SGANARELLE oder DER SCHEINBARE HAHNREI

Transkript

1 Molière SGANARELLE oder DER SCHEINBARE HAHNREI (Originaltitel: Sganarelle ou Le cocu imaginaire) Komödie Aus dem ranzösischen von Eva Walch 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2000 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 PERSONEN Lélie Gros-René Sganarelle Bürger von Paris seine Tochter ihr Geliebter Lélies Diener Bürger von Paris und scheinbarer Hahnrei Die Frau Sganarelles Villebrequin Vater von Valére der Verwandter der Frau Sganarelles DER ORT IST PARIS 3

4 I. Ha! Ich sag Euch, das tu ich nie! Was untersteht Ihr Euch, Fräulein. Rebelliert Ihr gegen was ich entschieden? Meine Macht über Euch wär nicht endlos hienieden? Und besser wär was Euer Gehirn ersponnen Als was väterlicher Verstand ersonnen? Wer von Recht hier das Recht macht, ich frage dich Bist du das oder bin das ich? Siehst du Gans nicht, was für dich ersprießlich? Reiz mich nicht, sonst werd ich verdrießlich Und du sollst fühlen ohne Erbarm Die große Kraft in meinem Arm. Was Euch geziemt, aufsässiges Kind Ist: den Gatten wählen, der Euch bestimmt. Nicht kenn ich, sagt Ihr, seine Männlichkeit Und ob er für Euch von Annehmlichkeit. Ich weiß, sag ich, er erbt großes Gut Ist es mehr, was mir zu wissen nottut? Der Gatte mit zwanzig Millionen Goldstücken Wäre nicht imstande, Euch zu entzücken? Wie sonst er auch ist mit diesem Geld Ist er ein Mann von Ehre und Welt. Ach. Was Ach. Was soll das heißen Ach. Habt Ihrs gehört, ihr schönes Ach? Laßt mich erst richtig wütend sein Dann könnt Ihr lange Ach, Ach schrein. Das ist der Einfluß der Romane Die man dich Tag und Nacht lesen sieht. Meine Dame Dein Kopf steckt voll Liebesgeschichten und Gott weniger als Lélie führst du im Mund. Ins Feuer mit diesen Amüsements Die täglich verderben unsre junge Intelligenz. Lies wie du sollst statt dieser Komödien Traktate, Homilien und Tragödien Bücher, die recht das Herz erwärmen Voll guter Sprüche zum Auswendiglernen. Der Sünde Lohn großes Lob gebührt Lehrt, wie man ein anständig Leben führt. Nicht mehr wirst du nach diesen Moralitäten Des Vaters Willen entgegentreten. 5

5 Was, mein Vater, soll ich vergessen Die Liebe, die so lang für Lélie ich besessen? Gewiß: Ihr allein knüpft mein Eheband Doch Ihr selbst gabt mich richtig in seine Hand. Ob Hand oder Herz ob falsch oder richtig Ein Mann mit Geld will dich das ist wichtig. Lélie ist hübsch, doch es ist einer nichts Der Tag und Nacht herjagen muß hinter Besitz. Gold gibt dem Häßlichsten Anmutigkeit Alles andre ist eitel Langweiligkeit. Du betest Valére ich weiß nicht an Doch wenn nicht als Geliebten, dann als Mann. Das Wort Gatte erquickt innig das Gemüt Und die Liebe oft erst in der Ehe erblüht. Doch soll ich reden und die Zeit mir stehlen Wenn ich das Recht hab zu befehlen. Deine Frechheiten kenn ich zum Überdruß Mit deinen Launen ist jetzt Schluß. Der Eidam zu Besuch heut abend kommt Empfangt Ihr ihn nicht, wie sichs frommt Und zeigt ihm nicht Euer bestes Gesicht Dann werd ich mehr sag ich nicht. II. Was! Madame! Die Zunge rausstrecken Wo andre sich die Finger lecken? Da wird ihr ein Mann angeboten und Kein Ja kommt da aus ihrem Mund. Würd einer mir die Eh offerieren Ich täte mich nicht lange zieren Und wegen des angenehmen Zwecks Gäb ich statt einem Ja gleich sechs. Der Euren Bruder unterricht Der Lehrer hatte Unrecht nicht Als er wir sprachen über die Welt Die Frau dem Efeu gleichstellt Der umrankt er den Baum gedeiht Doch losgerissen kommt er nicht weit. Ach! Es ist wahr, was ich erzähle 6

6 Ich selbst habs erlebt, ich arme Seele. Er ruh in Frieden, mein Valentin Als er lebt, hatt ich Haut wie Cherubin Dicke Brüste! Hüften! Ein zufriednes Gemüt Und jetzt vertrocknet und verblüht. In den Tagen des Glücks, das mir so teuer Schlief ich selbst im Winter ohne Feuer Zu dumm war mirs zu wärmen die Laken Jetzt zittre ich in den Hundstagen. Nichts gleicht glauben Sie mir Madame Einem nachts in Ihrem Bett befindlichen Mann Und seis nur, daß er sagen kann ein Gott- Sei-mit-dir überrascht Sie im Bett der Tod. Was! So eine Schandtat sollt ich begehn? Valére nähm ich und Lélie ließ ich stehn? Lélie? Ein Holzbock ist Euer Lélie So lang auf Reisen blieb sonst er nie Seit er letzt hier war, die Zeit, die verronnen Sagt mir: er hat sich anders besonnen. (Zeigt ihr ein Bild von Lélie.) Ah! Wär dein Trauerorakel nicht wahr. Sieh hier diese Züge! Dies Augenpaar! Steht hier nicht ewige Treue geschrieben? Auf dieser Stirne stünden Lügen? Und weil denn unwahr nicht die Kunst Behält er meine treue Gunst. Ja, der Mann tut es verdienen. Eure Liebe zu ihm laßt sie nur grünen. Drum will ich Ah! Zu Hilfe! (Sie läßt das Bild Lélies fallen.) Gleich! Wie das? Was! Himmel! Sie wird bleich. He! Schnell! 7

7 III. Sganarelle Hier bin ich. Wo gebrichts? Die Herrin stirbt. Sganarelle So. Weiter nichts. Ich roch schon Pest und Feuersnot. Doch treten wir näher. Madame, sind Sie tot? Sie ist stumm. Nanu. Ich eil Und hol Hilfe. Haltet sie derweil. IV. Sganarelle (Streicht mit der Hand über s Brust.) Kalt hier und hier. Ich will doch sehn Ob ihr aus dem Mund der Atem tut gehn. Ha! Nun. Ich weiß nicht. Doch versteh ich Die Zeichen recht, lebt sie. Die Frau Sganarelles (Sieht aus dem Fenster.) Was seh ich? Mein Mann! Ich werd hinunterlaufen. Er betrügt mich. Ich will ihn mir kaufen. Sganarelle Die Frau Sganarelles Los, hier muß man Hilfe anwerben Weil es wär Unrecht, so früh zu sterben. Die Welt verlassen ist verkehrt Solang sie einen gut ernährt. (Er trägt sie in ihr Haus mit einem Mann, den die herbeibringt.) Wie schnell ist er von hier verschwunden Meine Neugier kann nichts mehr erkunden Doch zweifle ich nicht an seinem Ehebruch Was ich gesehn hab, sagt mir genug. Zärtlichkeiten verteilt er frei Haus An andre, mich hungert er aus. Darin gleichen sich unsere Männer: Was erlaubt ist, langweilt den Kenner. 8