4 Grundlagen der elektrischen Vorgänge am Herzen

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Transkript:

4 Grundlagen der elektrischen Vorgänge am Herzen 4.1 Normaler Erregungsablauf Abbildung 10: Normaler Erregungsablauf Sinusknoten -> AV-Knoten -> His-Bündel -> Tawara-Schenkel -> Purkinje-Fasern Bei Sinusrhythmus (Normalfall) entstehen im Sinusknoten automatische, elektrische Impulse, die im EKG nicht durch eine eigene Welle erkennbar sind. Der Sinusknoten als eigener Schrittmacher des Herzens liegt im oberen Bereich des rechten Vorhofs (Ersatzrhythmen s. Kapitel 5.2). Die Erregung breitet sich dann über die Muskulatur der Vorhöfe (RA und LA) aus und führt zu deren Erregung und Kontraktion (P-Welle). Dann erreicht der elektrische Strom (Depolarisationswelle) den atrioventrikulären Knoten (AV-Knoten) am Boden des rechten Vorhofs. Im AV-Knoten wird die Erregung zeitlich verzögert und an das His-Bündel weitergeleitet. Im Normalfall kann die Erregung nur diesen Weg nehmen, da die Vorhöfe (A) von den Ventrikeln (V) elektrisch isoliert sind. AV-Knoten und His-Bündel werden zusammen Junktion genannt und sind nicht im EKG durch eine Welle erkennbar. 14

4.3 WPW-Tachykardien (AVRT) Durch eine angeborene Anomalie besitzt der Betroffene eine zusätzliche Leitungsbahn (Kent-Bündel) zwischen Vorhof und Kammer. Läuft die Erregungswelle antegrad über diese Extrabahn, erregt sie einen Teil der Kammermuskulatur früher als normal (Präexzitation). Dies ist dann im EKG in der Regel durch eine Verkürzung der PQ-Dauer und eine Verbreiterung des QRS-Komplexes durch eine sogenannte Delta-Welle ( ) zu erkennen (manifestes WPW). Sehr selten zeigt sich bei einer linkslateral gelegenen Extrabahn eine Delta-Welle mit normaler PQ-Zeit (s. Quiz 33). Da die Leitungsgeschwindigkeit im AV-Knoten u. a. vom neurovegetativen System beeinflusst wird, kann die Erregung mal über die normalen Wege und mal über das Kent-Bündel verlaufen (intermittierendes WPW). Ein WPW kann aber auch im EKG unsichtbar sein (verborgenes WPW), sofern die Kent-Fasern nur in der Lage sind, retrograd zu leiten. Abbildung 15: Intermittierende WPW-Anomalie Abbildung 16: WPW-Anomalie (hier Kent-Bündel zwischen RA und RV) 18

5.4.10 SVT mit AV-Block II. Grades (beweist die Überleitung über den AV-Knoten) Dank seiner Bremsfunktion kann der AV-Knoten eine SVT durch eine Wenckebach-Periodik oder mit einer 2:1 Überleitung verlangsamen. Abbildung 51: SVT mit AV-Block II. Grades Typ Wenckebach Abbildung 52: SVT mit AV-Block II. Grades Typ Mobitz 2:1 5.4.11 SVT mit frequenzabhängigem Schenkelblock Abbildung 53: SVT mit frequenzabhängigem Schenkelblock SVT mit zum Teil breiteren, anders konfigurierten QRS-Komplexen. 5.4.12 AV-junktionale Reentry-Tachykardie (AVJRT) Abbildung 54: AV-junktionale Reentry-Tachykardie (AVJRT) Abrupt nach einer SVES mit längerer PQ-Zeit beginnende und ebenso abrupt endende schnelle SVT. Im AV-junktionalen Bereich finden sich zwei unterschiedlich schnell leitende Bahnen. Dies führt zu einer kreisenden Erregung: über die eine Bahn vom Vorhof zum Ventrikel, und dann über die andere Bahn vom Ventrikel wieder zum Vorhof zurück, usw. (s. Kapitel 4.4). Es kommt wiederkehrend zu Tachykardie-Anfällen, über mehrere Minuten bis Stunden anhaltend. 34

Abbildung 100: Tachyarrhythmie bei Vorhofflimmern (EKG-Streifen aus Abbildung 99) Ein abrupter Anstieg und Abfall der Herzfrequenz, wie im folgenden Beispiel, sind typisch für eine paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie. Anfang und Ende können hier gleich dokumentiert werden. Abbildung 101: 24-Stunden-Herzfrequenzgrafik: 2 paroxysmale atriale Tachykardien 54

Abbildung 102: Beginn der ersten atrialen Tachykardie (EKG-Streifen aus Abbildung 101) Abbildung 103: Ende der ersten atrialen Tachykardie (EKG-Streifen aus Abbildung 101) 55

7.3 Bradykardien Eine Bradykardie liegt ab einer Herzfrequenz < 50 Schl./Min. vor. Bradykardien können im Langzeit-EKG häufig detektiert werden, vor allem in der Schlafphase. Zum Teil sind sie medikamentös bedingt. Das Augenmerk des Auswerters sollte sich auf folgende Aspekte konzentrieren: Kommt es zu einem abrupten oder progredienten Abfall der Herzfrequenz? Wie geht die Bradykardie zu Ende? Sind die Kammeraktionen in der Bradykardie regelmäßig oder unregelmäßig? Sehen die QRS-Komplexe in dieser Phase anders aus? Sind in der Bradykardie P-Wellen erkennbar? Wenn ja, wie ist das Verhältnis der P-Wellen zu den QRS-Komplexen? Gibt es vor oder nach jedem QRS-Komplex eine P-Welle? Ist der Abstand der P-Welle zum QRS-Komplex konstant? Erkennt man anstelle von P-Wellen ein sägezahnartiges Muster oder Flimmerwellen? Gibt es während der Bradykardie kürzere R-R-Abstände? 83

Tabelle 1: Differentialdiagnose der Bradykardien im Langzeit-EKG Kriterium: R-R-Abstände nehmen langsam zu und ab, P-Welle vor jedem QRS-Komplex erkennbar R-R-Abstände sind unregelmäßig, ohne sichtbare P-Wellen (nur Flimmerwellen) Sägezahnartiges Muster in den längeren R-R-Abständen erkennbar R-R-Abstände sind regelmäßig, ohne P-Wellen oder mit negativen P-Wellen vor bzw. direkt nach den QRS-Komplexen Abrupter Anfang und abruptes Ende der Bradykardie, 2 P-Wellen pro QRS-Komplex Abrupter Anfang und abruptes Ende der Bradykardie, 1 P-Welle pro QRS-Komplex, R-R-Abstände plötzlich doppelt so lang wie davor P-Wellen erkennbar, die PQ-Zeit nimmt zu bis ein QRS-Komplex ausfällt; ggfs. mehrere solcher Zyklen hintereinander P-Wellen treten unabhängig von schmalen, bradykarden, regelmäßigen QRS-Komplexen auf P-Wellen treten unabhängig von verbreiterten, bradykarden, regelmäßigen QRS-Komplexen auf Regelmäßiger, bradykarder Rhythmus mit verbreiterten QRS-Komplexen ohne P-Wellen Spricht für: Sinusbradykardie, z. B. respiratorisch bedingt Bradyarrhythmie bei Vorhofflimmern Bradykardes Vorhofflattern Junktionaler Ersatzrhythmus AV-Block II. Grades 2:1 in Folge oder blockierte SVES im 2:1 Rhythmus SA-Block 2:1 in Folge AV-Block II. Grades Typ Wenckebach, auch in Folge möglich AV-Dissoziation - Wenn kein Schenkelblock im Grundrhythmus vorliegt: AV-Block III. Grades - Wenn Schenkelblock im Grundrhythmus und identische QRS-Komplexe in der Bradykardie vorliegen: AV-Dissoziation idioventrikulärer Ersatzrhythmus 84

Abbildung 139: Sinusbradykardie Abbildung 140: Respiratorische Arrhythmie 85

Abbildung 141: Bradyarrhythmie bei Vorhofflimmern Bradykardien infolge von AV-Blockierungen: Bei einem AV-Block II. Grades Typ Wenckebach nimmt die PQ-Zeit von Schlag zu Schlag zu, bis eine P-Welle nicht mehr übergeleitet wird. Bei einem AV-Block II. Grades Typ Mobitz 2:1 wird nur jede 2. P-Welle übergeleitet. Bei einer AV-Dissoziation und bei einem AV-Block III. Grades (kompletter AV-Block) arbeiten Vorhöfe und Kammern vollkommen unabhängig voneinander. Bei der AV-Dissoziation entsteht der Ersatzrhythmus im junktionalen Bereich, beim AV-Block III. Grades entsteht er in einer Kammer. 86

8 Quiz In diesem Teil des Buches möchten wir Ihnen die Gelegenheit geben, Ihren Kenntnisstand anhand von z. T. kniffligen und z. T. auch eher einfachen Beispielen aus unserer täglichen Praxis zu überprüfen. Quiz-Ergebnisse und Erklärungen finden Sie dann im Kapitel 9. 151

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