5 Differenzialrecnung für Funktionen einer Variablen Ist f eine ökonomisce Funktion, so ist oft wictig zu wissen, wie sic die Funktion bei kleinen Änderungen verält. Bescreibt etwa f einen Wacstumsprozess, so ist die Wacstumsgescwindigkeit von Interesse oder auc die relative Wacstumsrate. Ist f eine Steuerfunktion, so ist die Frage bedeutend, welcer Steuerprozentsatz auf einen kleinen Zuverdienst zu zalen ist. Für ein Unternemen ist interessant, wie sic die (relative) Nacfrage nac einem Produkt bei (relativ) kleinen Preisänderungen ändert. Wictig ist auc die Bestimmung von Extremwerten ökonomiscer Größen, etwa die Minimierung von Kosten oder die Maximierung von Gewinnen. Bei der Beantwortung dieser Fragen ist die Differenzialrecnung nützlic. Alle Funktionen in diesem Kapitel sind stets von der Form f : D R wobei D R der Definitionsbereic ist. Also gibt es für jedes x D einen Funktionswert f(x). Beispiel 5.1 Angenommen, die Kostenfunktion eines Unternemens für die Pro- 242
duktion von x Stücken eines Gutes sei gegeben durc K(x) = 20 x+100. Nun ist das Unternemen daran interessiert, wie sic die Kosten bei kleiner Änderung der Produktionsmenge verändern. Eine standardisierte Information ist ierbei zum Beispiel, wie sic K(x) ändert, wenn man x um eine Eineit eröt. Die Änderung ist dann K(x + 1) K(x). Es sollte klar sein, dass eine solce Änderung von der Ausgangszal x abängt. Etwa ist K(101) K(100) = 20( 101 100) 0,998, K(1001) K(1000) = 20( 1001 1000) 0,361. Ziet man auc andere Änderungen von x in Betract, so ist es sinnvoll, die relative Änderung der Kosten im Verältnis zur Änderung von x zu berecnen. Das ist der Quotient K(x+) K(x) (x+) x = K(x+) K(x) (etwa für die Werte = 1, 0.1, 0.01) und gibt die durcscnittlice Kostenänderung pro zusätzlicer Mengeneineit an. In der folgenden Tabelle sind diese relativen Änderungen für einige Werte von x und angegeben. 243
K(x+1) K(x) 1 K(x+0,1) K(x) 0,1 K(x+0,01) K(x) 0,01 x 10 3,087 3,154 3,161 100 0,998 0,1 0,1 1000 0,316 0,316 0,316 Man siet, dass sic für kleine Werte von x die Änderung von x stärker auf die relative Änderung der Kosten auswirkt als für große Werte. Das kann man auc am Grapen seen, denn die Funktionswerte untersceiden sic in der Näe von x = 10 stärker voneinander als etwa bei x = 100 oder x = 1000. 800 700 600 500 400 300 200 100 0 200 400 600 800 1000 1200 x Man siet, dass die obige Situation durc die Steigung des Grapen erklärt wird. 244
5.1 Differenziation Bevor wir eine formale Definition der Ableitung einer Funktion angeben, soll zunäcst bescrieben werden, wie man die Steigung einer (krummlinigen) Funktion in einem Punkt festlegen und bestimmen kann. Steigung einer Funktion in einem Punkt 1. Ist f : R R eine Gerade, so ist die Steigung des zugeörigen Grapen an jeder Stelle gleic und lässt sic durc ein Steigungsdreieck ermitteln. 70 60 x0=2, =2 x1=5, =4 50 40 f(x1+ )-f(x1) 30 20 10 f(x0+)-f(x0) 0 2 4 6 8 10 12 x 245
Die Steigung ist definiert als Höe durc Breite eines Steigungsdreiecks, also f(x 0 +) f(x 0 ) = f(x 0 +) f(x 0 ). (x 0 +) x 0 Hierbei spielt es offensictlic keine Rolle, wo das Dreieck eingezeicnet wird und wie weit die beiden Stellen x 0 und x 0 + auseinanderliegen. Sie ist also unabängig von x 0 und. Ist f(x) = cx+d, so ist f(x 0+) f(x 0 ) = c = c. 2. Ist nun f : D R eine Funktion mit einem krummlinigen Grapen, so lassensicimmernocsteigungsdreieckezugegebenenstellenx 0 undx 0 + zeicnen; die daraus resultierende Größe f(x 0 +) f(x 0 ) (5.1) ängt nun aber im allgemeinen sowol von x 0 als auc von ab (siee Beispiel 5.1). Sie gibt die (relative) Veränderung der Funktionswerte im Verältnis zu den x-werten an. Außerdem lässt sie sic als durcscnittlice Steigung von f auf dem Abscnitt [x 0,x 0 +] auffassen. Das ist die Steigung der Geraden, die durc die Punkte (x 0,f(x 0 )) und (x 0 +,f(x 0 +)) get. In diesem Zusammenang eißen diese Geraden auc Sekanten. Man benutzt nun diese Steigungsdreiecke für einen Grenzprozess: wält man 246
immerkleiner,sorücktderpunktx 0 +immernäeranx 0,dasSteigungsdreieck wird immer kleiner und die Größe(5.1) liefert die Steigung auf einem ser kleinen Abscnitt in der Näe von x 0. Falls dieser Grenzprozess einen Grenzwert at, etwa f(x 0 +) f(x 0 ) lim 0 = a, so nennt man a die Ableitung von f an der Stelle x 0. Als Grenzwert der Sekanten erält man dann gerade die Tangente an den Grapen von f an der Stelle x 0. Deren Steigung ist a. 247
Differenzenquotient, Differenzialquotient, Ableitung Sei D ein offenes Intervall, f : D R eine Funktion und x 0 D. 1. Für R\{0} eißt f(x 0+) f(x 0 ) ein Differenzenquotient von f. 2. DieFunktionf eißtanderstellex 0 differenzierbar,fallsdergrenzwert f(x 0 +) f(x 0 ) lim 0 In diesem Fall wird die Notation f (x 0 ) := lim 0 f(x 0 +) f(x 0 ) existiert. benutzt. Der Grenzwert f (x 0 ) eißt Ableitung von f an der Stelle x 0. Ist f an jeder Stelle x D differenzierbar, dann eißt f differenzierbar auf D, und die Funktion f : D R eißt Ableitung von f. Beacte,dassdasSymbollim 0 fürdenbeidseitigengrenzwertstet.manmuss also sowol positive als auc negative Werte für betracten! 248
DieGrößewirdinderLiteraturoftals xgescrieben.siestetfüreine(kleine) Änderung der Argumente x. Für die zugeörige Änderung der Funktionswerte f(x+) f(x) wird dann f gescrieben. Bemerkung: Oft werden statt der Bezeicnungen x 0 und x 0 + für die zwei Stellen auc x 0 und x gewält. Setzt man := x x 0, also x = x 0 +, so lautet dann der Differenzenquotient f(x) f(x 0 ) x x 0 und die Ableitung, falls sie existiert, ist der Grenzwert f(x) f(x 0 ) lim. x x 0 x x 0 Für kleine Werte von (oder für x nae bei x 0 ) ist der Differenzenquotient eine Annäerung an die Ableitung: f (x 0 ) f(x 0 +) f(x 0 ) 249 = f(x) f(x 0) x x 0.
Geometrisc bedeutet diese Approximation, dass die Funktion in der Näe von x 0 durc die Tangente an der Stelle x 0 angenäert wird. Denn f(x) f(x 0 )+f (x 0 ) (x x 0 ) und der Ausdruck auf der recten Seite ist die Gleicung der Geraden mit Steigung f (x 0 ) durc den Punkt (x 0,f(x 0 )). Beispiel 5.2 1. Lineare Funktion: EineFunktionderFormf : R R,f(x) = cx+disteinelinearefunktion. Der Funktionsgrap ist die Gerade {(x,cx+d) x R} mit Steigung c. Sei nun x 0 R, dann ist für alle R\{0} der Differenzenquotient gegeben durc c(x 0 +)+d (cx 0 +d) = c = c. Der Differenzenquotient ängt weder von x 0 noc von ab. Insbesondere istf (x 0 ) = cfürallex 0 R.DieFunktionatüberalldiegleiceSteigung. Die Ableitung f : R R ist somit die konstante Funktion f (x) = c für alle x R. 250
2. f(x) = x 3 : Mitilfe des binomiscen Lersatzes erält man für den Differenzenquotienten an der Stelle x f(x+) f(x) Damit ist der Grenzwert lim 0 Änlic lässt sic zeigen: = (x+)3 x 3 = x3 +3x 2 +3x 2 + 3 x 3 = (3x2 +3x+ 2 ) = 3x 2 +3x+ 2 f(x+) f(x) = 3x 2 = f (x). f(x) = x n, dann ist f (x) = nx n 1. 3. f(x) = x : Die Betragsfunktion f : R R mit f(x) = x ist an der Stelle x 0 = 0 nict differenzierbar. 251
5 4 3 2 1 4 2 2 4 x Offensictlic lässt sic an der Stelle x 0 = 0 keine eindeutige Tangente einzeicnen. Die Steigung springt ier abrupt von 1 auf 1. Genauer gesagt: Steigungsdreiecke, die links von x 0 = 0 liegen, liefern alle die Steigung 1, die, die rects liegen, die Steigung 1. Daer existiert der beidseitige Grenzwert des Differenzenquotienten an der Stelle x 0 = 0 nict und die Funktion ist dort nict differenzierbar. Etwas genauer: 0+ 0 lim ր0 = lim ր0 = lim ր0 = 1, weil = für < 0 gilt. Entsprecend gilt 0+ 0 lim ց0 = lim ց0 = lim ց0 = 1, 252
weil = für > 0 gilt. Hat eine Funktion eine Sprungstelle an der Stelle x 0, so at sie dort sicerlic keine Tangente. Genauer: Ist die Funktion f : D R in x 0 D differenzierbar, dann ist f auc stetig im Punkt x 0. Aber nict jede stetige Funktion ist auc differenzierbar, wie die Betragsfunktion in Beispiel 5.2.3 zeigt. Beispiel 5.3 (Ableitung einiger Grundfunktionen) Die Definitionsbereice der unten steenden Funktionen aben wir bereits in 253
Kapitel 2 untersuct. f(x) c x n x α (α R) e x f (x) 0 n x n 1 α x α 1 e x f(x) a x (a > 0) ln( x ) log a ( x ) (a > 0,a 1) f (x) ln(a) a x 1 1 x xln(a) f(x) sin(x) cos(x) tan(x) cot(x) f 1 1 (x) cos(x) sin(x) cos 2 (x) sin 2 (x) Speziellistfürf(x) = 1 x = x 1 dieableitungf (x) = x 2 = 1 x 2 undallgemein f(x) = 1 x n = x n, dann f (x) = nx n 1 = n x n+1. Mit den obigen Grundfunktionen und folgenden Recenregeln lassen sic leict die Ableitungen vieler Funktionen berecnen. 254
Seien f, g : D R in einem Punkt x D differenzierbar. Dann sind auc die Funktionen f +g,f g : D R in x differenzierbar, und es gilt: Summenregel: (f +g) (x) = f (x)+g (x), Produktregel: (fg) (x) = f (x)g(x)+f(x)g (x) Als Spezialfall der Produktregel ergibt sic (λ f) (x) = λ f (x) für jede differenzierbare Funktion f und jede Zal λ R. Ist zusätzlic g(x) 0 für alle x D, dann ist die Funktion f g : D R in x differenzierbar mit Quotientenregel: ( ) f (x) = f (x)g(x) f(x)g (x) g g(x) 2 255
Etwas komplizierter ist die folgende Regel: Seien f : D R und g : E R Funktionen mit f(d) E, d.. f(x) E für allex D).Seif inx D differenzierbar,undseig inf(x) E differenzierbar. Dann ist auc g f an der Stelle x differenzierbar und es gilt Kettenregel: (g f) (x) = g (f(x)) f (x). Beispiel 5.4 1. Für f(x) = 3x 5 10x 4 +2x 3 7x 2 +2 ist 2. Sei f(x) = 3x2 2x+1. Dann ist 7x 5 f (x) = 15x 4 40x 3 +6x 2 14x. f (x) = (6x 2)(7x 5) 7(3x2 2x+1) (7x 5) 2 = 21x2 30x+3 (7x 5) 2 256
3. Für S(x) = sin 2 (x) können wir screiben S = g f mit f(x) = sin(x) und g(x) = x 2. Daer ist S (x) = 2 sin(x) cos(x) Allgemein ist für eine Funktion f(x) = g(x) n f (x) = ng(x) n 1 g (x). 4. Für f(x) = e (ax2 +bx+c) 2 ist mit der Kettenregel f (x) = e (ax2 +bx+c) 2 2 (ax 2 +bx+c) (2ax+b) Als letzte Differenziationsregel betracten wir Ableitung der Umkerfunktion: Sei f : D R eine injektive stetige Abbildung, und sei f 1 : f(d) R die Umkerfunktionvonf.Istf ineinempunktx Ddifferenzierbarmitf (x) 0, dann ist f 1 im Punkt y = f(x) differenzierbar, und es gilt (f 1 ) (y) = 1 f (f 1 (y)) = 1 f (x). 257
Beispiel 5.5 Sei f(x) = e x. Die Funktion ist injektiv. Die Umkerfunktion ist gegebendurcg(x) = f 1 (x) = ln(x).nacbeispiel5.3istf (x) = e x unddaer f (x) 0 für alle x R. Die obige Recenregel liefert g (y) = 1 f (g(y)) = 1 e ln(y) = 1 y, wie es auc scon in Beipiel 5.3 angegeben ist. Es gilt sogar g ( y ) = 1 y. Als neue Ableitungen erält man die der trigonometriscen Umkerfunktionen. Beispiel 5.6 (Ableitung der Arcusfunktionen) f sin(x) cos(x) tan(x) cot(x) D(f) [ π 2, ] π 2 [0,π] ( π 2, ) π 2 (0,π) W(f) [ 1,1] [ 1,1] R R f 1 arcsin(x) arccos(x) arctan(x) arccot(x) (f 1 ) 1 1 x 2 1 1 x 2 258 1 1 1+x 2 1+x 2
Wir wollen uns dies für den Tangens etwas genauer anscauen. Die Recenregel für die Ableitung der Umkerfunktion zeigt arctan (y) = 1 tan (x), wobei y = tan(x), also x = arctan(y). Wir eralten mittels der Quotientenregel und tan(x) = sin(x) cos(x) tan (x) = cos2 (x)+sin 2 (x) cos 2 (x) = 1+tan 2 (x) = 1+y 2, weil x = arctan(y) und somit tan(x) = y. Das liefert arctan (y) = 1 1+y 2. Die anderen Fälle sind änlic. Man kann den Differenziationsprozess unter Umständen auc auf die Ableitung anwenden. 259