Es existiert K > 0 mit k N 0 : c k (y a) k K. Setze θ = ρ y a

213 IX.4. Funktionenfolgen 209 Dann gilt θ ]0, 1[ sowie g k (x) = c k (y a) k für alle k N 0 und x B ρ (a), d.h. k N 0 : x a k y a k K θk sup g k (x) K θ k. x B ρ(a) Satz 5 und Beispiel 19.(iii) zeigen die behauptete Konvergenz. Satz 21. Es gilt D(c, a) = {a}, D(c, a) = K oder r > 0 : B r (a) D(c, a) B r (a). Beweis. Gelte {a} D(c, a) K, und sei y D(c, a) \ {a}. Lemma 20 zeigt B y a (a) D(c, a). Zusammen mit D(c, a) K folgt hieraus, daß D(c, a) beschränkt ist. Fazit: leistet das Verlangte. r(c, a) = sup{ y a : y D(c, a)} (2) Konvention: B 0 (a) = und B (a) = K sowie r < für r [0, [. Definition 22. (i) Im Fall {a} D(c, a) K heißt r(c, a) gemäß (2) der Konvergenzradius der Potenzreihe k=0 c k(x a) k. In den Fällen D(c, a) = {a} und D(c, a) = K setzt man r(c, a) = 0 bzw. r(c, a) =. (ii) B(c, a) = B r(c,a) (a) heißt das Konvergenzgebiet der Potenzreihe k=0 c k(x a) k. (iii) Die durch f(x) = c k (x a) k, k=0 x B(c, a), definierte Funktion f : B(c, a) K heißt Summenfunktion der Potenzreihe k=0 c k(x a) k. Bemerkung 23. (i) Die Beweise von Lemma 20 und Satz 21 zeigen r(c, a) = sup{ y a : (c k (y a) k ) k beschränkt}. (ii) Satz 8 und Lemma 20 zeigen: die Summenfunktion einer Potenzreihe ist stetig auf ihrem Konvergenzgebiet.

214 IX.4. Funktionenfolgen 210 (iii) Gilt c k R für alle k N 0, so kann man k=0 c k(x a) k als Potenzreihe über R und über C betrachten. Die Konvergenzradien und die Summenfunktion auf B(c, a) R stimmen überein. Lemma 24. Die Konvergenzradien der Potenzreihen kc k (x a) k 1, k=1 k=0 c k (x a)k+1 k + 1 sind gleich r(c, a). Beweis. Sei r der Konvergenzradius von k=1 kc k(x a) k 1. Bemerkung 23.(i) zeigt r r(c, a). Seien x, y K, so daß x a < y a und (c k (y a) k ) k beschränkt. Setze θ = x a / y a. Dann gilt θ [0, 1[ und kc k (x a) k 1 c k y a k / y a kθ k 1. Da lim k (kθ k 1 ) = 0, ist (kc k (x a) k 1 ) k beschränkt. Es folgt r(c, a) r. Hiermit ergibt sich auch die Aussage zur zweiten Potenzreihe. Im Folgenden sei K = R. Ferner gelte r(c, a) > 0, und f sei die Summenfunktion von k=0 c k(x a) k. Satz 25. f ist beliebig oft differenzierbar, und für alle n N gilt Insbesondere f (n) (x) = k! c k (k n)! (x a)k n, x B(c, a). k=n n N 0 : c n = f (n) (a). n! Beweis. Seien n = 1, 0 < ρ < r(c, a) und g k : B ρ (a) R durch (1) definiert. Lemma 20 und Lemma 24 sichern die gleichmäßige Konvergenz von k=1 g k und k=0 g k auf B ρ (a). Satz 17 zeigt die Differenzierbarkeit von f in x B ρ (a) und Schließe nun induktiv. ( n ) (x) f (x) = lim g k = limn n k=0 n g k(x) = k=1 g k(x). k=1 Korollar 26. Sei h die Summenfunktion von k=0 c k/(k + 1)(x a) k+1. Dann ist h die Stammfunktion von f mit h(a) = 0. Beispiel 27. (i) Sei f(x) = ln(1 + x) für x ] 1, [. Dann f (x) = x = ( 1) k x k, x ] 1, 1[. k=0

215 IX.4. Funktionenfolgen 211 Da f(0) = 0, folgt siehe Korollar 26. Fazit f(x) = ln(x) = ( 1) k 1 x k, x ] 1, 1[, k k=1 ( 1) k 1 (x 1) k, x ]0, 2[. k k=1 Diese Gleichheit gilt auch für x = 2, siehe [Fo1, S. 287]. (ii) Sei f(x) = arctan(x) für x ] 1, 1[. Dann Da f(0) = 0, folgt f (x) = x = ( 1) k x 2k, x ] 1, 1[. 2 arctan(x) = k=0 k=0 ( 1) k 2k + 1 x2k+1, x ] 1, 1[, siehe Korollar 26. Diese Gleichheit gilt auch für x = 1, siehe [Fo1, S. 288]. Im Folgenden sei d = (d k ) k N0 eine Folge in R. Ferner gelte r(d, a) > 0, und g sei die Summenfunktion von k=0 d k(x a) k. Korollar 28. Für 0 < ρ < min(r(c, a), r(d, a)) gelte Dann folgt Beweis. Verwende Satz 25. Satz 29. c k (x a) k = k=0 d k (x a) k, k=0 k N 0 : c k = d k. x B ρ (a). (i) Setze e k = c k + d k für k N 0. Dann gilt r(e, a) min(r(c, a), r(d, a)) und (c k + d k )(x a) k = (f + g)(x) k=0 für x B(c, a) B(d, a). (ii) Setze e k = k l=0 c l d k l für k N 0. Dann gilt r(e, a) min(r(c, a), r(d, a)) und ( k c l d k l )(x a) k = (f g)(x) k=0 für x B(c, a) B(d, a). l=0

216 IX.4. Funktionenfolgen 212 Beweis. Verwende die Sätze II.7.5 und II.7.26 (Cauchy-Produkt). Beispiel 30. Gesucht ist eine differenzierbare Funktion f : R R mit f (x) = f(x) + x exp(x), x R. (3) Ansatz: f(x) = k=0 c kx k. Für x B(c, 0) folgt mit den Sätzen 25 und 29.(i) (k + 1) c k+1 x k = k=0 c k x k + k=0 = c 0 + 1/(k 1)! x k k=1 (c k + 1/(k 1)!)x k, k=1 und hieraus ergibt sich mit Korollar 28, daß c 1 = c 0 und Induktiv folgt d.h. k N : (k + 1)! c k+1 = k! c k + k. f(x) = c 0 + k N : k! c k = c 0 + k(k 1), 2 ( c0 /k! + k(k 1)/(2k!) ) x k. k=1 Satz 29.(i) sichert B(c, 0) = R und f(x) = exp(x) (c 0 + x 2 /2). Man verifiziert, daß die so definierte Funktion f eine Lösung von (3) ist. Taylor-Polynome und Taylor-Reihen Im Folgenden sei X R ein Intervall mit mehr als einem Element. Ferner seien a X, n N 0 und f : X R. Setze für x X. Klar: I(a, x) X. I(a, x) = [min(a, x), max(a, x)] Definition 31. Ist f n-mal differenzierbar, heißt T n (f, a) : X R, gegeben durch T n (f, a)(x) = n k=0 f (k) (a) (x a) k, x X, k! das Taylor-Polynom der Ordnung n von f mit Entwicklungspunkt a. Definiere 12 R n (f, a) : X R durch R n (f, a) = f T n (f, a). 12 Bei [Fo1] mit R n+1 bezeichnet.

217 IX.4. Funktionenfolgen 213 Beispiel 32. Für x X = ] 1, [ und f(x) = 1 + x gilt T 2 (f, 0)(x) = 1 + x/2 x 2 /8. Satz 33 (Taylorsche Formel). Falls f C n+1 (X), gilt R n (f, a)(x) = 1 n! x Beweis. Wir schließen induktiv. Sei x X. Für n = 0 gilt R 0 (f, a)(x) = f(x) f(a) = a (x t) n f (n+1) (t) dt, x X. x gemäß Korollar V.2.9 (zum Hauptsatz). Für n 1 gilt a f (t) dt R n (f, a)(x) = R n 1 (f, a)(x) f (n) (a) (x a) n n! sowie aufgrund der Induktionsannahme x 1 R n 1 (f, a)(x) = (n 1)! (x t) n 1 f (n) (t) dt a ( ) 1 x = n! (x t)n f (n) (t) + 1 n! = 1 n! x a a x a (x t) n f (n+1) (t) dt (x t) n f (n+1) (t) dt + 1 n! (x a)n f (n) (a). Korollar 34. Für f C n+1 (X) gilt f (n+1) = 0 f {g X : g Π n }. Beweis. : folgt mit Satz 33. : klar. Satz 35 (Lagrange-Restglied). Für f C n+1 (X) gilt x X ξ I(a, x) : R n (f, a)(x) = f (n+1) (ξ) (x a)n+1. (n + 1)! Beweis. Beachte, daß entweder (x t) n 0 für alle t I(a, x) oder (x t) n 0 für alle t I(a, x). Die Sätze V.1.22 (Mittelwertsatz der Integralrechung) und 33 zeigen die Existenz von ξ I(a, x) mit R n (f, a)(x) = f (n+1) (ξ) 1 n! x a (x t) n dt = f (n+1) (ξ) (x a)n+1. (n + 1)!

218 IX.4. Funktionenfolgen 214 Beispiel 36. In der Situation von Beispiel 32 gilt f (3) (x) = 3/8 (1 + x) 5/2. Für x > 0 folgt 0 < f(x) T 2 (f, 0)(x) 1/16 x 3, und für 1 < x < 0 folgt 1/16 x 3 (1 + x) 5/2 f(x) T 2(f, 0)(x) < 0. Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.7. Korollar 37. (i) Für f C n (X) gilt R n (f, a)(x) lim = 0. x a (x a) n (ii) Für f C n+1 (X) gilt R n (f, a)(x) lim x a (x a) = f (n+1) (a) n+1 (n + 1)!. Beweis. ad (i): Klar für n = 0. Im Fall n 1 sichert Satz 35 die Existenz von ξ I(a, x) mit R n (f, a)(x) = R n 1 (f, a)(x) f (n) (a)/n! (x a) n = ( f (n) (ξ) f (n) (a) ) (x a) n /n!. ad (ii): klar. Bemerkung 38. Seien f C n+1 (X) und c = f (n+1) (a). (n + 1)! Korollar 37.(ii) zeigt: Für alle ε > 0 existiert δ > 0, so daß für alle x X mit x a < δ (c ε) x a n+1 f(x) T n (f, a)(x) (c + ε) x a n+1. Vgl. Bemerkung IV.1.10 im Fall n = 1. Definition 39. Sei f C (X). Dann heißt T (f, a)(x) = k=0 f (k) (a) k! (x a) k die Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt a. Bemerkung 40. (i) Für k=0 c k(x a) k mit einer Folge (c k ) k N0 in R gelte r(c, a) > 0. Dann ist diese Potenzreihe die Taylor-Reihe ihrer Summenfunktion. Beweis: Satz 25.

219 IX.4. Funktionenfolgen 215 (ii) Sei f C (X) mit einer Taylor-Reihe T (f, a) mit Konvergenzradius r > 0. Für die Summenfunktion f : B r (a) R von T (f, a) und x B r (a) gilt f(x) = f(x) lim n R n (f, a)(x) = 0. Beispiel 41. (i) Sei f : R R definiert durch f(x) = { exp( 1/x 2 ), falls x 0, 0, falls x = 0. Per Induktion zeigt man für alle n N 0, daß f R\{0} n-mal differenzierbar ist und eine Polynomfunktion p n mit x R \ {0} : f (n) (x) = p n (1/x) f(x) existiert. Für x 0, y = 1/x und n N folgt f (n) (x) x = y p n (y) exp( y 2 ). Da lim y ± (y p n (y) exp( y 2 )) = 0, folgt induktiv, daß f (n) (0) = 0 für alle n N. Siehe auch Übung 9.3 (GdM I). Fazit: T (f, 0) = 0. Diese Taylor-Reihe besitzt den Konvergenzradius, aber es gilt T (f, 0)(x) f(x) für alle x R \ {0}. (ii) Durch f(x) = exp( k) cos(k 2 x) k=0 wird eine beliebig oft differenzierbare Funktionen f : R R definiert. Die Taylor-Reihe von f besitzt den Konvergenzradius null, siehe [GO, Exmp. 6.24]. Literatur. [Fo1, 21, 22] und [AE, II.9, V.1, V.2].

220 Kapitel X Differenzierbare Abbildungen in mehreren Variablen In der mehrdimensionalen Differentialrechnung studieren wir Funktionen f : D R m mit D R n. Die Grundidee ist, wie im Fall n = m = 1, die lokale Approximation solcher Funktionen durch (affin)-lineare Funktionen. Wir verweisen insbesondere auf [Fo2] sowie auf [H2, K]. 1 Differenzierbarkeit Im Folgenden betrachten wir die Räume R n und R m für n, m N, versehen mit beliebigen Normen, die mitsamt den zugehörigen Abbildungsnormen auf R m n unterschiedslos mit bezeichnet werden; wir erinnern an Bemerkung IX.3.18 (Äquivalenz von Normen). Ferner seien D R n offen und f : D R m. Für λ R \ {0} und x R m schreiben wir oft x/λ statt 1/λ x. Grenzwerte von Abbildungen Definition 1. Für x D besitzt g : D \ {x} R m einen Grenzwert 1 in x, falls a R m existiert, so daß die Fortsetzung g : D R m von g mit { g(y), y D \ {x}, g(y) = a, y = x, stetig in x ist. Beispiel 2. Die Abbildung h : R 2 \ {0} R : (x, y) 2xy/(x 2 + y 2 ) aus Beispiel IX.2.30 besitzt keinen Grenzwert in 0. 1 Im Fall n = m = 1 wegen der stärkeren Annahme an D ein Spezialfall der bisherigen Definition III

221 X.1. Differenzierbarkeit 217 Bemerkung 3. Seien x D und g, h : D \ {x} R m sowie λ : D \ {x} R. (i) In der Situation von Definition 1 ist a ggf. eindeutig bestimmt. Notation ggf.: a = lim y x g(y). Vgl. Bemerkung III (ii) Bemerkung IX.2.3 zeigt lim g(y) = a lim g(y) a = 0. y x y x (iii) Aus lim y x g(y) = a und lim y x h(y) = b folgt lim y x (g + h)(y) = a + b, und aus lim y x g(y) = a und lim y x λ(y) = c folgt lim y x (λg)(y) = ca. Beweis: Verwende Beispiel IX.2.22.(ii) und (iii) (Stetigkeit der Addition und der skalaren Multiplikation). (iv) g besitzt genau dann einen Grenzwert in x, wenn alle Komponentenfunktionen g 1,..., g m : D \ {x} R von g in x einen Grenzwert besitzen. Ggf. gilt lim y x g 1 (y) lim g(y) =.. y x lim y x g m (y) Beweis: Verwende Satz IX.2.12 (Konvergenz in Produkträumen). (v) f ist genau dann stetig in x, wenn f D\{x} in x den Grenzwert f(x) besitzt. Totale Differenzierbarkeit Definition 4. (i) f heißt (total) differenzierbar 2 in x D, falls A R m n existiert mit f(y) f(x) A(y x) lim y x y x = 0. (1) (ii) f heißt (total) differenzierbar, falls f in jedem Punkt x D differenzierbar ist. Beispiel 5. (i) Jede konstante Abbildung f : R n R m ist differenzierbar. Beweis: Wähle A = 0 in (1). (ii) Jede lineare Abbildung f : R n R m ist differenzierbar. Beweis: Wähle A = M Ẽ E (f) mit den Standardbasen E und Ẽ von Rn bzw. R m in (1). 2 Im Fall m = n = 1 wegen der stärkeren Annahme an D ein Spezialfall der bisherigen Definition IV.1.2, siehe Satz IV.1.8.

222 X.1. Differenzierbarkeit 218 (iii) Für C R n n sei f : R n R definiert durch f(x) = x, Cx. Für x R n, A = x (C + C ) R 1 n und ξ R n gilt f(x + ξ) f(x) = (C + C )x, ξ + ξ, Cξ = Aξ + ξ, Cξ. Satz VIII.1.6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) und Lemma IX.3.16 sichern die Existenz von c > 0 mit ξ, Cξ ξ 2 Cξ 2 c ξ 2 2 für alle ξ R n. Somit ist f differenzierbar. Lemma 6. Sei f differenzierbar in x D. Dann ist A in (1) eindeutig bestimmt. Beweis. Aus f(y) f(x) A i (y x) lim y x y x für i = 1, 2 folgt für A = A 2 A 1, daß lim ξ 0 Aξ/ ξ = 0. Für alle ξ R n \ {0} ergibt sich Aξ ξ = lim A(εξ) = 0, ε 0 εξ d.h. A = 0. Definition 7. Sei f differenzierbar in x D. Dann heißt A R m n mit (1) die (totale) Ableitung von f in x. Notation: 3 (Df)(x). = 0 Satz 8. Sei f differenzierbar in x D. Dann ist f stetig in x. Beweis. Setze Da r(y) = f(y) f(x) (Df)(x) (y x), y D. f(y) = f(x) + (Df)(x) (y x) + y x r(y) y x für y D \ {x}, folgt lim y x f(y) = f(x) mit Korollar IX.3.21 (Stetigkeit linearer Abbildungen) und Beispiel IX.2.22.(i) (Stetigkeit der Norm). Satz 9. Für x D ist f genau dann differenzierbar in x, wenn alle Komponentenfunktionen f 1,..., f m : D R von f in x differenzierbar sind. Ggf. gilt (Df 1 )(x) (Df)(x) =.. (Df m )(x) 3 Weiterhin übliche Bezeichnungen: f (x), Funktionalmatrix oder Jacobi-Matrix J f (x).

223 X.1. Differenzierbarkeit 219 Beweis. Für A = (a 1,..., a m ) R m n und y D gilt f 1 (y) f 1 (x) a 1 (y x) f(y) f(x) A(y x) =.. f m (y) f m (x) a m(y x) Verwende Bemerkung 3.(iv). Bemerkung 10. Ist f : D R m differenzierbar, so definiert x (Df)(x) eine Abbildung Df : D R m n, die als Ableitung von f bezeichnet wird. Statt des Wertebereichs R m n kann in gleicher Weise der Raum der linearen Abbildungen von R n nach R m zugrunde gelegt werden. Normen auf dem endlich-dimensionalen Vektrorraum R m n sind beispielsweise gegeben durch A = max{ a i,j : 1 i m, 1 j n} oder A = sup{ Ax : x R n, x 1} für A = (a i,j ) i,j R m n, siehe Satz IX Definition 11. Sei R m n versehen mit einer Norm. Dann heißt f stetig differenzierbar, falls f differenzierbar und Df stetig ist. Beispiel 12. In der Situation von Beispiel 5.(iii) gilt (Df)(x) = x (C + C ) für alle x R n. Also ist Df : R n R 1 n linear und damit stetig. Differenzierbarkeit im Fall n = 1 Lemma 13. Seien n = 1 und t D. Definiere m : D \ {t} R m durch m(s) = f(s) f(t). s t Dann ist f genau dann in t differenzierbar, wenn m in t einen Grenzwert besitzt. Ggf. gilt (Df)(t) = lim s t m(s). Beweis. Für s D \ {t} und A R m gilt f(s) f(t) A(s t) s t = m(s) A. Beispiel 14. Für r > 0 sei f(t) = (r cos(t), r sin(t)), t R. Satz 9 zeigt die Differenzierbarkeit von f in t mit (Df)(t) = ( r sin(t), r cos(t)), so daß Df : R R 2 stetig ist. Für alle t R gilt: (Df)(t) und f(t) sind orthogonal, und (Df)(t) 2 = r.

224 X.1. Differenzierbarkeit 220 Bemerkung 15. Für Intervalle D beschreiben stetige Abbildungen f : D R m Kurven in R m. Ist f differenzierbar in t D, heißt die durch ξ f(t)+(ξ t) (Df)(t) definierte Abbildung von R nach R m die Tangente an f zum Parameterwert t, und (Df)(t) heißt der Tangentialvektor von f zum Parameterwert t. Richtungsableitungen Bemerkung 16. Für x D existiert r > 0 mit B r (x) D. Für ν R n \ {0} ist g : ] r/ ν, r/ ν [ R m, gegeben durch g(s) = f(x + sν), wohldefiniert. Kurz: falls s hinreichend klein, ist g(s) wohldefiniert. Gemäß Lemma 13 ist g genau dann in 0 differenzierbar, wenn s (f(x + sν) f(x))/s in 0 einen Grenzwert besitzt, und ggf. gilt f(x + sν) f(x) (Dg)(0) = lim. s 0 s Definition 17. Ist g gemäß Bemerkung 16 differenzierbar in 0, heißt (Dg)(0) R m die 4 Richtungsableitung von f in x in Richtung ν. Notation: ( ν f)(x) = (Dg)(0). Bemerkung 18. Richtungsableitungen sind Ableitungen. Satz 19. Sei f differenzierbar in x D. Dann existiert für jedes ν R n \ {0} die Ableitung von f in x in Richtung ν, und es gilt ( ν f)(x) = (Df)(x) ν. Beweis. Für s 0 mit hinreichend kleinem Betrag gilt f(x + sν) f(x) s = f(x + sν) f(x) (Df)(x) (sν) sν s ν s + (Df)(x) ν. Da s ν /s = ν, folgt die Behauptung. Beispiel 20. In der Situation von Beispiel 5.(iii) sei C R n n symmetrisch. Dann gilt (Df)(x) = 2(Cx) R 1 n für alle x R n. Für ν R n mit ν 2 = 1 folgt ( ν f)(x) = 2 Cx, ν und weiter ( ν f)(x) 2 Cx 2. Falls Cx 0, gilt für ν = Cx/ Cx 2 2 Cx 2 = ( ν f)(x) ( ν f)(x) ( ν f)(x) = 2 Cx 2. 4 Bei [Fo2, S. 72] nur im Fall m = 1 eingeführt.

225 X.1. Differenzierbarkeit 221 Bemerkung 21. Seien ν R n \ {0}, ν = ν/ ν und x D. Aus der Existenz der Richtungsableitung ( ν f)(x) folgt die Existenz der Richtungsableitung ( ν f)(x) und ( ν f)(x) = 1/ ν ( ν f)(x). Beweis: Übung. Es genügt deshalb, Richtungsableitungen mit ν = 1 zu betrachten. Beispiel 22. Definiere f : R 2 R durch 5 f(x, y) = { xy 2, x 2 +y 4 falls (x, y) 0, 0, sonst. Wir zeigen, daß in 0 alle Richtungsableitungen von f existieren. Für ν = (ν 1, ν 2 ) R 2 \ {0} und s 0 gilt Im Fall ν 1 0 ergibt sich f(sν) s während ( ν f)(0) = 0 im Fall ν 1 = 0. = ν 1 ν2 2. ν1 2 + s 2 ν2 4 ( ν f)(0) = ν 2 2/ν 1, Wir zeigen, daß f in 0 nicht stetig und damit nicht differenzierbar ist. Annahme: f ist stetig in 0. Da g : ]0, [ 2 R 2, definiert durch g(x, y) = (x, y), stetig ist, folgt die Stetigkeit von f g. Für (x, y) ]0, [ 2 gilt (f g)(x, y) = xy x 2 + y 2, und Beispiel IX.2.30 zeigt, daß f g in 0 unstetig ist. Widerspruch. Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.8. Partielle Ableitungen Im Folgenden sei E = (e 1,..., e n ) die Standardbasis von R n, und f 1,..., f m : D R seien die Komponentenfunktionen von f. Definition 23. (i) Sei j {1,..., n}. Falls f in x D in Richtung e j differenzierbar ist, heißt ( ej f)(x) R m die 6 j-te partielle Ableitung von f in x. Notation: 7 ( j f)(x). (ii) Falls f in x D in die Richtungen e 1,..., e n differenzierbar ist, heißt f in x partiell differenzierbar. (iii) f heißt partiell differenzierbar, falls f in jedem Punkt x D partiell differenzierbar ist. 5 Solange dies unkritisch ist, werden wir gelegentlich nicht zwischen Zeilen- und Spaltenvektoren unterscheiden. 6 Bei [Fo2, S. 75] nur im Fall m = 1 eingeführt. 7 Weiterhin übliche Bezeichnungen: x j f(x) oder f x j (x).

226 X.1. Differenzierbarkeit 222 Bemerkung 24. Partielle Ableitungen sind Ableitungen. Bemerkung 25. f ist genau dann in x D partiell differenzierbar, wenn alle Komponentenfunktionen von f in x partiell differenzierbar sind. Ggf. gilt ( j f 1 )(x) ( j f)(x) =., j = 1,..., n. ( j f m )(x) Siehe Satz 9. Bemerkung 26. Gelte m = 1, und seien x D und j {1,..., n}. Für δ > 0 hinreichend klein sei g j : ]x j δ, x j + δ[ R definiert durch Dann sind äquivalent: g j (ξ) = f(x + (ξ x j ) e j ) = f(x 1,..., x j 1, ξ, x j+1,..., x n ). (i) f ist in x partiell differenzierbar, (ii) für alle j {1,..., n} ist g j in x j differenzierbar. Ggf. gilt ( j f)(x) = g j(x f(x 1,..., x j 1, ξ, x j+1,..., x n ) f(x 1,..., x n ) j ) = lim. ξ xj ξ x j Beweis: Verwende Bemerkung 16. Zur Untersuchung der partiellen Differenzierbarkeit und ggf. zur Berechnung der partiellen Ableitungen stehen aufgrund der Bemerkungen 25 und 26 die Ergebnisse aus Kapitel IV zur Verfügung. Beispiel 27. (i) Sei f : R 2 R 2 definiert durch f(x, y) = Dann ist f partiell differenzierbar mit ( ) exp(x 2 + y 2 ). sin(x) cos(y) ( 1 f 1 )(x, y) = 2x exp(x 2 + y 2 ), ( 2 f 1 )(x, y) = 2y exp(x 2 + y 2 ), ( 1 f 2 )(x, y) = cos(x) cos(y), ( 2 f 2 )(x, y) = sin(x) sin(y). (ii) Betrachte f : R n R gemäß Beispiel 5.(iii), wobei C = (c k,l ) k,l R n n symmetrisch ist. Beispiel 20 zeigt n ( j f)(x) = 2 x, Ce j = 2 c j,l x l. l=1

227 X.1. Differenzierbarkeit 223 Satz 28. Sei f in x D differenzierbar. Dann ist f in x partiell differenzierbar, und es gilt ( 1 f 1 )(x)... ( n f 1 )(x) (Df)(x) = ( 1 f m )(x)... ( n f m )(x) Beweis. Die Sätze 9 und 19 sichern die Existenz der partiellen Ableitungen ( j f i )(x) für i {1,..., m} und j {1,..., n} sowie ( j f 1 )(x) (Df)(x) e j = ( j f)(x) =.. ( j f m )(x) Beispiel 29. Sei f : R 2 R die Fortsetzung der Abbildung h : R 2 \ {0} R aus Beispiel IX.2.30 mit f(0) = 0. Für ν R 2 mit ν 2 = 1 gilt f(sν) s so daß f in 0 partiell differenzierbar mit = 2ν 1ν 2, s ( 1 f)(0) = ( 2 f)(0) = 0 ist, aber für kein ν R 2 \ {±e 1, ±e 2 } mit ν 2 = 1 eine Richtungsableitung in 0 besitzt. Insbesondere ist f in 0 nicht differenzierbar. Definition 30. (i) f heißt in x D stetig partiell differenzierbar, falls f partiell differenzierbar ist und die partiellen Ableitungen j f : D R m für alle j {1,..., n} stetig in x sind. (ii) f heißt stetig partiell differenzierbar, falls f in jedem Punkt x D stetig partiell differenzierbar ist. Beispiel 31. Die Funktionen aus Beispiel 27 sind stetig partiell differenzierbar. Satz 32. Ist f stetig partiell differenzierbar in x D, so ist f differenzierbar in x. Beweis. Es genügt den Fall m = 1 zu betrachten, siehe Satz 9. Sei R n versehen mit der euklidischen Norm. Wähle r > 0 mit B r (x) D. Für y B r (x) sei y (k) = x + k (y l x l ) e l, k = 1,..., n, l=1

228 X.1. Differenzierbarkeit 224 sowie y (0) = x. Dann gilt y (k) B r (x) für k = 0,..., n und f(y) f(x) = n f ( y (k)) f ( y (k 1)). k=1 Für alle k = 1,..., n existiert gemäß Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung) ein λ k (y) ]0, 1[ mit f ( y (k)) f ( y (k 1)) = ( k f) ( y (k 1) + λ k (y)(y k x k ) e k ) (yk x k ). Setze A = (( 1 f)(x),..., ( n f)(x)) und B(y) = ( ( 1 f)(y (0) + λ 1 (y)(y 1 x 1 ) e 1 ),..., ( n f)(y (n 1) + λ n (y)(y n x n ) e n ) ). Dann f(y) f(x) A (y x) = (B(y) A)(y x) = (B(y) A), y x, und somit f(y) f(x) A(y x) 2 y x 2 (B(y) A) 2 für y B r (x) \ {x}. Schließlich gilt lim y x (y (k) x) = 0, woraus lim y x B(y) = A wegen der stetigen partiellen Differenzierbarkeit von f in x folgt. Bemerkung 33. Satz 32 gilt analog, wenn man die Existenz und Stetigkeit der partiellen Ableitungen von f nur auf einer Kugel B r (x) D mit r > 0 fordert. Korollar 34. f ist genau dann stetig differenzierbar, wenn f stetig partiell differenzierbar ist. Beweis. : Verwende die Sätze 28 und IX.2.28 (Stetigkeit und Komponentenabbildungen). : Vewende die Sätze 28, 32 und IX Bemerkung 35. Aus der Differenzierbarkeit folgt nicht die stetige partielle Differenzierbarkeit. Siehe Übung 9.3. Rechenregeln Satz 36. Seien f, g : D R m differenzierbar in x D, und sei λ R. Dann sind f + g und λ f differenzierbar in x, und es gilt Beweis. Klar. (D(f + g)) (x) = (Df)(x) + (Dg)(x), (D(λf)) (x) = λ (Df)(x).

229 X.1. Differenzierbarkeit 225 Satz 37 (Produkt- und Quotientenregel). Seien f, g : D R differenzierbar in x D. Dann ist f g differenzierbar in x, und es gilt (D(f g)) (x) = f(x) (Dg)(x) + g(x) (Df)(x). Gilt ferner g(x) 0 und bezeichnet D 0 das Innere von {x D : g(x) 0}, so ist f/g : D 0 R differenzierbar in x, und es gilt (D(f/g)) (x) = g(x) (Df)(x) f(x) (Dg)(x). g 2 (x) Beweis. Setze l 1 (y) = (Df)(x)(y x), l 2 (y) = (Dg)(x)(y x), r 1 (y) = f(y) f(x) l 1 (y), r 2 (y) = g(y) g(x) l 2 (y) für y D. Dann gilt mit f(y) g(y) f(x) g(x) = ( f(x) + l 1 (y) + r 1 (y) ) (g(x) + l 2 (y) + r 2 (y) ) f(x) g(x) = f(x) l 2 (y) + g(x) l 1 (y) + r(y) = ( f(x) (Dg)(x) + g(x) (Df)(x) ) (y x) + r(y) r(y) = f(x) r 2 (y) + l 1 (y) (l 2 (y) + r 2 (y) ) + r 1 (y) (g(x) + l 2 (y) + r 2 (y) ). Für i = 1, 2 gilt sowie lim y x r i (y) y x = lim y x l i(y) = 0 l 1 (y) l 2 (y) lim y x y x = 0 aufgrund von Satz VIII.1.6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung). Beweis der Quotientenregel Übung. Satz 38 (Kettenregel). Seien E R k offen und g : E R n, so daß g(e) D. Ferner seien g differenzierbar in x E und f differenzierbar in g(x). Dann ist f g differenzierbar in x, und (D(f g)) (x) = (Df) (g(x)) (Dg)(x). Beweis. Setze A = (Dg)(x) und à = (Df) (g(x)) sowie r(y) = g(y) g(x) A (y x), r(z) = f(z) f (g(x)) à (z g(x))

230 X.1. Differenzierbarkeit 226 für y E und z D. Dann (f g)(y) (f g)(x) à A (y x) = à (g(y) g(x)) + r (g(y)) à A (y x) = à r(y) + r (g(y)). Gemäß Satz IX.3.23 (Abbildungsnorm) gilt für alle y E à r(y) à r(y). Aufgrund der Differenzierbarkeit von g in x folgt à r(y) lim y x y x = 0. Sei ε > 0. Aufgrund der Differenzierbarkeit von f in g(x) existiert δ > 0, so daß für alle y E mit g(y) g(x) < δ r (g(y)) ε g(y) g(x) ε ( r(y) + A (y x) ) ε ( r(y) + A y x ). Es folgt für y E \ {x} mit g(y) g(x) < δ r (g(y)) y x ε r(y) y x + ε A. Da folgt ( ) r(y) lim ε y x y x + ε A = ε A, r (g(y)) lim y x y x = 0. Beispiel 39. Betrachte g : R R 2 und f : R 2 R, gegeben durch g(t) = (cos(t), sin(t)) und f(x) = x, Cx, wobei C R 2 2 positiv definit ist. Setze h = f g. Die Beispiele 14 und 20 und Satz 38 zeigen die Differenzierbarkeit von h und h (t) = 2 ( C g(t) ) (Dg)(t) = 2 C g(t), (Dg)(t). Da {(Dg)(t)} = span{g(t)},

231 X.1. Differenzierbarkeit 227 gilt h (t) = 0 genau dann, wenn g(t) ein Eigenvektor von C ist. Gemäß Korollar VIII.3.7 (Diagonalisierung symmetrischer Matrizen) und Satz VIII.3.10 (Charakterisierung positiv definiter Abbildungen) existieren eine Orthonomalbasis (u 1, u 2 ) von R 2 und λ 1 λ 2 > 0 mit Cu i = λ i u i für i = 1, 2. Im nicht-trivialen Fall λ 1 > λ 2 ist M = {t R : g(t) = ±u 1 } die Menge der globalen Maxima von h und die Menge der globalen Minima von h. Gradienten M = {t R : g(t) = ±u 2 } Definition 40. Ist f : D R differenzierbar in x D, heißt 8 der Gradient von f an der Stelle x. (grad f)(x) = ((Df)(x)) R n Satz 41. Sei f : D R differenzierbar in x D. (i) Falls (grad f)(x) = 0, gilt ( ν f)(x) = 0 für alle ν R n \ {0}. (ii) Gelte (grad f)(x) 0, und sei Dann gilt ν = für alle ν R n \ {ν } mit ν 2 = 1. (grad f)(x). (grad f)(x) 2 ( ν f) (x) < ( ν f) (x) = (grad f)(x) 2 Beweis. Satz 19 zeigt ( ν f)(x) = (grad f)(x), ν für alle ν R n \ {0}, und hiermit folgt (i). Verwende Satz VIII.1.6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) um (ii) zu erhalten. Beispiel 42. Betrachte f gemäß Beispiel 22. Sei (x, y) R 2 \ {0}. Dann (grad f)(x, y) = y (x2 y 4 ) (x 2 + y 4 ) 2 ( y, 2x). Also gilt (grad f)(x, y) = 0 genau dann, wenn y = 0 oder y = x. Bemerkung 43. In der Situation von Satz 38 sei m = k = 1, und f und g seien differenzierbar. Dann ergibt sich n (f g) (t) = (grad f)(g(t)), (Dg)(t) = ( j f) (g(t)) g j(t) für alle t D. Ist f g konstant, folgt j=1 t D : (grad f)(g(t)) (Dg)(t). Literatur. [Fo2, 4 6], [H2, ] und [K, 1.3.III]. 8 Bei [Fo2, S. 56] als Zeilenvektor eingeführt.

232 X.2. Mittelwertsätze Mittelwertsätze Gebiete in R n Im Folgenden sei D R n. Definition 1. (i) Für x, y R n heißt 9 I(x, y) = {x + λ(y x) : λ [0, 1]} die Verbindungsstrecke von x und y. (ii) D heißt konvex, falls x, y D : I(x, y) D. (iii) Für k N und x 0,..., x k R n heißt P (x 0,..., x k ) = der Polygonzug durch x 0,..., x k. k I(x l 1, x l ) (iv) D heißt Gebiet, falls D offen ist und falls für alle x, y D ein Polygonzug P (x,..., y) D existiert. Beispiel 2. (i) Die konvexen Mengen in R sind genau die Intervalle. Die Gebiete in R sind genau die offenen Intervalle. (ii) Abgeschlossene und offene Kugeln in R n sind konvex. Bemerkung 3. Existiert für alle x, y D ein Polygonzug P (x,..., y) D und ist f : D R stetig, so zeigt Korollar III.4.2 (zum Zwischenwertsatz): f(d) ist ein Intervall. Ausblick 4. Zusammenhängende Mengen, siehe [H2, 160, 161]. l=1 Mittelwertsatz im Fall m = 1 Im Folgenden seien D R n offen und f : D R differenzierbar. Satz 5. Für x, y D mit I(x, y) D gilt λ ]0, 1[ : f(y) f(x) = (Df)(x + λ(y x)) (y x). 9 Konsistent mit der Notation auf Seite 212.

233 X.2. Mittelwertsätze 229 Beweis. Betrachte g(λ) = f(x+λ (y x)) und verwende die Sätze 1.38 (Kettenregel) und IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung, eindimensional). Korollar 6. Ist D ein Gebiet und gilt Df = 0, so ist f konstant. Beweis. Dies folgt unmittelbar aus Satz 5. Satz 7. Sei f stetig differenzierbar. Ferner seien I R ein offenes Intervall und g : I R n stetig differenzierbar, so daß g(i) D. Für a, b I mit a < b sowie x = g(a) und y = g(b) gilt f(y) f(x) = b a (Df)(g(t)) (Dg)(t) dt. Beweis. Verwende die Sätze 1.38 (Kettenregel) und V.2.5 (1. Hauptsatz): Für h = f g und t I ist h stetig mit h (t) = (Df)(g(t)) (Dg)(t). Ausblick 8. Kurvenintegrale zweiter Art, siehe [H2, 180]. Mittelwertsatz im allgemeinen Fall Im Folgenden seien D R n offen und f : D R m stetig differenzierbar. Beispiel 9. Betrachte f : R R 2 : t (r cos(t), r sin(t)) gemäß Beispiel Für alle ξ R gilt f(2π) f(0) = 0 (Df)(ξ) 2π. Vgl. Satz 5. Korollar 10. Für x, y D mit I(x, y) D und i {1,..., m} gilt f i (y) f i (x) = 1 Beweis. Verwende Satz 7 mit g(λ) = x + λ(y x). Bemerkung 11. Durch 0 A F = (Df i )(x + λ(y x)) (y x) dλ. ( m i=1 n j=1 a 2 i,j ) 1/2 für A = (a i,j ) i,j R m n wird eine Norm auf R m n definiert. Für alle x R n gilt Ax 2 A F x 2, siehe Übung 8.4. Es folgt A A F für die durch die euklidischen Normen auf R n und R m induzierte Abbildungsnorm. Definition 12. F heißt Frobenius-Norm auf R m n. Satz 13. Für x, y D mit I(x, y) D gilt f(y) f(x) 2 sup (Df)(z) F y x 2. z I(x,y)

234 X.3. Taylor-Approximation 230 Beweis. Beachte, daß z (Df)(z) F eine beschränkte Funktion auf I(x, y) definiert und daß (Df i )(z) F (Df)(z) F für z I(x, y) und i {1,..., m}. Bemerkung 11 zeigt und mit Korollar 10 folgt (Df i )(z) (y x) (Df i )(z) F y x 2, f i (y) f i (x) 1 0 (Df i )(x + λ(y x)) (y x) dλ 1 y x 2 (Df i )(x + λ(y x)) F dλ. 0 Mit Satz VIII.1.6 (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) und Beispiel VIII.1.4 ergibt sich m ( 1 ) 2 f(y) f(x) 2 2 y x 2 2 (Df i )(x + λ(y x)) F dλ y x 2 2 = y x 2 2 y x 2 2 i=1 0 1 m i= sup z I(x,y) (Df i )(x + λ(y x)) 2 F dλ (Df)(x + λ(y x)) 2 F dλ (Df)(z) 2 F. Korollar 14. Seien D 0 D konvex und (Df) D0 beschränkt. Dann gilt x, y D 0 : f(y) f(x) 2 sup z D 0 (Df)(z) F y x 2. Beweis. Für x, y D 0 gilt I(x, y) D 0. Verwende Satz 13. Bemerkung 15. Korollar 6 gilt analog im vorliegenden Fall. Literatur. [Fo2, 6], [H2, 167] und [K, 2.2 und 3.2]. 3 Taylor-Approximation Im Folgenden seien D R n offen und f : D R. Partielle Ableitungen höherer Ordnung Definition 1. (i) f heißt einmal (stetig) partiell differenzierbar, falls f (stetig) partiell differenzierbar ist. Die Funktionen j f : D R mit j {1,..., n} heißen die partiellen Ableitungen der Ordnung eins von f.

235 X.3. Taylor-Approximation 231 (ii) Für k N heißt f (k + 1)-mal (stetig) partiell differenzierbar, falls f k-mal partiell differenzierbar ist und alle partiellen Ableitungen der Ordnung k von f (stetig) partiell differenzierbar sind. Die Funktionen j g : D R mit j {1,..., n} und einer partiellen Ableitung g der Ordnung k von f heißen die partiellen Ableitungen der Ordnung k + 1 von f. (iii) f heißt beliebig oft partiell differenzierbar, falls f für jedes k N k-mal stetig differenzierbar ist. Notation: Für k N ist C k (D) die Menge der k-mal stetig partiell differenzierbaren Funktionen von D nach R. Ferner ist C 0 (D) = C(D) und C (D) = k=1 Ck (D). Bemerkung 2. C k (D) ist ein Vektorraum, und aus f, g C k (D) folgt f g C k (D). Ausblick 3. Die Wärmeleitungsgleichung, siehe [H2, 219]. Lemma 4. Für r > 0 sei Q = ] r, r[ 2. Die Funktion ϕ : Q R besitze die partiellen Ableitungen 1 ϕ und 2 ( 1 ϕ) auf Q. Ferner sei ψ(u, v) = ϕ(u, v) ϕ(0, v) ϕ(u, 0) + ϕ(0, 0), (u, v) Q. Für alle (u, v) Q mit u, v 0 existiert mit (ξ, η) ]min(u, 0), max(u, 0)[ ]min(v, 0), max(v, 0)[ ψ(u, v) u v = ( 2 ( 1 ϕ))(ξ, η). Beweis. Setze g(ξ) = ϕ(ξ, v) ϕ(ξ, 0) für ξ [min(u, 0), max(u, 0)]. Dann gilt und g (ξ) = ( 1 ϕ)(ξ, v) ( 1 ϕ)(ξ, 0) ψ(u, v) = g(u) g(0). Gemäß Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung, eindimensional) existiert ξ ]min(u, 0), max(u, 0)[ mit und η ]min(v, 0), max(v, 0)[ mit g(u) g(0) = g (ξ) u g (ξ) = ( 2 ( 1 ϕ))(ξ, η) v. Satz 5 (Satz von Schwarz). Für i, j {1,..., n} mit i j besitze 10 f die partiellen Ableitungen i f, j f und j ( i f) auf D. Ferner sei j ( i f) stetig in x D. Dann existiert die partielle Ableitung i ( j f) in x, und es gilt ( i ( j f))(x) = ( j ( i f))(x). 10 Bei [Fo2, S. 59] unter stärkeren Voraussetzungen präsentiert.

236 X.3. Taylor-Approximation 232 Beweis. Sei E = (e 1,..., e n ) die Standardbasis von R n, und sei R n mit der Supremumsnorm versehen. Wähle r > 0 mit B r (x) D. Sei ε > 0. Wir zeigen die Existenz von δ ]0, r], so daß ( j f)(x + ue i ) ( j f)(x) ( j ( i f))(x) u ε (1) für alle u R mit 0 < u < δ. Definiere dazu ϕ : ] r, r[ 2 R durch Dann gilt gemäß Satz 1.38 (Kettenregel) ϕ(u, v) = f(x + ue i + ve j ). ( 1 ϕ)(u, v) = ( i f)(x + ue i + ve j ), ( 2 ϕ)(u, v) = ( j f)(x + ue i + ve j ), ( 2 ( 1 ϕ))(u, v) = ( j ( i f))(x + ue i + ve j ), so daß (1) äquivalent zu 11 ( 2 ϕ)(u, 0) ( 2 ϕ)(0, 0) a u ε mit a = ( 2 ( 1 ϕ))(0, 0) ist. Wähle δ ]0, r] mit ( 2 ( 1 ϕ))(ξ, η) a < ε für alle (ξ, η) ] δ, δ[ 2, was aufgrund der Stetigkeit von j ( i f) in x möglich ist. Sei (u, v) ] δ, δ[ 2 mit u, v 0. Einerseits folgt mit Lemma 4 ψ(u, v) u v a < ε. Andererseits gilt ψ(u, v) u v = 1 ( ϕ(u, v) ϕ(u, 0) u v ) ϕ(0, v) ϕ(0, 0), v so daß ( 2 ϕ)(u, 0) ( 2 ϕ)(0, 0) u = lim v 0 ψ(u, v) u v [a ε, a + ε]. Bemerkung 6. Aus der Existenz der partiellen Ableitungen j ( i f) und i ( j f) in x D für i, j {1,..., n} mit i j folgt nicht ihre Gleichheit. Siehe [H2, S. 253]. Korollar 7. Für f C k (D) mit k 2, σ S k und i 1,..., i k {1,..., n} gilt iσ(k) (... ( iσ(1) f) ) = ik (... ( i1 f) ). 11 Eine kurze Version des Beweises startet erst hier mit: obda n = 2, x = 0, i = 1 und j = 2.

237 X.3. Taylor-Approximation 233 Beweis. Verwende Satz 5 und die Tatsache, daß jede Permutation die Komposition von Vertauschungen benachbarter Elemente ist, siehe Tutorium 1.2 und vgl. Lemma VII.1.2. Schließe induktiv. Notation: (i) Für k N und i {1,..., n} k ist A(i) = (α 1,..., α n ) N n 0 definiert durch (ii) Für α N n 0 ist α j = {l {1,..., k} : i l = j}. α = n α j. j=1 Sprechweise: α heißt die Ordnung des Multiindex α. (iii) Für f C k (D) mit k N 0 und α N n 0 mit α k definieren wir 12 rekursiv, unter Beachtung von Korollar 7, f (0) = f und f (α+β) = ( i f (α) ), falls α < k und β N n 0 mit β = 1 = β i für i {1,..., n}. Bemerkung 8. Für f C k (D) mit k N, i {1,..., n} k und α = A(i) gilt gemäß Korollar 7 ik (... ( i1 f) ) = f (α). Beispiel 9. Sei D = R 2, und sei f : D R gegeben durch Dann gilt f C (R 2 ), und es ergibt sich f(x 1, x 2 ) = exp(x 1 ) sin(x 2 ). f (2,0) (x 1, x 2 ) = f (1,0) (x 1, x 2 ) = f(x 1, x 2 ), f (1,1) (x 1, x 2 ) = f (0,1) (x 1, x 2 ) = exp(x 1 ) cos(x 2 ), f (0,2) (x 1, x 2 ) = f(x 1, x 2 ). Taylor-Formel Notation: Für α N n 0 und x R n ist α! = n α j!, x α = j=1 Lemma 10. Für α N n 0 mit α = k 1 gilt 12 [Fo2] verwendet die Notation D α f statt f (α). n j=1 x α j j. {i {1,..., n} k : A(i) = α} = k! α!.

238 X.3. Taylor-Approximation 234 Beweis. Induktion nach n. Für n = 1 ist die Aussage evident. Seien n N und α N n+1 0 mit α = k. Falls α n+1 < k, ergibt sich mit Satz II.3.9.(ii) und der Induktionsannahme {i {1,..., n + 1} k : A(i) = α} ( = {i {1,..., n} k α n+1 k : A(i) = (α 1,..., α n )} = (k α ( ) n+1)! k = k! α 1! α n! α!. α n+1 α n+1 Falls α n+1 = k, ist die Aussage evident. Stichwort: Multinomialkoeffizient. Im Folgenden seien a, x D mit I(a, x) D. Für δ > 0 hinreichend klein sei g : ] δ, 1 + δ[ R definiert durch Ferner sei k N 0. g(s) = f(a + s(x a)). Lemma 11. Sei f C k (D). Dann ist g k-mal stetig differenzierbar mit 13 g (k) (s) = α =k k! α! f (α) (a + s(x a)) (x a) α, s ] δ, 1 + δ[. Beweis. Klar für k = 0. Per Induktion nach k 1 ergibt sich mit Satz 1.38 (Kettenregel) die k-malige Differenzierbarkeit von g und g (k) (s) = ( ik... ( i1 f) ) (a + s(x a)) (x i1 a i1 ) (x ik a ik ). i {1,...,n} k Die Stetigkeit von g (k) ist jetzt evident, und Bemerkung 8 zeigt g (k) (s) = f (α) (a + s(x a)) (x a) α α =k A(i)=α = ( f (α) (a + s(x a)) (x a) α {i {1,..., n} k : A(i) = α} ). α =k Wende Lemma 10 an. Bemerkung 12. Sei f C k (D). Dann gilt ) T k (g, 0)(1) = k l=0 g (l) (0) l! = α k f (α) (a) α! (x a) α für das Taylor-Polynom T k (g, 0) der Ordnung k von g mit Entwicklungspunkt Die Kurzschreibweise α =k steht für die Summation über alle α Nn 0 mit α = k.

239 X.3. Taylor-Approximation 235 Für α N n 0 sei u α R (Rn) definiert durch u α (x) = x α. Wir setzen sowie Π 1 = {0}. Π k,n = span({u α : α N n 0, α k}) Definition 13. (i) Die Elemente von span({u α : α N n 0}) heißen multivariate Polynomfunktionen. (ii) Für v Π k,n \ Π k 1,n heißt k der Grad von v. Bemerkung 14. Es gilt Π k,n = span({u α ( a) : α N n 0, α k}). Definition 15. Sei f C k (D). Dann heißt T k (f, a) : R n R, gegeben durch T k (f, a)(ξ) = α k f (α) (a) α! (ξ a) α, ξ R n, das Taylor-Polynom der Ordnung k von f mit Entwicklungspunkt a. Beispiel 16. In der Situation von Beispiel 9 gilt T 0 (f, 0)(ξ) = f(0) = 0, T 1 (f, 0)(ξ) = T 0 (f, 0)(ξ) + f (1,0) (0) ξ 1 + f (0,1) (0) ξ 2 = ξ 2, T 2 (f, 0)(ξ) = T 1 (f, 0)(ξ) + f (2,0) (0) 2 = ξ 2 + ξ 1 ξ 2. Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.9. ξ f (1,1) (0) ξ 1 ξ 2 + f (0,2) (0) 2 ξ 2 2 Setze R k (f, a)(x) = f(x) T k (f, a)(x). Satz 17 (Lagrange-Restglied). Sei f C k+1 (D). Dann existiert λ [0, 1] mit R k (f, a)(x) = α =k+1 f (α) (a + λ(x a)) α! (x a) α. Beweis. Es gilt R k (f, a)(x) = g(1) T k (g, 0)(1). Satz IX.4.35 (Lagrange-Restglied) und Lemma 11 zeigen die Existenz von λ [0, 1] mit R k (f, a)(x) = g(k+1) (λ) (k + 1)! = α =k+1 f (α) (a + λ(x a)) α! (x a) α.

240 X.3. Taylor-Approximation 236 Korollar 18. (i) Sei f C k (D). Dann gilt R k (f, a)(x) lim = 0. x a x a k (ii) Sei f C k+1 (D). Für ε > 0 existiert δ > 0, so daß R k (f, a)(x) f (α) (a) + ε x a k+1 α! für alle x D mit x a < δ. Beweis. Beachte, daß für ξ R n und α = k N 0. α =k+1 ξ α = ξ 1 α1 ξ n αn ξ k ad (i): Betrachte den nicht-trivialen Fall k > 0. Es gilt R k (f, a)(x) = R k 1 (f, a)(x) und Satz 17 zeigt für ein λ [0, 1] Für x D \ {a} folgt R k (f, a)(x) = α =k α =k f (α) (a) α! f (α) (a + λ(x a)) f (α) (a) α! (x a) α, (x a) α. R k (f, a)(x) x a k α =k f (α) (a + λ(x a)) f (α) (a). α! ad (ii): Verwende wiederum Satz 17. Bemerkung 19. Seien f C k (D) und g Π k,n. Falls f(x) g(x) lim = 0, x a x a k folgt g = T k (f, a), siehe Übung In diesem Sinn ist T k (f, a) die optimale lokale Approximation von f um a durch Funktionen aus Π k,n.

241 X.3. Taylor-Approximation 237 Lokale Extrema Im Folgenden seien D R n und f : D R. Definition 20. x D heißt (i) lokales Maximum von f, falls (ii) lokales Minimum von f, falls (iii) globales Maximum von f, falls (iv) globales Minimum von f, falls δ > 0 y D B δ (x) : f(y) f(x), δ > 0 y D B δ (x) : f(y) f(x), y D : f(y) f(x), y D : f(y) f(x). Ferner steht Extremum für Maximum oder Minimum, und lokale Extrema heißen streng (strikt), falls die entsprechende Forderung mit < bzw. > für alle y D mit 0 < x y < δ gilt. Bemerkung 21. Globale Extrema sind lokale Extrema. Satz 22. Sei x D ein lokales Extremum von f. Falls f in x partiell differenzierbar ist, gilt 14 ( j f)(x) = 0 für j = 1,..., n. Beweis. Für δ > 0 hinreichend klein sei g j : ]x j δ, x j + δ[ R definiert durch g j (ξ) = f(x 1,..., x j 1, ξ, x j+1,..., x n ). Dann ist x j ein lokales Extremum von g j, und es gilt g j(x j ) = ( j f)(x). Wende Satz IV.2.3 (notwendige Bedingung für lokales Extremum) an. Im Folgenden sei D offen, und es gelte f C 2 (D). Definition 23. Die Hesse-Matrix von f an der Stelle x D ist definiert durch Bemerkung 24. (Hf)(x) = (( i ( j f))(x)) 1 i,j n R n n. (i) Gemäß Satz 5 ist (Hf)(x) symmetrisch. 14 Solche Punkte x heißen kritische Punkte von f.

242 X.3. Taylor-Approximation 238 (ii) Für ξ R n gilt T 2 (f, x)(x + ξ) = f(x) + (Df)(x) ξ ξ (Hf)(x) ξ. Beispiel 25. In der Situation von Beispiel 16 gilt (Df)(0) = (0, 1) und (Hf)(0) = ( ) Definition 26. A R n n heißt (i) negativ definit, falls A positiv definit ist, (ii) indefinit, falls η, ξ R n : (η Aη > 0 ξ Aξ < 0). Bemerkung 27. Sei A R n n symmetrisch. Satz VIII.3.10 (Charakterisierung positiv definiter Abbildungen) zeigt und ebenso zeigt man A negativ definit σ(a) ], 0[, A indefinit (σ(a) ]0, [ σ(a) ], 0[ ). Satz 28. Sei x D mit (Df)(x) = 0. (i) Ist (Hf)(x) positiv definit, so ist x ein strenges lokales Minimum von f. (ii) Ist (Hf)(x) negativ definit, so ist x ein strenges lokales Maximum von f. (iii) Ist (Hf)(x) indefinit, so besitzt f in x kein lokales Extremum. Beweis. Betrachte die euklidische Norm auf R n, setze A = (Hf)(x) und wähle δ > 0 mit B δ (x) D. Gemäß Korollar VIII.3.7 (Diagonalisierung symmetrischer Matrizen) existieren λ 1... λ n und eine orthogonale Matrix S R n n mit A = SΛS für Λ = diag(λ 1,..., λ n ). Für ξ B δ (0) folgt f(x + ξ) f(x) = R 2 (f, x)(x + ξ) ξ Aξ. ad (i): In diesem Fall gilt λ 1 > 0, und es folgt ξ Aξ = ( S ξ ) Λ ( S ξ ) λ 1 S ξ 2 2 = λ 1 ξ 2 2.

243 X.3. Taylor-Approximation 239 Gemäß Korollar 18.(i) existiert 0 < δ < δ mit R 2 (f, x)(x + ξ) λ 1 /4 ξ 2 2 für ξ B δ (0). Fazit: für ξ B δ (0) \ {0} gilt f(x + ξ) f(x) λ 1 /4 ξ λ 1/2 ξ 2 2 = λ 1/4 ξ 2 2 > 0. ad (ii): Wende das bereits Bewiesene auf f an. ad (iii): In diesem Fall gilt λ 1 < 0 < λ n, und es existieren ξ 1, ξ n R n \ {0} mit Aξ l = λ l ξ l für l = 1, n. Es folgt Schließe wie oben. f(x + ξ l ) f(x) = R 2 (f, x)(x + ξ l ) + λ l /2 ξ l 2. Beispiel 29. Sei f : R 2 R definiert durch Dann gilt f C (R 2 ) und sowie Somit f(x, y) = x 3 + y 3 3xy. (Df)(x, y) = 3 (x 2 y, y 2 x) ( ) 2x 1 (Hf)(x, y) = y (Df)(x, y) = 0 x 2 = y y 2 = x. Offenbar gilt (Df)(0, 0) = (Df)(1, 1) = 0, und aus (Df)(x, y) = 0 folgt y 0 y 4 = y und weiter y {0, 1}. Zusammenfassend erhält man Da {(x, y) R 2 : (Df)(x, y) = 0} = {(0, 0), (1, 1)}. (Hf)(0, 0) = 3 ( ) 0 1, 1 0 folgt σ((hf)(0, 0)) = { 3, 3}, weshalb (0, 0) kein lokales Extremum von f ist. Da ( ) 2 1 (Hf)(1, 1) = 3, 1 2 folgt σ((hf)(1, 1)) = {3, 9}, weshalb (1, 1) ein strenges lokales Minimum von f ist. Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.10. Schließlich gilt lim y f(0, y) = und lim y f(0, y) =. Fazit: (i) f besitzt genau ein lokales Extremum, nämlich (1, 1), und dieser Punkt ist ein strenges lokales Minimum von f.

244 X.4. Implizite Funktionen 240 (ii) f besitzt keine globalen Extrema. Beispiel 30. Für k = 1, 2, 3 sei f k : R 2 R definiert durch f 1 (x, y) = x 2 + y 4, f 2 (x, y) = x 2, f 3 (x, y) = x 2 + y 3. Es gilt (Df k )(0, 0) = 0 sowie (Hf k )(0, 0) = ( ) für k = 1, 2, 3. Damit ist (Hf k )(0, 0) weder positiv oder negativ definit, noch indefinit. Ferner gilt: f 1 besitzt in (0, 0) ein strenges lokales Minimum, f 2 besitzt in (0, 0) ein lokales Minimum, das nicht streng ist, und f 3 besitzt in (0, 0) kein lokales Extremum. Literatur. [Fo2, 7]. 4 Implizite Funktionen Der Banachsche Fixpunktsatz Definition 1. (i) Seien X und g : X X. Dann heißt x X Fixpunkt von g, falls g(x) = x. (ii) Seien (X, d) ein metrischer Raum und g : X X. Dann heißt g Kontraktion, falls q ]0, 1[ existiert, so daß x, y X : d(g(x), g(y)) q d(x, y). Satz 2. Seien (X, d) ein vollständiger metrischer Raum und g : X X eine Kontraktion. Dann gilt: (i) Für alle x 0 X ist (x n ) n N0, rekursiv definiert durch x n+1 = g(x n ), konvergent, und lim n x n ist ein Fixpunkt von g. (ii) g besitzt genau einen Fixpunkt. Beweis. Siehe Übung 7.1 oder [Fo2, S. 92]. Bemerkung 3. Seien V ein Vektorraum, D V und f : D V. Frage: Existenz, und ggf. Berechnung, von v D mit f(v) = 0? Für g : D V, definiert durch g(v) = v f(v), und v D gilt f(v) = 0 g(v) = v.

245 X.4. Implizite Funktionen 241 Ein möglicher Lösungsweg: Zeige die Existenz von D 0 D mit v D 0 : g(v) D 0. (1) Konstruiere eine Metrik d auf D 0, so daß (D 0, d) vollständig und g D0 : D 0 D 0 eine Kontraktion ist. Gelingt dies, ist Satz 2 anwendbar, und der Fixpunkt v von g D0 ist die eindeutig bestimmte Lösung von f(v) = 0 mit v D 0. Spezialfall: V = R m, D R m offen und f stetig differenzierbar. Dann ist g stetig differenzierbar mit Dg = E m Df. Existiert eine abgeschlossene und konvexe Menge D 0 D mit (1) und sup v D 0 (Dg)(v) F < 1, besitzt f D0 (v) = 0 genau eine Lösung. Siehe Lemma IX.2.34.(iv) (metrische Unterräume) und Korollar 2.14 (zum Mittelwertsatz). Implizit definierte Funktionen Im Folgenden seien k, m N, D 1 R k und D 2 R m offen sowie F : D 1 D 2 R m. Definition 4. Seien U 1 D 1 und U 2 D 2 Umgebungen von a D 1 bzw. b D 2, und gelte F (a, b) = 0. (2) Dann heißt g : U 1 U 2 mit g(a) = b und 15 x U 1 : F (x, g(x)) = 0 eine durch (2) implizit definierte Funktion. Beispiel 5. (i) Gelte D 1 = R 2 und D 2 = R, und sei F : R 3 R gegeben durch F (x 1, x 2, y) = x x y 2 1. Ferner gelte (2) für a R 2 und b R. Sei b 0. Dann gilt a 2 < 1. Definiere durch falls b > 0, und durch g : {x R 2 : x 2 1} R g(x) = 1 x 2 2, g(x) = 1 x 2 2, falls b < 0. Dann ist g eine durch (2) implizit definierte Funktion. Falls b = 0, existiert keine solche Funktion. 15 g beschreibt lokal eine Auflösung der Gleichung F (x, y) = 0 nach y.

246 X.4. Implizite Funktionen 242 (ii) Gelte D 1 = D 2 = R, und sei F gegeben durch F (x, y) = min( x y, x + y ). Dann liefern g(x) = x, g(x) = x, g(x) = x und g(x) = x implizit durch F (0, 0) = 0 definierte Funktionen g : R R. (iii) Für A R m m und a, b R m gelte Ab = a. Setze D 1 = D 2 = R m, und definiere F durch F (x, y) = x Ay. Für jede Umgebung U 1 von a gilt: Die Existenz einer durch (2) implizit definierten Funktion g : U 1 R m ist äquivalent zu A Gl(m, R). Beweis: rang A = m, g(x) = A 1 x. Existenz, Eindeutigkeit und Stetigkeit Im Folgenden sei F stetig differenzierbar. Notation: (2) F : D 1 D 2 R m m sei definiert durch k+1 F 1... k+m F 1 (2) F =... k+1 F m... k+m F m Satz 6. Für (a, b) D 1 D 2 gelte (2) und ( (2) F )(a, b) Gl(m, R). Dann existieren eine offene Umgebung U 1 D 1 von a und eine abgeschlossene Umgebung U 2 D 2 von b sowie eine stetige Abbildung g : U 1 U 2, so daß (x, y) U 1 U 2 : F (x, y) = 0 y = g(x). (3) Beweis. OBdA gelte 16 (a, b) = (0, 0). Setze B = ( (2) F )(0, 0) und definiere G : D 1 D 2 R m durch G(x, y) = y B 1 F (x, y). Offenbar ist F (x, y) = 0 äquivalent zu G(x, y) = y. Ferner gilt ( (2) G)(x, y) = E m B 1 ( (2) F )(x, y). 16 Andernfalls betrachtet man F (x, y) = F (x + a, y + b).

247 X.4. Implizite Funktionen 243 Wir zeigen zunächst die Existenz U 1 und U 2 wie oben, so daß sup (x,y) B (k) δ 2 (0) B (m) δ 2 (0) G(x, ) : U 2 U 2 für alle x U 1 wohldefiniert und eine Kontraktion ist. Mit B (l) δ (0) bezeichnen wir die offene Kugel mit Radius δ > 0 um 0 Rl bzgl. der euklidischen Norm. Da ( (2) G)(0, 0) = 0 und (2) G stetig ist, existiert δ 2 > 0 mit B (k) δ 2 (0) D 1, B (m) δ 2 (0) D 2 und ( (2) G)(x, y) F 1/2. Mit Satz 2.13 (Mittelwertsatz) folgt x B (k) δ 2 (0) y, z B (m) δ 2 (0) : G(x, y) G(x, z) 2 y z 2 /2. (4) Da G(0, 0) = 0 und G stetig ist, existiert 0 < δ 1 δ 2 mit Setze Für x U 1 B (k) δ 2 sup G(x, 0) 2 δ 2 /4. x B (k) δ (0) 1 U 1 = B (k) δ 1 (0), U 2 = B (m) δ 2 /2 (0). (0) und y U 2 B (m) δ 2 (0) folgt G(x, y) 2 G(x, y) G(x, 0) 2 + G(x, 0) 2 y 2 /2 + δ 2 /4 δ 2 /2, (5) d.h. G(x, y) U 2. Satz 2 zeigt die Existenz einer Abbildung g : U 1 U 2 mit (3), vgl. Bemerkung 3. Wir zeigen nun 17 die Stetigkeit von g, und wir betrachten dazu den Banach-Raum (B(U 1, R m ), ), wobei R m mit der euklidischen Norm versehen ist, siehe Satz IX Setze X = {f B(U 1, R m ) : f stetig, f δ 2 /2}. Gemäß Korollar IX.4.9 und Beispiel IX.2.22.(i) (Stetigkeit der Norm) ist X abgeschlossen, und damit nach Lemma IX.2.34.(iv) als metrischer Unterraum vollständig. Für f X und x U 1 sei h(x) = G(x, f(x)). Dann gilt h C(U 1, R m ) und h δ 2 /2, siehe (5). Somit wird durch f h eine Abbildung Φ : X X definiert. Für f, h X und x U 1 gilt siehe (4), d.h. (Φf)(x) (Φh)(x) 2 f(x) h(x) 2 /2 f h /2, Φf Φh f h /2. Gemäß Satz 2 besitzt Φ einen eindeutig bestimmten Fixpunkt g X. Nach Definition ist Φ g = g äquivalent zu F (x, g(x)) = 0 für alle x U 1, und mit (3) folgt g = g. 17 Dieser Beweisteil genügt für die Existenzaussage, während der erste Teil nur zum Beweis der Eindeutigkeit benötigt wird.

248 X.4. Implizite Funktionen 244 Stetige Differenzierbarkeit Lemma 7. Sei Gl(m, R) versehen mit der durch eine Norm auf R m m induzierten Metrik. Dann definiert A A 1 eine stetige Abbildung auf Gl(m, R). Beweis. Gemäß Satz IX.3.17 (Normen auf endlich-dimensionalen Räumen) genügt es eine Abbildungsnorm auf R m m zu betrachten. Für A, B Gl(m, R) gilt B 1 A 1 = A 1 (B A) B 1 Falls B A 1/(2 A 1 ), ergibt sich A 1 B A ( A 1 + B 1 A 1 ). B 1 A 1 2 A 1 2 B A. Notation: (1) F : D 1 D 2 R m k sei definiert durch 1 F 1... k F 1 (1) F =... 1 F m... k F m Lemma 8. Sei U 1 R k offen, und sei g : U 1 U 2 eine differenzierbare, implizit durch (2) gegebene Funktion. Falls ist g stetig differenzierbar mit x U 1 : ( (2) F )(x, g(x)) Gl(m, R), (6) (Dg)(x) = ( ( (2) F )(x, g(x)) ) 1 ( (1) F )(x, g(x)). (7) Beweis. Für x U 1 sei h(x) = F (x, g(x)). Einerseits gilt h = 0, andererseits zeigt Satz 1.38 (Kettenregel) Da für (x, y) D 1 D 2, ergibt sich (Dh)(x) = (DF )(x, g(x)) ( ) Ek. (Dg)(x) (DF )(x, y) = ( ( (1) F )(x, y) ( (2) F )(x, y) ) ( (1) F )(x, g(x)) + ( (2) F )(x, g(x)) (Dg)(x) = 0, und hieraus folgt (7). Wende Lemma 7 an, um aus (7) die stetige Differenzierbarkeit von g zu erhalten.

249 X.4. Implizite Funktionen 245 Satz 9. Für (a, b) D 1 D 2 gelte (2) und ( (2) F )(a, b) Gl(m, R). Dann existieren eine offene Umgebung U 1 D 1 von a und eine abgeschlossene Umgebung U 2 D 2 von b sowie eine stetig differenzierbare Abbildung mit (3). g : U 1 U 2 Beweis. Betrachte g : U 1 U 2 gemäß Satz 6, und beachte, daß det : R n n R stetig ist, siehe Satz VII.1.15 (Leibniz-Formel). Indem man U 1 ggf. verkleinert, erreicht man (6). Gemäß Lemma 8 bleibt die Differenzierbarkeit von g zu zeigen. Für x U 1 seien A = ( (1) F )(x, g(x)) und B = ( (2) F )(x, g(x)). Setze ( ) ξ x r(ξ, η) = F (ξ, η) (DF )(x, g(x)) η g(x) = F (ξ, η) A (ξ x) B (η g(x)) für (ξ, η) D 1 D 2. Insbesondere für ξ U 1 gilt und hieraus folgt r(ξ, g(ξ)) = A (ξ x) B (g(ξ) g(x)), g(ξ) g(x) = B 1 A (ξ x) B 1 r(ξ, g(ξ)). (8) Zu zeigen bleibt r(ξ, g(ξ)) lim ξ x x ξ = 0. (9) Betrachte dazu Normen auf R m und R k und die zugehörigen Abbildungsnormen auf R m m und R m k, die unterschiedslos mit bezeichnet werden. Sei 0 < ε 1 2 B 1. Aufgrund der Differenzierbarkeit von F in (x, g(x)) existiert δ > 0, so daß r(ξ, η) ε ( ξ x + η g(x) ) für (ξ, η) D 1 D 2 mit ξ x + η g(x) < δ. (10) Aufgrund der Stetigkeit von g in x existiert eine Umgebung U 1 U 1 von x, so daß (10) für alle ξ U 1 gilt. Sei ξ U 1. Dann sichert (8), daß g(ξ) g(x) B 1 ( A ξ x + r(ξ, g(ξ)) ) B 1 (( A + ε) ξ x + ε g(ξ) g(x) ),

250 X.4. Implizite Funktionen 246 woraus sich g(ξ) g(x) c ξ x mit c = 2 B 1 A + 1 ergibt. Fazit: Für alle ξ U 1 gilt Dies zeigt (9). Bemerkung 10. r(ξ, g(ξ)) ε ξ x (1 + c). (i) Seien n, m N mit n > m, D R n offen und F : D R m stetig differenzierbar. Ferner sei c D mit F (c) = 0 und rang ( (DF )(c) ) = m. Dann sind Satz 9 und (7) ggf. nach einer Permutation der Variablen von F anwendbar. (ii) Betrachte die Situation von Satz 9. Dann beschreibt (7) ein lineares Gleichungssystem mit Lösung (Dg)(x), das die Berechnung von (Dg)(a) ohne explizite Kenntnis von g ermöglicht. Stichwort: implizites Differenzieren. Sei p N mit p 2. Sind die Komponentenfunktionen von F p-mal stetig partiell differenzierbar, gilt dies auch für die Komponentenfunktionen von g. Beweis: Induktion unter Verwendung von (7). Beispiel 11. Sei F : R 3 R 2 definiert durch ( ) u F (u, v, w) = 3 + v 3 + w 3 7. uv + vw + wu + 2 Es gilt F (2, 1, 0) = 0. Offenbar ist F stetig differenzierbar mit ( ) 3u 2 3v (DF )(u, v, w) = 2 3w 2. v + w u + w v + u Insbesondere gilt (DF )(2, 1, 0) = ( ) Satz 9 zeigt: Es existieren ein offenes Intervall I R mit 2 I, eine abgeschlossene Umgebung J von ( 1, 0) und eine stetig differenzierbare Abbildung g : I J, so daß Mit (7) folgt {(x, y) I J : F (x, y) = 0} = {(x, g(x)) R 3 : x I}. ( ) ( ) g 1 (2) g 2(2) = ( ) 12, 1 und man erhält g 1(2) = 4 und g 2(2) = 9 als eindeutig bestimmte Lösung dieses linearen Gleichungssystems.

251 X.4. Implizite Funktionen 247 Die durch h : I R 3 mit h(x) = (x, g(x)) beschriebene Kurve besitzt also den Tangentialvektor (1, 4, 9) zum Parameterwert 2. Da je zwei Spalten von (DF )(2, 1, 0) linear unabhängig 18 sind, kann man analog für die Wahl der zweiten oder dritten Komponenten von (2, 1, 0) vorgehen und nach den jeweils verbleibenden Variablen auflösen. Lokale Umkehrbarkeit Im Folgenden seien n N, D, D R n offen sowie f : D D. Definition 12. f heißt Diffeomorphismus, wenn f bijektiv ist und f und f 1 stetig differenzierbar sind. Bemerkung 13. (i) Sei f ein Diffeomorphismus. Für x D, g = f 1 und y = g(x) gilt (Df)(y) Gl(n, R) und (Dg)(x) = ((Df)(y)) 1, siehe Satz 1.38 (Kettenregel). (ii) Seien n = 1, D ein offenes Intervall und f : D R stetig differenzierbar. Ferner gelte y D : f (y) 0. Dann definiert f einen Diffeomorphismus zwischen D und f(d). Dies folgt aus Satz III.3.1 (Zwischenwertsatz), Korollar IV.2.13.(ii) (Monotonie-Kriterium) und Satz IV.1.18 (Differenzierbarkeit der Umkehrfunktion). Beispiel 14. Betrachte die Gebiete D = ]0, [ R und D = R 2 \{0}. Sei f : D D definiert durch f(r, α) = (r cos(α), r sin(α)). Gemäß Satz III.5.18 (Polarkoordinaten) ist f surjektiv. Ferner ist f stetig differenzierbar mit ( ) cos(α) r sin(α) (Df)(r, α) =. sin(α) r cos(α) Es folgt det ( (Df)(r, α) ) = r > 0, so daß (Df)(r, α) Gl(2, R) für alle (r, α) D. Dennoch ist f nicht injektiv. 18 Wir verwenden hier erstmals(?) eine nachlässige Sprechweise.

252 X.4. Implizite Funktionen 248 Bemerkung 15. Betrachte die durch eine beliebige Norm auf R n induzierte Metrik d 0 auf D sowie die Mengen O und O(D, d 0 ) der offenen Teilmengen von R n bzw. D. Da D O, gilt O(D, d 0 ) = {U O : U D}, siehe Lemma IX.2.34.(iii) (metrische Unterräume). Definition 16. f heißt lokaler Diffeomorphismus in b D, falls offene Umgebungen U D von b und U D von f(b) existieren, so daß f U : U U ein Diffeomorphismus ist. Bemerkung 17. In der Situation von Definition 16 gilt Bemerkung 13.(i) analog für x U mit g = (f U ) 1. Satz 18. Seien f stetig differenzierbar und b in D. Dann sind äquivalent: (i) f ist ein lokaler Diffeomorphismus in b, (ii) (Df)(b) Gl(n, R). Beweis. (i) (ii) : Siehe Bemerkung 17. (ii) (i) : Definiere F : D D R n durch F (x, y) = x f(y), und setze a = f(b). Offenbar ist F stetig differenzierbar mit F (a, b) = 0 und ( (2) F ) (a, b) = (Df)(b). Satz 9 sichert die Existenz einer offenen Umgebung U 1 D von a, einer abgeschlossenen Umgebung U 2 D von b und einer stetig differenzierbaren Abbildung g : U 1 U 2 mit (x, y) U 1 U 2 : f(y) = x y = g(x). (11) Für x U 1 zeigt in (11) f (g(x)) = x, insbesondere ist g injektiv und U 1 f(u 2 ). Aufgrund der Stetigkeit von f existiert eine offene Umgebung U U 2 von b mit f(u) U 1. Setze U = f(u). Für y U zeigt in (11) g (f(y)) = y, Somit definiert f U eine Bijektion zwischen U und U mit Umkehrabbildung g U, und a U gilt offenbar. Da g injektiv ist, folgt g 1 (U) = U, so daß U aufgrund der Stetigkeit von g offen ist, siehe Satz IX.2.31 (Charakterisierung stetiger Abbildungen).

253 X.4. Implizite Funktionen 249 Beispiel 19. Die Funktion f aus Beispiel 14 ist gemäß Satz 18 in jedem Punkt (r, α) D ein lokaler Diffeomorphismus. Es gilt ( ) ( ) 1 cos(α) sin(α) (Df)(r, α) =. 1/r sin(α) 1/r cos(α) Für (x, y) = f(r, α) sei g eine lokale Umkehrfunktion. Da r = x 2 + y 2, cos(α) = x/r und sin(α) = y/r, folgt ( x/ x2 + y (Dg)(x, y) = 2 y/ ) x 2 + y 2 y/(x 2 + y 2 ) x/(x 2 + y 2. ) Satz 20. Sei f stetig differenzierbar, und gelte Dann gilt: (i) Für jede offene Menge U D ist f(u) offen. y D : (Df)(y) Gl(n, R). (12) (ii) Ist f injektiv, so definiert f einen Diffeomorphismus zwischen D und f(d). Beweis. ad (i): Betrachte im nicht-trivialen Fall U die Abbildung f U. Gemäß Satz 18 besitzt jedes y U eine offene Umgebung U y U, so daß f(u y ) offen ist. Da f(u) = y U f(u y), ist f(u) offen, siehe Satz IX.1.5.(iii). ad (ii): Gemäß (i) ist f(d) offen. Sei x f(d). Wie Satz 9 zeigt, ist f ein lokaler Diffeomorphismus in f 1 (x) und somit f 1 : f(d) D ein lokaler Diffeomorphismus in x. Insbesondere ist f 1 stetig differenzierbar in x. Lokale Extrema unter Nebenbedingungen Im Folgenden seien n, m N mit m < n, D R n offen und f : D R sowie g : D R m stetig differenzierbar. Für N = {x D : g(x) = 0} gelte N. Satz 21. Sei x N ein lokales Extremum von f N, und gelte rang((dg)(x)) = m. Dann existieren λ 1,..., λ m R mit 19 (grad f)(x) = m λ i (grad g i )(x). i=1 19 Die λ i heißen Lagrange-Multiplikatoren.

254 X.4. Implizite Funktionen 250 Beweis. Setze k = n m. Für stetig differenzierbare Funktionen h : D R p seien 1 h 1... k h 1 (1) h =... 1 h p... k h p sowie k+1 h 1... n h 1 (2) h =... k+1 h p... n h p Ferner seien x (1) = (x 1,..., x k ) und x (2) = (x k+1,..., x n ). Wir nehmen an, daß ( (2) g)(x) Gl(m, R), was ggf. durch Permutation der Variablen von g erreicht wird. Gemäß Satz 9 existieren eine offene Umgebung U 1 von x (1), eine abgeschlossene Umgebung U 2 von x (2) und eine stetig differenzierbare Funktion h : U 1 U 2 mit folgenden Eigenschaften (i) U 1 U 2 D, (ii) h(x (1) ) = x (2), (iii) z U 1 : g(z, h(z)) = 0. Nach Voraussetzung existiert δ 1 > 0, so daß f(x) f(y) für alle y B δ1 (x) N oder f(x) f(y) für alle y B δ1 (x) N. Aufgrund der Stetigkeit von h in x (1) existiert δ 2 > 0, so daß (z, h(z)) B δ1 (x) N für alle z B δ2 (x (1) ). Somit ist x (1) ein lokales Extremum der durch f(z) = f(z, h(z)) definierten, stetig differenzierbaren Funktion f : U 1 R. Gemäß Satz 3.22 (notwendige Bedingung für lokales Extremum) gilt ( ) 0 = (D f)(x (1) E ) = (Df)(x) k (Dh)(x (1) ) und (7) zeigt Setze sowie = ( (1) f)(x) + ( (2) f)(x) (Dh)(x (1) ), (Dh)(x (1) ) = ( ( (2) g)(x) ) 1 ( (1) g)(x). a = ( (1) f)(x), A = ( (1) g)(x), b = ( (2) f)(x) B = ( (2) g)(x). Man erhält a = b B 1 A, und trivialerweise gilt b = b B 1 B, was zusammen ergibt. (Df)(x) = (a, b) = b B 1 (A, B) = b B 1 (Dg)(x)

255 X.4. Implizite Funktionen 251 Beispiel 22. Sei f : R 2 R definiert durch f(x, y) = 4x 2 3xy, und sei N = {(x, y) R 2 : x 2 + y 2 1}. Offenbar ist f zweimal stetig differenzierbar. Da N kompakt und f N stetig ist, besitzt f N ein globales Minimum und ein globales Maximum. Setze G = {(x, y) N : (x, y) globales Extremum von f N }, L = {(x, y) N : (x, y) lokales Extremum von f N }. Für (x, y) R 2 gilt (grad f)(x, y) = (8x 3y, 3x) sowie Sei g : R 2 R definiert durch (Hf)(x, y) = Offenbar ist g stetig differenzierbar mit für (x, y) R 2, und es gilt ( ) g(x, y) = x 2 + y 2 1. (grad g)(x, y) = 2 (x, y) N = {(x, y) R 2 : g(x, y) = 0}. Für (x, y) N gilt (grad g)(x, y) 0. Sei (x, y) N. Aus (grad f)(x, y) = 0 folgt x = y = 0. Da det ( (Hf)(0, 0) λ E 2 ) = λ (8 λ) 9 = (λ 9) (λ + 1), ist (Hf)(0, 0) indefinit, und (0, 0) ist kein lokales Extremum von f, siehe Sätze 3.22 und 3.28.(iii) (notwendige bzw. hinreichende Bedingung für lokales Extremum). Dies zeigt L N = und weiter G L N.

256 X.4. Implizite Funktionen 252 Gelte (x, y) L N. Dann ist (x, y) ein lokales Extremum von f N, und gemäß Satz 21 existiert λ R mit Es gilt det (8 λ)x 3y = 0, (13) 3x + λy = 0, (14) x 2 + y 2 = 1. (15) ( ) 8 λ 3 = λ (8 λ) + 9 = (λ 9) (λ + 1). 3 λ Falls λ { 1, 9}, folgt x = y = 0 aus (13) und (14), und (15) ist nicht erfüllt. Falls λ = 1, folgt y = 3x aus (14) und weiter (x, y) {(c, 3c), ( c, 3c)} mit (15), wobei c = 1/ 10. Falls λ = 9, folgt x = 3y aus (13) und weiter mit (15). Damit ist gezeigt. (x, y) {( 3c, c), (3c, c)} G {(c, 3c), ( c, 3c), ( 3c, c), (3c, c)} Es gilt f(x, y) = f( x, y) für (x, y) R 2 sowie f(c, 3c) = 1/2, f(3c, c) = 9/2. Fazit: die globalen Maxima von f N sind (3c, c) und ( 3c, c) und die globalen Minima von f N sind (c, 3c) und ( c, 3c). Entsprechende Graphiken finden sich in Abschnitt A.11. Literatur. [Fo2, 8, 9], [H2, , 174] und [K, ].

257 Kapitel XI Integrierbare Funktionen in mehreren Variablen Wir behandeln das Lebesgue-Integral für Funktionen von R n nach R. Dieser Integralbegriff ist einfacher zu verstehen als das mehrdimensionale (eigentliche bzw. uneigentliche) Riemann-Integral und zugleich viel leistungsfähiger. Wir folgen der Darstellung in [K, 7 9] und stellen dabei einige Ergebnisse, die in der Vorlesung Maß- und Integrationstheorie allgemeiner behandelt werden, ohne Beweise vor. Im Folgenden sei n N. 1 Vorbereitungen Beschränkte Quader und ihr Volumen Definition 1. Q R n heißt beschränkter (achsenparalleler nicht-leerer) Quader 1, falls Q = I 1 I n (1) für beschränkte, nicht-leere Intervalle I 1,..., I n R. Notation: Q n ist die Menge der beschränkten Quader in R n. Bemerkung 2. Für Q Q n sind I 1,..., I n Q 1 mit (1) eindeutig bestimmt. Definition 3. Für Q gemäß (1) heißt 2 λ n (Q) = das (n-dimensionale) Volumen von Q. Bemerkung 4. n (sup I j inf I j ) j=1 (i) Für Q gemäß (1) gilt λ n (Q) = n j=1 λ1 (I j ). (ii) Für Q Q n gilt λ n (Q) > 0 genau dann, wenn Q. 1 Diese Mengen heißen auch beschränkte, nicht-leere Intervalle in R n. 2 [K] schreibt v statt λ n. Statt λ 1 schreibt man auch λ. 253

258 XI.1. Vorbereitungen 254 Der Vektorraum der Treppenfunktionen Definition 5. f : R n R heißt Treppenfunktion, falls k N und Q 1,..., Q k Q n existieren, so daß (i) Q 1,..., Q k paarweise disjunkt, (ii) l {1,..., k} : f Ql konstant, (iii) f A c = 0 für A = k l=1 Q l. Notation: T (R n ) ist die Menge der Treppenfunktionen von R n nach R. Definition 6. Für D R n, f : D R und A D heißt 3 f A : R n R, definiert durch { f A f(x), falls x A, (x) = 0, sonst, die triviale Fortsetzung von f A auf R n. Bemerkung 7. Für f T (R) ist f [a,b] für alle a, b R mit a < b eine Treppenfunktion im Sinne von Definition III Ist umgekehrt f : [a, b] R eine Treppenfunktion im Sinne von Definition III.3.12, so gilt f [a,b] T (R). Lemma 8. Für k N und Q 1,..., Q k Q n existieren m N und P 1,..., P m Q n, so daß (i) k l=1 Q l = m l=1 P l, (ii) P 1,..., P m paarweise disjunkt, (iii) l {1,..., k} l {1,..., m} : ( P l Q l P l Q l = ), (iv) l {1,..., m} : ( P l offen λ n (P l ) = 0 ). Beweis. Gelte Q l = I 1,l I n,l mit I j,l Q 1. Die aufsteigend geordneten Elemente von Z j = k l=1 I j,l definieren eine Zerlegung von [inf Z j, sup Z j ], und hieraus gewinnt man eine Darstellung von k l=1 Q l als Vereinigung endlich vieler P l Q n mit den Eigenschaften (ii) (iv). Satz 9. (i) Für f : R n R gilt f T (R n ) genau dann, wenn k N Q 1,..., Q k Q n c 1,..., c k R : f = k c l 1 Ql. l=1 (ii) T (R n ) ist ein Unterraum von R (Rn). (iii) f T (R n ) f T (R n ). 3 [K] verwendet die Notation f A.

259 XI.1. Vorbereitungen 255 Beweis. ad (i): gilt offenbar. Verwende die Eigenschaften (i) (iii) aus Lemma 8 zum Beweis von. ad (ii): Verwende (i). ad (iii): klar. Bemerkung 10. Sei M und sei V ein Unterraum von R M, so daß f V für alle f V. Für f, g V folgt max(f, g), min(f, g), f +, f V. Beweis: Bemerkung II Das Integral von Treppenfunktionen Lemma 11. Für k, m N, c 1,..., c k, d 1,..., d m R und Q 1,..., Q k, P 1,..., P m Q n gelte k m c l 1 Ql = d l 1 Pl. Dann folgt l=1 k c l λ n (Q l ) = l=1 l=1 m d l λ n (P l ). Beweis. Induktion nach n. Für n = 1 folgt die Aussage mit Bemerkung 7 und Lemma V.1.2. Sei n > 1, und gelte Q l = Q l I l sowie P l = P l J l mit Q l, P l Q n 1 und I l, J l Q 1. Für y R gilt l=1 k c l 1 Il (y) 1 Q l = l=1 und mit der Induktionsannahme folgt m d l 1 Jl (y) 1 P l, l=1 k m c l 1 Il (y) λ n 1 (Q l) = d l 1 Jl (y) λ n 1 (P l), l=1 l=1 d.h. k m c l λ n 1 (Q l) 1 Il = d l λ n 1 (P l) 1 Jl. l=1 l=1 Wende die Aussage für n = 1 an, und beachte Bemerkung 4.(i). Definition 12. Für k f = c l 1 Ql l=1 mit k N, c 1,..., c k R und Q 1,..., Q k Q n heißt k f dλ n = c l λ n (Q l ) das Integral von f. Notation auch R n f dλ n, f(x) dλ n (x) oder R n f(x) dλ n (x). l=1

260 XI.1. Vorbereitungen 256 Satz 13. (i) Das Integral ist eine lineare Abbildung von T (R n ) nach R. (ii) Für f, g T (R n ) mit f g gilt f dλ n g dλ n. (iii) Für f T (R n ) gilt f dλ n f dλ n. (iv) Für f T (R) und a, b R mit a < b und {x R : f(x) 0} [a, b] gilt Beweis. ad (i): klar. f dλ 1 = b a f [a,b] (x) dx. ad (ii): Es gilt f dλ n 0 für f T (R n ) mit f 0, und hieraus folgt mit (i) die Behauptung. ad (iii): Mit (i) und (ii) folgt f dλ n f dλ n sowie f dλ n f dλ n. ad (iv): Verwende Bemerkung 7 und λ 1 ({x}) = 0 für x R. Die L 1 -Halbnorm Definition 14. Sei V ein K-Vektorraum. Dann heißt : V R mit v, w V : v + w v + w v V µ K : µv = µ v (Dreiecksungleichung), Halbnorm auf V. Bemerkung 15. Sei : V R eine Halbnorm auf V. Dann gilt (i) v 0 für alle v V, (ii) v w v w für v, w V, (iii) ist genau dann eine Norm auf V, wenn v V : ( v = 0 v = 0). Beispiel 16. Seien a, b R mit a < b. Dann definiert f = b eine Halbnorm auf R ([a, b]), die keine Norm ist. a f(x) dx, f R ([a, b]), Notation: Wir erweitern die Menge R um und definieren x < für x R. Für eine Folge (d k ) k N in [0, [ definieren wir k=1 d k =, falls die Reihe k=1 d k divergiert.

261 XI.1. Vorbereitungen 257 Definition 17. Eine Folge (c k ) k N in [0, [ und eine Folge (Q k ) k N offener Quader aus Q n definieren eine Hüllreihe 4 zu f : R n R, falls x R n : f(x) c k 1 Qk (x) und k=1 c k λ n (Q k ) <. k=1 Notation: H(R n ) ist die Menge der Funktionen von R n nach R, die eine Hüllreihe besitzen. Beispiel 18. (i) Seien f : R n R sowie {x R n : f(x) 0} beschränkt. Dann gilt f H(R n ). Insbesondere gilt T (R n ) H(R n ). (ii) Gelte n = 1. Für α > 1 und x R sei { x α, falls x > 1, f α (x) = 0, sonst. Für ε > 0 gilt f α (x) 1/k α 1 ]k,k+1+ε[ (x). k=1 Da k=1 1/kα <, folgt f α H(R). (iii) Gelte n = 1. Für 0 < α < 1 und x R sei { x α, falls 0 < x < 1, f α (x) = 0, sonst. Es gilt f α (x) 1 ] 1,1[ + Da k=1 1/k1/α <, folgt f α H(R). 1 ] 1/k 1/α,1/k 1/α [ (x). Definition 19. Die L 1 -Halbnorm von f H(R n ) ist { } ( ) f 1 = inf c k λ n (Q k ) : (ck ) k N, (Q k ) k N definiert Hüllreihe zu f. Lemma 20. k=1 (i) H(R n ) ist ein Unterraum von R (Rn), und 1 ist eine Halbnorm auf H(R n ). (ii) Für f : R n R und g H(R n ) mit f g folgt f H(R n ) und f 1 g 1. k=1 (iii) Für f H(R n ) gilt f H(R n ) und f 1 = f 1. 4 Im Unterschied zu [K, S. 237] wird hier auch k=1 c k λ n (Q k ) < gefordert.

262 XI.1. Vorbereitungen 258 Beweis. Wir zeigen f + g H(R n ) für f, g H(R n ). Sei ε > 0. Betrachte Hüllreihen zu f und g, die durch (c k ) k und (Q k ) k bzw. (d k ) k und (P k ) k gegeben sind und c k λ n (Q k ) f 1 + ε k=1 sowie erfüllen. Für x R n gilt d k λ n (P k ) g 1 + ε k=1 (f + g)(x) c k 1 Qk (x) + d k 1 Pk (x), k=1 k=1 so daß f + g 1 f 1 + g 1 + 2ε. Die weiteren Behauptungen gelten offenbar. Lemma 21. Sei A Q n abgeschlossen. Dann gilt 1 A 1 = λ n (A). Beweis. : Zu ε > 0 wähle man Q Q n offen mit A Q und λ n (Q) λ n (A) + ε. Dann liefert 1 Q eine Hüllreihe zu 1 A, woraus 1 A 1 λ n (A) + ε folgt. : Betrachte eine Folge (c k) k N in [0, [ und eine Folge (Q k ) k N offener Quader aus Q n, die eine Hüllreihe zu 1 A definieren. Für ε > 0 sei A k = {x A : k c l 1 Ql (x) 1 ε}, k N. l=1 Betrachte A als metrischen Raum mit der von der euklidischen Norm auf R n induzierten Metrik. Dann ist A k offen, siehe Lemma IX.2.34.(iii), und A ist kompakt, siehe Bemerkung IX.3.12, und es gilt A = k=1 A k. Folglich existiert k 0 N, so daß Mit Satz 13.(ii) folgt k 0 l=1 c l 1 Ql (1 ε) 1 A. k 0 c l λ n (Q l ) c l λ n (Q l ) (1 ε) λ n (A). l=1 Fazit: 1 A 1 (1 ε) λ n (A). l=1 Satz 22. Für f T (R n ) gilt f 1 = f dλ n.

263 XI.2. Das Lebesgue-Integral 259 Beweis. Es genügt den Fall f 0 zu betrachten. : Gelte f = k c l 1 Ql + l=1 m d l 1 Rl mit c 1,..., c k, d 1,..., d m 0, Q 1,..., Q k Q n offen und R 1,..., R m Q n mit Volumen null, siehe Lemma 8. Für ε > 0 gilt woraus f 1 fdλ n folgt. f 1 l=1 k c l λ n (Q l ) + ε, : Sei A Q n abgeschlossen mit f A c = 0. Setze c = sup x R n f(x) sowie l=1 g = c 1 A f. Dann gilt g T (R n ) und g 0, und mit dem bereits Bewiesenen sowie Satz 13.(i), Lemma 20.(i) und Lemma 21 folgt g 1 g dλ n = c 1 A dλ n f dλ n = c 1 A 1 f dλ n. Dies zeigt f dλ n c 1 A 1 g 1 f 1. Literatur. [K, 7.1, 7.2]. 2 Das Lebesgue-Integral Lebesgue-integrierbare Funktionen Im Folgenden sei D R n. Definition 1. (i) f H(R n ) heißt (Lebesgue-)integrierbar (über R n ), falls eine Folge (f k ) k T (R n ) mit lim k f f k 1 = 0 existiert. in (ii) f : D R heißt (Lebesgue-)integrierbar (über D), falls f D integrierbar ist. Notation: L 1 (D) ist die Menge der integrierbaren Funktionen von D nach R. Bemerkung 2. (i) Es gilt T (R n ) L 1 (R n ) H(R n ). Diese Inklusionen sind strikt: Satz 5 zeigt T (R) L 1 (R), und es existieren Mengen A [0, 1] mit 1 A L 1 ([0, 1]), siehe Tutorium (ii) Gilt f g H(R n ) für f : R n R und g T (R n ), folgt f H(R n ).

264 XI.2. Das Lebesgue-Integral 260 Satz 3. (i) L 1 (D) ist ein Unterraum von R D. (ii) Für f L 1 (D) gilt f L 1 (D). (iii) Für f, g L 1 (D) gilt f g L 1 (D), falls g überdies beschränkt ist. Beweis. Wir behandeln zunächst den Fall D = R n. ad (i): Seien f, g L 1 (R n ). Wähle Folgen (f k ) k und (g k ) k in T (R n ) mit lim k f f k 1 = lim k g g k 1 = 0. Satz 1.9.(ii) (Abschlußeigenschaften von T (R n )) zeigt f k + g k T (R n ), und Lemma 1.20.(i) sichert f + g f k g k H(R n ). Ferner f + g f k g k f f k + g g k, so daß f + g f k g k 1 f f k 1 + g g k 1, siehe Lemma 1.20.(ii). Analog zeigt man cf L 1 (R n ) für f L 1 (R n ) und c R. ad (ii): Verwende Satz 1.9.(iii) sowie Lemma 1.20.(ii) und (iii), und schließe wie in (i). ad (iii): Sei ε > 0. Wähle c ]0, [ mit g c sowie f T (R n ) mit f f 1 ε. Wähle ferner c ]0, [ mit f c sowie g T (R n ) mit Dann und somit g g 1 ε/ c. f g f g (f f) g + f (g g) f f c + c g g, f g f g 1 c f f 1 + c g g 1 (c + 1) ε. Der Beweis des allgemeinen Falles ergibt sich sofort aus dem bereits Bewiesenen. Korollar 4. Für f : D R gilt f L 1 (D) f +, f L 1 (D). Beweis. : Verwende Satz 3.(ii) und Bemerkung : Verwende Bemerkung V.1.18 zusammen mit Satz 3.(i). Satz 5. Für a, b R mit a < b gilt R([a, b]) L 1 ([a, b]).

265 XI.2. Das Lebesgue-Integral 261 Beweis. Sei f R([a, b]). Gemäß Satz V.1.10 (Integrabilitätskriterium) existieren Folgen (f k ) k und (g k ) k in T ([a, b]) mit und lim k ( b g k (x) dx a f k f g k, k N, b a ) f k (x) dx = 0. Andererseits gilt f [a,b], f k [a,b], g k [a,b] H(R), siehe Beispiel 1.18.(i), und mit den Sätzen 1.13.(iv) und 1.22 und Lemma 1.20.(ii) folgt f [a,b] f k [a,b] 1 gk [a,b] f k [a,b] 1 = (gk f k ) [a,b] 1 b = (g k f k ) [a,b] dλ 1 = (g k f k )(x) dx. Fazit: f [a,b] L 1 (R), d.h. f L 1 ([a, b]). Betrachte speziell f = 1 [a,b] Q. Dann gilt f [a,b] R([a, b]), siehe Beispiel V.1.9. Seien x : N [a, b] Q bijektiv und ε > 0. Durch c k = 1 und Q k = ] x k ε/2 k, x k + ε/2 k[ wird eine Hüllreihe zu f definiert, und es gilt (x k + ε/2 k (x k ε/2 k )) = 2ε. k=1 Es folgt f H(R) mit f 1 = 0 und somit f L 1 (R). Da f(x) = 0 für x [a, b], folgt f [a,b] L 1 ([a, b]). Beispiel 6. Sei Q = n j=1[a j, b j ] Q n mit a j < b j, und sei f : Q R stetig. Es gilt f Q H(R n ), siehe Beispiel 1.18.(i). Wähle k N, und setze sowie und y i,j,k = a j + i (b j a j )/k, i = 0,..., k, I i,j,k = [y i 1,j,k, y i,j,k [, i = 1,..., k 1, I k,j,k = [y k 1,j,k, y k,j,k ] für 1 j d. Ferner seien M k = {1,..., k} n und a Q m,k = n j=1 I mj,j,k, m M k. Wähle x m,k Q m,k, und definiere f k (x) = m M k f(x m,k ) 1 Qm,k (x), x R n.

266 XI.2. Das Lebesgue-Integral 262 Offenbar gilt f k T (R n ), und Satz IX.3.15 (gleichmäßige Stetigkeit) zeigt Da lim k sup f(x) f k (x) = 0. x Q f Q f k 1 sup f(x) f k (x) λ n (Q), x Q folgt f L 1 (Q). Vgl. Übung 12.1.b und Satz III.3.13 (Approximation durch Treppenfunktionen). Das Lebesgue-Integral Satz 7. Es existiert genau eine Abbildung I : L 1 (R n ) R, so daß I(f) = f dλ n (1) für alle f T (R n ) und für alle f, g L 1 (R n ) und alle c R. I(f + g) = I(f) + I(g), (2) I(c f) = c I(f), (3) I(f) f 1 (4) Beweis. Eindeutigkeit : Sei I wie oben. Für f L 1 (R n ) sei (f k ) k eine Folge in T (R n ) mit lim k f f k 1 = 0. (5) Für k N gilt Es folgt I(f) = lim k fk dλ n. I(f) I(f k ) = I(f f k ) f f k 1. Existenz : Sei f L1 (R n ). Wähle eine Folge (f k ) k in T (R n ) mit (5). Die Sätze 1.13 und 1.22 und Lemma 1.20.(i) zeigen für k, l N f k dλ n f l dλ n = (f k f l ) dλ n f k f l 1 f f k 1 + f f l 1. Also ist ( f k dλ n) eine Cauchy-Folge in R und somit konvergent. Sei ( f k k ) k eine weitere Folge in L 1 (R n ) mit lim k f f k 1 = 0. Wie oben folgt f k dλ n f k dλ n f f k 1 + f f k 1, so daß lim k fk dλ n = lim k fk dλ n. Somit wird durch I(f) = lim f k dλ n k

267 XI.2. Das Lebesgue-Integral 263 eine Abbildung I : L 1 (R n ) R definiert. Diese erfüllt offenbar (1). Neben f und (f k ) k wie oben betrachten wir g L 1 (R n ) und eine Folge (g k ) k in L 1 (R n ) mit lim k g g k 1 = 0. Dann gilt lim k (f + g) (f k + g k ) 1 = 0, und (2) ergibt sich aus I(f + g) = lim (f k + g k ) dλ n = lim k k f k dλ n + lim k g k dλ n = I(f) + I(g). Ebenso zeigt man (3). Da f 1 f k 1 f fk 1, siehe Bemerkung 1.15.(ii), folgt lim k f k 1 = f 1. Da I(f) = lim k fk dλ n und f k dλ n fk 1 zeigt dies (4). Bemerkung 8. Satz 7 korrespondiert mit einem abstrakten Fortsetzungssatz. Betrachte dazu einen K-Vektorraum V und eine Halbnorm auf V. Eine Menge V 0 V heißt dicht in V, falls für jedes v V eine Folge (v k ) k in V 0 mit lim k v v k = 0 existiert. Sei V 0 V ein dichter Unterraum von V, und sei I 0 : V 0 R linear mit v V 0 : I 0 (v) v. Dann existiert genau eine lineare Abbildung I : V R mit I V0 = I 0 und v V : I(v) v. Der Beweis dieser Aussage entspricht dem von Satz 7. Definition 9. (i) Die eindeutig bestimmte lineare Abbildung I : L 1 (R n ) R gemäß Satz 7 heißt das n-dimensionale Lebesgue-Integral. (ii) Für f L 1 (R n ) heißt I(f) das Lebesgue-Integral von f. Notation statt I(f): f dλ n, R n f dλ n, f(x) dλ n (x) oder R n f(x) dλ n (x). Satz 10. Seien f, g L 1 (R n ). Dann gilt (i) f 1 = f dλ n, (ii) f g f dλ n g dλ n.

268 XI.2. Das Lebesgue-Integral 264 Beweis. ad (i): Sei (f k ) k eine Folge in T (R n ) mit lim k f f k 1 = 0. Lemma 1.20.(ii) und (iii) zeigen lim k f f k 1 = 0 sowie lim k f k 1 = f 1. Es folgt lim k fk dλ n = f dλ n und lim k fk dλ n = f 1 mit Satz ad (ii): Es gilt g dλ n f dλ n = g f dλ n = g f 1 0. Definition 11. Für f : D R und A D mit f A L 1 (R n ) heißt f A dλ n das Lebesgue-Integral von f über A. Notation auch: A f dλn oder A f(x) dλn (x). Bemerkung 12. Für f : D R und A D sind f A L 1 (R n ) und 1 A f L 1 (D) äquivalent, und ggf. gilt f dλ n = 1 A f dλ n. Satz 13. Für a, b R mit a < b und f R([a, b]) gilt b f(x) dx = f dλ 1. A a Beweis. Mit den Bezeichnungen aus dem Beweis von Satz 5 gilt b a D f(x) dx = lim k siehe Korollar V Andererseits gilt f dλ 1 = lim k [a,b] Schließlich sichert Satz 1.13.(iv), daß b f k (x) dx = a [a,b] b a [a,b] [a,b] f k (x) dx, f k dλ 1. f k dλ 1. Beispiel 14. In der Situation von Beispiel 6 gilt f dλ n λ n (Q) = lim f(x Q k k n m,k ). m M k Vgl. Satz V.1.24 (Riemann-Summen) und Beispiel V Speziell für Q = [0, 1] 2 und f(x, y) = x y erhält man so daß Literatur. [K, 7.3]. 1 k 2 k k m 1 =1 m 2 =1 (m 1 1/2) (m 2 1/2) k 2 = 1/4, [0,1] 2 x y dλ 2 (x, y) = 1/4.

269 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien Im Folgenden sei D R n. Beispiel 1. Seien D = R und f k = k 1 ]0,1/k] T (R) für k N. Dann gilt lim k f k (x) = 0 für alle x R, aber 0 = lim f k dλ 1 lim f k dλ 1 = 1. k k Monotone Konvergenz Satz 2 (B. Levi). Seien (f k ) k eine Folge in L 1 (D) und f : D R, so daß (i) lim k f k (x) = f(x) für alle x D, (ii) k N : f k f k+1. Dann gilt und ggf. f L 1 (D) sup f k dλ n < k D D f dλ n = lim k D f k dλ n. Beweis. Siehe Vorlesung Maß- und Integrationstheorie sowie Übung 12.3.b. Bemerkung 3. Vergleiche Satz 2 und Beispiel IX Beispiel 4. Für α > 0 und x ]0, [ sei f(x) = x α. Gemäß Satz 2.5 (Riemann- und Lebesgue-Integrierbarkeit) gilt 5 f L 1 ([1, k]) für alle k 2, und Satz 2.13 (Riemann- und Lebesgue-Integral) zeigt k f 1 [1,k] dλ 1 = f dλ 1 = x α dx. [1, [ Falls α = 1, folgt f 1 [1, [ [1,k] dλ 1 = ln(k), und andernfalls gilt f 1 [1,k] dλ 1 = 1 1 α (k α+1 1 ). [1, [ Satz 2 zeigt, daß f L 1 ([1, [) äquivalent zu α > 1 ist und daß in diesem Fall f dλ 1 = 1 α 1 [1, [ [1,k] gilt. Analog zeigt man, daß f L 1 (]0, 1]) äquivalent zu 0 < α < 1 ist und daß in diesem Fall f dλ 1 = 1 1 α gilt. 5 Wir schreiben nachlässigerweise f L 1 ([1, k]) statt f [1,k] L 1 ([1, k]). ]0,1] 1

270 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 266 Satz 5. Seien (D k ) k eine Folge von Teilmengen von D und f : D R, so daß (i) D k D k+1 für alle k N und D = k=1 D k, (ii) f L 1 (D k ) für alle k N. Dann gilt und ggf. f L 1 (D) sup f dλ n < k D k D f dλ n = lim k D k f dλ n. Beweis. Gelte f L 1 (D). Es folgt f L 1 (D), und wegen (ii) gilt auch f L 1 (D k ), siehe Satz 2.3.(ii). Satz 2, angewandt auf (1 Dk f ) k, zeigt sup k D k f dλ n <. Gelte sup k D k f dλ n <. Aus (ii) folgt f, f +, f L 1 (D k ), siehe Satz 2.3.(ii) und Bemerkung Ferner gilt sup k D k f + dλ n < und sup k D k f dλ n <. Satz 2, angewandt auf (1 Dk f + ) k und (1 Dk f ) k, zeigt f +, f L 1 (D) sowie f + dλ n = sup f + dλ n k D k und D D f dλ n = sup f dλ n. k D k Wende Korollar 2.4 (Integrierbarkeit von Positiv- und Negativteil) an, um f L 1 (D) und f dλ n = f + dλ n f dλ n = lim D D D k f + dλ n lim D k k f dλ n D k = lim f dλ n k D k zu erhalten. Integrierbare Mengen Bemerkung 6. Für A Q n gilt λ n (A) = 1 A dλ n. Definition 7. A R n heißt 6 integrierbar, falls 1 A L 1 (R n ). Ggf. heißt λ n (A) = 1 A dλ n das Lebesgue-Maß von A. Notation: I(R n ) bezeichnet die Menge der integrierbaren Teilmengen von R n. 6 [K] spricht von meßbaren Mengen, was nicht der üblichen Terminologie der Maßtheorie entspricht.

271 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 267 Satz 8. Für A, B I(R n ) gilt A B, A B, A \ B I(R n ) sowie Falls überdies B A, gilt λ n (A B) = λ n (A) + λ n (B) λ n (A B). λ n (A \ B) = λ n (A) λ n (B). Beweis. Verwende 1 A B = 1 A 1 B, 1 A B = 1 A +1 B 1 A B und 1 A\B = 1 A 1 A B sowie Satz 2.3 (Abschlußeigenschaften von L 1 (R n )) zum Nachweis der Integrierbarkeit. Die weiteren Aussagen folgen mit der Linearität des Integrals. Satz 9. Sei (A k ) k eine Folge in I(R n ) mit k N : A k A k+1. Für A = k=1 A k ist sup k λ n (A k ) < äquivalent zu A I(R n ), und ggf. gilt λ n (A) = lim k λ n (A k ). Beweis. Verwende Satz 2 mit f = 1 A und f k = 1 Ak. Korollar 10. Sei (A k ) k eine Folge paarweise disjunkter Mengen in I(R n ). Für A = k N A k ist die Konvergenz von k=1 λn (A k ) äquivalent zu A I(R n ), und ggf. gilt λ n (A) = λ n (A k ). k=1 Beweis. Setze B k = k l=1 A l, Induktiv folgt mit Satz 8, daß B k I(R n ) mit λ n (B k ) = k l=1 λn (A l ) ist. Wende Satz 9 auf (B k ) k an. Bemerkung 11. Seien D R n, A I(R n ) mit A D und f L 1 (D). Dann gilt 1 A f L 1 (D), siehe Satz 2.3.(iii). (i) Falls λ n (A) > 0, bezeichnet man 1/λ n (A) A f dλn als den Mittelwert von f über A. (ii) Falls f 0 und D f dλn = 1, bezeichnet man f als Wahrscheinlichkeitsdichte und A f dλn als Wahrscheinlichkeit von A bzgl. f. Integrabilitätskriterien Satz 12. Sei D R n offen und beschränkt, und sei f : D R beschränkt und stetig. Dann gilt f L 1 (D). Insbesondere gilt D I(R n ). Beweis. Es genügt den Fall f 0 zu betrachten, siehe Korollar 2.4 (Integrierbarkeit von Positiv- und Negativteil).

272 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 268 Betrachte die Supremumsnorm auf R n. Sei M die Menge aller abgeschlossenen Kugeln B r (x) mit r ]0, [ Q und x Q n, die B r (x) D erfüllen. Da M abzählbar ist, existiert eine Bijektion M : N M. Sei k N. Definiere g k T (R n ) durch und f k : R n R durch g k = min x M k f(x) 1 Mk f k = max(g 1,..., g k ). Da f k+1 = max(f k, g k+1 ), gilt offenbar f k f k+1, und k N : f k T (R n ) ergibt sich per Induktion aus Bemerkung Sei x D. Offenbar gilt f k (x) f(x). Wir zeigen lim k f k (x) f(x) ε für alle ε > 0. Wähle δ > 0, so daß B δ (x) D und 7 f(z) f(x) ε für alle z B δ (x). Wähle r Q mit 0 < r < δ/2 und y Q n, so daß x B r (y). Dann folgt B r (y) B δ (x) und weiter min f(z) f(x) ε. z B r(y) Wähle Q Q n mit D Q und setze c = sup x D f(x). Da f k (x) = 0 für x D c, gilt f k c 1 Q, woraus D f k dλ n c λ n (Q) folgt. Wende Satz 2 an. Satz 13. Sei D R n kompakt, und sei f : D R stetig. Dann gilt f L 1 (D). Insbesondere ist D integrierbar. Beweis. Da D abgeschlossen ist, existiert eine stetige Funktion g : R n R mit g D = f, siehe [K, S. 24] oder Tutorium 9.3. Sei Q Q n offen mit D Q. Setze h = g Q. Dann ist h beschränkt, und Satz 12 sichert h Q, 1 Q\D L 1 (R n ). Schließlich gilt f D = h Q h Q 1 Q\D. Wende Satz 2.3 (Abschlußeigenschaften von L 1 (R n )) an. Majorisierte Konvergenz Satz 14 (Lebesgue). Seien f : D R und g L 1 (D), und sei (f k ) k eine Folge in L 1 (D), so daß (i) lim k f k (x) = f(x) für alle x D, (ii) k N : f k g. Dann konvergiert ( f D k dλ n), und es gilt f k L1 (D) sowie f dλ n = lim f k dλ n. k Beweis. Siehe Vorlesung Maß- und Integrationstheorie. Bemerkung 15. Vergleiche Satz 14 und Beispiel IX D 7 Diese Eigenschaft heißt Unterhalbstetigkeit von f in x; sie genügt zum Beweis des Satzes. D

273 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 269 Parameterabhängige Integrale Im Folgenden seien D R n und U R m sowie f : U D R, und es gelte x U : f(x, ) L 1 (D). (1) Definiere F : U R durch 8 F (x) = f(x, y) dλ n (y). D Beispiel 16. Für g L 1 (R n ) und x, y R n sei f(x, y) = g(y) cos( x, y ). Wir zeigen (1). Setze B k = {y R n : y 2 k} sowie h k (x, y) = cos( x, y ) 1 Bk (y) für k N. Satz 13 sichert h k (x, ) L 1 (R n ), und mit Satz 2.3.(iii) ergibt sich g h k (x, ) L 1 (R n ). Da lim k g(y) h k (x, y) = f(x, y) und g h k (x, ) g L 1 (R n ), folgt f(x, ) L 1 (R n ) mit Satz 14. Analog zeigt man g sin( x, ) L 1 (R n ). Die durch ( ) 1 F (x) = (2π) g(y) cos( x, y ) dλ n (y) ı g(y) sin( x, y ) dλ n (y) n/2 R n R n definierte Funktion F : R n C heißt die 9 Fourier-Transformierte von g und wird mit ĝ bezeichnet. Es gilt insbesondere ĝ(0) = 1 (2π) g(y) dλ n (y). n/2 R n Für n = 1 und g = 1 [ 1,1] ergibt sich im Fall x 0 Satz 17. Gelte sowie ĝ(x) = 1 1 [ 1,1] (y) cos(x y) dλ 1 (y) = 1 1 cos(x y) dy 2π R 2π 1 = 2/π sin(x) x. Dann ist F stetig. y D : f(, y) C(U) h L 1 (D) (x, y) U D : f(x, y) h(y). 8 Integrale dieser Form heißen parameterabhängige Integrale, kurz Parameterintegrale. 9 Als Integral einer komplexwertigen Funktion ist ĝ(x) = 1 (2π) n/2 R n g(y) exp( ı x, y ) dy.

274 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 270 Beweis. Für x U sei (x k ) k eine Folge in U mit lim k x k = x. Definiere f k : D R durch f k (y) = f(x k, y). Dann gilt lim k f k (y) = f(x, y) für alle y D sowie f k h. Satz 14 zeigt F (x) = lim f k (y) dλ n (y) = lim f k (y) dλ n (y) = lim F (x k ). k k k D D Bemerkung 18. Satz 17 zeigt die Stetigkeit der Fourier-Transformierten jeder Funktion aus L 1 (R n ). Satz 19. Sei U offen, und gelte sowie y D : f(, y) C 1 (U) h L 1 (D) (x, y) U D j {1,..., m} : ( j f)(x, y) h(y). Dann ist F stetig differenzierbar, und es gilt ( j f) (x, ) L 1 (D) sowie ( j F ) (x) = ( j f) (x, y) dλ n (y) für j {1,..., m} und x U. D Beweis. Seien x U und U U eine offene konvexe Umgebung von x, und sei (e 1,..., e m ) die Standardbasis von R m. Betrachte eine Folge (ξ k ) k in R \ {0} mit lim k ξ k = 0 und x + ξ k e j U. Definiere f k : D R durch f k (y) = f (x + ξ k e j, y) f(x, y) ξ k. Dann gilt f k L 1 (D) und lim k f k (y) = ( j f) (x, y) für alle y D. Ferner gilt f k h, siehe Satz IV.2.7 (Mittelwertsatz der Differentialrechnung), sowie f k (y) dλ n (y) = F (x + ξ k e j ) F (x). ξ k D Satz 14 zeigt die Existenz der j-ten partiellen Ableitung von F in x sowie ( j f) (x, ) L 1 (D) und ( j f) (x, y) dλ n (y) = lim f k (y) dλ n (y) = ( j F )(x). k D Die Stetigkeit von j F folgt nun mit Satz 17, angewandt auf j f. D

275 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 271 Beispiel 20. In der Situation von Beispiel 16 gilt ( j f)(x, y) = g(y) y j sin( x, y ) für x, y R n. Gelte überdies g j L 1 (R n ) für j {1,..., n}, wobei g j (y) = y j g(y). Satz 19 und die Überlegungen aus Beispiel 16 zeigen: ĝ ist stetig differenzierbar, und es gilt j ĝ = i ĝ j. Beispiel 21. Für x, y ]0, [ sei sowie h(y) = sin(y) y f(x, y) = exp( x y) h(y). Wir zeigen (1). Da h stetig ist und lim y 0 h(y) = 1 sowie lim y h(y) = 0, ist h beschränkt, so daß f(x, y) c exp( x y) mit c = sup y ]0, [ h(y). Sei k N. Satz 12 zeigt f(x, ) 1 ]0,k[ L 1 (]0, [), und wie in Übung 12.2 zeigt man exp( x ) L 1 (]0, [). Mit Satz 14 folgt (1) und f(x, y) dλ 1 (y) = lim f(x, y) dλ 1 (y). k ]0, [ Offenbar ist f stetig differenzierbar mit Sei U = ]δ, [ mit δ > 0. Dann gilt ]0,k[ ( 1 f) (x, y) = y f(x, y) = exp( xy) sin(y). ( 1 f) (x, y) exp( δ y) für alle x U und y ]0, [. Somit ist Satz 19 anwendbar, und man erhält F (x) = exp( x y) sin(y) dλ 1 (y) ]0, [ = lim exp( x y) sin(y) dλ 1 (y) k ]0,k[ mittels Satz 14. Schließlich gilt exp( x y) sin(y) dλ 1 (y) = ]0,k[ = [0,k] k 0 exp( x y) sin(y) dλ 1 (y) exp( x y) sin(y) dy = exp( xy) (cos(y) + x sin(y) ) k. 1 + x 2 0

276 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 272 Fazit: für alle x ]0, [ gilt F (x) = x 2. Somit existiert c R, so daß für alle x ]0, [ Satz 14 zeigt lim x F (x) = 0, d.h. für alle x ]0, [. F (x) = c arctan(x). F (x) = π/2 arctan(x) Nullmengen Im Folgenden seien A R n und f, g : R n R. Bemerkung 22. f H(R n ) f 1 = 0 f L 1 (R n ) f dλ n = 0. Beweis: Verwende Satz 2.10.(i) und 0 T (R n ). Definition 23. A heißt Nullmenge, falls A I(R n ) mit λ n (A) = 0. Lemma 24. (i) A Nullmenge 1 A H(R n ) 1 A 1 = 0. (ii) A ist genau dann eine Nullmenge 10, falls für alle ε > 0 eine Folge (Q k ) k N offener Quader aus Q n existiert, so daß A Q k k=1 λ n (Q k ) ε. k=1 (iii) Teilmengen von Nullmengen sind Nullmengen. (iv) Abzählbare Vereinigungen von Nullmengen sind Nullmengen. Insbesondere sind abzählbare Mengen Nullmengen. Beweis. ad (i): Dies ist Bemerkung 22 für f = 1 A. ad (ii): Verwende (i), und beachte, daß 1 A k=1 1 Q k, falls 1 A k=1 c k1 Qk mit c k 0. ad (iii), (iv): folgt unmittelbar aus (ii). Bemerkung 25. Es existieren überabzählbare Nullmengen in R, siehe Tutorium 6.1. Lemma 26. Seien A eine Nullmenge und h : A R n Lipschitz-stetig. Dann ist h(a) eine Nullmenge. 10 Dies zeigt im Fall n = 1 die Konsistenz mit Definition IV.2.23.

277 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 273 Beweis. Betrachte die Supremumsnorm auf R n. Sei ε > 0. Dann existieren eine Folge (x k ) k R n und eine Folge (r k ) k in ]0, [ mit A Q k k=1 λ n (Q k ) ε k=1 für Q k = B rk (x k ). Ferner existiert L > 0 mit x, y A : h(x) h(y) L x y. Setze P k =, falls A Q k =. Andernfalls wähle man y k A Q k und setze P k = B 2Lrk (h(y k )). Es folgt h(a Q k ) P k und Fazit: und λ n (P k ) = (4Lr k ) n = (2L) n λ n (Q k ). h(a) = h(a Q k ) k=1 k=1 λ n (P k ) (2L) n ε. k=1 P k Beispiel 27. Sei A ein affiner Unterraum der Dimension m < n. Wir zeigen, daß A eine Nullmenge ist. Betrachte den nicht-trivialen Fall m 1. Dann existieren eine linear unabhängige Familie (v 1,..., v m ) in R n und u R n mit { m } A = u + x i v i : x 1,..., x m R. Für h : R n R n, definiert durch h(x) = u + m i=1 x iv i, ergibt sich i=1 A = h(r m {0} n m ) = Wende die Lemmata 24.(iv) und 26 an. h([ k, k] m {0} n m ). k=1 Definition 28. Sei E eine Eigenschaft, die jedem Punkt aus R n entweder zukommt oder nicht. Dann gilt E fast überall (für fast alle Punkte aus R n ), falls die Menge aller Punkte aus R n, die die Eigenschaft E nicht besitzen, eine Nullmenge ist. Satz 29. Es gilt f = 0 fast überall f L 1 (R n ) f dλ n = 0.

278 XI.3. Grenzwertsätze und Integrabilitätskriterien 274 Beweis. : Die Mengen A k = {x R n : k 1 < f(x) k} mit k N sind als Teilmengen von {x R n : f(x) > 0} Nullmengen. Sei ε > 0. Gemäß Lemma 24.(ii) existieren Folgen (Q k,l ) l N offener Quader aus Q n mit A k Q k,l l=1 λ n (Q k,l ) l=1 ε k 2 k. Da f = 1 Ak f k=1 k 1 Ak k=1 k 1 Qk,l, k,l=1 folgt f H(R n ) mit f 1 = 0. Wende Bemerkung 22 an. : Für A k = {x R n : f(x) 1/k} mit k N gilt 1 Ak k f, woraus 1 Ak H(R n ) und 1 Ak 1 = 0 mit Lemma 1.20.(ii) Satz 2.10.(i) folgt. Ferner gilt Wende Lemma 24.(i) und (iv) an. {x R n : f(x) 0} = A k. Satz 30. Sei f L 1 (R n ) und gelte f = g fast überall. Dann gilt g L 1 (R n ) und g dλ n = f dλ n. k=1 Beweis. Satz 29 zeigt f g L 1 (R n ) und f g dλ n = 0. Es folgt g L 1 (R n ) sowie f dλ n g dλ n f g dλ n = 0. Ausblick 31. Die Banach-Räume L p (D). Bemerkung 32. Seien h : D R und A, B D. (i) Falls A eine Nullmenge ist, gilt 1 A h L 1 (D) und A h dλn = 0. Beweis: Es gilt h A = 0 fast überall. Wende Satz 29 an. (ii) Falls A B eine Nullmenge ist und 1 A f, 1 B f L 1 (D), gilt 1 A B f L 1 (D) und f dλ n = f dλ n + f dλ n. A B A Beweis: Es gilt (1 A + 1 B ) f = 1 A f + 1 B f L 1 (D) und 1 A + 1 B = 1 A B fast überall. Wende Satz 30 an. B

279 XI.4. Iterierte Integration 275 Bemerkung 33. Die Integrationstheorie wird in der Regel für Funktionen f, die auch den Wert, siehe [K], bzw. die Werte und annehmen können, entwickelt. Für integrierbare Funktionen dieser Form gilt: (i) {x R n : f(x) {, }} ist eine Nullmenge, (ii) es existiert eine integrierbare Funktion g : R n R, so daß f = g fast überall und (demzufolge) f dλ n = g dλ n. Literatur. [K, , ]. 4 Iterierte Integration Bemerkung 1. Sei Q = n j=1[a j, b j ] Q n mit a j < b j, und sei f : Q R stetig. Die Sätze 2.13 (Riemann- und Lebesgue-Integral) und 3.17 (Stetigkeit von Parameterintegralen) zeigen, daß durch (x 2,..., x n ) b1 a 1 f(x 1,..., x n ) dx 1 eine stetige Funktion von [a 2, b 2 ] [a n, b n ] nach R definiert wird. Induktiv folgt, daß das iterierte Integral bn a n... b1 a 1 f(x 1,..., x n ) dx 1... dx n wohldefiniert ist. Dies gilt ebenso für jede andere Integrationsreihenfolge. Beispiel 2.6 bzw. Satz 3.13 zeigt f L 1 (Q). Übung 13.1 zeigt (im Fall Q = [0, 1] 2 ) [0,1] 2 f dλ 2 = Beispiel 2. Betrachte die durch f(x, y) = xy + y 2 f(x 1, x 2 ) dx 1 dx 2. definierte stetige Funktion f : [0, 1] 2 R. Es gilt f L 1 ([0, 1] 2 ) sowie f(x, y) dx dy = 1 0 ( y/2 + y 2 ) dy = 7/12 und 1 1 f(x, y) dy dx = (x/2 + 1/3) dx = 7/12. Bemerkung 1 zeigt f dλ 2 = 7/12. [0,1] 2 Im Folgenden seien k, m N sowie X R k und Y R m. Setze n = k+m.

280 XI.4. Iterierte Integration 276 Satz 3 (Fubini). Sei f L 1 (X Y ). Dann existiert eine Nullmenge A Y mit folgenden Eigenschaften: (i) Es gilt y Y \ A : f(, y) L 1 (X). (ii) Für F : Y R, definiert durch { X F (y) = f(x, y) dλk (x), falls y Y \ A, 0, falls y A, gilt F L 1 (Y ) sowie X Y f dλ n = Y F dλ m. Beweis. Siehe Vorlesung Maß- und Integrationstheorie. Bemerkung 4. Satz 3 gilt analog, wenn man zuerst über Y integriert. Man verwendet anstelle von (ii) die suggestive Schreibweise f(x, y) dλ n (x, y) = f(x, y) dλ k (x) dλ m (y) X Y Y X = f(x, y) dλ m (y) dλ k (x). Induktiv erhält man für X 1,..., X n R, f L 1 (X 1 X n ) und σ S n f dλ n = X 1 X n... X σ(n) f(x 1,..., x n ) dλ 1 (x σ(1) )... dλ n (x σ(n) ). X σ(1) Beispiel 5. Für X D = {(x, y) R 2 : x 2 + y 2 1} sei f : D R stetig. Dann gilt f L 1 (D), siehe Satz Für f : [ 1, 1] 2 R, definiert durch { f(x, y), falls (x, y) D, f(x, y) = 0, falls (x, y) [ 1, 1] 2 \ D, Y folgt f L 1 ([ 1, 1] 2 ). Satz 3 sichert f dλ 2 = f dλ 2 = D [ 1,1] 2 [ 1,1] [ 1,1] f(x, y) dλ 1 (y) dλ 1 (x). Für x [ 1, 1] sei g(x) = 1 x 2. Dann gilt f(x, y) dλ 1 (y) = f(x, y) dλ 1 (y) = g(x) [ 1,1] [ g(x),g(x)] g(x) f(x, y) dy.

281 XI.4. Iterierte Integration 277 Speziell für f = 1 ergibt sich λ 2 (D) = 2g(x) dλ 1 (x) = 4 1 [ 1,1] 0 1 x2 dx. Da b für 0 < b < 1, folgt mit Satz 3.14 (majorisierte Konvergenz). 0 g(x) dx = 1/2 (x 1 x 2 + arcsin(x) ) b 0 λ 2 (D) = π Korollar 6. Für n 2 sei A R n kompakt. Setze 11 sowie Dann gilt λ n (A) = R A y = {x R n 1 : (x, y) A}, y R, A x = {y R : (x, y) A}, x R n 1. λ n 1 (A y ) dλ 1 (y) = λ 1 (A x ) dλ n 1 (x). R n 1 Beweis. Mit A ist auch A y für jedes y R kompakt, und Satz 3.13 sichert die Integrierbarkeit dieser Mengen. Ferner gilt 1 A (x, y) = 1 Ay (x). Wende Satz 3 mit X = R n 1, Y = R und f = 1 A an. Die zweite Teilaussage zeigt man analog. Beispiel 7. Für n 2 seien D R n 1 kompakt und g : D R stetig. Für den Graphen A = {(x, g(x)) R n : x D} von g gilt: A ist kompakt und A x = { {g(x)}, falls x D,, sonst, weshalb A eine Nullmenge ist. Beispiel 8. Sei A = R Q. Da A = q Q k N [ k, k] {q}, ist A eine Nullmenge und somit integrierbar. Es gilt A y = R, falls y Q, sowie A y =, falls y Q, so daß A y nicht für alle y R integrierbar ist. Beispiel 9. Für X = Y = ]0, 1] sei f : X Y R definiert durch f(x, y) = 11 Diese Notation ist weitverbreitet, aber mangelhaft. x y (x + y) 3.

282 XI.5. Die Transformationsformel 278 Die Sätze 3.12 und 3.30 zeigen f(, y), f(x, ) L 1 (]0, 1]) für alle x, y ]0, 1]. Für 0 < a < 1 gilt so daß [a,1] f(x, y) dλ 1 (x) = ]0,1] 1 a x y (x + y) dx = x 1, 3 (x + y) 2 a f(x, y) dλ 1 (x) = 1 (1 + y) 2 mit Satz 3.14 (majorisierte Konvergenz) folgt. Man erhält ]0,1] ]0,1] und aus Symmetriegründen 1 f(x, y) dλ 1 (x) dλ 1 1 (y) = dy = 1/2 0 (1 + y) 2 ]0,1] ]0,1] f(x, y) dλ 1 (y) dλ 1 (x) = 1/2. Definition 10. Für f : X R und g : Y R heißt f g : X Y R, definiert durch das Tensorprodukt von f und g. f g (x, y) = f(x) g(y), x X, y Y, Satz 11. Für f L 1 (X) und g L 1 (Y ) gilt f g L 1 (X Y ) und f g dλ n = f dλ k g dλ m. X Y Beweis. Siehe [K, S. 291] zum Beweis der Integrierbarkeit. Damit ist Satz 3 anwendbar. Literatur. [K, 7.4, 7.5, 8.5]. X Y 5 Die Transformationsformel Translationsinvarianz Im Folgenden sei a R n, und g : R n R n sei definiert durch g(x) = x + a. Satz 1. Für f : R n R sind f L 1 (R n ) und f g L 1 (R n ) äquivalent, und ggf. gilt f dλ n = f g dλ n.

283 XI.5. Die Transformationsformel 279 Beweis. Die Behauptung gilt offenbar für f = 1 Q mit Q Q n, und damit auch für f T (R n ). Ebenso erhält man h 1 = h g 1 für alle h : R n R. Sei f L 1 (R n ). Wähle eine Folge (f k ) k in T (R n ) mit lim k f f k 1 = 0. Es folgt f k g T (R n ) sowie lim k f g f k g 1 = 0. Somit gilt f g L 1 (R n ) und f g dλ n = lim f k dλ n = f dλ n. k Falls f g L 1 (R n ) folgt mit dem bereits Bewiesenen, daß f = f g g 1 L 1 (R n ). Korollar 2. Für A R n sind A I(R n ) und g 1 (A) I(R n ) äquivalent, und ggf. gilt λ n (A) = λ n (g 1 (A)). Beweis. Es gilt 1 A g = 1 g 1 A. Wende Satz 1 mit f = 1 A an. Das Volumen von Parallelotopen Im Folgenden seien D, D R n. Wir wählen eine Norm auf R n und betrachten die induzierten Metriken auf D und D samt den zugehörigen Mengen offener Mengen. Lemma 3. Seien D, D R n und g : D D stetig und bijektiv mit stetiger Inversen g 1. Für A D gilt g(å) = (g(a)) und g( A) = (g(a)). Beweis. Es gilt g(a) = (g 1 ) 1 (A). Somit ist g(a) offen, falls A offen ist, siehe Satz IX.2.31 (Charakterisierung stetiger Abbildungen). Im allgemeinen gilt g(å) g(a), woraus g(å) (g(a)) folgt. Ebenso ergibt sich g 1( (g(a)) ) A und zusammenfassend g(å) = (g(a)). Man erhält g ( ( A) c) = g ( Å (A c ) ) = (g(a)) (g(a c )) = (g(a)) ( (g(a)) c) = ( g(a)) c. Lemma 4. Es existiert höchstens eine Abbildung Λ : R n n R mit folgenden Eigenschaften für alle a 1,..., a n R n, c R und k, j {1,..., n} mit k j: (i) Λ(a 1,..., a k 1, ca k, a k+1,..., a n ) = c Λ(a 1,..., a n ), (ii) Λ(a 1,..., a k 1, a k + a j, a k+1,..., a n ) = Λ(a 1,..., a n ), (iii) Λ(e 1,..., e n ) = 1 für die Standardbasis (e 1,..., e n ) von R n.

284 XI.5. Die Transformationsformel 280 Beweis. Schließe wie im Beweis von Satz VII Satz 5. Sei g : R n R n linear. Für Q Q n gilt g(q) I(R n ) und Beweis. Sei λ n (g(q)) = det g λ n (Q). { n } P (a 1,..., a n ) = c j a j : c 1,..., c n [0, 1] j=1 das von 0, a 1,..., a n R n aufgespannte Parallelotop. Diese Menge ist kompakt und somit integrierbar. Man zeigt, daß die durch (a 1,..., a n ) λ n (P (a 1,..., a n )) definierte Abbildung die Eigenschaften (i) (iii) aus Lemma 4 besitzt, siehe [K, S. 261]. Dies gilt ebenso für (a 1,..., a n ) det(a 1,..., a n ). Lemma 4 sichert λ n (P (a 1,..., a n )) = det(a 1,..., a n ) (1) für alle a 1,..., a n R n. Vgl. Bemerkung VII.1.9. Sei Q Q n. Im Fall det g = 0 ist g(q) in einem Unterraum der Dimension n 1 enthalten, so daß λ n (g(q)) = 0, siehe Beispiel Betrachte den Fall det g 0. Der Rand Q ist in der Vereinigung von endlich-vielen affinen Unterräumen der Dimension n 1 enthalten und somit eine Nullmenge, Die Lemmata 3.26 und 3 sichern, daß auch g(q) = g( (Q)) eine Nullmenge ist. Es genügt also einen kompakten Quader Q zu betrachten. Wir können darüber hinaus Q = n j=1[0, b j ] annehmen, wie Satz 1 zeigt. Sei (e 1,..., e n ) die Standardbasis von R n. Dann gilt woraus mit (1) die Behauptung folgt. g(q) = P ((b 1 g(e 1 ),..., b n g(e n ))), Der allgemeine Fall Im Folgenden seien D, D R n offen und g : D D ein Diffeomorphismus. Lemma 6. Für jede Nullmenge A D ist g(a) eine Nullmenge. Beweis. Fixiere eine Norm auf R n, und betrachte die Menge M aller abgeschlossenen Kugeln B r (x) mit r ]0, [ Q und x Q n, die B r (x) D erfüllen. Diese Menge ist abzählbar, und es gilt D = M M M. Sei M M. Dann ist g M Lipschitz-stetig, siehe Korollar X.2.14 (zum Mittelwertsatz), so daß g(a M) eine Nullmenge ist, siehe Lemma Beachte, daß g(a) = M M g(a M). Lemma 7. Sei A D kompakt, und sei 12 A eine Nullmenge. Dann gilt ( ) ( ) min det (Dg)(x) λ n (A) λ n (g(a)) max det (Dg)(x) λ n (A). x A 12 Es existieren kompakte Mengen A [0, 1] mit λ 1 (A) > 0 und Å =, siehe [A, Bsp. 4.2] und vgl. Tutorium6.1. x A

285 XI.5. Die Transformationsformel 281 Beweis. Siehe [K, S. 301]; hier geht Satz 5 ein. Lemma 8. Für Q Q n mit Q D gilt det(dg) L 1 (g 1 (Q)) und λ n (Q) = det(dg) dλ n. g 1 (Q) Beweis. Setze B = Q \ Q. Offenbar gilt Q = Q B und Q B =. Da B Q und Q eine Nullmenge ist, ist B eine Nullmenge, und es gilt λ n (Q) = λ n (Q). Ferner ist auch g 1 (B) eine Nullmenge, siehe Lemma 6, und es folgt det(dg) L 1 (g 1 (B)) sowie det(dg) dλ n = 0 g 1 (B) siehe Bemerkung 3.32.(i). Da g 1 (Q) kompakt ist, siehe Satz IX.3.10, folgt det(dg) L 1 (g 1 (Q)) mit Satz Zusammenfassend erhält man det(dg) L 1 (g 1 (Q)) und det(dg) dλ n = det(dg) dλ n, g 1 (Q) g 1 (Q) weshalb wir im Folgenden annehmen können, daß Q kompakt ist. Setze und beachte, daß ϕ(x) = 1 ( det (Dg 1 )(x) ), x D, ϕ(g(y)) = det ( (Dg)(y) ), y D. Sei ε > 0. Da die Einschränkung von ϕ auf Q gleichmäßig stetig ist, existieren k N und kompakte Quader Q 1,..., Q k Q n mit (i) Q = k l=1 Q l, (ii) λ n (Q l Q l ) = 0 für l, l {1,..., k} mit l l, (iii) max x Ql ϕ(x) min x Ql ϕ(x) ε. Die Mengen A l = g 1 (Q l ) sind kompakt, also integrierbar, und es gilt λ n (A l A l ) = 0 für l, l wie oben, siehe Lemma 6. Man erhält λ n (Q) = k λ n (Q l ) l=1 und g 1 (Q) det(dg) dλ n = k l=1 A l det(dg) dλ n,

286 XI.5. Die Transformationsformel 282 siehe Bemerkung 3.32.(ii). Ferner gilt λ n (A l ) min ϕ(x) det(dg) dλ n λ n (A l ) max ϕ(x). x Q l A x Q l l Lemma 7 sichert λ n (A l ) min x Q l ϕ(x) λ n (Q l ) λ n (A l ) max x Q l ϕ(x). Es folgt und weiter det(dg) dλ n λ n (Q l ) ε λn (A l ) A l g 1 (Q) det(dg) dλ n λ n (Q) ε λn (g 1 (Q)). Satz 9. (i) Für f : D R gilt f L 1 (D ) f g det(dg) L 1 (D) sowie ggf. (ii) Für A D gilt sowie ggf. f dλ n = D D f g det(dg) dλ n. A I(R n ) det(dg) L 1 (g 1 (A)) λ n (A) = det(dg) dλ n. g 1 (A) Beweis. Die Behauptungen folgen aus Lemma 8 mit allgemeinen Resultaten der Vorlesung Maß- und Integrationstheorie. Im Folgenden sei für r 0 sowie K n (r) = {x R n : x 2 r} κ n = λ n (K n (1)). Beispiel 10. Es gilt κ 1 = 2 und κ 2 = π, siehe Beispiel 4.5, und für n 3 zeigt Korollar 4.6 (zum Satz von Fubini) κ n = λ n 1( ( K )) n 1 1 y 2 dλ 1 (y). [ 1,1] Definiere g : R n 1 R n 1 durch g(x) = 1 y 2 x. Sei y [ 1, 1]. Es gilt g 1 (K n 1 ( 1 y 2 )) = K n 1 (1),

287 XI.5. Die Transformationsformel 283 und Satz 9.(ii) zeigt Man erhält mit Für k N gilt λ n 1( K n 1 ( 1 y 2 )) = (1 y 2 ) (n 1)/2 κ n 1. c n = 1 c 2k = π 1 κ n = c n κ n 1 (1 y 2 ) (n 1)/2 dy = k l=1 2l 1 2l π 0, c 2k+1 = 2 siehe [Fo1, S. 227]. Es folgt c n c n 1 = 2π/n und damit sin n (y) dy. k l=1 2l 2l + 1, κ n = 2π n κ n 2, n 3. Beispiel 11. Für r > 0 und K = K 3 (r) sei ρ : [0, r] R stetig. Ferner sei x R 3 \K. Dann definiert y ρ( y 2 )/ x y 2 eine stetige und somit integrierbare Funktion auf K. Setze ρ( y 2 ) u(x) = dλ 3 (y). x y 2 Dann zeigt Satz 9.(i) für jede orthogonale Abbildung g : R 3 R 3 Polarkoordinaten u(g(x)) = K K ρ( g 1 (y) 2 ) g(x) g(g 1 (y)) 2 dλ 3 (y) = u(x). Im Folgenden sei n 2. Definiere P 2 : R 2 R 2 durch ( ) r cos(α) P 2 (r, α) = r sin(α) sowie P n : R n R n für n 3 rekursiv durch ( ) cos(αn 1 ) P P n (r, α 1,..., α n 1 ) = n 1 (r, α 1,..., α n 2 ). r sin(α n 1 ) Beispiel 12. Für r, α 1, α 2 R gilt cos(α 1 ) cos(α 2 ) P 3 (r, α 1, α 2 ) = r sin(α 1 ) cos(α 2 ). sin(α 2 ) Hier beschreiben α 1 und α 2 die geographische Länge bzw. Breite.

288 XI.5. Die Transformationsformel 284 Konvention: Für Mengen A und B sei A B 0 = A; ferner sei k 1 j=k a j = 1 für k N. Setze Π n = ] π, π[ ( ] π/2, π/2[ ) n 2 sowie Ferner seien und Lemma 13. S n = {(x 1, 0, x 3,..., x n ) R n : x 1 0}. h n (r) = r n 1, r [0, [, n 1 C n (α) = cos j 1 (α j ), α R n 1. j=2 (i) Für r [0, [ und α R n 1 gilt P n (r, α) 2 = r. (ii) Für r [0, [ und α R n 1 gilt det ( (DP n )(r, α) ) = h n (r) C n (α). (iii) P n bildet ]0, [ Π n diffeomorph auf R n \ S n ab. Beweis. ad (i): Induktion. ad (ii): Induktion, siehe [K, S. 94]. ad (iii): Wir zeigen zunächst induktiv, daß die Einschränkung von P n auf ]0, [ Π n eine Bijektion zwischen dieser Menge und R n \ S n definiert. Für n = 2 folgt dies aus Satz III.5.18 (Polarkoordinaten) und cos(x π) = cos(x) sowie sin(x π) = sin(x) für x R. Seien n 3 und x R n \ S n. Für r = x 2 gilt r > 0 sowie x n /r < 1. Setze α n 1 = arcsin(x n /r) ] π/2, π/2[ sowie x = (x 1,..., x n 1 ). Dann gilt cos(α n 1 ) > 0 und x 2 2 cos 2 (α n 1 ) = Nach Induktionsannahme existiert α Π n 1 mit P n 1 (r, α ) = r 2 x 2 n 1 sin 2 (α n 1 ) = r2. 1 cos(α n 1 ) x. Fazit: (r, α, α n 1 ) ]0, [ Π n und P n (r, α, α n 1 ) = x. Ebenso zeigt man die Injektivität von P n ]0, [ Πn. Gemäß (ii) gilt (Dg)(r, α) Gl(n, R) für (r, α) ]0, [ Π n. Satz X.4.20.(ii) zeigt, daß P n einen Diffeomorphismus zwischen ]0, [ Π n und R n \ S n definiert. Im Folgenden seien I [0, [ ein Intervall und die entsprechende Kugelschale. K(I) = {x R n : x 2 I}

289 XI.5. Die Transformationsformel 285 Satz 14. Für f : K(I) R gilt 13 f L 1 (K(I)) f P n h n C n L 1 (I Π n ) und ggf. f dλ n = f(p n (r, α)) C n (α) dλ n 1 (α) h n (r) dλ 1 (r). K(I) I Π n Beweis. Beispiel 4.7 zeigt, daß K(I)\K( I) eine Nullmenge ist, weshalb wir im Folgenden annehmen können, daß I offen ist. Dann bildet P n die Menge I Π n diffeomorph auf K (I) = K(I) \ S n ab, siehe Lemma 13.(iii). Satz 9.(i) zeigt und ggf. f L 1 (K (I)) f P n h n C n L 1 (I Π n ) K (I) f dλ n = f P n h n C n dλ n. I Π n Mit Satz 4.3 (Fubini) folgt dann f dλ n = f P n C n dλ n 1 h n dλ 1. K (I) I Π n Beachte, daß K(I) \ K (I) = K(I) S eine Nullmenge ist. Satz 15. Für g : I R sei f : K(I) R durch f(x) = g( x 2 ) definiert. Dann gilt und ggf. f L 1 (K(I)) g h n L 1 (I) f dλ n = n κ n g(r) r n 1 dλ 1 (r). K(I) I Beweis. Offenbar gilt f(p n (r, α)) = g(r). Sei f L 1 (K(I)). Dann zeigt Satz 14, daß g h n C n L 1 (I Π n ). Satz 4.3 (Fubini) sichert g h n C n (α) L 1 (I) für fast alle α Π n, d.h. g h n L 1 (I). Satz 14 zeigt auch f dλ n = C n (α) dλ n 1 (α) g(r) h n (r) dλ 1 (r) K(I) I Π n = C n (α) dλ n 1 (α) g(r) h n (r) dλ 1 (r). Π n Speziell für g = 1 [0,1] ergibt sich κ n = 1/n C n (α) dλ n 1 (α). Π n Sei g h n L 1 (I). Da C n L 1 (Π n ) folgt g h n C n L 1 (I Π n ) mit Satz 4.11 (Integration von Tensorprodukten). 13 Wir betrachten h n und C n auch als Funktionen von [0, [ R n 1 nach R. I

290 XI.5. Die Transformationsformel 286 Beispiel 16. Sei g(r) = exp( r 2 ). Für c = sup r 0 ( exp( r 2 + r) r ) gilt c < und g(r) r c exp( r), r 0. Da exp( ) L 1 ([0, [), zeigt Satz 3.14 (majorisierte Konvergenz), daß g h 2 L 1 ([0, [). Die Sätze 15 und 3.14 zeigen exp ( x 2 ) 2 dλ 2 (x) = 2π exp( r 2 ) r dλ 1 (r) R 2 [0, [ = 2π lim R R 0 exp( r 2 ) r dr = 2π lim R exp( r2 )/2 0 R = π. Mit Satz 4.3 (Fubini) folgt R exp( x 2 ) dλ 1 (x) = π, und schließlich erhält man mit Satz 9.(i) 1 exp( x 2 /2) dλ 1 (x) = 1. 2π Stichwort: Standard-Normalverteilung. Literatur. [K, 1.3, 3.1, 9]. R

291 Anhang A Beispiele in MAPLE Auf der Webseite zur Vorlesung finden sich Maple-Programme in einer Archivdatei sowie eine kurze Anleitung zum Start der Programme. Wir präsentieren im Folgenden die entsprechenden Maple-Worksheets und separat die zugehörigen Graphiken. 1 Exponential- und Cosinusreihe Es gilt und exp(x) = cos(x) = k=0 x k k! ( 1) k x2k (2k)! k=0 für alle x R, siehe Definition II.7.33 und Satz III.5.7. Die Sätze II.7.34 und III.5.8 liefern Restgliedabschätzungen, d.h. Abschätzungen der Form f(x) p n (x) g n (x) für n N und gewisse x R mit den Partialsummen p n (x) = n k=0 x k k! im Fall f = exp und p n (x) = n ( 1) k x2k (2k)! k=0 im Fall f = cos. Siehe auch Bemerkung IX

292 A.1. Exponential- und Cosinusreihe 288 > restart; read("satz_ii.7.12"); > > n := 5; > > p := sum(x^k/k!,k=0..n); > > g := 2 * abs(x)^(n+1) / (n+1)!; > > b := 1 + n/2; > a := -b; > > plot([p,p+g,p-g],x=a..b); Abbildung 1.1: Maple-Worksheet zur Exponentialreihe Abbildung 1.2: Partialsumme p n sowie p n ± g n für n = 5 zur Exponentialreihe

293 A.1. Exponential- und Cosinusreihe 289 > restart;read("satz_iii.5.5"); > > n := 5; > > p := sum((-1)^k*x^(2*k)/(2*k)!,k=0..n); > > g := abs(x)^(2*n+2) / (2*n+2)!; > > c := 7; > b := min(2*n+3,c); > a := 0; > > plot([p,p+g,p-g],x=a..b); > > F := h -> max(min(h,1),-1); > > plot([f(p),f(p+g),f(p-g)],x=a..b); Abbildung 1.3: Maple-Worksheet zur Cosinusreihe Abbildung 1.4: Partialsumme p n sowie p n ± g n für n = 5 zur Cosinusreihe

294 A.2. Lokale Approximation der Exponentialfunktion 290 Abbildung 1.5: Partialsumme p n sowie p n ± g n für n = 5, beschränkt auf [ 1, 1], zur Cosinusreihe 2 Lokale Approximation der Exponentialfunktion Wir illustrieren Bemerkung IV.1.10 für f = exp und x = 0. Die Tangente h an den Graphen der Exponentialfunktion in (0, 1) ist gegeben durch h(y) = 1 + y für y R, und die Bemerkung zeigt: Für ε > 0 existiert δ > 0, so daß exp(y) h(y) ε y für alle y ] δ, δ[. Korollar IX.4.37 bzw. Bemerkung IX.4.38 liefert die stärkere Aussage: Für ε > 0 existiert δ > 0, so daß für alle y ] δ, δ[. (1/2 ε) y 2 exp(y) h(y) (1/2 + ε) y 2

295 A.2. Lokale Approximation der Exponentialfunktion 291 > restart; read("bem_iv.1.4"); > > f := exp(y); > h := 1 + y; > > plot([f,h],y=-3..3); > > limit((f-h)/y,y=0); > > epsilon := 0.4; 0 > > a := 1; > plot([f-h,epsilon*y,-epsilon*y],y=-a..a); > plot([f,h+epsilon*y,h-epsilon*y],y=-a..a); > > r := y^2/2; > > limit((f-h)/r,y=0); > > a := 0.2; 1 > plot([f-h,r],y=-a..a); > Abbildung 2.1: Maple-Worksheet zur lokalen Approximation der Exponentialfunktion

296 A.2. Lokale Approximation der Exponentialfunktion 292 Abbildung 2.2: Exponentialfunktion und Tangente h Abbildung 2.3: exp h sowie Geraden mit Steigung ±2/5

297 A.2. Lokale Approximation der Exponentialfunktion 293 Abbildung 2.4: exp sowie Geraden mit Steigung 1 ± 2/5 Abbildung 2.5: Ein Ausblick auf Korollar IX.4.37

298 A.3. Monotonie und Konvexität Monotonie und Konvexität Für α > 0 und x 0 sei f(x) = exp( x) x α. Wir untersuchen die Monotonie und Konvexität dieser Funktion, siehe Beispiele IV.2.6 und IV.2.15 sowie Satz IV Beachte, daß lim f (x) = x 0 0, falls α > 1, 1, falls α = 1,, falls 0 < α < 1, sowie lim f (x) = x 0 0, falls α > 2, 2, falls α = 2,, falls 1 < α < 2, 2, falls α = 1,, falls 0 < α < 1.

299 A.3. Monotonie und Konvexität 295 > restart; read("bsp_iv.2.2"); > > f := x^alpha * exp(-x); > > limit(f,x=infinity); > > g := diff(f,x); 0 > h := diff(g,x); > > g := simplify(factor(g)); > h := simplify(factor(h)); > > solve(g=0,x); > solve(h=0,x); > > alpha := 4; > plot([f,g,h],x=0..15); > > alpha := 1; > plot([f,g,h],x=0..4); > > alpha := 0.95; > plot(f,x=0..5); > plot([f,g,h],x=0..5); Abbildung 3.1: Maple-Worksheet zur Monotonie und Konvexität

300 A.3. Monotonie und Konvexität 296 Abbildung 3.2: f, f und f im Fall α = 4 Abbildung 3.3: f, f und f im Fall α = 1

301 A.3. Monotonie und Konvexität 297 Abbildung 3.4: f im Fall α = 0.95 Abbildung 3.5: f, f und f im Fall α = 0.95

302 A.4. Uneigentliche Integration Uneigentliche Integration Sei D R ein abgeschlossenes Intervall. (Uneigentlich) integrierbare Funktionen mit 1 f : D [0, [ D f(t) dt = 1 werden in der Stochastik als Dichten bezeichnet. Liegt einem Zufallsexperiment die Dichte f zugrunde, und ist A D ein abgeschlossenes Intervall, ist P (A) = f(t) dt die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Zufallsexperiment einen Wert in A liefert. Sind auch id f sowie id 2 f (uneigentlich) integrierbar, heißen m = t f(t) dt und σ 2 = D D A (t m) 2 f(t) dt der zugehörige Erwartungswert bzw. die zugehörige Varianz. Seien λ > 0 und t 0. Die durch f(t) = λ exp( λt) definierte Funktion f : [0, [ R ist die Dichte der Exponentialverteilung zum Parameter λ. In Beispiel V.3.7 wurde die uneigentliche Integrierbarkeit von f sowie 0 f(t) dt = 1 gezeigt. Ferner sind auch id f und id 2 f uneigentlich integrierbar, und es gilt sowie Für 0 < a < b gilt P ([a, b] [a, [) P ([a, [) = b a a 0 0 t f(t) dt = 1/λ (t 1/λ) 2 f(t) dt = 1/λ 2. f(t) dt = 1 exp( λ(b a)) = f(t) dt b a 0 f(t) dt = P ([0, b a]). Die linke Seite ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Zufallsexperiment unter der Bedingung einen Wert in [a, [ zu liefern einen Wert in [a, b] liefert. 1 Die Schreibweise D steht je nach der Form von D für b a, a, b oder.

303 A.4. Uneigentliche Integration 299 > restart; read("bsp_v.3.3"); > with(plots): > > f := lambda * exp(-lambda*t); > > F := int(f,t=0..x); > > assume(lambda>0); > int(f,t=0..infinity); > > lambda := 3/2; 1 > > p1 := plot(f,t=0..3,y=0..lambda,color=blue): > p2 := plot(f,x=0..3,y=0..1,color=red): > p3 := plot(1,x=0..3,color=green,linestyle=dash): > display([p1,p2,p3]); > > lambda := 'lambda'; > > int(t*f,t=0..x); > int(t^2*f,t=0..x); > > assume(lambda>0); > m := int(t*f,t=0..infinity); > int((t-m)^2*f,t=0..infinity); 1 > Abbildung 4.1: Maple-Worksheet zur uneigentlichen Integration

304 A.5. Lineare Gleichungssysteme 300 Abbildung 4.2: Dichte der Exponentialfunktion mit einer Stammfunktion im Fall λ = 3/2 5 Lineare Gleichungssysteme Wir setzen MAPLE zur Lösung linearer Gleichungssysteme ein. Zunächst betrachten wir ein Gleichungssystem zu einer Koordinatentransformation im Vektorraum R 3, siehe Beispiel VI.7.9. Auch die polynomiale Interpolation führt auf lineare Gleichungssysteme, siehe Beispiel VI Wir betrachten hier die Knoten t i = (i 1)/4, i = 1,..., 5, und dementsprechend Polynomfunktionen vom Grad höchstens 4. Wir arbeiten mit der Basis (u 0,..., u 4 ) von Π 4, siehe Lemma VI.5.11, und berechnen für y R 5 die Polynomfunktion v Π 4 mit (v(t 1 ),..., v(t 5 )) = y. Die Vektoren y der Standardbasis von R 5 führen auf die sogenannte Lagrange-Basis von Π 4 zu den gewählten Knoten t i, deren Berechnung hier durch Invertieren der Vandermonde-Matrix A geschieht. Anschließend betrachten wie die Interpolation der Sinus- und der Wurzelfunktion f an den Knoten t i sowie die zugehörigen Interpolationsfehler f v, die sich in ihrer Größenordnung stark unterscheiden. Im dritten Beispiel betrachten wir den von den Spalten von B R 5 3 erzeugten Unterraum U R 5. Gesucht ist ein homogenes lineares Gleichungssystem, dessen Lösungsmenge der gegebene Unterraum U ist. Dazu wird eine Basis von L(B, 0) berechnet und spaltenweise zu einer Matrix C R 5 2 zusammengefaßt. Wie Bemerkung VI.7.13 zeigt, gilt L(A, 0) = U für A = C. Als Zwischenschritt ist das Ergebnis der Gauß-Elimination für B angegeben.

305 A.5. Lineare Gleichungssysteme 301 > restart; read ("bsp_vi.7.9"); > > A := Matrix([[-1,2,2],[-1,3,3],[-2,7,6]]); > B := Matrix([[1,-1,-2],[2,-3,-7], [2,-3,-6]]); > x := Vector([1,1,-1]); > > v := MatrixVectorMultiply(A,x); > > y := LinearSolve(B,v); (1) Abbildung 5.1: Maple-Worksheet zur Koordinatentransformation

306 A.5. Lineare Gleichungssysteme 302 > r e s t a r t ; r e a d ( " b s p _ V I " ) ; > > T : = V e c t o r ( [ 0, 1 / 4, 1 / 2, 3 / 4, 1 ] ) ; > A := VandermondeMatrix(T); > > y : = V e c t o r ( [ 0, 1, 0, 0, 0 ] ) ; > x : = L i n e a r S o l v e ( A, y ) ; >

307 A.5. Lineare Gleichungssysteme 303 > v : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( V e c t o r ( x ), t ) ; > p l o t ( v, t = ) ; > > B : = M a t r i x I n v e r s e ( A ) ; > > v 1 : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( C o l u m n ( B, 1 ), t ) ; > v 2 : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( C o l u m n ( B, 2 ), t ) ; > v 3 : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( C o l u m n ( B, 3 ), t ) ; > v 4 : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( C o l u m n ( B, 4 ), t ) ; > v 5 : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( C o l u m n ( B, 5 ), t ) ; > > p l o t ( [ v 1, v 2, v 3, v 4, v 5 ], t = ) ; > > f : = s i n ; > y : = m a p ( f, T ) ;

308 A.5. Lineare Gleichungssysteme 304 > y : = m a p ( e v a l f, y ) ; > x : = L i n e a r S o l v e ( A, y ) ; > > v : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( V e c t o r ( x ), t ) ; > p l o t ( [ f ( t ), v ], t = ) ; > p l o t ( f ( t ) - v, t = ) ; > > f : = s q r t ; > y : = m a p ( f, T ) ;

309 A.5. Lineare Gleichungssysteme 305 > y : = m a p ( e v a l f, y ) ; > x : = L i n e a r S o l v e ( A, y ) ; > > v : = F r o m C o e f f i c i e n t V e c t o r ( V e c t o r ( x ), t ) ; > p l o t ( [ f ( t ), v ], t = ) ; > p l o t ( f ( t ) - v, t = ) ; > Abbildung 5.2: Maple-Worksheet zur polynomialen Interpolation

310 A.5. Lineare Gleichungssysteme 306 Abbildung 5.3: Interpolationspolynom zu den Daten (0, 1, 0, 0, 0) Abbildung 5.4: Lagrange-Basis von Π 4

311 A.5. Lineare Gleichungssysteme 307 Abbildung 5.5: Interpolation von f = sin Abbildung 5.6: Interpolationsfehler f v für f = sin

312 A.5. Lineare Gleichungssysteme 308 Abbildung 5.7: Interpolation von f = Abbildung 5.8: Interpolationsfehler f v für f =

313 A.5. Lineare Gleichungssysteme 309 > restart; read("bsp_vi.7.14"); > > B := Matrix([[1,1,3],[0,2,1],[1,0,1],[1,2,1],[1,0,1]]); > B1 := Transpose(B); > GaussianElimination(B1); > > C := NullSpace(B1): > C := Matrix([C[1],C[2]]); > A := Transpose(C); (1) Abbildung 5.9: Maple-Worksheet zur Darstellung linearer Unterräume

314 A.6. Eigenwerte Eigenwerte Wir illustrieren die Bestimmung von Eigenwerten und zugehörigen Eigenvektoren in den Schritten: Berechnung des charakterischen Polynoms, Berechnung der Nullstellen dieses Polynoms und Berechnung von Basen der entsprechenden Eigenräume. Alternativ kommen die Befehle Eigenvalues und Eigenvectors zum Einsatz.

315 A.6. Eigenwerte 311 > restart; read("bsp_vii.2.15"); > > A := Matrix([[0,-1,1],[-3,-2,3],[-2,-2,3]]); > P := - CharacteristicPolynomial(A,lambda); > P := factor(p); > solve(p=0,lambda); > NullSpace(A - IdentityMatrix(3)); > NullSpace(A + IdentityMatrix(3)); > > Eigenvalues(A); > Eigenvectors(A); (1) Abbildung 6.1: Maple-Worksheet zur Berechnung von Eigenwerten und -räumen

316 A.7. Taylor-Approximation in einer Variablen 312 > restart; read("bsp_vii.2.16"); > > A := Matrix([[-1,0,0],[0,0,-1],[0,1,0]]); > P := -CharacteristicPolynomial(A,lambda); > P := factor(p); > > Eigenvalues(A); > Eigenvectors(A); (1) Abbildung 6.2: Maple-Worksheet zur Berechnung von Eigenwerten und -räumen 7 Taylor-Approximation in einer Variablen Wie in Beispiel IX.4.36 betrachten wir mit dem zugehörigen Taylor-Polynom f(x) = 1 + x, x > 1, T 2 (f, 0)(x) = 1 + x/2 x 2 /8 x > 1, der Ordnung zwei mit Entwicklungspunkt null. Es gilt f (3) (0) = 3/8. Für ε > 0 sei g(x) = (1/16 + ε) x 3, x > 1. Bemerkung IX.4.38 zeigt insbesondere folgende Restgliedabschätzung: Es existiert δ > 0, so daß f(x) T 2 (f, 0)(x) g(x) für alle x ] δ, δ[.

317 A.7. Taylor-Approximation in einer Variablen 313 > restart; read("bsp_ix.4.36"); > > f := sqrt(1+x); > > n := 2; > > t := convert(taylor(f,x=0,n+1),polynom); > r := f - t; > > plot([f,t],x=-1..3); > plot([f,t],x= ); > plot(r,x= ); > > g := diff(f,x$(n+1)); > eps := 1/100; > h := (abs(subs(x=0,g)/(n+1)!) + eps) * abs(x^(n+1)); > > plot([r,h,-h],x= ); > plot([r,h,-h],x= ); > plot([f,t+h,t-h],x= ); > plot([f,t+h,t-h],x=-1..1); > Abbildung 7.1: Maple-Worksheet zur Taylor-Approximation

318 A.7. Taylor-Approximation in einer Variablen 314 Abbildung 7.2: f und Taylor-Polynom T 2 (f, 0) Abbildung 7.3: Restglied R 2 (f, 0) = f T 2 (f, 0)

319 A.7. Taylor-Approximation in einer Variablen 315 Abbildung 7.4: Restglied R 2 (f, 0) und Schranken ±g Abbildung 7.5: Restglied R 2 (f, 0) und Schranken ±g

320 A.8. Richtungsableitungen und Stetigkeit 316 Abbildung 7.6: f sowie T 2 (f, 0) ± g 8 Richtungsableitungen und Stetigkeit Für f : R 2 R, gegeben durch f(x, y) = { xy 2, x 2 +y 4 falls (x, y) 0, 0, sonst, gilt gemäß Beispiel X.1.22: f besitzt in null Ableitungen in alle Richtungen, ist aber dort unstetig. Für c, t R und g 1 (t) = (t, c t) gilt nämlich während für c, t > 0 und g 2 (t) = (t, c t). f(g 1 (t)) = f(g 2 (t)) = c2 t 1 + c 4 t 2, c 1 + c 2 Da f( x, y) = f(x, y) und f(x, y) = f(x, y) für x, y R, zeigen wir der besseren Übersichtlichkeit halber in Abbildung 8 den Graphen der Funktion { xy 2, falls x y > 0, x f(x, y) = 2 +y 4 0, sonst, zusammen mit den Kurven t (g 1 (t), f(g 1 (t)) für c = 1 und c = 10 sowie t (g 2 (t), f(g 2 (t)) für c = 1.

321 A.8. Richtungsableitungen und Stetigkeit 317 Abbildung 8.1: f mit drei ausgezeichneten Kurven Abbildung 8.2: g 1 für c = 1 bzw. c = 10

322 A.9. Taylor-Approximation in zwei Variablen 318 Abbildung 9.1: f und Taylor-Polynom T 0 (f, 0) 9 Taylor-Approximation in zwei Variablen Die durch f(x 1, x 2 ) = exp(x 1 ) sin(x 2 ) definierte Funktion f : R 2 R ist beliebig oft stetig differenzierbar, und ihre Taylor- Polynome bis zur Ordung zwei zum Entwicklungspunkt null sind gegeben durch T 0 (f, 0)(ξ) = 0, T 1 (f, 0)(ξ) = ξ 2, T 2 (f, 0)(ξ) = ξ 2 + ξ 1 ξ 2 für ξ R 2. Siehe Beispiel X Wir zeigen neben diesen Funktionen auch den Graphen des Restgliedes R 2 (f, 0) = f T 2 (f, 0) und verweisen auf Korollar X.3.18.

323 A.9. Taylor-Approximation in zwei Variablen 319 Abbildung 9.2: f und Taylor-Polynom T 1 (f, 0) Abbildung 9.3: f und Taylor-Polynom T 2 (f, 0)

324 A.10. Lokale Extrema Lokale Extrema Für f : R 2 R, gegeben durch Abbildung 9.4: Restglied R 2 (f, 0) f(x, y) = x 3 + y 3 3xy, gilt gemäß Beispiel X.3.29: Die Ableitung von f verschwindet genau in den Punkten (0, 0) und (1, 1), und nur (1, 1) ist ein lokales Extremum von f. Wir zeigen die Höhenlinien von f in zwei verschiedenen Ausschnitten. Die Hesse-Matrix (Hf)(0, 0) = 3 ( 0 ) von f an der Stelle null besitzt den Eigenvektor ξ 1 = (1, 1) zum Eigenwert λ 1 = 3 und den Eigenvektor ξ 2 = ( 1, 1) zum Eigenwert λ 2 = 3. Wir zeigen deshalb den Graphen der Funktion f zusammen mit den Kurven t (t ξ l, f(t ξ l )) für l = 1, 2 wiederum in zwei Ausschnitten.

325 A.10. Lokale Extrema 321 Abbildung 10.1: Höhenlinien von f Abbildung 10.2: f mit zwei ausgezeichneten Kurven

326 A.10. Lokale Extrema 322 Abbildung 10.3: Höhenlinien von f Abbildung 10.4: f mit zwei ausgezeichneten Kurven

327 A.11. Lokale Extrema unter Nebenbedingungen 323 Abbildung 11.1: Höhenlinien von f und alle globalen Extrema von f N 11 Lokale Extrema unter Nebenbedingungen Für f : R 2 R, definiert durch und f(x, y) = 4x 2 3xy, N = {(x, y) R 2 : x 2 + y 2 1} gilt gemäß Beispiel X.4.22: Die globalen Maxima von f N sind (3c, c) und ( 3c, c), und die globalen Minima von f N sind (c, 3c) und ( c, 3c), wobei c = 1/ 10. Wir zeigen in drei Ausschnitten die Höhenlinien von f, den Rand der Menge N und alle vier bzw. eines der globalen Extrema.

328 A.11. Lokale Extrema unter Nebenbedingungen 324 Abbildung 11.2: Höhenlinien von f und das globale Minumum (1/ 10, 3/ 10)

329 A.11. Lokale Extrema unter Nebenbedingungen 325 Abbildung 11.3: Höhenlinien von f und das globale Maximum (3/ 10, 1/ 10)

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