Flüchtlingskinder zwischen Trauma und Entwicklung
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- Peter Hummel
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1 Flüchtlingskinder zwischen Trauma und Entwicklung Dr. phil. Maria Teresa Diez Grieser Empeiria Projekt- und Konzeptentwicklung Forschungsleitung Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste St. Gallen Fachtagung punkto, Baar, 7. März 2017
2 Zahlen und Fakten Über 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Menschen flüchten vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan sowie aus Somalia und Eritrea (Quelle: United Nations High Commissioner for Refugees UNHCR, 2014/2015).
3 Zahlen und Fakten Schweiz 2016: J., J., 1389, J, J 2016: UMA* Die meisten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden sind zwischen 16 und 17 Jahren alt und kommen aus Eritrea, Afghanistan, Somalia oder Syrien. Ca. 16% davon sind Mädchen (Statistik SEM) * UMA, MNA, UMF (D)
4 Erwartungen der minderjährigen Flüchtlinge Leben in Angstfreiheit Selbstwirksamkeit Tragfähige Beziehungen Bildungsmöglichkeiten und berufliche Perspektiven Ordentliche Unterbringung Soziale Einbindung Familiennachzug Schnelle Integration (Asefaw, 2016)
5 Flucht und Trauma Flüchtlinge, die in ihrem Herkunftsland traumatisierenden Erfahrungen und Erleben ausgesetzt waren und die dadurch verletzlicher geworden sind, werden auf der Flucht häufig erneut massiven psychischen Belastungen ausgesetzt, die zur Quelle neuer Störungen werden können oder die vorhandenen psychischen Folgen verstärken.
6 Flucht und Trauma II Es wird davon ausgegangen, dass die Kombination zwischen vergangener Traumaerfahrung und die Hoffnungslosigkeit in der Gegenwart einen negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Flüchtlingen aufweist (u.a. Sourander, 2003).
7 Flucht und Trauma III Auf der individuellen Ebene werden psychiatrische Erkrankungen der primären Bezugspersonen, Hilflosigkeit der Bezugspersonen, arbeitslose Eltern sowie Foltererfahrungen der Mutter als relevante Risikofaktoren genannt.
8 Flucht und Trauma IV Forschungsergebnisse nennen weitere potentielle Umfeldrisikofaktoren bei Flüchtlingen wie die Anzahl der Transfers im Aufnahmeland, die Armut, die Zeit bis zur Erlangung eines klaren Aufenthaltsstatus, die kulturelle Isolation sowie die gesamte Dauer des Verbleibens im Exil (u.a. Lustig et al., 2004).
9 Flucht und Trauma V Norwegische Studien verweisen auf die häufig schlechten Lebensbedingungen im Aufnahmeland (u.a. überfüllte Asylzentren) als Risikofaktoren für kindliche Entwicklung (Berg et al., 2005). Die psychische Gesundheit von Flüchtlingskindern kann durch negative Erfahrungen mit Gleichaltrigen gefährdet werden (Almqvist et al. 1999).
10 Mehrfache Belastungsmomente Herkunftsland: Verlusterlebnisse, Trennungen, Traumatisierungen Flucht: Beziehungsabbrüche, Verlust der biographischen Kontinuität, Traumatisierung während der Flucht Aufnahmeland: Kultur, Spracherwerb, Schule/Ausbildung, Diskriminierung ZUKUNFT? Häufig multiple Traumata in der Vergangenheit, hohe Belastung in der Gegenwart und eine ungewisse Zukunft (Plener, 2016)
11 Allein mit den Belastungen: minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge Kriegs- und Gewaltsituationen können zu Derealisationsprozesse führen Unterschied Realität/Fantasie. Verlust der Bezugspersonen, der gewohnten Umgebung verarbeiten. Erfahrung des Disempowerments Handlungen lokaler und staatlicher Stellen in Drittländern ausgeliefert. Innerer Dialog mit den Eltern, mit der eigenen Identität aufrechterhalten trotz Überflutung und Überforderung im Aufnahmeland. Unsicherheit im Aufnahmeland aushalten.
12 Psychische Gesundheit von Flüchtlingen Viele erwachsene Flüchtlinge sind traumatisiert: 19%- 46%. PTBS bei ca. 23% und bei 31% Depression (Heeren et al., 2012). Geflüchtete Kinder und Jugendliche in Flüchtlingscamps: PTBS bei 24%-87% (Vossoughi et al., 2016). Einfluss der elterlichen Erfahrungen auf Kinder; z.b. Folter als schwerwiegendes Ereignis (Fazel et al., 2012).
13 Ergebnisse Review UMA (Witt et al., 2015) Mehrzahl der UMA hat traumatische Erfahrungen; meist Kriegserfahrungen (bis 97%). UMA haben signifikant häufiger traumatische Erfahrungen als begleitete Kinder/Jugendliche. Prävalenzen für PTSS: zwischen 17% und 62% für männliche UMA bis 71% für weibliche UMA
14 Posttraumatische Belastungsstörungen Kindern Vorkommen der PTBS je nach Trauma zwischen 24% und 100% (Landolt, 2004). Interpersonale körperliche Gewalt: 38% - 100% Krieg: 27% - 74% Naturkatastrophen: 24% - 91% 14
15 Zahlen und Fakten: Flüchtlinge Viele erwachsene Flüchtlinge sind traumatisiert: 19%- 46%. Prävalenz PTBS für UMA: zwischen 20% und 30%, Depression 9%-44%, Angst 18%-38%. Kleinere Kinder: (noch) keine Zahlen. Untersuchungen in Nordeuropa zeigen, dass häufig Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme vorhanden. Diez
16 UMA und Trauma* Resilienz/psychische Störungen bei UMA: 44%-58%/42%- 56% Prävalenz PTBS für UMA: zwischen 20% und 30% Depression: 9%-44%, Angst: 18%-38%. Externalisierende Störungsbilder: 2-5% (weniger als bei der Allgemeinbevölkerung und bei begleiteten Jugendlichen) *weniger Studien als bei Erwachsenen vorhanden
17 Kleinere Flüchtlingskinder geschützer vor Belastungen? Schutz und Pufferung der Belastung durch Bezugspersonen Transmissionseffekte durch Bezugspersonen Parenting beeinträchtiigt M.T. Diez 2016
18 Zusammenspiel zwischen risikomildernden und risikoerhöhenden Bedingungen (Petermann et al., 2004) Risikoerhöhende Bedingungen Risikomildernde Bedingungen Kindbezogen (primäre Vulnerabilität) Umgebungsbezogen (Risikofaktor) Kindbezogen Umgebungsbezogen (Schutzfaktor) Entwicklungs- Förderliche Bedingungen Phasen erhöhter Vulnerabilität Sekundäre Vulnerabilität Resilienz Kompetenz Belastungen Ressourcen Bilanz: Belastungen vs. Ressourcen
19 Einfluss ACE auf Gesundheit und Wohlbefinden über die Lebensspanne (nach Zeanah et al., 2016) Frühzeitiger Tod Krankheiten, Behinderungen und soziale Probleme Übernahme von Risikoverhaltensweisen Soziale, emotionale und kognitive Beeinträchtigung Gestörte neurobiologische Entwicklung Belastungen in der Kindheit
20 Spezifische Risikofaktoren bei UMA Mangelversorgung und emotionale Deprivation Fehlen von familiären Schutz Zu viel Verantwortung/Schuldgefühle gegenüber Familie Identitätsverlust und Entwurzelung Anzahl an belastenden Lebensereignissen/Traumata Art der Traumatisierung; direkte körperliche Verletzung Weibliches Geschlecht
21 Spezifische Schutzfaktoren bei UMA Schneller, klarer Aufenthaltsstatus Adäquate Unterbringung Kontakt zur Familie im Heimatland (in Studie geringere Depressionswerte) Familiennachzug Berufliche und persönliche Perspektiven Geringere Traumatisierung
22 Inanspruchnahme von Hilfen durch UMA (Witt et. al, 2015)
23 Bedürfnisse und Hilfen für UMA (Plener, 2016)
24 Belastungsgrad bei Flüchtlingen und Interventionen Resiliente Kinder Entwicklungsförderliche Angebote Kultursensibilität Perspektiven für die Eltern Belastete Kinder ohne Trauma i.e.s. Niederschwellige Angebote für Kinder und Eltern Traumawissen und -sensibilität Traumatisierte Kinder Traumapädagogik Mu-Kind-Therapien bzw. Familientherapien, Gruppen- und Einzeltherapien
25 Hinweise AUF TRAUMA Aggressivität, oft anscheinend unvermittelt Hoher Erregungszustand Hohe Wachsamkeit Regressives Verhalten Distanzlosigkeit, Sexualisierung Abwesend, sich zurückziehend, nicht ansprechbar Scheinbar aus mehreren Ichs bestehend Konzentrationsprobleme Schlafstörungen/Schlafmangel Interesselosigkeit Klagen über Schmerzen Selbstverletzungen... 25
26 Traumapädagogische Empfehlungen für den Umgang mit Flüchtlingen 1. Sicherheit (Aufenthalt, Unterbringung, Tagesstruktur, körperliche Verfassung, soziales Umfeld). 2. Einrichtung als sicherer Ort (strukturelle Klarheit, Atmosphäre, Räume, Gewaltfreiheit) 3. Selbst als sicherer Ort: Selbstregulation stärken (Notfallkoffer: Übungen, Ablenktechniken etc.) 4. Sichere Bindung: 3-v-Personen 5. Unterstützung der Selbstwirksamkeit: positive Erfahrungen, Partizipation 6. Ressourcenorientierung
27 Selbstregulation: Strategien zur Distanzierung und Selbstberuhigung Atemübungen Körperübungen Ablenktechniken Notfallkoffer Hilfreiche Imaginationen (sicherer Ort, Tresor, Fernbedienung) Scherwath & Friedrich (2012): Soziale und pädagogische Arbeit bei Traumatisierung, S Fischer, G. (2007): Neue Wege aus dem Trauma. Patmos Verlag Ulm.
28 Literaturempfehlungen Zito, D., Martin, E. (2016): Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen. Ein Leitfaden für Fachkräfte und Ehrenamtliche. Beltz Juventa, Weinheim und Basel. Imm-Bazlen, U., Schmieg, A.-K. (2017): Begleitung von Flüchtlingen mit traumatischen Erfahrungen. Springer, Heidelberg. Zimmermann, D. (2015): Migration und Trauma. Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen. Pschosozial-Verlag, Giessen. Shah, H. (2015): Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge in Schulen, Kindergärten und Freizeiteinrichtungen. Zentrum für Trauma und Konfliktmanagement, Köln.
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