Anämieabklärung: ein häufiges Problem für Internisten Michael Hallek Klinik I für Innere Medizin Universität zu Köln Was ist eine Anämie? Verringerung der Erythrozyten oder des Hämoglobinwertes unter die Normgrenze 1
Wie kläre ich eine Anämie ab? (modifiziert nach L. Waterbury, Hematology House Officer Series William & Wilkins 1996) Initiale Diagnostik? 1. Hb, Hämatokrit, MCV 2. Retikulozyten 3. Differentialblutbild Initiale Überlegungen 1. Zellgröße (MCV)? 2. Mechanismus? 3. Ursache? 1. Wie ist das MCV? zu niedrig Ferritin niedrig: Eisenmangel Ferritin normal/erhöht: - Anämie bei chron. Erkrankg. - Thalassämie normal Retikulozyten niedrig: -renale A. - aplastische A. - seltene Formen Retikulozyten normal: -Anämie bei chronischer Erkrankg. Retikulozyten erhöht: -Hämolyse -Blutung - Regeneration zu hoch Retikulozyten normal: -B12-, Folsäuremangel - Alkoholkrankheit - Lebererkrankung - Plasmozytom - Zytostatika - Myelodysplastisches Syndrom Retikulozyten erhöht: -(Hämolyse) - Regeneration 2
2. Prinzipieller Mechanismus der Anämie? a) Verminderte Erythrozytenproduktion b) Verstärkter Erythrozytenverbrauch Blutung? Hämolyse? Wie erkenne ich den Mechanismus? Durch die Retikulozyten-Bestimmung: Zu hoch: normale Produktion Verbrauch! Normal oder zu niedrig: verminderte Produktion. Bildung gestört. 3. Was sind Ursachen der Anämie? Am häufigsten: Eisenmangel (weibliches Geschlecht) Abstammung: Afrika: G-6-PD-Mangel, Hämoglobinopathie, Thalassämie Mittelmeerraum: Thalassämie, Glucose-6-PD-Mangel Infektionen: Viren: Autoimmunhämolyse (AIHA), gestörte Erythropoese Bakterien: Eisenverwertungsstörung; oxidative Hämolyse (G-6-PD) 3
3. Weitere Ursachen (2) Neoplasien: Eisenverwertungsstörung; AIHA; mikroangiopathische Hämolyse; Knochenmarkinfiltration Alkoholische Leberkrankheit: Blutung, Hypersplenismus, Hemmung der Erythropoese durch Äthanol, Eisenmangel, Hämolyse Hypothyreose: verringerte Erythropoese, perniziöse Anämie (B12- Mangel), Eisenmangel Niereninsuffizienz: erniedrigtes Erythropoetin, Hämolyse, Blutung, Markfibrose(sekundärer Hyperparathyreoidismus) Aortenklappenersatz: mechanische Hämolyse 3. Weitere Ursachen (3) maligne Hypertonie: mechanische, mikroangiopathische Hämolyse Rheumatische Erkrankungen, Vaskulitiden, Kollagenosen: Eisenverwertungsstörung; AIHA; Eisenmangel Viele Medikamente: AIHA: Methyldopa, Chinin, Chinidin, Sulfonamide, Penicillin Aplastische Änämie: Gold Megaloblastische Anämie: Trimethroprim, Phenytoin Toxisch: Virostatika, Zytostatika G-6-PD-Mangel: Sulfonamide 4
Eisenmangelanämie: klinische Symptome und Untersuchungsbefund Zungenbrennen eingerissene und gerillte Fingernägel Splenomegalie Hohlnägel (Koilonychie) selten Dysphagie bei sideropenischer Schleimhautatrophie (Plummer-Vinson-Sy.) 5
Nagelveränderungen bei Eisenmangelanämie Eisenmangelanämie: Erstdiagnostik Anamnese Zell-Zählung und Blutausstrich Serum-Ferritin 6
Eisenmangel, Blutausstrich Eisenmangelanämie: Labor Blutbild und Blutaustrich: Hb/Hämatokriterniedrigt, MCV erniedrigt (besonders wertvoll: abfallendes MCV), MCHC normal, Poikilozytose. Serum-Eisen (geringe Aussagekraft): erniedrigt Ferritin (Eisenspeicherprotein): erniedrigt (unter 15 µg/dl) beweist Eisenmangel. Retikulozyten: zu niedrig für Anämie-Grad. 7
Eisensubstitution (AWMF-Leitlinie, S1) Ernährungsberatung. Medikamentös: Präparat der Wahl Eisen (II)-sulfat 2-6 mg/kg/d (100-200 mg/d) nüchtern, nicht in Milch, Tee oder Kaffee. Gute Erfahrung mit magensaftresistenten Kapseln (z.b. Ferrosanol Duodenal ). Überprüfung: Retikulozytenkrise (nur bei schwerem Eisenmangel 5 7 d nach Beginn, Hb-Anstieges von 1 2 g/dl pro Woche; Kontrolle des Serumferritins nach 3 Monaten. Dauer: bei manifestem Eisenmangel fürmindestens 3 Monate mit dem Ziel der Normalisierung von Hb und MCV sowie des Serumferritins. Parenterale Eisensubstitution (1,5 mg/kg oder zum Beispiel max. 40 mg Eisen(III)-natrium-D-glukonat-sucrose-Komplex in 100 ml NaCl 0,9% über 30 min i.v.) ist lediglich bei schweren und nicht behandelbaren Resorptionsstörungen indiziert. Anämie bei chronischen Erkrankungen (anemia of chronic disease, ACD) Ätiologie: - Kollagenosen, rheumatoide Arthritis - Chronische Infekte - Neoplasien Kennzeichen: ErhöhteAufnahmeund Speicherungvon EisenimRES. 8
Pathogenese der Anämie chronischer Krankheiten (ACD) X X Blockiert bei ACD Hentze... Andrews, Cell 117: 285 (2004) Hepcidin Hepatic bacteriocidal protein Schlüssel-Regulator des Eisenstoffwechsels. Schlüssel zum Verständnis der ACD. Peptid aus 25 Aminosäuren. Entdeckt im Jahre 2000. Antimikrobielle Aktivität. 9
Wesentliche Rolle des Hepcidin bei ACD (HFE= High Iron Fe), Humanes Hämochromatose Protein Hentze... Andrews, Cell 117: 285 (2004) Anämie bei chronischen Erkrankungen (anemia of chronic disease, ACD) Ätiologie: - Kollagenosen, rheumatoide Arthritis - Chronische Infekte - Neoplasien Kennzeichen: ErhöhteAufnahmeund Speicherungvon EisenimRES. Diagnose: MCV niedrig, Ferritin normal oder erhöht (ab 60 µg/l verdächtig), Ferritinindex niedrig. 10
Zusätzliche Laborparameter bei hohem oder normalem Ferritin und Anämie Löslicher Transferrinrezeptor (stfr) Transferrinrezeptoren vorwiegend von erythropoetischen Zellen exprimiert und bedarfsadaptiert hochreguliert. Hohe Konzentrationen bei Eisenmangel, gesteigerter Erythropoese(z.B. Hämolyse, Thalassämien, Polycythemia vera). Test zur Überprüfung des Eisenstatus. Die Serumkonzentration des stfr steigt bei Eisenmangel an, wenn Erythropoese eisendefizitär wird. Transferrinsättigung Zirkulierendes Eisen im Plasma bindet an Transferrin. Transferrinsättigung spiegelt die Menge an Funktionseisen wider (normal: 16-45% der Transferrinmoleküle mit Eisen abgesättigt). Transferrinsättigung <15% Eisenmangel. Bei entzündlichen Prozessen ist Transferrinsättigung trotz normaler Eisenspeicher erniedrigt. S-TfR, s-ferritin und Ferritinindex Thomas L, Thomas C, HeimpelH. Neue Parameter zur Diagnostik von Eisenmangelzuständen. Dt.Ärztebl. 102, A 580-A 586. 4-3-2005. Ferritin: Falsch normal oder erhöht bei Lebererkrankungen, chronischen Krankheiten, Dialyse, chron. Entzündung. hier Ferritin von 50-60 µg/l verdächtig für Fe-Mangel. Ferritinindex = stfr/log Ferritin* nicht invasiver Parameter zur Evaluation der Eisenspeicher. Niedrige Werte (unter 3,2) volle Eisenspeicher. *Quotient aus Konzentration des Transferrinrezeptors im Serum (mg/l) und Logarithmus des Ferritinwerts (µg/l). Berechnung zum Beispiel unter http://www.bioscientia.de/de/service/medizinischeformeln/ferritin-index/ Patients with iron deficiency anemia (IDA), anemica of chronic disease (ACD), IDA + ACD = COMBI Punnonen et al., Blood, 89 1052-1057 11
Anämie bei chronischen Erkrankungen (anemia of chronic disease, ACD) Ätiologie: - Kollagenosen, rheumatoide Arthritis - Chronische Infekte - Neoplasien Kennzeichen: ErhöhteAufnahmeund Speicherungvon EisenimRES. Diagnose: MCV niedrig, Ferritin normal oder erhöht (ab 60 µg/l verdächtig), Ferritinindex niedrig. Therapie: Vor allem: Therapie der Grundkrankheit. Erythropoetin: Patienten bessern sich zum Teil; in der Regel nicht nötig. Zusammenfassung Anämien: strukturierte Abklärung hilfreich MCV hilfreich zur Differentialdiagnose Eisenmangelanämie häufigste Anämie Abklärung bei Männern und Frauen in der Menopause immer durch Blutungsausschluss (ÖDG, Koloskopie ) Anämie chronischer Krankheiten (ACD): Hepcidin bedeutsam für Pathogenese. Zur Diagnostik Ferritinindex hilfreich. 12
Anämien mit normalem (leicht erhöhten) MCV und adäquatem Retikulozyten-Anstieg 1. Blutung 2. Hämolyse Abklärung von Anämien mit normalem (leicht erhöhten) MCV und adäquatem Retikulozyten-Anstieg 1. Blutung: Anamnese! Zeichen von GI-Blutung, unbemerkter retroperitonealer Blutverlust? Blutungen häufiger als Hämolyse! invasive Abklärung (ÖGD etc.). 2. Hämolyse: Bilirubin (indirekt), Haptoglobin, LDH. Die Trias Bili + Retis, Hb Diagnose. Bei intravaskulärerhämolyse Hämoglobinämie, -urie, Hämosiderin im Urinsediment. Bei extravaskulärerhämolyse (häufiger) kein Hb in Blut, Urin, aber Bilirubin erhöht, Urobilinogen im Urin. 13