Tragwerke. Tragwerksplanung: Bornscheuer, Drexler, Eisele. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni 2015 / Sha

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1 Tragwerke Talbrücke Münchingen Entwurf: Leonhardt Andrä und Partner Tragwerksplanung: Bornscheuer, Drexler, Eisele Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni 2015 / Sha

2 Ein Einführungskurs Der vorliegende Einführungskurs in die Thematik der Tragwerke wurde für die beiden ersten Semester des Architekturstudiums entwickelt. Er wird in den weiteren Semestern fortgesetzt, in welchem die Tragwerke in Stahlbeton, in Stahl, in Holz und in Mauerwerk detaillierter behandelt werden. Ziele des Kurses Das erste Ziel dieses Kurses besteht darin, das Verständnis für die Tragwirkung der Tragwerke zu wecken und zu fördern, d.h. zu zeigen, wie die Kräfte aufgenommen und in das Erdreich abgeleitet werden. Das Studium der wirkenden Lasten, die Bestimmung der Kräfte und die Analyse der inneren Kräfte sind erforderlich, um die Tragweise der Tragwerke zu verstehen. Um das Erreichen dieses Zieles zu erleichtern, wird vorwiegend ein intuitives Vorgehen befolgt. Die Grundlagen des Gleichgewichtes und die Tragweise der Tragwerke werden veranschaulicht an den Erfahrungen des täglichen Lebens (z.b. das Gleichgewicht des menschlichen Körpers). Dazu werden einfache Modelle benützt. Es handelt sich somit um eine, vom Üblichen abweichende Methode, welche auf der logisch-deduktiven Herleitung der Gesetze der Mechanik, der Statik und der Werkstofflehre basiert. Weiter wird die Methode der grafischen Statik bevorzugt und die analytische Berechnung auf ein Minimum reduziert. Das Verständnis der Tragwerke ist die Voraussetzung für die Projektierung guter Tragsysteme. Konkret geht es darum zu lernen, eine effiziente Tragwerksart und geeignete Materialien zu wählen, die statisch zweckmässige Form festzulegen und die Details optimal zu konstruieren. Von der detaillierten Berechnung der Beanspruchungen und der Bemessung, welche normalerweise von Ingenieuren durchgeführt werden, werden lediglich die wichtigsten Aspekte behandelt, mit dem Ziel, den Dialog und somit die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren zu erleichtern. Ziel des vorliegenden Kurses ist somit, eine wahre Statik für Architekten zu sein, und nicht eine Vereinfachung der Statik der Bauingenieure. Das Gleichgewicht Prof. Dr. Aurelio Muttoni Übersetzung ins Deutsche: Dr. Joseph Schwartz 2005 / Überarbeitung 2007 Das Skript wurde durch das Kapitel räumliche Stabilität von Prof. Dr. H. Stempfle ergänzt. Prof. Dr. Hartwig Stempfle 2011 Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -2-

3 Aufbau des Kurses Der behandelte Stoff ist entlang eines Pfades organisiert. Begonnen wird mit den Kräften, den Lasten und den Bedingungen, damit zwei auf der gleichen Wirkungslinie liegende Kräfte im Gleichgewicht sind. Dann werden erste Tragelemente behandelt, beginnend mit den einfachsten Elementen, welche lediglich auf Druck (Stützen) oder auf Zug (Seile) beansprucht sind. Aus diesen Beispielen werden diejenigen Grössen hergeleitet, welche für die Bemessung eines Tragwerkes erforderlich sind: die Beanspruchung, die Festigkeit, die Verformung und die Steifigkeit. Mit Hilfe einfacher Beispiele (ein Mensch welcher auf der Erde steht oder an einem Seil hängt) werden die Gleichgewichtsbedingungen der in der Ebene und im Raum wirkenden Kräfte hergeleitet. Es folgen kompliziertere auf Zug beanspruchte Tragwerke (Seile in der Ebene, Netze aus Seilen und räumliche Membranen). Anhand dieser Beispiele werden die, mit der Verformbarkeit dieser Tragwerke verbundenen, Probleme diskutiert und Lösungen zur Erhöhung der Steifigkeit aufgezeigt. Danach werden nur auf Druck beanspruchte Tragwerke behandelt (Bögen in der Ebene, Kuppeln und Schalen im Raum). Das Problem der Stabilität der Bögen wird behandelt und mögliche Lösungen dieses Problems werden aufgezeigt. Anschliessend werden auf Druck und auf Zug beanspruchte Tragelemente so kombiniert, dass sich die Kräfte im Druckbogen und im Zugseil kompensieren. Durch das Hinzufügen weiterer Streben zur Stabilisierung des Tragwerkes entstehen Fachwerke, zuerst in der Ebene und anschliessend im Raum. Der nächste Schritt besteht darin, die Druck- und Zugstreben durch Zonen zu ersetzen, welche aus auf Druck bzw. auf Zug beanspruchten Materialen bestehen. So entstehen Tragwerke mit ähnlicher Tragweise, jedoch unterschiedlicher Form, wie in Fachwerken: die Balken. Durch räumliches Zusammensetzen der Balken entstehen zuerst Balkenroste und durch weiteres Verteilen des Materials resultieren Platten. Durch das Vergrössern der Trägerhöhe entstehen Wände und Scheiben. Diskutiert werden die Ähnlichkeiten und die Unterschiede ihrer Tragweise verglichen mit derjenigen von schlanken Balken. Schliesslich werden noch die Rahmen behandelt, welche als Kombination verschiedener, bereits behandelter Elemente interpretiert werden können: Stützen, Balken und Bögen. Am Schluss werden Stabsysteme untersucht, welche in Richtung ihrer Längsachse auf Druck beansprucht sind. Das Phänomen der elastischen Instabilität, welches aus der Interaktion der Beanspruchung und der Verformung resultiert, wird mit besonderer Sorgfalt untersucht. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -3-

4 Inhalt des Kurses Kraft/Last Subsysteme Gleichgewicht Beanspruchung Widerstand Verformung Steifigkeit Bemessung ebenes Gleichgewicht Last Form Steifigkeit Seile Stabilität Bögen Druck/Zug Hybride Stabsysteme Fachwerke Balken Scheiben Rahmen Stabilität gedrückte Stabsysteme S. 6 S. 10 S. 26 S. 31 / S. 56 S. 61 / S. 78 S. 98 S.104 / S. 136 S. 140 / S. 173 S Netze Gewölbe, Kuppeln Räumliche Balkenroste Membranen Schalen Fachwerke Platten Im Kurs beschrittener Pfad: Veranschaulichung der Tragweise aller Tragwerke, von den einfachsten bis zu den kompliziertesten, indem die auf Zug beanspruchten Zonen mit einer durchgezogenen Linie und die auf Druck beanspruchten Zonen mit einer gestrichelten Linie dargestellt werden. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -4-

5 Was ist ein Tragwerk? Unter dem Begriff Tragwerk wird die Gesamtheit der Elemente verstanden, welche das Skelett oder das Gerüst eines Bauwerkes darstellen. Dazu gehören alle diejenigen Elemente, welche eine stützende oder tragende Funktion ausüben. Beispiel: Atelier von Arch. Livio Vacchini Tragwerk: Material Stahlbeton; Aussenverkleidung aus Travertin, Fenster aus Aluminium, Bodenbeläge im Innern aus Hartgummi. Atelier von Arch. Livio Vacchini, Locarno, 1985, Arch. L. Vacchini Zielsetzung eines Tragwerkes Der Zweck eines Tragwerkes ergibt sich aus seiner Nutzung und seiner architektonischen Funktion. Vereinfachend können drei mögliche Zielsetzungen angegeben werden: Die Umhüllung, die Überdeckung oder der Schutz eines Raumes (Wohngebäude, Schule, Theater). Eine Oberfläche zu schaffen für eine andere Nutzung (z.b. einen Fussboden, ein Tragwerk, welches Parkplätze beinhaltet, eine Brücke über welche eine Strasse führt). Lasten zu widerstehen oder etwas zu stützen (eine Stützmauer welche die Erde zurückhält, ein Mast zum Tragen von Hochspannungsleitungen) Die Funktion, Lasten zu tragen muss nicht unbedingt eine primäre Zielsetzung sein. Alle Tragwerke haben unvermeidlich eine Masse und müssen somit in jedem Fall ihre Eigenlasten tragen. Schnitt durch das Atelier von Arch. Livio Vacchini, Locarno Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -5-

6 Kräfte und Gleichgewicht, Belastungen, Widerstand und Steifigkeit Auf das Tragwerk wirkende Kräfte und Lasten Die auf ein Tragwerk wirkenden äusseren Kräfte werden als Lasten bezeichnet. Es können vier verschiedene Gruppen von Lasten unterschieden werden: 1. Die ständigen Lasten (die Eigenlasten der tragenden und nichttragenden Bauteile, welche unveränderlich in Funktion der Zeit sind) 2. Die veränderlichen Lasten (das Gewicht der Personen, der Möbel, des Schnees, oder anderer Nutzlasten) 3. Die Windkräfte 4. Die Massenkräfte, welche aus der Beschleunigung der Massen resultieren (Erdbeben, Aufprall). Gravitationskräfte und das Gravitationsgesetz von Newton Im Moment beschränken wir uns auf die ersten beiden Gruppen, welche vom physikalischen Standpunkt aus gesehen Gravitationskräfte sind. Eine Person, ein Stuhl, ein Tisch oder ein Teil des Tragwerks (eine beliebige Masse) wird von der Erde angezogen. In anderen Worten ist jede, auf die Erdoberfläche gelegte Masse, der Anziehungskraft der Erde unterworfen. Schnee Eigenlasten des Daches Windkräfte Eigenlasten der Zwischendecken Personen, Möbel Eigenlasten der Stützen Eigenlasten der Fundamente Schnitt durch das Atelier von Arch. Livio Vacchini in Locarno, wirkende Lasten und Kräfte Im Weiteren wissen wir, dass die Erde eine Gravitationskraft von einer Masse erfährt, welche auf ihrer Oberfläche liegt, beispielsweise von einer Person. Die Erde und die Person können in der Tat betrachtet werden wie zwei Massen welche sich gegenseitig anziehen. Nach dem Newton schen Gravitationsgesetz hat die Kraft, welche die Erde auf die Person ausübt, die gleiche Intensität wie die Kraft, welche die Person auf die Erde ausübt. Sie ist proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat der Distanz der beiden Massen. Diese Beziehung kann durch die folgende Gleichung beschrieben werden: m1 m2 F2,1 F1,2 G 2 r F2,1 ist die Kraft die die Masse m2 auf m1 ausübt F1,2 ist die Kraft die die Masse m1 auf m2 ausübt r ist die Distanz zwischen den beiden Massen G ist die universelle Gravitationskonstante, G = [N m 2 /kg 2 ] Wie alle Kräfte wird die Gravitationskraft in Newton ausgedrückt. Diese Messgrösse entspricht einem Kilogramm, multipliziert mit einem Meter, dividiert durch eine Sekunde im Quadrat: 1 Newton = 1 N = 1 kg m/s 2 Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -6-

7 Gravitationskraft auf der Erdoberfläche Für alle auf der Erde liegenden Körper gilt, da m2 = kg (Masse der Erde) und r = 6'378'000 m (Radius der Erde), folgende Beziehung: F2,1 = F1,2 = m 9.81 mit der Einheit N = kg m/s 2 1 kg wiegt folglich 9.81 N, näherungsweise 10 N, also wiegt eine Person mit einer Masse von 70 kg 687 N, ungefähr 700 N, das heisst 0.7 kn. Dieselbe Person wiegt auf dem Mount Everest 685 [N], dies weil der Abstand zwischen der Person und dem Mittelpunkt der Erde um 8800 [m] zugenommen hat. Ähnliche Variationen ergeben sich auf der Erdoberfläche, weil die Form der Erde nicht exakt kugelförmig ist und weil die Masse der Erde nicht gleichmässig verteilt ist. All diese Variationen sind jedoch von untergeordneter Bedeutung und können vernachlässigt werden. Jedoch hat die gleiche Person auf dem Mond ein Gewicht von nur 114 [N], d. h. etwa ein sechstel desjenigen auf der Erde, weil der Radius des Mondes und die Masse des Mondes wesentlich kleiner sind als diejenigen der Erde. Masse des Mondes: [kg] Radius des Mondes: 1'738'000 [m] Die Erde vom Mond aus gesehen, aufgenommen während der Apollo 8-Mission (NASA/GRIN) Somit wird verständlich, warum ein Astronaut, der versucht, auf der Oberfläche des Mondes zu gehen, nicht verhindern kann zu springen. Kraftvektoren, Angriffspunkt und Wirkungslinie der Kraft Alle Kräfte haben einen Angriffspunkt. Er ist identisch mit dem Schwerpunkt (Massenzentrum). Wie der Schwerpunkt eines Körpers bestimmt wird, werden wir später sehen. Eine Kraft kann durch einen Vektor dargestellt werden, welcher durch den Angriffspunkt, die Richtung, den Sinn und die Intensität (Grösse) definiert ist. Beim Darstellen der Kräfte ist es zweckmässig, die Länge ihres Vektors proportional zur Grösse der Kraft zu wählen. F α Der Angriffspunkt und die Richtung der Kraft definieren deren Wirkungslinie (oder Kraftlinie). Bei den Gravitationskräften verläuft die Wirkungslinie in unserem Beispiel durch die beiden Schwerpunkte der Massen, d.h. der Person und der Erde. Darstellung einer Kraft Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -7-

8 Subsystem Eine auf der Oberfläche der Erde stehende Person erfährt nicht nur die Gravitationskraft der Erde. Aus Erfahrung ist bekannt, dass der Boden eine wichtige Rolle spielt. Wir wissen was passiert, wenn wir den Boden unter den Füssen verlieren! In der Tat hat der Boden die aktive Funktion, die Person zu halten, indem er eine nach oben gerichtete Kraft auf sie ausübt. Um diese Kraft darstellen zu können, müssen wir die Person vom Rest des Systems Person-Erde isolieren. Wir bezeichnen denjenigen Teil des Systems, den wir abgetrennt haben, mit allen Kräften die darauf wirken, als Subsystem. Gleichgewichtsbedingungen zweier Kräfte Wir können uns leicht vorstellen, welches die Bedingungen sind, damit zwei Kräfte im Gleichgewicht sind. Diese lauten: 1. Die Kräfte müssen gleiche Intensität (Grösse) haben, 2. sie müssen gleiche Richtung, jedoch den entgegengesetzten Sinn haben, 3. sie müssen auf der gleichen Wirkungslinie liegen. Die beiden ersten Bedingungen können in einer gleichbedeutenden Bedingung zusammengefasst werden: Die beiden Kräfte müssen sich vektoriell aufheben. Wenn die Kräfte sich gegenseitig aufheben, bleibt die Person auf dem Boden stehen. Um die Bedeutung der dritten Bedingung zu verdeutlichen, nach welcher die beiden Kräfte auf der gleichen Wirkungslinie liegen müssen, können wir probieren, uns nach vorne zu beugen bis die Wirkungslinie der Gravitationskraft, die durch unseren Schwerpunkt verläuft, den vorderen Punkt unserer Füsse erreicht. Wir befinden uns dann in einem Zustand labilen Gleichgewichts. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -8-

9 Wenn wir uns noch weiter nach vorne beugen, verläuft die Wirkungslinie der Gravitationskraft nicht mehr durch die Fläche unserer Füsse. Weil die vom Boden auf unsere Füsse wirkende Kraft unbedingt durch die Kontaktfläche unserer Füsse mit dem Boden verlaufen muss, können die beiden Kräfte nicht mehr auf der gleichen Wirkungslinie liegen, und das Gleichgewicht ist nicht mehr möglich. Wir fallen einfach nach vorne. In Wirklichkeit ist auch in diesem Fall das Gleichgewicht der Kräfte noch möglich, und zwar durch Einführung einer Massenkraft bedingt durch die Beschleunigung unseres fallenden Körpers. Diese Aufgaben werden in der Dynamik der Körper behandelt, und können im Rahmen dieses Kurses nicht weiter verfolgt werden. Wir diskutieren nur das statische Gleichgewicht, das sich ohne Bewegung der Körper einstellt. Um die Kräfte zu behandeln, welche auf die Person wirken, haben wir das Subsystem Person vom globalen System (Person und Erde) isoliert. Wir können eine äquivalente Betrachtung für das Subsystem Erde machen. Wir haben wiederum zwei Kräfte, die Gravitationskraft, welche der Mensch auf die Erde ausübt (nach oben gerichtet), und die Kraft welche der Mensch auf den Boden ausübt (nach unten gerichtet). Die beiden Kräfte müssen, damit sie im Gleichgewicht sind, wie weiter oben gezeigt wurde, die gleiche Intensität haben. Weil die Gravitationskraft, welche die Person auf die Erde ausübt (Subsystem Erde) die gleiche Intensität hat wie die Erdanziehungskraft auf die Person (Subsystem Person), haben alle vier auf die Person und auf die Erde wirkenden Kräfte die gleiche Intensität. Auf die Kontaktflächen zwischen zwei Subsystemen wirkende Kräfte: Aktion = Reaktion Beim vorherigen Beispiel wurde gezeigt, wie die auf die Kontaktflächen der beiden Subsysteme wirkenden Kräfte (die Aktion des Bodens auf die Person und die Aktion der Person auf den Boden) die gleiche Intensität haben müssen. Um diese Situation zu beschreiben sagt man, dass die Aktion der Reaktion entspricht (actio = reactio, zuerst von Isaac Newton formulierte Gleichung). Dieses Prinzip gilt immer, wenn Subsysteme abgetrennt werden. Es setzt voraus, dass ein Subjekt definiert wird, welches die Reaktion ausübt und ein Objekt, welches die Reaktion erleidet. Das Prinzip gilt auch wenn das Subjekt und das Objekt miteinander ausgetauscht werden. Um mögliche Verwirrungen auszuschliessen ist es zweckmässig, zu definieren, welcher Gegenstand welche Kraft auf welchen Gegenstand ausübt (Kraft der Person auf den Boden, Kraft des Bodens auf die Person). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -9-

10 Wir untersuchen den Fall einer Person, welche auf einem Tisch steht, und wir nehmen vereinfachend an, dass das Gewicht des Tisches vernachlässigbar ist verglichen mit demjenigen der Person. Das globale System Person + Tisch + Erde beinhaltet, wie wir früher gesehen haben, zwei Kräfte: die Gravitationskraft welche die Erde auf die Person ausübt und die Gravitationskraft welche die Person auf die Erde ausübt. Wenn wir die drei Subsysteme Person, Tisch und Erde (einschliesslich Boden) separat untersuchen, müssen wir die zusätzlichen Kräfte an den Grenzen der Subsysteme berücksichtigen. Auf die Person wirkt, wie weiter oben gezeigt, die Gravitationskraft der Erde und der nach oben gerichtete Druck des Tisches. Auf den Tisch wirkt der nach unten gerichtete Druck der Person und der nach oben gerichtete Druck des Bodens. Schliesslich wirkt der nach unten gerichtete Druck des Tisches auf die Erde und die von der Person ausgeübte, nach oben gerichtete Gravitationskraft. Diese sechs Kräfte müssen die gleiche Intensität haben und auf der gleichen Wirkungslinie wirken. Wenn wir jetzt den Tisch als eine Struktur betrachten, entspricht die aktive Last der Kraft, die nach unten wirkend von der Person ausgeübt wird. Wie wir gesehen haben, hat diese Kraft die gleiche Intensität und die gleiche Wirkungslinie, wie die Gravitationskraft welche von der Person verursacht wird (Gewicht der Person). Übertragung einer Kraft Auf den Tisch wirken, weil angenommen wurde, dass keine Gravitationskraft auf den Tisch wirkt (unendlich kleine Masse des Tisches), die von der Person und vom Boden ausgeübten Kräfte. Der Tisch überträgt die Kraft von der Person auf die Erde und umgekehrt. In anderen Worten können wir sagen, dass der Tisch von der Person und vom Boden beansprucht wird oder dass er von der Person und vom Boden überdrückt wird. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -10-

11 Innere Druckkraft Um die Bedeutung der Beanspruchung besser zu verstehen, wollen wir ein anderes einfaches Beispiel untersuchen. Wir stellen eine Person auf eine Stütze, deren Masse verglichen mit derjenigen der Person vernachlässigbar ist. Wir betrachten das Subsystem Stütze, und wir stellen uns vor, es bestehe eine Kraftübertragung durch die Stütze, welche auf Druck beansprucht ist. Wir können weitere Subsysteme aus derselben Stütze herausschneiden, zum Beispiel die Stütze in drei Teile zerlegen und diese untersuchen. Alle angreifenden Kräfte müssen die gleiche Intensität haben, mit anderen Worten ist jeder Teil der gleichen Beanspruchung unterworfen, unabhängig von seiner Länge und seinem Querschnitt. Quantifizierung der inneren Kraft Quantitativ können wir die innere Druckkraft im Inneren der Stütze definieren als die Kraft, welche von einem Ende der Stütze zum andern übertragen wird. Im vorliegenden Fall ist das die Gravitationskraft, welche die Erde auf den Menschen ausübt und umgekehrt. N = - Q gemessen in [N] oder in [kn] N ist die innere Kraft und Q die Last welche auf die Stütze wirkt. Aus Konvention wird die Druckbeanspruchung negativ definiert. Materialbeanspruchung Von den beiden dargestellten Stützen hat die rechte einen doppelt so grossen Querschnitt wie die linke. Wir haben gesehen, dass die innere Kraft unabhängig ist von der Länge und vom Querschnitt der Stütze. Die Kraft in den beiden Stützen ist also identisch. Das ist nur gültig, wenn das Gewicht der Stütze vernachlässigt wird. Wir können uns leicht vorstellen, dass der Stützenquerschnitt den Grad der Materialbeanspruchung beeinflusst. Es ist leicht verständlich, dass wenn wir aus den beiden Stützen Teile mit gleichem Querschnitt herausschneiden, zum Beispiel indem wir die rechte Stütze vertikal in zwei Teile spalten, die zwei Teile der rechten Stütze eine halb so große innere Kraft aufweisen wie die linke Stütze (es wurde angenommen, dass die Wirkungslinie der Kraft mit der Schwerachse der Stütze zusammenfällt). Zur Berücksichtigung, dass die Beanspruchung des Materials, im Gegensatz zur inneren Kraft der Stütze, nicht nur von der Intensität der Druckkraft, sondern auch von der Querschnittsfläche abhängt, berechnet man die Kraft bezogen auf die Querschnittsfläche: N σ = [σ] in [N/mm 2 ] N: innere Kraft; A: Querschnittsfläche A Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -11-

12 Diese bezogene innere Kraft wird als Spannung bezeichnet (in diesem Fall als Druckspannung) und beschreibt die Beanspruchung des Materials. So wie die Druckkraft mit Minuszeichen versehen ist, ist auch die zugehörige Spannung negativ. Man sollte allerdings diesem negativen Vorzeichen nicht zuviel Bedeutung beimessen: Es handelt sich um eine rein pragmatische Konvention, um die Druckspannung von anderen Spannungen zu unterscheiden. Zugbeanspruchung Wir wollen uns einem anderen Beispiel zuwenden. Stellen wir uns die gleiche Person vor, welche auf der Stütze stand. Sie zieht sich an einem Seil hoch, welches an einem Tragelement befestigt ist. Wir untersuchen die Kräfte, welche auf das globale System Person + Seil + Tragelement + Erde wirken. Wir nehmen wieder an, dass das Eigengewicht des Seiles und des Tragelementes vernachlässigbar sind verglichen mit demjenigen der Person (und natürlich mit demjenigen der Erde). Wir bemerken schnell, dass die Verhältnisse ähnlich sind wie beim Beispiel der Person auf der Stütze. Auch hier übt die Person eine Gravitationskraft auf die Erde aus, und die Erde übt eine Gravitationskraft auf die Person aus. Wenn wir verstehen wollen was innerhalb des Seiles passiert, müssen wir es vom System trennen, genau wie wir es mit der Stütze gemacht haben. Wir können zum Beispiel einen Teil des Seiles isolieren (Subsystem B). Es bleiben die restlichen zwei Subsysteme: die Person mit einem kleinen Stück Seil in der Hand (Subsystem A) und die Erde mit dem Tragelement und einem weiteren kleinen Stück Seil (Subsystem C). Nun können wir zuerst das Subsystem A untersuchen. Wir wissen, dass die von der Erde ausgeübte Gravitationskraft (700 [N]) auf die Person wirkt. Diese Kraft ist nach unten gerichtet. Um das Gleichgewicht der Person sicherzustellen, müssen wir eine weitere Kraft einführen, die dort wirkt, wo wir das System geschnitten haben. Es handelt sich um die Kraft, welche innerhalb des Seiles wirkt und welche wir deshalb als innere Kraft bezeichnen. Wenn wir dagegen das Subsystem A als Objekt bezeichnen, so können wir sagen, dass es sich um eine Kraft handelt, welche das Seil (Subjekt) auf das Subsystem ausübt. Falls das Seil genügend flexibel ist, muss die Wirkungslinie dieser Kraft mit der Seilachse übereinstimmen. Wie wir bereits gesehen haben, müssen die beiden Kräfte, welche auf das Subsystem wirken, um im Gleichgewicht zu sein, den umgekehrten Sinn und die gleiche Intensität (700 [N]) haben und auf der gleichen Wirkungslinie liegen. Diese letzte Bedingung verlangt, dass die Achse des Seiles mit der Wirkungslinie der Schwerkraft zusammenfällt. Wenn das Seil nicht vertikal ist, stimmen die beiden Wirkungslinien nicht überein. Jeder von uns hat diese Situation schon erlebt, beispielsweise auf einer Schaukel. Die Person schwingt vorwärts und rückwärts wie ein Pendel. Wenn wir nur die beiden diskutierten Kräfte betrachten, ist das System nicht im Gleichgewicht. Auch hier ist die Einführung einer zusätzlichen dynamische Kraft erforderlich, um das (dynamische) Gleichgewicht herzustellen. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -12-

13 Kehren wir zum statischen Fall mit den übereinstimmenden Wirkungslinien zurück. Weil die beiden auf das Subsystem wirkenden Kräfte die gleiche Intensität haben, beträgt die im Seil wirkende Kraft ebenfalls 700 [N]. Wenn wir nun zum Subsystem B übergehen, erkennen wir sofort, dass die gleiche Kraft angreift, von oben nach unten gerichtet. Wenn wir wiederum das Gewicht des Seiles vernachlässigen, wirkt auf das Seil nur eine einzige zusätzliche Kraft, und zwar diejenige, welche vom Subsystem C ausgeübt wird und vorhanden ist, weil wir die beiden Subsysteme getrennt haben. Es muss sich um eine Kraft handeln, welche nach oben gerichtet ist, die Intensität 700 [N] hat und auf der gleiche Wirkungslinie liegt, das heisst ebenfalls mit der Achse des Seiles übereinstimmt. Wenn wir das Subsystem B mit den zugehörigen Kräften betrachten, sehen wir, dass die beiden Kräfte das Seil spannen. In anderen Worten haben wir mit einer inneren Zugkraft zu tun. So wie bei der auf Druck beanspruchten Stütze können wir auch in diesem Fall die innere Zugkraft, welche von einem Ende des Seiles zum andern übertragen wird, quantitativ angeben: N = Q gemessen in [N] oder in [kn] N ist die innere Kraft und Q die vom Seil getragene Last. Aus Konvention wird die innere Zugkraft positiv definiert. Das Vorzeichen + oder - dient also um die innere Zugkraft (+) von der inneren Druckkraft (-) zu unterscheiden. Zugspannung Auch hier gibt uns die Zugkraft eine Information über die Beanspruchung des Seiles, aber keine Information über die Beanspruchung des Materials. Um diese zu erhalten, müssen wir die Zugkraft durch die Querschnittsfläche des Seiles dividieren: σ = A N [N/mm 2 ] N: innere Kraft [N] A: Querschnittsfläche [mm 2 ] Diese Grösse, die bezogene innere Kraft, wird als Zugspannung bezeichnet. Es handelt sich somit um die gleiche Grösse, welche wir bei der Stütze eingeführt haben, um die Spannung des überdrückten Materials der Stütze anzugeben. Sie unterscheidet sich nur durch das Vorzeichen: Die Zugspannung wird mit positivem und die Druckspannung mit negativem Vorzeichen angegeben. Um unser Beispiel zu vervollständigen, wollen wir noch das Subsystem C untersuchen mit den beiden angreifenden Kräften: die Gravitationskraft welche die Person auf die Erde ausübt (700 [N], nach oben gerichtet) und die Kraft, welche das Subsystem B an der Grenzfläche der beiden Subsysteme ausübt (innere Kraft von 700 [N], nach unten gerichtet). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -13-

14 Folge der Zugbeanspruchung (der inneren Zugkraft): die Verlängerung Wir kehren zurück zum Seil unter Zugbeanspruchung. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Zugbeanspruchung eine Verformung (Verlängerung) des Seiles zur Folge hat. Folge der Druckbeanspruchung (der inneren Druckkraft): die Verkürzung Analog dazu hat ein auf Druck beanspruchtes Element die Tendenz sich zu verkürzen. Diese triviale Feststellung reicht uns nicht, und wir wollen uns fragen, um wie viel sich das Seil verlängert und um wie viel sich die Stütze verkürzt. Zuerst wollen wir uns überlegen, von welchen Faktoren diese Verformungen (Verlängerung und Verkürzung) abhängig sind. Die Beanspruchung spielt sicherlich eine sehr wichtige Rolle: je grösser ihre Intensität, umso grösser wird die Verformung sein. Die Art des Materials wird sicher auch eine zentrale Rolle spielen: wir können uns leicht vorstellen, dass ein Seil aus Stahl eine viel kleinere Verformung unter der gleichen Zugbeanspruchung aufweist als ein Seil mit gleichem Querschnitt aus Gummi. Im Weiteren beeinflussen die Abmessungen des Seiles (Querschnittsfläche und Länge) die Verformung. Um diese Einflüsse quantifizieren zu können, wollen wir ein Experiment durchführen. Wir beanspruchen eine Stahlfeder indem wir ein Gewicht Q daran hängen, und messen die Verlängerung Δ. Lineares Verhalten Wenn wir das Gewicht und damit die Beanspruchung N vergrössern, wird auch die Verlängerung Δ grösser. Wenn wir die Beanspruchung verdoppeln, verdoppelt sich auch die Verlängerung. Das bedeutet, dass wir beim Auftragen der Werte in einem Diagramm eine gerade Linie erhalten. Mit anderen Worten haben wir es mit einem linearen Verhalten zu tun. Wie wir später sehen werden, gilt das nicht unbedingt für alle Materialien und nicht für jede Beanspruchung. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -14-

15 Elastisches Verhalten Wenn wir das an der Feder hängende Gewicht anheben, reduzieren wir die Beanspruchung der Feder, d.h. wir entlasten die Feder, und kehren in unserem Diagramm zum Ausgangspunkt mit Δ = 0 (Ursprung) zurück. Wir haben somit ein vollständig reversibles Verhalten. In diesem Fall reden wir von einem elastischen Verhalten. Steifigkeit Wenn das Verhalten elastisch und reversibel ist, reicht ein einziger Parameter aus, um sein Verhalten quantitativ zu definieren. Diese Grösse, welche die Neigung der Geraden im Diagramm N(Δ ) darstellt, wird als Steifigkeit = N / Δ bezeichnet. Einfluss der Länge auf die Steifigkeit Wir können die Länge der Feder einfach verdoppeln, indem wir sie um eine zweite Feder mit den gleichen Eigenschaften wie die erste Feder verlängern. Mit der Hilfe von Subsystemen können wir uns leicht vergewissern, dass beide Federn die gleiche innere Kraft (Beanspruchung) aufweisen wie die eben untersuchte Einzelfeder. Die Verlängerung Δ summiert sich dagegen, so dass wir die doppelte Verformung und die halbierte Steifigkeit erhalten wie im Falle der Einzelfeder. Verallgemeinernd können wir sagen, dass die Steifigkeit umgekehrt proportional zu Länge ist. Einfluss der Querschnittsfläche auf die Steifigkeit Um den Einfluss der Querschnittsfläche zu zeigen können wir die beiden Federn parallel anordnen. Auf diese Art haben wir die Querschnittsfläche unserer Feder verdoppelt. Jede der beiden Federn wird dann mit der Hälfte der Kraft N beansprucht sein, und die Verlängerung Δ wird halbiert im Vergleich zum Fall der einen Feder. Die Steifigkeit ist also verdoppelt worden und wir können sagen, dass die Steifigkeit direkt proportional zur Querschnittsfläche A ist. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -15-

16 Steifigkeit eines auf Druck oder auf Zug beanspruchten Tragelementes Wir können zusammenfassen: die Steifigkeit eines auf Zug beanspruchten Tragelementes kann definiert werden als Verhältnis der Beanspruchung N zur Verlängerung Δ. Sie ist abhängig vom Material, direkt proportional zur Querschnittsfläche A und umgekehrt proportional zur Länge. Durch Einführung einer Konstanten E (genannt Elastizitätsmodul), welche die Steifigkeit des Materials definiert, können wir folgendes Gesetz schreiben: N E A Dieser Ausdruck gilt sinngemäss auch für auf Druck beanspruchte Tragelemente. In diesem Fall sind N und Δ (Verkürzung) negativ. Steifigkeit des Materials Die gefundene Gleichung kann umgeformt werden, indem wir in den Zähler und A in den Nenner verschieben: N E A Wie wir bereits gelernt haben, entspricht der erste Term dieser Gleichung der Spannung Δσ (bezogene Kraft), d.h. der spezifischen Beanspruchung (innere Kraft) des Materials. Wenn wir Δ / als spezifische Verformung (Verformung pro Länge) definieren, erhalten wir folgendes Gesetz: σ = E ε oder = E Der zweite Ausdruck definiert die Steifigkeit des Materials (Elastizitätsmodul) als Verhältnis der spezifischen Beanspruchung (bezogene innere Kraft, Spannung σ) und der bezogenen Verformung (Dehnung) ε. Diese Beziehung, welche sich auf das Material bezieht, ist analog zu derjenigen, mit der wir die Steifigkeit des Tragelementes definiert haben. Die graphische Darstellung wird also auch analog sein. Es ist zu beachten, dass bei der Darstellung des Tragelementes eine Variation der Querschnittsfläche oder der Länge zu einer veränderten Darstellung führt. Beim sich auf das Material beziehenden Diagramm haben diese Parameter dagegen keinen Einfluss. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -16-

17 Elastische und plastische Phase Aus Erfahrung wissen wir, dass bei der Beanspruchung des Materials über eine gewisse Grenze hinweg das Verhalten nicht mehr elastisch (reversibel) ist. Wenn wir einen Stahldraht verbiegen ohne diese Grenze zu überschreiten, erhalten wir nach der Entlastung des Drahtes seine ursprüngliche Form zurück. Wenn wir dagegen diese Grenze überschreiten, erhalten wir eine irreversible Verformung. Wenn wir wiederum den Draht entlasten, nähert er sich seiner ursprünglichen Form, ohne sie jedoch vollständig wiederzugewinnen. In einer späteren Phase dieses Kurses werden wir die inneren Kräfte eines solchen, auf Biegung beanspruchten Tragelementes, kennen lernen. Im Moment genügt es, zu verstehen, dass sich ein beanspruchter Draht auf reinen Zug oder auf reinen Druck identisch verhält. Wenn wir die Spannung (σ) und die Dehnung (ε) in einem Diagramm darstellen, erhalten wir zuerst ein gerades Liniensegment (a-c, elastische Phase). Im Bereich der plastischen Phase mit den irreversiblen Verformungen haben wir eine konstante Beanspruchung (horizontaler Bereich im Diagramm). Die Phase e-f der Entlastung weist wiederum ein gerades Liniensegment auf, mit der gleichen Neigung wie in der elastischen Phase. Das bedeutet dass der Elastizitätsmodul gleich sein muss. Nachdem der Draht eine plastische Verformung erfahren hat, wollen wir ihn nochmals beanspruchen. Wir bewegen uns nun wieder auf dem Segment f-e bis zum Erreichen der Elastizitätsgrenze, oberhalb welcher wir wieder plastische (irreversible) Verformungen erhalten. Die Differenz f a zeigt die bleibende, plastische Verformung. plastische Phase Fliessgrenze ( = Fliessspannung), Verfestigungsbereich und Festigkeit Beim Eisen, beim Stahl und bei allen Materialien mit ähnlichen Eigenschaften, wird die zugehörige Spannungsgrenze Fliessspannung oder Fliessgrenze fy genannt. Wenn wir den Stahl noch weiterbeanspruchen, erhalten wir ab einer bestimmten Verformung wieder eine Zunahme der Beanspruchung. Diese Phase wird Verfestigungsphase genannt. Wenn wir den Draht noch weiterbeanspruchen, wird irgendwann die Festigkeit des Materials ft (tension = Zug) erreicht. Es bildet sich ein Riss, welcher den ganzen Querschnitt durchtrennt und den Draht bricht. elastische Phase Verfestigung Festigkeit Verhalten des Stahls Das Verhalten des Stahls, und sein oben beschriebenes Spannungs-Dehnungs-Diagramm, können quantitativ durch vier Parameter definiert werden: Elastizitätsmodul E, Fliessgrenze fy, Festigkeit ft, und Bruchdehnung εt. Verhalten des Stahls Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -17-

18 Elastizitätsmodul Der Elastizitätsmodul E ist konstant für alle Stahlarten und beträgt E = 210'000 [N/mm 2 ]. Fliessgrenze ft Die Fliessgrenze (Fliessspannung) fs ist dagegen von der Stahlart abhängig. Sie variiert zwischen 235 [N/mm 2 ] bei gewöhnlichem Baustahl und ca [N/mm 2 ] beim Material der Klaviersaiten. Es ist zu beachten, dass der hochfeste Stahl keine eigentliche plastische Phase besitzt, sondern progressiv von der elastischen in die plastische Phase übergeht. Man behilft sich zur Definition der Fliessgrenze fy mit einem nominellen Punkt im Spannungs-Dehnungs- Diagramm, bei welchem die bleibende Dehnung 2 mm/m beträgt. Die zugehörige Spannung stellt dann die Fliessgrenze fy dar. Zwischen den oben genannten Stahlarten gibt es hochfesten Stahl, verwendet in Stahlkonstruktionen (fy = 355 N/mm 2, S 355), Bewehrungsstahl, als Verstärkung im Stahlbeton (fy = 500 N/mm 2, S 500) und Spannstahl, verwendet für Kabel und Litzen von gespannten Konstruktionen und im Spannbeton (fy =1410 bis 1670 N/mm 2 ). Stahl für Seile und Drähte -ε-diagramm für 4 Arten von auf Zug beanspruchtem Stahl Festigkeit (Bruchfestigkeit) ft Die Festigkeit ft ist stets grösser als die Fliessgrenze; sie ist die maximale Spannung, welche kurz vor dem Auftreten des Bruches erreicht wird. Bruchdehnung t Die Bruchdehnung t kann recht große Werte annehmen. Da die zugehörigen sehr grossen Verformungen im Tragelement nicht zugelassen werden können, wird bei der Berechnung als Maximalwert der Spannung (bezogene innere Kraft) die Fliessgrenze angenommen und die Verfestigungsphase vernachlässigt. Dies ist der Grund, warum die Stähle mit ihrer Fliessgrenze fy bezeichnet werden. Es ist interessant die Grössenordnung der Bruchdehnung zu betrachten. Für Stahl S235, welcher gewöhnlich in Stahlkonstruktionen verwendet wird, erreicht man beim Bruch eine Verlängerung, die ca. einem Fünftel der Originallänge entspricht. Bei Spannstahl beträgt die Verlängerung beim Bruch nur 0.5% der Ursprungslänge. Stahlart E[N/mm 2 ] f y [N/mm 2 ] f t t S * 360 * * S * 510 * * S * 580 * * Stahl für Seile und Drähte 160' '000 ** * * * * Mindestwerte ** reduzierte Werte zur Berücksichtigung des Effektes der Verwindung der Drähte Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -18-

19 Druck und Zug Es ist zu bemerken, dass der Stahl die gleichen Werte des Elastizitätsmoduls E und der Fliessgrenze fy aufweist, unabhängig davon, ob wir ihn auf Druck oder auf Zug beanspruchen. Die Art und Weise, wie die inneren Kräfte übertragen werden, ist jedoch recht unterschiedlich. Ein Tragelement aus Stahl oder aus einem anderen Material ist in der Lage, Druckkräfte auch noch zu übertragen, wenn man es in kleine Elemente unterteilt, welche die Kräfte über Kontakt übertragen. Aus diesem Grund werden wir auf Druck beanspruchte Tragelemente mit einer gestrichelten Linie darstellen, wie eine Serie aneinander gereihter kleiner überdrückter Elemente. Auf Zug beanspruchte Tragelemente müssen dagegen, wenn sie der inneren Kraft widerstehen wollen, aus kontinuierlichem Material bestehen, oder aber aus Elementen, welche mit Hilfe eines zugfesten Materials (Klebstoff) verbunden sind. Aus diesem Grund werden wir im Weiteren auf Zug beanspruchte Tragelemente mit einer durchgezogenen Linie darstellen. Das Beispiel einer Kette, welche Zugkräfte überträgt, scheint auf den ersten Blick dem Beschriebenen zu widersprechen. In Wirklichkeit, wie wir am Ende dieses Kurses sehen werden, weisen die Kettenglieder, obschon sie vorwiegend auf Zug beansprucht sind, einen komplizierten Spannungszustand aus einer Kombination von Druck- und Zugspannungen auf. Die inneren Kräfte werden von Glied zu Glied über Kontakt übertragen, wobei in den Kontaktflächen nur Druckkräfte wirken. Druck Zug Sprödigkeit und Duktilität (Verformungsvermögen) Wir können probieren eine Glasplatte ähnlich zu beanspruchen wie wir es mit dem Stahldraht gemacht haben. Bei kleinen Beanspruchungen verformt sich das Glas nach einem linearelastischen Verhalten. Aus Erfahrung wissen wir gut, was passiert, wenn wir das Glas weiterbelasten: Es bricht plötzlich schlagartig in zwei Stücke. Weil wir den Bruch erreicht haben, bezeichnen wir auch hier die maximale Spannung beim Erreichen des Bruches als Festigkeit ft. Der Unterschied des Verhaltens mit demjenigen des duktilen (verformungsfähigen) Stahls ist offensichtlich: beim Glas tritt der Bruch ein, ohne dass das Material plastische (irreversible) Verformungen erfahren hat. Dieses Verhalten wird als spröd bezeichnet. Andere Baustoffe können ein Verhalten aufweisen, welches zwischen diesen beiden Extremen liegt: dem sehr duktilen Verhalten des Stahls und dem spröden Verhalten des Glases. Verhalten des Glases unter Druck- oder Zugbeanspruchung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -19-

20 Beton Wenn wir den Beton untersuchen, werden wir sehen, dass sein Verhalten vor allem von der Art der Beanspruchung abhängt. Auf Zug verhält sich der Beton recht spröd, ähnlich wie Glas. Der Bruch erscheint schlagartig infolge eines Risses, welcher sich senkrecht zur Beanspruchungsrichtung entwickelt. Wenn wir den Beton dagegen auf Druck beanspruchen, weist er ein ganz anderes Verhalten auf. Oberhalb einer gewissen inneren Kraft entstehen Risse parallel zur Beanspruchungsrichtung, welche eine irreversible Verformung zur Folge haben. Die Beanspruchung kann dann noch ein wenig gesteigert werden, bevor die Druckfestigkeit fc erreicht wird. Bei weiterer Belastung entstehen noch weitere Risse, welche eine Abnahme der Festigkeit bewirken. Druck Verhalten des Betons Zug Wird der Gehalt des Zementes, die Art der Zuschlagstoffe (Kies und Sand) oder vor allem der Wassergehalt verändert, dann entstehen Betone mit unterschiedlichen Festigkeiten. Betonarten E[N/mm 2 ] fc [N/mm 2 ] fct [N/mm 2 ] C 12/ Beton mit wenig Zement und viel Wasser C 20/ gewöhnlicher Beton C 35/ C 55/ Beton mit viel Zement und wenig Wasser Stein Zug Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen, kann der Beton wie Stein (Konglomerat) betrachtet werden. Viele Steine haben tatsächlich ein qualitativ ähnliches Verhalten wie der Beton. Die verschieden Steinarten weisen jedoch ein sehr breites Spektrum an Festigkeiten auf. Im Allgemeinen haben die Sedimentgesteine (Sandstein, Konglomerat, Kalkstein) kleinere Festigkeiten und Elastizitätsmodule wie die metamorphen und kristallinen Gesteine (Marmor, Gneis, Granit, Basalt,...). Genau wie beim Beton variiert auch beim Stein das Verhalten des auf Druck beanspruchten Materials mit der Festigkeit. Betone und Steine mit kleinen Festigkeiten weisen relativ große irreversible Verformungen auf, zum Teil vor, oft jedoch nach dem Erreichen der Druckfestigkeit. Materialien mit hoher Festigkeit verhalten sich dagegen wesentlich spröder. Beim Erreichen Druck Kalkstein Gneis Verhalten des Steins spröder Bruch Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -20-

21 der Druckfestigkeit bilden sich schlagartig unzählige Risse, welche einen explosionsartigen Bruch verursachen; das Material löst sich in Splitter auf. Auch beim Stein erfolgt der Bruch unter Zugbeanspruchung sehr spröd; er wird ausgelöst durch einen einzigen, senkrecht zur Beanspruchungsrichtung verlaufenden Riss (Trennbruch). Holz Art des Steines E[N/mm2] ft[n/mm2] fc[n/mm2] Sandstein Marmor Gneis und Granit Richtwerte für verschiedene Steinarten Das Holz ist ein vorwiegend aus Zellulose bestehendes Material. Unter dem Mikroskop betrachtet beinhaltet das Holz sozusagen eine eigene innere Tragstruktur. Es besteht aus aneinander gereihten Röhrchen und hat einen ähnlichen Aufbau wie Wellkarton. Das mechanische Verhalten des Materials, wenn man es in Faserlängsrichtung beansprucht, ist sehr ähnlich zu demjenigen der anderen Baumaterialien mit einer ausgeprägten elastischen Phase. Zug Wenn man das Holz auf Zug über eine gewisse Grenze beansprucht, wird es überbeansprucht, es entstehen Risse, und es verliert seine Festigkeit. Unter Druckbeanspruchung beobachten wir ein Zerquetschen und Instabilwerden der Wände der Röhrchen, was zu irreversiblen Verformungen führt. Nach dem Erreichen der Festigkeit fc kann das Holz noch mit einer beträchtlichen plastischen Verformung weiterbelastet werden, wobei die Festigkeit langsam abnimmt. Die verschiedenen Holzarten haben unterschiedliche mechanische Eigenschaften, welche vor allem von der Dichte des Materials abhängig sind (Menge von Zellulose und Menge Leerräume in Abhängigkeit des totalen Volumens). Im Gegensatz zum Beton und zum Stahl ist beim Holz die Zugfestigkeit grösser als die Druckfestigkeit. Vergleich verschiedener Materialien Materialien weisen also starke Unterschiede in ihren mechanischen Eigenschaften auf. Nebenstehende Tabelle vergleicht Beton und Stahl unter Zugbeanspruchung und hebt diese Unterschiede hervor. Steifigkeit und Festigkeit Alle Materialien sind also charakterisiert durch einen Elastizitätsmodul E und durch die Festigkeiten ft und fc. Entsprechende Werte können aber auch für jedes Tragelement bestimmt werden. Wie wir bereits gesehen haben, entspricht dem Elastizitätsmodul E die Steifigkeit des Tragelementes E A /. Verhalten des Holzes parallel zur Faser Holzart Druck Rohdichte[kg/m3] E[N/mm2] ft[n/mm2] fc[n/mm2] Balsa Fichte - ohne Fehler - Konstruktionsholz Buche Eiche Steifigkeit und Festigkeit des Holzes, Richtwerte, Beanspruchung parallel zur Faser Stahl S500 Beton C20/25 Verhältnis Stahl/Beton Elastizitätsmodul E ~ ~ 6 : 1 Zugfestigkeit ft 580 ~ 2.2 ~ 300 : 1 Bruchdehnung εt 140 mm/m 0.06mm/m ~ : 1 Kennwerte des Stahls verglichen mit denjenigen des Betons unter Zugbeanspruchung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -21-

22 Der Festigkeit des Materials entspricht der Tragwiderstand des Tragwerks. Diejenige Druckoder Zugkraft, die zum Versagen des Tragwerks führt, kann einfach berechnet werden, indem man die Materialfestigkeit mit der Querschnittsfläche multipliziert: NR = ft A NR = -fc A im Falle einer Zugbeanspruchung oder im Falle einer Druckbeanspruchung Festigkeit Traglast Es ist zu beachten, dass der so bestimmte Tragwiderstand weder von der Form des Querschnittes noch von der Länge des Tragelementes abhängt. Wie wir sehen werden, stimmt das für Tragelemente, welche auf Zug beansprucht sind, und auch für Tragelemente mit nicht zu grosser Schlankheit (Verhältnis der Länge zur Querschnittsabmessung), welche auf Druck beansprucht sind. Wenn die Schlankheit einen gewissen Wert überschreitet, erfolgt das Versagen des Tragelementes nicht durch Bruch des Materials, sondern infolge Instabilität. Am Ende des Kurses werden wir zu diesem Problem zurückkehren. Bevor wir weiterfahren, möchten wir uns an die zwei Haupteigenschaften jedes Materials und jeder Struktur erinnern: Material Steifigkeit Steifigkeit Tragelement Die Steifigkeit beschreibt, wie stark sich ein Material unter einer Beanspruchung oder eine Struktur unter der Wirkung einer Last verformt: Je grösser die Steifigkeit, desto kleiner sind die Verformungen. Der Tragwiderstand beschreibt, wie stark ein Material oder eine Struktur belastet werden kann bevor der Bruch eintritt. Bemessung Die Kenntnis der Steifigkeit und des Tragwiderstandes des Tragelementes in Funktion der Querschnittsfläche erlaubt uns, die Querschnittsfläche festzulegen mit dem Ziel, unter einer gegebenen Belastung die Verformungen zu begrenzen und den Bruch zu vermeiden. Um dieses Vorgehen, welches als Bemessung (Dimensionierung) bezeichnet wird, zu erklären, können wir uns als Beispiel eine Liftkabine vorstellen, welche an einem Seil aufgehängt ist. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -22-

23 Bedingung für die Gebrauchstauglichkeit Die erste Bedingung erlaubt, die erforderliche Fläche des Querschnittes des Seiles so festzulegen, dass die von den Personen in der Kabine verursachte Verlängerung des Seiles l einen gewissen Wert lzul (zulässige Verlängerung) nicht überschreitet. Bei grösseren Verlängerungen würde die Benützung des Liftes problematisch, weil die Personen beim Verlassen der Kabine stolpern oder die Schwingungen der Kabine bei den Personen Schwindel und ein unsicheres Gefühl verursachen würden (man stelle sich eine an einem Gummiseil befestigte Liftkabine vor!). Die Verlängerung l infolge der Last N (welche dem Gewicht Q der Personen entspricht) beträgt: N folgt aus E A N E A und muss kleiner sein als die zulässige Verlängerung lzul. Mit Hilfe dieser Beziehung können wir sofort diejenige Querschnittsfläche Aerf des Seiles berechnen, welche erforderlich ist, um eine genügende Steifigkeit des Tragelementes (Seil) zu gewährleisten: A erf N E zul Nehmen wir beispielsweise einen Lift mit einer Traglast von 800 kg (Q = N = = 8000 N), einer konstanten Seillänge von 30 m, einem Elastizitätsmodul E = 160'000 N/mm 2 und einer zulässigen Verlängerung von 10 mm. In diesem Fall erhalten wir folgende Bedingung: Aerf (8000 N / 160'000 N/mm 2 ) (30000 mm / 10 mm) = 150 mm 2 Folglich müssen wir ein Seil mit einem minimalen Durchmesser von 15 mm (A = 177 mm 2 ) verwenden. Der Wert lzul kann in Abhängigkeit der Art des Liftes und der vorgesehenen Nutzung festgelegt werden. Dieses Bemessungskriterium hat also mit dem Zustand des Gebrauchs des Tragwerkes zu tun. Es wird deshalb als Kriterium für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit bezeichnet (SLS, serviceability limit state). Wie wir gesehen haben, dient das zweite Kriterium dazu, den Bruch des Tragelementes (in unserem Beispiel des Seiles) zu vermeiden. Es handelt sich um ein härteres Kriterium, weil der Bruch zu jedem Preis ausgeschlossen werden muss. Es müssen alle möglichen ungünstigen Nutzungsfälle berücksichtigt werden. Obschon die zulässige Belastung des Liftes klar angegeben ist (z.b. max. 8 Personen oder 800 kg), wissen wir, dass diese manchmal überschritten wird. Das Versagen des Seiles muss sicherlich auch in einem solchen Fall ausgeschlossen werden. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -23-

24 Lastfaktoren Aus diesem Grund wird bei der Bemessung eine erhöhte Belastung angenommen, welche durch Multiplikation der vorgesehenen Lasten mit einem sogenannten Sicherheitsfaktor Q, erhalten wird. In Wirklichkeit kann aber auch die Liftkabine schwerer sein als berechnet. Aus diesem Grund werden auch die Eigenlasten mit einem Sicherheitsfaktor G multipliziert. Diese Sicherheitsfaktoren sind in den technischen Normen festgelegt. Die Tabelle enthält die Werte der Schweizer Normen. Die europäischen Normen enthalten ähnliche Werte. ständige Lasten G = 1.35 variable Lasten, inkl. Windlast Q = 1.5 Sicherheitsfaktoren mit welchen die Lasten zu erhöhen sind (CH-Norm) Erhöhte Lasten Zur Bemessung des Tragwerkes muss die Summe aller möglichen mit den Sicherheitsfaktoren multiplizierten (erhöhten) Lasten berücksichtigt werden. Diejenigen inneren Kräfte, welche sich in den Tragelementen infolge dieser erhöhten Lasten ergeben, werden als Bemessungsbeanspruchungen Nd bezeichnet (Bemessung = design): Nd = G G + Q Q Bemessungsbeanspruchungen Um genügend vorsichtig zu sein, müssen wir im Weiteren berücksichtigen, dass auch die Festigkeit des Materials und die Querschnittsfläche kleiner als vorgesehen sein können. In der Tat sind im Stadium der Projektierung des Tragwerkes die Festigkeitswerte des Materials, welches bei der Ausführung verwendet wird, noch nicht genau bekannt. Aus diesem Grund muss der Tragwiderstand des Tragwerks bei der Berechnung reduziert werden, indem die nominelle Materialfestigkeit durch einen weiteren Sicherheitsfaktor reduziert wird, welcher von der Art des Materials abhängt. Dieser Faktor ist davon abhängig, wie stark die Festigkeitswerte eines Materials variieren. Der Stahl, dank seiner sehr sorgfältig kontrollierten Produktion, hat eine viel kleinere Streuung der Festigkeitswerte als beispielsweise das Holz (Knoten, Schwindrisse, diverse Imperfektionen) oder das Mauerwerk. Die in der Tabelle angegebenen Werte beziehen sich auf die Baumaterialien. Bei Tragelementen, welche abnützen können, wie beispielsweise das Seil des Liftes, kommen wesentlich höhere Sicherheitsfaktoren zur Anwendung. Stahl M = 1.05 Betonstahl M = 1.15 Beton M = 1.5 Holz M = Mauerwerk M = 2.0 Sicherheitsfaktoren mit welchen die Materialfestigkeiten zu reduzieren sind (CH-Norm) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -24-

25 Tragwiderstand auf Bemessungsniveau Durch Einführung der Bemessungs-Festigkeit fd = f / M erhält man den Tragwiderstand auf Bemessungsniveau: NRd = fd A Bedingung für den Zustand der Tragsicherheit Die Bemessungs-Beanspruchung muss in jedem Fall kleiner sein als der Tragwiderstand (NRd Nd). Die erforderliche Querschnittsfläche eines Tragelementes kann somit sehr einfach durch Division der Bemessungs-Beanspruchung durch die Bemessungs-Festigkeit fd ermittelt werden: N Aerf f d d Die so erhaltene Bemessungs-Bedingung wird als Kriterium der Tragsicherheit bezeichnet (ULS, Ultimate Limit State = Versagensgrenzzustand). In unserem Beispiel erhalten wir unter der Annahme des Eigengewichts des Lifts G = 9000 N (einer Masse von 900 kg) eine Bemessungsbeanspruchung von: Nd = N N = 24'150 N Mit einer Materialfestigkeit fy = 1410 N/mm 2 und einem Sicherheitsfaktor für die Materialfestigkeit M = 6 (wegen der Abnutzungsgefahr), erhalten wir eine Bemessungsfestigkeit von: fd = (1410 N/mm 2 ) / 6 = 235 N/mm 2 und eine erforderliche Querschnittsfläche von: Aerf (24'150 N) / (235 N/mm 2 ) = 103 mm 2 In diesem Fall ist die Bedingung der Gebrauchstauglichkeit (Aerf 150 mm 2 ) massgebend und nicht jene der Tragsicherheit. Hätten wir andererseits eine Herabsetzung der Kabine von 20 mm toleriert (Bedingung der Gebrauchstauglichkeit Aerf 75 mm 2 ), würde die Bedingung des Grenzzustandes der Tragsicherheit massgebend und ein Kabel von 12 mm Durchmesser (A = 113 mm 2 > Aerf) wäre ausreichend. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -25-

26 Ermüdung Wenn das Material eines Tragelementes einer Belastung unterworfen wird, welche sehr häufig in Funktion der Zeit variiert, kann ein spröder Bruch unter wesentlich kleinerer innerer Beanspruchung als der Festigkeit des Materials auftreten. Dieses Phänomen, welches als Ermüdung bezeichnet wird, hat eine große Bedeutung bei den Eisenbahnbrücken, weil die beweglichen Lasten (Lokomotive und Wagen) verglichen mit den Eigenlasten relativ gross sind. Bei Architekturbauwerken ist die Ermüdung meistens nicht massgebend. Gleichgewicht von mehr als zwei Kräften in der Ebene oder im Raum Die Tragelemente die wir bis jetzt untersucht haben, hatten die Besonderheit, dass alle Kräfte und Beanspruchungen auf der gleichen Wirkungslinie lagen. Wir wollen ein ähnliches Beispiel wie das bereits behandelte untersuchen, mit einer Person, welche auf dem Boden steht und durch eine zusätzliche Kraft beansprucht wird. Wir stellen uns die gleiche Person vor, welche sich nun nach hinten neigt und sich an einem Seil hält, welches an der Wand befestigt ist. Vereinfachend wollen wir annehmen, das Seil sei horizontal. Wir wissen aus Erfahrung, dass in diesem Fall das Seil gespannt ist. Es ist also auf Zug beansprucht. Das bedeutet, dass wenn wir ein Subsystem bilden, welches die Person und ein Teil des Seiles beinhaltet, neben der Gravitationskraft, welche die Erde auf die Person ausübt ( Q = 700 [N]), und der Kraft, welche der Boden auf die Person an der Berührungsfläche der Füsse mit dem Boden ausübt (R), wir eine zusätzliche Kraft berücksichtigen müssen, und zwar die Kraft welche das Seil auf das Subsystem ausübt (H). Diese Kraft entspricht selbstverständlich der Kraft welche innerhalb des Seiles wirkt. Weil das Seil am Subsystem zieht, wirkt die Kraft, welche wir einführen müssen, in unserem Beispiel von rechts nach links. Wenn wir die Kraft untersuchen, welche der Boden auf die Person ausübt, stellen wir fest, dass es nicht mehr die gleiche vertikale nach oben gerichtete Kraft ist, sondern dass sie nun geneigt ist. In anderen Worten weist diese Kraft nun neben der vertikalen Komponente auch eine horizontale Komponente auf. Die Anwesenheit dieser horizontalen Komponente können wir leicht nachweisen, wenn wir uns vorstellen, die Kontaktfläche zwischen den Füssen und dem Boden sei sehr glatt oder die Person stehe auf einem Rollbrett. Dann würden die Füsse der Person sich nach vorn bewegen und die Person würde auf den Boden fallen, weil das Gleichgewicht nicht mehr möglich wäre. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -26-

27 Die auf ein Subsystem wirkenden Kräfte sind im Gleichgewicht, wenn sie sich vektoriell aufheben Wir kehren zum Fall mit genügend rauem Boden zurück und wir können die erste Gleichgewichtbedingung einfach herleiten, in dem wir die früher gefundene Bedingung, dass zwei Kräfte auf der gleichen Wirkungslinie angreifen und entgegengesetzten Sinn haben müssen, verallgemeinern: Die auf ein Subsystem wirkenden Kräfte sind im Gleichgewicht, wenn sie sich vektoriell aufheben. Kräftepolygon Wir können diese Bedingung mit einem Kräftepolygon darstellen. Die Kräfte heben sich vektoriell auf, wenn das Polygon sich schliesst. Das heisst, dass wenn wir die Vektoren aneinander reihen, wir an den Punkt zurückkehren, mit welchem wir begonnen haben. Die Intensität der Gravitationskraft ist bekannt, weil wir die Masse der Person kennen. Die Kräfte im Seil und die auf den Boden wirkenden Kräfte kennen wir jedoch noch nicht. Um ihre Intensität zu erhalten, müssen wir das Kräftepolygon mit exakter Neigung der Kräfte darstellen. Die Neigung der Kraft R, welche am Boden wirkt, ist noch unbekannt. Wir schlagen vor, diese durch Probieren zu ermitteln. Nehmen wir zuerst einmal an, die Kraft R sei vertikal gerichtet. Das Kräftepolygon schliesst sich sofort weil die Seilkraft in diesem Fall null wäre. Der vorliegenden Situation sind wir schon einmal begegnet, als wir das Gleichgewicht der stehenden Person untersucht haben, und wir haben gesehen, dass die Person umfällt, wenn die beiden Kräfte R und Q sich zwar vektoriell aufheben, jedoch nicht auf der gleichen Wirkungslinie liegen. Die Person ist also nicht im Gleichgewicht. Probieren wir nun die Kraft R leicht zu neigen, so dass sich die Wirkungslinien der Kräfte H und R im Punkt A schneiden. Aus dem Kräftepolygon ist ersichtlich, dass die beiden Kräfte zu einer einzigen Kraft (Vektorsumme) zusammengefasst werden können, welche nach oben wirkt und die gleiche Intensität hat wie die Kraft Q. Qualitativ haben wir jedoch immer noch die gleiche Situation wie vorher: Die Kraft Q und die neu erhaltene Kraft heben sich zwar vektoriell auf, wirken jedoch immer noch nicht auf der gleiche Wirkungslinie, so dass die Person nicht im Gleichgewicht sein kann. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -27-

28 Die Wirkungslinien dreier sich im Gleichgewicht befindenden Kräfte müssen sich in einem Punkt schneiden Aus diesen Überlegungen geht klar hervor, welches die zusätzliche Bedingung ist, damit die Person im Gleichgewicht ist: der Punkt A muss auch auf der Wirkungslinie der Kraft Q liegen! In anderen Worten: Die Wirkungslinien dreier sich im Gleichgewicht befindenden Kräfte müssen sich in einem Punkt schneiden. Der Angriffspunkt einer Kraft kann entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden, ohne das Gleichgewicht zu verändern Es ist zu beachten, dass dieser Punkt nicht mit dem Schwerpunkt der Person zusammenfallen muss. Wenn die Person sich nach unten bewegt, ohne die Wirkungslinie des Seiles, die Position der Füsse und die Wirkungslinie von Q zu verändern, ändert sich nichts am Gleichgewicht. Das heisst, dass der Angriffspunkt einer Kraft entlang ihrer Wirkungslinie verschoben werden kann, ohne dass das Gleichgewicht verändert wird. Wenn wir dagegen die Position der Füsse verändern, erhalten wir eine neue Gleichgewichtssituation. Wir haben nämlich die Neigung der auf dem Boden wirkenden Kraft R verändert. Wie aus dem Kräftepolygon ersichtlich ist, hat sich nun die Kraft im Seil (und auch die Kraft R) vergrössert. Die Seilkraft H nimmt zu Reibungswinkel Wir wissen aus Erfahrung, dass wenn wir die Füsse über einen gewissen Punkt nach vorne verschieben, der Schuh auch auf einem rauen Boden zu gleiten beginnt und die Person rutscht. Dies passiert, weil die Reibung zwischen dem Boden und der Schuhsole ungenügend ist. Die Grenze ist erreicht, wenn der Winkel zwischen der Kraft R, welche am Boden wirkt, und der Senkrechten zum Boden einen gewissen Reibungswinkel überschreitet. Dieser Reibungswinkel hängt von der Materialart und von der Rauhigkeit des Bodens ab. Eine Gummisohle auf einem Betonboden hat einen wesentlich grösseren Reibungswinkel als eine Ledersohle auf dem Eis. Im ersten Fall wird die Person sich sehr weit nach hinten lehnen können und die Kraft im Seil wird beträchtlich ansteigen. Im zweiten Fall muss die Person dagegen praktisch senkrecht bleiben, wenn sie nicht gleiten will. rauer Bodenbelag Eis Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -28-

29 Wir wollen nun den sehr ähnlichen Fall von zwei Personen untersuchen, die sich im Seilziehen üben. Wir nehmen an, dass die Personen unterschiedliche Massen haben: 70 und 100 kg. Wenn wir das Subsystem mit der Person mit 70 kg abtrennen, bemerken wir, dass die vorhandenen Kräfte identisch sind mit den im vorhergehenden Beispiel ermittelten. Es ist selbstverständlich kein Unterschied ob die Wand oder die andere Person mit 100 kg die Kraft über das Seil auf das Subsystem A ausübt. Wir wollen nun für jedes Subsystem ein Kräftepolygon zeichnen. Die Kraft H, welche in allen Subsystemen erscheint, muss natürlich überall die gleiche Intensität haben. In anderen Worten muss die Kraft, welche die Person mit 70 kg auf das Seil und auf die andere Person ausübt, mit derjenigen Kraft übereinstimmen, welche die Person mit 100 kg auf das Seil und auf die Person mit 70 kg ausübt. Das bedeutet, dass sich die Person, welche leichter ist, stärker neigen muss, damit das Gleichgewicht erfüllt ist. Cremona-Plan Um bei der Konstruktion der Kräftepolygone zu vermeiden, dass man die gleiche Kraft mehrere Male darstellen muss, setzt man die verschiedenen Polygone in einer Zeichnung, dem sogenannten Cremona-Plan zusammen. Aus diesem Diagramm ist noch besser ersichtlich, wie sich die beiden Personen im Gleichgewicht halten, indem einfach die Neigung der Kraft, welche die Erde auf sie ausübt, unterschiedlich ist. Es ist zu bemerken, dass die Kraft, welche jede der beiden Personen auf das Seil ausübt, und durch dieses auf den Konkurrenten übertragen wird, lediglich abhängt von: dem eigenen Gewicht der Möglichkeit, die auf den Boden ausgeübte Kraft zu neigen (in anderen Worten vom Reibungswinkel zwischen dem Schuh und dem Boden). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -29-

30 Kräfte und Beanspruchungen (innere Kräfte) Die so genannte physische Kraft der Person hat dagegen keinen Einfluss. In Wirklichkeit muss die Muskulatur, zusammen mit dem System der Knochen und der Sehnen, in der Lage sein, die Kräfte durch den Körper hindurch zu leiten. Wie man aus der Figur ersieht, liegen die Druck- und die Zugkräfte auf Wirkungslinien, welche teilweise ausserhalb des Körpers liegen können. Wir werden später sehen, wie diese Kräfte vom Tragwerk unseres Körpers aufgenommen werden. Im Moment genügt es zu verstehen, dass wir ausser den Kräften, welche auf das Subsystem wirken, auch noch die inneren Kräfte (Beanspruchungen), welche innerhalb des Subsystems wirken, berücksichtigen und untersuchen können. Diese Beanspruchungen stellen wir als Druck- und als Zugstreben dar. Von diesem Standpunkt aus gesehen, bedarf die Aussage, dass der Angriffspunkt einer Kraft entlang seiner Wirkungslinie verschoben werden kann, ohne das Gleichgewicht zu beeinflussen, einer Präzisierung. Dies gilt selbstverständlich für das Gleichgewicht eines Subsystems. Eine solche Verschiebung hat dagegen einen Einfluss auf die inneren Beanspruchungen des Subsystems. Wenn wir beispielsweise die Kraft, welche am Boden wirkt, nach oben verschieben (Person sitzt auf einem Stuhl), wirken immer noch die gleichen Kräfte auf das Subsystem, aber die Beine der Person sind nicht mehr beansprucht. Wir wollen diese Betrachtung durch ein ähnliches Beispiel vervollständigen. Wir stellen uns vor, dass die Person, welche sich vorher am Seil festhielt, sich nun gegen eine Wand stützt. Wir wissen aus Erfahrung, dass wenn die Füsse über den Boden gleiten, im Gegensatz zum vorherigen Beispiel, die Person sich von der Wand entfernt. Dies bedeutet, dass auch in diesem Fall die Kraft, welche der Boden auf die Person ausübt, geneigt ist, aber in der anderen Richtung als im ersten Beispiel. Wenn wir das Subsystem Person abtrennen, sehen wir, dass um das Gleichgewicht wieder herzustellen, auch eine von der Wand ausgeübte Kraft erforderlich ist, welche in diesem Fall nicht mehr an der Person zieht, sondern von links nach rechts auf sie drückt. Das bedeutet, dass die Arme nun vorwiegend auf Druck beansprucht sind. Mit Hilfe der behandelten Beispiele ist es gelungen zu verstehen, welche Bedingungen eingehalten werden müssen, damit ein System, oder ein Teil von diesem (Subsystem), im Gleichgewicht ist. Zusätzlich haben wir aber auch schon eigentliche Tragwerke eingeführt. In der Folge werden wir sehen, dass die Wirkung einer Person, welche sich gegen eine Wand stützt, gleich ist wie diejenige eines Seitenbogens einer gotischen Kathedrale. Druck Zug Zug Druck Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -30-

31 Seile Wir wollen jedoch zuerst die Funktionsweise der auf Zug beanspruchten Tragwerke verstehen. Mit einem Seil können wir ein Gewicht (Gravitationskraft) tragen, oder im Allgemeinen eine Kraft übertragen, deren Wirkungslinie mit der Achse des Seiles übereinstimmt. Wenn wir uns Wäsche vorstellen, welche zum Trocknen auf einer Leine hängt, oder die Autos, welche von den Kabeln einer Hängebrücke getragen werden, oder andere Beispiele in der Architektur, wo die Dachplatte durch Seilsysteme getragen wird, erkennen wir, dass die Wirkungslinie der Lasten nicht unbedingt mit der Achse des Seiles übereinstimmen muss. Probieren wir die Funktionsweise eines solchen Tragwerks mit Hilfe eines sehr einfachen Beispiels zu verstehen. Ein Seil sei mit seinen beiden Enden auf gleicher Höhe (beispielsweise an den Händen zweier Personen oder an zwei Bäumen) festgebunden, und trage eine Masse von 1 kg, welche in der Mitte des Seiles angebracht ist. Wenn wir ein Subsystem isolieren, welches nur die Masse umfasst, beobachten wir eine durch die Erde ausgeübte Gravitationskraft von 10 Newton und eine, durch die Struktur ausgeübte, Kraft von gleicher Intensität. Wir können also behaupten, dass die Masse eine Kraft von 10 N auf unserer Struktur ausübt, die durch das Seil und durch die Auflager gebildet wird. Tragwerk Man stellt das Tragwerk oft mit Hilfe eines vereinfachten Schemas dar. Das Kabel wird durch zwei Striche dargestellt und die Auflager können wie im Bild auf der nächsten Seite dargestellt werden. Wie wir später sehen werden, ist es wichtig die Struktur massstäblich darzustellen. In unserem Fall muss die Neigung der beiden Teilstücke (oder Segmente) des Kabels der Wirklichkeit entsprechen. Wir wissen aus Erfahrung, dass unter dem Einfluss der Last das Seil dazu neigt, sich nach unten durchzubiegen, um eine Gleichgewichtslage zu finden. Das Seil nimmt die Form eines Dreieckes an. In Wirklichkeit ist diese Hypothese nur wahr, wenn das Eigengewicht des Kabels verglichen mit demjenigen der aufgehängten Last vernachlässigbar ist. Wir werden später sehen, welche Form ein Kabel einnimmt, wenn sein Eigengewicht im Vergleich zur Last berücksicht werden muss. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -31-

32 Spannweite l und Pfeilhöhe f Die Geometrie dieses Tragwerks kann definiert werden mit Hilfe des Abstandes der beiden Befestigungspunkte (Auflager) des Seiles und der Differenz der Höhe des tiefsten und des höchsten Punktes des Seiles. Im technischen Sprachgebrauch wird die Länge l als Spannweite und die Höhe f als Pfeilhöhe bezeichnet. Um die Funktionsweise unseres Tragwerkes zu verstehen, können wir ein Subsystem abtrennen, welches die aufgehängte Masse und zwei kurze Teile des Seiles beinhaltet. Weil an der Grenze des Subsystems das Seil in Gedanken geschnitten wurde, müssen wir die inneren Kräfte einführen, welche im Seil wirken. Die Wirkungslinien der vom Seil auf das Subsystem ausgeübten Kräfte müssen mit der Achse des Seiles übereinstimmen. Weil die Geometrie des Seiles bekannt ist, können wir das Kräftepolygon so zeichnen, dass das Gleichgewicht gewährleistet ist (die drei angreifenden Kräfte müssen sich vektoriell aufheben). Die zweite Gleichgewichtsbedingung (die Wirkungslinien müssen sich in einem Punkt schneiden) verlangt, dass sich der Schnittpunkt der beiden Segmente des Seiles auf der Wirkungslinie der Schwerkraft der aufgehängten Masse befindet. Die Grösse der Beanspruchungen des Seiles (N1 und N2) können aus dem Kräftepolygon herausgemessen werden. Wegen der Symmetrie des Systems sind die beiden Beanspruchungen selbstverständlich gleich. Auflager Durch sinnvolles Bilden weiterer Subsysteme können wir die Kräfte untersuchen, welche das Seil auf die Fixierungspunkte (genannt Auflager) ausübt, oder umgekehrt, die Kräfte welche das Auflager auf das Seil ausübt. Diese Kräfte können in eine horizontale Komponente H und in eine vertikale Komponente Rv aufgeteilt werden. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -32-

33 Sinn der Beanspruchungen auf das Subsystem Die Beanspruchung N1, welche eine Zugkraft ist, zieht gleichzeitig das Subsystem A nach oben und das Subsystem B nach unten. Um die Wirkung der Beanspruchung mit dem korrekten Sinn zu bezeichnen, müssen wir stets die Art der Beanspruchung, Druck oder Zug, betrachten, oder in anderen Worten, uns überlegen, ob das Subsystem gezogen oder überdrückt ist. Auch in diesem Fall, wo die Beanspruchungen in mehreren Subsystemen wirken, ist es sinnvoll, die drei Kräftepolygone im sogenannten Cremona-Plan zusammenzufassen. Es ist zu bemerken, dass sich das Kräftepolygon für jedes Subsystem verändert, wenn wir die Reihenfolge der Kräfte beim Auftragen verändern. Beim Subsystem B können wir zum Beispiel mit N1 beginnen, dann H1 und am Schluss Rv1 auftragen; oder wir können mit N1 beginnen, dann Rv1 und am Schluss H1 auftragen. Um die Darstellung des Cremona-Planes zu vereinfachen ist es sinnvoll, immer die gleiche Reihenfolge zu benützen. Wir wollen in Zukunft immer diejenige Reihenfolge einhalten, welche sich ergibt, wenn wir die Kräfte im Uhrzeigersinn berücksichtigen (das Gegenteil ist selbstverständlich auch möglich). Aus dem Cremona-Plan ist ersichtlich, dass aus Symmetriegründen die Auflagerkräfte identisch sind ( H1 = H2, Rv1 = Rv2 ). Die Hälfte der Last wird zum einen Auflager (Rv1) und die andere Hälfte zum anderen Auflager (Rv2) abgetragen. Beanspruchungsarten, Intensitäten, Auflagerkräfte Am Schluss der Untersuchung des Systems können wir die Art der Beanspruchungen (Zug im Seil), die Intensitäten und die Auflagerkräfte darstellen. Es ist zu bemerken, dass bei diesem Tragwerk, welches sich aus Seilen zusammensetzt, alle Elemente auf Zug beansprucht sind. Einfluss der Last Wie wir uns leicht vorstellen können, werden die Seilbeanspruchung und die Auflagerkräfte direkt von der Intensität der aufgehängten Last beeinflusst. Sie verdoppeln sich, wenn die Intensität der Last verdoppelt wird. Einfluss der Geometrie Um den Einfluss der Geometrie zu verstehen (Spannweite l und Pfeilhöhe f), können wir zuerst die Pfeilhöhe halbieren. Die beiden Seilsegmente haben dann kleinere Neigungen, und die Kräftepolygone der drei Subsysteme und der Cremona-Plan verändern sich. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -33-

34 Wenn wir die beiden Cremona-Pläne miteinander vergleichen, stellen wir fest, dass die vertikalen Kräfte bei den Auflagern gleich geblieben sind (zu jedem Auflager wird nach wie vor die Hälfte der Last übertragen). Die Beanspruchungen im Seil haben dagegen zugenommen, und deshalb haben sich auch die horizontalen Komponenten der Auflagerkräfte verdoppelt. Wenn wir nicht nur die Pfeilhöhe, sondern auch die Spannweite halbieren, erhalten wir ein Seil mit der halben Länge und der gleichen Neigung wie das ursprüngliche Seil im Massstab 2:1. In diesem Fall bleiben, wie aus dem Cremonaplan ersichtlich, die Kräfte und die Beanspruchungen des Seiles unverändert. Das Verhältnis f Es ist somit offensichtlich, dass die Beanspruchungen und die Kräfte nur vom Verhältnis l/f und von der Intensität der Last abhängen. Wie wir gesehen haben, entspricht die vertikale Kraft beim Auflager der Hälfte der Last: Rv1 = Rv2 = 2 Q. Um das Gesetz herzuleiten, welches die Intensität der horizontalen Komponente der Auflagerkraft in Funktion der Last Q, der Spannweite l und der Pfeilhöhe f beschreibt, reicht es, die Affinität des Dreiecks der Kräfte des Subsystems B und des, durch das Seil, die Pfeilhöhe f und die halbe Spannweite l/2 definierten Dreiecks zu betrachten. In der Tat steht H1 zu l/2 wie Rv1 (und somit Q/2) zu f steht. Als Gleichung ausgedrückt erhalten wir: H 1 / 2 Q / 2 f und somit H 1 Q 4 f Die Seilkraft N1 kann mit dem Satz von Pythagoras ermittelt werden: N Q Q f Q f 2 Für die Kräfte beim anderen Auflager und die Kraft N2 gelten selbstverständlich dieselben Gleichungen, da das System und die Belastung symmetrisch sind. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -34-

35 Einfluss der Position der Last Wir behandeln nun ein Beispiel, in welchem die Last sich nicht mehr in der Mitte des Seiles, sondern im Viertel der Spannweite befindet. Die Last, die Spannweite und die Pfeilhöhe sind dagegen gleich geblieben wie im vorherigen Beispiel. Wir können auch dieses Beispiel einfach lösen, indem wir das Vorgehen des ersten Beispiels wiederholen. Wie wir aus dem Cremonaplan ersehen können, haben sich die Beanspruchungen des Seiles und die Auflagerkräfte verändert. Es wird nun ein grösserer Anteil der Last zum näher gelegenen Auflager hin abgetragen. Die vertikale Komponente der entsprechenden Auflagerkraft beträgt in der Tat 3/4 der gesamten Last Q, während der verbleibende Anteil der Last (1/4 von Q) zum anderen Auflager abgetragen wird. Verglichen mit dem symmetrischen Fall hat die Beanspruchung des Seiles auf der Seite des näher gelegenen Auflagers zugenommen, während diejenige auf der anderen Seite abgenommen hat. Die Horizontalkomponenten der Auflagerkräfte bleiben dagegen gleich. Dies ist dann der Fall, wenn die Lasten vertikal sind. In beliebige Richtung wirkende Last Auch im Fall einer in eine beliebige Richtung wirkenden Last kann wie oben beschrieben vorgegangen werden. Wie wir gesehen haben, verlangt die zweite Bedingung, damit drei Lasten miteinander im Gleichgewicht sind, dass sich ihre Wirkungslinien in einem Punkt schneiden. Die beiden geraden Segmente des Seiles müssen sich somit in einem Punkt mit der Wirkungslinie des Seiles schneiden. Verändert man die Pfeilhöhe des Seiles, so verändert sich die Geometrie des Seiles wie im gegenüberliegenden Bild dargestellt. Wie aus dem Cremonaplan ersichtlich ist, haben die beiden horizontalen Auflagerkräfte, im Gegensatz zum Fall mit vertikaler Last, nicht mehr die gleiche Intensität. Seil mit zunehmender Pfeilhöhe Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -35-

36 Zwei vertikale Lasten Wir kehren nun zum Fall der vertikalen Lasten zurück und behandeln den Fall mit zwei Lasten, welche in 1/4 und 3/4 der Spannweite angreifen. Unter der Wirkung der drei Lasten nimmt das Seil eine polygonale Form an, welche sich aus drei Segmenten zusammensetzt. Die symmetrische Wirkung der Seile sowie die gleiche Höhe der beiden Auflager führen zwingend zu einer symmetrischen Seilgeometrie. Der mittlere Bereich des Seiles muss somit horizontal sein. Zur Untersuchung des Systems können die Subsysteme A, B, C und D eingeführt werden. Aus dem Cremonaplan geht eindeutig hervor, dass jede der beiden Lasten einzig zum nähergelegenen Auflager hin abgetragen wird, und dass die Beanspruchung des Seiles im mittleren Bereich der horizontalen Kraftkomponente bei den Auflagern entspricht. Es fällt auf, dass der Cremonaplan sehr ähnlich ist wie derjenige des Falles mit einer in Feldmitte wirkenden Last. Wenn in der Tat eine einzige Last mit der Intensität 2Q in Feldmitte wirkt, und die Pfeilhöhe 2f beträgt, erhalten wir die gleichen Beanspruchungen des Seiles in den beiden zu den Auflagern verlaufenden Seilteilen, und auch die Auflagerkräfte sind gleich. Dieser Sachverhalt ist im gegenüberliegenden Bild dargestellt. Wenn wir den mittleren Bereich des Seiles mit den beiden Lasten zu einem einzigen Subsystem E zusammenfassen, so wird das Kräftepolygon identisch mit demjenigen des Falles mit einer verdoppelten Last gemäss Subsystem A. Im Subsystem E können die beiden Lasten Q selbstverständlich durch ihre Resultierende R (Vektorsumme) ersetzt werden, deren Wirkungslinie durch den Schnittpunkt der Wirkungslinien der Kräfte N1 und N2 verlaufen muss, wie beim Fall mit einer Kraft. Resultierende Die Betrachtung mit Hilfe der Resultierenden kann sehr nützlich sein im allgemeinen Fall mit zwei nicht vertikalen Kräften mit einer beliebigen Geometrie. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -36-

37 Seil mit zwei nicht vertikalen Lasten Im ersten Schritt wird die Resultierende der beiden Lasten mit Hilfe der Vektorsumme bestimmt. Die Wirkungslinie der Resultierenden muss selbstverständlich durch den Schnittpunkt der Wirkungslinie der beiden Lasten verlaufen. Sobald die Resultierende R (Intensität und Wirkungslinie) bestimmt ist, ist es einfach, ein Seil zu konstruieren, welches die Last aufnehmen kann und durch die Auflager verläuft. Analog zu den bereits untersuchten Fällen kann die Pfeilhöhe f (welche in diesem Fall nicht mit der effektiven Pfeilhöhe des Seiles mit den zwei Lasten übereinstimmt) mit Hilfe der Neigung eines der beiden Seilsegmente bestimmt werden. Im vorher behandelten Fall mit zwei vertikalen Lasten in 1/4 und 3/4 der Spannweite ist die Pfeilhöhe eines Seiles unter der Resultierenden der beiden lasten genau doppelt so gross wie die Pfeilhöhe des Seiles unter den beiden Lasten. Wie im vorherigen Beispiel stimmt auch hier, im Bereich der beiden Auflager, die Seilgeometrie des Systems mit einer Resultierenden überein mit derjenigen des Systems mit den beiden Lasten. Die Beanspruchungen N1 und N3 können mit Hilfe des Subsystems E bestimmt werden. Dieses gilt bis zu denjenigen Punkten, durch welche die Wirkungslinien der beiden Lasten verlaufen, welche das Seil umlenken. Nur im Bereich zwischen den beiden Lasten unterscheiden sich die beiden Systeme. Die Neigung, welche das Seil nach der Umlenkung zwischen den beiden Lasten annimmt, ergibt sich direkt aus dem Cremonaplan, indem das Subsystem A untersucht wird. Wenn die Konstruktion der Kräfte und des Seiles korrekt durchgeführt wurde, ist das Gleichgewicht des Subsystems B automatisch in Ordnung. Mit Hilfe der beschriebenen Vorgehensweise konnten nicht nur die Beanspruchungen, sondern auch der geometrische Verlauf des Seiles bestimmt werden, mit Hilfe dessen die Lasten aufgenommen und zu den Auflagern abgetragen werden können. Seil mit mehreren nicht vertikalen Lasten Die gleiche Vorgehensweise kann auch benützt werden, wenn mehrere Kräfte vorhanden sind. Im Spezialfall, wo sich alle Kräfte in einem einzigen Punkt schneiden, kann die Wirkungslinie der Resultierenden einfach bestimmt werden (Schnittpunkt, Richtung aus dem Cremonaplan). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -37-

38 Allgemeiner Fall Im allgemeinen Fall, wo sich die Lasten nicht in einem Punkt schneiden, kann schrittweise vorgegangen werden: 1. Zuerst wird die Teilresultierende R12 der ersten beiden Lasten Q1 und Q2 bestimmt. Ihre Wirkungslinie verläuft durch den Schnittpunkt der Wirkungslinien der Lasten Q1 und Q2. 2. Dann wird die Teilresultierende R13 der drei ersten Lasten ermittelt durch vektorielles Aufsummieren von Q3 und R12. Ihre Wirkungslinie verläuft durch den Schnittpunkt der Wirkungslinien der Lasten R12 und Q3. 3. Das Vorgehen wird wiederholt, bis die Resultierenden aller Kräfte und deren Wirkungslinie vorliegen. Wirkungslinie von R12 Wirkungslinie von R13 Ab diesem Moment ist das Problem identisch mit demjenigen mit zwei Lasten. Man kann einen möglichen Verlauf des Seiles zwischen dem Auflager und der Resultierenden wählen und somit auch die Grösse der zur Resultierenden gehörenden Pfeilhöhe. Von der ersten (Subsystem A) bis zur letzten Last können wir nun mit Hilfe des Cremona-Plans die genaue Lage des Seiles mit den Umlenkungen bei jeder Last ermitteln. Parallele, nicht symmetrische Lasten Grundsätzlich kann das Verfahren auch in Fällen mit vertikalen Lasten angewendet werden. Die Resultierende der Lasten ergibt sich dann direkt durch Summation der Lasten. Die Bestimmung der Wirkungslinien ist jedoch bei nicht symmetrischen Fällen nicht mehr direkt möglich. In der Tat ist der Schnittpunkt der Wirkungslinien der Lasten nicht mehr definiert, weil diese sich im Unendlichen schneiden, da die Lasten parallel sind! Wirkungslinie der Resultierenden Da die Resultierende und ihre Wirkungslinie nur von den Lasten abhängen, und nicht von der Art des Seiles und von der Lage der Auflager beeinflusst werden, können wir das Problem lösen, indem wir den umgekehrten Weg zum vorher beschriebenen beschreiten. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -38-

39 Hilfsseil Wir starten mit dem Cremonaplan, indem wir die Neigung des ersten Seilsegmentes und somit auch die zugehörige Seilbeanspruchung wählen. Nach dieser Wahl sind die Neigungen der restlichen Seilsegmente festgelegt. Wenn wir zur geometrischen Situation zurückkehren, stellen wir fest, dass das Seil, welches die Gleichgewichtsbedingungen erfüllt, nicht unbedingt die geometrischen Randbedingungen des Auflagers erfüllen muss. Aus diesem Grund bezeichnen wir die entsprechende Konstruktion als Hilfsseil. Sie erlaubt uns, einen Punkt der Wirkungslinie der Resultierenden zu finden, indem wir das erste und das letzte der beiden Seilsegmente bis zu ihrem Verbindungspunkt verlängern (zur Resultierenden gehöriges Hilfsseil ). Es ist zu bemerken, dass die Wahl der Neigung des ersten Segmentes des Seiles nichts zu tun hat mit der Wahl der Neigung im tatsächlichen Projekt. Wir haben nur ein Hilfsseil angenommen, um die Wirkungslinie der Resultierenden zu bestimmen, und der Verlauf dieses Hilfsseiles stimmt wie gesagt in der Regel nicht mit der Lage des tatsächlichen Seiles überein. Wenn die Wirkungslinie der Resultierenden festgelegt ist, können wir genau gleich vorgehen wie in den bereits behandelten Fällen: Wahl eines reellen Seilverlaufes für die ermittelte Resultierende, welcher auch die geometrischen Randbedingungen der Auflager erfüllt, Ermittlung des Verlaufes des mittleren Segmentes des Seiles mit Hilfe des Gleichgewichts bei der ersten Last, Kontrolle des restlichen Verlaufes des Seiles und Bestimmung der Beanspruchungen der Seilsegmente und der Auflagerkräfte. Geometrische Randbedingung beim Auflager verletzt Richtung und Intensität gewählt Die Wahl des reellen Seilverlaufs hat einen direkten Bezug zum Entwurf. Wenn wir eine kleine Pfeilhöhe wählen, erhalten wir große Seilbeanspruchungen. Durch Vergrösserung der Pfeilhöhe kann die Seilbeanspruchung dagegen reduziert werden. Das Hilfsseil und der zugehörige Cremonaplan sind gestrichelt und das wirkliche Seil mit dem dazugehörigem Cremonaplan mit durchgezogener Linie dargestellt. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -39-

40 Dieses Verfahren kann selbstverständlich unabhängig von der Anzahl der Lasten angewendet werden. Im gegenüberliegenden Beispiel ist ein Fall mit 6 Lasten dargestellt. Beim behandelten Beispiel ist die Neigung des Seilsegmentes (nicht aber die Beanspruchung) beim tatsächlichen Seil gleich wie beim Hilfsseil. Es ist zu bemerken, dass dies nicht der Fall sein muss. Schwerpunkt Das Verfahren zur Bestimmung der resultierenden Kraft mittels eines Hilfsseiles kann ebenfalls benutzt werden, um den Schwerpunkt eines Körpers zu finden. Es reicht in der Tat aus, den Körper in mehrere Elemente zu unterteilen und die entsprechenden Gravitationskräfte darauf wirken zu lassen. Die Resultierende dieser Kräfte läuft notgezwungen durch den Schwerpunkt. Wenn die Kenntnis der Intensität und der Wirkungslinie der Resultierenden nicht ausreichend ist und wenn auch ihr Angriffspunkt gesucht ist, (genau den Schwerpunkt), reicht es aus, die Operation mit fiktiven, nicht vertikalen, Kräften zu wiederholen und den Punkt der Übereinstimmung der beiden so konstruierten Aktionslinien zu bestimmen. Seilpolygon In den bis jetzt behandelten Beispielen bestanden die Seilzüge, welche mit den Lasten im Gleichgewicht sind, aus geraden Liniensegmenten, welche bei den Wirkungslinien der Lasten abrupt die Richtung geändert haben. Der Seilverlauf entspricht also einem Polygon, welches definiert wird durch die wirkenden Lasten, die Lage der Auflager und die gewählte Pfeilhöhe. Die entsprechende geometrische Figur wird Seilpolygon genannt. Verteilte Lasten, Seilkurve Oft sind in der Architektur nicht konzentrierte, sondern verteilte Lasten vorhanden. Man denke an die Eigenlasten des Tragwerks oder an die Schneelasten. Diese verteilten Lasten können interpretiert werden als Summe vieler infinitesimaler konzentrierter Lasten, welche nebeneinander angeordnet sind. Das Seilpolygon wird sich also aus unendlich vielen Strichen mit infinitesimaler Länge zusammensetzen. In anderen Worten es besteht aus einer Kurve. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -40-

41 Seil unter gleichmässig verteilter Belastung Wir betrachten das Beispiel eines Seiles unter einer gleichmässig verteilten konstanten Last. Um die verteilten Lasten von den konzentrierten Lasten zu unterscheiden, bezeichnen wir die verteilten Lasten mit Kleinbuchstaben (q) im Gegensatz zu den konzentrierten Lasten (Q). Die Einheit der verteilten Lasten beträgt [kn/m] oder [N/m]. Die Resultierende der verteilten Lasten beträgt beim vorliegenden Beispiel R = q l und ihre Wirkungslinie muss aus Symmetriegründen in Feldmitte liegen. Das Seilpolygon der Resultierenden mit zugehöriger Pfeilhöhe f und der Cremonaplan mit der Resultierenden sind identisch wie in den bereits behandelten Beispielen. Wir können uns dem Seilpolygon für die verteilten Lasten annähern indem wir die verteilte Last ersetzen durch eine Serie von Einzellasten welche alle die gleiche Intensität und den gleichen Abstand zueinander haben. So können wir zum Beispiel die Spannweite in 8 gleich große Bereiche unterteilen. Die Last, welche in jedem dieser Bereiche wirkt, beträgt q l/8 und die zugehörige Wirkungslinie verläuft durch die Mitte des entsprechenden Bereiches. Die Konstruktion des Cremona-Plans und des Seilpolygons kann nun mit der bereits behandelten Methode erfolgen. Wenn wir den so erhaltenen Cremonaplan mit demjenigen des Seiles unter der Resultierenden R = q l vergleichen, und uns an die Gleichungen erinnern, welche wir für das Seil mit einer konzentrierten Einzellast in Feldmitte hergeleitet haben, können wir die zum Seil unter verteilter Belastung zugehörigen Gleichungen einfach finden, indem wir Q durch q l ersetzen. Die Auflagerkräfte betragen somit q Rv und 2 Rv1 2 2 q H1 H2 4 f Die maximalen Seilbeanspruchungen bei den Auflagern entsprechen denjenigen der Lösung mit der Resultierenden und betragen q N f 2 während die minimale Beanspruchung des Seils in Feldmitte (N5) die gleiche Intensität hat wie die horizontalen Auflagerkräfte. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -41-

42 Das Seilpolygon, welches wir für 8 Lasten ermittelt haben, hat die halbe Pfeilhöhe wie dasjenige für die Resultierende (f ). Diese Feststellung bleibt gültig, wenn wir die Anzahl der Lasten erhöhen mit dem Ziel, die Lösung gegen diejenige mit der verteilten Belastung konvergieren zu lassen. Wir können also in den Gleichungen f durch 2 f ersetzen und erhalten H N min 2 q 8 f und N max q f 2 Man kann zeigen, dass die Seilkurve einer verteilten Last mit konstanter Intensität einer Parabel zweiter Ordnung entspricht. Diese kann selbstverständlich auch mathematisch hergeleitet werden; die Lösung der entsprechenden Differentialgleichung sprengt jedoch den Rahmen des vorliegenden Kurses. Kettenlinie Ein Tragwerk, das aus einem Seil besteht und nur durch die Last dieses Seiles beansprucht ist, verhält sich ähnlich. Die Last ist jedoch nicht mehr gleichmässig verteilt, weil das Seil ein pro Längeneinheit konstantes Gewicht aufweist und die Neigung des Seiles variiert. In der Tat wird die Intensität der verteilten Last pro horizontale Längeneinheit des Systems umso grösser, je stärker das Seil geneigt ist. Die Form des Seiles wird also von derjenigen der Parabel abweichen. Kettenlinie Parabel Diejenige Form, welche das Seil annimmt, wird als Kettenlinie bezeichnet und wird mathematisch mit der Cosinus-hyperbolicus-Funktion beschrieben. Wenn das Verhältnis der Pfeilhöhe zur Spannweite nicht zu gross ist, und die Neigung des Seiles in der Nähe der Auflager eine gewisse Grenze nicht überschreitet, ist der Unterschied zwischen der Kettenlinie und der Parabel sehr klein. Auf dem gegenüberliegenden Bild ist als Beispiel ein Dach aus Stahlbeton dargestellt. Weil das Eigengewicht über die Länge des Daches konstant verteilt ist (konstante Dicke) und gegenüber den Nutzlasten (z.b. Schnee mit in horizontaler Richtung konstanter Verteilung) dominiert, nimmt das Dach die Form der Kettenlinie an. Dulles Airport, Virginia, , Arch. Eero Saarinen, Ing. Ammann & Whitney (l = 49 m, f = 8.25 m, l/f = 5.94) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -42-

43 Hängebrücken Häufig wirken die Eigenlasten und die variablen Nutzlasten nicht direkt auf das Seil, sondern werden mit Hilfsseilen an das tragende Seil angehängt. Dies ist der Fall bei den Hängebrücken. Weil das Gewicht der Fahrbahn in horizontaler Richtung praktisch konstant verteilt ist und wesentlich grösser als das Gewicht der Aufhänge- und der Tragseile ist, liegt die Form der tragenden Seile sehr nahe an derjenigen der Parabel. Das gegenüberliegende Bild zeigt die Golden Gate Brücke in San Francisco. Im Bauzustand nehmen die Tragseile die Form der Kettenlinie an, und während dem Einbau der Fahrbahnplatte nähert sich ihre Form immer stärker derjenigen der Parabel. Die Aufhängeseile übertragen konzentrierte Kräfte auf die Tragseile, so dass deren Form in Wirklichkeit polygonal ist. Wenn wir die Tragseile der Hängebrücke genau anschauen, können wir drei Bereiche unterscheiden, welche wir mit Hilfe von Subsystemen getrennt untersuchen können. Die mittlere Spannweite hat eine ähnliche Geometrie wie das bereits untersuchte System, bei welchem die Auflager auf gleicher Höhe lagen. Die Lasten, welche das Tragseil zu den Auflagern überträgt, werden von den Pylonen (vertikale Komponente) und von den Seilen der benachbarten Spannweiten (horizontale Komponente) aufgenommen. Letztere haben ihre Auflager auf unterschiedlichen Höhen: eines auf der Spitze der Pylone, und eines bei den Fundamenten, wo die Seilkräfte (horizontale und vertikale Komponente der Auflagerkraft) in das Erdreich eingeleitet werden. Wir könnten das Tragseil auch als ein einziges Element betrachten, das sich von einem Ende der Brücke bis zum anderen ausdehnt. In diesem Fall schneidet die Begrenzung des Subsystems: Golden Gate Bridge, California, 1937, Ing. Joseph Strauss (l = 1280 m, f = 160 m, l/f = 8) die beiden Enden des Tragseils, auf die die zwei Auflagerkräfte bei den Verankerungsblöcke wirken; alle sekundären Aufhängekabel, auf die die Lasten wirken; und auch die beiden, auf Druck beanspruchten Pylone mit nach oben gerichteten Kräften. Die Form, welche das Tragseil auf seiner ganzen Länge einnimmt, ergibt sich also aus dem Seilpolygon, welches man erhält, wenn man die zwei Auflagerkräfte an den Enden und die nach unten gerichteten Lasten sowie die nach oben gerichteten Kräfte der beiden Pylone berücksichtigt. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -43-

44 Anwendungen in der Architektur Tragsysteme von dieser Art werden auch in der Architektur angewendet. Im gegenüberliegenden Bild sehen wir ein Beispiel, bei welchem das Dach mit Hilfsseilen an den Tragseilen aufgehängt ist. Auch in diesem Fall ist das Dach wesentlich schwerer als die Seile, so dass das Seilpolygon sich der Parabel annähert. Die tragenden Seile der mittleren Spannweite übertragen ihre Kräfte auf die Pylone wie bei der Hängebrücke. Anders dagegen ist die Abtragung der äusseren Seilkräfte der seitlichen Spannweiten. Diese werden nicht ins Erdreich, sondern horizontal in das Dach eingeleitet. Cartiera Burgo, Mantova, , Arch./Ing. P.L. Nervi (l=160 m, f=25 m, l/f=6.4) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -44-

45 bzw. Auflager: Pylone, Verankerungen und andere Elemente Bei den behandelten Beispielen tragen die Seile direkt (Kettenlinie) oder indirekt mit Hilfsseilen (Parabel) Dächer von Gebäuden oder Fahrbahnplatten von Brücken. Bei all diesen Beispielen ist offensichtlich, wie wichtig die Funktion der Endelemente ist, welche wir als Auflager bezeichnet haben. In Wirklichkeit bestehen diese aus Pylonen, massiven Blöcken, Verankerungen im Erdreich oder aus anderen Elementen der Tragstruktur. Bemessung der Seile Für die Bemessung der Seile benützen wir die beiden behandelten Kriterien der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit. Das Kriterium, nach welchem ein Tragwerk so zu bemessen ist, dass der Bruch sehr unwahrscheinlich wird, hilft uns, die Querschnittsfläche des Seiles zu bestimmen. Wenn für die Seile hochfester Stahl benützt wird, ist es notwendig, das Kriterium der Tragsicherheit durch ein restriktiveres Kriterium zu ergänzen. Um zu große irreversible Verformungen zu vermeiden, und um die Probleme zu entschärfen, welche häufig in den Verankerungszonen der Seile auftreten, ist es sinnvoll, die Zugspannungen in den Seilen unter ständigen Lasten auf 0.45 ft zu beschränken. Seilquerschnitt in Funktion der Schlankheit l/f Wenn die Lasten vertikal angreifen, erhalten wir die grössten Seilkräfte dort wo die Neigung des Seils am grössten ist. Dies ist selbstverständlich im Bereich der Auflager der Fall. Für die Bemessung der Seile reicht es somit, wenn wir die Kräfte in dieser Zone betrachten. Wie wir gesehen haben, hängt diese Beanspruchung von der Anordnung der Lasten und vom Verhältnis l/f ab. Der Einfluss dieses, als Schlankheit bezeichneten Verhältnisses, wird in der gegenüberliegenden Darstellung veranschaulicht. Aufgetragen sind die bereits hergeleiteten Gleichungen für ein Seil mit einer konzentrierten Last in Feldmitte und für ein Seil mit einer gleichmässig über die gesamte Länge verteilten Last. Auf der Ordinate wird das Verhältnis der maximalen Kräfte im Seil zur Summe der angreifenden Lasten dargestellt. Die Zunahme der Seilkraft, und somit der Querschnittsfläche des Seiles, mit der Vergrösserung der Schlankheit l/f ist offensichtlich. Wenn die Schlankheit klein ist - aufgrund der Tatsache, dass die Pfeilhöhe gross ist - beträgt die Maximalkraft des Seiles ungefähr die Hälfte der Summe der Lasten. Erreicht die Schlankheit dagegen einen Wert von 15, entspricht die Maximalkraft des Seiles zwei- bis viermal der Gesamtlast. Die Zunahme ist wesentlich grösser beim Seil mit der Einzellast. Dies ist dadurch bedingt, dass beim Seil mit der verteilten Last die Pfeilhöhe der Resultierenden (wichtiger Parameter für die maximale Seilkraft in der Nähe der Auflager) doppelt so gross ist wie die effektive Pfeilhöhe. Maximalkraft des Seiles in Funktion der Schlankheit l/f (bezogen auf die Last Q bzw. q l) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -45-

46 bzw. Die gesamte Menge des erforderlichen Materials hängt, zusätzlich zum Seilquerschnitt, auch noch von der Länge des Seiles ab. Auch dieser letzte Faktor ist eine Funktion der Schlankheit l/f des Seiles. Wie aus dem gegenüberliegenden Diagramm ersichtlich ist, ist der Verlauf umgekehrt zu demjenigen mit der Kraft auf der vertikalen Achse. Wenn wir die Schlankheit l/f vergrössern, nimmt die Länge des Seiles L, bezogen auf die Spannweite l, ab. Erforderliche Materialmenge in Funktion der Schlankheit l/f Die beiden Faktoren kompensieren sich nur teilweise. Bei kleinen Schlankheiten überwiegt die Länge im Gegensatz zu schlanken Seilen wo der Zuwachs der Beanspruchung (und somit auch der erforderlichen Querschnittsfläche) massgebend wird. Das gegenüberliegende Diagramm zeigt den Verlauf der erforderlichen Materialmenge in Funktion der Schlankheit. Die auf der Abszisse aufgetragenen Werte sind dimensionslos infolge Division der Materialmenge des Seiles durch diejenige Materialmenge, welche erforderlich wäre, um die Last Q bzw. q l am vertikalen Seil aufzuhängen (siehe Beispiel Lift, S. 22). Die zum System unter konzentrierter Einzellast zugehörige Kurve hat ein Minimum bei einer Schlankheit l/f = 2. Dies bedeutet dass die grösste Effizienz erzielt wird, wenn die Neigung der beiden geneigten Seilsegmente 45 beträgt. Für das System unter verteilter Belastung sind zwei Kurven dargestellt: die untere stellt den selten vorkommenden Fall mit veränderlichem Seilquerschnitt zur vollständigen Ausnützung des Materials dar, und die obere Kurve beschreibt den Fall mit über die gesamte Seillänge konstantem, im massgebenden Punkt des Seiles ermitteltem Querschnitt. Im ersten Fall liegt die grösste Effizienz bei einer Schlankheit l/f = 2.31, während sie beim zweiten Fall die optimale Schlankheit 2.93 beträgt. Infolge Variation der Belastungsintensität bedingte Verformungen Bei den beschriebenen Systemen können zu grosse Verformungen die Funktionalität beeinträchtigen. Bei Dachkonstruktionen müssen die Verformungen so begrenzt werden, dass kein Schaden an den angrenzenden tragenden und nicht tragenden Bauteilen, insbesondere an den Fassaden, entsteht. Über eine bestimmte Grenze hinausgehende Verformungen können des Weiteren zu Problemen mit der Dachentwässerung führen. Länge L des Seiles in Funktion der Schlankheit l/f (bezogen auf die Spannweite l) konstanter Querschnitt veränderlicher Querschnitt Materialmenge in Funktion der Schlankheit l/f (bezogen auf die Spannweite l, die Last qd l bzw. Qd und die Festigkeit fd) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -46-

47 Wie das gegenüberliegende Beispiel zeigt, bewirkt die Zunahme der Belastung eine Vergrösserung der Beanspruchung, welche ihrerseits, in der elastischen Phase, eine proportionale Zunahme der Seillänge bewirkt. Diese Verlängerung des Seiles führt zu einer Verformung w des Systems, deren Verlauf affin zum Seilpolygon ist. Bei üblichen Baumaterialien sind infolge der grossen Elastizitätsmodule die Einheitsverformungen sehr klein. Wenn wir annehmen, dass wir ein Seil aus hochfestem Stahl mit einer Spannung von 0.45 ft beanspruchen, so beträgt die Einheitsverformung lediglich 4.4 mm/m (ft = 1570 N/mm 2, E = 160'000 N/mm 2 ). Trotz der kleinen Einheitsverformungen können beträchtliche Verformungen auftreten, dies vor allem bei Tragwerken mit grossen Abmessungen. Im gegenüberliegenden Diagramm ist die Verformung in Feldmitte wieder als Funktion der Schlankheit l/f aufgetragen, unter der Annahme der beschriebenen Beanspruchung (0.45 ft). Wir stellen fest, dass bei sehr kleinen und bei grossen Schlankheiten beträchtliche Verformungen auftreten, und dass bei mittleren Schlankheiten die Verformungen kleinere Werte annehmen. Im konkreten Fall eines parabolischen Seiles mit l = m und f = 8.00 m ( l/f = 10) erhalten wir aus dem Diagramm ein Verhältnis w/l von ungefähr , d. h. eine Verformung von w = = 0.70 m! Es handelt sich offensichtlich um eine für irgendein Sekundärtragelement unzulässige Verformung. veränderlicher Querschnitt konstanter Querschnitt Verformung in Feldmitte infolge konzentrierter oder verteilter Belastung in Funktion der Schlankheit l/f (σ = 0.45 ft = 707 N/mm 2, E = 160'000 N/mm 2 ) Verformungen, verursacht durch ständige Lasten Es muss jedoch daran erinnert werden, dass ein grosser Teil dieser Verformungen durch die ständigen Lasten hervorgerufen wird, welche in der Regel für den Nachweis der Gebrauchstauglichkeit nicht berücksichtigt werden müssen. Es handelt sich in der Tat um Verformungen, die ausgeschaltet werden können, wenn die Seile etwas kürzer als mit der theoretischen Länge angeordnet werden, so dass die elastischen Verformungen infolge ständiger Lasten vorweggenommen werden. Die sekundären Tragelemente dürfen dann erst nach dem Einbau der Seile und des Daches montiert werden, weil dann die Verformungen infolge permanenter Lasten sich bereits praktisch vollständig eingestellt haben. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -47-

48 Durch veränderliche Lasten bedingte Verformungen Die durch die veränderlichen Lasten bedingten Verformungen, welche die Sekundärtragelemente beeinflussen, können einfach ermittelt werden, indem man das Verhältnis der veränderlichen Lasten q zu den ständigen lasten g bildet: w(q) = w(g+q) q/(g+q). Wenn diese Verformungen immer noch zu gross sind und die Spannweite l nicht reduziert werden kann, wird es notwendig die Pfeilhöhe f zu erhöhen, um die Schlankheit zu reduzieren (siehe Einfluss im Diagramm), oder man muss die Verlängerung des Seiles durch Vergrösserung der Querschnittsfläche reduzieren. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, ein Material mit einer geringeren Festigkeit zu benützen, weil für den Nachweis der Tragsicherheit Reserven entstehen. Durch die Temperaturveränderungen bedingte Verformungen Wir haben gesehen, dass eine Vergrösserung der Belastung eine Verlängerung des Seiles bedingt, welche zu einer vertikalen Verformung des Systems führt. Die gleiche Situation liegt vor, wenn eine Temperaturerhöhung im Seil stattfindet, weil diese ebenfalls eine Einheitsverformung des Materials zur Folge hat. Diese lässt sich wie folgt quantifizieren: T wobei ΔT die Temperaturdifferenz in C und der Temperaturausdehnungskoeffizient, welcher materialabhängig ist, darstellt. Für den Stahl gilt z.b.: = [ C -1 ]. Das gegenüberliegende Diagramm zeigt, auch in Funktion der Schlankheit, die Zunahme der vertikalen Verformung infolge einer Temperaturzunahme von 20 C ( = = 0.2 mm/m). Die Analogie zum vorherigen Diagramm ist offensichtlich, die beiden Effekte sind die gleichen. Es ist jedoch zu bemerken, dass in diesem Fall die Einheitsverformung nicht von der Querschnittsfläche des Seiles abhängig ist. Eine Reduktion der Verformung eines solchen Systems, bei welchem das Material eine Temperaturveränderung erfährt, kann also nur durch Variation der geometrischen Faktoren l und f erreicht werden. Vertikale Verformung infolge Temperaturerhöhung T = 20 C in Funktion der Schlankheit l/f ( = [ C -1 ]) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -48-

49 Einfluss von horizontalen Auflagerverschiebungen auf die Geometrie des Seiles Wie das nebenstehende Bild zeigt, bewirkt auch eine horizontale Verschiebung der Auflager eine vertikale Verformung des Seiles. In der Tat hat ein leichtes Zusammenrücken der Auflager (kleine Reduktion der Spannweite bei unveränderter Seillänge) den gleichen Effekt wie die Verlängerung des Seiles bei konstanter Spannweite, welche wir vorgängig untersucht haben. Veränderung der Lage der Lasten Wenn auf ein Seil ständige und veränderliche Lasten wirken, bleibt deren Lage nicht notwendigerweise konstant. In anderen Worten können die veränderlichen Lasten eine andere Lage annehmen als die ständigen. Das gegenüberliegende Beispiel zeigt ein Seil auf welches eine ständige Last G in Feldmitte und eine veränderliche Last Q im Viertelspunkt wirkt. Ohne die veränderliche Last Q nimmt das nur durch die ständige Last G beanspruchte Seil eine symmetrische dreieckige Form an. Wenn zusätzlich die veränderliche Last Q angreift, nimmt das Seil eine, aus drei Segmenten bestehende, polygonale Form an. Wenn wir die Last Q verändern haben wir somit gut sichtbare Verformungen des Seiles. Es ist zu bemerken, dass diese nicht nur durch die Verlängerung des Seiles, sondern vor allem durch die Veränderung des Seilpolygons, und somit durch die Form des Seiles bedingt sind. Durch veränderliche Lasten bedingte Verformungen Eine ähnliche Situation liegt vor, wenn verteilte Lasten vorhanden sind. Stellen wir uns zum Beispiel ein Seil vor, auf welches die ständigen Lasten g der Konstruktion auf der gesamten Seillänge gleichmässig verteilt angreifen und zusätzlich eine veränderliche Last q, welche aus der Schneelast besteht, die sich infolge des Windes nur auf der einen Hälfte der Spannweite befindet. Das gegenüberliegende Bild zeigt die Verformung w in Funktion der Schlankheit l/f für vier Werte der veränderlichen Last. Massgebend ist nicht so sehr der absolute Wert der veränderlichen Last q, sondern vor allem das Verhältnis der veränderlichen zur ständigen Last g. Wenn wir dieses Verhältnis vergrössern, haben wir klarerweise grössere Verformungen. Im Diagramm sieht man auch sehr schön den Einfluss der Schlankheit l/f. Für Seile mit einer kleinen Schlankheit sind die Verformungen sehr gross; wenn die Schlankheit vergrössert wird, nimmt dieser Effekt dagegen ab. Wir wollen unseren konkreten Fall mit = 80.0 m und f = 8.0 m untersuchen. Wir erhalten eine Verformung von 0.58 m (w/l = ), wenn die veränderlichen Lasten gleich gross sind wie die ständigen und von 0.80 m (w/l = ), wenn die veränderlichen Lasten doppelt so gross sind wie die ständigen. Wie bereits erwähnt, sind diese Verformungen nicht durch die Verformungen des Materials bedingt. Dies bedeutet, dass wenn wir die Querschnittsfläche des Seiles vergrössern, wir keine Erhöhung der Steifigkeit des Systems erhalten. Verformung im Viertelspunkt infolge einer veränderlichen Last verteilt auf eine Hälfte der Spannweite in Funktion der Schlankheit l/f; Parameter der 4 Kurven: Verhältnis q/g (Verformung des Seiles vernachlässigt) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -49-

50 Massnahmen zur Begrenzung der Verformungen infolge veränderlicher Lasten Wie das behandelte Beispiel zeigt, wird ein einfaches, in der Architektur eingesetztes Seil, das mit anderen Elementen zusammenwirkt, das Kriterium der Gebrauchstauglichkeit nur schwer erfüllen. Es ist also unumgänglich, Massnahmen zu treffen, um die Verformungen infolge Formänderung des Seiles wegen der veränderlichen Lasten zu begrenzen. Vergrösserung der ständigen Lasten Wie wir gesehen haben, hängt die Verformung vom Verhältnis der veränderlichen Lasten zu den ständigen Lasten ab. Da die veränderlichen Lasten nur schwer zu beeinflussen sind (Schnee, Wind, Personen), kann das Verhältnis praktisch nur durch Erhöhung der ständigen Lasten verbessert werden. Selbstverständlich erhöhen wir mit dieser Massnahme auch die Beanspruchungen des Seiles und der Auflagerkonstruktionen, und somit den Materialverbrauch. Trotz dieses Nachteils wird dieses Vorgehen manchmal benutzt, insbesondere bei nicht zu grossen Spannweiten. Die gegenüberliegenden Bilder zeigen ein von Le Corbusier projektiertes Dach, dessen Seile aus hochfestem Stahl Plattenelemente aus Stahlbeton tragen. Mit dieser Massnahme löst sich noch ein anderes Problem der Seiltragwerke: Wenn die ständigen Lasten zu klein sind, können der Sog auf die äussere Oberfläche des Daches oder die Zunahme des Drucks im inneren der Konstruktion infolge Wind zum Abheben des Daches führen. Um die Auswirkung der ständigen Lasten auf die Verformungen zu quantifizieren, nehmen wir unser Beispiel mit l=80 m und f = 8.0 m. Bei konstant gehaltenen veränderlichen Lasten vergrössern wir die ständigen Lasten, bis wir ein Verhältnis g/q = 0.2 erhalten, so reduzieren wir die Verformung auf 0,18 m (w/l = , unterste Kurve im Diagramm auf der vorherigen Seite). Lösungen mit Vorspannseilen: Seilbalken Eine Lösung, welche ähnlich funktioniert wie die eben diskutierte, besteht darin, ständige Lasten angreifen zu lassen, welche nicht aus Gravitationslasten (Gewicht) bestehen, sondern von einem anderen Seil ausgeübt werden. Ein vorgespanntes Seil mit einer, dem Hängeseil entgegengesetzt gerichteten Krümmung nach unten, welches mit Hilfe von Verbindungsseilen mit dem tragenden Seil verbunden ist, ist in der Lage den gewünschte Zweck zu erfüllen. Das so erhaltene System wird als Seilbalken bezeichnet. Nebenstehende Grafik stellt die Belastungen dar, welche durch die Vorspannung des Systems erzeugt wurden. Wir bilden drei Sub-Systeme, das Tragseil, das Vorspannseil und die Verbindungsseile und zeichnen die inneren Kräfte ein, welche die drei Sub-Systeme eines auf das andere ausüben, ohne dass eine äussere Last wirkt. Maison des Jeunes et de la Culture, Firminy-Vert, , Arch. Le Corbusier, (l=18.25 m, f=1.30 m, l/f=14.04 m) tragendes Seil Verbindungsseil Vorspannseile Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -50-

51 Die Zusatzlasten pi, welche durch horizontales Spannen der Seile ins System eingeführt werden, steifen das tragende Seil aus, und umgekehrt wird auch das Vorspannseil über die Hilfsseile durch das tragende Seil ausgesteift. Mit dieser Lösung wird auch das Abheben der Dachkonstruktion durch Sog oder Innendruck infolge Wind vermieden. Die Seilbalken können unterschiedliche Formen annehmen. Beim Entwurf solcher Tragelemente können, bei gegebener Spannweite, folgende Grössen variiert werden: Die Pfeilhöhe des tragenden Seiles, diejenige des Vorspannseils, der Abstand zwischen den beiden Seilen und die Geometrie der Hilfsseile. In den Bildern sind Beispiele mit unterschiedlichem Abstand zwischen dem tragenden und dem gespannten Seil gezeigt. Dort wo sich das tragende Seil und das Vorspannseil überlappen, sind die Hilfselemente nicht mehr auf Zug, sondern auf Druck beansprucht (Siehe Analyse mit Subsystemen). Die entsprechenden Elemente dürfen nicht mehr aus Seilen, sondern müssen aus Druckstreben bestehen. Zug Druck Durch Variation der Abstände der Hilfsseile erhält man auch unterschiedliche Verläufe der Trag- und der Spannseile. Wenn diese Abstände sehr klein sind, nähert sich der Verlauf der Seile demjenigen einer Kurve an. Die Hilfsseile können auch als Membran ausgebildet sein: dann nehmen die Seile tatsächlich die Form einer Kurve an. Die Hilfsseile müssen nicht unbedingt vertikal sein. Der dargestellte Seilbalken weist diagonal angeordnete Hilfsseile auf. Dieses System, welches vom Ingenieur David Jawerth in den 50er Jahren eingeführt und weiterentwickelt wurde, ist ausserordentlich effizient dank seiner grossen Steifigkeit unter nicht symmetrischen Lasten. Wir werden in Zukunft noch auf die Funktionsweise der geneigten Hilfsseile zurückkommen. Eisstadion Johannishov in Stockholm, 1962, Arch. Hedqvist, Ing. Jawerth (l = 83 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -51-

52 Die Seilbalken weisen dank ihres sehr kleinen Eigengewichtes (nur auf Zug beanspruchte Elemente) eine große Leichtigkeit und vor allem auch eine große Transparenz auf. Aus diesem Grund hat der Ingenieur P. Rice sie in den 80er Jahren als stabilisierende Tragelemente bei grossen Verglasungen eingesetzt mit der Funktion als Tragelemente zur Aufnahme der Windlasten. Trotz des grossen Spektrums der möglichen Formen sind alle Seilbalken charakterisiert durch ein Tragseil mit einer gegen die Hauptlasten (in der Regel nach oben) gerichteten Krümmung und einem im Gegensinn gekrümmten Spannseil. Lösung mit Tragseil und stabilisierenden Seilen Ein zu den Seilbalken verwandtes System besteht aus einem tragenden Seil, welches durch ein System von Hilfsseilen stabilisiert wird, welche direkt in den unteren Auflagern verankert sind. Die Funktionsweise ist teilweise ähnlich wie bei der behandelten Lösung: die stabilisierenden Elemente üben, falls sie vorgespannt werden, eine ständige Last auf das Tragseil aus. Zusätzlich verhindern sie das Anheben des tragenden Seiles im weniger belasteten Bereich. Bei einer kleinen Verformung des tragenden Seiles nach oben entsteht in der Tat eine Verlängerung im stabilisierenden Seil, welches, dank dem elastischen Gesetz, eine zusätzliche Belastung des tragenden Seiles bewirkt und so zu einem Ausgleich führt. Gewächshäuser im Parc Citroën, Paris, 1992, Arch. P. Berger, Ing. P. Rice Glasfassade der Cité des sciences et de l industrie, Paris, 1986, Arch. A. Fainsilber, Ing. P. Rice Abnahme der Beanspruchung Zunahme der Beanspruchung Vorspannung der stabilisierenden Seile (nur ohne veränderliche Last vorhanden) Veränderung der Beanspruchung in den stabilisierenden Seilen, welche dem Anheben des Tragseiles im unbelasteten Bereich entgegenwirken. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -52-

53 Analog haben die stabilisierenden Seile die Tendenz, sich zu verkürzen, wenn das tragende Seil sich unter den veränderlichen Lasten nach unten verschiebt. Die Vorspannlast in den stabilisierenden Seilen nimmt somit ab. Dies ist aber auch ein Schwachpunkt dieser Systeme. Wenn die veränderlichen Lasten grösser sind als die Vorspannlasten der Hilfsseile, werden diese sich entspannen und inaktiv werden. Beim dargestellten Beispiel sind die stabilisierenden Seile zur Begrenzung dieses Problems weich ausgebildet. Seile mit Versteifungsträgern Eine andere Tragwerkslösung zur Reduzierung der Verformungen aus der Formänderung infolge der veränderlichen Lasten, ist diejenige des Tragseiles welches mit Hilfsseilen mit einem Versteifungsträger verbunden ist. Der Träger setzt sich, dank seiner Steifigkeit, den Verformungen entgegen und hilft somit, die veränderlichen Lasten auf das tragende Seil so umzuverteilen, dass sie sich den dem Seilpolygon zugehörigen Lasten annähern. Das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Beispiel zeigt ein solches System unter einer konzentrierten Einzellast in Feldmitte. Ohne Versteifungsträger hätte das Seil die Tendenz, die Form eines Dreieckes mit einer beträchtlichen Verformung in Feldmitte anzunehmen. Der Versteifungsträger erlaubt es, die konzentrierte Last auf mehrere Hilfsseile zu verteilen. Beim Erfüllen dieser Aufgabe erleidet der Träger auch seinerseits Verformungen, welche sich auf das tragende Seil übertragen. Deutsche Messe Hannover, Halle 26, 1996, Arch. Herzog, Ing. Schlaich Diese Lösung kommt bei den Hängebrücken zur Anwendung. Die Fahrbahnplatte, auf welcher der Strassen- oder Bahnverkehr abläuft, muss eine genügende Steifigkeit haben, um die Verformungen infolge veränderlicher Lasten und die Schwingungen infolge Wind zu beschränken. Bei der Tacoma Narrows Brücke, welche mit einem zu schlanken Versteifungsträger konstruiert wurde, hat der Wind so große Verformungen verursacht, dass es zum Einsturz kam. Seit diesem Ereignis, welches aufgrund der damaligen Kenntnisse unvorhersehbar war, ist man zur Ausbildung steiferer Fahrbahnplatten zurückgekehrt. Seit den 60er Jahren bildet man diese Versteifungsträger kastenförmig und aerodynamisch aus, so dass die Trägerhöhen der Fahrbahnplatten wieder schlanker ausgebildet werden können. In der Architektur werden solche Tragwerke zur Überspannung grosser Spannweiten eingesetzt. Die Dachkonstruktion hat in diesen Fällen die Funktion des Versteifungsträgers, während die parabolischen Seile sichtbar bleiben (vgl. Cartiere Burgo von Pier Luigi Nervi, S. 44)) Tacoma Narrows Brücke in der Nähe von Seattle, 1940, Ing. Moisseiff (l =853 m, f=70.7 m, hfahrbahnplatte=2.44 m), Einsturz am infolge Windbelastung mit einer Geschwindigkeit von 65 km/h. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -53-

54 Seile mit Biegesteifigkeit Diese haben eine ähnliche Funktionsweise weil der Versteifungsträger und das Tragseil in einem Element vereint sind. Unter dem Einfluss der ständigen Lasten verhält sich das System wie ein Seil, während sowohl konzentrierte, als auch nur über einen Teil der Länge verteilte Lasten, auf die gleiche Weise wie im vorherigen Fall auf das System verteilt werden. Dank seiner Biegesteifigkeit muss sich das Seil nicht verformen bis zum Erreichen der Form des zu den Lasten zugehörigen Seilpolygons. Dies bedeutet aber auch, dass bei biegesteifen Seilen die Wirkungslinie der Seilkräfte nicht unbedingt mit der Achse des Tragwerks übereinstimmen muss. Das Tragwerk kann aber auch zusammengesetzt sein aus Seilen und aus biegesteifen Trägerelementen, welche so gekrümmt oder zusammengesetzt sind, dass das Gesamtsystem die Form der Kettenlinie annimmt. Olympiazentrum in Tokyo, 1964, Arch. K. Tange, Ing. Tsuboi, M. Kawaguchi, S. Kawamata Wenn das Tragwerk genügend biegesteif ist, kann eine Form gewählt werden, welche nicht unbedingt dem Seilpolygon der ständigen Lasten entspricht. Dadurch wird es möglich, auch anderen Anforderungen an den entstehenden Raum auf einfache Weise zu genügen. Systeme mit kombinierten Seilen Wettbewerb für eine Halle der Mustermesse in Basel, 1996, Arch. Arnaboldi + Cavadini, Ing. Grignoli & Muttoni (l=80 m) Eine weitere Möglichkeit, die Verformungen unter nicht symmetrischen veränderlichen Lasten zu beschränken, besteht darin, mehrere Seile im gleichen System so zu kombinieren, dass es möglich wird, in Abhängigkeit der Lage der Lasten immer ein Seilsystem so zu beanspruchen, dass die Lasten mit einem Minimum an Verformungen abgetragen werden können. Wenn Lasten nur auf der einen oder der anderen Hälfte der Spannweite vorgesehen sind, kann das Problem elegant mit zwei Seilen, wie im gegenüberliegenden Bild dargestellt, gelöst werden. Nichtbeanspruchtes Seil Nichtbeanspruchtes Seil Dieses System kam bei den seitlichen Feldern der Tower Bridge in London zur Anwendung. Die beiden Seile sind zusätzlich mit Diagonalen verbunden, welche sie zu einem biegesteifen Element machen, so dass beliebige Zwischenfälle von veränderlichen Lasten, wie vorgängig beschrieben, aufgenommen werden können. Tower Bridge in London, 1894, Arch. H. Jones + G. D. Stevenson, Ing. J. W. Barry Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -54-

55 Abgespannte Systeme Wenn mehrere Seile mit polygonalem Verlauf kombiniert werden, welche einzeln in der Lage sind, konzentrierte Lasten aufzunehmen, können diese zusammen auch verteilte Lasten übertragen. Häufig sind diese Tragwerke, welche als abgespannte Systeme bezeichnet werden, durch einen Versteifungsträger ergänzt. So wird es möglich, die Anzahl der schrägen Seile zu beschränken. Abgespannte Systeme werden häufig angewendet bei Brücken mit mittleren Spannweiten ( m), bei welchen die Fahrbahnplatte als Versteifungsträger dient. Manchmal wird das System auch als Tragwerk für Dächer angewendet. Kombination mehrerer Kabel für die Wiederaufnahme verschiedener Lasten; abgespanntes System Der Versteifungsträger wird häufig so ausgelegt, dass er vor allem die horizontalen Druckkräfte aufnehmen kann, so dass die Auflager, um das System zu stabilisieren, nur noch Kräfte nach oben ausüben müssen. Unterhaltszentrum für die Boeing 747 in Roma-Fiumicino, , Ing. R. Morandi ( l=80.00 m ) Der Pont transbordeur, konstruiert vom Ingenieur Arnodin aus Marseille, ist ein bemerkenswertes Beispiel eines solchen Tragwerks. Die beiden Pylone tragen das gesamte Gewicht des Tragwerks und die Nutzlasten, während die äusseren Seile an den Enden des Versteifungsbalkens befestigt und im Gelände verankert sind, um die Stabilität der Tragwerks sicherzustellen. Pont transbordeur in Marseille, 1905, Ing. F. Arnodin Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -55-

56 Abgespannte Netze, Zelte und Membranen Räumliche Seilsysteme Bei den bis jetzt behandelten Beispielen befinden sich das tragende Seil und das zugehörige Versteifungssystem immer in einer einzigen Ebene, und zwar meistens in der vertikalen Ebene. Es ist auch möglich, ein Seil mit Hilfe eines Seilsystems zu versteifen, welches die Hauptebene schneidet. Auf diese Art erhält man auch bei kleinen Spannkräften ein extrem steifes System. Nebenstehendes Schema zeigt ein solches Beispiel. Im Subsystem werden die auf das Tragwerk wirkenden Kräfte ersichtlich. Die rechtwinklig zur Tragseilebene geneigt verlaufenden Vorspannseile weisen Zugkräfte auf, welche im Gleichgewicht sind mit den Umlenkkräften des Tragseiles. Ein so stabilisiertes Kabel weist noch einen anderen Vorteil auf: Es ist in der Lage, Lasten aufzunehmen, welche nicht in der Ebene des Tragseiles wirken, wie zum Beispiel Windlasten. Um ein Dach zu tragen bedarf es vieler Tragseile. Diese können parallel sein, wie bei den meisten bereits beschriebenen ausgeführten Beispielen, oder aber unterschiedliche Abstände aufweisen. Die eben eingeführten Spannseile können alle Tragseile schneiden und diese stabilisieren. Tragseil Vorspannseil Aktion des Vorspannseils auf das Tragseil Aktion des Tragseils auf das Vorspannseil Beanspruchung der Seile infolge Vorspannung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -56-

57 Abgespannte Netze Auf diese Art erhält man ein abgespanntes Netz, bei welchem, wie bei den Seilbalken, die Tragseile eine nach oben gerichtete Krümmung aufweisen, und die Spannseile eine entgegengesetzt gerichtete Krümmung haben und nach unten ziehen (siehe gegenüberliegendes Bild). Auch die statische Funktionsweise ist identisch: der nach unten gerichtete, von den Spannseilen ausgeübte Zug und die ständigen Lasten werden von den Tragseilen aufgenommen. Die veränderlichen Lasten bewirken eine Zunahme der Beanspruchungen in den Tragseilen und eine Abnahme der Beanspruchungen in den Spannseilen. Die Netze beschreiben zusammen mit den Membranen, welche sie überdecken, räumliche Flächen. Die räumliche Figur, welche der ebenen Parabel entspricht, ist das hyperbolische Paraboloid und wird mit der Gleichung z = c1 (1+x/c2) (1+y/c3) beschrieben. Der Name kommt aus der Tatsache, dass horizontale Schnitte Hyperbeln und vertikale Schnitte Parabeln ergeben. Dank dieser Eigenschaft ist die Umlenkkraft des Seiles gleichmässig über seine Länge verteilt. Bei den hyperbolischen Paraboloiden, wie bei allen Flächen dieses Typs, ist es möglich, die geometrische Figur mit zwei in definierten Richtungen verlaufenden vertikalen Ebenen zu schneiden, so dass die Schnittkurven zu Geraden degenerieren. Diese Geraden werden als Erzeugende bezeichnet. Im Fall des durch die angegebene Gleichung definierten hyperbolischen Paraboloids sind diese Schnitte mit x bzw. y = konstant charakterisiert. Wenn die beiden Seilscharen entlang dieser Geraden angeordnet werden erhalten wir dieselbe geometrische Figur, aber da die Krümmung der Kurven null ist, ist es unmöglich eine stabilisierende Interaktion zwischen den beiden Seilscharen zu erzeugen. Die Tragseile, mit ihrer unendlichen Schlankheit, können nur im Zusammenhang mit grossen Verformungen Lasten aufnehmen. Stadion de Saint-Ouen, , Arch. Kopp, Ing. R. Sager Hyperbolisches Paraboloid: Fall mit Seilen entlang der Hauptkrümmungsrichtungen und Fall mit Seilen entlang der Erzeugenden. Wenn die Form der Fläche einmal definiert ist, ist es notwendig, die Richtungen der Tragseile und der Spannseile so festzulegen, dass ihre Krümmung nicht null ist. Am effizientesten ist das System, wenn die nach oben gerichtete Krümmung der Tragseile und die nach unten gerichtete Krümmung der Spannseile maximal sind. Diese optimalen Richtungen sind die sogenannten Hauptkrümmungsrichtungen, welche rechtwinklig zueinander sind. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -57-

58 Wie wir gesehen haben, hat das hyperbolische Paraboloid die Besonderheit, dass in den parabolischen Schnitten die Umlenkkräfte eine konstante Verteilung haben. Wenn wir die Verteilung dieser Kräfte verändern, erhalten wir beliebig viele andere mögliche Flächen. Unter der Bedingung, dass eine der beiden Hauptkrümmungen nach oben und eine nach unten gerichtet ist, können diese Flächen wie abgespannte Netze funktionieren. Das Dach des olympischen Stadions in München ist ein eindrückliches Beispiel für die formalen Freiheiten, welche diese Tragwerke zulassen. Die abgespannten Netze können in einer steifen Konstruktion verankert sein, wie im Beispiel des Stadiums von Saint-Queen, oder in einem anderen Seilsystem wie das Beispiel von München zeigt. Hier geben die Randseile, welche beansprucht sind durch die Trag- und die Spannseile, ihre Zugbeanspruchungen direkt auf die Auflager ab, welche ihrerseits aus Fundamenten und aus Pylonen bestehen. Zelte und Membranen Überdeckung des Olympischen Stadions in München, , Arch. Behnisch & Partner + Frei Otto, Ing. Leonhardt & Andrä Wenn sich die Seile immer stärker annähern, gehen die abgespannten Netze in aus Stoff bestehende Zelte über. Diese Tragstrukturen sind aus sehr frühen Zeiten bekannt: mit Hilfe von Tierfellen oder Stoffen, welche auf Holzästen gespannt und am Boden befestigt waren, hat der Mensch gelernt sehr effiziente Tragwerke zu bauen. Mit Ausnahme der Tragwerke, welche eine häufige und schnelle Montage voraussetzen, wie zum Beispiel die Zirkuszelte, hat diese Tragwerkart bis zu den 60er Jahren kein grosses Interesse geweckt. Mit der Einführung der synthetischen Materialien, welche sowohl beanspruchungs- als auch witterungsresistent sind, vor allem mit PVC beschichteter Polyester und mit Glasfasern verstärkter Teflon, haben die Membranen in der Folge interessante Anwendungen gefunden. Traditionelles Stoffzelt Das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Tragwerk, mit einer überdeckten Fläche von 425'000 m 2, ist sicherlich eines der spektakulärsten Beispiele. Bemerkenswert ist vor allem die sehr kurze Montagezeit von nur 3 Monaten für das gesamte Tragwerk! Alle diese Tragwerke sind charakterisiert durch sehr kleine Eigenlasten. Als Hauptbeanspruchungen wirken somit die veränderlichen Lasten und die Spannkräfte. Statisch funktionieren sie gleich wie die abgespannten Netze. Beim Seil wurde die Beanspruchung als Kraft N in [kn] oder in [N] angegeben und die Materialspannung σ wurde durch Division der Kraft N durch die Querschnittsfläche erhalten. Bei den Membranen haben wir dagegen Kräfte pro Längeneinheit n mit den Einheiten [kn/m] oder [N/mm] und die Spannung ergibt sich durch Division dieser Kraft n durch die Materialstärke der Membran. Flughafen von Jeddah, Terminal Haj, 1981, Arch. Skidmore, Owings & Merrill, Ing. H. Berger (210 quadratische Elemente 45x45 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -58-

59 Wenn wir ein Element der Membran als Subsystem untersuchen, erkennen wir, dass das Element zwei in unterschiedliche Richtungen wirkenden Beanspruchungen ausgesetzt ist. Dies überrascht uns nicht, wenn wir uns erinnern, dass das Element in Gedanken aus zwei Teilen von Trag- und Spannseilen eines abgespannten Netzes besteht. Im Gegensatz zu den abgespannten Netzen haben bei den Membranen die Beanspruchungen keine bevorzugten Richtungen; aber wie bei den abgespannten Netzen, wo die Trag- und Spannseile nach Möglichkeit in den Richtungen der Hauptkrümmungen angeordnet werden, erhält man auch bei den Membranen das beste Tragverhalten, wenn die Hauptbeanspruchungen in den Hauptkrümmungsrichtungen wirken. Diese Beanspruchungen werden in die Membran eingeleitet durch die von den steifen Randelementen, die wie Auflager wirken, aufgezwungenen Verformungen oder durch die gespannten Randseile an denen die Membranen befestigt sind. King Fahd Stadium, Riyadh, 1985, Arch. I. Fraser, Ing. A. Geiger, H. Berger und J. Schlaich Der Entwurf eines Zeltes setzt also voraus, genau wie derjenige eines abgespannten Netzes, dass die Wahl der Form so erfolgt, dass in jedem Punkt die beiden Hauptkrümmungen in entgegengesetztem Sinn angeordnet sind. Zusätzlich müssen die Spannkräfte, welche erforderlich sind um die Form zu stabilisieren, möglichst genau in den Hauptkrümmungsrichtungen aufgebracht werden. Pneumatische Membranen Im Gegensatz zu den Zelten, wo die Lasten durch das tragende Seilsystem aufgenommen werden und die Stabilisierung durch das Spannsystem sichergestellt wird, werden bei den pneumatischen Systemen die Lasten durch den inneren Luftdruck aufgenommen, während die Beanspruchungen der Membran eine Spannfunktion haben. Auch in diesem Fall ist die Membran in zwei Richtungen beansprucht; da es sich aber um reine Spannfunktionen handelt, üben die beiden Beanspruchungen nach unten gerichtete Kräfte aus. So muss die Form eine andere sein: die beiden Hauptkrümmungen sind in jedem Fall nach unten gerichtet. Die Funktionsweise wird leichter verständlich, wenn wir die Membran durch ein Seilsystem idealisieren. Die nach oben wirkende Kraft des Innendruckes ist dann im Überschneidungspunkt von zwei Seilen konzentriert. Funktionsweise und Beanspruchungen eines Elementes einer pneumatischen Membran Luftdruck Luftdruck Schematischer Ersatz des Elementes durch zwei Seile Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -59-

60 Die ersten dieser Tragwerke wurden kurz nach dem zweiten Weltkrieg zum Schutz von Radaranlagen vom Ingenieur W. Bird gebaut. Auch in diesem Fall wurde die Entwicklung erst möglich durch die Einführung von genügend festen Materialien. Da diese Tragwerke in der Regel nicht gegen steife Fassaden angrenzen, spielen die Verformungen praktisch keine Rolle, so dass Materialien mit einem kleinen Elastizitätsmodul gewählt werden können. Häufig kommen Nylonfasern mit einer Neoprenbeschichtung zur Anwendung. Da die Tragweise vom Innendruck abhängt, ist die Aufrechterhaltung dieses Druckes zwingend. Die Abmessungen dieser Tragwerke und die Anwesenheit von Eingängen verunmöglichen eine vollständige Dichtheit. Es muss ständig Luft in den Innenraum gepumpt werden. Es handelt sich also um Tragwerke, welche eine ständige Energiezufuhr erfordern, um funktionieren zu können. Die entsprechenden Tragwerke sind häufig gekennzeichnet durch ein kleines Schlankheitsverhältnis l/f. Um dieses Verhältnis zu erhöhen, ist es notwendig, die pneumatische Membran mit einer Serie von Hohlräumen zu verstärken. Die beiden Seilscharen sind dann vorgespannt und ziehen die Membran nach unten, gegen den inneren Luftdruck. Auf diese Art können grössere Spannweiten überbrückt werden. Gegenüberliegend ein Beispiel einer solchen Membran, welche ein Stadion für 80'000 Personen überspannt. Radom, 1946, Ing. W. Bird Pneumatische Membranen mit hohem Druck Diese Tragwerke haben eine grundlegend andersartige Tragwirkung wie die eben beschriebenen. Um sie intuitiv zu verstehen stelle man sich aufblasbare Rettungsringe oder Luftmatratzen vor. Mit der Behandlung der Balken, an welche sich ihre statische Funktionsweise anlehnt, kommen wir zu diesem Thema zurück. Das gegenüberliegende Beispiel zeigt eine seltene Tragwerksanwendung. Pontiac Silverdome, 1975, Arch. O Dell Hewlett & Luckenbach, Ing. D. Geiger, (l=216x162 m, f=15.2 m) Fuji-Zelt der Weltausstellung in Osaka, 1970, Arch Y. Murata, Ing. M. Kawaguchi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -60-

61 Bögen Mit der Behandlung der Funktionsweise der auf Zug beanspruchten Tragwerke und mit dem Aufzeigen der verschiedenen Lösungen zur Gewährleistung sowohl der Tragsicherheit als auch der Gebrauchstauglichkeit, haben wir ein weiteres Stück auf dem Weg der Tragwerke (siehe Seite 4) zurückgelegt Auf Druck beanspruchte Tragwerke Das nächste Stück Weg besteht im Studium der auf Druck beanspruchten Tragwerke, welche wir bereits angedeutet haben mit der Person, welche sich gegen eine Wand stützt, und mit der Übereinstimmung mit den Seitenbögen der gotischen Kathedralen. Wenn wir untersuchen, wie die Lasten in diesen beiden Beispielen abgetragen werden, zum Beispiel durch Einführung eines Subsystems mit dem Tragwerksbereich der angreifenden Last, und die Tragwirkung mit derjenigen der auf Zug beanspruchten Tragwerken vergleichen, erkennen wir dass sie sehr ähnlich funktionieren. Bei allen auf Zug beanspruchten Tragwerken werden die Lasten vom Tragwerk aufgenommen, indem dieses einfach so gekrümmt ist, dass die Umlenkkräfte der Seilbeanspruchungen, deren Wirkungslinien den Seilsegmenten entsprechen, mit der Last im Gleichgewicht sind. Bei den auf Druck beanspruchten Beispielen ist die Last auch im Gleichgewicht mit den beiden Beanspruchungen, welche umgelenkt werden, aber die Form, welche das Tragwerk annehmen muss, ist anders. Die Form des Tragwerks hat nun eine nach unten gerichtete Konkavität. Im Fall der gleichmässig verteilten Lasten haben wir eine kontinuierliche Umlenkung infolge einer nach unten gerichteten Krümmung: ein Bogen! Wenn wir das Tragwerk mit einer konzentrierten Last vervollständigen, indem wir die Auflager ergänzen, erhalten wir eine ganz ähnliche Konfiguration wie bei den Seilen. Die Ermittlung der Beanspruchungen und der Auflagerkräfte kann einfach mit Hilfe von Subsystemen und Cremona-Plänen durchgeführt werden. Auch diese weisen starke Ähnlichkeiten mit denjenigen der Seiltragwerke auf. Wenn das auf Druck beanspruchte Tragwerk die gleiche Schlankheit l/f aufweist wie das Seiltragwerk, dann sind die Neigungen der schrägen Elemente identisch, und somit auch die Längen der in den beiden Cremona-Plänen dargestellten Vektoren. Wir können also schlussfolgern dass: " die vertikalen Auflagerkräfte identisch sind wie beim Seiltragwerk; " die horizontalen Auflagerkräfte die gleiche Intensität haben, aber im entgegengesetzten Sinn gerichtet sind und " auch die Beanspruchungen die gleiche Intensität haben, aber Druck- und nicht Zugbeanspruchungen sind. Zwei Beispiele auf Druck beanspruchter Tragwerke Aufnahme der Lasten mit auf Druck und auf Zug beanspruchten Tragwerken. Auf Druck beanspruchtes Tragwerk, Seil mit gleichem Verhältnis l/f Subsysteme und Cremonapläne für ein überdrücktes und ein gezogenes Tragwerk Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -61-

62 Wenn wir die Änderung der Vorzeichen berücksichtigen, sind auch die für die Seile hergeleiteten Gleichungen noch gültig. Dasselbe gilt selbstverständlich für die entsprechenden Funktionen. Fälle mit mehreren Lasten und verteilten Lasten: die Bögen Die Analogie zwischen den Seilen und den auf Druck beanspruchten Tragwerken gilt unabhängig von der Art der Belastung. Das Seilpolygon behält also auch bei den auf Druck beanspruchten Tragwerken seine volle Gültigkeit: seine Form bleibt identisch zu derjenigen eines Seiles, welches mit den gleichen Lasten beansprucht wird, aber das Polygon wird einfach umgekehrt. Im gegenüberliegenden Bild sind einige Beispiele mit mehreren Lasten und mit verteilten Lasten dargestellt. Parabelbogen Wenn die Lasten gleichmässig verteilt sind, wird die Form des Bogens diejenige der Parabel annehmen. Auch in diesem Fall sind die für die Seile hergeleiteten Formeln, nachdem die Vorzeichen der Beanspruchungen angepasst wurden, gültig. Bogen und Kettenlinienform Wenn die Lasten gleichmässig verteilt sind, jedoch auf die Länge des Bogens und nicht mehr auf die Horizontale, entspricht die Form des Bogens derjenigen der Kettenlinie. Wie wir gesehen haben weicht diese nicht stark von derjenigen der Parabel ab. Unterschiede sind vor allem in den Kämpferbereichen (Auflager) vorhanden, wo infolge der grösseren Neigung auch die Beanspruchungen grösser sind, wenn sie horizontal gemessen werden. Bei den Bögen wird die Querschnittsfläche oft der Beanspruchung angepasst. Infolge der Querschnittsvergrösserung im Kämpferbereich sind dann auch die Eigenlasten in dieser Zone grösser. Das Seilpolygon wird dementsprechend eine Zunahme der Krümmung im Kämpferbereich aufweisen, und das nicht nur verglichen mit der Parabel, sondern auch verglichen mit der Kettenlinie. Im gegenüberliegenden Beispiel ist die Variation der Querschnittsfläche mit der Zunahme der Eigenlasten zu den Kämpfern hin offensichtlich. Wie wir im Folgenden sehen werden, ist diese Variation der Bogendicke nicht nur eine Antwort auf die Verteilung der inneren Kräfte, sondern auch eine Möglichkeit zur Verbesserung des Tragverhaltens unter veränderlichen Lasten. Kettenlinie Parabel Bogen von St. Louis, 1965, Arch. E. Saarinen, Ing. F. N. Severud (l=192 m, f=192 m, l/f=1.00) Kettenlinie Parabel Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -62-

63 Bogen mit konzentrierten, in beliebige Richtungen wirkenden Lasten Wenn auf einen Bogen mehrere Lasten in beliebige Richtungen wirken, ist das Vorgehen zur Bestimmung der Form des Bogens, der Beanspruchungen und der Auflagerkräfte identisch mit demjenigen bei den Seilen. Wenn wir mehr als zwei Lasten haben, ermitteln wir zuerst die Resultierende der ersten beiden Lasten und summieren die restlichen Lasten eine nach der anderen auf. Man erhält dann einen Bogen mit zwei geraden Segmenten zur Aufnahme der Resultierenden aller Lasten. Mit Hilfe eines Subsystems, welches nur die erste Last beinhaltet, finden wir die erforderliche Umlenkung des Bogens unter dieser Last heraus, und durch Wiederholung dieses Vorgehens von Last zu Last können wir die Konstruktion der Geometrie vervollständigen. Bogen mit parallelen, aber nicht symmetrischen Lasten Wenn alle Lasten parallel sind, kann das beschriebene Verfahren nicht mehr angewendet werden, weil sich die Wirkungslinien der Lasten im Unendlichen schneiden. In diesem Fall können wir, genau wie bei den Seilen, mit dem Cremonaplan starten und ein Hilfspolygon untersuchen, welches nicht unbedingt die geometrischen Bedingungen der Auflager einhalten muss. Wir reden dann von einem virtuellen Bogen zur Ermittlung der Resultierenden. Wenn diese gefunden ist, ist das Vorgehen identisch mit dem beschriebenen. Bestimmung der Form des Gelenkbogens und der Kräfte, mit in beliebigen Richtungen wirkenden Kräften Da der Hilfsbogen ausschliesslich dazu dient, die Resultierende zu ermitteln, kann selbstverständlich anstatt des Hilfsbogens auch ein Hilfsseil benützt werden. Bestimmung der Form des Gelenkbogens und der Kräfte, mit parallelen nicht symmetrischen Kräften; Verfahren mit einem Hilfsbogen und einem Hilfsseil (welche zusammen mit den zugehörigen Vektoren des Cremona-Plans gestrichelt dargestellt sind, während die Seilpolygone, die sich auf die Resultierende der Lasten beziehen, punktiert sind) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -63-

64 Analogie zwischen Seilen und Bögen Die Analogie zwischen den auf Zug beanspruchten Tragwerken (Seile) und denjenigen auf Druck beanspruchten (Bögen) wird häufig benutzt um das Verständnis der Bögen zu erleichtern. Am Ende des 17. Jahrhunderts haben viele Architekten eine Regel gesucht, um diejenige Form der Bögen zu ermitteln, welche die statischen Anforderungen am besten erfüllt. Die Lösungen wurden empirisch hergeleitet: das Resultat wurde mit Hilfe von Modellen gefunden und das Experiment übte eine entscheidende Rolle aus. Nur dank dem Studium der Seilsysteme gelang es, das Problem korrekt zum formulieren. Das Problem beschäftigte damals die besten Mathematiker (Leibnitz, Johann und Jakob Bernoulli). Die erste praktische Anwendung geht auf den Mathematiker und Ingenieur Giovanni Poleni zurück. Er wurde beauftragt mit dem Nachweis der Stabilität der Kuppel des St. Peters-Doms in Rom und mit der Suche nach einer Erklärung der sich gebildeten Risse. Poleni untersuchte die Rippen, welche die Kuppel bilden. Er benützte ein Modell, welches aus einem mit Kugeln belasteten Seil bestand, wobei er jeder Kugel das Gewicht des zugehörigen Bogenabschnittes zuordnete. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Originalkonstruktion des Seilpolygons dargestellt. Die Einfachheit, mit welcher sich Seilmodelle herstellen lassen, bedingt dadurch, dass Seile automatisch die Form der Seilpolygone annehmen, hat immer wieder Architekten und Ingenieure dazu bewogen, die Form der zu entwerfenden Bögen mit Hilfe der Analogie zwischen den beiden Tragwerksarten zu finden. Kuppel des St. Petersdoms in Rom, ca. 1585, Arch. G. Della Porta und D. Fontana, (l=42 m, f=26 m) Analyse von G. Poleni mit der graphischen Statik und Analogie mit dem Seil ( Memorie isoriche della gran cupola del tempio vaticano, 1748) Seilmodell der Kapelle Colonia Güell in der Nähe von Barcelona (umgekehrtes Bild), , Arch. A. Gaudi Darstellung des aus Bögen zusammengesetzten Tragwerkes Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -64-

65 Einfluss der veränderlichen Lasten Wenn auf ein Seil mehrere Lasten wirken, und diese sich auf nicht proportionale Art verändern, so wird sich die Form des Seilpolygons verändern. Wenn wir das gegenüberliegende Beispiel betrachten, so stellen wir fest, dass nach dem Aufbringen der veränderlichen Last Q das Seil sich selbständig in die Lage des neuen Seilpolygons verschiebt. Dies hat schlimmstenfalls Probleme mit der Gebrauchstauglichkeit zur Folge; unter der Voraussetzung dass die Festigkeitsreserven des Seiles genügen, bleibt die Tragsicherheit gewährleistet, weil das Seil immer eine Gleichgewichtslage findet. von G belastetes Seil von Q verschobenes Seil Neues Seilpolygon (Form welche der Bogen haben müsste um Q zu tragen) Instabilität der Bögen Wenn wir den analogen Fall eines auf Druck beanspruchten Tragwerks untersuchen, so erkennen wir einen grundlegenden Unterschied: Mit der Zunahme der veränderliche Last Q hat der Bogen die Tendenz, sich unter der Last nach unten zu verformen, währenddem das Seilpolygon sich nach oben verschieben müsste. Ohne Einfluss von aussen, d.h. Anheben des Bogens bis zur Form des neuen Seilpolygons, kann kein Gleichgewichtszustand gefunden werden. Dies bedeutet, dass auch eine sehr kleine Veränderung der Lasten eine Verschiebung des Bogens aus seiner Gleichgewichtslage zur Folge hat; es liegt ein Instabilitätsproblem vor! Das Problem betrifft also die Tragsicherheit: eine solche Instabilität führt unweigerlich zum Einsturz des Tragwerks. Die Einführung konstruktiver Massnahmen zur Stabilisierung des Bogens ist also unumgänglich. Einfluss variabler Lasten auf Seil und Bogen: Verformungen und Instabilität Bogen verschiebt sich infolge Q nach unten Vorgespannter Bogen Vorkehrungen zur Stabilisierung des Bogens Im Fall der Seile ist es möglich, die Verformungen des Tragwerks durch Erhöhung der ständigen Lasten zu reduzieren, weil die Verschiebung des Seilpolygons eine Funktion des Verhältnisses der veränderlichen zu den ständigen Lasten ist. Auch beim Bogen führt eine entsprechende Massnahme zur Reduktion der Verschiebung des Seilpolygons; aber da auch bei einer sehr kleinen Verschiebung das Gleichgewicht des Bogens ohne äussere Eingriffe nicht mehr sichergestellt werden kann, ist auch in diesem Fall der Einsturz unvermeidbar. Aus diesem Grund führt auch die Lösung mit Hilfe des bei den Seilen eingeführten Spannsystems nicht zu einer Verbesserung der Stabilität des Bogens. Erhöhung der ständigen Lasten oder Einführung eines vorgespannten Elementes: beide Lösungen verbessern die Stabilität des Bogens nicht Zusätzliche Stäbe zur Stabilisierung des Bogens Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -65-

66 Ergänzung von stabilisierenden Stäben Wie auf den Seiten 51 und 52 gezeigt, kann ein tragendes Seil stabilisiert werden durch Ergänzung einer Serie von stabilisierenden Seilen. Auch bei den Bögen ist die Einführung zusätzlicher Stäbe eine effiziente Massnahme, um die Stabilität zu verbessern. Die gegenüberliegenden Beispiele zeigen wie ein Bogen unter zwei konzentrierten Lasten stabilisiert werden kann mit Hilfe von zusätzlichen Stäben, im einen Fall durch ein Seil, im anderen Fall durch einen Druckstab. Der zusätzliche Druckstab ist in der Lage, die Verschiebung nach unten zu verhindern, unabhängig von der Lage der veränderlichen Last. Weil der Bogen die Tendenz hat, sich im Bereich kleinerer Beanspruchung zu heben, kann auch ein Seil, wenn es in dieser Zone fixiert ist und die beschriebene Verformung verunmöglicht, zur Stabilisierung des Bogens dienen. Die entsprechenden Tragwerke, welche einfach mit Hilfe von Subsystemen untersucht werden können, werden später behandelt. Wenn der Bogen mit mehreren Lasten beansprucht wird, können zusätzliche Stäbe ergänzt werden. Oft werden stabilisierende Seile eingesetzt um leichte und transparente Tragwerke zu erhalten. Die beiden auf der gegenüberliegenden Seite dargestellten Beispiele zeigen extrem filigrane Bögen, bei welchen die Stabilisierung mit Hilfe von Seilsystemen erfolgt, welche zum Teil bei den Auflagern der Bögen fixiert sind. Überdeckung der grossen Warenlager in Moskau, , Ing. V. Suchov Überdachung der Bahnhofstation in Chur, 1988, Arch. Obrist + R. Brosi, Ing. P. Rice, (l=52.10 m, f=10.00 m, l/f=5.2) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -66-

67 Einführung eines Versteifungsträgers Die Lösung mit der Ergänzung eines Versteifungsträgers, wie sie bei den Seiltragwerken vor allem bei den Hängebrücken angewendet wird, kann auch dazu dienen, einen Bogen auszusteifen. In diesem Fall basiert die Funktionsweise auf zwei verschiedenen Prinzipien: Der Träger verteilt die konzentrierten Lasten und widersetzt sich den grossen Verformungen die dazu führen, dass sich die Geometrie des Bogens von derjenigen des Seilpolygons der Lasten entfernt. Die auf der gegenüberliegenden Seite dargestellte Bogenbrücke hat, dank der Fahrbahnplatte, welche als Versteifungsträger dient, einen genügend ausgesteiften Bogen in Stahlbeton mit nur 23 cm Stärke. Versteifung des Bogens durch Vergrösserung der Bogenstärke Beim Bogen aus Stäben, welche entlang des Seilpolygons der ständigen Lasten angeordnet sind, sind zwei Phänomene für die Instabilität, welche beim Wirken von veränderlichen Lasten in Erscheinung tritt, verantwortlich: " Der Bogen verformt sich in Richtung der veränderlichen Lasten, dort wo diese angreifen (nach unten gerichtete Lasten verformen den Bogen nach unten) und " das Seilpolygon verformt sich in die entgegengesetzte Richtung (die Zone mit den grössten Lasten müsste sich heben). Die beiden Konfigurationen entfernen sich somit voneinander und es kann sich ohne äusseren Eingriff keine Gleichgewichtsposition einstellen. Eine Möglichkeit, das erste Problem zu lösen, besteht darin, dass der vorhin beschriebene Versteifungsträger mit dem Bogen kombiniert wird, so dass ein Tragwerk resultiert, welches sich den Verformungen widersetzen kann. Eine erhöhte Biegesteifigkeit des Bogens, welche erforderlich ist damit dieser auch als Versteifungsträger wirken kann, wird vor allem durch Vergrösserung der Bogenstärke erhalten. Mit dieser Massnahme löst sich auch automatisch das zweite Problem: wenn die Stärke des Bogens genügend gross ist, kann sich ein Tragsystem einstellen, bei welchem das verschobene Seilpolygon innerhalb des Materials bleibt, ohne dass der Bogen sich zu verschieben braucht um dem Seilpolygon zu folgen. Nicht der Bogen mit seiner Form muss sich dem Seilpolygon anpassen welches sich infolge der veränderlichen Lasten verschiebt, sondern die Wirkungslinie der inneren Kräfte, welche stets mit dem Seilpolygon der veränderlichen Lasten übereinstimmt. Brücke über das Val Tschiel (GR/CH), 1925, Ing. R. Maillart (l=43.20 m, f=5.20 m, l/f=8.3) Seilpolygon nach oben verschoben Bogen verschiebt sich nach unten Seilpolygon der Lasten = Wirkungslinie der inneren Kräfte Versteifung des Bogens durch Erhöhung der Dicke: Die Durchbiegung wird reduziert und das Seilpolygon verläuft innerhalb des Materials Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -67-

68 Die Wirkungslinie der inneren Kräfte Bei den Beispielen mit den Seilen, und auch bei den bis jetzt behandelten Stützen, stimmte die Wirkungslinie der inneren Beanspruchungen immer mit der Schwerachse der Querschnitte überein. Dies war dadurch bedingt, dass die Spannungen überall im Querschnitt eine konstante Intensität hatten. Beim zuletzt gezeigten Beispiel hat sich die Wirkungslinie der Beanspruchung dagegen frei innerhalb des Materials bewegt. Um diesen Sachverhalt einfacher verstehen zu können, wollen wir uns ein prismatisches Element vorstellen, welches wie eine Stütze auf Druck beansprucht ist. Wenn die Wirkungslinie der beiden Kräfte, welche auf das Element wirken, und somit auch diejenige der inneren Beanspruchung, durch den Schwerpunkt der Querschnitte verlaufen, sind die inneren Spannungen, wie wir leicht an einem Subsystem erkennen können, mit konstanter Intensität über den Querschnitt verteilt. Wenn wir dagegen die Wirkungslinien der angreifenden Kräfte und somit der inneren Beanspruchung verschieben, erhalten wir eine andere Verteilung der inneren Materialspannungen. Wir wollen uns nicht darum kümmern, ob Zugspannungen auftreten, ein Problem, das vor allem den Ingenieur interessiert. Wir wollen vielmehr zu verstehen versuchen, welche äusserste Lage die Wirkungslinie der inneren Kräfte annehmen kann, ohne dass bei einem Material ohne Zugfestigkeit, wie z. B. Mauerwerk oder unarmierter Beton, ein Bruch verursacht wird. Die Wirkungslinie der Kräfte stimmt mit der Schwerachse des Querschnitts überein Wie wir gesehen haben, bricht jedes Material wenn seine Festigkeit, welche als maximale Zugoder Druckspannung definiert ist, erreicht wird. Wir können also die minimale Materialmenge berechnen, die erforderlich ist, um die Last im Querschnitt aufzunehmen. Das Kriterium der Tragsicherheit erlaubt uns, die erforderliche Querschnittsfläche zu ermitteln. Sie ist mit der Gleichung Aerf = Nd / fd definiert, wobei Nd die mit dem Last-Teilsicherheitsfaktor erhöhte Beanspruchung und fd die mit dem Material-Teilsicherheitsfaktor reduzierte Festigkeit bedeutet. In unserem Prisma können wir uns eine Fläche mit der Materialstärke t und mit der Breite b = Aerf / t vorstellen, welche die gesamte Beanspruchung aufnimmt, wogegen die restliche Querschnittsfläche unbeansprucht bleibt. Es handelt sich selbstverständlich um eine Vereinfachung, welche es erlaubt, die Tragwirkung zu verstehen. Es ist jedoch zu sagen, dass unter der Voraussetzung genügender Verformungsfähigkeit (Duktilität) des Materials, dieses Vorgehen keine Näherung, sondern einfach einen (auf der sicheren Seite liegenden) Grenzzustand nach der Plastizitätstheorie darstellt, der es erlaubt, die tatsächliche Tragsicherheit des Tragwerkes zu ermitteln. Wirkungslinie der exzentrischen Kräfte, Situation mit maximaler Exzentrizität Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -68-

69 Die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung kann sich somit dem Querschnittsrand annähern bis zu einem minimalen Abstand von b/2, und die beanspruchte Zone bleibt innerhalb des Materials. Wenn sich die Wirkungslinie infolge zunehmender veränderlicher Belastung langsam zum Querschnittsrand hin verschiebt, nimmt die beanspruchte Querschnittsfläche ab, und die Intensität der Beanspruchung nimmt bis zum Materialbruch zu. Die Wirkungslinie darf nicht ausserhalb des Materials liegen. Die Situation wäre die gleiche wie diejenige der Person, die umfällt, weil ohne Berücksichtigung der Trägheitskräfte, die Resultierende der Schwerkraft ausserhalb der Aufstandsfläche seiner Füsse liegt. Wir haben jedoch vorher gesehen, dass die Bedingung, dass die Wirkungslinie durch die Fläche ihrer Füsse verläuft, nicht ausreichend ist. Die Aufstandsfläche muss genügend gross sein, um die Beanspruchung aufzunehmen, und die Wirkungslinie verläuft durch den Schwerpunkt dieser Fläche. Die Beanspruchung, welche dem Gewicht der Person entspricht, ist jedoch klein, so dass die Wirkungslinie sehr nahe am Rand des Fusses liegen kann. Die Situation ist anders, wenn wir uns auf einem weichen und nachgiebigen Boden bewegen. Die Festigkeit des Bodens wird dann massgebend und die erforderliche Fläche, um die Kraft zu übertragen, kann einen grossen Teil der Sohle einnehmen. Aus diesem Grund ist es schwieriger am Strand zu laufen als auf einem festen Untergrund. Wirkungslinie der Kraft Notwendige Fläche um die Druckkraft auf den Boden zu übertragen und Lage der Wirkungslinie der Kraft. Mögliche Wirkungslinien der inneren Beanspruchungen in einem Bogen Wir kehren zurück zum auf der Seite 67 behandelten Bogen. Wir sehen, dass das Seilpolygon sich gefährlich dem Querschnittsrand annähern kann, sowohl im Bereich der Lasten G+Q auf der linken Seite, wie auch im Bereich der Last G auf der rechten Seite. Wir erkennen aber auch, dass für einen gegebenen Bogen und eine gegebene Belastungskonfiguration G und Q, unendlich viele Seilpolygone möglich sind, welche sich zwischen den beiden Grenzfällen befinden, in welchen das Seilpolygon den Sicherheitsabstand b/2 in einem der beiden kritischen Punkten erreicht. In anderen Worten ist die effektive Pfeilhöhe f zwischen den beiden Werten fmin und fmax begrenzt. Es ist zu bemerken, dass diese Unbestimmtheit nichts zu tun hat mit der freien Wahl der Pfeilhöhe beim Seiltragwerk, welche Teil des Entwurfes war. Die Unbestimmtheit beim Bogen hängt von der Breite des Bogenquerschnittes ab, innerhalb welcher wir Seilpolygone anordnen können mit leicht grösseren oder kleineren Pfeilhöhe, als diejenigen, welche sich nominell aus der Schwerachse der Querschnitte ergeben. Kritischer Punkt Seilpolygon und beanspruchter Bereich des Bogens: Grenze mit maximaler und minimaler Pfeilhöhe Kritischer Punkt Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -69-

70 Statisch unbestimmte und statisch bestimmte Bögen Ein Tragwerk, bei welchem wir unendlich viele Wirkungslinien der Inneren Beanspruchungen haben können, wird als statisch unbestimmtes Tragwerk bezeichnet. Wir werden in der Folge lernen, diese Tragwerke von den statisch bestimmten zu unterscheiden, d.h. von denjenigen, für welche es pro gegebene Lastkonfiguration nur ein einziges Seilpolygon gibt. Auch in einem statisch unbestimmten Tragwerk wird sich in Wirklichkeit ein einziger Spannungszustand einstellen, welcher sich mit einem Seilpolygon mit einer eindeutig definierten Pfeilhöhe beschreiben lässt. Zur Bestimmung dieses Seilpolygons sind, zusätzlich zu den Gleichgewichtsbedingungen, welche wir untersucht haben, weitere Betrachtungen erforderlich, welche mit dem Materialverhalten, mit den Verformungen und den Anfangsbedingungen des Tragwerks zu tun haben. Ein solches Tragwerk ist beispielsweise von den Temperaturveränderungen beeinflusst, von allfälligen Auflagerverschiebungen und von möglichen plastischen Materialverformungen. Wir wollen diese Effekte nicht weiter verfolgen, sondern die Funktionsweise der entsprechenden Tragwerke untersuchen, indem wir uns mit den extremen Seilpolygonen beschäftigen sowie mit deren maximalen und minimalen Pfeilhöhen. Seilpolygon mit Q Seilpolygon ohne Q Veränderung des Seilpolygons infolge variabler Lasten in einem Dreigelenkbogen Dreigelenkbogen Die Tatsache, dass die Beanspruchungen von den Auflagerverschiebungen abhängen können, ist als grosses Problem zu betrachten, wenn der Bogen auf einem nachgiebigen Boden fundiert ist. Zudem wurden früher, als die den Ingenieuren zur Verfügung stehenden Recheninstrumente noch weniger raffiniert waren als die heutigen, die Einflüsse der beschriebenen Faktoren als grosses Hindernis bei der Berechnung der statisch unbestimmten Bögen betrachtet. Aus diesem Grund haben die Ingenieure versucht, durch Einführung von sogenannten Gelenken die Bögen statisch bestimmt zu machen. Es handelt sich um einen Schnitt durch das Tragwerk mit dem Einbau eines Bauteiles zwecks Übertragung der Beanspruchungen von einem Teil des Bogens zum benachbarten. Diese konstruktive Lösung, welche erlaubt, dass ein Teil des Tragwerkes sich frei gegenüber einem anderen verdrehen kann, führt einen fixen Punkt ein, durch welchen das Seilpolygon in jedem Fall verlaufen muss. Es ist zu bemerken, dass bei den vorgängig behandelten Bögen auch bei den Kämpfern Gelenke vorhanden sind. Durch Einführung eines zusätzlichen Gelenkes im Bogenscheitel werden diese Bögen zu sogenannten Dreigelenkbögen. Im gegenüberliegenden Bild sind zwei Arten von Gelenken dargestellt. Im linken Beispiel handelt es sich um ein Tragwerk aus Stahl. Das Gelenk besteht aus einem mechanischen Apparat mit einem Bolzen, welcher einem Teil des Bogens erlaubt, frei gegenüber dem anderen zu rotieren. Im zweiten Beispiel handelt es sich um ein typisches Beispiel einer Stahlbetonbrücke, wo das Gelenk aus einer Querschnittsverjüngung besteht, welche mit Hilfe von zwei Materialeinschnitten erzielt wird. Die verbleibende Zone, welche die gesamte Druckbeanspruchung übertragen muss, wird mit einer kräftigen Stahlarmierung verstärkt. Viadukt von Garabit bei Cantal, (Frankreich), 1884, Ing. M. Koechlin (Büro Eiffel), (l=165 m), Gelenk beim Auflager Brücke über die Arve bei Vessy (Genf), 1936, Ing. R. Maillart, (l=55.97 m, f=4.77 m, l/f=11.7), Kämpfergelenk beim Auflager Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -70-

71 Optimale Form eines Dreigelenkbogens Wenn man sich entschliesst, zur Stabilisierung eines Bogens die Querschnittbreite zu vergrössern, so muss diese nicht unbedingt über die gesamte Bogenlänge konstant gehalten werden. In einigen Bereichen wird die Lage des Seilpolygons sich infolge der variablen Lasten stark verändern, während in anderen Zonen, d. h. vor allem in der Nähe der Gelenke, die Variation minim sein wird. Aus diesem Grund, und auch um Material zu sparen, ist es vernünftig, die Bogenbreite in Abhängigkeit der statischen Bedürfnisse zu verändern. Der Entwurf der korrekten statischen Form kann in zwei Phasen unterteilt werden: 1. Ermittlung der generellen Form des Bogens aufgrund des Seilpolygons für die ständigen Lasten und Wahl der Pfeilhöhe (meistens ist die Spannweite gegeben) 2. Ermittlung der Breite des Bogens aufgrund der Veränderung des Seilpolygons infolge der veränderlichen Lasten. Seilpolygon infolge Eigenlasten Optimale Form eines Dreigelenkbogens unter gleichmässig verteilten Eigenlasten und variablen konzentrierten Nutzlasten Im gegenüberliegenden Beispiel ist ein Bogen dargestellt, welcher mit einer ständigen Last konstanter Intensität beansprucht ist. Die allgemein am besten geeignete Form ist also die Parabel, weil diese der Seilpolygonkurve der verteilten Lasten entspricht. Unter dem Einfluss einer konzentrierten veränderlichen Last, welche in einem beliebigen Punkt des Bogens wirken kann, erhalten wir eine Serie von Seilpolygonkurven, welche allesamt durch die drei Gelenke des Bogens verlaufen. Wenn wir nun die sogenannte Umhüllende all dieser Kurven bilden und denjenigen Materialanteil ergänzen, welcher erforderlich ist um die Druckkraft aufzunehmen, erhalten wir die minimalen Bogenabmessungen zur Aufnahme der Lasten ohne die Zugfestigkeit des Bogenmaterials aktivieren zu müssen. Die auf der gegenüberliegenden Seite dargestellte Brücke ist ein typisches Beispiel der Form, welche mit dem eben beschriebenen Vorgehen erhalten wird. Man beachte die Analogie dieser Form mit derjenigen der Tower-Brücke in London (S. 54). Dort wurde die Form erhalten durch Überlagerung zweier Seile: ein erstes zur Aufnahme der in Spannweitenmitte wirkenden Lasten, das zweite für die restlichen Lasten. In der Tat könnte man auch bei den Dreigelenkbögen analog vorgehen und zum gleichen Resultat gelangen: die verschiedenen überlagerten Bögen sind nichts anderes als die Seilpolygone der veränderlichen Lasten der beiden Bogenbereiche. Salginatobelbrücke bei Schiers (GR/CH), 1930, Ing. R. Maillart, (l=90.04 m, f=12.99 m, l/f=6.9) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -71-

72 Im gegenüberliegenden Bild ist ein Bogen dargestellt, welcher eine Netzartige Struktur aus Stahl aufweist. Die Analogie mit der Tower-Brücke ist noch offensichtlicher. In diesem Fall liegt die Fahrbahnplatte tiefer als der Bogen, und die Lasten werden nicht mit Hilfe von Stützen, sondern mit Hilfe von Zugelementen übertragen. Die Tragwirkung ist identisch mit derjenigen der Brücken mit oben liegender Fahrbahnplatte und mit direkter Übertragung der Lasten. Im Weiteren sind bei diesem Beispiel die beiden Kämpfergelenke nicht bei den Auflagern angeordnet. Die Form des Bogens, welche dem Kriterium der maximalen statischen Effizienz des Tragwerks folgt, ist zwischen den beiden Gelenken und den Kämpfern identisch mit der vorher konstruierten. Auch hier ist die Bogenbreite variabel, so dass sich das Seilpolygon im Inneren des Bogens verschieben kann; die maximale Breite wird auf Kämpferhöhe erreicht. Erforderliche Breite eines auf Druck beanspruchten Dreigelenkbogens, Einfluss des Verhältnisses l/f Wie wir gesehen haben, ist unter der Voraussetzung, dass das Material keine Zugfestigkeit besitzt, die erforderliche Bogenbreite von zwei Effekten abhängig: Austerlitzbrücke über die Seine in Paris, 1904, Arch. C. Formigé, Ing. L. Biette, (l= m) " der Verschiebung des Seilpolygons unter den veränderlichen Lasten und " der erforderlichen Materialzone um die Beanspruchungen aufzunehmen. Wenn wir den letzten Effekt vernachlässigen und nur die Verschiebung des Seilpolygons berücksichtigen, so haben wir eine ähnliche Situation wie bei der Verschiebung der Seile unter den veränderlichen Lasten (siehe Seite 49). Wie beim Seil hängt die erforderliche Breite von zwei Parametern ab: der Schlankheit l/f und dem Verhältnis der veränderlichen zu den ständigen Lasten. Die Bogenbreite kann tatsächlich ausgedrückt werden als Funktion der Pfeilhöhe f und des Verhältnisses zwischen den beiden Lastarten (siehe gegenüberliegendes Bild). Wenn die Pfeilhöhe abnimmt, und die Schlankheit l/f somit zunimmt, nimmt die erforderliche Bogenhöhe ab, während die Zunahme der veränderlichen Last den entgegengesetzten Einfluss hat. Es ist zu beachten, dass das eben Beschriebene nur gültig ist, wenn das Material nur Druckkräfte aufnehmen kann (wie bei Bögen aus Mauerwerk oder aus unbewehrtem Beton). Wenn das Tragwerk dagegenr in Stahlbeton, in Stahl oder in Holz ausgebildet ist, kann infolge der Zugfestigkeit die resultierende Drucklinie den Bogen verlassen und die Funktionsweise wird anders sein, als hier beschrieben. Erforderliche Höhe h zur Aufnahme einer variablen konzentrierten Last in Funktion der Pfeilhöhe f und des Betrages Q/gl (Dreigelenkbogen ohne Zugfestigkeit) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -72-

73 Bögen aus zugfesten Materialien Auf der gegenüberliegenden Seite ist eine Brücke dargestellt, welche trotz eines sehr hohen Schlankheitsverhältnisses eine sehr beschränkte Bogenbreite in der massgebenden Zone aufweist. In der Tat hilft der Stahl, mit seiner Zugfestigkeit, die erforderliche Breite des Bogens zu reduzieren. Wie wir in der Folge sehen werden, kann das Seilpolygon den Querschnitt verlassen, wenn im Inneren des Bogens auch Zugbeanspruchungen aufgenommen werden können. Die Bogenbreite muss dann nicht mehr notwendigerweise der Umhüllenden der möglichen Seilpolygonkurven folgen, welche aus den verschiedenen Kombinationen der veränderlichen Lasten resultieren und kann deshalb beträchtlich reduziert werden. Es ist auf jeden Fall zu beachten, dass die Einführung von Zugkräften, welche darauf zurückzuführen sind, dass das Seilpolygons den Querschnitt verlässt, im Allgemeinen zu einer Erhöhung der Druckbeanspruchung führt, so dass die erforderliche Materialmenge zunimmt. Deshalb versucht man im Allgemeinen, diese Situation zu begrenzen, indem man den Bogen so plant, dass seine Form einigermassen jener des Seilpolygons unter den ständigen Lasten entspricht. Man wird andrerseits die Dicke des Bogens in Anbetracht zweier Kriterien wählen. Man muss vor allem eine ausreichende Steifigkeit sicherstellen, so dass sich das Tragwerk unter dem Einfluss der veränderlichen Lasten nicht zu sehr verformt und dass es sich nicht aus der ursprünglichen Lage entfernt (wir werden später dieses Phänomen mit der Bezeichnung Stabilität behandeln). Als zweites muss die Querschnittsdicke ausreichend sein, um die Druckund Zugbeanspruchungen aufzunehmen, welche durch die veränderlichen Lasten auftreten können. Brücke Alexandre III über die Seine in Paris, 1900, Ing. J. Résal, (l= m, f=6.30 m, l/f=17) Bögen deren Form nicht dem Seilpolygon der ständigen Lasten entspricht: Rahmen Wenn spezielle Anforderungen es verlangen, kann die Verwendung von zugfesten Materialien, wie Stahl, Stahlbeton oder Holz die Wahl einer Bogenform erlauben, welche vom Seilpolygon der ständigen Lasten abweicht. Es resultiert dann ein Tragwerk, welches als Rahmen bezeichnet wird und statisch viel weniger effizient ist als der Bogen. Das Material wird zusätzlich zur Zugbeanspruchung auch viel stärker auf Druck beansprucht, so dass in den kritischen Bereichen die Quer5schnittsbreite erhöht werden muss. Der grössere Materialverbrauch macht zudem das Tragwerk weniger effizient. Im gegenüberliegenden Beispiel, bei welchem die Bogenform durch das Lichtraumprofil des Flusses bestimmt wurde, stellt der Rahmen eine zweckmässige Lösung dar.. Wir werden die Funktionsweise dieser Tragwerke später untersuchen. Kommen wir nun zu den eigentlichen Bögen zurück. Aarebrücke in Innertkirchen, 1934, Ing. R. Maillart, (l=30.00 m, f=3.50 m, l/f=8.57) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -73-

74 Zweigelenkbögen: Idealform Die Bögen, welche nur bei den Kämpfern Gelenke aufweisen, werden als Zweigelenkbögen bezeichnet. Wie wir bereits gesehen haben, sind im Inneren eines solchen Bogens, infolge der statischen Unbestimmtheit, unendlich viele, zu verschiedenen Pfeilhöhen zugehörige Seilpolygone möglich. Seite 69 sind die beiden Extreme dargestellt, bei welchen die Druckzone den Bogenrand in einem Punkt berührt: auf der Aussenseite bei maximaler Pfeilhöhe, und auf der Innenseite bei minimaler Pfeilhöhe. Die Bogenbreite kann optimiert werden durch Entfernen des überflüssigen Materials, so dass unter der maximalen veränderlichen Last die Druckzone den Bogenrand in mindestens zwei Punkten berührt. Auf dem gegenüberliegenden Bild ist eine Konstruktion dieser Art dargestellt. Die generelle Form des Bogens ist durch die ständigen Lasten definiert: auch hier generiert eine konstant verteilte Last eine Parabel. Die Breite resultiert auch hier aus der Variation des Seilpolygons infolge einer veränderlichen konzentrierten Last. Die Brücke Maria Pia in Porto, gegenüberliegend dargestellt, ist ein klassisches Beispiel eines Zweigelenkbogens. Obschon das Tragwerk aus Stahl ist, und somit in der Lage auch Zugbeanspruchungen aufzunehmen, entspricht der Verlauf der Bogenbreite recht schön dem eben diskutierten optimalen Verlauf. Die generelle Form des Bogens ergibt sich aus dem Verlauf des Seilpolygons für ständige Lasten. Die Lasten werden über einzelne Pfeiler auf den Bogen übertragen, so dass die ideale Form des Bogens eigentlich ein Polygon mit einer diskreten Anzahl von Segmenten wäre. Die große gewählte Breite des Bogens und die hohen veränderlichen Lasten (Gewicht der Züge) im Vergleich zu den ständigen Lasten, rechfertigen die gewählte Form. Obschon diese nicht optimal den statischen Erfordernissen entspricht, resultiert eine ästhetisch überzeugende Lösung. Seilpolygon infolge Eigenlasten Optimale Form eines Zweigelenkbogens aus einem Material ohne Zugfestigkeit (Q=0.25gl) Brücke Maria Pia über den Douro in Porto, 1877, Ing. T. Seyrig, Büro Eiffel (l=160 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -74-

75 Eingelenkbogen, mögliche Wirkungslinien der inneren Beanspruchungen Wenn bei einem Bogen mit zwei Gelenken die Breite des Tagwerks ausreichend ist, kann die Wirkungslinie der inneren Beanspruchungen sich verändern, indem verschiedene Pfeilhöhen angenommen werden. Wenn der Bogen dagegen nur ein einziges Kämpfergelenk aufweist, kann nicht nur die effektive Pfeilhöhe, sondern auch die effektive Spannweite verändert werden. Ein solches Tragwerk hat also einen zweifachen Unbestimmtheitsgrad. Bögen ohne Gelenke Der Unbestimmtheitsgrad ist noch grösser wenn überhaupt kein Gelenk vorhanden ist. In der gegenüberliegenden Figur sind, für den gleichen Bogen unter einer gleichmässig verteilten Last, zwei Wirkungslinien der inneren Beanspruchungen dargestellt, welche die folgenden Eigenschaften aufweisen: Mögliche Veränderung der Pfeilhöhe und der Spannweite in einem Bogen mit nur einem Gelenk (gleichmässig verteilte Last, Darstellung der Extreme) " bei der ersten ist die effektive Pfeilhöhe fmax maximal und gleichzeitig die effektive Spannweite lmin minimal. " bei der zweiten ist die effektive Pfeilhöhe fmin minimal und gleichzeitig die effektive Spannweite lmax maximal. Wie wir bereits gesehen haben, beträgt sowohl bei den Seilen (Seite 41) als auch bei den Bögen (Seite 61) die horizontale Komponente der Beanspruchung im Tragwerk 2 g l H. 8 f Extreme Situation in einem Bogen ohne Gelenke unter gleichmässig verteilter Last Den beiden beschriebenen Fällen entsprechen somit zwei extreme Werte der horizontalen Beanspruchungen: H min 2 min g l und 8 f max H max 2 max g l. 8 f min Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -75-

76 Die Wirkungslinie der inneren Beanspruchungen die sich wirklich einstellt hängt, wie wir bereits gezeigt haben, von verschiedenen Faktoren ab, welche schwierig zu definieren sind (Auflagerverschiebung, Temperatur, Bauverfahren, usw.). Bei einer Zwischenlösung führt die Veränderung einer dieser Grössen, wie z. B. eine Verschiebung der Auflager, zu einer Veränderung der horizontalen Beanspruchung im Bogen. Entfernen sich die beiden Auflager voneinander, so resultiert eine Abnahme der horizontalen Bogenbeanspruchungen. Wenn, infolge dieser Verschiebung, die untere Grenze mit der minimalen Pfeilhöhe und der maximalen Spannweite des Seilpolygons erreicht wird, so entstehen bei einer weiteren Verschiebung der Auflager Risse im Bogen. In einem Bogen ohne Zugfestigkeit werden sich Risse auf der Gegenseite bilden, ähnlich wie die Einschnürungen bei den Gelenken der Bögen aus Stahlbeton. Wird der Abstand der zwischen den Auflagern weiter vergrössert, so öffnen sich diese Risse und der Bereich verhält sich wie ein Gelenk. Die Wirkungslinie der Bogenbeanspruchung liegt in der Nähe des Querschnittsrandes. Analog erhalten wir bei einem Zusammenrücken der Auflager eine Zunahme der horizontalen Bogenbeanspruchung bis zum Erreichen der Grenze. Bildung von Gelenken infolge Rissbildung bei einer Widerlagerverschiebung: Auseinanderschieben der Widerlager links, Zusammenrücken der Widerlager rechts Beim Erreichen einer dieser beiden Grenzen entsteht, infolge der Bildung von Rissen, ein Dreigelenkbogen, bei welchem die Lage der Wirkungslinie und die Intensität der horizontalen Bogenbeanspruchung nur noch von der Systemgeometrie und von der Belastung abhängen (statisch bestimmtes System). Kreisförmige Mauerwerksbögen In der Antike wurden die Mauerwerksbögen häufig kreisförmig ausgebildet, was eine beträchtliche Abweichung der geometrischen Form des Bogens vom Seilpolygon für ständige Lasten zur Folge hat. Zur Gewährleistung, dass die Wirkungslinie der Beanspruchungen trotzdem innerhalb des Bogens bleibt, muss dieser mit einer genügenden Breite entworfen werden. Unter der Annahme, dass die Lasten gleichmässig und konstant verteilt sind, muss die Breite des Bogens, rechtwinklig zur Bogenachse gemessen, mindestens r betragen. Zu diesem Wert muss noch die notwendige Zone zur Aufnahme der Beanspruchung (b/2 = Nd / (2 fd t)) und die Reserve für die Verschiebung des Seilpolygons unter den veränderlichen Lasten ergänzt werden. In Wirklichkeit erreicht die Breite dieser Bögen, auch bei den sehr massiven historischen Bauten, diesen Minimalwert nicht. Sobald sich die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung dem Querschnittsrand nähert, entstehen breite Risse, und die einzelnen Bogenteile können gegenüber den anderen rotieren wie wenn Gelenke vorhanden wären. Wie im gegenüberliegenden Bild gezeigt, entstehen bei diesem System, im Gegensatz zum vorher behandelten, fünf Gelenke und das System wird instabil. In der Tat können die vier Bogenteile frei rotieren und die Bogenform sich immer stärker von derjenigen des Seilpolygons entfernen. Voll ausgenützter Bogen, minimale Höhe des Bogens Versagensmechanismus wenn die Höhe ungenügend ist und die Wirkungslinie zu nahe am Bogenrand liegt. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -76-

77 Wenn wir aufmerksam die Bögen beobachten, welche uns die Geschichte überliefert hat, erkennen wir, dass solche Bewegungen durch die Aufständerungswände verhindert werden. Diese Wände werden durch die Verformungen des Bogens, die wir eben beschrieben haben, horizontal überdrückt. Umgekehrt üben diese Wände somit einen seitlichen Druck auf den Bogen aus, welcher das Seilpolygon so anzupassen vermag, dass die Wirkungslinie der Beanspruchungen ins Inneren des Bogenmaterials zurückgeschoben wird. Das Aufständerungsmauerwerk hat somit eine fundamentale Tragwerksfunktion, und sein Ausbau kann somit zum Einsturz des Bogens führen! Das gegenüberliegende Beispiel zeigt ein berühmtes römisches Bauwerk, bei welchem die statische Funktion des Aufständerungsmauerwerks gut erkennbar ist. Diese Konstruktionsart wurde häufig angewendet bei Bögen aus Mauerwerk, sowohl für Brücken und Wasserleitungen, als auch bei Stürzen von Hochbauten, wo das Aufständerungsmauerwerk Bestandteil der Fassade ist, wie beispielsweise beim Palazzo Ducal in Urbino. Seilpolygon mit und ohne Mitwirkung des Aufständerungsmauerwerks Aktivierung der Aufständerungswände unter dem Einfluss der Bewegung des Bogens Pont du Gard bei Nimes, 19 a.c. (lmax=24.38 m, f=12.19 m, l/f=2.0) Palazzo Ducal in Urbino, Arch. L. Laurana, um 1470 Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -77-

78 Gewölbe, Kuppeln und Schalen Bogen als Element eines Daches Bei der Verwendung von Bögen zur Überdachung einer Fläche werden diese konventionellerweise parallel nebeneinander angeordnet und durch ein, quer zu den Bögen verlaufendes, Sekundärtragwerk ergänzt. Dieses hat die Funktion, die gleichmässig verteilten Dachlasten auf die Bögen zu übertragen. Wenn man die mögliche Interaktion der Bögen mit den beiden Aussenfassaden sowie die Instabilität infolge von rechtwinklig zu den Bögen verlaufenden Verschiebungen vernachlässigt, so ist die Tragwirkung identisch mit derjenigen der einzelnen Bögen. Überdeckung mit Hilfe einer Serie von gleichartigen Bögen Tonnengewölbe Wenn die Bögen so nahe aneinander angeordnet werden, dass sie sich berühren und das Sekundärtragwerk überflüssig wird, entsteht ein Gewölbe. Auch in diesem Fall entspricht die Tragwirkung derjenigen des Einzelbogens. Die verteilte Belastung wird von allen Bögen zusammen aufgenommen und gleichmässig zu den Fundamenten ins Erdreich übertragen. Alle Bögen haben eine horizontale und eine vertikale Komponente der inneren Beanspruchung aufzunehmen. Die Fundamente müssen also auch, genau wie das Gewölbe, kontinuierlich ausgebildet werden. Das Problem der Instabilität und der Aufnahme der veränderlichen Lasten, welche nicht gleich verteilt sind wie die ständigen, ist identisch wie beim Bogen, sodass die beschriebenen statischen Lösungen auch hier angewendet werden können. Funktionsweise der Gewölbe Galerie Victor-Emmanuel in Mailand, 1865, Arch. G. Mengoni Im gegenüberliegenden Bild ist ein Gewölbe dargestellt, dessen Stärke ausreichend ist um die Stabilität zu gewährleisten und die veränderlichen Lasten infolge Wind und nicht zu starkem Erdbeben aufzunehmen (der fehlende Teil ist anlässlich eines heftigen Erdbebens zerstört worden). Es ist zu bemerken, wie gut die Form mit derjenigen des Seilpolygons der ständigen Lasten übereinstimmt. Im Bereich der Kämpfer, wo die Bögen praktisch vertikal verlaufen, hat die Wand eine beträchtliche Stärke, so dass die Wirkungslinie der Beanspruchung infolge des horizontalen Bogenschubes geneigt verlaufen kann. Dies ist sicher nicht das Resultat einer quantitativen Analyse, deren Grundlagen erst mehr als ein Jahrtausend nach Fertigstellung des Bauwerks entwickelt wurden, sondern vielmehr eines tiefgehenden empirischen Wissens und einer riesigen bautechnischen Erfahrung. Gewölbe zur Überdeckung des Gerichtssaales des Palastes von Ctesifonte bei Bagdad, III-VI Jahrhundert nach Christus (l=25.4 m, f=28.4 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -78-

79 Die Anwendung moderner Materialien, wie zum Beispiel Stahlbeton, armiertes Mauerwerk, Stahlblech oder Verbundwerkstoffe ermöglicht es, stabile Gewölbe mit gekrümmten Oberflächen zu bauen. Auf diese Art kann die Stärke auf wenige Zentimeter beschränkt werden, was eine beträchtliche Materialeinsparung zur Folge hat. Die statische Funktionsweise ist identisch mit derjenigen der Bögen, bei welche die Stabilität durch Erhöhung der Bogenbreite erzielt wurde. Bei dieser Art von Gewölben entspricht die effektive Breite nicht der Materialstärke, sondern der Weite der Wellung. Die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung kann sich in der Tat auf der gekrümmten Oberfläche so verschieben, dass sie dem Seilpolygon der Lasten entspricht. Im gegenüberliegenden Beispiel sind zwei Fälle dargestellt, wo die Wirkungslinien einmal in den Rinnen und einmal auf den Gipfeln verlaufen, was der minimalen und der maximalen Pfeilhöhe entspricht. Wenn die Form des Gewölbes nicht derjenigen des Seilpolygons für die ständigen Lasten entspricht, kann die Lösung für die kreisförmigen Bögen mit der Aktivierung der Aufständerungswände übernommen werden. Beim Gewölbe kann diese Funktion vom Auffüllmaterial übernommen werden. Wenn dieses genügend verdichtet wird, kann es die erforderlichen Druckbeanspruchungen aufnehmen, welche erforderlich sind, um die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung im Materialquerschnitt des Gewölbes zurückzuhalten. Im gegenüberliegenden Bild ist ein modernes Beispiel dargestellt, bei welchem ein sehr filigranes Gewölbe mit Überdeckungsbeton stabilisiert wurde. Bogen mit maximaler Pfeilhöhe Tonnengewölbe mit variabler Pfeilhöhe Reissilo in Vergana (Uruguay), Ing. E. Dieste Bogen mit minimaler Pfeilhöhe Luftschiffhalle in Orly, 1923, Ing. E.Freyssinet (l=86 m) Villa Sarabhai von Ahmedabad, 1955, Arch. Le Corbusier Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -79-

80 Kreuzgewölbe Wenn wir zwei Tonnengewölbe mit gleichen Pfeilhöhen rechtwinklig zueinander anordnen und das Material unterhalb ihrer Intersektion entfernen, erhalten wir eine neue Figur, welche Kreuzgewölbe genannt wird. In der zentralen Zone kann man vier Elemente von Tonnengewölben und vier Kanten dort wo sich die Gewölbeelemente berühren unterscheiden. Auch diese Kanten haben, wie wir sehen werden, eine statische Funktion. Dort wo sich die Gewölbe schneiden, können die Bögen Ihre Beanspruchungen nicht weiter auf den Boden ableiten, sondern müssen sich auf die Kanten abstützen. Wie die Untersuchung des Gleichgewichts in der betroffenen Zone zeigt, wird bei jedem Bogen die horizontale Komponente, welche rechtwinklig zur diagonalen Rinne wirkt, von derjenigen des anderen Bogens, welcher sich in diesem Punkt auf die Kante abstützt, kompensiert. Die andere in Richtung der Rinne verlaufende Komponente, welche aus der vertikalen Komponente der Bogenbeanspruchung resultiert, wird in die Rinne eingeleitet. Es ist zu beachten, dass alle Elemente ihre Beanspruchungen in nur vier Punkten in das Erdreich abgeben. Dies bedeutet dass ein Kreuzgewölbe, im Gegensatz zum Tonnengewölbe, welches auf einem kontinuierlichen Tragelement aufgelagert werden muss, auf Punktauflagern aufgelegt sein kann. Die ersten bedeutenden Anwendungen dieser Tragwerksformen gehen auf die alten Römer zurück. Das Kreuzgewölbe der Basilika von Massenzio, welches 30 nach Christus in Beton erbaut wurde, weist eine Spannweite von gut 25 m auf. Auch das Dach des Bades der Villa Adriana in Tivoli, gegen 120 nach Christus in Beton erbaut, ist ein Kreuzgewölbe. Geometrische Konstruktion von sich kreuzenden Gewölben Funktionsweise von einem gekreuzten Gewölbe Kante Die Komponenten der rechtwinkligen Kräfte an der Kante kompensieren sich. Im Allgemeinen sind Kreuzgewölbe viel stabiler als Tonnengewölbe. Dies aufgrund der Tatsache, dass sich die zwei Elemente, die das Gewölbe bilden, gegenseitig stabilisieren können. Jedes Element nimmt die gleiche Funktion wie die Aufständerungswände bei den kreisförmigen Bögen wahr. In einem anderen rezenteren Beispiel, welches nebenstehend dargestellt ist, resultiert das Kreuzgewölbe aus dem Schnitt mehrerer Quergewölbe mit dem Tonnengewölbe in Längsrichtung. Hier ist offensichtlich, wie alle wirkenden Lasten vom Tragwerk in wenigen Punkten konzentriert und von den Stützen aufgenommen werden. So entstehen Seitenwände mit riesigen Öffnungen, ohne dass die statische Funktionsweise der Gewölbe gestört wird. Kreuzgewölbe der Terme di Diocleziano in Rom, ca. 300 nach Christus, von Michelangelo umgeformt in die Kirche S. Maria degli Angeli im Jahr 1561 Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -80-

81 In der Gotik haben die Kreuzgewölbe eine beträchtliche Entwicklung erfahren. Ausser der charakteristischen Form mit dem Knick am Höchstpunkt, wurden in dieser Periode die dreiteiligen Kreuzgewölbe eingeführt. Ihre Geometrie, mit den sechs Gewölbeelementen, wird generiert durch Kreuzung von drei Tonnengewölben, deren drei Grate sich in einem Punkt schneiden. Die Überdeckung des Mittelschiffes der Kathedrale von Beauvais (gegenüberliegendes Bild) veranschaulicht sehr schön diese geometrische Konstruktion. Der Chor ist gedeckt von einem Gewölbe, das nach dem gleichen Prinzip gebildet ist. Hier treffen acht Gewölbeelemente zusammen. So entsteht ein Tragwerk, welches auf einer Serie von Pfeilern aufgelagert ist, welche im Grundriss kreisförmig angeordnet sind. Die sichtbaren Pfeiler im Inneren sind selbstverständlich nur in der Lage, die vertikalen Komponenten der Gewölbebeanspruchungen aufzunehmen, während die horizontalen Komponenten von einer Serie von Rampenbögen aufgenommen werden, welche radial angeordnet sind (siehe Aussenaufnahme). Der gegenüberliegend dargestellte Entwurf ist ein Kreuzgewölbe, das aus der Zusammensetzung von drei Tonnengewölben generiert wurde. In diesem Fall ist für jedes Tonnengewölbe nur ein Element vorhanden und die resultierende Überdeckung ist im Grundriss dreieckförmig mit drei Auflagern und drei Graten. Kathedrale von Beauvais, 1337 (wiedererbautes Dach nach dem Einsturz im Jahre 1284 infolge ungenügender Stabilität) Projekt für die Kathedrale von New Norcia, Perth, Australien, 1958, Arch. P.L. Nervi, A. Nervi, F. Vacchini, C. Vannoni (l=35.40 m, f=30.85 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -81-

82 Fächergewölbe In England fand im 14. Jahrhundert eine weitere Entwicklung der Kreuzgewölbe statt. Die Gewölbeelemente und die Grate wurden in ein kontinuierliches Tragelement integriert, welches auch im Grundriss abgerundet ist. Die geometrischen Elemente, welche diese neuen Tragelemente bilden werden als Konoide (Cone = Kegel) bezeichnet. Im Gegensatz zum Kegel, bei welchem die Erzeugenden gerade Linien sind, haben die Konoide gekrümmte Kurven als Erzeugende. Längs- Oberkante Quer-Oberkante Kante Spandrel Konoid Der Unterschied zwischen den klassischen Kreuzgewölben und den neuen Formen ist in den beiden gegenüberliegenden Bildern dargestellt. Diese Fächergewölbe sind oft aus mehreren Konoiden gebildet, welche einer neben dem anderen angeordnet sind. Diese schneiden sich in Übereinstimmung mit den Längs- und Quergraten, wo eine Rinne oder ein horizontales Element, welches Spandrel genannt wird, ausgebildet ist (siehe Bild). Kreuzgewölbe Fächergewölbe Oberkante Da die Konoide eine doppelt gekrümmte Fläche aufweisen, müsste man sie im Sinne der Tragwerkslehre als Schalen und nicht als Gewölbe bezeichnen; die vorliegenden Tragwerke werden oft als Fächergewölbe bezeichnet. Vom statischen Gesichtspunkt her betrachtet ist die Bezeichnung dagegen zutreffend, weil sich auf der Oberfläche effektiv Bögen ausbilden, welche die Beanspruchungen in einer einzigen Richtung abtragen, genau wie bei den Gewölben. Diese Bögen sind radial angeordnet wie die Stäbe bei einem Fächer. Bogen Bogen Wenn die Geometrie der Bögen nicht mit derjenigen des Seilpolygons der Lasten übereinstimmt, müssen sich Druck- oder Zugzonen in horizontaler Richtung ausbilden, so wie wir es in der Folge bei den Kuppeln sehen werden. In diesem Fall nähert sich das Tragverhalten demjenigen der Schalen an. Funktionsweise des Fächergewölbes Dort wo sich die Konoide schneiden, stossen die Bögen, welche die Lasten abtragen, aufeinander und geben einen Teil der Beanspruchung an die Oberkanten oder an die Spandrel ab. Kappelle des King s College der Universität in Cambridge, 1515 (l=12.7 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -82-

83 Ein zeitgenössisches Beispiel von Fächergewölben ist die Überdeckung des Centre des nouvelles industries et technologies in Paris. Es handelt sich um ein im Grundriss dreieckförmiges Tragwerk in Stahlbeton von beeindruckenden Dimensionen. Um die Stabilität zu erhöhen und den Einfluss der veränderlichen Lasten zu begrenzen ist das Tragwerk aus zwei Schalen aus Stahlbeton zusammengesetzt (Stärke 6-12 cm), welche einen veränderlichen Abstand zwischen 1.90 und 2.75 m zueinander aufweisen. Von oben gesehen sind die Oberkanten gut sichtbar, welche die Aufgabe haben, einen Teil der Beanspruchungen im Bereich der Fächerbögen abzutragen. Centre des nouvelles industries et technologies in Paris, 1958, Arch. R. Camelot, J. De Mailly, B. Zehrfuss, Ing. N. Esquillan (l=218 m an der Fasssade, f=46.30 m) Zeltgewölbe Wenn wir nur diejenigen Teile betrachten, welche wir bei der geometrischen Konstruktion der Kreuzgewölbe entfernt haben, erhalten wir eine andere Tragwerksform welche als Zeltgewölbe bezeichnet wird. Es handelt sich auch um vier Elemente von Tonnengewölben und vier Graten im Bereich ihrer Intersektion. Geometrische Konstruktion des Zeltgewölbes Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -83-

84 Wenn wir die Tragweise mit Bögen idealisieren, welche auf den vier Oberflächen angeordnet sind, erkennen wir dass wir die Kräfte direkt in die Erde ableiten können. In der Tat müssen die Zeltgewölbe, genau wie die Tonnengewölbe und im Gegensatz zu den Kreuzgewölben, über ihren ganzen Umfang auf kontinuierlichen Auflagerelementen aufgelegt werden. Grat auf dem Scheitel Im oberen Bereich sind die Bögen durch Grate unterbrochen. Die Bogenkräfte werden hier teilweise durch diejenigen der Bögen der benachbarten Flächen kompensiert und teilweise in die Grate eingeleitet. Im Gegensatz zu den Kreuzgewölben, bei welchen die Grate durch die Bögen nach unten beansprucht werden, werden diese bei den Zeltgewölben nach oben beansprucht. Ihre Beanspruchung ist null auf der Höhe der Auflager und nimmt nach oben durch die Einleitung der Bogenkräfte progressiv zu, bis die maximale Druckbeanspruchung im Scheitel erreicht wird. Tragweise der Zeltgewölbe Bogen Bogen Zeltgewölbe können mit Tonnengewölben kombiniert werden, so dass stark verlängerte rechtwinklige Plätze überdeckt werden können. In diesen Fällen müssen die Druckkräfte in den Graten, welche wie wir gesehen haben ihr Maximum in den Scheiteln erreichen, von einem im Scheitel des Tonnengewölbes in Längsrichtung verlaufenden Druckelement aufgenommen werden. Wie die Kreuzgewölbe können auch die Zeltgewölbe durch die Intersektion von einer beliebigen Anzahl von Tonnengewölben zusammengesetzt sein. Auf diese Art erhalten wir Zeltgewölbe deren Umfang aus einem Polygon mit einer beliebigen Anzahl von Seiten besteht. Das nebenstehende Bild zeigt zum Beispiel ein Zeltgewölbe mit einem achteckigen Grundriss. Tonnengewölbe Zeltgewölbe Zeltgewölbe Kombination von Zelt- und Tonnengewölben Zeltgewölbe mit achteckigem Grundriss Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -84-

85 Die Kuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz ist ein Beispiel eines Zeltgewölbes mit achteckigem Grundriss. Die Tragstruktur besteht aus zwei Gewölben aus Mauerwerk: Eine äussere, welche nur 0.58 m dick ist, und eine innere mit einer variablen Stärke zwischen 2.40 m unten und 2.10 m oben. Die zwei Gewölbe sind mit 8 vertikal verlaufenden Rippen im Bereich der Kanten, und mit 16 horizontalen Rippen zwischen den vertikalen verlaufenden miteinander verbunden. Die Gesamtstärke beträgt ca. 4 m. Wie aus dem nebenstehenden Bild hervorgeht, sind die Zwischenrippen radial angeordnet und stützen sich nicht auf die vertikalen, welche im Bereich der Kanten angeordnet sind, ab. Diese können somit einen Teil ihrer inneren Kräfte direkt in die Auflager abgeben. Obschon die Form derjenigen eines Zeltgewölbes entspricht, führen die radial angeordneten Rippen dazu, dass sich die Tragweise derjenigen einer Kuppel annähert. Kuppeln Vom Standpunkt der Tragstruktur aus betrachtet, müsste der Begriff der Kuppel den Überdeckungen mit kreisförmigem und elliptischem Grundriss vorenthalten bleiben. Wir können ein solches Tragwerk betrachten als ein Zeltgewölbe, welches aus einer unendlichen Zahl von Oberflächen und Graten besteht. Die Breite der Oberflächen wird dann infinitesimal, so dass die tragenden Elemente aus einer unendliche Serie von radial angeordneten Bögen bestehen muss. Um die Tragweise besser zu veranschaulichen, können wir eine beschränkte Anzahl von Bögen anordnen. Kuppel der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz, 1436, F. Brunelleschi (l=42m) Der Unterschied und die Analogie der Kuppeln mit den anderen Typen von Gewölben können gemäss folgender Tabelle zusammengefasst werden. Einfach gekrümmte Oberflächen, welche durch Kanten begrenzt sind. Ähnliche Tragweise wie diejenige der Tonnengewölbe, mit parallel angeordneten Bögen Doppelt gekrümmte kontinuierliche Oberflächen mit radial angeordneten Bögen In wenigen Punkten aufgelagerte Tragwerke Kreuzgewölbe Fächergewölbe Auf ihrem gesamten Umfang aufgelagerte Tragwerke Zeltgewölbe Kuppeln Schematische Tragweise einer Kuppel Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -85-

86 Tatsächliche Tragweise der Kuppeln Beim eben beschriebenen Modell der Kuppeln sind wir davon ausgegangen, dass die Bögen diejenigen Lasten abtragen, welche auf ihrer Oberfläche wirken. Die Intensität der in diesen Bögen wirkenden inneren Kräfte kann einfach ermittelt werden, wenn die horizontale Komponente H der Kämpferkraft und die Neigung z der Kuppel bekannt ist. Wenn wir die effektive Beanspruchung des Materials (d.h. die Druckspannung oder die Kraft pro Oberflächeneinheit) ermitteln wollen, müssen wir die innere Druckkraft durch die Querschnittsfläche A t r d dividieren, wobei t die Stärke der Kuppel, dθ den Öffnungswinkel des zum Bogen zugehörigen Kuppelsektors und r den Abstand von der Symmetrieachse zum zu untersuchenden Punkt der Kuppel beschreibt. Tragweise einer Kuppel als Bogensystem; Beanspruchung der Bögen Im Bereich der Symmetrieachse, d.h. auf dem Scheitel der Kuppel, strebt der Radius r gegen null. Die Querschnittsfläche A wird somit auch null, so dass die Einheitsbeanspruchung des Materials gegen unendlich strebt. Ein solcher Zustand ist natürlich unmöglich, weil kein Material eine entsprechende Beanspruchung aufzunehmen vermag. In der Tat werden die Lasten im Bereich des Scheitels nicht nur von radial angeordneten Bögen, welche den Meridianen folgen, aufgenommen. Es bilden sich zusätzlich überdrückte Ringe entlang der Parallelen der Kuppel, welche die Bögen belasten und ihre innere Beanspruchung begrenzen. Im nebenstehenden Bild ist ein kleiner Teil aus dem Bereich des Scheitels der Kuppel als Subsystem dargestellt. Er ist sowohl radial in Richtung der meridianen Bögen, als auch in Richtung der parallelen Ringe beansprucht. Wie das mit Hilfe eines Kräftepolygons dargestellte Gleichgewicht zeigt, können die inneren Kräfte der Bögen progressiv in die Ringe eingeleitet werden. Tragweise einer Kuppel als Bogen- und Ringsystem Bogenlast im Gleichgewicht mit den Ringkräften Kuppeln mit einer zentralen Öffnung zwecks Lichtführung Dank der Tatsache, dass im oberen Bereich der Kuppel die sich entlang der Meridiane bildenden Bögen nicht durchgehend sind, ist das Material in diesem Bereich nicht zwingend notwendig. Es ist in der Tat möglich, eine Kuppel mit einer grossen Öffnung im Scheitel zu entwerfen, ohne ihr Tragverhalten zu gefährden. In diesem Fall werden sich die Bögen, welche sich unterhalb der Aussparung bilden, auf das Ringsystem abstützen, welches sich am Rand der Öffnung ausbildet. Diese Ringe sind dann selbstverständlich stärker beansprucht als bei einer Kuppel ohne Öffnung. Tragweise einer Kuppel mit einer Lichtöffnung im Scheitel Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -86-

87 Die Römer waren grosse Meister im Erstellen von Kuppeln und haben breiten Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht. Im gegenüberliegenden Bild ist die Kuppel des Pantheons in Rom dargestellt mit ihrer charakteristischen Öffnung im Scheitel, deren Durchmesser 9 m erreicht. Die im Inneren sichtbaren Bögen und Ringe sind, obwohl sie im Sinne der Statik ausgebildet sind, rein dekorativ; Das Tragwerk besteht in der Tat aus einer massiven Stahlbetonkuppel. Die Kuppel des Pantheon in Rom mit dem Oblicht im Scheitel, 128 v.c. (l=43.30 m, f=21.65 m) Der Sportpalast in Rom ist eine moderne Anwendung des beschriebenen Prinzips. Die Kuppel besteht aus einer filigranen Schale aus Stahlbeton. Auch in diesem Fall dürfen die auf der Innenseite angeordneten Rippen nicht fehl interpretiert werden; sie dienen als Begrenzung der vorfabrizierten Elemente und zur Stabilisierung der Schale. Ausserdem stimmt im vorliegenden Fall die Richtung der Rippen nicht mit derjenigen der tatsächlichen Druckbeanspruchung in der Kuppel überein. Am Rand der zentralen Öffnung ist der Ring gut sichtbar, welcher die Aufgabe hat, die horizontale Beanspruchung der unterbrochenen Bögen aufzunehmen. An ihrem Umfang ist die Kuppel auf 36 Y-förmigen Stützen aufgelagert, welche radial in Richtung der Tangente der Kuppel angeordnet sind. Auf diese Art können die inneren Kräfte der Kuppel direkt in die Fundamente abgeleitet werden. Sportpalast in Rom, 1957, Arch. + Ing. P.L. Nervi, mit Arch. A. Vitellozzi (l=60 m, f=21 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -87-

88 Stahlkuppeln Bei den behandelten Beispielen von Kuppeln in Mauerwerk oder in Beton wurde die Druckbeanspruchung im Inneren des Materials mit Hilfe von Bögen und von virtuellen Ringen aufgenommen. Da bei Stahlkuppeln kein kontinuierliches Tragwerk vorhanden ist, werden die Kräfte mit echten Bögen und Ringen aufgenommen. In der Tat hat die Verkleidung, welche häufig aus verglasten Oberflächen besteht, im Allgemeinen keine primär tragende Funktion. Gekreuzte Bögen Bei den Stahlkuppeln können wir uns eine Struktur aus mehreren gekreuzten Bögen vorstellen. Aus konstruktiven Gründen muss man in Wirklichkeit in der Kreuzungszone ein Verbindungselement vorsehen, welches die Beanspruchungen in die verschiedenen Richtungen aufzunehmen vermag. Kuppel des Reichstags in Berlin, 1999, Arch. N. Foster, Ing. Leonardt, Andrä und Partner Durch Bögen und Ringe bestehende Kuppeln In Wirklichkeit sind bei den Stahlkuppeln ebenfalls die Ringe sehr nützlich. Sie stabilisieren zum Teil die Bögen und man erhält eine größere Freiheit in der Wahl der Form, wie wir später sehen werden. Ein anderer Vorteil besteht in der Möglichkeit eine Öffnung im Scheitel anzuordnen, zum Beispiel für ein Oblicht. Galerie Victor-Emmanuel II in Mailand, 1865, Arch. G. Mengoni Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -88-

89 Form der Kuppeln und Beanspruchungen Wenn wir eine gleichmässig verteilte Belastung auf der horizontalen Oberfläche annehmen und im Moment die Wirkung der Druckringe längs der Parallelen vernachlässigen, nimmt das Seilpolygon die Form einer Parabel dritten Grades an (der Beweis ist in der gegenüberliegenden Spalte angefügt für diejenigen, die sich für die analytische Lösung interessieren). Wie wir gesehen haben, kann die Kuppel im Bereich des Scheitels nicht allein auf diese Art funktionieren, weil die innere Beanspruchung des Materials grösser wird als seine Festigkeit. Wir müssen zwingend Druckringe einführen, welche die Form des Seilpolygons verändern. Man kann zeigen dass in diesem Fall, unter der Annahme einer konstanten Intensität der Beanspruchungen sowohl in Richtung der Meridiane als auch in Richtung der Parallelen, das Seilpolygon die Form einer Parabel zweiter Ordnung annimmt. Wie wir bereits bei der Behandlung der Seiltragwerke und der Bögen beschrieben haben (Seite 64), wurden die Methodik zur Bestimmung des Seilpolygons und der Entwurf der idealen Form der Bögen und der Kuppeln erst am Anfang des 18. Jahrhunderts entwickelt. Vorher war die Form das Resultat der Erfahrung und eines empirischen Vorgehens: unstabile Bögen wurden mit Aufständerungsmauerwerk oder mit einem System von Sekundärbögen verstärkt. In der Antike waren die Kuppeln meist kugelförmig, oder sie hatten eine ähnliche Form. Das zugehörige Seilpolygon der Lasten nähert sich dann gefährlich dem inneren Rand und das Tragwerk hat die Tendenz, ähnlich wie bei den entsprechenden Bögen, nach aussen auszuweichen. Aus diesem Grund haben sich, sowohl bei den Mauerwerkskuppeln der Renaissance als auch bei den Betonkuppeln der Römer, grosse radiale Risse im unteren Bereich des Tragwerks gebildet. Ein interessantes Beispiel ist dasjenige der Kuppel des Petersdoms in Rom, wo die Suche nach Erklärungen für diese Risse zum ersten Mal zur Konstruktion des Seilpolygons einer Kuppel geführt hat. Die damaligen Untersuchungen zeigten, wie prekär das Gleichgewicht der Kuppel war, und führten zur Verstärkung der Tragstruktur. Diese bestand in der Anordnung von auf Zug beanspruchten Stahlringen, welche horizontale Kräfte auf die Bögen ausüben können und so die Wirkungslinie der inneren Druckkräfte ins Innere der Tragstruktur zurückschieben können, ähnlich wie bei den ausgefüllten Bögen mit Hilfe des Aufständerungsmauerwerks. Es ist zu bemerken, dass bei dieser Kuppel der Druck der Ringe gegen Innen dem nach aussen gerichteten Druck der Bögen vollständig widerstehen konnte, so dass die Kuppel nach der Instandsetzung nur noch vertikale Kräfte auf die Auflager abgibt. Seilpolygon einer Kuppel ohne Druckringe ANSICHT Druck des Ringes auf den Bogen GRUNDRISS Bogen Bogen Ring Druck des Bogens auf den Ring Ring Wirkungslinie mit Ringkräften Wirkungslinie ohne Ringkräfte Tragweise einer kugelförmigen Kuppel mit Zugringen, Seilpolygon der Lasten der Kuppel des St.Petersdom in Rom mit und ohne Wirkung der Verstärkungsringe. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -89-

90 Das Beispiel der Kuppel des Petersdoms zeigt eindrücklich, wie durch eine sehr einfache konstruktive Vorkehrung eine optimale Tragweise erzielt werden kann, auch wenn die Form der Kuppel nicht derjenigen des Seilpolygons entspricht. Das zeigt, dass die Kuppeln mit einer viel grösseren Freiheit entworfen werden können als die Bögen. Wenn die Krümmung in Richtung der Meridiane grösser ist als diejenige des Seilpolygons der Lasten, besteht die Möglichkeit der Ausbildung von Zugringen, wenn das Material in der Lage ist, diese Beanspruchungen aufzunehmen. Andernfalls ist es erforderlich, eine Verstärkung mit Metallringen vorzusehen. Die Kuppeln der orthodoxen, islamischen und hinduistischen Kulturen weichen stark von der idealen Form ab. Oft ist jedoch die Form der inneren Tragstruktur nicht identisch mit der äusserlich sichtbaren, so dass die Abweichung vom Seilpolygon nicht immer so ausgeprägt ist wie es auf den ersten Blick scheint. Ihre Tragweise wird einzig ermöglicht durch die Aktivierung von stark auf Zug beanspruchten Ringen im unteren Bereich der Kuppeln. Zentrale Kuppel des Taj Mahal ad Agra, Indien, 15. Jahrhundert Kuppeln mit konischer Form Wenn die Krümmung der meridianen Bögen dagegen kleiner ist als diejenige des Seilpolygons der Lasten, müssen sich im unteren Bereich der Kuppeln Druckringe ausbilden. Als Spezialfall sind die kegelförmigen Kuppeln zu erwähnen, welche häufig als Überdachung von Glockentürmen benützt werden. Beim Kegel ist die Krümmung der Meridianbögen geradezu null, so dass keine Umlenkung der Kräfte in ihrer Richtung erfolgen kann. Ihre Tragweise wird sofort verständlich, wenn wir ein kleines aus dem Kegel herausgeschnittenes Element untersuchen, auf welches die folgenden Kräfte und Beanspruchungen wirken: Die äusseren Lasten mit einer vertikalen Wirkungslinie, eine Druckkraft am unteren Rand des Elementes mit einer Wirkungslinie in Richtung der Meridiane und zwei Druckkräfte in Richtung der parallelen Ringe. Das Gleichgewicht dieser Kräfte kann mit Hilfe eines räumlichen Seilpolygons untersucht werden, oder indem zuerst die horizontalen Komponenten der Kräfte, und dann die Projektion der Kräfte auf eine Ebene, welche durch die Symmetrieachse des Kegels verläuft, untersucht wird. Wir wollen diesen zweiten Weg beschreiten, weil er die Zerlegung der Kräfte in zwei Schritten erlaubt und dadurch leichter darzustellen ist. Weil die Wirkungslinie der äusseren Lasten vertikal ist, erscheinen im ersten Kräftepolygon nur die horizontale Komponente der Druckkraft, welche in Richtung der Meridiane wirkt und mit der Umlenkkraft der Druckringkräfte im Gleichgewicht ist. Die Analyse der auf die andere Ebene projektierten Kräfte veranschaulicht, wie die äusseren Lasten mit den inneren Druckkräften in Richtung der Meridiane im Gleichgewicht sind. Analogie mit einer Person, welche sich an einer Wand abstützt: Bilder und Text Seite 61) Meridian Parallele Beanspruchungen in einem Kegel unter Eigenlasten Horizontale Komponente von NM Projektion auf die horizontale Ebene Umlenken von Np Projektion auf die vertikale Ebene Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -90-

91 Im untersuchten Subsystem müssten wir zusätzlich die inneren Druckkräfte betrachten, welche vom darüber liegenden Bereich übertragen werden. Diese beeinflussen jedoch das Gleichgewicht nicht. Die betrachteten Kräfte stellen umgekehrt nur den Kräftezuwachs, welcher in diesem Bereich stattfindet, dar. Die innere Druckkraft in Richtung der Meridiane nimmt somit von oben nach unten progressiv zu. Die Ausbildung einer Aussparung im oberen Bereich infolge Entfernung eines Teils des Kegels bewirkt lediglich eine Reduktion der inneren Beanspruchung in den Meridianen. Die beschriebene Tragweise bleibt dagegen unverändert. Rotationshyperboloide Die Rotationshyperboloide, welche häufig als Kühltürme bei den Atomkraftwerken zur Anwendung gelangen, haben ähnliche Eigenschaften. Im unteren Bereich ist die Krümmung der Bögen in Richtung der Meridiane nach oben gerichtet, so dass die Umlenkkräfte der inneren Druckkräfte in Richtung der Meridiane mit den nach unten gerichteten ständigen Lasten überlagert sind. Die Tragweise mit Hilfe der auf Druck beanspruchten parallelen Ringe und die Abtragung der inneren Kräfte zu den Auflagern über die in Richtung der Meridiane verlaufenden Bögen sind analog zu denjenigen des Kegels. Im oberen Bereich ist die Neigung umgekehrt und es resultiert eine ähnliche Tragweise wie bei einem Kegel mit nach unten gerichteter Spitze. Die Zunahme der Druckkraft in Richtung der Meridiane hat hier eine nach aussen gerichtete Komponente, so dass die parallelen Ringe auf Zug beansprucht werden. Infolge der relativ geringen inneren Beanspruchung der Meridiane im oberen Bereich ist der Einfluss ihrer Krümmung mit der nach innen gerichteten Umlenkkraft nicht ausreichend um die beschriebene nach aussen gerichtete Umlenkkraft der Ringe zu kompensieren. Umlenken von Np Umlenken von Np Analogie mit einer Person, welche an zwei an der Wand befestigten Seilen zieht, indem sie sich zurücklehnt: Bilder und Text Seite 27) Tragweise des Rotationshyperboloids unter Eigenlasten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -91-

92 Aufnahme beliebiger horizontaler oder vertikaler Lasten Bei hohen Tragwerken, wie beispielsweise den Rotationshyperboloiden der Kühltürme oder den Kegeln welche die Glockentürme überdachen, sind nicht die Eigenlasten, sondern die Windlasten massgebend. In diesem Fall ist die Analyse der Tragwirkung komplizierter, weil die Lasten nicht mehr symmetrisch sind. Es resultieren dann innere Kräfte, deren Richtungen nicht mehr mit den Meridianen und den parallelen des Tragwerks übereinstimmen. Im Fall von Kuppeln aus Mauerwerk oder aus Beton kann die Tragwirkung jedoch mit einer Serie von auf Zug beanspruchten Bereichen und mit Bögen beschrieben werden, welche auf der Oberfläche des Tragwerks angeordnet sind. Bei Kuppeln aus Stahl, welche durch Bögen und parallele Ringe aufgebaut sind, ist die Aufnahme der horizontalen Lasten und der unsymmetrischen Belastungen komplexer. Konferenzraum la Goccia im Lingotto in Turin, 1996, Arch. Renzo Piano, Ing. Büro Ove Arup Ein möglicher Lösungsansatz besteht in der Vergrösserung der Breite der Bögen, so dass das Seilpolygon der Lasten sich verschieben kann, ohne zu starke Verformungen und eine zu grosse Zugbeanspruchung zu erzeugen. Bei der Kuppel Victor-Emmanuel in Mailand (Foto auf der Seite 88) sieht man deutlich Bögen, welche in der Lage sind, die unsymmetrischen Lasten aufzunehmen. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, Diagonalen im Inneren der Vierecke anzuordnen, die durch die Meridiane und die parallelen Ringe gebildet werden. Diese Diagonalen können mit einfachen Seilen ausgebildet werden. Man erhält so eine Struktur, die trotz zusätzlicher Elemente transparent bleibt. Auf diese Art und Weise können die Querschnitte der Meridiane und der parallelen Ringe beträchtlich reduziert werden. Eine andere Lösung besteht in der Ausbildung von sekundären Bögen, welche darauf ausgelegt sind, die nicht symmetrischen Schubkräfte aufzunehmen. In diesem Fall erhält man allerdings ein etwas weniger transparentes Tragwerk, aufgrund der großen Anzahl Stäbe, die auf Druck beansprucht sind. Wegen ihrer Effizienz wird dieser Tragwerkstyp gewöhnlich in grossen Kuppeln angewendet, vor allem wenn keine grosse Transparenz verlangt wird. Stadion in New Orleans (Kuppel mit einem Durchmesser von m), 1973, Sverdrup & Parcel and Associates Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -92-

93 Geodätische Kuppeln Bei den vorher beschriebenen Lösungen sind, obwohl zusätzliche Stäbe in Form von Diagonalen oder Bögen eingeführt wurden, die Meridiane und die parallelen Ringe immer wieder erkennbar. Im Fall von geodätischen Kuppeln, entwickelt von Buckminster Fuller, gibt es drei sehr unregelmässige Bogensysteme die sich kreuzen. Die Form dieser Kuppeln basiert auf einem Ikosaeder (20 gleiche Seitenflächen), welches auf auf den Raum projektiert wird. Auf diese Weise können auch, wie nebenstehend abgebildet, sphärische Kuppeln entwickelt werden. Ikosaeder Geodätische Kuppel Kuppeln mit Netzstruktur Ein Tragwerk, welches sich aus zwei Bogensystemen zusammensetzt, ist erst kürzlich vom Deutschen Ingenieur J. Schlaich entwickelt worden. Wie wir später sehen werden, ist es möglich, nach diesem Prinzip Tragwerke verschiedener Formen zu erhalten. Bei nebenstehender Kuppel bilden die zwei Bogensysteme ein Netz; beide nehmen einen Teil der Lasten auf und weisen eine Biegung nach unten auf. Die Tragweise ist also verschieden von einem Netz von Seilen, welche auf Zug beansprucht werden, in dem eine Schar mit der Krümmung nach oben die Lasten aufnimmt, während eine zweite Schar eine Vorspannkraft nach unten ausübt. Kuppel des Pavillons USA an der EXPO 67 in Montréal, Buckminster Fuller Kuppeln mit Netzstruktur mit viereckiger Masche, wie nebenstehend abgebildet, besitzen eine ungenügende Steifigkeit zur Abtragung der unsymmetrischen Lasten, wie beispielsweise Wind oder Schnee. Um dieses Problem zu lösen spannt man dünne diagonale Kabel. Schalen und Kuppeln ohne Rotationsymmetrie Dach eines Schwimmbades in Nerckarsulm, 1989, Arch. K.-U. Bechler, Ing. J. Schlaich Die vorgängig behandelten Kuppeln waren durch eine geometrische Form charakterisiert, welche durch Rotation einer beliebigen Kurve um eine vertikale Achse erhalten werden kann. Man spricht in diesen Fällen von Rotationskuppeln: Sie besitzen einen kreisförmigen Grundriss. In Wirklichkeit ist die Familie der Kuppeln jedoch wesentlich grösser und beinhalt eine ganze Serie von Flächen welche nicht unbedingt diese Regel einhalten: man spricht dann von Kuppeln ohne Rotationssymmetrie oder einfach von Schalen. Unter diesem letzten Begriff versteht man räumliche Tragwerke, welche vorwiegend auf Druck beansprucht sind, so dass ihre Stärke verglichen mit ihren restlichen Abmessungen sehr gering ist. In anderen Worten handelt es sich um zu den Membranen analoge Tragwerke, die jedoch auf Druck beansprucht sind. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -93-

94 Schalen mit doppelter, nach unten gerichteter Krümmung Die Schalen übernehmen die Form von einer Kuppel wenn ihre beiden Hauptkrümmungen nach unten gerichtet sind. Vom Gesichtspunkt ihrer Tragweise aus betrachtet, bedeutet das, dass wir auf einer diesbezüglichen Oberfläche zwei unterschiedliche Systeme von Druckbögen bilden können, welche in der Lage sind, je einen Anteil der Lasten abzutragen. In Spezialfällen kann, wie weiter oben gezeigt wurde, ein System von Bögen durch eine auf Zug beanspruchte Zone (System von Zugelementen) gehalten sein. Die Einführung des Betons hat es ermöglicht, mit sehr dünnen Schalen (wenige cm) beträchtliche Spannweiten zu überdecken. Die ersten Beispiele weisen relativ massive Randelemente auf. Diese dienten vor allem der Einleitung der inneren Kräfte in die Auflager und wirkten Stabilitätsproblemen entgegen. Versuchskuppel in Jena, 1932, Ing. F. Dischinger und U. Finsterwalder (l= 7.3 x 7.3 m, Stärke = 1.5 cm! ) Eine interessante Entwicklung bestand darin, die Schale entlang ihren Rändern zu falten, um eine Versteifung zu erzielen. Bei der Schale im nebenstehenden Bild verlaufen die so erhaltenen Versteifungen bis zum Erdreich und bilden die Auflager. Eine Alternative besteht darin, die Stärke der Schale im Bereich der Ränder und der Auflager zu vergrössern. Auf diese Art können sehr elegante Tragwerke erzielt werden. Gartencenter Wyss in Soletta, CH, 1961, Ing. H. Isler Überdachung der Autobahnraststätte in Deitingen, CH, 1968, Ing. H. Isler (l= 26 m x 31 m) Gartencenter Bürgi in Camorino, TI, 1973, Ing. H. Isler (l= 27.2 m x 27.2 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -94-

95 Schalen mit nach oben und nach unten gerichteter Krümmung, hyperbolische Paraboloide Bei der Behandlung der Netze haben wir gesehen wie aus der Fläche des hyperbolischen Paraboloids parabolische Schnitte erhalten werden können deren Krümmung teils nach oben, teils nach unten gerichtet ist. Wenn eine entsprechende Schale aus einem Material mit Druckund Zugfestigkeit, wie zum Beispiel Stahlbeton, ausgeführt wird, können sich unter einer vertikalen Last auf Druck beanspruchte Bögen in Richtung der nach unten gekrümmten Parabeln ausbilden, während in der anderen Richtung die Schale auf Zug beansprucht werden kann, indem sich eine Membran ausbildet. Jedes dieser Elemente ist somit in der Lage einen Teil der Lasten abzutragen. Tragweise einer Schale mit der Form eines hyperbolischen Paraboloids Kraft, welche ins Randelement eingeleitet werden muss Die Analyse kann getrennt durchgeführt werden, indem zuerst die sich wie ein Tonnengewölbe verhaltenden Bögen und in einem zweiten Schritt die Membran untersucht werden. Bei der Verteilung der Lasten auf die Bögen und auf die Membran muss das Gleichgewicht an den Rändern berücksichtigt werden. Falls keine steifen Randträger vorhanden sind, welche Zugoder Druckkräfte in Querrichtung aufnehmen können, müssen die Kraftkomponenten der Bögen und der Membran sich in dieser Richtung gegenseitig aufheben. Es bleibt dann lediglich eine innere Kraft entlang des Randes, welche mit einer dünnen Rippe oder mit einem schmalen Bereich der Schale aufgenommen werden kann. Auf diese Art kann eine Überdachung erhalten werden, welche aus mehreren hyperbolischen Paraboloiden besteht, die nebeneinander angeordnet sind und an ihren Berührungslinien Kanten ausbilden. Eine klassische Zusammensetzung dieser Art besteht aus vier identischen Elementen, welche im Zentrum auf einer Stütze aufgelagert sind. In den vier Kanten, welche zur Stütze hin verlaufen, bildet sich eine Druckzone aus, in welcher die Komponenten der Kräfte der Bögen und der Membranen entlang der Kanten wie beschrieben abgetragen werden. Im Bereich der Stütze kompensieren sich die horizontalen Komponenten der inneren Kräfte in den vier Kanten, während die vertikalen Komponenten sich addieren und in die Stütze abgeleitet werden. Überdachung von Almacenes Hernaiz, Mexico, 1956 und der Industriepark Great Southwest, Dallas, 1958, Arch. + Ing. F. Candela Auch bei den parallelen Rändern der hyperbolischen Paraboloide sind Randkräfte vorhanden. Diese müssen von vier auf Zug beanspruchten Randelementen aufgenommen werden. Die Beanspruchung dieser Zugelemente ist im Gleichgewicht mit den inneren Kräften der benachbarten Paraboloide. Tragweise einer Überdachung, welche aus 4 hyperbolischen Paraboloiden besteht, welche in ihrem Zentrum aufgelagert sind. Links sind die isolierten Paraboloide dargestellt, rechts die überdrückten Bereiche bei den Graten und die gezogenen Bereiche an den Rändern. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -95-

96 Die vier Elemente der hyperbolischen Paraboloide, welche das beschriebene Tragwerk bilden, können auch so zusammengesetzt werden, dass das resultierende Tragwerk an seinen vier Ecken aufgelegt ist. Dieses ist ähnlich wie die auf Seite 82 beschriebenen Fächergewölbe. In diesem Fall laufen bei jedem Auflager zwei auf Druck beanspruchte Randrippen zusammen, die ebenfalls horizontale Komponenten aufweisen. Es ist möglich, diese Kräfte mittels von einem Auflager zum anderen verlaufenden Zugelementen aufzunehmen. Ähnlich wie bei den Fächergewölben ist es auch möglich, viele hyperbolische Paraboloide nebeneinander anzuordnen. Auf diese Art wird eine Überdachung mit vielen Auflagern erhalten, ohne Begrenzung betreffend Abmessungen. Bei den beschriebenen hyperbolischen Paraboloiden fallen die Ränder mit den geradlinigen Erzeugenden zusammen. Im gegenüberliegenden Bild ist ein Beispiel dargestellt, wo dies nicht der Fall ist, sondern die Ränder gekrümmt sind (Parabeln und Hyperbeln). Tragweise einer Überdachung bestehend aus 4 hyperbolischen Paraboloiden, welche in den 4 Ecken aufgelegt ist. Sattelflächen Capilla abierta, Lomas de Cornavaca, Palmire, Mexiko, 1958, Arch. + Ing. F. Candela, Holzgerüst für die Schalung der Schale und ausgeführtes Tragwerk. Analog zu den Kreuzgewölben, welche aus der Zusammensetzung von Tonnengewölben resultieren, entstehen die so genannten Sattelflächen aus der Zusammensetzung von hyperbolischen Paraboloiden. Es ist möglich im Bereich der Schnitte Kanten zu bilden, oder aber diese Bereiche so auszubilden, dass eine kontinuierliche Fläche erhalten wird. Sattelflächen, Restaurant Los Manantiales, Xochimilco, Mexiko, 1957, Arch. + Ing. F. Candela Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -96-

97 Zylinderschalen Wie wir im Fall der hyperbolischen Paraboloide gesehen haben, können ausgehend von einer und derselben geometrischen Figur sehr unterschiedliche Tragwerke erhalten werden. Ihre Tragweisen weisen jedoch starke Affinitäten auf. In anderen Fällen können Tragwerke, welche scheinbar die gleiche Form aufweisen, eine statisch vollkommen unterschiedliche Tragweise haben, wenn die statischen Bedingungen an den Rändern unterschiedlich sind. Das ist beispielsweise der Fall bei den Zylinderschalen, welche die gleiche Form aufweisen wie Tonnengewölbe, aber im Gegensatz zu diesen nur auf wenigen Punkten aufgelagert sind. Im oberen Bereich dieser Schalen bilden sich Bogen aus, genau wie bei den Gewölben. Infolge der freien Ränder müssen diese Bögen jedoch ihre inneren Kräfte auf anderes Tragsystem abstützen, welches in Längsrichtung wirkt und die Lasten zu den Auflagern überträgt: dieses System besteht aus Längsbögen, welche mit einem System von Zugelementen zusammenarbeitet ähnlich wie bei den Balken. Aus diesem Grund kehren wir später zu den Zylinderschalen zurück. Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas, 1972, Arch. L. I. Kahn, Ing. A. Komendant Bogennetze Wir haben den Begriff Schale für die kontinuierlichen Strukturen reserviert, die im Allgemeinen bei den Gebäuden aus Beton oder aus Mauerwerk gebaut werden. In anderen Gebieten können die Schalen aus Metall, aus Sperrholz oder aus synthetischen Materialien sein, beispielsweise bei Booten oder Karosserien. Im Gebäude setzen sich Stahl- oder Holz- Tragwerke dieses Typs im Allgemeinen aus übereinander gelegten linearen Elementen zusammen. Wir werden in diesem Fall von einem Bogennetz sprechen. Man erhält eine grosse Steifigkeit und eine gute Stabilität indem man drei Bogensysteme kreuzt. Wenn eine sehr grosse Transparenz des Tragwwerks verlangt wird, ist es allerdings vorzuziehen, auf das dritte Bogenbündel zu verzichten und es durch zusätzliche Bündel dünner Kabel zu ersetzen. Bogennetz in Mannheim, 1971, Arch. Mutschler, Langner und Otto Frei, Ing. T. Happold Hof des historischen Museum in Hamburg, 1989, Arch. V. Marg, Ing. J. Schlaich Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -97-

98 Hybride Seiltragwerke Aufnahme der horizontalen Komponente der Auflagerkraft Wie wir bei den Bögen, bei den Gewölben, bei den Kuppeln und teilweise bei den Schalen gesehen haben, besteht das Haupttragsystem aus einem überdrückten Bereich, welcher unter den Lasten umgelenkt wird und somit eine veränderliche Neigung aufweist. An den Auflagern wirkt nicht nur eine vertikale, sondern auch eine horizontale Kraftkomponente welche direkt von den Lasten hervorgerufen wird und der Druckkraft im Scheitel entspricht. Wenn diese horizontalen Kämpferkraftkomponenten nicht direkt ins Erdreich eingeleitet werden können, zum Beispiel weil das Tragwerk sich in einer bestimmten Höhe befindet, werden Hilfstragelemente erforderlich. Wir haben bereits gesehen, wie bei den gotischen Kathedralen die vertikalen Komponenten der Kämpferkräfte durch die Pfeiler in das Erdreich abgeleitet werden, während die horizontalen Komponenten von Stütztragwerken aufgenommen werden, welche aus einem komplexen System von Neben- und Verstärkungsbögen bestehen. Diese Tragwerke haben noch ein weitere Funktionen: sie helfen die horizontalen Lasten infolge Wind aufzunehmen und stabilisieren das gesamte Tragwerk im Fall eines Erdbebens. Stütztragwerk der Kathedrale von Beauvais (über dem Hauptschiff ist nur die innere Tragstruktur dargestellt, welche aus einem Kreuzgewölbe aus Mauerwerk besteht. Die äussere Überdachung, welche aus einem Holztragwerk besteht, überträgt nur vertikale Kräfte auf die Pfeiler Wir wollen zu ihrer Hauptaufgabe zurückkehren, welche darin besteht, die horizontale Komponente der Kämpferkräfte aufzunehmen. Wir können uns eine alternatives, sehr einfaches System vorstellen, mit dem das gleiche Ziel erreicht wird: Ein Element welches die beiden Auflager zusammenhält. Diese Lösung wird häufig angewendet, nicht nur um Tragwerke instand zu stellen, deren Stütztragwerke zu schwach sind, sondern auch bei der ursprünglichen Projektierung. Ihre Tragweise ist leicht verständlich, wenn wir die Bereiche der Auflager mit Hilfe von Subsystemen untersuchen. Die vertikale Komponente der Kämpferkraft ist im Gleichgewicht mit der nach oben auf den Bogen wirkenden Kraft, welche von den Pfeilern ausgeübt wird. Die horizontale Komponente wird dagegen kompensiert von der Kraft, welche das neue Element nach innen ausübt. Aus dieser Betrachtung folgt sofort dass das neue Element auf Zug beansprucht sein muss: es handelt sich somit um ein Zugglied. In anderen Worten ist die Kraft, welche das Zugglied auf das Innere des Bogens ausübt, in der Lage, die geneigte Kämpferkraft des Bogens umzulenken und die Neigung seiner Wirkungslinie über den Auflagern in die Vertikale umzuwandeln. Dieser Effekt ist analog zu demjenigen der Zugringe bei den Kuppeln. Wenn wir ein Subsystem beim anderen Auflager untersuchen, und wenn alle angreifenden äusseren Lasten vertikal sind, müssen wir die gleiche Zugkraft im Zugglied erhalten wie auf der Seite des ersten Auflagers. Das bedeutet, dass die horizontalen Komponenten der Kämpferkräfte von einer Seite des Bogens zur anderen übertragen werden. Tragweise eines Bogens mit einem Zugglied bei den Auflagern, einem Bogen ohne Zugglied gegenübergestellt. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -98-

99 Der Bogen mit Zugglied Wenn wir den Bogen mit einem Zugglied ergänzen erhalten wir ein neues Tragsystem welche erlaubt die Lasten auf andere Art und Weise in die Fundamente einzuleiten. Im gegenüberliegenden Bild ist ein Tragwerk dargestellt, welches dieses Prinzip ausnützt. Es handelt sich um die Schalung für den Bau eines Stahlbetonbogens. Während des Verschiebens von einem Brückenfeld zum nächsten wurde das Tragwerk auf zwei Flosse abgestellt, welche selbstverständlich nur in der Lage waren, vertikale Auflagerkräfte zu übertragen (Auftriebskraft von Archimedes). Der Bogen der Schalung mit nur zwei Gelenken bei den Auflagern war als Holztragwerk ausgebildet, während die Zugglieder aus Stahl waren. Die schwimmende Schalung der Brücke von Plougastel, 1930, Ing. E. Freyssinet (l = 170 m) Feste und bewegliche Auflager Wenn ein solches Tragwerk auf dem Erdreich aufgelagert wird, ist es sinnvoll, Lager anzuordnen, welche horizontale Verschiebungen in der Tragwerksebene ohne Behinderung zulassen. Ohne diese Möglichkeit könnte sich das Zugglied nicht verlängern und könnte somit nicht von den vertikalen Lasten aktiviert werden. Die Tragweise entspräche dann derjenigen des Bogens und die horizontalen Komponenten der Kämpferkräfte würden ins Erdreich eingeleitet. Wenn dagegen beide Auflager beweglich sind, wird das System labil. In der Tat könnte eine eventuelle auf das Tragwerk wirkende horizontale Last nicht aufgenommen werden und würde die Verschiebung des gesamten Systems verursachen. Schematische Darstellung eines Bogens mit Zugglied, festes Auflager auf der linken und bewegliches Auflager auf der rechten Seite Aus diesem Grund ist es erforderlich, auf der einen Seite ein festes Lager anzuordnen um die horizontalen Lasten aufnehmen zu können, und auf der anderen Seite eine bewegliches Lager anzuordnen, um die für die Aktivierung des Zugglieds erforderliche Bewegung sicherzustellen. Die Gelenke bei den Auflagern der Bögen sind ein typisches Beispiel von festen Auflagern. In diesen Punkten ist eine Verdrehung möglich, während sowohl die horizontale als auch die vertikale Verschiebung verhindert ist. Es können Kräfte mit einer beliebigen Richtung übertragen werden, mit einer horizontalen und einer vertikalen Komponente. Wir werden in der Folge solche Auflager mit einem kleinen Dreieck darstellen. Verdrehung Verdrehung Kraft zur Auflagerfläche Verschiebung // zur Auflagerfläche Übertragene Kräfte und mögliche Bewegungen in einem festen und in einem beweglichen Auflager Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -99-

100 Die beweglichen Auflager sind Konstruktionen, welche Verschiebungen in einer Richtung zulassen und somit nur Kräfte senkrecht zur Bewegungsebene übertragen können. Wir werden sie in der Folge mit einem kleinen Dreieck darstellen, welches auf einem kleinen Kreis aufliegt, der eine Rolle symbolisiert. In der Tat bestanden solche Lager früher aus Stahlrollen, welche zwischen zwei Platten frei rollen konnten: die untere Platte ist fixiert und die obere am Tragwerk befestigte Platte ist beweglich. Eine andere seltenere konstruktive Lösung bestand in einem kurzen Pendelstab, welcher mittels Gelenken an beiden Enden fixiert war. Die modernen beweglichen Lager nützen den geringen Gleitwiderstand zwischen einigen synthetischen Materialien (z. Bsp. Teflon) und der polierten Oberfläche von Stahl aus. Bei solchen Materialpaarungen beträgt die Längskraft nicht mehr als 1/20 der vertikal übertragenen Kraft, so dass man von beweglichen Lagern mit praktisch freier Bewegung reden kann. Beispiele von beweglichen Auflagern: Rollenlager, Pendellager und Gleitlager Entwurf und Analyse der Bögen mit Zuggliedern Wenn wir die Tatsache betrachten, dass die Zugglieder lediglich dazu dienen, die Auflager zusammen zu halten und die horizontalen Komponenten der Kämpferkräfte aufzunehmen, unterscheidet sich der Entwurf und die Analyse eines Bogens mit Zugglied nicht von denjenigen eines einfachen Bogens. Auch in diesem Fall bleibt alles gültig was wir bei den Bögen beschrieben haben bezüglich Tragweise, Form, Stabilitätsprobleme und betreffend möglicher Tragwerkslösungen. Auch die geometrische Konstruktion der Form (Seilpolygon) und die Analyse können mit den gleichen Verfahren durchgeführt werden: Bestimmung der Resultierenden der äusseren Kräfte sowie die Lage deren Wirkungslinie (mit Hilfe eines Hilfsbogens wenn die Lasten parallel sind), Wahl eines Seilpolygons für die Resultierende (einem Dreieck entsprechend) und Konstruktion des dazwischen liegenden Bereiches mit Hilfe des Cremona-Plans, aus welchem sich auch direkt die Intensitäten der Kräfte ergeben. Dies gilt selbstverständlich nur bei Dreigelenkbögen. Wenn der Bogen weniger Gelenke aufweist und das System statisch unbestimmt ist, gelten die bei den Bögen beschriebenen Betrachtungen. Im Weiteren werden die Auflagerkräfte und die innere Kraft im Zugglied ermittelt. Zuerst wird ein Subsystem im Bereich des beweglichen Auflagers betrachtet, welches das Auflager enthält und den Bogen und das Zugglied schneidet. Weil die Bogenkraft bereits bekannt ist bleiben zwei Unbekannte: die auf das Auflager übertragene Kraft, deren Richtung senkrecht zur Bewegungsebene verlaufen muss, und die Kraft im Zugglied, deren Wirkungslinie mit der Achse des Zuglieds übereinstimmen muss. Ermittlung des Seilpolygons und Analyse eines Bogens mit Zugglied Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -100-

101 Wenn wir vom Subsystem des festen Auflagers ausgehen wollen, ist das Problem unbestimmt, weil drei Unbekannte vorhanden sind: die Kraft im Zugglied und die beiden Komponenten der Auflagerkraft. Auch aus dieser Betrachtung wird klar ersichtlich, dass ein System mit zwei festen Auflagern statisch unbestimmt wird. Wenn die innere Kraft des Zugglieds mit Hilfe der Analyse des Subsystems, welches das bewegliche Auflager enthält, ermittelt wurde, wird das zweite Subsystem beim festen Auflager lösbar, und die Auflagerkraft mit ihren zwei Komponenten kann einfach bestimmt werden. Ermittlung der Kraft beim festen Auflager (N1 und N4 wurden vorher ermittelt) In der gegenüberliegenden Darstellung ist das gesamte System mit vollständiger Konstruktion des Cremonaplans enthalten. Wenn die Wirkungslinie der Auflagerkraft des beweglichen Lagers nicht zufällig parallel zu derjenigen der Resultierenden der äusseren Kräfte ist, können die Auflagerkräfte direkt ermittelt werden, ohne dass zuerst die Beanspruchung des Bogens und des Zugglieds bekannt sein muss. Wir müssen ein Subsystem bilden, welches das gesamte Tragwerk beinhaltet, und berücksichtigen, dass die drei Kräfte, welche auf das System wirken (die Resultierende der äusseren Kräfte und die beiden Auflagerkräfte) nur dann im Gleichgewicht sind, wenn ihre Wirkungslinien sich in einem Punkt schneiden. Kompaktes System mit Cremonaplan Auch diese Lösung ist nur möglich wenn ein bewegliches Auflager mit gegebener Wirkungslinie der Auflagerkraft vorhanden ist (senkrecht auf der Bewegungsebene). Wenn dagegen zwei feste Auflager vorhanden sind, bei welchen die Wirkungslinien der Auflagerkräfte unbekannt sind, ist das System nicht auf die beschriebene Art lösbar, weil es statisch unbestimmt ist. Direkte Bestimmung der Auflagerkräfte, wenn die Fläche des beweglichen Auflagers nicht rechtwinklig zur Resultierenden der Lasten ist. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -101-

102 Zusammensetzung von Seilen mit Druckgliedern Das eben beschriebene neue System, welches aus der Zusammensetzung eines Bogens mit einem Zugglied entstanden ist, wurde entwickelt um die horizontalen Komponenten der Kämpferkräfte zu eliminieren oder mindestens zu reduzieren. Wir haben das gleiche Problem schon bei der Behandlung der Seile angetroffen: auch dort müssen die Auflager sowohl eine vertikale als auch eine horizontale Kraftkomponente aufnehmen. Diese letztere kann einfach eliminiert werden, indem die beiden Enden des Seiles nicht direkt mit den Auflagern, sondern mit einem Element verbunden werden, welches in der Lage ist, die horizontalen Komponenten der Auflagerkräfte aufzunehmen. Wie im gegenüberliegenden Bild veranschaulicht, wird das entsprechende Elemente auf Druck beansprucht: es handelt sich um ein so genanntes Druckglied. Wir haben bereits mehrmals die starke Analogie zwischen den Seilen und den Bögen hervor gestrichen; auch dieses neue Tragwerk bestehend aus einem Seil und einem Druckglied ist sehr ähnlich wie der Bogen mit dem Zugglied. Im speziellen gelten die gleichen Betrachtungen bezüglich Auflageranordnung (ein festes und ein bewegliches um die statische Bestimmtheit sicherzustellen) und die Analyse der inneren Kräfte kann auf die genau gleiche Art und Weise erfolgen. Die Lasten werden zuerst vom Seil aufgenommen und zu den Auflagern hin abgetragen, wo das Druckglied als Stützelement wirksam wird. Wenn die Lasten im oberen Bereich des Tragwerks angreifen (Schnee, Eigenlasten des Daches, ), sind Sekundärelemente notwendig um die Lasten auf die Seile zu übertragen. Es handelt sich um Elemente welche auf Druck beansprucht sind und sehr ähnlich sind wie die Stützen mit welchen die Fahrbahn einer Brücke mit dem Bogen verbunden ist. Das Seil, welches mit den konzentrierten Kräften dieser Stützen beansprucht ist, nimmt eine polygonale Form an. Im Beispiel, welches im gegenüberliegenden Bild dargestellt ist, sind die Verbindungsstützen gut ersichtlich. In diesem Fall passt die Form des Druckglieds an die Dachform an, so dass eine konzentrierte Umlenkung in der Feldmitte resultiert. Diese Umlenkkraft wird auf das Seil übertragen, welches ebenfalls eine konzentriert Umlenkung in Feldmitte aufweist. Der Mittelpfosten ist demzufolge auf Zug beansprucht. Tragweise eines Seiles mit Druckglied, einem einfachen Seil gegenübergestellt. Seil mit Druckglied und Verbindungsstützen Magazzini Generali in Chiasso, 1924, Ing. R. Maillart Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -102-

103 Zusammensetzung von Bögen und Seilen Es ist möglich, Bögen und Seile zu kombinieren, so dass der Bogen einen Teil der Lasten und das Seil den restlichen Teil übernimmt. Die beiden Elemente können im Bereich der Auflager zusammenwirken, so dass nur vorwiegend die vertikalen Komponenten dieser Elemente in die Auflager ableiten, wenn das Tragwerk vorwiegend mit vertikalen äusseren Lasten beansprucht ist. Hybride Seiltragwerke In Abhängigkeit der Krümmung der beiden Elemente ändert das Verhältnis der aufgenommenen äusseren Lasten. Wenn ein Element gradlinig ist, übernimmt es direkt überhaupt keinen Lastanteil: das Seil wird zum Zugglied und der Bogen verwandelt sich in ein Druckglied. Aus dieser Sicht können sowohl der Bogen mit Zugglied als auch das Seil mit Druckglied als Grenzfälle dieser neuen Familie von Tragwerken betrachtet werden. Es ist zu bemerken, dass für alle Tragsysteme das obere Element immer auf Druck beansprucht ist, während das untere immer auf Zug beansprucht ist, wenn die äusseren Lasten nach unten gerichtet sind. Bei der, auf der gegenüberliegenden Seite dargestellten, Brücke haben der Bogen und das Seil die gleiche Krümmung, so dass sie sich in gleicher Art an der Abtragung der Lasten beteiligen. Weil in diesem Fall die Lasten hauptsächlich im unteren Bereich des Tragwerks angreifen (Eisenbahnbrücke), wird der Bogen mit Hilfe von vertikalen Zuggliedern beansprucht, welche die gleiche Funktion haben wie die beschriebenen Druckpfosten. Sowohl der Bogen als auch das Seil haben eine ausreichende Steifigkeit um die erforderliche Stabilität sowie die Abtragung allfälliger nicht symmetrischer Lasten zu gewährleisten. Aus einem Bogen und einem Seil zusammengesetztes Tragwerk Bogen mit Zugglied Bogen mit Seil Seil mit Druckglied (Wir haben eine neue Familie von Tragwerken erhalten, welche wir als Seiltragwerke bezeichnen werden, da sie aus zugbeanspruchten Seilen und aus druckbeanspruchten seilförmigen Bögen bestehen.) Elbe-Brücke in Hamburg, 1872, Ing. Lohse, (l= m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -103-

104 Fachwerke Lösung der Probleme der Verformbarkeit und der Stabilität durch Hinzufügen zusätzlicher Stäbe Das eben behandelte Beispiel erinnert an die Probleme infolge Verformbarkeit der Seile und Instabilität der Bögen; diese sind ebenfalls bei den hybriden Seiltragwerken vorhanden. Wir haben die Tragwerkslösungen dieser Probleme bei der Behandlung der Seile und der Bögen bereits beschrieben: diese behalten auch bei den neuen Systemen ihre Gültigkeit. Eine Lösung, welche wir wieder aufnehmen und vertiefen wollen, ist diejenige die darin besteht, zusätzliche stabilisierende Stäbe zu ergänzen). Auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei Fälle zusätzlicher Stäbe als stabilisierende Elemente des Bogens dargestellt. Wenn der neue Stab der Einsenkung des Bogens entgegenwirkt, ist sie auf Druck beansprucht. Wie bereits früher gezeigt wurde, hat die gegenüberliegende Bogenseite die Tendenz sich zu heben. Der dieser Hebung entgegenwirkende neue Stab ist somit auf Zug beansprucht. Zusätzliche Stäbe welche sich einer Einsenkung (links) und einer Hebung (rechts) des Bogens widersetzen. Bei einem aus einem Seil und einem Druckglied zusammengesetzten Tragwerk ist die Situation sinngemäss analog; der zusätzliche Stab, welcher der Einsenkung entgegenwirkt, ist auf Zug beansprucht, dagegen ist derjenige, welcher der einer Hebung entgegenwirkt, auf Druck beansprucht. Bei den eben behandelten Tragwerken sind die Bögen und die Seile symmetrisch ausgebildet, im Gegensatz zu den äusseren Lasten und zum zugehörigen Seilpolygon. In anderen Worten handelt es sich um hybride Tragwerke, weil sie sowohl auf Zug als auch auf Druck beansprucht sind, jedoch nicht mehr als Seile. Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass Tragwerke von dieser Art nicht mehr unbedingt der Form des Seilpolygons folgen müssen. Wir nennen Strukturen dieses Typs Fachwerke. Die Freiheit, welche bei ihrem Entwurf vorhanden ist, steigt somit beträchtlich an. Diese Tragwerke sind somit in der Lage, beliebige Konfigurationen von äusseren Lasten aufzunehmen, vorausgesetzt dass diese direkt in den Knoten angreifen, welche als Punkte definiert sind, wo die zusätzlichen Stäbe ankommen. Um diese Tragwerke zu untersuchen wollen wir annehmen, dass die entsprechenden Knoten als Gelenke ausgebildet sind: die Stäbe sind in der Lage, um diese Gelenke zu rotieren, durch welche die Wirkungslinien ihrer inneren Kräfte verlaufen müssen. Wenn die Stäbe von einem Knoten zum nächsten gradlinig sind und wenn die äusseren Lasten lediglich an den Knoten angreifen, muss die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung der Stäbe durch die beiden Knoten an den Enden der Stäbe verlaufen und somit mit den Achsen der Stäbe übereinstimmen. Zusätzliche Stäbe welche sich einer Einsenkung (links) und einer Hebung (rechts) des Seiles widersetzen. Wirkungslinien der Beanspruchungen in einem gezogenen und einem gedrückten Stab, wenn die Stäbe an ihren Enden gelenkig angeschlossen sind und nur Lasten in ihren Knoten wirken. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -104-

105 In Wirklichkeit werden bei den entsprechenden Tragwerken die Knoten meistens nicht gelenkig ausgebildet, sondern die Stäbe werden steif miteinander verbunden. Die Annahme die wir getroffen haben ist also nicht ganz zutreffend, aber die Abweichungen der inneren Beanspruchungen die sich ergibt ist praktisch vernachlässigbar (Die Abweichung der Wirkungslinie der Achsen der Stäbe ist minimal). Erster Schritt der Analyse: Subsystem mit nur zwei Unbekannten An diesem Punkt kann mit der Analyse der Beanspruchungen angefangen werden, indem das Gleichgewicht in einem Subsystem betrachtet wird, welches einen Knoten beinhaltet und alle anschliessenden Stäbe schneidet. Wir haben bereits gesehen dass dieses Problem nur dann lösbar ist, wenn nur zwei Unbekannte vorhanden sind. Wir müssen also mit einem Knoten anfangen, an dem nicht mehr als zwei Stäbe angeschlossen sind und bei dem die angreifenden äusseren Kräfte bekannt sind. Wenn der Knoten mit einem Auflager übereinstimmt, müssen wir zuerst die Auflagerkräfte mit einer in der Folge behandelten Methode bestimmen. Beim im gegenüberliegenden Bild dargestellten Tragwerk können wir mit einem Subsystem anfangen, welches den Knoten oben links beinhaltet, und zwei derjenigen Stäbe schneidet, welche den ursprünglichen Bogen bildeten. Es überrascht somit nicht, dass die inneren Kräfte, welche wir aus der Analyse des Cremonaplans erhalten und am Subsystem angreifen lassen, auf Druck beansprucht sind. Wir können dann weiter schreiten zum Subsystem, welches den Knoten oben rechts beinhaltet. Von den drei geschnittenen Stäben hat die horizontale eine bekannte Intensität, sodass die Aufgabe lösbar ist. Wenn wir den Cremonaplan vervollständigen und die Kräfte am Subsystem angreifen lassen, erkennen wir, dass der diagonale Stab, welchen wir eingeführt haben, auf Zug beansprucht ist. Dies bestätigt unsrer frühere intuitive Überlegung: der Stab wirkt der Hebung des Bogens entgegen und muss somit auf Zug beansprucht sein. Zweiter Schritt der Analyse: Subsystem mit drei Stäben, von denen einer bereits behandelt wurde Das nächste Subsystem betrifft ein Auflager. Das linke weist drei Unbekannte auf, die Kraft im Zugglied und die Kraft des festen Auflagers mit ihren beiden Komponenten. Auf das Subsystem des beweglichen Auflagers wirken dagegen nur zwei Unbekannte: die Kraft des Zugglieds und die Auflagerkraft, welche zwingend rechtwinklig zur Verschiebungsebene verlaufen muss. Wir sind also gezwungen zuerst dieses letzte Subsystem zu untersuchen. Nach der Ermittlung der inneren Kraft des Zugglieds sind die inneren Kräfte aller Stäbe bekannt. Die Tragweise des ganzen Tragwerks ist gut lesbar aus der Darstellung, in welcher wir unterschiedliche Stricharten für die Zug- beziehungsweise Druckbeanspruchung mit einer zur Intensität der inneren Beanspruchung proportionalen Strichstärke eingeführt haben. Nun kann das Tragwerk bemessen werden, indem die inneren Kräfte den Festigkeiten der vorgesehenen Materialen gegenübergestellt werden. Dritter Schritt der Analyse: Subsystem mit der Kraft eines neuen Stabes und der unbekannten Kraft, welche durch das bewegliche Auflager übertragen wird. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -105-

106 Um die Analyse des Systems zu beenden müssen wir nur noch die Kräfte im festen Auflager ermitteln. Zu diesem Zweck wird ein Subsystem in diesem Bereich gebildet. Die inneren Kräfte aller Stäbe sind bereits bekannt, so dass nur noch die Kraft mit ihren beiden Komponenten im Auflager zu bestimmen bleibt. In diesem Spezialfall mit ausschliesslich vertikalen äusseren Lasten und einem beweglichen Lager mit einer horizontalen Bewegungsebene, welches auch nur vertikale Lasten übertragen kann, wird die horizontale Komponente im festen Auflager notwendigerweise null sein. Dies ist auch einfach aus dem Cremonaplan ersichtlich, in welchem die Auflagerkraft sich durch Schliessen des Kräftepolygons ergibt. Wenn wir die angreifenden äusseren Lasten verändern und die Geometrie des Tragsystems belassen, muss das Vorgehen der Analyse wiederholt werden. Im gegenüberliegenden Bild ist die Lösung mit vollständigem Cremonaplan und dem System mit eingetragenen inneren Kräften dargestellt für den Fall einer Erhöhung der linken Last auf 30 N. Wie wir sehen haben alle inneren Kräfte gegenüber dem eben behandelten Fall geändert. Es ist zu bemerken, dass infolge der Linearität es Verhaltens, das gleiche Resultat hätte erzielt werden können, wenn wir nur die inneren Kräfte untersucht hätten, welche infolge der Zunahme der linken Last um 10 N wirken, und diese den inneren Kräften des zuerst behandelten Falles addiert hätten. Es ist interessant zu sehen, dass die Erhöhung der linken äusseren Last eine Entfernung des Seilpolygon der inneren Kräfte von der Geometrie des Bogens zur Folge hat, so dass die Intensität der inneren Kraft im Stab, welchen wir addiert haben um die Stabilität zu gewährleisten, notwendigerweise auch wachsen muss. Vervollständigung der Analyse mit der Ermittlung der Kräfte im festen Auflager Beanspruchungen bei Erhöhung der linken Last Wenn wir dagegen die Last auf der rechten Seite so vergrössern, dass wir eine symmetrische Konfiguration erhalten, stimmt das Seilpolygon wieder mit der Form des Bogens überein. In diesem ist der zusätzliche diagonale Stab einfach nicht mehr belastet: wir haben wieder ein hybrides Seiltragwerk. Situation mit zur Form des Bogens affinem Seilpolygon der Lasten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -106-

107 Labile, statisch bestimmte oder statisch unbestimmte Systeme Wenn wir einen zusätzlichen Stab in dem behandelten Tragwerk ergänzen, kommen in jedem Knoten drei Stäbe zusammen. Es ist somit unmöglich geworden, ein Subsystem mit nur zwei Unbekannten zu bilden: ein solches Tragwerk ist in der Tat statisch unbestimmt. Wie wir bereits gesehen haben, können wir, wenn wir ein ebenes Subsystem untersuchen, welches einen einzigen Knoten beinhaltet, maximal zwei Unbekannte bestimmen: entweder innere Kräfte in den Stäben oder Auflagerkräfte. Dies ergibt bedingt durch den Umstand, dass alle betrachteten Kräfte bereits die Bedingung erfüllen, dass ihre Wirkungslinien sich in einem Punkt schneiden müssen (im Knoten selbst) und die Analyse mit Hilfe des Cremonaplans nur erlaubt, zwei neue Unbekannte zu ermitteln. Aus dieser Betrachtung können wir eine Regel ableiten um zu untersuchen, ob ein ebenes System labil (instabil), statisch bestimmt oder statisch unbestimmt ist. Wenn wir die Anzahl der tatsächlich vorhandenen Unbekannten denjenigen gegenüberstellen, welche wir mit Hilfe der Betrachtungen an Subsystemen ermitteln können, stellen wir fest dass wenn nauflagerkräfte + nstäbe < 2 nknoten das System labil ist, wenn nauflagerkräfte + nstäbe = 2 nknoten das System statisch bestimmt ist, und wenn nauflagerkräfte + nstäbe > 2 nknoten das System statisch unbestimmt ist. Unter Anzahl der Reaktionen wird die Anzahl der Kraftkomponenten verstanden, die bei einem Auflager übertragen werden. Ein bewegliches Auflager kann nur eine Kraftkomponente senkrecht zu seiner Verschiebungsebene übertragen: das bedeutet dass nauflagerkräfte = 1. Im festen Auflager kann dagegen eine Kraft mit zwei Komponenten übertragen werden, darum ist nauflagerkräfte = 2. Wenn wir bei einem festen Auflager auch das Gelenk blockieren so dass nicht nur die Verschiebungen, sondern auch die Verdrehungen verhindert sind, bestehen die Unbekannten aus zwei Kraftkomponenten und zusätzlich aus der Lage der Wirkungslinie der Auflagerkraft, welche nicht mehr unbedingt durch das Auflager verläuft. Wir bezeichnen die entsprechende Situation als Einspannung für welche nauflagerkräfte = 3 ist (vgl. Bögen ohne Gelenke). Wie im gegenüberliegenden Beispiel gezeigt wird, kann das beschriebene Vorgehen zur Überprüfung der statischen Bestimmtheit auf beliebige Arten von Tragwerken angewendet werden. Es ist interessant zu sehen, dass ein Seil unter mehreren Lasten, vom beschriebenen Standpunkt aus gesehen, als Tragwerk mit einem hohen Labilitätsgrad zu betrachten ist. In der Tat kann die Gleichgewichtslage nur als Folge von Verformungen erreicht werden, welche bedeutend sein können. Im analogen Fall eines Bogens mit mehr als drei Gelenken, führt die Labilität zur Instabilität des Bogens. Hybrides Seiltragwerk mit zwei zusätzlichen Stäben: statisch unbestimmtes System n Auflagerkräfte =1 n Auflagerkräfte =2 n Auflagerkräfte =3 Vorhandene Unbekannte in einem beweglichen Auflager, in einem festen Auflager und bei einer Einspannung labil statisch bestimmt statisch unbestimmt labil labil statisch unbestimmt Überprüfung der statischen Unbestimmtheit bei beliebigen statischen Systemen Die beschriebenen Ungleichungen erlauben die Beurteilung, ob ein Tragwerk labil, statisch Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -107-

108 bestimmt oder statisch unbestimmt ist, und sind somit ein wertvolles Hilfsmittel zum Entwurf stabiler Tragwerke. Fachwerke Wir wollen zu den Tragwerken zurückkehren, welche zusammengesetzt sind aus einem Bogen, einem Zugglied und einem einzigen Stab, welcher zur Gewährleistung der Stabilität ergänzt wird. Wir haben gesehen dass mit 3 Unbekannten bei den Auflagern, 5 Stäben und 4 Knoten, die Bedingung nauflagerkräfte + nstäbe = 2 nknoten erfüllt ist. Wenn wir zusätzliche Stäbe hinzufügen wollen, ohne die statische Bestimmtheit aufzugeben, müssen wir pro 2 zusätzliche Stäbe einen neuen Knoten hinzufügen. Beim Bogen mit dem Zugband im gegenüberliegenden Bild können wir einen Knoten in der Mitte des Zugglieds hinzufügen und einen zusätzlichen stabilisierenden Stab ergänzen. Wenn wir berücksichtigen, dass Zugglied nun aus zwei Stäben besteht, ist die Bedingung der statischen Bestimmtheit wieder erfüllt. Wir können das Tragwerk weiter modifizieren indem wir einen Knoten und zwei Stäbe hinzufügen, diesmal oben im Bereich des Bogens. Das Vorgehen kann selbstverständlich beliebig weitergeführt werden, wobei immer wieder statisch bestimmte Tragwerke erhalten werden. Auch das Tragwerk, welches sich aus einem Seil, einem Druckglied und einem stabilisierenden diagonalen Stab besteht, kann auf die gleiche Art und Weise verändert werden, so dass weitere statisch bestimmte Tragwerke entstehen. Wenn wir die neuen Tragwerke betrachten und mit den ursprünglichen vergleichen, erkennen wir, dass eine Besonderheit alle kennzeichnet: Die Stäbe bilden Dreiecke, welche eines neben dem andern angeordnet sind. Daher werden diese Tragwerke als Fachwerke bezeichnet. Fachwerke Eingeführt ca. im 16. Jahrhundert als System für Brückenträger und Dächer aus Holz, haben die Fachwerke eine grosse Entwicklung im 19. Jahrhundert erlebt, dies dank der Verwendung von Stahl und dank ihrer grossen statischen Effizienz. Analyse der Fachwerke Das vorgängig beschriebene Vorgehen zur Analyse eines einfachen Fachwerks bestehend aus einem Bogen, einem Zugglied und einem zusätzlichen stabilisierenden Stab kann selbstverständlich bei allen möglichen Fachwerken von diesem Typ angewendet werden. Wie wir gesehen haben, besteht der erste Schritt darin, ein Subsystem zu untersuchen auf welches nur zwei Unbekannte wirken. Oft sind die Knoten mit nur zwei ankommenden Stäben bei den Auflagern angeordnet. In diesen Fällen ist es unerlässlich, zuerst die Kraft im festen Auflager zu ermitteln. Wie wir bei den hybriden Seiltragwerken gesehen haben, ist es möglich, wenn die Subsystem, welches das gesamte Tragwerk beinhaltet Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -108-

109 Resultierende der äusseren Kräfte nicht parallel zur Kraft des beweglichen Auflagers ist, ein Subsystem zu untersuchen, welches das gesamte Tragwerk enthält, und die Auflagerkräfte zu ermitteln unter Berücksichtigung, dass die Wirkungslinien der 3 Kräfte sich in einem Punkt schneiden müssen. Es ist zu bemerken, dass in diesem Fall mit Hilfe eines Subsystems nicht zwei, sondern drei Unbekannte ermittelt werden. Dies wird möglich, weil wir auch die Bedingung der Lage der Wirkungslinien ausnützen können und so die Richtung der Kraft im festen Auflager ermitteln können. So wird die Auflagerkraft auf eine einzige Unbekannte reduziert (Intensität der Kraft mit bekannter Richtung). Wenn jedoch die Resultierende der äusseren Kräfte parallel zur Kraft im beweglichen Auflager ist, befindet sich der Schnittpunkt der drei Wirkungslinien im Unendlichen, so dass das beschriebene Vorgehen nicht mehr anwendbar ist. Fachwerk mit parallel zur Kraft im beweglichen Auflager wirkenden Last In solchen Fällen kann das Fachwerk durch ein hybrides Seiltragwerk ersetzt werden und die Auflagerkräfte mit der Methode ermittelt werden, die wir bei diesen Tragwerken angewendet haben. Dies ist möglich infolge der Eigenschaft der statisch bestimmten Systeme, dass in Abhängigkeit der äusseren Lasten und der Anordnung der Auflager, die Intensität und die Richtung der Auflagerkräfte unabhängig von der Art des Tragwerks sind. Um diese Eigenschaft besser zu verstehen, erinnern wir uns daran, wie dis Auflagerkräfte bestimmt werden können indem ein Subsystem untersucht wird, welches das gesamte Tragwerk beinhaltet. Der erste Schritt besteht in der Konstruktion eines Seilbogens (oder eines Seils) nach dem folgenden Vorgehen: Bestimmung der Wirkungslinie der Resultierenden der äusseren Kräfte mit einem Hilfsbogen und Konstruktion des Seilbogens unter Berücksichtigung, dass die Verlängerungen der beiden von den Auflagern ausgehenden Stäben sich auf der Wirkungslinie der Resultierenden schneiden müssen. Um einen einfachen Vergleich der Tragweise des hybriden Seiltragwerks mit derjenigen des Fachwerks, das wir untersuchen wollen, zu ermöglichen, wählen wir die Pfeilhöhe des Seilbogens gleich wie diejenige des Fachwerks. In unserem Beispiel bedeutet das, dass die inneren Kräfte der Stäbe beim festen Auflager für die beiden Tragwerke identisch sind. Wir können dann die Auflagerkräfte bestimmen, indem wir die zugehörigen Subsysteme untersuchen. Betrachten wir zuerst dasjenige des beweglichen Auflagers mit seinen zwei Unbekannten, der inneren Kraft im Zugglied und der senkrecht zur Verschiebungsebene wirkenden Kraft. In der Folge verstollständigen wir das Vorgehen indem wir das feste Auflager untersuchen, wo sich die Unbekannten auf die beiden Komponenten der Auflagerkraft reduzieren, weil die innere Kraft des Zugglieds bereits bekannt ist. Erster Schritt: Konstruktion des Seilbogens Zweiter Schritt: Ermittlung der Kräfte im Zugglied und bei den Auflagern Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -109-

110 Sobald die Auflagerkräfte bekannt sind (15 [N] beim beweglichen und 25 [N] beim festen), können wir zum Fachwerk zurückkehren und die inneren Kräfte der Stäbe ermitteln. Wir beginnen mit einem der beiden Subsysteme bei den Auflagern. Weil die Auflagerkräfte bereits bekannt sind, hat jedes Subsystem nur zwei Unbekannte, sodass es gleich ist, mit welchem wir beginnen. Im gegenüberliegenden Beispiel wird zuerst das Subsystem C beim beweglichen Auflager behandelt, und die innere Kraft im rechten Zugglied sowie die innere Kraft im letzten Bogenstab ermittelt. Es ist zu bemerken, dass die Kraft in diesem Bereich des Zugglieds nicht mit derjenigen des vorgängig behandelten hybriden Seiltragwerks übereinstimmt. Wir können nun zum folgenden Subsystem ( D ) schreiten welches den Knoten oben rechts beinhaltet und so, indem wir ein Subsystem nach dem andern behandeln, alle inneren Kräfte des Tragwerks ermitteln. Als letztes untersuchen wir das Subsystem G, welches das feste Auflager enthält. Hier haben wir keine Unbekannten mehr, so dass wir mit diesem Subsystem die durchgeführte Arbeit kontrollieren können. Um das Verständnis zu erleichtern, haben wir jedes Mal, wenn wir zu einem neuen Subsystem geschritten sind, den Cremonaplan neu gezeichnet und ergänzt. Es ist zweckmässig, einerseits zum Zeit zu sparen, und andrerseits um die Ungenauigkeiten zu beschränken, die sich bei der Wiederholung der Zeichnungen einschleichen, nur einen einzigen Cremonaplan zu zeichnen. Das letzte Bild zeigt das Tragwerk mit seinen inneren Kräften. Dank der Unterscheidung zwischen inneren Druck- und Zugkräften sowie der zur Intensität der Beanspruchung proportionalen Strichstärken wird die Tragweise des Tragwerks sehr schön veranschaulicht. Der Druckbogen und das Zugglied sind zum Beispiel immer noch gut erkennbar. Es ist zu bemerken dass die Intensität der Zugkraft im Zugglied über seine Länge variiert. Ermittlung der Kräfte der Stäbe durch schrittweises Untersuchen von Subsystemen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -110-

111 Oberer Gurt, unterer Gurt und Diagonalen Wir haben das Fachwerk entworfen indem wir Bögen, Zugglieder, Druckglieder und zusätzliche Stäbe zur Stabilisierung des Tragwerks und zur Erzielung der statischen Bestimmtheit kombiniert haben. Dieses Vorgehen ist sehr zweckmässig indem unter Berücksichtigung der Tragweise der Seile und der Bögen die Tragweise der Fachwerke leichter verständlich wird. oberer Gurt Diagonalen Wenn wir jedoch von Fachwerken reden, sind neue Begriffe üblich: die oberen Stäbe des Bogens sind Teil des so genannten oberen Gurtes. Analog wird das Zugglied als unterer Gurt bezeichnet, während die Stäbe, welche die beiden Gurte miteinander verbinden, als Diagonalen bezeichnet werden. Der Abstand zwischen dem oberen und dem unteren Gurt, welcher der Pfeilhöhe des Bogens entspricht, wird als Höhe des Fachwerks bezeichnet. Man spricht von Fachwerken mit konstanter Höhe, wenn die beiden Gurte parallel sind. Fachwerk mit oberem Gurt, unterem Gurt und Diagonalen unterer Gurt Einfluss der Höhe und der Spannweite auf die inneren Kräfte der Fachwerke Wir haben bereits bei der Behandlung der Seile und der Bögen unter konzentrierten Lasten gesehen, wie die horizontale Komponente der inneren Kräfte direkt proportional zur Spannweit und umgekehrt proportional zur Pfeilhöhe ist. In andern Worten erhalten wir doppelt so grosse Kräfte, wenn wir die Spannweite verdoppeln oder wenn wir die Pfeilhöhe halbieren. Für die Fachwerke gelten die gleichen Beziehungen für die inneren Kräfte der Gurte, die Höhe und die Spannweite. Im gegenüberliegenden Bild sind zwei Fachwerke dargestellt, welche ähnlich sind wie das behandelte. Die Höhe ist beim ersten verdoppelt, und beim zweiten halbiert worden. Aus dem Cremonaplan gut ersichtlich, wie sich beim Fachwerk mit doppelter Höhe die horizontalen Komponenten aller inneren Kräfte halbiert haben. Analog führt eine Halbierung der Höhe zu einer Verdoppelung der inneren Kräfte der Gurte. Fachwerk mit verdoppelter Höhe Erinnern wir uns, dass neben den äusseren Lasten, der Cremonaplan einzig von der Neigung der einzelnen Stäbe abhängt, und unabhängig von der absoluten Grösse des Tragwerks ist. Aus diesem Grund hat in unserem Beispiel eine Reduktion der Höhe den gleichen Einfluss auf die inneren Kräfte wie eine Erhöhung der Spannweite. Die inneren Kräfte in einem Fachwerk mit einer Spannweite l=4.00m und einer Höhe h=0.6m sind somit identisch mit denen eines Fachwerks unter den gleichen äusseren Lasten mit den Abmessungen l=8.00m und h=1.2m. Fachwerk mit halbierter Höhe (oder verdoppelter Spannweite) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -111-

112 Vollständige Analyse eines Fachwerks Wir können bei der Analyse eines Fachwerks mit beliebig vielen Stäben gemäss folgendem Verfahren vorgehen. Die einzige Bedingung ist die statische Bestimmtheit des Tragwerks. Wie wir gesehen haben, müssen wir zuerst die Auflagerkräfte mit Hilfe eines hybriden Seiltragwerks ermitteln, wenn die Knoten mit nur zwei Stäben bei den Auflagern sind und die Resultierende der äusseren Lasten parallel zu den Auflagerkräften ist. Wir werden in der Folge sehen, dass dieses statisch System, welches einfach konstruiert werden kann, sehr nützlich ist für das Verständnis der Tragweise des Fachwerks. Es lohnt sich das hybride Seiltragwerk auch zu konstruieren, wenn es nicht unbedingt für die Analyse des Fachwerks erforderlich ist (Knoten mit zwei Stäben, welche nicht bei den Auflagern liegen oder Resultierende der äusseren Kräfte, welche nicht parallel ist zu den Auflagerkräften). Hilfsbogen Im gegenüberliegenden Beispiel haben wir wiederum einen Seilbogen gewählt, dessen Pfeilhöhe identisch ist mit der Höhe des Fachwerks. Dies erlaubt einen direkten Vergleich der inneren Kräfte der beiden Systeme. Es ist zu bemerken, dass die maximale Pfeilhöhe des Bogens bei der Wirkungslinie der Last von 10 [N] erreicht wird, und nicht wie im vorhergehenden Beispiel, bei der Last von 30 [N]. Wenn wir einen Bogen mit Pfeilhöhe h=1.2m konstruieren wollen, müssen wir somit ein Bogensegment zeichnen, welches durch das rechte Auflager und den Knoten 2 verläuft. Durch Verlängerung dieses Stabes bis zur Wirkungslinie der Resultierenden erhalten wir einen Punkt, welcher durch Verbindung mit dem linken Auflager die Richtung des zugehörigen Stabs liefert. Fachwerk mit parallelen Gurten und Seilbogen mit Zugglied Sobald die Auflager bekannt sind, können wir mit der Ermittlung der inneren Kräfte der Stäbe beginnen, indem wir ein Subsystem nach dem andern untersuchen. Für unser Fachwerk mit 9 Knoten müssen wir also die gleiche Anzahl von Subsystemen untersuchen (eigentlich könnten wir uns auf 8 Subsysteme beschränken, da das letzte keine neue Unbekannte mehr enthält und seine Analyse eine Kontrolle darstellt). Das Resultat der Analyse ist im gegenüberliegenden Bild dargestellt mit zu den inneren Kräften proportionalen Strichstärken, so wie die Stäbe tatsächlich bemessen werden müssten N d ( A ). f d Es ist interessant zu sehen, wie die inneren Kräfte der vier Stäbe des unteren Gurtes variieren, von einem Minimum von 6.3 [N] beim rechten Auflager, zu einem Maximum von 31.3 [N] im mittleren Bereich (siehe gegenüberliegende Darstellung der inneren Kräfte). Vollständige Analyse des Fachwerks mit Hilfe von Subsystemen, welche einen einzigen Knoten beinhalten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -112-

113 Wenn wir diese inneren Kräfte mit denjenigen des Zugglieds des hybriden Seiltragwerks vergleichen, erkennen wir, dass die maximale Intensität übereinstimmt, dass der Verlauf jedoch unterschiedlich ist (konstant über die gesamte Länge). Wir erkennen dagegen eine starke Ähnlichkeit zwischen der Darstellung der inneren Kräfte des unteren Gurtes und der Form des Seilbogens. Um diesen sicherlich nicht zufälligen Sachverhalt zu verstehen, müssen wir zurückkehren zu den Beziehungen welche die Höhe h des Fachwerks und die inneren Kräfte N der Gurte miteinander verknüpft: die beiden Grössen sind umgekehrt proportional (eine Verdoppelung von h bewirkt ein Halbierung von N und umgekehrt). Biegemomente Das Produkt von h und N ist demzufolge unabhängig vom gewählten Fachwerk. Dieses Produkt wird in der Statik der Bauwerke als Biegemoment (mit der Einheit [Nm]) bezeichnet. Es hängt nur von den äusseren Lasten und von der Spannweite ab und bleibt unverändert, wenn das Tragwerk modifiziert wird. Für das Fachwerk mit parallelen Gurten, für das hybride Seiltragwerk (zum Beispiel der Seilbogen mit Zugglied) und für jedes weitere Tragwerk unter den gleichen Lasten mit den gleichen Auflagern resultiert somit das gleiche Biegemoment (Wert und Verlauf über die gesamte Länge des Tragwerks). Die beiden untersuchten Tragwerke sind in der Tat zwei Spezialfälle: beim ersten ist die Höhe h konstant, und die Kraft N folgt dem Verlauf des Biegemomentes, während beim zweiten die Kraft N im Zugglied konstant ist und die Höhe h affin zur Verteilung des Biegemomentes ist. In der Statik der Bauwerke wurden verschiedene Verfahren entwickelt, um die Biegemomente in beliebigen Punkten des Tragwerks zu berechnen ohne den Weg der Konstruktion des Seilbogens und der Ermittlung der inneren Kräfte der Gurte zu beschreiten. Dieses Vorgehen, welches mehr den Bedürfnissen des Ingenieurs entspricht, ist unterschiedlich zu dem, welches wir verfolgen wollen. Wir werden die Eigenschaften des Seilbogens benützen um das Verständnis der Tragwerke, die wir behandeln werden, zu erleichtern und die Verwendung der Biegemomente nicht weiter verfolgen. Verteilung der Kräfte im unteren und im oberen Gurt Kräfte im oberen Gurt Kräfte im unteren Gurt Erkennen der am stärksten beanspruchten Stäbe der Gurte Eine dieser Eigenschaften betrifft die Ähnlichkeit zwischen der Form des Seilbogens und dem Verlauf der inneren Kräfte in den parallelen Gurten eines Fachwerks. Wenn wir herausgefunden haben, wo der Seilbogen die maximale Höhe (d.h. Abstand zwischen Bogen und Zugglied) aufweist, wissen wir sofort wo sich die am stärksten beanspruchten Stäbe der Gurte befinden. Verlauf des Produktes N h (Biegemoment) für das Fachwerk, für den Bogen mit Zugglied und für jedes beliebige Tragwerk mit den gleichen Lasten und Auflagern Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -113-

114 Diese Betrachtung ist besonders dann sehr nützlich, wenn das Fachwerk aus unzähligen Stäben besteht und eine vollständige Analyse die Untersuchung von sehr vielen Subsystemen erfordern würde (siehe gegenüberliegendes Beispiel). Wenn die Gurte nicht parallel sind (veränderliche Höhe des Fachwerks), wird das Erkennen des am stärksten beanspruchten Stabes komplizierter. Man muss dann denjenigen Stab finden, der das grösste Verhältnis von der Höhe des Seilbogens zur tatsächlichen Höhe des Fachwerks hat. Am stärksten beanspruchter unterer Gurtstab Gezielte Analyse der Gurtstäbe der Fachwerke Wenn derjenige Gurtstab mit der grössten inneren Kraft bekannt ist und auch die Auflagerkräfte bereits ermittelt wurden, kann die innere Kraft im Gurtstab direkt bestimmt werden, indem ein geeignetes Subsystem gewählt wird. Dieses muss selbstverständlich denjenigen Stab schneiden, den wir untersuchen wollen. Das gegenüber dargestellte Subsystem A erfüllt diese Anforderung: auf das Subsystem wirken die innere Kraft des maximal beanspruchten Gurtstabs, diejenige der anderen beiden Stäbe und die Kraft des beweglichen Auflagers. Da diese letzte bereits bekannt ist, bleiben lediglich drei Unbekannte. Die Lösung ist möglich unter Berücksichtigung der zwei Gleichgewichtsbedingungen: die Kräfte müssen sich vektoriell aufheben und die Wirkungslinien der drei Kräfte müssen sich in einem Punkt schneiden. Da wir 4 Kräfte haben, von denen eine bereits bekannt ist, müssen wir zuerst 2 in eine Teilresultierende zusammenfassen, so dass wir in einer ersten Phase total nur 3 Kräfte mit drei Wirkungslinien haben. Wir können zum Beispiel die Teilresultierende R23 der beiden Kräfte N2 und N3 betrachten, die im Moment nicht so stark interessieren. Die Wirkungslinie der Teilresultierenden muss durch den Knoten verlaufen, in dem sich die beiden Stäbe schneiden, und gleichzeitig durch den Schnittpunkt der Wirkungslinien der Kraft N1 und der Auflagerkraft verlaufen. Sie ist somit definiert, und die Aufgabe reduziert sich auf die Bestimmung der beiden Unbekannten N1 und R23 mit bekannten Wirkungslinien. Das Kräftepolygon erlaubt die schnelle Ermittlung der beiden Unbekannten, unter denen sich auch die Kraft des am stärksten beanspruchten Stabs des unteren Gurtes befindet. Das Kräftepolygon kann vervollständigt werden, indem die Teilresultierende R23 in ihre Komponenten, nämlich die inneren Kräfte des oberen Gurtes und der Diagonale zerlegt wird (N2 und N3). Ermittlung der am stärksten beanspruchten Stäbe der Gurte mit Hilfe der Analogie mit dem Seilbogen Zu untersuchender Stab Direkte Ermittlung der Beanspruchung eines beliebigen Stabes Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -114-

115 Es ist zu bemerken, dass die Resultierende R23 der inneren Kraft entspricht, die wir ermittelt hätten, wenn wir das Subsystem B gewählt hätten. Wie das Subsystem A schneidet auch das Subsystem B den Stab, den wir untersuchen wollen, aber anstatt die Gurtkraft und die Diagonale zu schneiden, schneidet es den Knoten. Das bedeutet, dass die Resultierende R23 nichts anderes als die im Knoten wirkende innere Kraft ist. Die Analyse des Subsystems B ist deshalb der direktere Weg zur Bestimmung der inneren Kraft in einem Stab. Wenn auf ein Subsystem mehrere äussere Kräfte wirken (Subsystem C auf der gegenüberliegenden Seite), müssen wir zuerst Kräfte zusammenfassen, so dass wir nur noch drei Kräfte zu untersuchen haben: die Resultierende RQ der äusseren Kräfte, die innere Kraft N1 des Stabs den wir untersuchen wollen und die Kraft Rk im Knoten (oder die Resultierende der beiden Stabkräfte falls das Subsystem diese neben dem Knoten schneidet). Subsystem, welches einen Knoten und einen Gurtstab schneidet Die Resultierende RQ der äusseren Kräfte, welche auf das Subsystem wirken (äussere Lasten und Auflagerkräfte), kann mit einer der bekannten Methoden bestimmt werden: vektorielle Summe der Kräfte und Konstruktion der Wirkungslinie, welche durch den Schnittpunkt der Wirkungslinie der Lasten verläuft, wenn die Kräfte nicht parallel sind, oder Bestimmung der Wirkungslinie der Resultierenden mit einem Hilfsseil oder einem Hilfsbogen, wenn alle Kräfte in die gleiche Richtung wirken. Es ist zu bemerken, dass auch das Hilfsseil mit Zugglied, das wir benützt haben um die am stärksten beanspruchten Stäbe zu erkennen, als Hilfstragwerk zur Bestimmung der Wirkungslinie der Resultierenden betrachtet werden kann. Diese kann in der Tat bestimmt werden, indem das gleiche Subsystem untersucht wird, welches hier einen Teil des Seilbogens und des Zugglieds beinhaltet, und die Stäbe verlängert werden um ihren Schnittpunkt zu finden, durch welchen die Wirkungslinie der Resultierenden verlaufen muss. Aus dem im gegenüberliegenden Bild dargestellten Vorgehen ist ersichtlich, wie in diesem Fall die innere Kraft Rk im Knoten exakt mit der Beanspruchung des Seilbogens übereinstimmt, wenn die Pfeilhöhe im Bereich des Knotens identisch mit der Höhe des Fachwerks ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Knoten auf dem oberen Gurt liegt. Subsystem mit mehreren äusseren Kräften, Ermittlung ihrer Resultierenden mit Hilfe des Bogens mit Zugseil Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -115-

116 Es ist zu bemerken, dass die eben ermittelte Knotenkraft Rk sich auf den gleichen Knoten bezieht, den wir vorher untersucht haben. Die Kräfte stimmen jedoch nicht überein, weil die beiden Subsysteme den Knoten unterschiedlich schneiden: das Subsystem B rechts, und das Subsystem C links von der äusseren Kraft. Der gleiche Unterschied wird aus der Darstellung des Seilbogens (Bogen des hybriden Seiltragwerks) ersichtlich: Die Kraft und vor allem ihre Wirkungslinie verändern sich, wenn man sich von der einen Seite zur andern des Angriffspunktes der äusseren Last bewegt. Analyse der Diagonalen und ihrer Tragweise Wie wir gesehen haben, kann das Verfahren, das uns erlaubt hat, die innere Kraft des Gurtstabes zu ermitteln, vervollständigt werden mit der Ermittlung der Kraft der Diagonalen und des anderen Gurtstabes mit Hilfe eines Subsystems. Zu diesem Zweck wird die Knotenkraft Rk in zwei Komponenten zerlegt: eine in Richtung des Gurtes, und eine in Richtung der Diagonalen. Knotenkräfte und Beanspruchung des Bogens des hybriden Seiltragwerks In einem Fachwerk mit horizontalen Gurten haben die Diagonalen die Aufgabe, die gesamten vertikalen Komponenten der Knotenkräfte aufzunehmen. Aus dieser Betrachtung wird offensichtlich, wie die inneren Kräfte der Diagonalen auch von deren Neigung abhängen. Im nebenstehenden Bild wird gezeigt, wie mit abnehmender Neigung der Diagonale deren Beanspruchung zunimmt. Schnittkräfte Wenn die Lasten vertikal sind, ist die vertikale Komponente der Knotenkraft Rk identisch mit der Resultierenden der auf das Subsystem wirkenden Lasten RQ (siehe vorhergehende Seite). Genau wie das Biegemoment, hängt auch diese lediglich von den Lasten und von der Lage der Auflager ab. In der Baustatik wird diese Kraft als Querkraft (V) bezeichnet. Wenn ihre Grösse bekannt ist, kann die Beanspruchung der Diagonalen einfach in Funktion deren Neigung θ gefunden werden: V N 2 sin Wenn die Neigung θ sehr klein ist, resultiert somit eine sehr grosse Diagonalenbeanspruchung. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, eine genügende Anzahl von Diagonalen vorzusehen, um deren Beanspruchung klein zu halten. Diagonalenkräfte: Einfluss ihrer Neigung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -116-

117 Erkennen der am stärksten beanspruchten Diagonalen Wie wir bereits gesehen haben, sind die vertikale Komponente der Knotenkraft Rk, die vertikale Komponente der Beanspruchung des Bogens des hybriden Seiltragwerks und die Querkraft V Kräfte gleicher Intensität. Aus dieser Betrachtung können wir ableiten, dass die Querkraft V proportional zur Neigung des Bogens des hybriden Seiltragwerks ist. Abgesehen von der Neigung der Diagonalen, wird deren Beanspruchung dort am grössten sein, wo der Bogen des hybriden Seiltragwerks am stärksten geneigt ist. Bei den bis jetzt behandelten Fachwerken, welche an ihren beiden Enden aufgelagert und mit von oben nach unten gerichteten äusseren Lasten beansprucht waren, befinden sich die Orte maximaler Beanspruchung der Diagonalen stets im Bereich der Auflager. Der Bogen des hybriden Seiltragwerks ist in der Tat in diesen Bereichen maximal geneigt. maximal beanspruchte Diagonalen maximale Neigung des Bogens des hybriden Seiltragwerks Erkennen der am stärksten beanspruchten Diagonalen mit Hilfe des Bogens des hybriden Seiltragwerks Das Studium der Neigung des Bogen des hybriden Seiltragwerks erweist sich als sehr hilfreich bei komplexeren Tragwerken oder wenn die äusseren Lasten teils nach unten, teils nach oben gerichtet sind. Erkennen der auf Zug und der auf Druck beanspruchten Diagonalen Im nebenstehenden Bild ist die Analyse von zwei Diagonalen dargestellt: die erste ist auf Druck und die zweite auf Zug beansprucht. Im ersten Fall stimmt die Knotenkraft Rk beim oberen Gurt mit dem Bogen des hybriden Seiltragwerks überein und beansprucht das Subsystem nach unten. Die Diagonale wirkt dieser Kraft entgegen und ist somit auf Druck beansprucht. Die nächste Diagonale kann untersucht werden, indem wir einen Knoten auf dem unteren Gurt betrachten. Die Knotenkraft Rk entspricht nun nicht mehr der Beanspruchung des Bogens des hybriden Seiltragwerks (wir müssten ein Druckglied und ein Seil einführen, die Kraft im Seil würde dann wiederum der Kraft Rk entsprechen); die vertikale Komponente ist wiederum im Gleichgewicht mit der Resultierenden RQ der äusseren Lasten und beansprucht das Subsystem nach unten. Wenn wir diese Resultierende in Richtung des unteren Gurtes und der Diagonalen zerlegen, erhalten wir für die Diagonale eine Zugkraft. Wir können diese Resultate verallgemeinern und vereinfachen und feststellen, dass diejenigen Diagonalen, welche in der gleichen Richtung geneigt sind wie der Bogen des hybriden Seiltragwerks, auf Druck beansprucht sind, während diejenigen, welche entgegengesetzt geneigt sind, auf Zug beansprucht sind. Es handelt sich jedoch um eine Vereinfachung, welche nur gültig ist, wenn die Diagonalen sich nicht überlappen und wenn die Gurten parallel sind; in diesen Fällen kann sehr einfach mit Hilfe des hybriden Seiltragwerks beurteilt werden, ob die Diagonalen auf Druck oder auf Zug beansprucht sind. Auf Druck und auf Zug beanspruchte Diagonalen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -117-

118 Mögliche Anordnungen der Diagonalen Die bis jetzt beschriebenen netzartigen Fachwerke haben ihre Diagonalen so angeordnet, dass sie eine Serie von V bilden. Aus diesem Grund bezeichnen wir sie als Fachwerke mit V-förmigen Diagonalen oder Warren-Fachwerke nach dem Namen des Ingenieurs welcher diese 1848 patentierte. V-förmige Diagonalen Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Beispiel von Fachwerken mit V-förmigen Diagonalen dargestellt, bei welchem die Stäbe in Abhängigkeit der Beanspruchung ausgebildet sind: alle Druckstäbe haben einen rohrartigen Querschnitt, während die Zugstäbe einen Vollquerschnitt mit kleinerem Durchmesser aufweisen. Wir werden später sehen, wenn wir uns mit den Problemen der Stabilität befassen, dass auf Druck beanspruchte Stahlquerschnitte eine spezielle Form haben müssen, während auf Zug beanspruchte Stäbe einen beliebigen Querschnitt aufweisen können. Generell kann gesagt werden, dass für auf Druck beanspruchte Stäbe am effizientesten Rohr- oder -Querschnitte verwendet werden, während man für gezogene Stäbe auch flache oder kreisförmige Querschnitte benutzen kann. Centre Georges Pompidou in Paris, 1977, Arch. R. Piano und R. Rogers, Ing. P. Rice (Ove Arup & Partners), Fachwerkbalken mit V-förmigen Diagonalen während der Montage (l=44.8 m, h=2.85 m, l/h=15.7) und Ansicht der Fachwerkträger in der Fassade (die Stäbe, welche die Fachwerkträger verbinden, dienen der Stabilisierung der inneren Konstruktion) Deswegen ist die qualitative Analyse der Fachwerke, wie wir sie eben beschrieben haben, bei der Projektierung von Fachwerkstrukturen sehr nützlich. V-förmige Diagonalen (System Warren) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -118-

119 N-förmige Diagonalen Eine Variante der Fachwerke mit V-förmigen Diagonalen besteht darin, die Neigung der auf Druck beanspruchten Diagonalen zu verringern und diejenige der auf Zug beanspruchten soweit zu vergrössern, bis sie vertikal gerichtet sind (in diesem Fall bezeichnen wir sie als Pfosten). Wir erhalten die so genannten Fachwerke mit N-förmigen auf Druck beanspruchten Diagonalen. Für diese Fachwerke wird gelegentlich die Bezeichnung System Howe (Patent von W. Howe 1840) benützt, obschon eine Tragstruktur von dieser Art schon von Andrea Palladio praktisch 3 Jahrhunderte früher vorgeschlagen wurde. Bei Fachwerken mit vertikalen Pfosten ist die Regel betreffend Beanspruchungsart der Stäbe in Abhängigkeit ihrer Neigung von derjenigen des Bogens des hybriden Seiltragwerks nicht mehr gültig. Wenn wir einen Knoten, welcher einen Pfosten mit einer Diagonalen und dem Gurt verbindet, abtrennen, können wir sehr einfach erkennen, dass bei dieser Art Fachwerk die vertikalen Stäbe im Allgemeinen auf Zug beansprucht sind. Wenn wir dagegen die Neigung der auf Druck beanspruchten Stäbe vergrössern, bis diese sich in Pfosten verwandeln, erhalten wir ein Fachwerk mit N-förmigen auf Zug beanspruchten Diagonalen, welches ebenfalls als System Pratt bezeichnet wird (C. Pratt, Patent 1844). Auf Druck beanspruchte N-förmige Diagonalen (System Howe), von A. Palladio im Jahre 1570 vorgeschlagenes Tragwerk ( Die vier Bücher der Architektur, 3. Buch, Kapitel VIII) N-förmige Diagonalen (System Pratt), Projekt von Mies van der Rohe für das National-Theater in Mannheim, 1953 (l=80 m, h=8 m, l/h=10) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -119-

120 X-förmige Diagonalen Man erhält eine weitere Konfiguration von Fachwerken durch Überlagerung eines Fachwerkes mit N-förmigen auf Zug beanspruchten Diagonalen mit einem Fachwerk mit N- förmigen auf Druck beanspruchten Diagonalen. Es handelt sich um ein Fachwerk mit Pfosten und mit X-förmigen Diagonalen, auch als System Long bezeichnet (H. Long, Patente 1830 und 1839). Das neue Tragwerk ist klarerweise statisch unbestimmt: in jedem Feld befindet sich eine überflüssige Diagonale. Unter den äusseren Lasten können sich zwei verschiedene Tragweisen einstellen: ein Teil der Last wird vom Fachwerk mit auf Zug beanspruchten Diagonalen abgetragen, während die restliche Last vom Fachwerk mit auf Druck beanspruchten Diagonalen abgetragen wird. Die Pfosten, welche ihre Funktion für beide Tragsysteme wahrnehmen müssen, werden infolge der ersten Tragweise auf Druck und infolge der zweiten Tragweise auf Zug beansprucht. Die beiden Beanspruchungen kompensieren sich somit zum Teil, so dass die Kräfte in den Pfosten wesentlich geringer sind als diejenigen in den Diagonalen. X-förmige Diagonalen mit Pfosten, gewonnen durch Überlagerung von auf Druck beanspruchten N-förmigen und auf Zug beanspruchten N-förmigen Diagonalen Fachwerkträger des Kristallpalastes in London, 1851, Arch. J. Paxton, Ing. Fox Henderson (l=7.32, und m, h=0.915 m, l/h = 8, 16, und 24) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -120-

121 Die starke statische Unbestimmtheit des Systems erlaubt es, Vorspannkräfte in den Stäben einzuführen. Es handelt sich um Kräfte, welche durch aufgezwungene Verformungen einzelner Stäbe vor deren Befestigung erzeugt werden; diese sind somit vollständig unabhängig von den äusseren Lasten. Stellen wir uns ein Fachwerk mit X-förmigen Diagonalen ohne jegliche äussere Last vor, dessen Pfosten zu kurz sind und mittels einer Zugkraft verlängert werden, bevor sie in den entsprechenden Knoten befestigt werden. Die Zugkräfte in den Pfosten erzeugen Druckkräfte in den Diagonalen und Zugkräfte im oberen und im unteren Gurt. Diese inneren Kräfte sind identisch mit denjenigen, die wir bei einem statisch bestimmten Fachwerk ohne Pfosten erhalten, wenn es mit nach unten gerichteten Knotenlasten im oberen Gurt und mit nach oben gerichteten Knotenlasten im unteren Gurt beansprucht wird. Wenn die Vorspannkräfte der Pfosten stets grösser bleiben als die Druckkräfte, welche infolge äusserer Lasten entstehen (ständige und veränderliche Lasten), bleiben die Pfosten auf Zug beansprucht und können demzufolge mit Seilen ausgebildet werden. Falls das Fachwerk so vorgespannt wird, dass die Pfosten ohne äussere Lasten auf Druck beansprucht sind (zu lange Pfosten, Verkürzung mit Hilfe einer Druckkraft bevor sie in den Knoten fixiert werden), erhalten wir die genau umgekehrte Situation mit auf Zug beanspruchten Diagonalen und auf Druck beanspruchten Gurten. Es ist zu bemerken, dass das gleiche Resultat durch Vorspannen der Diagonalen hätte erzielt werden können. Dieses Prinzip wurde bei den ersten Doppeldecker-Flugzeugen angewendet, wobei die beiden Tragflächen als Gurte wirkten und die vorgespannten Diagonalen aus filigranen Stahlseilen bestanden. Die Pfosten, welche stets auf Druck beansprucht wurden, waren als Holzstäbe ausgebildet. Die Tragflächen wirkten als Gurte und die vorgespannten Diagonalen bestanden aus filigranen Stahlseilen. Die Pfosten, welche stets auf Druck beansprucht wurden, waren als Holzstäbe ausgebildet. Beanspruchung eines statisch unbestimmten Fachwerks mit X-förmigen Diagonalen bei einer Vorspannung der Pfosten, statisch bestimmtes Fachwerk ohne Pfosten mit äusseren Kräften so auf die Knoten wirkend, dass die Vorspannung der Pfosten simuliert wird. Fachwerk mit X-förmigen Diagonalen bei welchem die Diagonalen vorgespannt wurden Doppeldecker,Fairey Swordfish I, Grossbritannien, 1934 Weil in einem Fachwerk mit druck- und zugfesten Stäben die Pfosten als überflüssig betrachtet werden können, ist ein Fachwerk mit X-förmigen Diagonalen ohne Pfosten auch möglich. Ein solches Tragwerk kann auch aus der Überlagerung von zwei entgegengesetzt gerichteten Fachwerken mit V-förmigen Diagonalen gewonnen werden. Wenn Pfosten bei den beiden Auflagern vorhanden sind, weist das Tragwerk einen statischen Unbestimmtheitsgrad auf. Fachwerk mit X-förmigen Diagonalen ohne Pfosten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -121-

122 K-förmige Diagonalen Eine weitere Anordnung der Diagonalen und der Pfosten ist im gegenüberliegenden Bild dargestellt: es handelt sich um ein Fachwerk mit K-förmigen Diagonalen. Die Diagonalen sind mit Knoten in der Mitte der Pfosten verbunden, welche demzufolge in ihrem unteren Bereich auf Druck und in ihrem oberen Bereich auf Zug beansprucht sind. Die oberen Diagonalen sind in Richtung des Bogens des hybriden Seiltragwerks geneigt und somit auf Druck beansprucht, während die unteren Diagonalen mit entgegen gesetzter Neigung auf Zug beansprucht sind. Dies kann leicht überprüft werden mit Hilfe eines Subsystems, welches die beiden Diagonalen und die beiden Teile eines Pfostens schneidet. Dieses Tragwerk ist statisch bestimmt. Es ist möglich, die Analyse mit dem Knoten beim Auflager zu beginnen und mit Hilfe von Subsystemen alle anderen Knoten, einen nach dem andern, zu behandeln, ohne mehr als zwei Unbekannte gleichzeitig zu haben. Es ist auch möglich, die Diagonalen des behandelten Tragwerks zu kehren. In diesem Fall sind die oberen Diagonalen auf Zug und die unteren auf Druck beansprucht. Diese Konfiguration ist sehr verwandt mit der vorher beschriebenen, sie ist allerdings weniger effizient weil die Gurte stärker beansprucht werden. Fachwerk mit K-förmigen Diagonalen Fachwerk mit entgegengesetzt zum hybriden Seiltragwerk gerichteter Neigung der K-förmigen Diagonalen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -122-

123 Auf der gegenüberliegenden Seite sind die gängigsten Konfigurationen konfrontiert mit dem hybriden Seiltragwerk Bogen mit Zugglied) zusammengefasst. Die äusseren Lasten haben immer die gleiche Intensität und die inneren Beanspruchungen der Stäbe sind massstäblich dargestellt (Stärke proportional zur Beanspruchung). hybrides Seiltragwerk Wie nebenstehendes Schema zeigt, werden in Fachwerken mit V-förmigen Diagonalen die ersten Diagonalen auf Druck oder auf Zug beansprucht, je nachdem ob die Auflager beim Unter- oder Obergurt angeordnet werden. Die Ergänzung von zusätzlichen Pfosten in einem V-förmigen Fachwerk ist nur dann sinnvoll, wenn die Lasten direkt auf dem oberen Gurt angreifen oder wenn dieser stabilisiert werden muss. Wenn grosse Lasten auf den unteren Gurt wirken, ist es zweckmässig, Pfosten anzuordnen, welche diese Lasten an die Knoten des oberen Gurtes aufhängen. ( Wenn die Auflager unten angebracht werden müssen, ist es notwendig, einen Pfosten und einen Verlängerungsstab beim unteren Gurt zu ergänzen, welcher unbeansprucht bleibt. Der Pfosten und der Gurtstab im Bereich des Auflagers sind unbeansprucht und können weggelassen werden. ) V-förmige Diagonalen, auf Druck beanspruchte Diagonalen beim Auflager V-förmige Diagonalen, auf Zug beanspruchte Diagonalen beim Auflager V-förmige Diagonalen mit zusätzlichen Pfosten N-förmige auf Druck beanspruchte Diagonalen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -123-

124 Der erste Pfosten kann entfallen, wenn das Auflager oben angeordnet wird. Der erste Gurtstab ist unbeansprucht, wenn die Auflagerkraft vertikal ist; er kann jedoch nicht weggelassen werden, weil das Tragwerk sonst labil würde. N-förmige auf Zug beanspruchte Diagonalen Wie wir gesehen haben, ist ein Fachwerk mit X-förmigen Diagonalen mit Pfosten hochgradig statisch unbestimmt (das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Tragwerk hat einen statischen Unbestimmtheitsgrad von 8). Es ist zu bemerken, wie schwach die Diagonalen verglichen mit den vorher behandelten Fachwerken beansprucht sind. Auch Fachwerke mit X-förmigen Diagonalen ohne Pfosten sind statisch unbestimmt, sie weisen jedoch nur einen überflüssigen Stab auf. X-förmige Diagonalen mit Pfosten X-förmige Diagonalen ohne Pfosten Die Fachwerke mit K-förmigen Diagonalen sind effizienter je stärker die Diagonalen (obere und untere) sich dem hybriden Seiltragwerk aus Bogen und Zugglied oder Seil und Druckglied annähern. K-förmige Diagonalen, Neigung analog derjenigen der Elemente des hybriden Seiltragwerks K-förmige Diagonalen, Neigung derjenigen der Elemente des hybriden Seiltragwerks entgegengesetzt Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -124-

125 Formen der Fachwerke Wir haben bis jetzt zwei Spezialfälle betrachtet: Die Fachwerke mit konstanter Höhe (mit parallelen Gurten) und die Tragwerke, welche aus Bögen, Seilen, Zuggliedern und Druckgliedern so zusammengesetzt sind, dass die Zunahme der Höhe sich aus der Neigung des Seilpolygons der äusseren Lasten ergibt. Wie wir gesehen haben, sind bei diesen Tragwerken die Diagonalen, falls überhaupt vorhanden, nicht beansprucht (oder sie übertragen lediglich die Umlenkkräfte der Gurte zu den Angriffspunkten der äusseren Lasten, wie im gegenüberliegenden Beispiel gezeigt wird). Sobald zusätzlich eine veränderliche Last aufgebracht wird, verändert sich das Seilpolygon, was eine Beanspruchung der Diagonalen zur Folge hat. Linsen-förmiges Fachwerk (Gurtverlauf entspricht demjenigen des hybriden Seiltragwerks unter gleichmässig verteilten Lasten) Oft ergibt sich die Form der Fachwerke aus anderen Erfordernissen, wie zum Beispiel dem Verlauf des Daches. Im gegenüberliegenden Bild ist ein trapezförmiges Fachwerk dargestellt, dessen oberer Gurt der Dachform folgt. In diesen Fachwerken ist, unter verteilten Lasten, der mittlere Diagonalenbereich entgegengesetzt beansprucht verglichen mit den Fachwerken mit konstanter Höhe. Die Begründung liegt darin, dass in diesem Bereich die Querkraft der Lasten kleiner ist als die vertikale Komponente der Kraft im oberen Gurt. Im Weiteren ist die maximale Beanspruchung der Gurte nicht in Feldmitte, wo das Tragwerk am höchsten ist, sondern im Zwischenbereich wo das Verhältnis von der Höhe des Seilpolygons zur Höhe des Fachwerks maximal ist. Brücke über die Isar bei Grosshesselohe, 1857, Ing. F.A. von Pauli, H. Gerber, L. Werder Trapez-förmiges Fachwerk, Stabbeanspruchungen unter verteilten Lasten Im gegenüberliegenden Bild ist der Grenzfall eines dreieckförmigen Fachwerkes dargestellt, bei welchem alle Diagonalen entgegengesetzt beansprucht sind zu denjenigen des Fachwerks mit konstanter Höhe. Die maximale Gurtbeanspruchung liegt dann bei den Auflagern. Dreieck-förmiges Fachwerk, Stabbeanspruchungen unter verteilten Lasten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -125-

126 Das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Tragwerk, als System Polonceau bezeichnet, ist ein Spezialfall eines dreieckförmigen Fachwerkes. Es kann als Kombination von zwei geneigten Fachwerken betrachtet werden, welche zu einem Bogen zusammengesetzt sind und mit einem Zugglied zusammengebunden werden. Auch in diesem Fall sind die Stäbe bei den Auflagern am stärksten beansprucht. Das System Polonceau wurde viel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendet bei Perron-Dächern von Bahnhöfen. Dank der Tatsache, dass die inneren Elemente überall auf Zug beansprucht sind und durch Seile gebildet werden können, weisen diese Tragwerke eine grosse Transparenz auf. Fachwerk System Polonceau Form und Effizienz des Tragwerks Die Form des Fachwerks, im Sinne der Geometrie der Gurte und der Anordnung der Diagonalen, und vor allem die Schlankheit des Tragwerks (Verhältnis der Spannweite l zur Höhe h) haben einen entscheidenden Einfluss auf die Beanspruchung der Stäbe und somit auch auf die erforderliche Materialmenge zur Aufnahme der Kräfte. Das gegenüberliegende Bild zeigt eine ähnliche Darstellung wie diejenige, welche wir für die Seile dargestellt haben, in welcher das erforderliche Material in Funktion der Schlankheit l/h aufgetragen ist. Alle bis jetzt behandelten Tragwerke sind dargestellt: Seile und Bögen, hybride Seiltragwerke und Fachwerke konstanter Höhe mit N-förmigen, V-förmigen, X- förmigen und K-förmigen Diagonalen. Es werden nur Tagwerke, welche an ihren beiden Enden aufgelagert und mit einer konzentrierten äusseren Last in Feldmitte belastet sind, berücksichtigt. Um den Vergleich der verschiedenen Tragwerke zu erleichtern, greift die Last immer auf der gleichen Höhe in Bezug auf die Auflager an (so dass bei den Seilen und Bögen ein zusätzlicher vertikaler Stab erforderlich ist). Nicht berücksichtigt wurde die Stabilität der auf Druck beanspruchten Stäbe, d.h. die erforderliche Querschnittsfläche wurde mit der Gleichung Aerf = Nd/fd (wie wir später bei den Stahltragwerken sehen werden, benötigen die auf Druck beanspruchten Stäbe, oberhalb einer gewissen Schlankheit, um die Instabilität zu vermeiden, einen grösseren Querschnitt als denjenigen, den wir mit der Bemessungsgleichung ermitteln). Im weitern wurde vorausgesetzt, dass das Material die gleiche Festigkeit auf Zug als auch auf Druck besitzt. Die Fachwerke mit konstanter Höhe haben eine starke Variation der Gurtkräfte, so dass für diese Elemente variable Querschnitte angenommen werden können. Oft wird jedoch, vor allem aus ausführungstechnischen oder ästhetischen Gründen, die Variation der Querschnittsfläche der Gurte vermieden, indem diese mit der maximalen Kraft bemessen werden, und somit über einen beträchtlichen Teil ihrer Länge überdimensioniert werden. Im Diagramm sind deshalb sowohl Kurven für Fachwerke mit variablen als auch mit konstanten Gurtquerschnitten dargestellt. Dach des Gare du Nord in Paris, 1865, Arch. J.-I. Hittorff, festes System erfunden von C. Polnoceau um 1840 Gurte mit konstantem Querschnitt Gurte mit variablem Querschnitt Erforderliche Materialmenge in Funktion der Schlankheit l/h (und der Spannweite l, der Last Qd und der Materialfestigkeit fd) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -126-

127 Aus dem Diagramm können wir folgende Schlussfolgerungen ziehen: - Bei allen Tragwerken führt, ab einer gewissen Grenze (l/h ungefähr 3), die Vergrösserung der Schlankheit zu einer bedeutenden Zunahme des Materialverbrauchs (Eigengewicht des Tragwerks). - Die Seile und die Bögen benötigen die gleiche Materialmenge. Dies ist eine Konsequenz der Analogie dieser beiden Tragwerksarten (In Wirklichkeit benötigen die Bögen eine grössere Materialmenge, wenn das Problem der Instabilität berücksichtigt wird). - Die Kombination des Bogens mit dem Seil, welche als Fachwerk mit dem Seilpolygon angepasster Form aufgefasst werden kann, benötigt die fast doppelte Materialmenge gegenüber dem Bogen oder dem Seil. Dies ist bedingt durch die Tatsache, dass beim Seil und beim Bogen die horizontale Kraft von den Auflagern aufgenommen wird, während bei den hybriden Seiltragwerken die Horizontalkraft von einem zusätzlichen Tragwerkselement (Druckglied) aufgenommen werden muss, welches ebenfalls Material benötigt. - Für Schlankheiten grösser als 5 sind die Fachwerke mit, gemäss innerem Kräfteverlauf abgestufter, Querschnittsfläche der Gurte wesentlich effizienter als die hybriden Seiltragwerke (Fachwerke ohne Diagonalen, deren Verlauf demjenigen des Seilpolygons folgt). - Die Fachwerke mit konstanter Höhe und konstanter Querschnittsfläche der Gurte (überdimensionierte Stäbe) sind am wenigsten effizient. Sie benötigen in der Tat noch mehr Material als die hybriden Seiltragwerke: für die Gurte wird eine ähnliche Materialmenge benötigt wie für den Bogen und das Seil (Länge und Beanspruchung sind bei beiden Tragwerken vergleichbar), beim Fachwerk wird jedoch noch zusätzlich Material für die Diagonalen verwendet. - Auch die Anordnung der Diagonalen hat einen Einfluss auf den Materialverbrauch, dieser ist jedoch geringer als derjenige der anderen Faktoren. Bei den Fachwerken mit variabler Querschnittsfläche der Gurten sind die X-förmigen, die V-förmigen, die K- förmigen (<>) Diagonalen am effizientesten, während Tragwerke mit N-förmigen und K- förmigen (><) Diagonalen mehr Material benötigen. Für die Fachwerke mit überdimensionierten Gurten mit konstanter Querschnittsfläche ist der Sachverhalt analog: die X-förmigen und die V-förmigen Diagonalen sind effizienter, die N-förmigen und die K-förmigen (sowohl <> als auch ><) Diagonalen sind weniger effizient. N (sowohl Druck als auch Zug) Neigungswinkel der Diagonalen bei minimaler erforderlicher Materialmenge (bei Fachwerken mit konstanter Höhe) Die Neigung der Diagonalen hat auch einen Einfluss auf den Materialverbrauch. Die Kurven im Diagramm Seite 126 basieren auf denjenigen Neigungen der Diagonalen, welche zu einem Minimum an Material führen (vgl. optimale Neigungswinkel der Diagonalen in der gegenüberliegenden Darstellung). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -127-

128 Einfluss der Form auf die Steifigkeit des Tragwerks Wir haben früher gelernt, dass ein Tragwerk nicht nur den äusseren Lasten widerstehen muss ohne zu versagen (Kriterium der Tragsicherheit für die Bemessung), sondern dass auch die Verformungen in gewissen Grenzen bleiben müssen (Kriterium der Gebrauchstauglichkeit). Die Effizienz eines Tragwerks hängt somit auch von seiner Steifigkeit ab. Im gegenüberliegenden Diagramm sind die maximalen Verformungen der vorher untersuchten Tragwerke wiederum in Funktion ihrer Schlankheit dargestellt. Ausgegangen wurde von einer Last, welche eine Einheitsverformung ε = im am stärksten beanspruchten Stab verursacht (zum Beispiel eine Spannung σ = 210 N/mm 2 und ein Elastizitätsmodul des Stahls von 210'000 N/mm 2 ). Wegen der Proportionalität kann das Diagramm auch für andere Beanspruchungen und andere Elastizitätsmodule verwendet werden. Auch in diesem Fall bewirkt eine Zunahme der Schlankheit im Allgemeinen eine starke Zunahme der Verformungen. Die steifsten Tragwerke sind die Fachwerke mit konstanter Höhe und mit Gurten konstanter Querschnittsfläche. Dies erklärt sich dadurch, dass diese Tragwerke überdimensioniert sind, so dass viele Stäbe nicht vollständig ausgenützt sind und ihre Einheitsverformung den angenommenen Wert nur in den Bereichen maximaler Beanspruchung erreicht. Die Tragwerke ohne überflüssiges Material mit minimaler Verformung sind die Bögen und die Seile (es ist zu bemerken, dass die Werte in den früher dargestellten Diagrammen höher sind weil eine grössere Beanspruchung und ein kleinerer Elastizitätsmodul angenommen wurden). Bei den Fachwerken mit konstanter Höhe und mit Gurten mit variablen Querschnitten sind die Verformungen leicht grösser. Was die Konfiguration der Diagonalen und ihre Neigung anbelangt, gelten die gleichen Zusammenhänge wie bei den Materialmengen. Die hybriden Seiltragwerke weisen deutlich grössere Verformungen auf. Durchbiegung in Feldmitte infolge Einzellast in Funktion der Schlankheit l/f (Einheitsverformung ε=0.001) Gurte mit variablem Querschnitt Gurte mit konstantem Querschnitt Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -128-

129 Fachwerke mit horizontalen Lasten Die vorgängig behandelten Fachwerke waren an ihren beiden Enden aufgelagert und mit vertikalen oder geneigten Lasten beansprucht. In der Folge wollen wir Tragwerke untersuchen, welche durch horizontale Lasten beansprucht sind. Im gegenüberliegenden Beispiel wirkt eine einzige Last, welche mit einem einfachen dreieckförmigen Tragwerk aufgenommen werden kann, welches lediglich aus 3 Stäben und aus drei Knoten besteht (nauflagerkräfte + nstäbe = = 2 nknoten = 2 3). Die Ermittlung der Auflagerkräfte erfolgt einfach mit der Betrachtung, dass die Wirkungslinien der drei wirkenden Kräfte (1 Last und 2 Auflagerkräfte) sich in einem Punkt schneiden müssen, und 2 Wirkungslinien (Last und Kraft im beweglichen Auflager) bekannt sind. Auch die Beanspruchungen der drei Stäbe können einfach ermittelt werden, indem Subsysteme in den einzelnen Knoten untersucht werden. Fachwerk mit horizontaler Last Wenn wir das Tragwerk mit den früher untersuchten Bögen vergleichen, stellen wir fest, dass die Beanspruchungen der Stäbe unterschiedlich sind: ein Stab ist immer noch auf Druck beansprucht, der andere ist jedoch auf Zug beansprucht. Das Zugglied ist immer noch auf Zug beansprucht, weil beim untersuchten Tragwerk die äussere Last zum festen Auflager transportiert werden muss. Es resultiert jedoch eine Druckkraft, wenn die äussere Last von rechts nach links wirkt, oder wenn die Auflager ausgetauscht werden, wie im gegenüberliegenden Bild gezeigt. Wenn das bewegliche Auflager durch ein festes ersetzt wird, kann auf das Zugglied verzichtet werden. Die eben beschriebenen Tragwerke können bei hohen Gebäuden (Türme) eingesetzt werden mit der Funktion, horizontale Lasten infolge Wind oder Erdbeben aufzunehmen. Einfluss der Auflager auf die Beanspruchung des Zugglieds Analogie zwischen Türmen und Konsolen Wir können uns das gleiche Tragwerk um 90 gedreht und an einer Wand befestigt vorstellen: die vertikale Last kann dann eine Gravitationskraft sein. Wir haben nun einen oberen Stab, welcher im Gegensatz zu den bis anhin behandelten Beispielen auf Zug beansprucht ist, und einen unteren auf Druck beanspruchten Stab. Auch die Auflager haben eine unterschiedliche Wirkungsweise: das obere zieht an der Wand, und das untere drückt gegen die Wand. Die vertikale Komponente der Last wird lediglich vom festen Auflager aufgenommen, unabhängig von dessen Lage. Wenn zwei feste Auflager und kein Zugglied vorhanden sind, hängt die übertragene vertikale Kraft von der Neigung der beiden Stäbe in ihrem Verbindungspunkt ab. Konsole unter vertikaler Last Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -129-

130 Beim im gegenüberliegenden Bild dargestellten Tragwerk sind aus einem geneigten Zugstab und einem horizontalen Druckstab bestehende Konsolen vorhanden, an welchen vertikale Zugstäbe befestigt sind, welche die darunter liegenden Decken tragen. Konsolen und Türme mit mehreren Lasten Das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Fachwerk (Konsole mit vertikalen Lasten oder Turm mit horizontalen Lasten) kann nach dem gleichen Verfahren untersucht werden, welches wir früher eingeführt haben: - Ermittlung der Resultierenden der äusseren Lasten mit Hilfe eines Hilfstragwerks (Seil oder Bogen) - Untersuchung eines hybriden Seiltragwerks (bestehend aus einem Bogen und einem Zugglied, einem Seil und einem Druckglied oder einem Seil und einem Bogen) - Erkennen der Beanspruchungsart (Druck oder Zug) der am stärksten beanspruchten Stäbe mit Hilfe der Analogie zwischen den Fachwerken und den hybriden Seiltragwerken - Ermittlung der Intensität der Beanspruchung der interessierenden Stäbe mit Hilfe von geeigneten Subsystemen. Bei den Konsolen liegt das Zugglied oberhalb des Bogens, so dass der obere Fachwerkgurt auf Zug und der untere auf Druck beansprucht sein wird. Der Bogen erreicht den maximalen Abstand zum Druckglied (maximale Höhe des hybriden Seiltragwerks) im Bereich der Einspannung in die Wand (oder in die Erde beim Turm), so dass die entsprechenden Stäbe des Fachwerks mit parallelen Gurten am stärksten beansprucht sind. Hauptsitz der Hong Kong und Shanghai Banking Corporation in Hong Kong, 1986, Arch. N. Forster, Ing.-Büro Ove Arup Hilfsbogen Analyse eines Fachwerks einer Konsole (oder eines Turmes) mit Hilfe eines hybriden Seiltragwerks Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -130-

131 Aus der Neigung des Bogens des hybriden Seiltragwerks ist ersichtlich, dass alle Diagonalen auf Druck beansprucht sind und dass diejenigen in der Nähe der Wand am stärksten beansprucht sind. Es ist natürlich immer möglich, einen Knoten nach dem andern zu untersuchen und mit Hilfe das Cremona-Plans die Beanspruchungen aller Stäbe zu ermitteln (siehe gegenüberliegende Darstellung). Auch bei den Konsolen und Türmen können die hybriden Seiltragwerke als Fachwerke ohne Diagonalen, oder als Fachwerke bei welchen die Diagonalen nicht beansprucht sind, betrachtet werden. Vollständige Analyse des Fachwerks mit Hilfe eines Subsystems bei jedem Knoten Die Festlegung der Form des Eiffelturms erfolgte nach diesem Prinzip. Es wurde das Ziel verfolgt, die Diagonalen zu vermeiden um ein möglichst transparentes Tragwerk zu erhalten. Der Ingenieur M. Koechlin, welcher zuerst diese Form vorschlug (Patent im Jahr 1884) und in der Folge die Projektleitung als Chefingenieur des Büros Eiffel durchführte, hat in der Tat die Form des Turms auf der Grundlage der beschriebenen Überlegungen entwickelt. 300 m hoher Pylon für die Stadt Paris, 1884, Ing. M. Koechlin (in der Folge überarbeitetes und als Eiffelturm realisiertes Projekt unter Mitarbeit des Arch. Sauvestre ) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -131-

132 Wenn die Form eines Turmes oder eines Wolkenkratzers nicht derjenigen des Seilpolygons der äusseren Lasten entspricht, sind die Diagonalen unentbehrlich, so dass als Tragwerk ein Fachwerk resultiert. Ab einer gewissen Gebäudehöhe kommen vor allem Fachwerke zur Anwendung. Diese Fachwerke können entweder in den Fassadenebenen angeordnet werden, wie bei den in den gegenüberliegenden Bildern dargestellten Beispielen, oder aber im so genannten Kern, wie beim unten dargestellten Wolkenkratzer. John Hancock Centre in Chicago, 1969, Arch. Skidmore, Owings & Merrill, Ing. F. Khan (Gebäudehöhe 344 m), X- förmige Diagonalen mit Pfosten Bank of China in Hong Kong, 1989, Arch. I.M. Pei & Partners, Ing. Robertson, Fowler & Ass. (Höhe 369 m), X- und V-förmige Diagonalen ohne Pfosten First Interstate World Center (Library Tower), Los Angeles, 1989, Arch. Pei, Cobb, Freed & Partners, Ing.-Büro C.B.M. (Höhe 310 m), Kern mit V- und K-förmigen Diagonalen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -132-

133 Fachwerke mit Konsolen Eine Konsole kann ebenfalls an einen Fachwerkbalken angehängt werden und somit eine Verlängerung des Fachwerks über das Auflager hinaus bewirken. Das zugehörige Seiltragwerk besteht dann aus einem Bogen, welcher vom Ende der Konsole bis zum näher gelegenen Auflager verläuft, dort von der Auflagerkraft umgelenkt wird und sich bis zum anderen Auflager fortsetzt. Hier wird die horizontale Bogenkomponente vom Zugglied aufgenommen, welches bis zum anderen Ende des Bogens verläuft. Das auf der zur Konsole entgegengesetzten Seite liegende Auflager hat eine Kraft, welche das Tragwerk am Boden festhält und somit ein Abheben verhindert. Auch in diesem Fall können die Beanspruchungen des Fachwerks, zumindest qualitativ, mit Hilfe des hybriden Seiltragwerks untersucht werden. Da sich das Zugglied überall oberhalb des Bogens befindet, ist der obere Fachwerkgurt überall auf Zug beansprucht, während der untere über seine ganze Länge auf Druck beansprucht ist. Es ist zu bemerken, dass die Beanspruchungen genau entgegengesetzt sind zu denen des im Feld belasteten einfachen Fachwerbalken. Die am wenigsten beanspruchten Gurtstäbe befinden sich in der Nähe der Auflager, wo der Abstand zwischen dem Bogen und dem Zugglied maximal sind. Die auf Druck beanspruchten Diagonalen, genau wie die auf Zug beanspruchten, können leicht mit Hilfe der Neigung des Bogens identifiziert werden. Fachwerkträger mit Konsole: Umkehrung der Beanspruchung der Gurte beim Träger infolge der Konsollasten Wenn wir zusätzliche äussere Lasten im Feld wirken lassen, erhalten wir wieder teilweise die Situation mit dem unteren auf Zug und dem oberen auf Druck beanspruchten Gurt. Im gegenüberliegenden Beispiel entspricht der Bereich beim linken Auflager mit den dort wirkenden äusseren Lasten dem Fachwerk eines einfachen Balkens, während die Konsole beim rechten Auflager identisch ist mit derjenigen, die wir vorgängig behandelt haben. Es ist somit möglich, die definitiven Beanspruchungen zu ermitteln, indem einfach die für die einzelnen Lastfälle bereits ermittelten Beanspruchungen addiert werden. nur Lasten auf der Konsole nur Lasten im Feld Im linken Tragwerksbereich überwiegen die im Feld wirkenden Lasten: der untere Gurt ist auf Zug und der obere auf Druck beansprucht. Die Beanspruchungen werden jedoch infolge der auf der Konsole wirkenden Lasten reduziert. Nicht nur die Konsole, sondern auch der Feldbereich wird somit durch die auf der Konsole wirkenden Lasten beeinflusst. Diese Betrachtungen können auch einfach auf die hybriden Seiltragwerke übertragen werden: auf der rechten Seite liegt der Bogen unterhalb des Zugglieds, während auf der linken Seite das Gegenteil der Fall ist. Fachwerkträger mit Konsole: Einfluss der Kombination der Lasten im Feld und auf der Konsole Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -133-

134 Gerber-Träger Die auf den Konsolen wirkenden Lasten haben einen positiven Effekt auf die Felder; die Beanspruchungen werden reduziert. Dieser Vorteil kann auch bei den Mehrfeldträgern ausgenützt werden. Wenn wir einfache Balken lediglich einen neben dem andern anordnen, werden die Beanspruchungen die gleichen sein wie bei den einzelnen Balken. Eine alternative Anordnung besteht darin, den ersten, den dritten usw. Balken mit Konsolen zu verlängern, so dass die dazwischen liegenden, kürzeren Balken direkt auf die Enden der Konsolen aufgelegt werden können. Die kurzen Balken geben dann ihre Lasten auf die Konsolen der längeren Balken ab, so dass deren Beanspruchung im Feld reduziert wird. In der gegenüberliegenden Darstellung wird dieser Effekt anhand des hybriden Seiltragwerks sehr schön veranschaulicht. Der Abstand zwischen dem Bogen und dem Zugglied im dritten Feld (f3) ist geradezu gleich wie bei den Balken mit kurzer Spannweite (f2 und f4) und ist somit wesentlich kleiner als im ersten Beispiel (f). Diese Tragwerksart wird nach dem Namen des Ingenieurs, der dieses Tragwerk im Jahre 1866 patentiert hat, als Gerber-Träger bezeichnet und die erste Anwendung im Jahre 1867 mit der Mainbrücke in Hassfurt projektiert hat. Diese Brücke ist auch interessant wegen ihrer Form, wobei im mittleren Bereich die Gurten einem hybriden Seiltragwerk mit symmetrischem Seil und Bogen entsprechen. Die Diagonalen (N- und X-förmig mit Pfosten) haben die Aufgabe, das Tragwerk zu stabilisieren und veränderliche Lasten aufzunehmen. In den Randfeldern folgt die Formgebung der Gurte nicht vollständig derjenigen des Seiltragwerks. Hier müssten sich der Bogen und das Seil kreuzen; dies würde jedoch zu einem unter veränderlichen Lasten instabilen Tragwerk führen (wie wenn man die Gurtstäbe im ersten und dritten Feld des vorherigen Beispiels dort entfernen würde, wo der Bogen des hybriden Seiltragwerks das Zugglied schneidet). Serie von einfachen Balken Gerber-Träger Main-Brücke über die Main in Hassfurt, 1867, Ing. H. Gerber (l=26.5 m, 42.7 m, 26.5 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -134-

135 Fachwerke für andere Tragwerksformen Die bis jetzt behandelten Fachwerke waren vom Tragwerksstandpunkt aus betrachtet alle Balken: einfache, an ihren Enden aufgelagerte Balken, Konsolen, Balken mit Konsolen oder Gerber-Träger. Wir sind früher bereits anderen Tragwerksformen begegnet, welche, wenn wir sie aufmerksam beobachten, sich auch als Fachwerke enthüllen. Dies ist zum Beispiel der Fall beim Seilbalken System Jawerth, welcher als Fachwerk betrachtet werden kann, welches so auf Zug beansprucht ist, dass die Gurte nie Druckkräfte erhalten, oder auch bei den Seilen welche die seitlichen Felder der Tower Bridge in London tragen, beim Bogen, bei den Stützen und bei der Fahrbahn der vom Büro Eiffel erstellten Brücke in Porto, bei den Bögen und Seilen der Elbebrücke in Hamburg und beim Eiffelturm in Paris (gegenüberliegende Seite) welcher, auch wenn er global als hybrides Seiltragwerk betrachtet werden kann, aus unzähligen Fachwerken besteht, wenn wir eine detailliertere Analyse durchführen. Die Gurte sind in der Tat aus 4 Stäben zusammengesetzt, welche mit Diagonalen verbunden sind, welche ihrerseits auch wiederum aus Fachwerken bestehen. Eiffelturm in Paris, 1889, Ing. G. Eiffel, M. Koechlin und E. Nougier, Arch. Sauvestre, die Gurte und die Diagonalen sind ihrerseits wieder aus Fachwerken gebildet Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -135-

136 Raumfachwerke Ausbildung von Fachwerke zur Aufnahme einer Überdachung Kommen wir auf die häufigste Anwendung der Fachwerke in der Architektur zurück: die Abtragung einer ebenen Überdachung. Am einfachsten kann dieses Ziel erreicht werden durch Anordnung einer Serie von Fachwerken parallel zur Dachebene, welche getragen werden muss. Die ständigen und die veränderlichen Lasten werden zuerst von einem System von Sekundärelementen (z.b. Balken oder Platten) bis zu den Fachwerken getragen, welche dann als Haupttragwerk (Primärsystem) die Lasten zu den an den Rändern der Überdachung angeordneten Auflagern abtragen. Das Sekundärsystem kann an den unteren Gurten angehängt sein, auf den oberen Gurten aufgelegt oder abwechslungsweise am oberen und am unteren Gurt befestigt sein, wie es beim so genannten Shed-Dach der Fall ist. Sekundär-Tragwerk Serie von in parallelen Ebenen angeordneten Fachwerken Trägerrost aus Fachwerken Eine Alternative zu den parallel angeordneten Fachwerken besteht darin, zwei Serien von Fachwerken rechtwinklig zueinander anzuordnen, so dass ein so genannter Trägerrost entsteht. Die zweite Serie von Fachwerken ersetzt die Balken des im vorherigen Beispiel beschriebenen Sekundärsystems. Sie tragen jedoch die Lasten nicht nur bis zu den anderen Fachwerken ab, sondern einen Teil der Lasten direkt zu ihren Auflagern. Es sind somit, im Falle einer rechteckigen Überdachung, verteilte Auflager an allen vier Seiten erforderlich. Bei diesen Tragwerken müssen die Lasten nicht unbedingt in der gleichen Richtung bis zu den Auflagern abgetragen werde. Eine Last kann in der Tat auch in diagonaler Richtung abgetragen werden, so dass die Auflager einer rechteckigen Überdachung auch nur in den 4 Ecken angeordnet werden können. Trägerrost aus Fachwerken mit Auflagern an allen Seiten sowie mit Auflagern nur in den Ecken Beim auf der gegenüberliegenden Seite dargestellten Beispiel sind die Fachwerke im Abstand von 4.8 m in einem quadratischen Raster angeordnet und sind jeweils in den 4 Ecken eines quadratischen Moduls von 14.4 m aufgelagert. Diese Module können so angeordnet werden, dass ein Balkenrost von beliebigen Abmessungen entsteht, welcher nur alle 14.4 m, sowohl am Umfang als auch im Innern, aufgelagert ist. USM-Fabrik in Münsingen CH, 1963, Arch. B. + F. Haller Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -136-

137 Raumfachwerke Die Effizienz der Trägerroste aus Fachwerken kann wesentlich gesteigert werden, wenn die Diagonalen so angeordnet werden, dass sie überall mit in beide Richtungen verlaufenden Gurten verbunden sind. Es entsteht dann ein wirklich räumliches Tragwerk, bei welchem die Diagonalen nicht nur Dreiecke bilden, wie bei den ebenen Fachwerken, sondern Tetraeder oder Pyramiden. Das erste Tragwerk dieser Art wurde vom Physiker Alexander Graham Bell vorgeschlagen, welcher besser als Erfinder des Telefons bekannt ist. Er erhielt 1904 ein Patent für vorfabrizierte Tetraeder in Stahl die so zusammengesetzt werden konnten, dass Raumfachwerke verschiedener Formen entstanden. Raumfachwerk In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden verschiedene Systeme entwickelt zur Konstruktion von Raumfachwerken mit industriell herstellbaren standardisierten Knoten und Stäben. Am besten bekannt ist das System Mero, welches Ende der 50er Jahre von Max Mengeringhausen entwickelt wurde. Im dargestellten Knoten können bis zu 18 rohrförmige Stäbe zusammengeführt werden, was eine grosse Freiheit bei der Konstruktion von Raumfachwerken ermöglicht. Mit vorfabrizierten Tetraedern konstruierte Raumfachwerke, Patent von A.G. Bell im Jahre 1904, angewendet bei Flugkörpern Vorfabrikatons-System Mero, 1957, Ing. M. Mengeringhausen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -137-

138 Im gegenüberliegenden Bild ist ein Raumfachwerk grosser Dimensionen dargestellt. Es handelt sich um das Projekt einer Fugzeughalle, welche im Jahre 1951 vom Militärflugwesen der Vereinigten Staaten an Konrad Wachsmann in Auftrag gegeben wurde. Das Ziel bestand darin, in kurzer Zeit und in einer beliebigen Situation ein grosses Tragwerk mit Auskragungen bis zu 50 m zu erstellen, mit standardisierten Elementen welche sich leicht transportieren lassen, nicht mehr als 50 kn wiegen und nicht grösser als 1 x 3 x 1 m sein durften Projekt einer auseinandernehmbaren Flugzeughalle für das Militärflugwesen der Vereinigten Staaten, 1951, Arch. K. Wachsmann Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -138-

139 Gewölbe und Kuppeln aus Fachwerken Sowohl Balkenroste aus Fachwerken als auch Raumfachwerke können als Tragstruktur für Gewölbe und Kuppeln dienen. Auf der rechten Seite sind zwei Beispiele dargestellt; das erste zeigt eine zeltgewölbeartige Schale von P. L. Nervi und das zweite die geodätische Kuppel von Buckminster Fuller. Flugzeughalle aus vorfabrizierten Elementen aus Stahlbeton für das italienische Flugwesen, 1940, Ing. P.L. Nervi (Raumfachwerk zur Bildung einer in 6 Punkten aufgelagerten zeltgewölbe-artigen Schale, Abmessungen 100 x 40 m) Pavillon der Vereinigten Staaten an der Weltausstellung in Montreal, 1967, R. Buckminster Fuller (sphärische Kuppel, deren Oberfläche aus einem Raumfachwerk besteht, Durchmesser 76 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -139-

140 Balken Das Fachwerk als Hilfe für das Verständnis der Tragweise von Bögen, Balken und Rahmen Bei der Behandlung der Bögen haben wir gesehen, dass Ihre Tragweise sich besser verstehen lässt, wenn wir die Wirkungslinie der inneren Kräfte untersuchen. Das gleiche gilt für das Seilpolygon der inneren Kräfte. Wenn zu seiner geometrischen Darstellung eine Breite und eine Dicke dazu kommen, so dass ein ausreichender Materialquerschnitt zur Aufnahme der inneren Druckkraft erhalten wird, dann stellt das so reduzierte Tragwerk das minimale Material dar, welches zur Abtragung der Lasten erforderlich ist. Alles weitere Material könnte entfernt werden. Wenn es jedoch beibehalten wird, nimmt es auch einen Teil der inneren Kräfte auf. Die Wirkungslinie der inneren Kräfte mit ihrer zugehörigen minimalen Fläche ist somit ein Hilfsmittel zum besseren Verständnis der Tragweise des Bogens, und nicht eine komplette Beschreibung der tatsächlichen Beanspruchung des Materials. Mit diesem Hilfsmittel haben wir zum Beispiel erkannt, dass das Tragwerk auch ohne Zugfestigkeit funktioniert, wenn der Seilbogen vollständig im Inneren des tatsächlichen Bogens eingeschrieben werden kann. Bogen, dessen Tragweise ohne Zugfestigkeit gewährleistet ist Ausgehend von den Überlegungen, die wir bei der Behandlung der Fachwerke gemacht haben, können wir versuchen zu verstehen, was passiert, wenn der Seilbogen das zur Verfügung stehende Material verlässt. Wir wollen den im nebenstehenden Bild dargestellten Bogen betrachten und zuerst die linke Bogenseite untersuchen. Wenn keine äusseren Lasten in diesem Bereich wirken, wird die Wirkungslinie der inneren Beanspruchung eine Gerade sein, welche die beiden Gelenke miteinander verbindet und somit im mittleren Bereich ausserhalb des Materials verläuft. Da diese Gerade der Wirkungslinie der Resultierenden der inneren Kräfte entspricht, bleibt sie auch in demjenigen Bereich gültig, wo sie ausserhalb des Materials liegt. Wir können sie jedoch in eine Druckkraft, welche dem Rand des Materials folgt, und in eine Zugkraft zerlegen, welche die Druckkraft beim Auflagergelenk so umlenkt, dass sie im Inneren des Tragwerks verbleibt. Bogen, dessen Resultierende der inneren Kräfte ausserhalb des Materials liegt Die Analyse eines Subsystems, welches diesen Bereich enthält, zeigt deutlich, dass die Intensität der Druckkraft zugenommen hat; das ist der Preis, den wir zahlen, um die Wirkungslinie der Druckkraft umzulenken und im Innern des Tragelementes zu halten. Die Umlenkung der Druckkraft im Scheitel kann auf ähnliche Art vorgenommen werden. Auch hier wird eine Zugstrebe eingeführt, welche die Druckstrebe nach oben umlenkt. Die Neigung der neuen Druckstrebe muss so gewählt werden, dass sie in keinem Punkt das Material verlässt. Untersuchung möglicher Beanspruchungen des linken Halbbogens Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -140-

141 Die beiden Segmente der Druckstrebe treffen sich im Bereich, wo der Bogen einen Knick aufweist. Hier erfährt die Druckstrebe eine diskrete Umlenkung. Das gleiche gilt für die Segmente der Zugstrebe. Auch diese dürfen das Material nicht verlassen und treffen sich in einem Punkt, in welchem die Zugstrebe umgelenkt werden muss. Wir können durch Ergänzung einer zusätzlichen Strebe ein vollständiges Fachwerk konstruieren; diese zusätzliche Strebe erfährt eine Druckbeanspruchung und ist somit in der Lage, die Umlenkkraft der Druckstrebe aufzunehmen und diese ins Gleichgewicht mit der Umlenkkraft der Zugstrebe zu bringen. Sinngemäss kann ebenfalls ein ähnliches Fachwerk für den rechten Halbbogen konstruiert werden. Hier verlässt die Wirkungslinie der inneren Kräfte das Tragwerk nach oben. Die Segmente der Druckstrebe des Fachwerks verlaufen somit am oberen Rand des Bogens; im Bereich des Knickes wird die Druckstrebe umgelenkt; die Umlenkkraft ist wiederum im Gleichgewicht mit derjenigen der Zugstrebe. Auch in diesem Fall ist im Bereich der Umlenkung eine zusätzliche Strebe erforderlich, dieses Mal auf Zug beansprucht, welche die Umlenkkräfte der beiden Streben aufnimmt und überträgt. Das vollständige Fachwerk ist sehr hilfreich zum Verständnis der Tragweise eines Bogens, bei welchem die Wirkungslinie der inneren Kräfte ausserhalb des Materials liegt. Wie wir gesehen haben, kann das Tragwerk die Lasten abtragen, wenn das Material nicht nur in der Lage ist, Druckkräfte, sondern auch Zugkräfte aufzunehmen. Ein entsprechendes Tragwerk muss somit in Stahl, Stahlbeton mit zugfesten Stahlbewehrungen oder in Holz ausgeführt werden; wenn es dagegen in Mauerwerk gebaut wird, ist es nicht tragfähig. Wir haben auch gelernt, dass die inneren Kräfte, insbesondere die inneren Druckkräfte, grösser sind als bei den Tragwerken, bei welchen die Wirkungslinie im Inneren des Materials liegt. Diese letzten Tragwerke sind somit effizienter. Vollständiges Fachwerk mit der Beschreibung der Tragweise eines Bogens, bei welchem die Resultierende der inneren Kräfte das Material verlässt Das für den Bogen beschriebene Vorgehen kann sehr gut übernommen werden, um die Tragweise beliebiger massiver Tragwerke zu beschreiben. Eine der geläufigsten Anwendungen ist diejenige des Balkens. Nebenstehend ist ein einfacher Balken dargestellt, welcher bezüglich Geometrie und äusserer Lasten, genau dem Seite 112 behandelten Fachwerk entspricht. Die Balkenhöhe ist leicht grösser als diejenige des Fachwerks; wir können somit das Fachwerk direkt in den Balken einschreiben und erhalten ein einfach interpretierbares Modell: Die oberen auf Druck beanspruchten Gurtstäbe des Fachwerks stellen die Druckzone des Balkens dar, die unteren Gurtstäbe entsprechen der Zugzone, während die Kräfte sowohl der Zug- als auch der Druckdiagonalen beim Balken von der Zwischenzone aufgenommen werden. Innere Beanspruchungen eines Balkens beschrieben anhand eines Fachwerkes Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -141-

142 Beanspruchung der Zwischenzone Die Diagonalen sind eine Vereinfachung der tatsächlich vorhandenen inneren Beanspruchung. Da zwischen den einzelnen Diagonalen ebenfalls Material vorhanden ist, wird dieses auch einen Teil der Beanspruchung aufnehmen. Auf diese Art werden sich unendlich viele Diagonalen ausbilden, und die Beanspruchung wird sich auf das ganze Material verteilen. Wenn wir dann einen kleinen Würfel aus der Zwischenzone herausschneiden, können wir zwei Beanspruchungen feststellen: diejenige, welche derjenigen der Druckdiagonalen entspricht, und diejenige, welche derjenigen der Zugdiagonalen entspricht. Der gleiche Materialteil ist also auf Zug und auf Druck beansprucht, aber mit Wirkungslinien der inneren Kräfte welche rechtwinklig zueinander angeordnet sind. Einer ähnlichen Situation sind wir schon bei den Membranen begegnet, bei welchen das gleiche Materialteil in zwei Richtungen auf Zug beansprucht war, im Gegensatz zu den Schalen, wo eine Druckbeanspruchung von einer Zugbeanspruchung oder von einer Druckbeanspruchung begleitet war. Beanspruchung der Zug- und der Druckzone Auch die obere Druckzone und die untere Zugzone bleiben nicht wie angenommen an die Gurte des Fachwerks gebunden, sondern benützen auch das zur Verfügung stehende Material. Die Beanspruchung schmiegt sich an die Ränder an, so dass eine möglichst grosse effektive Höhe erreicht wird. Die effektive Verteilung der inneren Beanspruchung sowohl in der Zugzone als auch in der Druckzone hängt vor allem vom Materialverhalten ab (linear elastisch oder plastisch) und wird vom Ingenieur sorgfältig untersucht zur Ermittlung der Verformungen und des Tragwiderstandes. Im Rahmen dieses Kurses werden wir als Vereinfachung konstante Spannungsverteilungen sowohl in der Druck- als auch in der Zugzone annehmen. Dies entspricht in der Tat dem Verhalten eines Balkens mit einem perfekt duktilen Material (zum Beispiel Stahl) unter intensiven äusseren Lasten (die Druck- und die Zugzone sind in der plastischen Phase mit kompletter Ausnützung des Materials). Mit überlagerten Diagonalen belegter Zwischenbereich und Verteilung der Beanspruchungen auf das gesamte zur Verfügung stehende Material (konstante Verteilung der inneren Beanspruchungen) Stahlbetonbalken Wenn ein Material vor allem Druckbeanspruchungen widersteht, während seine Zugfestigkeit begrenzt ist, wird es notwendig, Verstärkungen anzuordnen, um Zugkräfte übertragen zu können. Dies ist zum Beispiel der Fall beim Beton, welcher mit Hilfe von Bewehrungen aus Stahl verstärkt wird. Diese müssen dort angeordnet werden, wo innere Zugkräfte erwartet werden: in der unteren Zone unseres Balkens und in der Zwischenzone in Richtung der Zugdiagonalen. Nebenstehend sind zwei mögliche Bewehrungsanordnungen für einen einfachen Balken mit einer äusseren Last in Feldmitte dargestellt. Die Längsbewehrungen, welche die Zugkräfte im unteren Bereich des Balkens aufnehmen müssen, sind gut erkennbar. Stahlstäbe zur Aufnahme der inneren Zugkräfte in einem einfachen Balken aus Stahlbeton Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -142-

143 Im oberen Balken ist die Bewehrung im Zwischenbereich vertikal angeordnet, wie die auf Zug beanspruchten Pfosten bei einem Fachwerk mit N-förmigen Diagonalen. Im unteren Balken, nicht mehr so häufig in der Praxis angewendet, sind geneigte Eisen vorhanden, welche den auf Zug beanspruchten Diagonalen eines V-förmigen Fachwerkes entsprechen. Im Weiteren ist die untere Längsbewehrung in Feldmitte am stärksten, dort wo die innere Zugkraft am grössten ist. Es sind auch Längsbewehrungsstäbe am oberen Rand erkennbar, welche vor allem der Befestigung der restlichen Eisen dienen und eine Verschiebung dieser während des Betonierens verhindern. Der Beton übernimmt jedoch die Aufnahme der inneren Druckkräfte in dieser Zone. Risse in einem Stahlbetonbalken Das nebenstehende Bild zeigt das Rissbild eines stark beanspruchten Stahlbetonbalkens. In der unteren Zone deuten die zahlreichen Risse an, dass der Beton dem Stahl die Aufgabe der Aufnahme der Zugbeanspruchung vollständig übergeben hat. Die obere Zone sieht vollständig intakt aus, und der Beton übernimmt seine Funktion, die Druckkräfte zu übertragen. In der Zwischenzone sehen wir zahlreiche geneigte Risse: zwischen diesen verbleibt eine intakte Betonzone, welche wie eine auf Druck beanspruchte Diagonale wirkt, während die Bügelbewehrung, welche die Diagonale durchquert, diejenigen Kräfte übernimmt, welche beim N-Fachwerk von den Zugpfosten aufgenommen werden. Einfache Biegung eines Balkens Wenn bei einem Fachwerk mit horizontalen Gurten der Bogen des hybriden Seiltragwerks ebenfalls horizontal verläuft (Querkraft null), sind die Diagonalen nicht beansprucht. Analog wird dann auch beim Balken die Zwischenzone nicht beansprucht sein und die inneren Kräfte beschränken sich auf die Druck- und Zugkräfte in den randnahen Zonen. Diese Art von Beanspruchung wird als reine Biegung bezeichnet. Druck Verkürzung Biegung und Krümmung Der Begriff biegen ist Synonym von falten und krümmen. In der Tat bewirken die inneren Kräfte in der Zugzone eine Verlängerung des Materials, während diejenigen in der Druckzone eine Verkürzung des Materials auf der entgegengesetzten Seite zur Folge haben. Wenn wir einen Teil des Balkens als Subsystem herausschneiden, und die Verformungen des Materials auftragen, können wir in tatsächlich eine Verbiegung oder Krümmung des Balkens beobachten. Biegung eines Balkens mit zugehörigen Verformungen Zug Verlängerung Die Krümmung eines Balkens ist somit die Folge der Biegung (verstanden als Beanspruchung), genau wie die Verlängerung oder Verkürzung das Resultat einer Zug- oder einer Druckbeanspruchung ist. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -143-

144 Je grösser die Verlängerung der gezogenen Zone und die Verkürzung der gedrückten Zone sind, desto grösser ist die Biegung des Balkens. Ein weiterer Parameter welcher die Krümmung beeinflusst ist die Höhe des Balkens, oder um präzis zu sein, die Distanz zwischen dem Schwerpunkt der Druckzone und jenem der Zugzone. Später nennen wir diese interne Distanz wirksame Höhe z. Wenn wir die Krümmung eines Balkens definieren wollen, um die Wirkung der Biegung quantitativ zu beschreiben, können wir den Krümmungsradius des Balkens messen und die 1 Krümmung als ihren Kehrwert betrachten: r Die beiden Werte sind somit umgekehrt proportional: je kleiner der Krümmungsradius, umso grösser ist die Krümmung. Als Alternative zur Krümmung kann der Krümmungswinkel φ, welcher ein Balkenelement der Länge x erfährt, angegeben werden. Wie im gegenüberliegenden Bild dargestellt, sind die beiden Grössen mit einer einfachen Beziehung x miteinander verknüpft: x r Aus dem Diagramm kann auch die Beziehung zwischen dem Krümmungswinkel φ und den Dehnungen ε t der Zugzone und ε c der Druckzone (negativer Wert) gewonnen werden. Berücksichtigt man, dass die Verkürzung dx c der Druckzone ε c x beträgt und dass die Verlängerung dx t der Zugzone gleich ε t x ist, können die folgenden Beziehungen gewonnen werden: t x c x x 1 und unter Berücksichtigung von ; t c z r r z Die Grösse z ist definiert als Abstand zwischen der Zug- und der Druckzone (z ist leicht kleiner als die Höhe h des Balkens). Die Krümmung des Balkens ist demnach linear abhängig von den Verformungen der Druckzone und der Zugzone und umgekehrt proportional zum Abstand dieser beiden. Verknüpfung zwischen der Krümmung und des Krümmungswinkels eines Balkenelementes mit den Verformungen der Druck- und der Zugzone Widerstand von auf Biegung beanspruchten Balken Nachdem wir beschrieben haben, wie sich ein auf Biegung beanspruchter Balken verformt, wollen wir uns seinem Tragwiderstand zuwenden. Dieser ist erreicht, wenn sich die Druckzone und die Zugzone über die ganze Höhe des Balkens ausgebreitet haben, und in diesen Zonen die Materialfestigkeit erreicht wird. Wie wir bereits festgestellt haben, ist die Annahme einer konstanten Beanspruchung über die gesamte Druck- und Zugzonenhöhe nur gültig bei duktilen Materialien wie beispielsweise dem Stahl. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -144-

145 Bei spröden Materialien tritt der Bruch ein, wenn die maximale Beanspruchung, welche am Rand des Balkens auftritt, die Materialfestigkeit erreicht. Wir verzichten auf das vertiefte Studium dieses Sachverhaltes, weil der Ansatz mit der konstanten Spannungsintensität es erlaubt, die im Moment wichtigen Betrachtungen herzuleiten. Vereinfachend wählen wir ein Material mit demselben Widerstand fd für Zug- wie auch für Druckbeanspruchungen. Wenn wir die Lasten ermitteln wollen, welche der Balken im Bruchzustand zu tragen vermag (diejenigen Lasten, welche dem Tragwiderstand des Balkens entsprechen), können wir ein Fachwerk (oder ein hybrides Seiltragwerk) in den Balken einschreiben, die inneren Kräfte in den Gurten ermitteln, indem wir die Spannung (Zug- oder Druckfestigkeit) mit der Querschnittsfläche der Zone (welche im Fall eines rechteckigen Balkens A=t h/2 beträgt) und die Lasten mit Hilfe eines Cremona-Plans ermitteln. Die Höhe des Fachwerks, oder des hybriden Seiltragwerks, muss der wirksamen Höhe z des Balkens (Abstand der Resultierenden der Zug- und der Druckzone) entsprechen. Bei einem Balken mit rechteckförmigem Querschnitt bedeutet das, dass die wirksame Höhe z im Bruchzustand exakt der halben totalen Höhe h des Balkens entspricht. Bei kleineren Beanspruchungen benötigen die Druck- und Zugzone eine kleinere Höhe so dass die wirksame Balkenhöhe z grösser sein kann. Widerstand eines Balkens mit den Beanspruchungen der Zug- und der Druckzone (duktiles Material) und zugehörige äussere Lasten Einfluss der Abmessungen eines Balkens mit rechteckigem Querschnitt auf seinen Widerstand Wir probieren die Abmessungen des Balkens mit rechteckförmigem Querschnitt zu verändern und untersuchen den Einfluss auf den Widerstand. Verdoppeln wir zuerst die Stärke t. Die Flächen der Zug- und der Druckzone werden auch verdoppelt, so dass sich auch die inneren Kräfte gegenüber denjenigen des ursprünglichen Balkens mit Stärke t verdoppeln. Die Form des eingeschriebenen Fachwerks bleibt dagegen unverändert, weil die Höhe des Balkens und der Abstand der Stäbe des Fachwerks zum Balkenrand (welcher von der Höhe der Druck- und Zugzone abhängt) nicht verändert werden. Wir erhalten somit einen Cremonaplan mit doppelten Kräften und unveränderter Neigung, in welchem auch die im Bruchzustand aufnehmbaren äusseren Lasten des neuen Balkens verdoppelt worden sind. Es überrascht nicht, dass der Balken mit doppelter Stärke (2 t) interpretiert werden kann als Summe von zwei Balken mit Stärke t, welche nebeneinander angeordnet werden. Einfluss der Dicke eines Balkens auf den Widerstand: eine Verdoppelung der Dicke hat auch eine Verdoppelung des Widerstandes zur Folge (wie wenn zwei Balken vorhanden wären) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -145-

146 Wir wollen nun die Höhe h des Balkens verdoppeln, ohne die restlichen Abmessungen zu verändern. Auch in diesem Fall verdoppeln sich die zur Verfügung stehenden Flächen für die Zug- und Druckzone, aber im Gegensatz zum vorherigen Fall verdoppelt sich nun auch die wirksame Höhe z des Balkens und diejenige des eingeschriebenen Fachwerks. Aus dem Cremonaplan geht eindeutig hervor, dass mit doppelten horizontalen Kräften und doppelter Neigung der diagonalen Kräfte, eine vierfache Bruchlast erhalten wird. Dieses Resultat mag auf den ersten Blick überraschen: Durch Verdoppelung der Höhe verdoppeln wir ebenfalls die Materialmenge und erhalten eine vierfache Traglast. Wenn wir zwei identische Balken übereinander legen, erwarten wir doch eine doppelte Traglast. Wenn wir die Situation sorgfältig beobachten, erkennen wir, dass das Tragsystem und die zugehörigen Verformungen grundlegend verschieden sind von denjenigen eines Balkens mit doppelter Höhe: wenn die beiden aufeinander gelegten Balken nicht miteinander verbunden sind, stellen sich zwei unabhängige Tragwerke ein, mit je einer Zug- und Druckzone. Die Berührungsfläche der beiden Balken trennt die auf Zug beanspruchte Zone des oberen Balkens, welche sich verlängert, von der auf Druck beanspruchten Zone des unteren Balkens, welche sich dagegen verkürzt. Es entsteht somit eine Bewegung zwischen den beiden Balken. Erst wenn wir diese relative Verschiebung verhindern, zum Beispiel indem wir die beiden Balken miteinander verkleben oder verschweissen, erhalten wir eine Übertragung der inneren Kräfte der Zugzone, welche nun die gesamte Höhe des unteren Balkens beanspruchen kann, zur Druckzone, welche ihrerseits die gesamte Höhe des oberen Balkens einnehmen kann. Nur unter diesen Bedingungen erhalten wir eine vierfache Traglast gegenüber dem ursprünglichen Balken. Diese Betrachtungen bestätigen, was wir bereits bei den Seilen, bei den Bögen und bei den Fachwerken gelernt haben: ein Tragwerk ist dann effizient in Bezug auf Materialverbrauch, wenn seine Schlankheit (Spannweite / Höhe) nicht zu gross ist. In anderen Worten ist es besser, das Material in der Höhe als in der Breite anzuordnen. Wenn wir den Querschnitt mit seiner Höhe h und seiner Stärke t unverändert lassen, und die Spannweite l und die anderen horizontalen Abmessungen verdoppeln, behalten wir die gleichen Abmessungen und Widerstände der Druck- und Zugzone, aber eine halbierten Neigung der diagonalen Streben, so dass auch der Tragwiderstand sich auf die Hälfte reduziert. Einfluss der Höhe des Balkens auf seinen Widerstand: eine Verdoppelung von h hat eine Vervierfachung des Widerstandes zur Folge Zug Verlängerung Druck Verkürzung Gegenüberstellung eines Balkens mit doppelter Höhe mit zwei übereinander gelegten Balken Aus dem oberen Bild auf Seite 145 können wir ein mathematisches Gesetz herleiten, welches die Abmessungen des Balkens und die Materialfestigkeit mit der Traglast des Balkens verknüpft. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -146-

147 Wenn wir die Affinität des Cremona-Plans mit dem Tragwerk im Bereich der geneigten Strebe betrachten, erkennen wir wie der Bemessungswert der Traglast Q Rd zur Festigkeit der Zug- (oder Druck-) Zone steht, wie die wirksame Höhe h/2 zum Abstand a (Abstand zwischen Last und Auflager). Wir erhalten die Gleichung 2 h Q Rd fd t 4 a welche zusammenfasst, was wir eben gesehen haben: Die Traglast Q Rd des Balkens hängt direkt von der Materialfestigkeit f d, von der Stärke t und vom Quadrat der Höhe h (doppelte Höhe, vierfache Traglast) ab, während sie umgekehrt proportional zum Abstand a ist. Wenn wir einen Balken mit sprödem Materialverhalten untersuchen, muss die Zahl 4 im Nenner durch eine 6 ersetzt werden, zur Berücksichtigung der nicht konstanten Spannungsverteilung in der Zug- und in der Druckzone. Einfluss der Abmessungen eines Balkens mit rechteckigem Querschnitt auf seine Steifigkeit Wir haben bei der Behandlung der auf Zug und auf Druck beanspruchten Stäbe gesehen, dass die Steifigkeit dieser Tragelemente von der Materialsteifigkeit (Elastizitätsmodul E), von der Querschnittsfläche und von der Länge des Stabes abhängt (siehe Seite 15). Wir können ähnliche Beziehungen ebenfalls für die Balken unter Biegebeanspruchung herleiten. Zu diesem Zweck wollen wir auch in diesem Fall die Steifigkeit als Verhältnis der aufgebrachten Last Q zur Durchbiegung w, welche diese Last erzeugt, definieren. Der Einfluss der Stärke t ist leicht verständlich: wenn wir diese verdoppeln erhalten wir halbierte Beanspruchungen im Balken, was auch zu halbierten Verformungen und zur halbierten Durchbiegung führt. Wir haben somit eine doppelt so grosse Steifigkeit, genau wie wenn wir zwei gleiche Balken nebeneinander angeordnet hätten; in anderen Worten ist die Steifigkeit direkt proportional zur Stärke. Beanspruchungen, Verformungen und Durchbiegungen eines Balkens mit Höhe h bzw. 2h Wenn wir die Höhe h verdoppeln und die Last Q und die anderen Abmessungen unverändert lassen, ergibt sich Folgendes: Die wirksame Höhe z ist doppelt so gross, und die Gurtkräfte des hybriden Seiltragwerks, welches die Tragweise des Balkens beschreibt, sind halbiert worden, die Flächen der Druck- und der Zugzone sind ebenfalls verdoppelt worden (t h gegenüber t h/2), die Zugspannung σ t und die Druckspannung σ c, welche wir durch Division der Gurtkräfte durch die Querschnittsflächen erhalten, sind nur noch ¼ derjenigen des ursprünglichen Balkens, auch die Dehnungen ε t und ε c welche wir durch Division der Spannungen durch den Elastizitätsmodul erhalten, sind auf ¼ reduziert worden, und Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -147-

148 wie auf Seite 144 gezeigt, ist der Krümmungswinkel φ proportional zu den Dehnungen ε t und ε c und umgekehrt proportional zur wirksamen Höhe z; in unserem Fall bedeutet das, dass wir bei einer Verdoppelung der Höhe einen auf 1/8 reduzierten Krümmungswinkel erhalten. Weil die Durchbiegung w vom Krümmungswinkel φ abhängig ist, beträgt auch sie nur 1/8 des Wertes, den wir beim ursprünglichen Balken mit der Höhe h hatten. In anderen Worten erhalten wir, wenn wir die Höhe h verdoppeln, eine 8-mal grössere Steifigkeit. (Die Durchbiegung entspricht derjenigen von acht nebeneinander oder aufeinander gelegten, nicht miteinander verbundenen Balken!). Die Steifigkeit eines Balkens mit rechteckigem Querschnitt ist in der Tat von der dritten Potenz der Höhe des Balkens abhängig. Wir wollen weiter die Spannweite l und den Abstand a verdoppeln, und den Querschnitt des Balkens und die Lasten unverändert lassen: die inneren Kräfte, die Beanspruchungen und die Verformungen werden dann auch verdoppelt, so dass auch die Krümmung sich verdoppelt. Der Krümmungswinkel φ, welcher von der Krümmung und von der Länge abhängt, wird in diesem Fall vervierfacht, während die Durchbiegung, welche ebenfalls vom Krümmungswinkel abhängt, und vom Abstand, wird dann 8-mal grösser als beim Balken mit Spannweite l. Verallgemeinernd können wir sagen, dass die Steifigkeit eines Balkens unter konzentrierten Lasten umgekehrt proportional zu seiner Spannweite in der dritten Potenz ist. Zusammenfassend können wir festhalten dass, für ein konstantes Verhältnis des Abstandes a zur Spannweite l, die Steifigkeit des Balkens, definiert als Verhältnis der Last Q zur Durchbiegung w, proportional ist zum Faktor E t h l 3 3. Effizientere Querschnitte: Doppel-T-Querschnitt Die behandelten rechteckigen Querschnitte können verbessert werden, mit dem Ziel einer grösseren statischen Effizienz (Tragwiderstand und Steifigkeit), auch bei Konstanthaltung der Materialmenge und ohne die totale Höhe h zu überschreiten. Wir können einen Teil des Materials im unteren Bereich der Druckzone herausschneiden, und dieses im oberen Bereich der Druckzone so ansetzen, dass wir diese verbreitern. Wenn wir das gleiche Vorgehen sinngemäss bei der Zugzone wiederholen, erhalten wir einen Querschnitt gleicher Oberfläche und Höhe, aber mit einem deutlich grösseren Abstand der Schwerpunkte der Zugzone und der Druckzone. Die Querschnitte dieser Art, definiert als Doppel-T oder I, werden sehr häufig im Stahlbau verwendet. Sie können in der Produktion sehr einfach gewalzt (Stahl) oder gezogen (Aluminium) werden. Beanspruchungen, Verformungen, Krümmung, Krümmungsradius und Durchbiegung eines Balkens mit doppelter Spannweite Steg Flansch Flansch Doppel-T Querschnitt doppelte Verkürzung doppelte Verlängerung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -148-

149 Die horizontalen Teile, welche die Aufgabe haben, die inneren Zug- und Druckkräfte aus der Biegung aufzunehmen, werden als Flansche bezeichnet. Das vertikale Element, Steg genannt, übernimmt dagegen die inneren Druck- und Zugkräfte, welche den Kräften der Diagonalen im Fachwerk entsprechen. Einfluss der Abmessungen eines Balkens mit Doppel-T-Querschnitt auf seinen Biegewiderstand und auf seine Steifigkeit Bei einem vor allem auf Biegung beanspruchten Balken ist es zweckmässig, einen Querschnitt mit breiten und dicken Flanschen und einem dünnen Steg zu wählen. Im Zusammenhang mit der Stabilität der Stahlbautragwerke ist zu erwähnen, dass oberhalb einer gewissen Grenze (zu breite Flansche und zu dünner Steg), das Material nicht mehr voll ausgenutzt werden kann, weil Querverformungen eine Instabilität oder ein lokales Versagen erzeugen können bevor die Festigkeit des Materials erreicht wird. Im Rahmen des vorliegenden Einführungskurses wollen wir solche Effekte vernachlässigen und einen idealisierten Querschnitt untersuchen, bei welchem das gesamte Material in den Flanschen angeordnet ist. In diesem Fall ist die wirksame Höhe des Querschnitts gleich dem Abstand zwischen den Schwerpunkten der Druck- und der Zugzone, und somit sehr nahe an der totalen Höhe h (oder exakt z = h t f ). Wir haben somit eine praktisch doppelt so grosse wirksame Höhe wie beim Rechteckquerschnitt. Biegewiderstand eines Balkens mit Doppel-T-Querschnitt unter Vernachlässigung des Steges Auch in diesem Fall kann der Tragwiderstand des Balkens aus dem Cremona-Plan gewonnen werden, unter Berücksichtigung seiner Affinität mit dem Dreieck bestehend aus dem geneigten Stab, der wirksamen Höhe z und dem Abstand a zwischen der Last und dem Auflager. Die Traglast Q Rd steht zum Widerstand der Zug- oder Druckzone f d t f b wie die wirksame Höhe h t f zum Abstand a steht. Aus diesem Zusammenhang erhalten wir (h t f ) b h QRd fd t f b fd t f a a was bedeutet, dass der Widerstand linear, und nicht mehr quadratisch, wie beim Rechteckquerschnitt, von der Höhe des Querschnitts abhängig ist. Wenn wir weiter die Steifigkeit des Balkens betrachten, so hängt diese linear von derjenigen des Materials (Elastizitätsmodul E) und von der Querschnittsfläche der Flansche b t f ab. Um den Einfluss der Höhe h zu finden, betrachten wir einen doppelt so hohen Balken: wir erhalten halb so grosse Spannungen σ und somit auch halb so grosse Dehnungen ε in den Flanschen. Der Krümmungswinkel φ, wie auch die Durchbiegung w betragen nur noch ein viertel. In anderen Worten haben wir eine vierfache Steifigkeit: sie ist vom Quadrat der Höhe h abhängig. Einfluss der Trägerhöhe auf die Steifigkeit Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -149-

150 Wenn wir die Spannweite und den Abstand a verdoppeln, erhalten wir doppelte innere Kräfte, Spannungen und Dehnungen in den Flanschen, die Krümmung ist auch doppelt so gross, der Krümmungswinkel φ ist vier mal so gross und die Durchbiegung ist acht mal so gross wie beim Balken mit der ursprünglichen Spannweite: auch in diesem Fall ist die Steifigkeit umgekehrt proportional zur Spannweite in der dritten Potenz. Zusammenfassend können wir festhalten dass, wenn die Flanschstärke t f klein ist gegenüber der Höhe h so dass die wirksame Höhe praktisch identisch mit der tatsächlichen Höhe ist, die Steifigkeit des Balkens Q/w proportional ist zum Ausdruck 2 E b t f h. 3 l Tragverhalten eines Balkens mit Doppel-T-Querschnitt mit vertikalen Flanschen Wenn wir den Balken 90 um seine Längsachse drehen und die nach unten wirkenden äusseren Lasten unverändert lassen, liegt die Druckzone in der oberen Hälfte der Querschnittsfläche und die Zugzone nimmt den restlichen unteren Teil des Querschnitts ein. Die Flächen dieser Zonen, welche sich je aus zwei halben Flanschen zusammensetzen, sind identisch mit denjenigen des nicht gedrehten Balkens. Der Schwerpunkt der Druckzone liegt jedoch tiefer, und derjenige der Zugzone höher, so dass die wirksame Höhe wesentlich kleiner ist. Bei einem Querschnitt mit gleichen Werten für h und b ist die neue wirksame Höhe (mit Betrag b/2) nur leicht grösser als die Hälfte derjenigen des nicht gedrehten Querschnitts (h-t f ). Der Balken weist somit nur den halben Tragwiderstand auf. Ein so angeordneter Querschnitt ist auch weniger effizient in Bezug auf Steifigkeit. Bei unveränderter Last erhalten wir wegen der halbierten wirksamen Höhe eine doppelt so grosse Materialbeanspruchung. Der Krümmungswinkel φ, von dem wir wissen dass er von den Dehnungen und von der Höhe abhängt, wird verdoppelt, so dass der Balken eine vierfache Durchbiegung und eine auf ¼ reduzierte Steifigkeit verglichen mit dem Balken mit horizontalen Flanschen aufweist. Wir sollten deshalb vermeiden bei Balken Doppel-T-Querschnitte mit vertikalen Flanschen anzuordnen, wenn die vorherrschenden Lasten auch in vertikaler Richtung wirken. Um Missverständnissen vorzubeugen ist es vorteilhaft bei Balken von Doppel-T- oder I- Querschnitten zu sprechen und den Begriff H-Querschnitte zu vermeiden. Verformung eines Balkens mit doppelter Spannweite l und doppeltem Abstand a Schwerpunkt der Druckzone Schwerpunkt der Zugzone Balken mit Doppel-T-Querschnitt mit vertikalen Flanschen: wenn die Abmessungen h und b identisch sind, reduziert sich die wirksame Höhe praktisch auf die Hälfte gegenüber dem Balken mit horizontalen Flanschen, so dass1/2 des Tragwiderstands und ¼ der Steifigkeit resultiert Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -150-

151 Volumen. Effizienz eines Querschnitts Die Effizienz eines Querschnitts kann folglich definiert werden als Verhältnis der wirksamen Höhe zur tatsächlichen Höhe. Je mehr Material in der Nähe des oberen und des unteren Querschnittsrandes angeordnet ist, umso grösser wird die Effizienz des Querschnitts sein. Im gegenüberliegenden Bild sind einige Querschnitte mit von links nach rechts wachsender Effizienz dargestellt. Form, Querschnitt und Effizienz des Querschnitts Wie wir gesehen haben, hängt die Effizienz eines Balkens von seinem Querschnitt und von seiner Höhe ab (Höhe x 2 beim Rechteckquerschnitt Tragwiderstand x 4 und Steifigkeit x 8), oder, genauer gesagt, vom Verhältnis Spannweite l zu Höhe h, welches als Schlankheit bezeichnet wird. Im gegenüberliegenden Bild ist die erforderliche Materialmenge zur Abtragung einer konzentrierten Last Q d über eine Spannweite l in Funktion der Schlankheit dargestellt. Im Diagramm sind auch wiederum die Kurven für Seile, Bögen, hybride Seiltragwerke und für Fachwerke dargestellt. Gegenüberstellung einiger Querschnitte (unter Vertikallasten) mit von links nach rechts steigender Effizienz (die Sterne geben den Schwerpunkt der Druck- und der Zugzone an). konstanter Querschnitt Die Balken mit Doppel-T-Querschnitt (konstanter Querschnitt) haben eine ähnliche Effizienz wie die Fachwerke mit konstanten Gurten. Wenn in der Tat die wirksame Höhe festgelegt ist, sind die inneren Kräfte vergleichbar. Im Weiteren ist auch die für die Diagonalen des Fachwerks erforderliche Materialmenge vergleichbar mit derjenigen für den Steg des Balkens, welcher, da er für die gleiche Tragfunktion vorgesehen ist, auch auf ähnliche Art beansprucht ist. Die kleinere Effizienz der Rechteckquerschnitte verglichen mit derjenigen der Doppel-T- Querschnitte ist auch klar aus diesem Diagramm ersichtlich: bezogen auf die Schlankheit benötigen die kompakten Querschnitte wesentlich mehr Material. veränderlicher Querschnitt Materialmenge in Funktion der Schlankheit l/h (bezogen auf die Spannweite l, die Last Q d und die Materialfestigkeit f d ) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -151-

152 Genau wie bei den Fachwerken, wo die Querschnittsfläche in Abhängigkeit der Beanspruchung variiert werden kann, ist es auch bei den Balken möglich, die erforderliche Materialmenge zu reduzieren. Eine Veränderung des Querschnitts über die Balkenlänge kann zu einer beträchtlichen Materialersparnis führen. Diese Ersparnis ist meist nur theoretisch wegen der Ausführungsschwierigkeiten. Es ist beispielsweise extrem schwierig gewalzte Querschnitte und praktisch unmöglich gezogene Querschnitte zu variieren, ausser wenn das überflüssige Material während der Produktion entfernt wird. Im gegenüberliegenden Bild sind einige Möglichkeiten dargestellt, mit von oben nach unten abnehmender Effizienz (wie im Diagramm). Bei den Doppel-T-Trägern besteht die Variation des Querschnittes aus der Anpassung der Breite oder der Stärke der Flansche an ihre Beanspruchung. Bei einer in Feldmitte wirkenden konzentrierten Last betragen diese Abmessungen bei den Auflagern null und nehmen linear bis zu ihrem Maximum in Feldmitte zu. Bei diesen Balken sind vertikal verlaufende Lamellen bei den Auflagern und bei der Krafteinleitung in Feldmitte notwendig um die konzentrierten Kräfte aufzunehmen und in den Steg weiterzuleiten. Die für diese Elemente erforderliche Materialmenge bewirkt eine Abnahme der Effizienz bei sehr kleinen Schlankheiten. Auch bei den Balken mit Rechteckquerschnitt ist es möglich die Breite oder die Höhe zu verändern. Im ersten, effizienteren Fall, ist die Höhe bei den Auflagern erforderlich, um diejenigen inneren Kräfte, welche bei den Fachwerken von den Diagonalen (massgebende Kraft) aufgenommen werden, zu übernehmen. Ein Tragwerk ist nicht nur effizient, wenn die für den Tragwiderstand zuständige Materialmenge klein ist, sondern auch wenn seine Steifigkeit möglichst gross ist. Im gegenüberliegenden Diagramm sind die Durchbiegungen in Feldmitte für die behandelten Balken wiederum in Funktion der Schlankheit dargestellt. Die Kurven der früher bereits behandelten Tragwerke sind zu Vergleichszwecken ebenfalls dargestellt. Die Balken mit konstantem Querschnitt, bei denen ein beträchtlicher Anteil des Materials überflüssig ist, weisen kleinere Durchbiegungen auf. Dieses Material, welches in Bezug auf den Tragwiderstand nicht notwendig wäre, hat somit einen positiven Einfluss auf die Verformungen. Es ist jedoch zu bemerken, dass eine Verschiebung dieses Materials in Richtung der stärker beanspruchten Bereiche die Effizienz der Balken weiter steigern könnte. konstanter Rechteckquerschnitt Mögliche Querschnittsvariationen bei in Feldmitte belasteten Balken Rechteckquerschnitt mit veränderlicher Höhe konstanter Doppel-T-Querschnitt Rechteckquerschnitt mit veränderlicher Breite Doppel-T-Querschnitt mit veränderlichen Flanschen veränderlicher Querschnitt konstanter Querschnitt Durchbiegungen in Feldmitte infolge einer konzentrierten Last in Feldmitte in Funktion der Schlankheit l/h (maximale Einheitsdehnung des Materials: ε=0.001) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -152-

153 Einfache Balken unter konzentrierten und verteilten Lasten Wie bei den Fachwerken werden wir den Begriff einfacher Balken für einen, auf zwei an den Enden angesiedelten Auflagern gelagerten, Balken verwenden. Die Betrachtungen über den Tragwiderstand, die Steifigkeit und über die Effizienz, welche eben für Balken unter konzentrierten Lasten erfolgt sind, sind selbstverständlich auch sinngemäss für Balken unter verteilten Lasten gültig. Wenn einerseits die Tragweise mit all ihren Aspekten mit Hilfe eines in das Tragwerk eingeschriebenen Fachwerks verstanden werden kann, so können andrerseits auch die wichtigsten inneren Beanspruchungen mit Hilfe des hybriden Seilsystems beschrieben werden. In den gegenüberliegenden Bildern sind die Konstruktionen eines Fachwerks und der hybriden Seiltragwerke für einen Balken unter einer konzentrierten Last in Feldmitte und für einen Balken unter einer gleichmässig verteilten Last dargestellt. Sobald die wirksame Höhe z, welche in erster Linie von der Form des Querschnitts abhängt, festgelegt ist, ist es möglich die inneren Kräfte in der Zug- und in der Druckzone zu quantifizieren. Einfacher Balken unter konzentrierter Last in Feldmitte Unter Berücksichtigung der Affinität zwischen dem Dreieck des Cremona-Plans und dem Dreieck bestehend aus der wirksamen Höhe z und dem Abstand l/2, erhalten wir, wie wir bei der Behandlung der Seile bereits gezeigt haben, auch für den Balken unter konzentrierten Lasten: Q l N. 4 z Die Grösse N ist einerseits die innere Kraft des Zugglieds des hybriden Seiltragwerks, und andrerseits auch die maximale Kraft in der Druckzone und in der Zugzone in Feldmitte des Balkens. Der Fall mit den verteilten Lasten kann auf den eben behandelten zurückgeführt werden, indem die konzentrierte Last Q als Resultierende der gesamten verteilten Lasten q l betrachtet wird und berücksichtigt wird, dass die Pfeilhöhe des Bogens für die Resultierende doppelt so gross ist wie diejenige des parabolischen Bogens. Nach Ersetzen von Q durch q l und z durch 2 z in der oberen Beziehung erhalten wir die neue Beziehung: 2 q l N. 8 z Wenn wir die beiden Beziehungen miteinander vergleichen, erkennen wir, dass die Beanspruchungen halbiert werden, wenn die Last über die gesamte Balkenlänge verteilt wird. Dies erklärt sich dadurch, dass die Last, welche in der Nähe der Auflager angreift, den mittleren Teil des Balkens weniger stark beansprucht. Diese Ausdrücke können auch hergeleitet werden, indem man das maximale Biegemoment durch die wirksame Höhe z dividiert. Einfacher Balken unter verteilter Last Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -153-

154 Konsolen Auch die Konsolen können untersucht werden, indem ein Fachwerk eingeschrieben wird und ein hybrides Seiltragwerk untersucht wird, welches zum Beispiel aus einem unteren Bogen und einem oberen Zugglied besteht. Aus den Gleichgewichtsbedingungen des Zugglieds können wir direkt seine innere Kraft ermitteln. Diese entspricht den maximalen Druck und Zugkräften des Fachwerks und auch des Balkens. Im Fall einer konzentrierten Last am Ende der Konsole erhalten wir: Q l N. z Konsole unter einer konzentrierten Last Q Für die Konsole unter einer verteilten Last erhalten wir dagegen, unter Berücksichtigung, dass die Resultierende q l in der Mitte der Konsole angreift: 2 q l N. 2 z Die Widerstände der Konsolen können ermittelt werden, indem diese Beanspruchungen den Widerständen der Zug- und der Druckzone gegenübergestellt werden. Wie wir gesehen haben, gilt N Rd =f d t h/2 und z = h/2 für rechteckige Querschnitte und N Rd =f d b t f und z = h t f für Doppel-T-Querschnitte mit dünnen Stegen. Konsolen, bei welchen die Querschnittsflächen dem Verlauf der inneren Kräfte folgen, weisen eine Konzentration des Materials vor allem im Einspannbereich auf, während der Querschnitt am Ende dünner werden kann. Konsole unter einer verteilten Last q Ein typisches Beispiel hierfür ist die Form des Stammes eines Baumes, dessen Hauptfunktion darin besteht, die horizontalen Windkräfte aufzunehmen und in den Baugrund abzuleiten. Sehr hohe Gebäude sind ebenfalls hauptsächlich durch Windkräfte belastet. Deshalb weisen Türme oft eine Variation der Querschnitte auf, ähnlich dem Querschnittsverlauf der Bäume. Bäume, bei welchen die Form des Stamms dem Verlauf der inneren Beanspruchung folgt (Pinus L., Prunus L., Quercus robur und Tilia cordata) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -154-

155 Das Studium der Fachwerke mit ihren inneren Beanspruchungen erlaubt ebenfalls die Verformungen abzuschätzen. Wenn wir berücksichtigen, dass die obere Zugzone die Tendenz hat, sich zu verlängern und die untere Druckzone dazu neigt, sich zu verkürzen, verstehen wir, dass sich die Konsole nach unten durchbiegt. Im Gegensatz zum einfachen Balken, wo das Krümmungszentrum oberhalb des Balkens liegt, befindet sich dieses bei den Konsolen unterhalb des Tragwerks. Verlängerung Verkürzung Im Weiteren, da die Beanspruchungen von ihrem Maximalwert bei der Einspannung gegen das Ende hin zu null abnehmen, wird auch die Krümmung den gleichen Verlauf annehmen. Um generell zu verstehen, wie sich ein Balken verbiegt, reicht es, die Beanspruchungen zu betrachten: Das Krümmungszentrum befindet sich stets auf derjenigen Seite des Balkens, welche unter Druck beansprucht ist. Balken mit Konsolen (Auskragungen) maximale Krümmung Krümmungszentrum Krümmung null Genau wie bei den Fachwerken, erhalten wir auch bei den Balken durch die Ergänzung von einer oder zwei Konsolen eine Reduktion der Beanspruchungen im Feld. Wenn die Lasten gleichmässig über die Länge des gesamten Balkens verteilt sind, erhält man umso kleinere Beanspruchungen im Feld und umso grössere Beanspruchungen über den Auflagern, je länger die Konsolen sind. Im gegenüberliegenden Bild sind hybride Seiltragwerke für verschiedene Verhältnisse l /l (l ist die Länge der Konsole, und l diejenige des Balkens) unter einer gleichmässig verteilten Last dargestellt. Der Verlauf des Bogens im Feld ist immer gleich (konstante Pfeilhöhe f), so dass auch die Kraft im Zugglied für alle dargestellten Beispiele gleich ist. In den fünf abgebildeten Beispielen variiert die Länge l der Konsole. Die Konsole bewirkt die Aktivierung des Zugglieds und eine Unterteilung der Pfeilhöhe im Feld in eine obere Komponente, welche proportional ist zu den inneren Kräften in Feldmitte, und eine untere Komponente, welche proportional ist zu den inneren Kräften über den Auflagern. Auf diese Art und Weise variieren auch die inneren Kräfte im Balken. Erinnern wir uns daran, dass die Pfeilhöhe proportional zur Beanspruchung im Fachwerk mit parallelen Gurten oder im Balken ist. Die Wirkung einer Konsole mit mässiger Länge ist also vorteilhaft auf die Beanspruchung im Balken: Sie reduziert die Beanspruchung im Feld, wo die Gurtkräfte im Allgemeinen massgebend sind, und erhöht sie in der Zone der Auflager. Wenn l die Hälfte der Spannweite l erreicht, befindet sich der Bogen überall unterhalb des Zugglieds: die Beanspruchung in Feldmitte verschwindet vollständig. Dieser Spezialfall kann als vier Konsolen interpretiert werden, welche sich paarweise im Gleichgewicht halten. Beanspruchungen, Verformungen und Durchbiegung einer Konsole Balken mit Konsolen: zugehörig Seiltragwerke und Verformung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -155-

156 In diesem Fall wird verschwindet die vorteilhafte Wirkung der Konsole vollständig, weil die Beanspruchung im Bereich der Auflager, welche nun massgebend geworden ist, dieselbe Intensität erreicht hat wie diejenige eines Balkens ohne Konsolen in Feldmitte. Ein anderer Spezialfall liegt vor, wenn l ungefähr den Wert 0.35 l (exakt l/ 8 ) annimmt und die Pfeilhöhe im Feld derjenigen über den Auflagern entspricht. Dieser Fall ist interessant wenn der Balkenquerschnitt konstant ist: das Tragwerk ist dann in gleichem Masse im Feld und über den Auflagern ausgenützt, und die erforderliche Materialmenge kann auf diese Weise reduziert werden, wenn das Kriterium der Tragsicherheit für die Querschnittsabmessungen massgebend ist. Im Bild auf der vorherigen Seite sind die Seiltragwerke und auch die Balken mit den relativen Krümmungen und den resultierenden Verformungen dargestellt. Es ist interessant zu sehen wie die Konsolen die Verdrehungen über den Auflagern beeinflussen: Balken mit kurzen Konsolen weisen Verdrehungen mit Drehrichtung gegen das Zentrum des Balkens auf, während Balken mit längeren Konsolen (l grösser als ca. 0.4 l bei konstantem Querschnitt) über den Auflagern Verdrehungen in die entgegengesetzte Richtung erfahren. Schwanz Schwanz Schwanz Kopf Kopf Kopf D Arcy W. Thompson stellte 1917 in seiner Arbeit Entwicklung und Form fest, welche verschiedenen Formen die Organismen der Tierwelt aufweisen, welche dem Verlauf der statischen Beanspruchungen folgen. Insbesondere die Vierbeiner, sowohl die Säugetiere als auch die Reptilien, können vom statischen Standpunkt als Balken mit zwei Konsolen, nämlich dem Kopf und dem Schwanz, angesehen werden. Thompson stellt die Diagramme der Biegemomente verschiedener Vierbeiner dar und beschreibt ihre Analogie mit der tatsächlichen Form der Tiere (siehe gegenüberliegendes Bild). Die Diagramme der Biegemomente haben den genau gleichen Verlauf wie die hybriden Seiltragwerke. Diese Analogien sind perfekt kompatibel mit der Evolutionstheorie: bei zunehmender Beanspruchung des Balkens entwickelt sich das Lebewesen weiter, indem es die Höhe seines Tragwerks anpasst so dass die Knochen, welche die inneren Druckkräfte aufnehmen, und die auf Zug beanspruchten Sehnen nicht überbeansprucht werden. Eine Tierart ist somit in der Lage seine eigene Effizienz zu erhöhen und dadurch seine Überlebenswahrscheinlichkeit zu vergrössern. Diagramme der Biegemomente dargestellt von D Arcy W. Thompson (Analogie mit den Seiltragwerken bestehend aus Bögen und Zuggliedern) für einen Dinosaurier mit einem langen und schweren Schwanz (Stegosaurus), für ein Pferd oder ein Rind und für Vierbeiner mit langem Hals und schwerem Kopf (Titanotherium) In der gleichen Weise kann auch in der Architektur die Formgebung eines Balkens so gewählt werden, dass mehr Material dort angeordnet wird, wo die Beanspruchung grösser ist. Beispiel eines Balkens mit einer der Beanspruchung angepassten Materialverteilung, Projekt für den Flughafen Rom, 1957, Arch. + Ing. P. L. Nervi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -156-

157 Gerberträger Genau wie bei den Fachwerken können wir auch einfache Balken und Balken mit Konsolen so zusammensetzen, dass ein einziges Tragwerk entsteht welches sich über mehrere Auflager ausbreitet. Das Kriterium, das wir eingeführt haben um die statische Unbestimmtheit eines Fachwerks zu überprüfen (siehe Seite 107), kann auch bei den Balken angewendet werden. Das im gegenüberliegenden Bild dargestellte Tragwerk weist 6 Auflagerkräfte, 4 Stäbe (bzw. Balken) und 5 Knoten auf, es ergibt sich somit = 2 5. Wir können dieses System beliebig vergrössern, indem wir jeweils zwei Balken und zwei Auflager ergänzen. Da jedem Paar Balken, das ergänzt wird, zwei zusätzliche Knoten entsprechen, wird die Gleichung zu = 2 7, = 2 9 und so weiter. Die Lasten, welche auf die kurzen Balken wirken, werden über die Konsolen auf die langen Balken übertragen, welche somit stärker beansprucht werden als bei den vorher behandelten Balken. Wenn wir wollen, dass in einem Gerberträger unter gleichmässig verteilten Lasten die Beanspruchungen in Feldmitte der kurzen Balken die gleiche Intensität haben wie die langen Balken über den Auflagern, dann müssen wir das Verhältnis l /l, das wir früher definiert haben, reduzieren. Es beträgt in diesem Fall ca Statisch bestimmter Gerberträger Gerberträger mit gleichen Beanspruchungen in Feldmitte und über den Auflagern Es ist nützlich, dieses Verhältnis zu wählen, wenn die Höhe der Balken über die gesamte Länge des Tragwerks konstant gehalten wird: die massgebenden Bereiche, d.h. über den Auflagern und in den Feldern, haben dann die gleiche Beanspruchung des Materials. Es ist selbstverständlich auch bei den Gerberträgern möglich, die Höhe der Balken so zu wählen, dass sie sich dem Verlauf der Beanspruchungen anpasst. Beim im gegenüberliegenden Bild dargestellten Beispiel erreichen die kurzen, auf die Konsolen aufgelegten Balken, ihre grösste Höhe in Feldmitte. Theoretisch befinden sich bei Gerberträgern unter verteilten Lasten die Orte der minimalen Beanspruchung der langen Träger dort, wo die Druckbogen des hybriden Seiltragwerks die Zugglieder schneiden. Auch in diesem Fall, genau wie bei den bereits behandelten Seitenfeldern der Brücke von H. Gerber (siehe Seite 134), muss in diesen Bereichen eine genügende Höhe gewählt werden, damit das Gleichgewicht unter variablen Lasten gewährleistet bleibt. Autobahnbrücke über. in der Nähe von Bologna, 1958, Ing. R. Morandi Durchlaufträger Wenn wir einen einzigen langen Balken über die beim eben behandelten Gerberträger vorhandenen Auflager anordnen, erhalten wir ein statisch unbestimmtes System: > 2 2. Da wir die Gelenke entfernt haben, haben die Bögen des hybriden Seiltragwerks in diesen Bereichen eine undefinierte Lage, und die Kreuzungspunkte mit den Zuggliedern sind unbekannt geworden. Es ist tatsächlich möglich, unendlich viele verschiedene hybride Seiltragwerke anzuordnen, welche alle im Gleichgewicht mit den äusseren Lasten sind. Statisch unbestimmter Durchlaufträger und mögliche zugehörige Seiltragwerke Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -157-

158 In Wirklichkeit passt zu jedem Beanspruchungszustand ein genau definiertes hybrides Seiltragwerk. Dieses hängt jedoch nicht nur von den äusseren Lasten ab, sondern auch von den mechanischen Eigenschaften des Materials, vom Steifigkeitsverlauf über die Länge des Tragwerks und von einer ganzen Serie weiterer Effekte wie zum Beispiel Temperaturveränderungen, Auflagerverschiebungen (z.b. Setzungen) und so weiter. Wenn wir annehmen, dass ausser den äusseren Lasten keine andere Belastung vorhanden ist (wenn die äusseren Lasten entfernt werden, ist die Beanspruchung in jedem Punkt des Balkens null), dass sich das Material linear-elastisch verhält, und dass der Querschnitt einschliesslich seiner Steifigkeit über die gesamte Länge des Balkens konstant ist, dann entspricht das zugehörige hybride Seiltragwerk einem durchlaufenden Balken mit regelmässigen Spannweiten unter gleichmässig verteilter Belastung, bei welchem der Abstand zwischen dem Bogen und dem Zugglied in Feldmitte 1/3 der gesamten Pfeilhöhe entspricht und über den Auflagern die restlichen 2/3 annimmt. In anderen Worten betragen die Beanspruchungen der Druck- und der Zugzone über den Auflagern die doppelten Werte gegenüber denjenigen in Feldmitte. Es ist zu bemerken, dass die Situation ähnlich ist wie bei den Balken mit Konsolen und bei den Gerberträgern: Im Feld ist der obere Bereich des Querschnitts auf Druck und der untere auf Zug beansprucht; über den Auflagern ist der obere Bereich auf Zug und der untere auf Druck beansprucht. In diesem Fall sind die Beanspruchungen gleich wie bei einem Balken mit Konsolen der Länge l = 0.4 l, bei welchem die Neigung der Biegelinie über den Auflagern null ist. Dies ist bedingt durch die Tatsache, dass auch beim Durchlaufträger mit gleichen Spannweiten der Bereich über den Auflagern aus Symmetriegründen symmetrisch bleiben muss. Die Randfelder würden, wenn sie gleich lang wären wie die Mittelfelder, grössere Beanspruchungen erfahren als diese, weil der Seilbogen das Zugglied erst bei den Randauflagern trifft und somit in Feldmitte einen grösseren Abstand zum Zugglied aufweist als in den Mittelfeldern. Dieser Effekt kann durch Reduktion der Randspannweiten eliminiert werden. Wenn die Randspannweiten 0.79-mal die Mittelspannweiten betragen, erhalten wir gleiche Beanspruchungen in allen Feldern. Beanspruchungen eines Durchlaufträgers mit konstanter Steifigkeit und linearelastischem Verhalten ausschliesslich durch gleichmässig verteilte Lasten beansprucht Zug Verlängerung Druck Verkürzung Verformungen eines Durchlaufträgers Druck Verkürzung Zug Verlängerung Auch wenn weitere Einflüsse berücksichtigt werden, bleiben die Beanspruchungen über den Auflagern generell grösser als in den Feldern. Ein Durchlaufträger mit an die Beanspruchungen angepassten Querschnitten weist somit grössere Querschnittshöhen über den Auflagern als in den Feldern auf. Dies bewirkt zusätzlich eine sich positiv auswirkende Konzentration der ständigen Lasten in der Nähe der Auflager. Durchlaufträger mit an die Beanspruchungen angepasster Querschnittshöhe Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -158-

159 Eingespannte Balken NFeld Wenn wir bei einem Durchlaufträger eine Mittelspannweite als Subsystem abtrennen, erhalten wir die im gegenüberliegenden Bild dargestellte Situation. Dort wo wir den Balken geschnitten haben müssen wir innere Kräfte einführen: Zugkräfte im oberen Balkenbereich und Druckkräfte im unteren Balkenbereich und eine Kraft im Zwischenbereich, welche der Auflagerkraft entspricht. Diese Kräfte sind sehr ähnlich wie diejenigen, die im Einspannbereich einer Konsole vorhanden sind. Wir können uns das Subsystem, welches wir abgetrennt haben, vorstellen als einen Balken, welcher an seinen beiden Enden in ein steifes Tragwerk eingespannt ist. NEinsp. NEinsp. NFeld NEinsp. NEinsp. Im Fall einer gleichmässig verteilten Belastung beträgt der Abstand zwischen Bogen und dem Zugglied im Einspannbereich 2/3 von f, was zu einer Druck- und Zugkraft von 2 q l N Einsp. 12 z führt, während in Feldmitte, wo der Abstand zwischen Bogen und Zugglied nur halb so gross ist, die Kraft auch halbiert ist: N Feld 2 q l. 24 z Eingespannter Balken, Beanspruchungen unter gleichmässig verteilter Last (linearelastisches Material, konstante Steifigkeit) Auch die Verformungen sind kompatibel mit dieser neuen Situation: genau wie beim Durchlaufträger mit regelmässigen Spannweiten und gleichmässig verteilten Lasten ist auch beim eingespannten Balken, wenn das Auflagesystem genügend steif ist, der Drehwinkel an den Einspannpunkten gleich null. Das gegenüberliegende Bild zeigt ein Tragwerk, bei welchem die Balkenhöhe der Intensität der Beanspruchungen angepasst ist. Wie wir sehen, ist der Balken im Bereich der Einspannung viel höher als im Feld. In der Wirklichkeit stimmen bei einem solchen Balken die weiter oben hergeleiteten Beziehungen nicht mehr, und die Beanspruchungen im Einspannbereich sind mehr als doppelt so gross wie in Feldmitte. Dies ist das Resultat der ständigen Lasten, welche sich im Bereich der Auflager konzentrieren und vor allem der viel grösseren Steifigkeit der hohen Querschnitte, welche eine Erhöhung der Beanspruchungen im Einspannbereich und eine Reduktion im Feldbereich bewirken. ( Beim eben behandelten Beispiel ist der Balken in zwei sehr steife vertikale Tragelemente eingespannt, welche ihrerseits in zwei festen Auflagern gehalten sind. Streng genommen müsste ein solches Tragwerk als Rahmen betrachtet werden. Wir wollen zuerst noch die eingespannten Balken genauer untersuchen, bevor wir die Rahmen behandeln. ) Brücke über die Donau bei Ulm, 1950, Ing. U. Finsterwalder (l = m, h Feld = 4.28 m, h Einspannung = 1.2 m) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -159-

160 Stärker und schwächer beanspruchte Bereiche der Balken Bei der Behandlung der Fachwerke haben wir gesehen, wie die am stärksten beanspruchten Stäbe lokalisiert werden können mit Hilfe des zugehörigen hybriden Seiltragwerks: die Beanspruchungen der Gurte sind proportional zum Abstand zwischen Bogen und Zugglied und die Beanspruchung der Diagonalen ist am grössten, dort wo der Bogen die grösste Neigung aufweist. Dieses Vorgehen gilt selbstverständlich auch bei den Balken. Zwischenzone Druckzone Zugzone Zwischenzone Zugzone Zwischenzone Druckzone Im gegenüberliegenden Bild sind die Bereiche grösster Beanspruchung für die gebräuchlichsten Balken dargestellt: einfache Balken, Konsolen und eingespannte Balken. Diese drei Elemente können angesehen werden als Bestandteile von Balken mit Konsolen, Gerberträgern und Durchlaufträgern. Die Kenntnis der am stärksten beanspruchten Bereiche ist sehr hilfreich bei der Bemessung, und Aussparungen oder sonstige Schwächungen sollten in diesen Bereichen vermieden werden. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll, die am schwächsten beanspruchten Bereiche zu erkennen: eventuelle Aussparungen in diesen Bereichen sind meist belanglos für das Tragwerk. Zugzone Zwischenzone Druckzone Druckzone Zugzone Zugzone Zwischenzone Druckzone Am stärksten beanspruchte Bereiche bei den einfachen Balken, bei den Konsolen und bei den eingespannten Balken Im gegenüberliegenden Bild sind einige vorteilhafte Positionen zur Anordnung von Aussparungen und Schwächungen angegeben. Es ist zu bemerken, dass auch in Bereichen kleinerer Beanspruchung, wenn diese geschwächt werden, ein alternativer Kraftfluss gefunden werden muss. Aussparungen in Bereichen geringer Beanspruchung Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -160-

161 Rahmen Wir wollen nun einen Balken untersuchen, der zwischen zwei vertikalen, sehr steifen Elementen eingefügt ist, welche als Pfeiler bezeichnet werden. Die Pfeiler liegen auf zwei fixen Auflagern. Das gesamte Tragwerk wird Rahmen genannt. Ein Rahmen ist demzufolge ein Tragwerk, bei welchem horizontale Tragelemente (Balken oder Riegel) und vertikale Elemente (Pfeiler oder Stützen) monolithisch miteinander verbunden sind, sodass ein einziges Tragwerk entsteht. Die Tragweise ist dieselbe wie jene eines Bogens, bei welchem die Wirkungslinie der inneren Kräfte ausserhalb des Materials liegt. Mit anderen Worten handelt es sich beim Rahmen um einen Bogen, dessen Form merklich von jener des Seilpolygons unter ständigen Lasten abweicht. Rahmen mit zwei Gelenken Bei der Brücke über die Marne in Luzancy haben wir es mit einem Rahmen mit zwei Gelenken zu tun. Es liegt somit, wie bei den Bögen, ein statisch unbestimmtes System vor. Das Seilpolygon der Lasten muss durch die zwei Gelenke am unteren Rand des Tragwerks verlaufen, sodass die Spannweite gegeben ist, während die Pfeilhöhe unbestimmt ist. Die nebenstehende Skizze zeigt ein mögliches Seilpolygon unter ständigen Lasten. Bei einer Erhöhung der Temperatur neigt das Polygon dazu, sich zu senken, während es sich anhebt, wenn die Temperatur zurückgeht, oder wenn der Untergrund leicht nachgibt, so dass ein Auseinanderschieben der Pfeilerfundamente verursacht wird. Wir haben bereits gesehen, wie die Tragweise eines Tragwerks dieser Art mit Hilfe von auf Zug und auf Druck beanspruchten Bereichen beschrieben werden kann. Dort, wo das Seilpolygon innerhalb des Materials verläuft, sind nur innere Druckkräfte vorhanden, während in den Bereichen, wo das Seilpolygon das Material verlässt, ein auf Druck beanspruchter Bereich entlang des näher am Seilpolygon gelegenen Randes und ein auf Zug beanspruchter Bereich auf der gegenüberliegenden Seite vorhanden ist. Wir haben sowohl die inneren Kräfte in einem eingespannten Balken als auch die Druck- und Zugbeanspruchungen in den Pfeilern bereits beschrieben. In dieser Brücke sind die Pfeiler so gestaltetet, dass nur dort Material vorhanden ist, wo es benötigt wird, mit äusseren Zugbändern und inneren auf Druck beanspruchten Elementen. Im Einspannbereich verbinden sich die auf Druck und auf Zug beanspruchten Bereiche an den Rändern des Balkens mit den Elementen der Pfeiler, welche in gleicher Weise beansprucht sind. Da die jeweiligen Kräfte nicht auf derselben Wirkungslinie liegen, entstehen zwei Umlenkkräfte, welche mit einem diagonalen, auf Druck beanspruchten Element aufgenommen werden können. Erstes Projekt für die Brücke von St. Pierre in Vauvray mit den Wirkungslinien der Kämpferkräfte (Rahmen mit drei Gelenken) und Längsschnitt der Brücke über die Marne in Luzancy (Rahmen mit zwei Gelenken), 1945, Ing. E. Freyssinet Seilpolygon und innere Beanspruchung der Brücke von Luzancy Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -161-

162 Rahmen mit drei Gelenken Nebenstehende Darstellung zeigt einen Rahmen mit drei Gelenken. Da das System statisch bestimmt ist, ist die Pfeilhöhe definiert. Das Seilpolygon muss in der Tat durch die drei Gelenke verlaufen und wird somit nur durch die Lasten beeinflusst, während Temperaturunterschiede und eine Verschiebung der Auflager keinen Einfluss auf die innere Beanspruchung haben. Wie beim vorhergehenden Beispiel handelt es sich auch in diesem Fall um eine Brücke aus Spannbeton. Die Druckbeanspruchungen werden mit den Betonelementen aufgenommen, während für die Aufnahme der Zugbeanspruchungen Spannkabel mit sehr hoher Zugfestigkeit erforderlich sind. Wie nebenstehende Skizze zeigt, entspricht die Anordnung der Spannkabel genau dem Verlauf der Zugkräfte: auf der äusseren Seite der Pfeiler und auf dem Gewölberücken des Balkens. Weitere Spannkabel sind vertikal in den Stegen des Balkens. Das skizzierte System mit Bögen und Zugbändern entspricht einem hybriden Seiltragwerk, welches, wie wir bei den Fachwerken gelernt haben, die Tragwirkung vereinfachend beschreibt. Die tatsächliche Tragwirkung wird besser mit Hilfe eines Fachwerks beschrieben: die vertikalen Kabel, welche wir beobachten können, entsprechen den Pfosten des Fachwerks, welche erforderlich sind um die zugehörigen Zugkräfte aufzunehmen. Im Fachwerk haben wir andererseits den Obergurt, welcher in diesem Fall auf Zug beansprucht ist, und den Untergurt, welcher auf Druck beansprucht ist. Im tatsächlichen Querschnitt sind die Gurte in der Fahrbahnplatte und in der unteren Platte des Brückenkastens angeordnet. Im Gegensatz zum hybriden Seiltragwerk variieren die Kräfte in den Fachwerkgurten merklich entlang ihrer Länge. Dies ist ebenfalls bei der Brücke, welche wir gerade untersuchen, gut sichtbar: die Spannkabel in der Fahrbahn sind vor allem im Einspannbereich konzentriert und die Dicke der unteren Betonplatte variiert von einigen Zentimetern in der Nähe des mittleren Gelenkes bis zu 100 cm bei der Einspannung, wo die innere Druckbeanspruchung viel grösser ist. Brücke über den Fluss Tagliamento in Pinzano, 1969, Ing. S. Zorzi (Rahmen mit drei Gelenken, l = 163 m, hfeld = 2.50 m, hüber Stütze = 7.00 m), Verlauf der Vorspannkabel und Beschreibung der Funktionsweise mit Hilfe eines Bogens und eines Fachwerkes Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -162-

163 Form und Beanspruchung Die nebenstehende Darstellung zeigt einen anderen Rahmen mit drei Gelenken in einer ganz anderen Situation. Die Stahlkonstruktion der berühmten Galerie des Machines für die Weltausstellung in Paris von 1889 besteht aus einer Reihe von Rahmen, in denen alle Elemente die Form von Fachwerken haben. Die Form leitet sich besonders aus funktionellen Erwägungen ab. Das Ziel war in der Tat, in dieser gigantischen Halle das Emblem der industriellen Revolution schützend unterzubringen, dargestellt durch die grossen Maschinen und die Produkte der Schwerindustrie. Um das allgemeine Verhalten der Struktur abzuschätzen müssen wir auch die durch den Wind dargestellten veränderlichen Lasten in Betracht ziehen, die in einer ziemlich leichten Struktur wie dieser nicht unbedeutend sind. Wie nebenstehendes Schema zeigt, nähert sich das Seilpolygon dem Element des Halbbogens, welcher vom Wind beansprucht wird, während es sich vom andern Halbbogen entfernt. Dieses Element ist somit am stärksten beansprucht, einerseits weil die Druckbeanspruchung an dieser Stelle grösser ist, andererseits weil das Seilpolygon der Lasten dort noch exzentrischer ist. Galerie des Machines für die Weltausstellung von 1889 in Paris, Arch. F. Dutert, Ing. V. Contamin (l = 115 m, f = 43 m, Länge des Schiffes = 420 m) Galerie des Machines: Seilpolygone, welche den ständigen Lasten, der Windeinwirkung und der Überlagerung der zwei Einwirkungen entsprechen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -163-

164 Die nebenstehend dargestellte Struktur ist ein gutes Beispiel einer Form, welche sowohl an die Aufnahme der ständigen Lasten als auch an jene der massgebenden veränderlichen Lasten angepasst ist. Der Grundsatz ist jenem des Eiffel Turmes ähnlich: Die Neigung der Pfeiler wird so gewählt, dass eine ideale Aufnahme der horizontalen Einwirkungen infolge Wind- oder Erdbebeneinwirkungen gewährleistet ist. Wirkt die Resultierende der horizontalen Einwirkungen ungefähr auf den Schwerpunkt des Gebäudes, so entstehen innere Druck- und Zugkräfte welche den Druckbeanspruchungen unter ständigen Lasten überlagert sind. Das ergibt zwei Druckstreben, die im Innern der Querschnitte der Pfeiler bleiben. Trotz seiner Form kann das Tragwerk, vom rein strukturellen Standpunkt aus betrachtet, als ein Bogen angesehen werden. Die Situation ist anders, wenn die horizontale Einwirkung wie im gegenüberliegenden Bild an einem tiefer gelegenen Punkt angreift. Es ergeben sich Zugkräfte, die durch eine Bewehrung aus Stahl aufgenommen werden müssen. Man kann erkennen, dass die Abmessungen der Pfeilerquerschnitte variieren, um sich so gut wie möglich dieser Belastung anzupassen. Wie wir später sehen werden, liegt im oberen Teil des Gebäudes, wo die Pfeiler vertikal sind, ebenfalls ein Tragwerk vor, das unter den horizontalen Einwirkungen wie ein Rahmen mit stark exzentrischen Seilpolygonen wirkt. Wir wollen noch ein anderes Beispiel untersuchen, bei welchem das Tragwerk vorwiegend die Rolle eines stabilisierenden Elementes spielt, mit der Möglichkeit die horizontalen Einwirkungen aufzunehmen. Das stählerne Tragwerk der Cachat-Quelle in Evian, projektiert von Jean Prouvé, erfüllt diese Funktion optimal. Sie stellt eine interessante Alternative dar, wenn man das Tragwerk nicht im Erdreich einspannen will, und wenn die diagonalen, typischen fachwerkartigen Windverbände vermieden werden sollen. In diesem Fall haben wir einen asymmetrischen Rahmen mit drei Gelenken. Ein Element wird vollkommen auf die Resultierende ausgerichtet, welche durch das Gelenk beim Fundament und durch das Scheitelgelenk verläuft, so dass es nur mit zentrischen Zugkräften beansprucht wird, oder mit zentrischen Druckkräften, wenn der Wind in entgegengesetzter Richtung weht. Im anderen Element treten dagegen grosse Exzentrizitäten auf und dieser Zustand wird mit grosszügigen Abmessungen veranschaulicht. Sitz der UNESCO in Paris, 1952, Arch. M. Breuer und B. Zehrfuss, Ing. P.L. Nervi Sitz der UNESCO: Abtragung der Belastungen infolge ständiger Lasten und Wind Sitz der UNESCO: Abtragung der Belastungen infolge einer horizontale Kraft, welche auf Höhe des ersten Stockwerks angreift Getränkeausschank der Quelle Cachat in Evian, 1956, Arch. M. Novarina, Konstrukteur J. Prouvé Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -164-

165 Wir können beobachten, dass zahlreiche uns vertraute Gebrauchsgegenstände vom statischen Standpunkt aus gesehen als Rahmen betrachtet werden können. Die nebenstehenden Fotos zeigen verschiedene, von Jean Prouvé gebaute Möbel aus gewalztem und gefaltetem Metallblech. Diese Möbel sind alle durch eine Anlehnung der Form an die statischen Bedürfnisse charakterisiert. Rahmen über mehrere Felder Wir wollen nun ein Tragwerk untersuchen, welches aus zwei nebeneinander liegenden Rahmen mit einem gemeinsamen Pfeiler zusammengesetzt ist. Wie das Seilpolygon unter ständigen Lasten zeigt, befindet sich in den Pfeilern die grösste Exzentrizität im oberen Bereich, sodass hier eine grössere statische Stärke gewählt worden ist. Mit einer gefalteten Oberfläche erhält man, obschon das Tragwerk recht leicht ist, eine grosse statische Höhe zwischen dem gezogenen dem gedrückten Bereich. Eine Platte, die entsprechend den gedrückten Zonen wellenförmig verläuft, ist im Dach zur gefalteten Struktur hinzugefügt worden, um die statische Effizienz zu steigern und den Beton am bestmöglichen Ort zur Aufnahme der Druckkräfte anbringen zu können. Das Parthenon kann, wie alle griechischen Tempel, im Sinne der Statik ebenfalls als Rahmen angesehen werden. Unter dem Einfluss der ständigen Lasten ist die Tragwirkung sehr einfach. Die Querbalken (Architrave) bestehen aus mehreren Blöcken aus Marmor, die sich verhalten wie Balken, welche an ihren Enden von Pfeilern (Pilastern) unterstützt sind. Diese Blöcke werden also sowohl auf Druck als auch auf Zug beansprucht. Sie sind ziemlich gedrungen, um die inneren Kräfte gering zu halten und um der schwachen Zugfestigkeit des Materials gerecht zu werden. Möbel aus gewalztem und gefaltetem Metallblech, 1951, J. Prouvé Konferenzsaal des Komplexes der UNESCO in Paris, 1952, Arch. M. Breuer und B. Zehrfuss, Ing. P.L. Nervi Konferenzsaal des Komplexes der UNESCO mit Seilpolygon der Lasten Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -165-

166 Die beschriebene Tragwirkung ist einfach, aber wenig effizient, da die verschiedenen Blöcke des Tragwerks gegenseitig nur Druckkräfte über Kontakt übertragen können. Wäre das Tragwerk monolithisch ausgebildet, wie es beim Konferenzsaal des Komplexes der UNESCO in Paris der Fall ist, so würde sich eine komplexere Tragwirkung einstellen. Unter den horizontalen Wind- und vor allem Erdbebeneinwirkungen nähert sich das Verhalten des Tragwerks demjenigen eines Rahmens. Die Resultierende im Innern der Pfeiler kann geneigt ausgebildet sein und so der äusseren Einwirkung mit ihrer horizontalen Komponente entgegenwirken. Die Stabilität ist gewährleistet, solange die Resultierende im Inneren des Pfeilers bleibt. Man kann beobachten, dass in den griechischen Tempeln die oft sehr massiven Tragelemente im allgemeinen nicht mit den Säulen zusammenarbeiten, da die Verbindung zwischen den erwähnten Elementen mit Hilfe von relativ schwachen und weichen Holzelementen ausgeführt ist. Obwohl die Querbalken (Architrave) sehr wenig beansprucht sind, sind einige Elemente im Laufe der Zeit gerissen; die Tragwerke sind jedoch erstaunlicherweise nicht eingestürzt. Die Erklärung liegt darin, dass das gerissene Element noch als Bogen wirken kann, der in der Lage ist, seinen Kämpferschub dank der geneigten Druckkraft in den Säulen ins Erdreich abzutragen. Parthenon in Athen, Griechenland, v. Chr., Ictinos, Callicrates und Phidias Verhalten der Säulenreihe eines griechischen Tempels unter ständigen Lasten und mit Wind- oder Erdbebeneinwirkung sowie unter ständigen Lasten im Fall des gerissenen Architravs Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -166-

167 Übereinander liegende Rahmen Wir wollen nun zu den oberen Stockwerken des UNESCO-Gebäudes in Paris zurückkommen, indem wir uns auf die Tragwirkung unter horizontalen Windlasten konzentrieren. Das Tragwerk setzt sich aus einer Reihe übereinander liegender vertikaler Pfeilerrahmen zusammen. Wir beginnen unsere Studie mit dem Element des obersten Stockwerks; es handelt sich um einen einfachen Rahmen ohne Gelenke. Nebenstehendes Schema zeigt eine mögliche Lösung mit den Resultierenden in der Druck- und in der Zugzone unter Windeinwirkung, sowie die zugehörigen Beanspruchungen der Querschnitte. Eine ähnliche Konstruktion kann für die Rahmen der unteren Stockwerke entworfen werden, welche alle dasselbe statische System aufweisen. Wir können das Tragwerk auch als Zusammensetzung zweier grosser Pfeiler interpretieren, die aus den Pfeilern der Rahmen bestehen und von den an den Rändern der Verbindungsbalken wirkenden Kräfte beansprucht werden. In der Tat erlauben die Balken mit ihren schräg wirkenden Zug- und Druckkräften (Einspannmomente), die Exzentrizitäten der Kräfte in den Pfeilern zu begrenzen und so ihre statische Effizienz deutlich zu erhöhen. Sitz der UNESCO in Paris, Beanspruchung der Rahmen in den höheren Stockwerken Sitz der UNESCO in Paris, Beanspruchung in den Pfeilern infolge Wind Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -167-

168 Rahmen über mehrere Spannweiten und Stockwerke Dasselbe Prinzip ist beim Pirelli-Hochhaus in Mailand übernommen worden. In diesem Fall sind die Pfeiler auch durch horizontale Balken miteinander verbunden. Diese haben die Funktion, die Exzentrizitäten der Beanspruchungen in den vertikalen Elementen zu vermindern. Sowohl bei den Pfeilern als auch bei den Verbindungsbalken sind die Abmessungen so gewählt worden, dass die Zugkräfte begrenzt sind, weil diese mit Hilfe von Stahlbewehrungen aufgenommen werden müssen. Diese statische Lösung wird oft bei Gebäuden ab einer gewissen Höhe benützt, sowohl in Stahl als auch in Stahlbeton. Man ordnet oft ein äusseres Rahmentragwerk an, zu welchem eine starre Fachwerkstruktur im zentralen Bereich des Gebäudes hinzukommt. Beide Elemente des Tragwerks nehmen, in Abhängigkeit ihrer Steifigkeit, einen Teil der horizontalen Lasten auf. Eine Lösung dieses Typs ist im gegenüberliegenden Bild dargestellt. Vierendeel-Träger Genau wie eine Reihe von Rahmen über mehrere Stockwerke in der Lage ist, horizontale Drücke aufzunehmen, ist eine ähnliche Struktur, als Träger horizontal angeordnet, in der Lage, vertikale Lasten aufzunehmen. Es handelt sich um die Tragwirkung des so genannten Vierendeel-Trägers, benannt nach dem belgischen Ingenieur, der dieses System Ende des 19. Jahrhunderts erfunden hat. Diese Balken, welche N-Fachwerken ohne Diagonalen ähnlich sind, weisen in Wirklichkeit ein sehr viel komplexeres Kräftespiel und auch wesentlich grössere innere Kräfte auf. Im Inneren der verschiedenen Elemente treten in Wirklichkeit Zug- und Druckkräfte mit beachtlichen Exzentrizitäten auf. Damit dieses System richtig funktionieren kann, müssen die Pfosten, im Gegensatz zu den Fachwerken, mit den Gurten steif verbunden sein. Wie nebenstehendes Schema zeigt, tritt eine in Bezug auf die Elementachse geneigte Druckkraft im Obergurt des als einfachen Balken gelagerten Trägers auf. Die in den Pfosten vorhandenen Kräfte lenken die Druckkräfte in den Gurten auf analoge Art und Weise um, wie bei den Pfeilern von übereinander liegenden Rahmen. Pirelli-Hochhaus in Mailand, 1956, Arch. G. Ponti, A. Fornaroli, A. Rosselli, G. Valtolina, E. Dall Orto, Ing. P.L. Nervi Innere Kräfte in den Elementen eines Vierendeel-Trägers (Druck im oberen Gurt und Zug im unteren Gurt mit den dazugehörenden Exzentrizitäten) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -168-

169 Trotz ihrer geringeren statischen Effizienz werden Vierendeel-Träger im Gegensatz zu den Fachwerken in der Architektur oft benutzt, weil die rechteckigen Öffnungen zwischen den Gurten und den Pfosten sich gut an die Anordnung von Türen und Fenstern anpassen lässt. Selbstverständlich können die Vierendeel-Träger auch, um die statische Effizienz zu erhöhen, übereinander angeordnet werden. Im unten dargestellten Beispiel wird die Trägerfassade nur durch einen zentralen Pfeiler unterstützt, sodass man zwei grosse auskragende Konsolen erhält. Obwohl die Lasten und Dimensionen beträchtlich sind, können die inneren Kräfte in Grenzen gehalten werden, einerseits dank der Verteilung der Belastungen auf mehrere Stockwerke, und andererseits dank der bedeutenden wirksamen Höhe. Villa in Jona, 1999, Arch. Bearth und Deplazes und D. Ladner, Ing. J. Buchli Projekt des neuen Rathauses von Nizza, 2000, Arch. L. Vacchini und S. Gmür, Ing. A. Muttoni Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -169-

170 Wandscheiben Wandscheiben Wenn Balken die gesamte Höhe eines Stockwerks einnehmen spricht man von Wandscheiben. Diese Tragelemente kennzeichnen sich durch eine sehr beschränkte Schlankheit (Verhältnis der Spannweite zur Höhe). Wenn dieses Verhältnis kleiner als circa 3 ist und die Auflager unterhalb des unteren Randes angeordnet sind, entspricht das Tragwerk demjenigen eines Bogens mit Zugband; es bilden sich dann im Innern der Wand keine eigentlichen Druck- und Zugdiagonalen wie beim Fachwerk des Balkens. In solchen Wänden hat es oft Öffnungen für Türen und Fenster. Aus statischer Sicht ist die vorteilhafteste Lage sicher in Feldmitte, wo sich zwischen Bogen und Zugglied ein ausgedehnter unbeanspruchter Bereich befindet. Eine Aussparung in Auflagernähe unterbricht dagegen den Bogen, und es muss ein alternatives Tragsystem gefunden werden. Es ist deshalb unbedingt notwendig, einen genügend hohen Bereich oberhalb der Tür oder des Fensters vorzusehen. Dieser so genannte Sturzbereich ist dann durch die Auflagerkraft als umgekehrte Konsole beansprucht.. Tragweise einer Wandscheibe mit einer Schlankheit < 3 Aus statischer Sicht optimale Lage für eine Aussparung Decke Wandscheibe Decke Tragweise einer Wandscheibe mit einer Aussparung in Auflagernähe Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -170-

171 Tragwände im Raum In Bezug auf ihr Tragverhalten können Tragwände aus Stahlbeton mit einer großen Freiheit räumlich zusammengesetzt werden. Dieser Grundsatz wird im nebenstehenden Beispiel angewendet, wo die Tragwände eine über der anderen stehen und sich kreuzen. Ein System von horizontalen und vertikalen Tragwänden (Wände und Decken) in Stahlbeton ist sehr effizient, da die Kräfte von einem Element zum anderen übertragen werden können, entweder durch Kontakt oder mit Hilfe von Zugelementen. Haus Kerez in Zürich, Arch. A. Kerez, Ing. J. Schwartz Arbeitsmodell des Hauses Kerez. Die Wände und die Stahlbetondecken bilden eine monolithische Struktur. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -171-

172 Faltwerke Betreffend Tragwerk - wir haben die Faltwerke bereits bei der Behandlung der Gewölbe und der Rahmen, oder auch bei den Doppel-T- oder den Kastenquerschitten kennen gelernt - können diese als Kombination monolithisch verbundener Tragwände betrachtet werden. Nebenstehend sehen wir ein interessantes Beispiel, bei welchem der Stahlbeton sehr effizient eingesetzt wurde. Sitz der UNESCO in Paris, 1952, Arch. M. Breuer und B. Zehrfuss, Ing. P.L. Nervi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -172-

173 Balkenroste und Platten Zusammensetzung von Balken zur Erzeugung einer ebenen Oberfläche Die einfachste Art eine ebene Oberfläche, wie ein Dach oder eine Decke, zu erzeugen besteht darin eine Serie von Balken parallel anzuordnen auf denen dann Sekundärelemente gelegt werden, welche die Aufgabe haben die äusseren Lasten aufzunehmen und auf die Balken zu übertragen. Dies ist das Tragwerksprinzip der Holzdecken (Holzbalken und -bretter), der Verbundkonstruktionen aus Beton und Tonziegel (Balken aus bewehrtem Beton, welche Elemente aus Ton halten) und der Verbundkonstruktionen aus Beton und Stahl (Stahlträger im Allgemeinen mit Doppel-T-Querschnitt auf welche eine Stahlbetondecke gelegt wird). Parallele Balken und Sekundärtragwerk in Querrichtung Eine Alternative besteht darin, die Balken direkt nebeneinander zu legen, so dass das Sekundärtragwerk überflüssig wird. In diesem Fall ist es zweckmässig, den Querschnitt der Balken möglichst breit zu wählen, um die Anzahl der Balken zu beschränken. Besonders effizient sind die Balken mit T-Querschnitt, bei welchen der möglichst breite Flansch eine doppelte Funktion ausübt: Aufnahme der Lasten, welche ihn in Querrichtung wie eine Konsole beanspruchen, und Wirkung in Längsrichtung als Bestandteil der Druckzone des Balkens. Auch die Zylinderschalen haben eine ähnliche Funktionsweise, wie jene des Kimbell Art Museum welches auf der Seite 97 abgebildet ist. In diesem Fall haben wir eine Tragweise als Balken in Längsrichtung mit der Zugzone im Bereich der unteren Ränder und der Druckzone entlang des oberen Bereiches der Schale. Nebenstehendes Schema zeigt die Funktionsweise eines Balkens mit mehreren überlagerten hybriden Seiltragwerken. In Querrichtung funktioniert die Schale dagegen wie ein Gewölbe welches seine Auflagerkräfte auf das Längssystem abgibt. An den beiden Enden kann die Kraft wegen ihrer Verteilung entlang des Randes nicht direkt in die Auflager abgegeben werden. Aus diesem Grund sind Endquerträger notwendig, welche diese Kräfte aufnehmen und zu den Auflagern abtragen müssen. Es ist zu beachten, dass im Falle des Kimbell Art Museum, diese Endquerträger, obwohl sie eine bogenförmige Form aufweisen, als Balken tragen, weil kein Tragelement zur Aufnahme der horizontalen Auflagerkraftkomponente vorhanden ist. T-förmige Balken mit breitem Flansch, welcher auch als Sekundärelement in Querrichtung wirkt Beanspruchungen Druck Zug Tragweise als Balken der auf Seite 97 dargestellten Zylinderschale Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -173-

174 Balkenroste Wenn wir zwei Serien von Balken rechtwinklig zueinander anordnen, wie wir das bereits bei den Fachwerken getan haben, so erhalten wir ein räumliches Tragwerk. Der Vorteil dieser Tragwerke, welche als Balkenroste bezeichnet werden, besteht darin, dass die Auflager mit einer grossen Freiheit angeordnet werden können. Wir können uns eine Überdachung mit einem rechteckigen Grundriss vorstellen, bei welcher die Auflager an zwei gegenüberliegenden Seiten angeordnet sind; in diesem Fall ist die Tragweise sehr ähnlich wie diejenige, die wir eben behandelt haben, wo die nicht direkt aufgelegten Balken nur als Verteilelemente wirken. Wir können aber auch alle vier Seiten auflagern, so dass ein Teil der äusseren Lasten mit der einen Balkenserie und der restliche Teil mit der anderen Balkenserie aufgenommen und zu den Auflagern abgetragen werden. Im Weiteren ist es möglich, die Anzahl der Auflager drastisch zu reduzieren, wenn zum Beispiel nur die vier Ecken aufgelegt werden. In diesem Fall können die äusseren Lasten in zwei Richtungen abgetragen werden, genau gleich wie die Bewegungen eines Turmes beim Schachspiel, welcher durch abwechslungsweise Bewegung in die beiden Richtungen, vom Zentrum des Schachbrettes in die Ecken geschoben werden kann. In diesem Fall erfahren die Balken, welche den Balkenrost bilden, eine starke Erhöhung der Beanspruchung. Balkenroste mit Auflagern an 2 Rändern, an 4 Rändern und in 4 Ecken Bei den beiden im gegenüberliegenden Bild dargestellten Beispielen trägt eine Serie von acht Stützen einen grossen stählernen Balkenrost. Im weiteren untenstehenden Beispiel, ist der Balkenrost über den ganzen Umkreis aufgelagert und aus Stahlbetonbalken zusammengesetzt. Diese haben einen T-förmigen Querschnitt bei welchem die Flansche breit genug sind, um aneinandergereiht eine kontinuierliche Oberfläche zu bilden. Projekt für das Bacardi Bürogebäude in Santiago di Cuba, 1957, Arch. L. Mies van der Rohe, und Nationalgalerie in Berlin, 1968, Arch. L. Mies van der Rohe, Ing. H. Dienst (Balkenrost bestehend aus Doppel-T- Trägern: x 64.80m, h = 1.83 m) Sporthalle in Losone, 1997, Arch. L. Vaccini, Ing. R. Rossi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -174-

175 Es ist auch möglich, drei Serien von Balken zu kombinieren, so dass ein dreieckförmiger Balkenrost entsteht. Im gegenüberliegenden Beispiel weisen die Stahlbetonträger einen T- förmigen Querschnitt auf und die oben liegenden Flansche bilden eine durchgehende Platte. Yale University Art Gallery, New Haven, Connecticut, 1953, Arch. L. I. Kahn Auch im gegenüberliegenden Beispiel bestehen die Balken aus oberen Flanschen, welche Bestandteil einer durchgehenden Decke sind, und aus stehenden, im Grundriss gekrümmt verlaufenden Stegen, den so genannten Sehnen. Durch ihre Form wird es möglich, die Lasten auf direkterem Weg radial zu den Auflagern abzutragen. Diejenigen Sehnen, welche dagegen die Stützen umkreisen, haben die Aufgabe, die Lasten zu verteilen und die Umlenkkräfte der radialen Sehnen aufzunehmen. Sehnenförmige Platte der Wollfabrik Gatti in Rom, 1951, Ing. P.L. Nervi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -175-

176 Platten Die Einführung des Stahlbetons hat es möglich gemacht, das wohl am häufigsten in der Architektur angewendete Tragwerkselement zu entwickeln. Die Tragweise der Platte ist leicht verständlich, wenn wir uns vorstellen, dass im Innern ihrer Masse Fachwerke angeordnet werden können, welche in der Lage sind, die äusseren Lasten aufzunehmen und zu den Auflagern abzuleiten. Um diese Analogie besser verstehen zu können, wollen wir einige rechteckige Platten mit unterschiedlicher Last- und Auflageranordnung betrachten. Wir behandeln zuerst eine Platte, welche durch eine gleichmässig verteilte äussere Last auf ihrer gesamten Oberfläche beansprucht wird, und welche auf zwei gegenüber liegenden Rändern zum Beispiel auf zwei Wänden aufgelegt ist. Wir können in Gedanken die Platte in eine Serie von Streifen zerschneiden, welche wie Balken tragen. Wenn wir diese aufmerksam betrachten, stellen wir fest, dass sich alle gleich verformen und dass eigentlich keine Interaktion zwischen den einzelnen Balken erforderlich ist; die gesamte Platte verhält sich gleichförmig. Auf zwei gegenüberliegenden Seiten aufgelagerte rechteckige Platte unter einer gleichmässig verteilten Last Nun wollen wir die gleiche Platte mit einer konzentrierten Kraft in ihrem Zentrum belasten. Wenn wir wiederum, wie im vorherigen Fall, die Platte in Streifen zerschneiden, erhalten wir einen einzigen Balken, welcher belastet ist und sich nach unten verformt, während alle andern in ihrer ursprünglichen Lage verbleiben und keine Durchbiegung erfahren. Dies entspricht sicherlich nicht dem tatsächlichen Verhalten der Platte. In Wirklichkeit bildet sich ein Balkenrost, dessen quer verlaufende Balken in der Nähe der konzentrierten Last die Aufgabe übernehmen, die Last auf mehrere Balken in der anderen Richtung zu verteilen. Auf zwei gegenüberliegenden Seiten aufgelagerte rechteckige Platte unter einer konzentrierten Last Bei einer rechteckigen Platte, welche an ihren vier Rändern aufgelegt ist, können Balken in mehrere Richtungen anordnen auch um eine gleichmässig verteilte Last aufzunehmen. Der Unterschied zu den Balkenrosten besteht ganz einfach darin, dass bei den Platten die Richtungen der Balken, welche wir zur Abtragung der Lasten annehmen, nicht vorgegeben sind, sondern sich so ausbilden, dass die Wege der Lasten zu den Auflagern möglichst effizient werden. Auf vier Seiten aufgelagerte rechteckige Platte Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -176-

177 Die ersten auf Stützen aufgelagerten Stahlbetonplatten wiesen Balken zur Verteilung der Auflagerkräfte auf. Wir haben somit eine Kombination von Platte und Balkenrost ähnlich wie bei den früher angewendeten Tragwerken aus Holz und aus Stahl. Einer der ersten, welcher das enorme Potential der Stahlbetondecken erkannte, war R. Maillart, welcher ein System von auf Stützen aufgelegten Decken patentierte, ohne zusätzliche Verstärkungen mit Balken zu benützen. Die Tragweise ist identisch mit derjenigen der von P.L. Nervi konstruierten Platten mit gekrümmten Sehnen, bei welchen sich die eine Serie der Sehnen von den Stützen aus entwickelt. Im Inneren der Platte bilden sich tatsächlich Balken dieser Art aus. Ihre Beanspruchung, ähnlich wie beim Durchlaufträger über dem Auflager, ist schematisch im gegenüberliegenden Bild dargestellt. Exemplarische Zeichnung des Patentes Système Hennebique für Stahlbetondecken, 1898, Ing. F. Hennebique Tragweise der Platte in der Nähe des Auflagers über der Stütze Das Zusammenlaufen aller Balken in einem relativ kleinen Bereich über dem Auflager bewirkt eine sehr grosse Beanspruchung des unteren auf Druck beanspruchten Bereiches, in dessen Nähe sich zusätzlich Druck- und Zugdiagonalen ausbilden müssen, und des oberen auf Zug beanspruchten Bereichs. Um dieses Problem zu lösen erhöhte Maillart die Plattenstärke in der kritischen Zone und erhielt eine Platte, welche als Pilzdecke bezeichnet wird. Die bekannten Pilze, welche F.L. Wright baute, haben die gleiche Tragweise. Dieses Beispiel zeigt, stellvertretend für viele andere, die Effizienz eines Tragwerks dieses Typs. Pilzdecke in der Giesshübelstrasse in Zürich, 1910, Ing. R. Maillart Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -177-

178 Die Verwendung von Stahlbeton mit höheren Festigkeiten, von adäquaten Bewehrungen und vor allem die Wahl einer ausreichenden Plattenstärke erlauben es, die Verstärkung der Platten oberhalb der Stützen mit Pilzen zu vermeiden. Eine entsprechend aufgelagerte Platte weist sehr starke Beanspruchungen über den Stützen auf, während die inneren Kräfte in den Feldern relativ bescheiden sind. Johnson and Son Company, Administrationsgebäude, Racine Wisconsin, 1939, Arch. F.L. Wright Auf Stützen aufgelagerte Flachdecke des Visual Art Center, Cambridge Mass., 1964, Arch. Le Corbusier Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -178-

179 Stabilität von gedrückten Stäben Zug- und Druckstäbe Bei der Planung eines Tragwerks ist bei der Bemessung eine Differenzierung zwischen Zugund Druckstäben notwendig. Die Unterscheidung dieser beiden inneren Beanspruchungen ist aus zwei Gründen wichtig. Materialien wie Beton, Gestein und Mauerwerk sind sehr widerstandsfähig auf Druck, während sie eine begrenzte Zugfestigkeit aufweisen. Ausserdem ist die Übertragung einer inneren Druckkraft von einem Element auf ein anderes recht einfach, da oft ein einfacher Kontakt ausreichend ist. Andererseits ist, wie wir bereits mehrere Male unterstrichen haben, die Aufnahme von Druckbeanspruchungen nicht immer problemlos. Während eine Zugkraft in einem Tragelement Verformungen und Verschiebungen verursacht, welche dem Tragelement dazu verhelfen, sich der Wirkungslinie der inneren Kräfte zu nähern, neigt dasselbe Tragelement unter Druck dazu, sich von der idealen Lage zu entfernen, sodass die inneren Kräfte anwachsen. Dies gilt sowohl für eine durch Gelenke verbundene Reihe von Stäben als auch für ein monolithisches Tragwerk. Im ersten Fall liegt ein labiles Tragwerk vor. Im gegenüberliegenden Bild ist ein solches Tragwerk unter Zug dargestellt: Die Stäbe bilden einen Mechanismus und verschieben sich ungeachtet der Anfangsexzentrizität mit dem Seilpolygon der Lasten, bis sie zusammenzufallen. Sobald sich die Exzentrizität aufhebt, ist eine labile Struktur in der Lage, die angreifenden Lasten aufzunehmen, unter der Bedingung, dass der Widerstand des Materials ausreichend ist. Ganz anders verhält sich das Tragwerk unter Druck: Eine ganz kleine Anfangsexzentrizität ist ausreichend, um die Stäbe aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein Tragwerk dieser Art ist in der Tat instabil. All das ist intuitiv leicht verständlich, wenn man das nebenstehende Beispiel untersucht: Das Seilpolygon wird durch eine gerade Linie dargestellt. Wir haben bereits ein Tragwerk mit trapezförmigem Seilpolygon kennen gelernt (Seite 61), in welchem das Seilpolygon trapezförmig ist und wir sind zur selben Schlussfolgerung gelangt: ein Seil ist stabil, während ein Bogen labil ist. Im Falle eines statisch bestimmten oder sogar statisch unbestimmten Tragwerks sind die Auswirkungen ähnlich. Drückt man auf das Stabende, so entsteht im mittleren Teil Biegung, welche auf die vorhandene Exzentrizität zurückzuführen ist. Die Innenseite ist auf Zug, die Aussenseite auf Druck beansprucht. Der innere Teil verlängert sich, während sich der äussere Teil verkürzt, sodass eine Verformung auftritt, welche sehr ähnlich ist wie diejenige des labilen Tragwerks, welches wir beschrieben haben. Kette unter Zugbeanspruchung (labile, aber stabiles System) und unter Druckbeanspruchung (instabiles System) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -179-

180 Im gegenüberliegenden Beispiel hat das Material eine sehr geringe Steifigkeit, sodass die Verformung sehr ausgeprägt ist. Mit einem steiferen Material würden wir, wenn auch unter kleineren Verschiebungen, dieselbe Wirkung erzielen. Wenn wir diesen Stab zusammendrücken und die Materialbeanspruchung untersuchen, stellen wir auf der überdrückten Innenseite eine Verkürzung und auf der gezogenen Aussenseite eine Verlängerung des Materials fest. Diese Verformungen führen zu einer Zunahme der Krümmung des Stabes, sodass er sich weiter von der idealen Lage entfernt, welche dem Seilpolygon der inneren Kräfte entspricht (in unserem Fall eine gerade Linie). Das sich Entfernen des verformten Tragelementes von der Wirkungslinie der inneren Kraft bewirkt infolge der Krümmung eine weitere Erhöhung der Zugbeanspruchung am äusseren Rand und der Druckbeanspruchung am inneren Rand. Die Erhöhung der Beanspruchung verformt weiterhin den Stab, indem er sich immer weiter von der Wirkungslinie der inneren Kraft entfernt, und so weiter. Es handelt hierbei sich um einen regelrechten Teufelskreis, welcher zur Instabilität des Stabes führt. Dieses Problem kann sehr ernste Konsequenzen haben. Wenn die vorhandene Druckbeanspruchung einen kritischen Wert, welcher als Knicklast bezeichnet wird, überschreitet, so verformt sich der Stab infolge Knickens und bricht unter der Wirkung der Biegung. Wenn dagegen die aufgebrachte Last kleiner als der kritische Wert ist, dann stoppt die Verformung des Stabes an einem gewissen Punkt. Die inneren Beanspruchungen steigen jedoch auf jeden Fall an und sind somit grösser als beim nicht verformten Stab. Stab aus Schaumgummi, unter Zug- und unter Druckbeanspruchung Der Widerstand eines gedrückten Stabes Dies bedeutet, dass der Widerstand eines gedrückten Tragelements niedriger sein kann, als das Produkt des Widerstandes des Materials durch die Querschnittsfläche: N R f A y Um dieses Phänomen quantitativ zu beschreiben, wollen wir den im gegenüberliegenden Bild dargestellten Stahlstab untersuchen. Wenn wir am Stab eine Zugkraft anbringen, haben wir folgenden Widerstand: N R f A 12.57mm y 2 235N/ mm N Dünner, gedrückter Stab ( Durchmesser ø = 4 mm, Querschnittsfläche A = π 2 2 = mm 2, Fliessgrenze fy = 235 N/mm 2, Elastizitätsmodul E = 210'000 N/mm 2, Länge l = 800 mm) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -180-

181 Mit anderen Worten, wenn wir das obere Ende dieser Stange an der Decke befestigen, müssen mindestens vier Personen mit einer Gesamtmasse von ungefähr 300 kg am unteren Ende angebracht werden, um die Stange ins Fliessen zu bringen. Wenn wir andererseits versuchen, dieselbe Stange zusammenzudrücken, bemerken wir, dass die Höchstlast, die wir anbringen können, geringer ist und leicht von einer Person allein aufgebracht werden kann. Erreicht die Druckkraft ungefähr 40 N, was nur gerade 4 kg entspricht, verformt sich der Stab durch Knicken und die Belastung kann nicht mehr aufgenommen werden. In diesem Beispiel ist der Druckwiderstand des Stabes also sehr viel schwächer als der Zugwiderstand. Betrachtet man hingegen ausschliesslich das Material, den Stahl, so ist dessen Druckfestigkeit identisch ist mit der Zugfestigkeit. Es ist zu sagen, dass dieses Phänomen der Instabilität sich auch dann bemerkbar macht, wenn die Anfangsverformung zurückzuführen auf die Ausführungstoleranz - sehr schwach oder sogar unmerklich ist. Da geringe Ungenauigkeiten selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden können, muss das Problem der Instabilität unbedingt berücksichtigt werden und muss von jedem ernst genommen werden, der eine Struktur mit gedrückten Tragelementen plant. Segelschiff mit überdrücktem Mast und gespannten Verankerungsseilen Stabilisierung einer Stütze Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, müssen wir berücksichtigen, dass die Stütze nicht nur einen ausreichenden Widerstand aufweisen muss, welcher als das Produkt der Materialfestigkeit durch die Querschnittsfläche definiert ist, sondern auch unter Biegung mindestens so starr sein muss, dass er sich nicht zu sehr in Querrichtung verformt. Wie wir bereits gesehen haben, ist ein sehr weiches Material wie Schaumgummi nicht geeignet, einer Druckbeanspruchung standzuhalten. Wie wir später sehen werden, spielt auch die Form des Querschnittes eine wichtige Rolle. Es gibt also einen wesentlichen Unterschied ein gezogenes oder gedrücktes Element zu planen, sogar in den Fällen, in denen das Material einen identisch Zug- und Druckwiderstand aufweist. In einem Stahltragwerk können wir beispielsweise, wenn die Querschnittsfläche und der Materialwiderstand ausreichend sind, sehr dünne Stäbe wählen, während die gedrückten Elemente durch sehr viel sperrigere Profile gebildet werden müssen. Dies kommt in den drei nebenstehenden Beispielen sehr schön zum Ausdruck: obwohl die Grössenordnung der Belastungen vergleichbar ist, sind die Zugseile viel dünner, während die gedrückten Elemente massiger sind, um eine ausreichende Stabilität zu gewährleisten. Schrägseilbrücke mit überdrücktem Pilon und gespannten Schrägseilen (Normandie Bridge) Verteilungszentrum Renault in England in Swindom 1982, Arch. N. Forster, Ing. Studio Ove Arup Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -181-

182 Knicklast [N] Eine Stütze muss also, um genügend stabil zu sein und um dem Druck standzuhalten, in der Lage sein, eine schräge Last aufzunehmen, ohne sich zu sehr zu verformen. Wir können die Steifigkeit unserer Stütze untersuchen, indem wir sie umdrehen und sie wie einen Balken behandeln, der in Feldmitte belastet wird. Man muss sich dabei im Klaren sein, dass die Beanspruchung dieses Balkens unserer einfach gedrückten Stütze zwar ähnlich, aber nicht identisch ist. Diese Analogie dient lediglich dazu, zu untersuchen, welche Parameter die Steifigkeit beeinflussen, sodass Gegenmassnahmen vorschlagen werden können, um die Instabilität zu vermeiden. Wie wir bereits bei der Untersuchung der Balken gesehen haben, beeinflussen die folgenden Parameter die Verformungen: 1. Spannweite des Balkens (in unserem Fall die Höhe der Stütze) 2. Randbedingungen (oder mit anderen Worten, wie der Balken an seinen Enden aufgelagert wird) 3. Steifigkeit des Materials 4. Abmessungen des Querschnitts 5. Form des Querschnitts Analogie zwischen einer instabilen Stütze und einem quer belasteten Balken Der Einfluss der Stützenhöhe auf ihren Druckwiderstand Der Einfluss der Länge auf die Biegesteifigkeit ist klar. Obwohl alle anderen Parameter gleich bleiben, ist ein Balken mit einer grossen Spannweite viel weicher als ein kurzer. Das ist der Grund, weshalb hohe Stützen viel eher dazu neigen dem Phänomen des Knickens zum Opfer zu fallen, als kurze Stützen. Im gegenüberliegenden Bild ist die Knicklast des Stahlstabs, welchen wir eben untersucht haben, in Funktion ihrer Länge dargestellt. Wie wir feststellen, ist der Widerstand für eine Länge von 800 mm nur 40 N und er nimmt mit zunehmender Länge weiter ab. Ausserdem können wir feststellen, dass die Festigkeit des Materials nur vollständig ausgenützt werden kann, wenn die Stablänge kleiner als ungefähr 20 mm ist: Um wenigstens die Hälfte der Materialfestigkeit ausnützen zu können, darf die Länge 100 mm nicht überschreiten. Man kann diese Angaben verallgemeinern, indem man feststellt, dass in einer Stahlstütze mit einem vollen Kreisquerschnitt die Materialfestigkeit vollständig ausgenützt werden kann, wenn die Höhe weniger als 5 Mal dem Durchmesser entspricht, während dieses Verhältnis den Wert 25 nicht überschreiten darf, wenn wir das Material wenigstens zu 50% ausnützen wollen. Kritische Länge lcr Einfluss der Stützenlänge auf den Druckwiderstand (Knicklast) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -182-

183 Lagerungsbedingungen, beeinflusst durch die Knicklänge Die Beziehungen, welche wir eben beschrieben haben, zwischen der Schlankheit, welche als Verhältnis der Höhe der Stütze zu ihrem Durchmesser definiert ist, und dem Grad der Materialausnützung, sind für das untersuchte Stützenmodell unter der Annahme gültig, dass die Enden gehalten, aber frei verdrehbar sind. Wenn andererseits das untere Ende eingespannt wird, sodass eine Verdrehung verhindert wird, kann man eine Erhöhung der Knicklast beobachten. Für unser Modell mit einer Stütze von 800 mm Höhe verdoppelt sich die Knicklast von 40 auf 77 N. Diese Erhöhung ist einfach zu erklären, wenn man an die Analogie mit dem Balken denkt. Wird ein Ende eingespannt, wird dieselbe Last kleinere Verformungen verursachen oder mit anderen Worten: die Biegesteifigkeit des Tragelementes steigt. Die neue Stütze weist eine Knicklast auf, welche mit derjenigen einer kürzeren Stütze, mit frei drehbaren Enden, vergleichbar ist. Für unser Modell müssten wir die Höhe um 800 mm auf 560 mm reduzieren, um die Knicklast von 77 N beizubehalten. Diese neue Länge wird, entsprechend 70% der Anfangslänge, als die Knicklänge lcr definiert. Nebenstehende Darstellung zeigt ein typisches Beispiel, in welchem die Stütze die oben beschriebenen Lagerungsbedingungen aufweist. Die Einspannung am unteren Ende bedeutet, dass sich die Stütze nicht frei bezüglich der Fundation verdrehen kann, während am Stützenkopf ein Gelenk zwischen der Stütze und dem horizontalen Balken eine Verdrehung ermöglicht. An dieser Stelle ist die Stütze allerdings nicht frei, sich in horizontaler Richtung zu bewegen, weil Windverbände vorhanden sind. Die Steifigkeit ist also noch grösser, und somit auch die Knicklast, wenn beide Enden einer Stütze eingespannt werden. Natürlich muss das obere Ende, obwohl es eingespannt ist, sich in vertikaler Richtung frei verschieben können. Sonst könnte die Last die Stütze nicht beanspruchen, da sie vollständig vom oberen Auflager aufgenommen würde. Unsere 800 mm hohe, oben und unten eingespannte Stütze, hat eine Knicklast von 147 N. Um dieselbe Knickfestigkeit einer an den Enden frei drehbaren Stütze zu erhalten zu müssten wir ihre Höhe auf 400 mm reduzieren. Mit anderen Worten entspricht die Knicklänge einer Stütze, welche an beiden Enden eingespannt ist, 50% ihrer Gesamthöhe. Vergleich der Knickfigur einer frei drehbaren Stütze, einer am unteren Ende eingespannten Stütze und einer Stütze von nur 70% Länge; Analogie des Balkens mit Vergleich der Verformungen (Steifigkeiten). Beispiel mit einer am Stützenfuss eingespannten und oben frei drehbaren Stütze Vergleich der Knickfiguren einer frei drehbaren Stütze, einer an den Enden eingespannten Stütze und einer Stütze mit nur 50% Länge; Analogie des Balkens mit Vergleich der Verformungen (Steifigkeiten). Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -183-

184 Wir begegnen solchen Stützen in Rahmen, in denen das horizontale Element viel steifer ist als die Stützen, sodass die Stützenkopfverdrehungen verhindert werden. Um horizontalen Verschiebungen oben auszuschliessen, ist es auch in diesem Fall notwendig, einen steifen Windverband anzuordnen. Die Stützen des Carré d art in Nimes, welche offensichtlich eine sehr grosse Schlankheit aufweisen, sind in sehr steifen, kräftigen Balken eingespannt. Die horizontale Verschiebung dieses Balkens und somit auch der Stützenköpfe, wird durch horizontale Windverbände, welche am Gebäude befestigt sind, verhindert. Fehlen die Windverbände, so ist der Rahmen weniger steif, da er sich in horizontaler Richtung bewegen kann. Auch die Versagensart des Knickens wechselt radikal: die maximale Verschiebung tritt am oberen Ende auf. Unsere 800 mm hohe Stütze von hat wiederum eine Knicklast von 40 N und entspricht somit der an den Enden frei drehbaren Stütze. Das bedeutet, dass bei den Stützen des seitlich nicht gehaltenen Rahmens die Knicklänge beim Knicken in der Rahmenebene gerade der Stützenhöhe entspricht. Wir erkennen, dass die Windverbände, welche als Tragelemente zur Aufnahme der horizontalen Einwirkungen definiert sind, noch eine andere sehr wichtige Funktion haben: nämlich die Knicklast der Stützen und somit ihren Widerstand gegenüber den vertikalen Lasten zu erhöhen. Sehr steifer Balken Auflager, das horizontale Verschiebungen verhindert Sehr steif Beispiele von unten eingespannten Stützen Windverband Carré d art in Nimes, 1993, Arch. Norman Foster, Ing. Studio Ove Arup + OTH Méditerranée. Vergleich der Knickfiguren einer verschieblich gelagerten Stütze und einer unten eingespannten, aber in horizontaler Richtung frei verschieblich gelagerten Stütze; Analogie des Balken mit Vergleich der Verformungen (Steifigkeiten) Sehr steifer Balken Sehr steif Beispiele von unten eingespannten, aber in horizontaler Richtung frei verschieblichen Stützen. Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -184-

185 Wenn wir die Windverbände weglassen, können wir bei einer oben frei drehbaren Stütze, welche sich auch frei in horizontaler Richtung bewegen kann, eine starke Reduzierung der Knicklast beobachten. Um dieselbe Reduzierung zu erhalten, müssten wir die Länge einer frei verschieblichen, aber horizontal gehalten, Stütze von den anfangs 800 mm auf 1600 mm erhöhen. Dies bedeutet, dass die Knicklänge zweimal so gross wie die Stützenhöhe ist. Zum Schluss wollen wir noch einen Rahmen über mehrere Stockwerke mit durchlaufenden, aber auf der Höhe der horizontalen Balken frei drehbaren Stützen, weil sie gelenkig angeschlossen sind, untersuchen. Da diese Gelenke horizontale Belastungen aufnehmen können, sind die Stützen nicht in der Lage, sich in horizontaler Richtung zu bewegen. Eine sehr ähnliche Situation liegt vor, wenn in einem Rahmen die Stützen in die horizontalen Balken eingespannt werden, die Balken aber eine sehr viel schwächere Biegesteifigkeit aufweisen als die Stützen. In diesem Fall sind sie nicht in der Lage, eine Verdrehung der Stützenköpfe zu verhindern. In diesem Beispiel können sich die Stützen durch Knicken so verformen, dass sich eine Welle bildet, deren Wellenlänge (Knicklänge) der Stockwerkhöhe entspricht. Die Knicklast ist somit identisch mit jener der Stützen, welche bei jedem Stockwerk unterbrochen sind. Die Stützen des Centre Georges Pompidou in Paris sind ein entsprechendes Beispiel. In jedem Stockwerk werden die Stützen durch ein System von Windverbänden gehalten, sie können sich aber frei verdrehen. Wie wir gesehen haben, beeinflussen die Lagerungsbedingungen die Biegesteifigkeit relativ stark und somit auch die Knicklast der Stützen. Dieses Phänomen kann sehr gut mit der Knicklänge beschrieben werden, die der Höhe einer Stütze entspricht, die an den Enden gelenkig gelagert ist und dieselbe Knicklast aufweist. Wenn wir die Lagerungsbedingungen einer Stütze begrenzen, indem wir die horizontale Verschiebung oder die Stützenkopfverdrehung erschweren, reduzieren wir die Knicklänge der Stütze und ihre Knicklast erhöht sich. Vergleich der Knickfiguren einer frei drehbaren, aber an den Enden gehaltenen Stütze und einer unten eingespannten und oben freien Stütze; Analogie der Balken mit Vergleich der Verformungen (Steifigkeiten) Gelenke Beispiele mit unten eingespannten und oben vollkommen freien Stützen Steifigkeit vernachlässigbar Steifigkeit hinsichtlich der Stützen vernachlässigbar Knickfigur einer kontinuierlichen Stütze und Rahmen mit Knicklängen der Stützen, welche der Stockwerkshöhe entsprechen. Stützen des Centre Georges Pompidou in Paris Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -185-

186 Knicklast [N] Knicklast [kn] Das gegenüberliegende Bild zeigt die Knicklast unseres Modells in Funktion der Stützenhöhe, mit den verschiedenen möglichen Lagerungsbedingungen und den entsprechenden Knicklängen. Der Einfluss der Steifigkeit des Materials auf die Knicklast einer Stütze Ein Material mit einem schwachen Elastizitätsmodul neigt viel stärker dazu, sich infolge Knickens zu verformen. Wir haben diesen Versuch bereits mit dem Stab aus Schaumgummi gemacht. Diese Besonderheit ist für das Aluminium wichtig, welches ein Elastizitätsmodul von 1/3 gegenüber jenem des Stahls besitzt. Wir können also erkennen, dass aus Aluminium gepresste Elemente unter dem Gesichtspunkt der Stabilität besonders heikel sind. Nebenstehendes Bild zeigt die Knicklast unseres Modells für einen Stab aus Stahl im Vergleich zu einem identischen Stab aus Aluminium. Wenn wir verschiedene Materialien miteinander vergleichen, so ist es besonders der Elastizitätsmodul, der die Knicklast von schlanken Stützen beeinflusst. Der Widerstand des Materials hat andererseits einen unbedeutenden Einfluss und ist nur für gedrungene Stützen entscheidend. Stützenlänge l [m] Knicklast in Funktion der Stützenhöhe (Stahl S235, Durchmesser 4 mm) für verschiedene mögliche Lagerungsbedingungen Stahl Aluminium Kritische Länge lcr [mm] Knicklast in Funktion der Stützenhöhe für einen Stab aus Stahl S235 und für einen Aluminiumstab mit derselben Fliessgrenze Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -186-

187 Knicklast [kn] Diese Feststellung hat eine sehr wichtige praktische Konsequenz: Es ist nicht zweckmässig, Stahl mit grosser Materialfestigkeit zu gebrauchen, wenn die Stützen zu dünn sind, um den Widerstand des Materials nutzen zu können. Dies wird im nebenstehenden Diagramm offensichtlich, in dem die Knicklast unseres Modells mit drei Stangen aus Stahl S235, S355 und S460 in Funktion der Schlankheit der Stangen ausgedrückt wird. Andere Konstruktionsmaterialien wie beispielsweise Beton, Mauerwerk oder Holz haben einen Elastizitätsmodul, der deutlich geringer ist als jener des Stahls. Dies wird allerdings durch die Tatsache kompensiert, dass die Querschnitte im Allgemeinen massiver sind, sodass die Stabilität, obwohl gewiss nicht unbedeutend, oft ein weniger massgebendes Kriterium bei der Bemessung ist, als dies bei Tragelementen aus Stahl der Fall ist. Der Einfluss der Querschnittsabmessungen Die Querschnittsabmessungen sind grundlegende Parameter, welche die Stabilität und den Widerstand einer Stütze aus Stahl ebenfalls beeinflussen. Bei zunehmenden Abmessungen wird nicht nur die Fläche vergrössert, sondern auch die Biegesteifigkeit der Stütze und somit ihre Stabilität verbessert. Man hat also die Überlagerung von zwei Wirkungen: Eine grössere Querschnittsfläche und eine niedrigere Schlankheit, sodass das Material besser ausgenützt werden kann. Um diese Wirkung zu quantifizieren, kehren wir zu unserem Beispiel einer Stange mit 4 mm Durchmesser und einer Knicklänge von 800 mm zurück. Wie wir gesehen haben, ist die Knicklast 40 N mit einer Ausnützung des Materials von lediglich 1%. Verdoppeln wir den Durchmesser, was einer Vervierfachung der Querschnittsfläche des Stabes entspricht und halten wir die Knicklänge bei, so steigt der Widerstand auf 585 N, was einer 15-fachen Festigkeit gegenüber der Anfangssituation gleichkommt. Der Ausnützungsgrad des Materials steigt auf 5%. Wenn wir den Durchmesser nochmals verdoppeln beobachten wir, dass der Widerstand noch schneller steigt, als die Steigerung der Fläche (siehe nebenstehende Tabelle). Mit einem Durchmesser ø = 32 mm haben wir eine, um den Faktor 64 grössere Querschnittsfläche als am Anfang. Die kritische Knicklast ist im Vergleich 2500-mal grösser geworden, als jene des Stabes mit einem Durchmesser von ø = 4 mm, und der Ausnützungsgrad erreicht nun 50%. Dieser Ausnützungsgrad ist in der Tat jener, den wir bereits bei einer Stütze mit einer Schlankheit von 25 beobachtet haben (100 mm / 4 mm oder wie jetzt 800 mm / 32 mm). Knicklast einer Stütze in Abhängigkeit der Stahlqualitäten (Durchmesser 4 mm, Stützen oben frei drehbar) Durchmesser ø [mm] Fläche Kritische Länge lcr [mm] Erhöhung der Fläche Kritische Knicklast Erhöhung der kritischen Knicklast S235, S355 und S460 Ausnutzungsgrad [mm 2 ] [N] % x x 15 5% x x % x x % Einfluss der Stützenabmessungen auf die Knicklast (voller Kreisquerschnitt, Knicklänge = 800 mm, Stahl S235) Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -187-

188 Knicklast [kn] Der Einfluss der Querschnittsform Um die Biegesteifigkeit einer Stütze und damit auch ihren Widerstand gegen Knicken zu erhöhen, gibt es eine viel wirksamere Lösung als die Vergrösserung der Querschnittsabmessung durch die Erhöhung des Durchmessers. Wie wir bereits im Zusammenhang mit der Steifigkeit von Balken gesehen haben, ist ein voller rechteckiger Querschnitt viel weniger wirksam als ein I-Querschnitt bei gleicher Querschnittsfläche und gleicher Höhe. Im Allgemeinen kann man sagen, dass je grösser die Distanz zwischen der Zug- und der Druck-Zone ist, desto biegesteifer und folglich auch widerstandsfähiger gegenüber Knicken wird die Stütze sein. Die Wirksamkeit einer Stütze hängt also auch von der Ausbildung ihres Querschnittes ab, welche eine sehr wichtige Rolle spielt. Es ist nämlich von grundlegender Bedeutung, das Material in intelligenter Art und Weise anzuordnen, indem man Querschnitte mit dünnen Wänden benützt, die eine grosse Distanz zwischen der Zug- und der Druck-Zone aufweisen. Nebenstehende Grafik vergleicht I-Querschnitte, Rechteck-Querschnitte, Rohr-Querschnitte und volle Querschnitte mit der gleichen Querschnittsfläche (und also mit derselben Menge beanspruchten Materials) und mit einer maximalen Aussenabmessung von 30 cm. Man sieht deutlich, dass ein voller Querschnitt viel weniger wirksam ist, als ein Rohr- Querschnitt. Folglich muss bei der Wahl des Querschnitts die Art der Beanspruchung berücksichtigt werden. Wie wir gesehen haben, beeinflusst bei Zugbeanspruchungen die Form des Querschnitts seinen Widerstand nicht und wir können also problemlos volle Querschnitte wählen. Wenn wir das Material richtig nutzen wollen, ist es andererseits für überdrückte Elemente notwendig, hohle oder I-Querschnitte zu wählen. Es ist zu beachten, dass I-Querschnitte, im Gegensatz zu Rechteck- oder Rohr- Querschnitten, je nach Richtung über verschiedene Steifigkeiten und Widerstände verfügen. Wie wir gesehen haben, ist ein Balken mit I-Querschnitt unter vertikalen Lasten, bei vertikaler Anordnung der Flansche viel weniger steif als derselbe Balken, der in einer konventionellen Art und Weise mit horizontalen Flanschen ausgeführt worden ist. In gedrückten Elementen mit I-Querschnitt ist es also zweckmässig, die Knicklänge durch stabilisierende Elemente zu begrenzen, welche die Stütze halten und Verformungen in Richtung der schwachen Achse verhindern. In der anderen Richtung sind diese Elemente nicht notwendig oder können mit einem grösseren Abstand angeordnet werden, weil die grössere Knicklänge gar nicht massgebend wird. Knicklänge [m] Vergleich der Knicklast von verschiedenen Querschnitten Steifigkeit von Balken mit I-Querschnitten: mit horizontal oder vertikal angeordneten Flanschen Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -188-

189 Wahl des Querschnittes Folglich muss die Wahl des Querschnittes unter Berücksichtigung der Beanspruchungsart geschehen. Nebenstehendes Schema fasst die Querschnitte zusammen, welche am häufigsten im Stahlbau verwendet werden. Auch im Stahlbetonbau wird es ab einer gewissen Schlankheit notwendig, wirksame Querschnitte zu wählen, um so das Knicken zu verhindern. Nicht gebräuchlich Praktisch nicht gebräuchlich Verwendung nur für Stützen mit kleiner Schlankheit Verwendung nur für wenig beanspruchte Stützen Beulen Die Regel, nach welcher es zweckmässig ist Querschnitte mit dünnen Wänden und einer grossen Distanz zwischen der Zug- und der Druck-Zone zu benützen, um dem Knicken einer Stütze entgegenzuwirken, hat jedoch Grenzen. Wenn nämlich eine Stütze mit Kasten- oder Rohr-Querschnitt mit sehr dünnen Wänden belastet wird, erfolgt ein Phänomen lokaler Instabilität der dünnen Wände mit der Bezeichnung Beulen, bevor das Knickversagen der Stütze eintritt. Dieses Phänomen kann leicht experimentell untersucht werden, indem man aus einem gekrümmten Papierblatt eine Stütze mit Rohr-Querschnitt baut. Belastet man dieses Modell, kann man feststellen, dass eine Art lokales Knicken von kleinen Stützen auftritt, welche im Inneren der dünnen Wände sichtbar werden, bevor sich die Stütze durch Knicken verformt. Im Entwurf des Stützenquerschnitts ist es notwendig, einen guten Kompromiss zu finden zwischen einem vollen und massiven Querschnitt, der sich durch Knicken verformen kann, und einem Querschnitt mit zu dünnen Wänden, bei welchem lokale Instabilitäten auftreten können. Der optimale Stützenquerschnitt einer hohlen Stütze weist ein Verhältnis der Stützenbreite zu der Wandstärke zwischen 30 und 50 auf. Effiziente Lösung, einfache Verbindungen Sehr effiziente Lösung, schwierige Verbindungen Wahl von Querschnitten im Stahlbau Beulen einer Stütze mit sehr dünnen Wänden Knickgefährdet Idealer Querschnitt Beulgefährdet Querschnitte mit dem gleichen Materialverbrauch Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -189-

190 Falls die Materialmenge von Stützen gering gehalten werden muss, sind Fachwerke oder Vierendeelträger vorzuziehen. Um die notwendige Stabilität in allen Richtungen zu gewährleisten, müssen diese Tragelemente mindestens drei Versteifungen aufweisen. Diese Lösungen werden oft angewendet, da sie auch eine grosse Transparenz gewährleisten. Stützen mit wechselnden Querschnitten Um dasselbe Ziel durch scheinbar schlankere Tragelemente zu erreichen, ist es sinnvoll, die Stützen mit einem veränderlichen Querschnitt zu versehen. Wie die zwei nebenstehenden Beispiele zeigen, wählt man in den Zonen, an denen die Beanspruchungen grösser sind, einen steiferen Querschnitt, während in denjenigen Zonen, wo die Exzentrizitäten in Bezug auf das Seilpolygon der Lasten geringer sind und demzufolge eine geringere Steifigkeit notwendig ist, die Dimensionen stark abgemindert werden können. Diese Lösungen erlauben ausserdem einen eleganten Übergang zwischen den mittleren Bereichen mit grossen Querschnittsabmessungen und den gelenkig ausgebildeten Enden, in denen die inneren Kräfte zwingend durch die Gelenke verlaufen müssen. Für die Definition der optimalen Form der gedrückten Tragelemente kann man auf die Analogie mit der Aufnahme von horizontalen Lasten zurückgreifen. Man kann also eine virtuelle verteilte Last aufbringen und ein zugehöriges hybrides Seiltragwerk konstruieren, welches direkt die gesuchte Form liefert. Vierendeelträger als Druckglieder im Millenium Dome, 1999, Arch. R. Rogers Bigo in Genua für die Celebrazioni Colombiane, , Arch. R. Piano Palais des Sports in Rom, 1957, Arch. + Ing. P.L. Nervi Acc. di Arc. Lugano Tragwerke ( ) Prof. Dr. Aurelio Muttoni -190-

191 Räumliche Stabilität Wir haben bisher einzelne Bauteile wie Bögen, Seilkonstruktionen, Fachwerke, Balken etc. untersucht. Diese wurden bezüglich ihres Verhaltens und inneren Kräfteverläufe unter bestimmten Belastungen analysiert. Es genügt aber nicht nur einzelne Bauteile eines gesamten Gebäudes zu untersuchen. Vielmehr ist es zwingend notwendig auch die Gesamtheit des Tragsystems mit allen seinen einzelnen Bauteilen bezüglich der räumlichen Stabilität zu untersuchen. Lasten, welche in der Regel über eine räumliche Tragwirkung in den Baugrund abgeleitet werden, sind horizontale Lasten wie z.b.: Wind Kräfte aus der Massenbeschleunigung des Gebäudes aufgrund Erdbeben Abtriebskräfte aufgrund von unplanmässigen und bzw. oder planmässigen Schiefstellungen, exzentrischen Krafteinleitungen, Vorkrümmungen etc. Aussteifende Elemente können Kreuzverbände, Wandscheiben, Kerne, etc. sein. Je nach Tragsystem kann eine Horizontalaussteifung z.b. aus einem horizontal und oder vertikalen Kreuzverband sein. Gebäudeaussteifung durch Scheiben Die Wände in den Gebäuden können in den meisten Fällen als Scheiben betrachtet werden. Die Plattentragwirkung der Wände ist zum Teil relativ gering. Betrachtet man z.b. zwei im Grundriss in L-Form zu einander angeordnete Wandscheiben ohne Decke und belastet diese senkrecht zu ihrer Ebene, so erhält man relativ grosse Verformungen. Ergänzt man das System mit einer weiteren Wandscheibe zu einer im Grundriss U-förmigen Anordnung bei gleichzeitig biegesteif verbundenen Wandecken erreicht man bei horizontaler Belastung des Systems ebenfalls keine ausreichende Aussteifung des Gesamtsystems. Für die Abtragung der horizontalen Kräfte ist eine mit den Wänden schubsteif verbundene Deckenscheibe notwendig. Dies leitet die horizontalen Kräfte in die Wände und von dort über die Fundamente in den Baugrund ab. Für die Aussteifung von Gebäuden leiten sich daraus die folgenden Grundsätze ab: Es müssen zur Aussteifung sowohl in Längs- wie in Querrichtung Wandscheiben vorhanden sein. Diese Wandscheiben müssen schubfest mit einer Decke verbunden sein. Die Wirkungslinien der Wandscheiben dürfen sich nicht in einem Punkt schneiden. Anzahl Bild Bewertung Das Gebäude ist nicht ganz zwängungsfrei gelagert. Die Scheiben sind unsymmetrisch angeordnet. Es können leichte Drehungen des Gebäudes auftreten 5 Durch die Scheibenanordnung können bei langen Gebäuden in Längsrichtung Temperaturbehinderungen auftreten Die Wirkungslinien der aussteifenden Scheiben schneiden sich in einem Punkt. Somit hat das Gebäude keine Torsionssteifigkeit und ist nicht ausgesteift. Räumliche Aussteifung mittels Scheiben Legende: +: gut; 0: möglich; 0-: ungünstig; -: falsch Tragwerke (2011) Prof. Dr. H. Stempfle -191-

192 Die Grundsätze gelten bei Mehrgeschossigen Bauten für jedes Stockwerk. Stellt man diese einzelnen Geschosse in der Höhe betrachtet übereinander ergibt sich ein stabiles Gesamtsystem. Es sollte bei solchen übereinandergestapelten Systemen allerdings darauf geachtet werden, dass sich die Wandscheiben zu vertikalen Abtragung der Lasten über die gesamte Gebäudehöhe betrachtet möglichst in einer Ebene befinden. Dies ergibt ein deutlich wirtschaftlicheres Bauen ohne (bei guten Entwurf) Verlust an Qualität des Gebäudes. Die Tabellen in diesem Kapitel geben eine Übersicht über mögliche Aussteifungsvarianten eines Gebäudes mit Hilfe von Wandscheiben und Kernen. Es werden gute, schlechte, mögliche und unmögliche Varianten vorgestellt. Mit Kernen kann man Gebäude aufgrund ihre hohe Biege- und Torsionssteifigkeit eine gut aussteifen. Typischerweise werden Kerne in der Nutzung dann als Liftschächte, Treppenhäuser etc. verwendet. Sie sind meist aus Stahlbeton und stellen einen Turm im oder am Gebäude dar. Auch hier hängt die Qualität der Aussteifung von der Anordnung der Kerne ab (s. Tabelle). Anzahl Bild Bewertung 4 Die grosse Exzentrizität der in horiz. Richtung aussteifende Scheibe führt zu einem torsionsweichen Tragsystem und zu Verdrehungen des Gebäudes. 3 In Längsrichtung keine Aussteifung des Gebäudes!!! 4 In Querrichtung keine Aussteifung des Gebäudes!!! Die Wirkungslinien der aussteifenden Scheiben schneiden sich in einem Punkt. Somit hat das Gebäude keine Torsionssteifigkeit und ist nicht ausgesteift. 3 Der geringe Hebelarm der Scheiben in Längsrichtung führt zu einer geringen Torsionssteifigkeit des Tragsystems Räumliche Aussteifung mittels Scheiben Legende: +: gut; 0: möglich; 0-: ungünstig; -: falsch Tragwerke (2011) Prof. Dr. H. Stempfle -192-

193 Aussteifung durch Ringbalken Decken können zum Teil aus unterschiedlichen Gründen nicht als aussteifendes Element herangezogen werden, da sie manchmal keine Scheibenwirkung erzielen können. Ein Beispiel hierfür sind Holzbalkendecken. Um trotzdem die horizontalen Kräfte in die Wandscheiben einleiten zu können werden Ringbalken am Wandkopf angeordnet. Ringbalken sind biegesteife Balken, welche in der Wandebene auf dem Wandkopf liegen und horizontale Kräfte aufnehmen können. Diese Kräfte leiten sie dann in die Wandscheiben ab. Ein Ringbalken muss nicht immer vollständig um ein Gebäude herumgeführt werden. Es kann ausreichend sein, wenn er bis zu seinen Auflagerpunkten in den Wandscheiben geführt wird, die dann die horizontalen Lasten weiterleiten. Anzahl Bild Bewertung Die Wirkungslinien der aussteifenden Scheiben schneiden sich in einem Punkt. Somit hat das Gebäude keine Torsionssteifigkeit und ist nicht ausgesteift. - Räumliche Aussteifung mittels Scheiben Legende: +: gut; 0: möglich; 0-: ungünstig; -: falsch Gebãude in Skelettbauweise In einem Skelettbau können die Stützen in der Regel die Aussteifung des gesmaten Gebäudes nicht übernehmen. Ausnahmen bilden hierfür nur max. 2-Geschossige Gebäude mit eingespannten Stützen. Es muss dabei sichergestellte werden, das die Einspannwirkung der Stützen auch erreicht wird. Grundsätzlich sind aber Skelettbauten mittels Scheiben und/oder Kernen auszusteifen. Das Vorgehen entspricht dabei dem im Abschnitt Gebäudeaussteifung durch Scheiben beschriebenen. Die in den Tabellen aufgeführten Varianten können beim Skelettbau ebenfalls angewendet werden. Anzahl Bild Bewertung 1 Der Kern muss ausreichend Biege- und Torsionssteif sein. 2 Es entstehen Zwängungen aus Temperatur. + + Räumliche Aussteifung mittels Kerne Legende: +: gut; 0: möglich; 0-: ungünstig; -: falsch Tragwerke (2011) Prof. Dr. H. Stempfle -193-

194 Anzahl Bild Bewertung 1 und 1 Scheibe + 1 Die grosse Exzentrizität des Kerns bzgl. Horizontallasten führt zu einem torsionsweichen Tragsystem und zu Verdrehungen des Gebäudes. 3 Die grosse Exzentrizität des Kerns bzgl. Horizontallasten führt zu einem torsionsweichen Tragsystem und zu Verdrehungen des Gebäudes. 2 und 1 Scheibe Die grosse Exzentrizität des Kerns bzgl. Horizontallasten führt zu einem torsionsweichen Tragsystem und zu Verdrehungen des Gebäudes. 2 und 1 Scheibe 0- + Räumliche Aussteifung mittels Kerne Legende: +: gut; 0: möglich; 0-: ungünstig; -: falsch Tragwerke (2011) Prof. Dr. H. Stempfle -194-

195 Rahmentragwerke Rahmentragwerke werden häufig im Hallenbau, Festzelte etc. ausgeführt. Die 2-dimensionale Tragwerke werden in einem gewissen Abstand hintereinander aufgebaut. Dadurch wird ein Raum überspannt. In der Dach- und Fassadeneben wird dann eine sekundäre Tragstruktur erstellt. Somit wird aus dem ebenen Tragwerk Rahmen ein räumliches Tragwerk, welches allerdings räumlich ausgesteift werden muss. Die räumliche Aussteifung der vorgestellten Rahmentragwerke erfolgt wiederum über die Kombination von Aussteifung durch Scheiben bzw. über das Erreichen einer Scheibentragwirkung und Rahmen. In Querrichtung ist das gesamte Tragwerk durch die einzelnen Rahmen ausreichend ausgesteift. In Längsrichtung erfolgt die Aussteifung durch die Anordnung von Kreuzverbänden in der Dachebene und Wandebene. Die Kreuzverbände werden zwischen zwei Rahmen angeordnet. Die Kreuzverbände verbinden die beiden Rahmen und erzielen in der Ebene eine Scheibentragwirkung. Dadurch erreicht man ein steifes Tragsystem mit zwei Rahmen. An diesem werden weitere Rahmen angehängt, welche nicht noch zusätzlich mit Kreuzverbänden ausgesteift werden müssen. Je nach Länge der Hallen ist eine Aussteifung oder sind mehrere Aussteifungen in Hallenlängsrichtung erforderlich (s. Bild). Pendelstützen Werden Hallenkonstruktion nicht mit Rahmentragwerken sondern mit Pendelstützen ausgeführt, so sind zusätzlich Aussteifungen erforderlich. In Querrichtung muss durch Auskreuzungen eine Aussteifung, welche bisher die Rahmen übernommen haben, erzielt werden. Ein Beispiel hierfür ist im nebenstehenden Bild dargestellt. Im Bereich der Traufe sind zusätzlich Kreuzverbändeerforderlich, damit die horizontalen Kräfte über die steife Ebene der Traufe in die Vertikalaussteifung (quer) und von dort in den Baugrund eingeleitet werden kann. Räumliche Aussteifung bei Rahmentragwerken Räumliche Aussteifung bei Rahmentragwerken Tragwerke (2011) Prof. Dr. H. Stempfle -195-

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