Vorlesung Allgemeines Verwaltungsrecht WS 2011/12 Prof. Dr. Heinrich de Wall. Probeklausur
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- Jutta Kaiser
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1 1. Falllösung Probeklausur Nachdem die Partei für radikalen Naturschutz (PRN) die letzte Kommunalwahl gewonnen hat, werden im Haushalt der Gemeinde G (rechtmäßig) Mittel zur Förderung von langfristigen Renaturierungsmaßnahmen ausgewiesen, die an aktive Bürger bei entsprechendem Antrag ausgezahlt werden. Explizit erwähnt ist die Förderung von Naturwiesen, um die Wiederansiedlung seltener Arten und wilder Tiere zu ermöglichen. Der in G ansässige Bauer B möchte daraufhin eine an sein Haus angrenzende Futterwiese brach liegen lassen und somit einen Beitrag zum Naturschutz leisten. Nach einem entsprechenden Antrag erlässt die G einen formell ordnungsgemäßen Bewilligungsbescheid und zahlt 1000 Förderprämie. B ist jedoch schon nach kurzer Zeit vom umherfliegenden Samen, den Wühlmäusen etc. sehr genervt, da diese auch negative Auswirkungen auf seine sonstigen landwirtschaftlichen Flächen haben. Kurzerhand mäht er die Wiese ab. Hierbei ist B sich durchaus bewusst, dass die Förderung nur für langfristige Projekte gedacht war. Als die Gemeinde hiervon Kenntnis erlangt, hebt sie den Bewilligungsbescheid auf. Zu Recht? Lösungsskizze: Die Aufhebung erfolgte zu Recht, wenn eine Rechtsgrundlage existierte und die Aufhebung selbst formell und materiell rechtmäßig erfolgte. I. Rechtsgrundlage Eine Rechtsgrundlage für die Aufhebung könnte Art. 48 oder Art. 49 BayVwVfG darstellen. Die Abgrenzung von Art. 48 und 49 BayVwVfG erfolgt danach, ob der aufzuhebende Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig war. Im ersteren Falle ist die richtige Rechtsgrundlage Art. 49 BayVwVfG, im letzteren Art. 48 BayVwVfG. Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheids Auch der Bewilligungsbescheid ist nur dann rechtmäßig, wenn eine Rechtsgrundlage existierte und der Bescheid selbst formell und materiell rechtmäßig erging. 1
2 Rechtsgrundlage für den Bewilligungsbescheid Fraglich ist, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage vorliegt. Es existiert nämlich weder ein Bundes noch ein Landesgesetz, welches Subventionen der vorliegenden Art gewähren würde. Daher ist zweifelhaft, ob dem im Rechtstaatsprinzip gründenden Vorbehalt des Gesetzes genügt ist. Allerdings könnte unter Umständen die von der Gemeinde erlassene Satzung als Rechtsgrundlage ausreichen. Dies ist zwar nicht bei belastenden, wohl aber bei begünstigenden Verwaltungsakten der Fall. Mangels eines Eingriffs in Rechte des Bürgers bedarf es bei begünstigenden Verwaltungsakten keines formellen Gesetzes. Anders wäre dies nur, wenn durch die konkrete Begünstigung andere Grundrechtsträger wiederum in ihren Grundrechten verletzt würden. Dies erscheint vorliegend jedoch abwegig, da alle ökologisch aktiven Bürger die Förderung erhalten. Nach alledem reicht die Ausweisung der Fördermittel im Haushaltsplan der Gemeinde aus, um eine taugliche Rechtsgrundlage zu bilden. Formelle Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheids Hinweise für Fehler im formellen Bereich des Bewilligungsbescheids sind nicht ersichtlich. Zuständigkeit, Verfahren und Form wurden gewahrt. Materielle Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheids Der Bewilligungsbescheid müsste auch materiell rechtmäßig sein. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids hatte B seine Futterwiese verwildern lassen, weshalb die von der Satzung zur Renaturierung aufgestellten Erfordernisse gewahrt waren. Der Bewilligungsbescheid ist daher auch materiell rechtmäßig ergangen. Zwischenergebnis: Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids kommt daher Art. 49 BayVwVfG in Betracht. Zu differenzieren ist jedoch weiterhin, ob es sich um einen begünstigenden VA handelte dann Art. 49 II/IIa BayVwVfG oder um einen belastenden dann Art. 49 I BayVwVfG. 2
3 Vorliegend wurden durch die Fördermittel diejenigen Bürger begünstigt, die bspw. eine Wiese brach liegen ließen. Es handelt sich daher bei dem Bewilligungsbescheid um einen begünstigenden VA. Fraglich ist daher noch, ob Art. 49 II oder Art. 49 IIa BayVwVfG herangezogen werden muss. Zu beachten ist bei dieser Abgrenzung, dass Art. 49 II BayVwVfG nur einen Widerruf mit Wirkung für die Zukunft zulässt, während nach Art. 49 IIa BayVwVfG auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden kann. Nachdem es der Gemeinde wohl darauf ankommen wird, die gezahlte Förderung wiederzubekommen und gem. Art. 49a I 1 BayVwVfG die Erstattung nur bei Rücknahme oder Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit möglich ist, muss die Voraussetzung des Art. 49 IIa BayVwVfG geprüft werden. II. Formelle Rechtmäßigkeit des Widerrufs Der Widerruf müsste formell ordnungsgemäß erfolgt sein. Dies ist der Fall, wenn Zuständigkeit, Verfahren und Form gewahrt worden sind. Zuständigkeit Gem. Art. 49 IV BayVwVfG ist für den Widerruf die nach Art. 3 BayVwVfG zuständige Behörde zuständig. Dies ist vorliegend die Gemeinde (Art. 3 Nr. 1 oder 4 BayVwVfG). Verfahren Auch müsste das Verfahren gewahrt worden sein. Problematisch ist vorliegend, dass die G den B vor dem Widerruf nicht mehr angehört hat. Dies wäre gem. Art. 28 I BayVwVfG grundsätzlich nötig gewesen: Bei dem Widerruf handelt es sich um einen VA i.s.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG. Dies ergibt sich zunächst aus der actuscontrarius Theorie, wonach ein behördliches Handeln, welches einen VA beseitigt, ebenfalls ein VA sein muss. Der Bewilligungsbescheid war eine Einzelfallanordnung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Regelungswirkung nach außen. Sie besitzt damit alle von Art. 35 S. 1 BayVwVfG verlangen Eigenschaften und ist somit ein VA. Die fehlende Anhörung macht den Widerruf jedoch nicht zwingend endgültig rechtswidrig oder gar nichtig. Gem. Art. 45 I Nr. 3 BayVwVfG kann die unterbliebene Anhörung nämlich bis zur letzten Tatsachenverhandlung im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Ein VA, der ohne die nach Art. 28 BayVwVfG erforderliche Anhörung erlassen wurde, ist zwar (zunächst) rechtswidrig, aber heilbar. Form Fehler bei der Form sind nicht ersichtlich. 3
4 Zwischenergebnis: Der Widerrufsbescheid ist zwar zunächst aufgrund der fehlenden Anhörung rechtswidrig. Die III. Materielle Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids Zudem müsste der Widerrufsbescheid materiell rechtmäßig ergangen sein. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen des Art. 49 IIa 1 BayVwVfG vorliegen. 1. Tatbestand In Frage kommt vorliegend der Widerruf nach Art. 49 IIa 1 Nr. 1 BayVwVfG. Hiernach kann ein VA mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die gezahlte Geldleistung nicht, nicht alsbald nach Erbringung oder nicht mehr für den im Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird. Vorliegend erging der Bewilligungsbescheid zum Zwecke der Renaturierung. Es sollten Geldanreize geschaffen werden, die die Bürger veranlassen ihre Wiesen und Weiden in natürlichem Zustand zu belassen. Für den dadurch bestehenden geringeren Nutzwert der Wiesen zahlt die Gemeinde die Fördermittel. Zwar werden die Geldmittel von den Bürgern nicht i.e.s. verwendet, um etwas herzustellen, wie etwa bei Bausubventionen. Dennoch kann man unter dem Verwendungsbegriff im vorliegenden Sinne auch die Verwendung für ökologisch bedingte Nutzungsausfälle sehen. Wenn nun die Wiese nicht mehr vorhanden ist, so kann auch ein Nutzungsausfall nicht mehr kompensiert werden und der Zweck der Geldleistung fällt weg. Die Verwendung des Geldes für den Nutzungsausfall ist daher nicht mehr möglich, der Widerrufsgrund des Art. 49 IIa 1 Nr. 1 BayVwVfG daher erfüllt. (a.a. mit Hinweis auf den exakten Gesetzeswortlaut mit entspr. Argumentation wohl vertretbar) Die von Art. 49 IIa 2, 48 IV BayVwVfG aufgestellte Jahresfrist erscheint aufgrund mangelnder Hinweise im Sachverhalt gewahrt. 2. Ermessen Art. 49 IIa 1 BayVwVfG räumt der Behörde durch die Formulierung kann jedoch Ermessen ein. Der Widerrufsbescheid könnte daher auch rechtswidrig sein, wenn die Behörde die Grenzen des Ermessens nicht eingehalten hat. Das Ermessen der Behörde ist im Hinblick auf die Gewaltenteilung von den Gerichten jedoch nur in eingeschränktem Maße überprüfbar, vgl. 114 VwGO. 4
5 Offensichtliche Fehler bei der Entscheidungsfindung sind nicht ersichtlich, ein Ermessensfehler ist daher nicht erkennbar. Ergebnis: Der Widerrufsbescheid ist formell und materiell rechtmäßig ergangen. 2. Fragenteil Beantworten Sie die Fragen in knappen Sätzen oder Stichpunkten. Der Gutachtenstil ist hier nicht erforderlich. 1. Wo sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Exekutive geregelt? Art. 1 III, 3 I (für den Fall der Leistungsverwaltung Selbstbindung der Verwaltung), 20 III, 83 ff. GG 2. Erklären Sie knapp den Aufbau der Behördenorganisation des Freistaates Bayern. Gehen Sie hier auch auf den Unterschied zwischen kreisfreien und kreisangehörigen Gemeinden ein. Gemeinden Landkreise Bezirke Freistaat Kreisangehörig (auch Große Kreisstadt!): Gemeinde Landratsamt Regierung Ministerium Kreisfrei: Kreisfr. Stadt Regierung Ministerium 3. Was versteht man unter der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes? Formelle Bestandskraft: Keine Anfechtbarkeit mehr durch Rechtsbehelfe (Wdspr. und Klage!!!); d.h.: Ablauf der Widerspruchs bzw. Klagefrist ( 70 I 1, 74 I VwGO) Materielle Bestandskraft: Bindungswirkung des Inhalts des VA, nur noch eingeschränkte Aufhebbarkeit 4. Was ist die Rechtsfolge, wenn ein VA von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist? Macht es einen Unterschied, ob dieser Verwaltungsakt unbewegliches oder bewegliches Vermögen betrifft? 5
6 Unbewegliches Vermögen: NICHTIGKEIT, Art. 44 II Nr. 3 BayVwVfG Bewegliches Vermögen: Art. 46 BayVwVfG: ggf. Unbeachtlichkeit 5. Bestehen Möglichkeiten, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zu beseitigen? Differenzieren Sie hier zwischen den Möglichkeiten der Behörde und den Möglichkeiten des Adressaten des Verwaltungsaktes. Möglichkeit der Behörde: Art. 48, 49 BayVwVfG Möglichkeit Adressat: Antrag bei Behörde Verpflichtungsklage bei Ermessensreduzierung auf Null (Art. 48, 49 BayVwVfG) 6. Erklären Sie knapp den Aufbau der Rücknahme und Widerrufssystematik des BayVwVfG. Rücknahme: Widerruf: Art. 48 BayVwVfG: bei rechtswidrigen Verwaltungsakten Systematik: Art. 48 I 1 BayVwVfG: belastende VAe: Ermessen Art. 48 I 2, II IV BayVwVfG: begünstigende VAe Hier: Art. 48 II BayVwVfG: Geld oder Sachleistung Art. 48 III BayVwVfG: sonstige VAe entsprechender Aufbau bei Art. 49 BayVwVfG 7. Was versteht man unter Nebenbestimmungen? Welche unterschiedlichen Arten kennen Sie? Eine Nebenbestimmung ist eine zur Hauptregelung hinzutretende zusätzliche Bestimmung (die oft den Zweck hat, Hindernisse, die dem Haupt VA noch entgegenstehen, zu beseitigen). Das Beifügen einer Nebenbestimmung muss unterschieden werden vom Erlass eines anderen als dem gewünschten VA (d.h. wenn die Hauptregelung einen anderen Inhalt hat als den gewünschten; Fälle: Teilgenehmigung, Inhaltsbestimmung, modifizierte Gewährung) 6
7 Arten von Nebenbestimmungen sind: Befristung, Bedingung, Widerrufsvorbehalt, Auflage, Auflagenvorbehalt (vgl. Art. 36 II BayVwVfG) 8. Unter welchen Voraussetzungen sind Nebenbestimmungen zulässig? Differenzieren Sie hierbei zwischen ungebundenen Verwaltungsakten und solchen, auf die ein Anspruch besteht. Art. 36 I BayVwVfG: Rechtsvorschrift zugelassen oder Sicherung der Vorauss. des Vaes Art. 36 II BayVwVfG: Ermessen 9. Was ist der Unterschied zwischen einer Auflage und einer Bedingung im Sinne des Art. 36 BayVwVfG? Auflage: suspendiert nicht, aber zwingt Bedingung: zwingt nicht, aber suspendiert 7
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