Medikamentenlisten kürzen - Tools und red flags

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Transkript:

Medikamentenlisten kürzen - Tools und red flags Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, MPH Zürich Workshop Kongress Arosa März 2016 1

Agenda Definition und Epidemiologie Ursachen und Folgen Strategien gegen Polypharmazie Diskussion Fallbeispiel Zusammenfassung 2

Definition >= 4-5 Medikamente beim gleichen Patienten 3

Epidemiologie Treiber: Alter + Multimorbidität 2 von 3 Älteren sind polypharmaziert 50% der Älteren nehmen PIM 50% der älteren Polypharmazierten sind unterbehandelt (vs. 1/7 der Älteren) Die Kostenfolge: Helsana Mio., USA - Mia. 4

Medikamenten-assoziierte Probleme pro Patient Folgen 8.6% neue Probleme pro neues Medikament Schon ab 2 Medikamenten Medikamentenanzahl bei Eintritt Viktil K et al. Br J Clin Pharmacol 2006 5

Die Problem-Medikamente OAK Tc-Hemmer Insulin orale Antidiabetica ZNS Antiinfektiva 4% 3% 10% 3% 9% 33% Chemotherapeutica Kardiaka andere 11% 14% Blutungen: 41% gastroint., 6% intracerebral Neurologica: 42% Verwirrtheit, 15% Stürze US-Daten von 5000 hospitalisierten Patienten aufgrund von medikamenten-assoziierten Problemen 2007-2009 Budnitz D et al, NEJM 2011 13% Hypoglykämien Kardiaka: 1/3 El.lyt / Vol. 1/5 Arrhythmien 6

Strategien systematische Nutzen-Risiko-Analyse Überblick gewinnen (brown bag review) Indikationen überprüfen (für Stopp und Start) Komorbiditäten beachten (z.b. Diuretika & Sturzneigung) Interaktionen überprüfen, PIM-Listen Verschreibungskaskaden vermeiden Priorisieren Rest-Lebenserwartung beachten Diskussion und Entscheid gemeinsam mit Patient 7

GPGP I N Indikation Nebenwirkungen Ist die Indikation für das Medikament gegeben, d.h. valide und relevant bezogen auf Alter und Erkrankung dieses Patienten? Nein: Medikament stopp Ja Ist der potentielle Nutzen des Medikaments im Alter und der Erkrankung des Patienten grösser als potentielle oder bereits bestehende Nebenwirkungen? Nein: Medikament stopp Ja Garfinkel D, Mangin D. Arch Intern Med 2010 Seite 8

GPGP, Step 3+4 I N D A Indikation Nebenwirkungen Dosis Alternativen Kann die Dosis ohne signifikantes Risiko reduziert werden? Ja: Dosis reduzieren Nein Gibt es eine dem jetzigen Medikament überlegene Alternative? Ja: Medikament wechseln Nein Garfinkel D, Mangin D. Arch Intern Med 2010 Seite 9

Good Palliative Geriatric Practice - Studie 70 Pat., Alter 82.8y (67-102) Anzahl Medikamente pro Patient 7.7 (SD 3.7) Reduktion von 4.4 Medikamenten (SD 2.5), in 81% 88% geben gebessertes Befinden an 3 Patienten: Anstieg im MMS von 14 auf 23-30 Pt. keine adversen Ereignisse nach Absetzen, 2% Wiedereinsatz Garfinkel D, Mangin D. Arch Intern Med 2010 Garfinkel D, Mangin D. Arch Intern Med 2010 10

Adhärenz verbessern: e-mediplan Bührer A. SAeZ 2015

Intervention: GPGP-Algorithmus + START-Frage + Patientenagenda

Der Fall: 75jährige Frau tk VHF dauerantikoaguliert metabolisches Syndrom: art. Hypertonie mit hypertensiver HK; BD 155/90 mittelschwere Dyslipidämie BMI 26kg/m2 Diabetes mellitus Typ 2 seit 1998 HbA1c um 9% M. Bechterew, thorakale Kyphose; Polyarthrosen mildes kognitives Defizit; rezid. depressive Verstimmungen mittelschwere Niereninsuffizienz, Crea-Cl um 40 ml/min subklinische Hypothyreose Seite 13

Insulatard 50-60 IE abends Metformin 500mg 1-0-1 Gliclazid 30mg 2-1-0 * Losartan HCT 50/12.5mg 1-0-0 * Torasem 10mg 2-0-0 * Pravastatin 40mg 0-0-1 Marcoumar 3mg nach INR * Dafalgan 1g 1-1-1 * Naproxensäure + Esomeprazol 1-2/d* Novalgin Tr. 20-20-20 Zolpidem 10mg 0-0-0-1 Eltroxin 0.05mg 1-0-0 jeden 2. Tag Padmed 2-2-2 * metabolisiert über CYP 2C9 Summa summarum 15 Substanzen, 25 Pillen+1 Injektion/Tag Seite 14

Medikamentenlisten kürzen - Tools und red flags

Gebrechlichkeit & Lebenserwartung Frailty - Lebenserwartung Frauen nach «Frailty» Status (fit-intermediate-frail) Walter, LC et al. JAMA 2001

Priorisierungs-Tool Fried TR, Arch Intern Med 2011 Fried TR, Arch Intern Med 2011 17

Barrieren und Fallgruben Signal, dass der Patient aufgegeben wird Zögern, über das Thema Lebenserwartung und Lebensende zu reden tiefer Bildungsstand und hohes Alter Übersicht über Medikation, vor allem falls diverse Therapeuten kaum Instrumente für die Priorisierung mit Patienten Schuling J et al, BMC Fam Pract 2012 Schuling J et al, BMC Fam Pract 2012 18

Insulatard 50-60 IE abends Metformin 500mg 1-0-1 Gliclazid 30mg 2-1-0 * Losartan HCT 50/12.5mg 1-0-0 * Torasem 10mg 2-0-0 * Pravastatin 40mg 0-0-1 Marcoumar 3mg nach INR * Dafalgan 1g 1-1-1 * Naproxensäure + Esomeprazol 1-2/d* Novalgin Tr. 20-20-20 Zolpidem 10mg 0-0-0-1 Eltroxin 0.05mg 1-0-0 jeden 2. Tag Padmed 2-2-2 * metabolisiert über CYP 2C9 Summa summarum 15 Substanzen, 25 Pillen+1 Injektion/Tag Seite 19

Welche Ziellinie beim D.m.?

Diabeteseinstellung (HbA1c) und Mortalität Metformin + Sulfonylharnstoff Insulin Schema Kontrolliert für: Alter, Sex, Rauchen, Cholesterin, kardiovaskuläres Risiko, Morbidität N>40 000, Alter 50+ CJ Currie et. al. Lancet 2010 Seite 21

Wohin den BD versenken?

Incidence of MI or Stroke (%) Blutdruck: Ist tiefer besser? (bei KHK) Hypertonie & KHK (INVEST; N=22526) 60 >60-70 >70-80 >80-90 >90-100 >100-110 >110 Diastolic Blood Pressure (mmhg) Ann Int Med. 2006;144:884-893 Seite 23

130/80 vs 140-160/85-100 (bei D.m.) Metaanalyse n=7'312 keine signifikante Reduktion von Gesamtmortalität und Myokardinfarkt Reduktion von CVI's: RR 0.65 (95%CI 0.48-0.86), ARR 1%, NNT = 100 pro 2-5y häufiger Hypotonien, Arrhythmien und Hyperkaliämien McBrien et al, Arch Intern Med 2012 Seite 24

Blutdruckziele bei älteren Patienten Mortalität 140 vs 160 Age, 2012 BD <140mmHg prospective cohort, n=4 612 >55y, no cvd, 15y follow-up BD >160mmHg (vs. 140mm): Mortalität bei: 55-84y: HazRatio 1.7 (1.2-2.2) >85y: HazRatio 0.7 (0.4-1.1) The Rotterdam Study, Age 2012 AHA, Circulation 2015 Blom JW, Age 2013

HYVETT Hypertension in the very elderly trial (HYVET) randomisierte klinische Studie 3 845 Patienten mit systolischer Hypertonie (160 bis 199 mmhg) Alter über 80 Jahre Behandlung mit Indapamid und Perindopril vs. Placebo Follow-up median 2.1y für nicht-fatale Ereignisse (Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz): NNT (2.1y) = 57.2 Beckett NS et al. N Engl J Med 2008;358:1887-98.

Blutdruckziele bei älteren Patienten Latest news RCT, n=9 361, Einschluss: >50y; medianes Alter 69y, ein Viertel über 75y Einschluss: syst. BD > 130mmHg; median 140/78mmHg, ein Drittel > 145mmHg und kardiovaskuläres Risiko (>15%), NI oder Events Ausschluss von Diabetikern, St. n. CVI, hochgradige NI, HI, Orthostase, Heimpatienten! Interventionsgruppe: Ziel-BD syst. < 120mmHg Kontrollgruppe: < 140mmHg Follow-up median 3.3 Jahre (vorzeitiger Abbruch) SPRINT research group, NEJM, 2015 AHA, Circulation 2015

Blutdruckziele bei älteren Patienten Latest news Primäres Outcome (composite cv event): 1.65 vs. 2.19 % p.a. (p<.001) RRR 0.54% p.a. (tiefer für einzelne Endpunkte) NNT 200 p.a. SPRINT research group, NEJM, 2015 AHA, Circulation 2015

Blutdruckziele bei älteren Patienten Latest news Adverse Ereignisse (%, 3.3y), Intervention vs. Kontrolle, RR-Zunahme Hypotonie 1.0% NNH 100 Synkope 0.6% NNH 170 Elektrolytst. 0.8% NNH 125 akute NI/HI 1.8% NNH 60 ernste AE* 2.2% NNH 48 SPRINT research group, NEJM, 2015 AHA, Circulation 2015 Conclusion: Among patients at high risk for cardiovascular events but without diabetes, targeting a systolic blood pressure of less than 120 mm Hg, as compared with less than 140 mm Hg, resulted in lower rates of fatal and nonfatal major cardiovascular events and death from any cause, although significantly higher rates of some adverse events were observed in the intensive-treatment group. *mit potentieller Relation zur Intervention

Fazit SPRINT messbarer Benefit für aggressive BD-Senkung bei Älteren ABER: gilt es auch für polymorbide Patienten?? (nicht jedenfalls für fragile / Heimpatienten, Post-CVI oder für Diabetiker) Benefit (inkl. vermiedener cv Tod) mässig mit NNT 61 / 3.3 Jahre Schadensrisiko (für potentiell bedrohliche Ereignisse) durch die aggressivere Behandlung real (NNH 48-170 / 3.3 Jahre) Vorsicht weiterhin angebracht!

Lost opportunities n = 211'667 männliche Diabetiker >70y (mean 78y, SD 5.6), 1.5y (Dec 2013 - July 2015) BD behandelt (ausser ACE-Hemmer oder ATll-Blocker), D.m. behandelt (ausser Metformin) Absetzraten: 25'955 Pat. mit BD <129/65: 16% 81'226 Pat. mit BD <120/65: 19% 23'769 Pat. mit HbA1c 6-6.4%: 21% 12'917 Pat. mit HbA1c <6.0%: 27% Lost opportunity to reduce overtreatment! Sussman J, JAMA Intern Med 2015

Lost opportunities P =.001 or less (BP, life exp) P =.004 or less (HbA1c, life exp) Sussman J, JAMA Intern Med 2015

Wie knapp übers Netz bei den Statinen?

Statine Lancet 2002 Should extend pravastatin to elderly? n = 5'804, 70-82y Chol. total 4.5-9 mmol/l cvrf: 1/3 R, 2/3 HT, 1/10 D.m. oder bekannte CVD ARR = 2.1%/3.2y: NNT = ca. 50/3y Keine Differenz für CVI Sheperd, Lancet 2002 Seite 34

Statine Colomb BA, Evans MA. Statin Adverse Effects: A Review of the Literature and Evidence for a Mitochondrial Mechanism. Am J Cardiovasc Drugs 2008. -A nested case control study of a cohort of 252,460 new users of lipid-lowering medications found the odds of rhabdomyolysis for those over age 65 relative to those under were 4.36 (95% CI 1.5-14.1) Pharmacoepidemiol Drug Saf 2007 -In subjects assigned to simvastatin 80mg (SEARCH trial), age 65 at baseline was linked to increased definite or incipient myopathy with a relative risk of 2.2 (95% CI 1.4-3.4) overall (n=98); and 2.3 (95% CI 1.3-4.1) in the first year (n=56). (The relative risk was 2.0 in later years, 95% CI 1.1-3.9, n=42.) NEJM 2008 2015 «Additional research is warranted to better understand the tradeoffs between benefits and harms in this age group.» Odden, Annals 2015 Seite 35

Statine absetzen n=381, 74y (SD 11.6), 22% cognitive impairment, 50% cancer life expectancy 1mt to 1 year randomized to discontinue vs continue statins follow-up 1 year death within 2 mt 23.8 vs. 20.3% (p=.36) McGill QoL score 7.11 vs. 6.85 (p=.04) Kutner J, JAMA Intern Med 2015

Zentrale Analgetica (non-cancer pain) OPIOIDE Lebensqualität (SF-36) (N=228) (N=1678) (N=8160) concluded that long-term opioid treatment of chronic non-cancer pain does not seem to fulfill any of the treatment goals of pain relief, improved quality of life, or improved functional capacity. Eriksen et al., Pain 2006 Seite 37

Fazit Patienten mit Multimorbidität und Polypharmazie tragen ein erhöhtes Risiko von negativen Auswirkungen durch Behandlungen: «burden of treatment» brauchen eine sorgfältige und regelmässige Medikamentenprüfung: «systematic medication review» brauchen HausärztInnen, die sich um ihre Ziele und Prioritäten kümmern und mit ihnen darüber sprechen: «patient need driven, empathic medicine» 38

Diskussion und Dank Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, MPH sneuner@bluewin.ch stefan.neuner-jehle@usz.ch Bitte Evaluation nicht vergessen!

START & STOPP Screening tool to alert doctors to the right treatment Ein Instrument zur Identifikation von Unterbehandlung bei älteren Patienten 22 Kriterien (Konsens im Delphi-Verfahren, k = 0.68) für unterlassene Behandlung Population: über 65jährige ins Spital Eingewiesene, bei Spitalaufnahme. 58% (347 von 600) dieser Patienten erhielten Medikamente nicht, die indiziert wären. Screening tool of older person s potentially inappropriate prescriptions Ein Instrument zur Reduktion inadäquater Medikation / Polypharmazie älterer Menschen Population: über 65jährige ins Spital Eingewiesene, bei Spitalaufnahme 65 Kriterien (Konsens im Delphi-Verfahren, k = 0.75) für inappropriate medication, auf 20 zusammengefasst 35% (247 von 715) dieser Patienten erhielten inadäquate Medikamente. Barry PJ, Gallagher P et al, Age Ageing 2007 Gallagher P, Age Aging 2007+2008 Gallagher P et al, Age Ageing 2008 40

PRISCUS www.priscus.net Thürmann P et al, Dt Ärzteblatt 2011 Thürmann P et al, 2011 41

OPERAM University Hospital Bern 42

29th January 2014 University Hospital Bern 43

STRIP The Systematic Tool to Reduce Inappropriate Prescribing 1) systematische Medikamenten-Anamnese 2) strukturierte Medikemanten-Analyse, inkl. START/STOPP 3) Entscheidungsfindung bei der Medikamentenwahl durch Arzt und Apotheker 4) definitive Entscheidung mittels SDM mit dem Individuum 5) Follow-up und Monitoring Drenth-van Maanen AC. Drugs Aging 2009

OPTI-SCRIPT 30 min Session (Pharmazeut) über inadäquates Verschreiben; häufige Problemmedikamente; Online-Tool Review der Medikamentenliste > Online-Feedback zu jedem Problemmedikament: Grund für das Problem Alternativen für das Medikament (auch nicht-medikamentöse) Patientenflyer (DA) aber: communication skill training nirgends eingeplant! Clyne B. Ann Fam Med 2015

Resultate OPTI-SCRIPT Outcome PIP s,alle Medikamente Intervention (%) Kontrolle (%) OR (95% CI) 53 77 0.32 (0.15-0.7).02 - PPI s 23 47 0.30 (0.14-0.68).04 - Duplikationen 11 11 0.83 (0.32-2.13).99 - Lanzeit-Benzo s 9 9 1.31 (0.47-3.68).99 - Wellbeing (1-36) 24 24-0.41 (-0.8 bis +1.07).99 - Beliefs about medication (-20 bis + 20) 6 6 0.16 (-1.85 bis +1.07).99 p Clyne B. Ann Fam Med 2015

Cluster-randomisierte, doppelt-blinde, kontrollierte Studie im Hausarztsetting (2015-16) Follow-up nach Intervention von 12 Monaten Intervention: 1) Interventionsgruppe: Schulung der Ärzte (GPGP "plus") 2) Kontrollgruppe: Weiterbildung zum Thema Multimorbidität Outcomes: Anzahl Medikamente vor und 12 Mte nach Intervention sekundär: Zeitaufwand, Krankheitsverlauf, Lebensqualität, Diskrepanzen Pilotversuch (2014): n=63 13% der Medikamente verändert, 9% gestoppt; Zeitaufwand median 15min Neuner-Jehle S. PRAXIS 2014; Hasler S. Trials 2015