NICHT-TESTMÄßIGE DIAGNOSTIK / VERHALTENSBEOBACHTUNG
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- Helmuth Schubert
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1 1 NICHT-TESTMÄßIGE DIAGNOSTIK / VERHALTENSBEOBACHTUNG Es gibt 2 Arten von Beobachtungen: 1) Gelegenheitsbeobachtungen 2) systematische Verhaltensbeobachtung ad 1) GELEGENHEITSBEOBACHTUNG 12. Vorlesung / wird bei psychologischen Diagnostizieren immer eingesetzt, vor allem beim persönlichen Umgang mit einer TP, also in einer Individualsituation (eher nicht in Gruppensituationen); vor allem bei Kindern, wo Kontakt-Verhalten interessiert. ABER: Gelegenheitsbeobachtung = immer subjektiv und liefert nichtkontrollierte Auswahl von Beobachtungsmöglichkeiten. Gelegenheitsbeobachtung wird dann gemacht, wenn unsere Erwartung enttäuscht wird (vgl. wenn jemand in VO sitzt und mitschreibt [wurscht, was], so wird Kubis Erwartung nicht enttäuscht, wohl aber wenn jemand in VO sitzt und strickt ) Kind nimmt Bleistift abwechselnd in rechte und linke Hand; Kind fragt dauernd Wie meinst du das? => kann alles hilfreich sein für Diagnose AID II Beiblatt Arbeitshaltungen : ist geeignet, um etwaige systematische Gelegenheitsbeobachtung retrospektiv zu vermerken. z.b. Kind spricht nur leise, reagiert kaum auf Aufforderungen, usw. -> das alles kann hier im Nachhinein registriert werden Gelegenheitsbeobachtungen haben in etwa denselben Aussagewert wie projektive Verfahren; sind enorm wichtig zum Hypothesengenerieren.
2 2 ad 2) SYSTEMATISCHE VERHALTENSBEOBACHTUNG Definition 1 : Verhaltensbeobachtung = die auf Verhalten eines oder mehrerer Menschen gerichtete, nicht dem Zufall überlassene, methodisch kontrollierte Wahrnehmung, mit der Absicht, dadurch etwas für die Persönlichkeit Charakteristisches zu erfassen. wann kommen wie viele zu spät in die Vorlesung (im Unterschied dazu: es kommt jemand zu spät in die Vorlesung = Gelegenheitsbeobachtung) Arten: a) beteiligter Beobachter: Psychologe ist gleichzeitig TL (gibt Test vor UND registriert); typisch für psychologische Diagnostik b) unbeteiligter Beobachter: Psychologe teilt eine unbeteiligte Person ein, die das VH der TP beobachtet (z.b. in Ausbildungssituation -> Person beobachtet, wie TL reagiert); geht nicht, wenn Psychologe gleichzeitig TL ist -> involvierter Psychologe kann nur Gelegenheitsbeobachtung anstellen, weil er nicht alles gleichzeitig tun kann... anwesender unbeteiligter Beobachter: stört etwas allein durch seine Anwesenheit (vgl. Lehramtsstudenten im Schulunterricht als Beiwagerl ); wenn er aber nicht mitkommuniziert, verliert er bald an Bedeutung Fazit: in länger dauerndem Prozess = anwesender unbeteiligter Beobachter nicht störend (bloß am Anfang) -> vgl. therapeutische Ausbildung (Klient ignoriert den Beobachter relativ rasch, weil er emotional stark sein seine Probleme involviert ist und somit die Anwesenheit des Beobachters vergisst) nicht anwesender unbeteiligter Beobachter: schaut durch Einwegspiegel; Videokamera; ist grundsätzlich ethisch 100%ig abzulehnen, wenn Klient nicht darüber informiert ist; ist Klient aber informiert und hat er zugestimmt -> ist dasselbe wie bei anwesendem unbeteiligtem Beobachter (Klient ist es aber oft lieber, dass Beobachter anwesend ist als hinter dem Einwegspiegel, weil Klient da die Möglichkeit hat, die Situation zu kontrollieren) [das alles gehört auch hingeschrieben, wenn nach dem Gütekriterium Akzeptanz gefragt ist!] 1 aus Lexikon der Psychologie von Arnold, Eysenck und Meili
3 3 Gütekriterien: Objektivität: Gelegenheitsbeobachtung ist sehr subjektiv; ähnlich wie projektives Verfahren; Unterschied zu projektivem Verfahren = aber: Gelegenheitsbeobachtung = TYPISCH subjektiv; ist Ausdruck der Persönlichkeit des Beobachters; eigene Projektion des Beobachters spielt große Rolle! Reliabilität: Frage: Ist das, was ich per Gelegenheit beobachte, über Zeitdauer stabil (z.b. Kind wechselt Bleistift in verschiedenen Händen)? -> ist meist nicht der Fall. Fazit: Objektivität und Reliabilität sind bei Gelegenheitsbeobachtung sehr zweifelhaft! Validität: Systematische VH-Beobachtung im Vergleich mit Persönlichkeitsfragebogen: Persönlichkeits-Fragebogen = verfälschbar und werden auch regelmäßig verfälscht. Wie ist das bei systematischer VH-Beobachtung? Kann extrovertierte Person ihre Extrovertiertheit in systematischer VH- Beobachtung verschleiern? Geht eventuell kurze Zeit, aber z.b. kaum ein ganzes Schuljahr -> daher ist systematische VH-Beobachtung wichtiges Instrument in Psychotherapie. D.h. sie ist höher anzusetzen als ein Persönlichkeits-Fragebogen! Fragebogen erfasst Verbal-Verhalten (z.b. ja, ich gehe auf Parties auf andere zu) -> Verbal-Verhalten ist interessant, aber Real-Verhalten ist eher verwertbar! VH-Beobachtung liefert IMMER Realverhalten! In Persönlichkeits-Fragebogen geben Personen Angaben, weil sie glauben, dies entspräche ihrer Persönlichkeit... In Wirklichkeit aber kennen sie sich selber oft gar nicht! -> hier liegt ein großer Vorteil der VH-Beobachtung! Fazit: Persönlichkeits-Fragebogen können mit Hilfe der systematischen Verhaltensbeobachtung (als Außenkriterium) validiert werden!
4 4 Um systematische VH-Beobachtung zu bewerkstelligen, muss protokolliert werden, was systematisch beobachtet wird bekanntestes Kategorisierungssystem dafür ist von BALES (1960): beobachtete Interaktionen in Kleingruppen; nach Protokollieren wird in Kategoriensystem übertragen. Liste mit Verhalten umfasst z.b. Items wie: - zeigt Solidarität, bestärkt, hilft, belohnt - entspannt Atmosphäre, scherzt, lacht, zeigt Befriedigung - stimmt zu, nimmt passiv hin, versteht, stimmt überein, gibt nach - macht Vorschläge, gibt Anleitung, wobei Autonomie der anderen impliziert wird Diese 5 Items werden dann der Kategorie emotional-positiv zugeordnet. Insgesamt gibt es 4 Kategorien (emotional-positiv / Wunsch oder Beantwortung / Fragen / emotional-negativ) Fehler an diesem System: Mangel an Wissenschaftlichkeit, Eindeutigkeit, Objektivität... z.b. Wie zeigt jemand Befriedigung? woran erkenne ich das? was macht er da? So ein Item ist NICHT Beobachtung eines Verhaltens, sondern Interpretation; ABER: bei VH-Beobachtung muss ganz strikt zwischen Beobachtung und Interpretation getrennt werden!!! wichtigster Kritikpunkt = Vermischung von Beobachtung und Interpretation, d.h. Prinzip der systematischen VH-Beobachtung wird hier verletzt! Interpretation erst am Ende aus Gesamtschau des Ergebnisses!
5 5 GRAPHOLOGIE = VH-Beobachtung, eingeschränkt auf bestimmtes Verhalten, und zwar das Schreibverhalten bzw. auf dessen Produkt spielte große Rolle vor etlichen Jahrzehnten in Diagnostik; gibt es bis heute (vor allem in Deutschland noch heute im Personalwesen eingesetzt [Anm. der Verfasserin: auch bei uns: Schlumberger verlangt z.b. von Bewerbern einen handschriftlichen Text, um ihn einem Graphologen vorzulegen -> so passiert vor ca. ½ Jahr meinem Mann... ] Aus Ausdrucks-VH wird vom Graphologen auf Persönlichkeit geschlossen; Schriftneigung etc. macht angeblich Aussagen über Persönlichkeit; operationalisierte Parameter werden verwendet (d.h. Größe der Schlingen wird z.b. gemessen -> das ist an sich nix Schlechtes, sondern OK!) Untersuchung von Schriften von Häftlingen, um auf Kriminalität zu schließen; dazu Dissertation von Grillmayer (verwendete Standardtext -> bei Graphologen SEHR unbeliebt!) 9 Graphologen wurden untersucht; VG waren Häftlinge; KG Normalos (Verhältnis 50: 50); Ergebnis: nur EIN Graphologe konnte signifikant die richtigen Zuordnungen treffen... Fazit: Graphologie ist ein hilfreiches Instrument zum Geldverdienen, aber nicht für die Diagnostik!
6 6 ASSESSMENT-CENTER: = auch ein VH-Beobachtung, z.b. verschiedene Übungen, die Produkte des Verhaltens messen (z.b. Präsentation eines Vortrags, Gruppendiskussion, Bewährung in Diskussion mit Vorgesetztem, usw.) Ist das jetzt eine systematische VH-Beobachtung oder eine Gelegenheitsbeobachtung? Antwort: beides; wenn durch geschulte Beobachter, dann systematische VH- Beobachtung, wenn durch Firmenangestellte Gelegenheitsbeobachtung. geschulte Beobachter sind tatsächlich in der Lage, systematisch objektiv bestimmbare Verhaltensweisen zu protokollieren, zu kategorisieren und zu bewerten (= wichtigste Bestandteile der systematischen VH-Beobachtung!) Firmenangestellte als Beobachter in Assessment-Center eingebaut systematische VH-Beobachtung ist nicht gegeben (wegen Übertragung und Gegenübertragung). Vorteil: Angestellte suchen sich DEN passenden Mitarbeiter aus; Nachteil: ob das allerdings auch der Beste ist, ist fraglich (d.h. diese Vorgangsweise ist wissenschaftlich betrachtet nicht fair!); typisch = hier auch Rechtfertigung des Aufwands (d.h. haben sich die Auswähler geirrt, so geben sie das später sicher nicht zu) Dissertation von Strunz (2002) -> hat systematischen VH-Beobachtungs- Leitfaden entwickelt; für klinische Psychologie = Indexsystem zu Störungen des Sozial-Verhaltens Ausgangspunkt: Aggressivität von Kindern zu diagnostizieren = sehr schwer, um festzustellen, ob ICD-Kategorien erfüllt sind oder nicht; Strunz erstellte ein Klassifikationssystem dazu z.b. AVP (= Agressivität verbal gegen Peer-Mitglieder) wird erfasst mit Items wie schimpfen, du Vollidiot, ich hau dir gleich eine rein. APE (= Aggressivität physisch gegen Erwachsene) wird erfasst mit Items wie treten, beißen, schlagen, zwicken, usw. Kind wird beobachtet und das VH in Intervallen von 20 Sekunden protokolliert. Strunz untersuchte viele Videoprotokolle, um dieses Schema erstellen zu können. ABER: Kategorisierung ist möglich, aber Instrument ist in der Praxis uneinsetzbar, weil viel zu arbeitsaufwändig; geeignet für Forschung (z.b. zur Validierung von Persönlichkeitsfragebogen), aber nicht in Praxis für Einzelfalldiagnose!
7 7 SOZIALE INTELLIGENZ = vor allem wichtig für Personalauswahl, wenn man z.b. Mitarbeiter mit Teamfähigkeit sucht. Definition von Thorndyke: Soziale Intelligenz = Fähigkeit, andere zu verstehen und in zwischenmenschlichen Situationen klug zu interagieren. Dazu Kubinger: So kann man das nicht zusammenmantschen... Es geht zuerst um Verstehen, und DANN um agieren (vgl. Kind versteht, dass sein VH sozial unklug ist, macht es aber trotzdem! d.h. es HAT soziale Intelligenz!) => sozial kluges Agieren und Verstehen muss auseinander gehalten werden, daher: Definition von Kubinger: Soziale Intelligenz = Fähigkeit, Gedanken, Gefühle und Intentionen anderer zu erkennen. In welche Richtung z.b. Kind dann agiert, damit muss sich die Diagnostik noch auseinandersetzen. Soziale Intelligenz = eine Eigenschaft, die früher als Bündel von Eigenschaften (Verstehen + Agieren) betrachtet wurde -> heute: die beiden Aspekte müssen getrennt werden (z.b. hat er die Fähigkeit, zu erkennen, dass er mit einer Waffe Schaden anrichten kann, UND wird er die Waffe tatsächlich einsetzen?) Hat aggressives Kind soziale Intelligenz -> hier ist es schwieriger zu intervenieren; hat es soziale Intelligenz nicht, muss nacherzogen werden, da Mangel aus seiner Sozialisation vorliegt. Fragebogen von Guildford: [eher grotesk... ] Bilder mit Gesichtern -> 5 Möglichkeiten: welche Gesichter passen zusammen, weil sie die gleichen Emotionen ausdrücken? 3 Bilder und dazu ein Satz sind vorgegeben -> welches der Gesichter passt am besten zu dem Satz? (welcher Gesichtsausdruck spiegelt Bedeutung des Satzes am ehesten?) 2 Gesichtshälften zusammensetzen, um eine bestimmte Stimmung am besten auszudrücken ABER: alles ist dabei möglich... Fazit: soziale Intelligenz ist SO nicht zu untersuchen!
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