Unerwünschte Arzneimittelwirkungen eine differentialdiagnostische Herausforderung

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Transkript:

Fallvorstellung 20.03.2007: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen eine differentialdiagnostische Herausforderung Abteilung Klinische Pharmakologie Dr. med. Richard Fux

Fall 1

57-jährige Patientin (Fall 1) Seit Ende 12/2005 zunehmende Dyspnoe (Belastung Ruhe) 8.1.06: stationäre Aufnahme rapide respiratorische Verschlechterung 10.1.06: Intubation und Beatmung Bronchiallavage/Trachealsekret (11.1.06): kein Nachweis pathogener Keime Fieberschübe (40 C) kontinuierliche Verschlechterung der Lungenfunktion 23.1.06: Exitus letalis bei akutem Lungenversagen

Röntgen-Thorax (Fall 1) vom 10.1.2006 Abb. 1: Interstitielle Infiltrate bds. mit weichfleckigen Anteilen (vermutlich alveoläre Exsudate) Mendez et al., Mayo Clin Proc 2005; 80: 1298-302

CT (Fall 1) Abb. 2: Massive Verdickung der interlobulären Septen als Ausdruck eines interstitiellen Lungenprozesses (Lungenfibrose). Mendez et al., Mayo Clin Proc 2005; 80: 1298-302

Begleitdiagnosen (Fall 1) Arterielle Hypertonie Gicht Adipositas Z.n. Endometrium-Ca 1993 Wertheim-OP Retinopathia pigmentosa mit Amaurosis rezidivierende Nephrolithiasis rezidivierende Harnwegsinfekte

Medikamentenanamnese (Fall 1) Tagesmedikation: Carvedilol 2 x 25 mg Amilorid 5 mg Hydrochlorothiazid 50 mg Allopurinol 300 mg (jeden 2. Tag) Nitrofurantoin 50 mg (Uro-Tablinen ) Einnahme seit ca. 1 Jahr! Cave: Nitrofurantoin wird propagiert, weil kostengünstig.

CT-Beurteilung (Fall 1) vom 10.1.06 Jetzt wurde bekannt, dass die Patientin längere Zeit Nitrofurantoin eingenommen hat. [...] Die Veränderungen passen gut zu einer durch Nitrofurantoin induzierten chronisch-toxischen Lungenschädigung im Sinne einer interstitiellen Pneumonitis / Fibrose.

Fachinformation Nitrofurantoin: UAW akut chronisch

Literaturdaten Chronische Lungenveränderungen v.a. bei älteren Frauen unter Nitrofurantoin-Therapie ( 1 Jahr) Nitrofurantoin Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte Symptome: Fieber, Dyspnoe, Husten Auftreten: 23 (10-144) Monate (Median, Range) nach Therapiebeginn unspezifische radiologische Befunde (Lungeninfiltrate bds.) Absetzen führt in der Regel zu Besserung keine Korrelation zwischen outcome und Therapiedauer Prednisolon (20-40 mg/d) kann in schweren Fällen hilfreich sein Mendez et al., Mayo Clin Proc 2005; 80: 1298-302

Tödliche Verläufe bei Nitrofurantoininduzierter chronischer Lungenschädigung Anzahl Patienten davon Todesfälle % Mendez et al. 2005 18 0 0% Strandberg et al. 1994 15 1 7% Robinson 1983 49 1 2% Holmberg et al. 1980 921 9 1% Rosenow et al. 1968 5 0 0% gesamt 1008 11 1,1% Mendez JL et al., Mayo Clin Proc 2005; 80: 1298-302 Robinson BW. Med J Aust 1983; 1: 72-6 Holmberg L et al. Am J Med 1980; 69-733-8 Strandberg I et al. Acta Med Scand 1974; 196: 483-7 Rosenow et al. N Engl J Med 1968; 279: 1258-62

Fall 2

20-jähriger Patient (Fall 2) Akut aufgetretene Symptomatik: stärkste Kopfschmerzen Somnolenz, deutliche Verlangsamung Aufnahme in die Neurologie: Klinische Untersuchung: leichter Meningismus, sonst keine relevanten Auffälligkeiten. Pat. hatte am selben Tag erstmalig Minocyclin 100 mg p.o. wegen Akne eingenommen.

20-jähriger Patient (Fall 2) Untersuchungen: CCT EEG unauffällig Liquor Labor Gegen Abend spontane Besserung Am folgenden Tag noch geringer Schwindel, sonst o.b.

Fachinformation Minocyclin: UAW... signifikant häufiger zentralnervöse Nebenwirkungen als bei anderen Tetracyclinen. Hohe Lipophilie selektive Anreicherung im ZNS Selten ( 0,01% - <0,1%): intrakranielle Drucksteigerung (Pseudotumor cerebri), nach Therapieende reversibel Symptome: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Papillenödem, selten Bewusstseinsstörungen. Cave: Verkaufszahlen relativ hoch, zunehmende Anwendung. Standard bei pustulösem Akne-Schub.

Pseudotumor cerebri Papillenödem verkleinerte Ventrikel normale Papille Stauungspapille Cave: Ang et al., J Am Board Fam Pract 2002; 15: 229-33

Fall 3

82-jährige Patientin (Fall 3) Akuter Verwirrtheitszustand (der vorher nicht bestand) Diarrhoe Fieberhafter (~39 C) bronchopulmonaler Infekt Behandlung mit Moxifloxacin (Avalox ) 1 x 400 mg/d (neu angesetzt, noch am selben Tag Verwirrtheitszustand). Wegen des guten klinischen Ansprechens (in Bezug auf Infekt) wurde Moxifloxacin für insgesamt 7 Tage weitergeführt. schweres dementielles Syndrom: Wortfindungsstörungen, nicht ausreichende Orientierung zu Zeit, Ort und Person, nächtliche Stuhl- und Urinabgänge. CCT: altersentsprechend unauffällig. Keine weiteren relevanten Erkrankungen.

Fachinformation / Literatur Moxifloxacin: UAW Moxifloxacin Hollweg et al., Nervenarzt 1997; 68: 38-47

82-jährige Patientin (Fall 3) Chinolone (Gyrasehemmer) können Verwirrtheit auslösen. Ungewöhnlich: Persistenz des Verwirrtheitszustandes / der Demenz ( 2 Monate) auch nach Absetzen von Moxifloxacin. Denkbar wäre latentes Psychosyndrom + Verstärkung/Auslösung durch Moxifloxacin (DD: Demaskierung der dementiellen Entwicklung durch fieberhafte Erkrankung / Diarrhoe / AZ-Verschlechterung).

Moxifloxacin: weitere psychiatrische UAW Suizidgedanken waren den betroffenen Patienten bis zum Zeitpunkt der Einnahme völlig unbekannt. AkdÄ, Dt Ärztebl 2004; 22: A 1618-9

Zusammenfassung Fall 1: Nitrofurantoin Fall 2: Minocyclin Fall 3: Moxifloxacin Lungenfibrose Pseudotumor cerebri dementielles Syndrom Fachfremde Nebenwirkungen man muss daran denken

Meldung von UAW Nicht alles, was beobachtet wird, ist schon (hinreichend) bekannt Verdachtsfälle melden (AkdÄ-Meldeformular). www.akdae.de